Jrdiſches
Vergnuͤgen
in
GOTT.
Achter Theil.
8 Theil. A
Einleitung.
Gefild’ und Waͤlder! meine Zuflucht, aus der
muͤhſelgen Welt voll Pein,
Voll Gram und Sorgen! nehmt mich ein
Jn euer ruhig Heiligthum! beguͤnſtiget mein einſam
Leben!
Da ich mich, von Zufriedenheit, von einem ernſten
Ueberlegen
Und von Betrachtungen begleitet, will, aus der Stadt,
zu euch begeben!
Jhr gruͤnen Ebnen, wie vergnuͤgt begruͤß ich euch!
Gluͤck, Heil und Segen
Erfuͤllen immer eure Fluren! ihr holden Vorwuͤrf’
unſers Blicks,
Jhr angenehmen Gegenden,
Der Erden majeſtaͤtſche Schoͤnheit, du Jnbegriff
des wahren Gluͤcks,
Du Feld- und Land-Luſt voller Anmuth, ihr keuſch-
und reinen Wohnungen
Der hoͤchſtbegluͤckten Sterblichen,
Die hier, in Unſchuld-vollem Frieden, ein unbeneidet
Leben naͤhrt,
(Ob ſolches gleich faſt goͤttlich iſt) da es, in Segen-
reicher Stille,
Uns einen edlen Muͤßiggang und eine ſuͤße Ruh gewaͤhrt:
Uns, die wir, fuͤr Betrachtungen (um uns ſo wohl,
als andre Weſen,
Zu unterſuchen) eigentlich formieret ſcheinen und erleſen;
A 2Die
Einleitung.
Die wir, die Eigenſchaft der Dinge, mit mehrer Ein-
ſicht, zu ergruͤnden,
Nie beſſere Gelegenheit, als wie in euren Fluren,
finden,
Und (in die Scenen der Natur, bey euch, geſetzt)
von ihren Werken
Die Gruͤnd’ und Wunder faͤhig ſind, am allernaͤch-
ſten zu bemerken.
Glorwuͤrdig’ herrliche Natur! O! die du, uͤber
alles, ſchoͤn,
Und, uͤber alles, guͤtig biſt; die alles liebet, alles naͤhrt;
Die, uͤber alles, ehrenwuͤrdig, und, uͤber alles, lie-
benswerth;
Ja, die ſelbſt goͤttlich, da, in ihr, der Gottheit Weſen
Selbſt zu ſehn.
Du, deren Blicke ſo gefaͤllig, von ſolcher Wohl-
anſtaͤndigkeit,
Die faſt unendlich. Das Betrachten von deiner
Vollenkommenheit
Bringt lauter Weisheit, und das Forſchen in deinem
Weſen, lauter Luſt.
Ein jedes deiner Werke giebt ſo ſchoͤne Scenen unſern
Augen,
Und iſt ein herrlicher Spectakel, als alle Kuͤnſt’ in
unſrer Bruſt
Uns jemals vorzuſtellen taugen.
O groß’ und maͤchtige Natur!
Der Vorſicht weiſeſte Verordnung, durch Vollmacht,
rege Schoͤpferinn!
Doch mehr, der Du ihr Vollmacht gabſt, Du hoͤch-
ſter Schoͤpfer, Dich allein,
Vereh-
Einleitung.
Verehret, rufet, flehet an, mein Dir allein ergebner
Sinn.
Dir ſoll die Einſamkeit, der Ort, mein Feld-Geſang,
geweihet ſeyn,
Jndem, mit der Gedanken Wohllaut begeiſtert, ich
anjetzt beſinge,
Obgleich mit eingeſchraͤnkten Worten, die Ordnung
der erſchaffnen Dinge,
Das wahre Weſen der Natur, und der Geſchoͤpfe
Schoͤnheit preiſe,
Die alle ſich, in Dir, entbinden, zu der, von Dir
beſtimmten, Zeit,
Du Quell und Urſprung aller Schoͤnheit und aller
Vollenkommenheit!
Es iſt Dein Weſen undurchdringlich, nicht zu erfor-
ſchen, ſonder Schranken.
Jn deiner Unermeßlichkeit vergehen aller Welt Ge-
danken,
Verſenken und verlieren ſich; die Phantaſey hemmt
ihren Flug;
Die Kraft zu bilden wirket nicht, indem ſie, in der
Gottheit Meer,
Kein Ufer, keinen Grund, kein Ende, noch in dem
allerfernſten Zug,
Worein ſie ſtieg, nur einen Punkt befindet, welcher
naͤher waͤr
Zum Umkreis, als das erſte Centrum, von dem ſie
ſich zuerſt erhoben.
Hievon, wenn ich ins leere Weite geſtiegen, nahm ich
oft die Proben
A 3Bey
Einleitung.
Bey meiner Ruͤckkehr in mich ſelbſt. Erſtaunt ob
meinem kleinen Jch,
Und ob der unermeßnen Fuͤlle der großen Einheit,
ſcheu ich mich,
Die ſo erſtaunlich tiefe Tiefe der Allgemeinheit aus-
zufinden,
Noch den unendlich hohen Abgrund der Gottheit ferner
zu ergruͤnden.
Jedoch, weil ich, o hoͤchſter Geiſt! von Dir, ſo
wie ich bin, formieret,
Vernuͤnftig hier erſchaffen bin, und meines Weſens
Wuͤrdigkeit
Darinn beſtehet, Dich zu kennen, und Deine Vollen-
kommenheit
Zu unterſuchen, zu bewundern; ach ſo erlaub’, in
dieſer Zeit,
Daß ich die Kraft und Faͤhigkeit,
Mit ſchuldger Freyheit, brauchen moͤge, mit welchen
du mich ausgezieret.
Erdulde mein verwegnes Naͤhern. Und, weil kein’
eitle Neubegier,
Noch ſtolze Thorheit, noch die Liebe zu etwas ſonſt,
als Dir allein,
Mir die Gedanken eingegeben; ſo laß mein Thun
geſegnet ſeyn.
Sey Selbſt mein Beyſtand, leite mich, und zeige
Deine Wege mir,
Da ich es wag’, in der Natur ſo weiten Labyrint zu gehen,
Dir in demſelben nachzuſpuͤhren, und Dich in Deinem
Werk zu ſehen.
Lob-
Lob-Gedicht.
Jndem ich jetzt bedacht- und einſam zur Abend-Zeit
ſpazieren gehe,
Die Augen in die Hoͤhe heb, und den geſtirnten Himmel ſehe,
Fuͤhl ich, durch deſſen Glanz geruͤhrt, von einer ruhigen
und ſtillen,
Mit Ehrfurcht untermiſchten, Luſt die aufmerkſame Seel
erfuͤllen.
Sie glaubt’, in den beflammten Schaaren, und in den
Boden-loſen Gruͤnden,
Den Ewgen Urſtand aller Dinge, den HERRR der Schaa-
ren, GOTT, zu finden,
Ja gegenwaͤrtig, faſt zu ſehn. Ein tief- und inniges
Entzuͤcken
Erheiterte mein ganzes Weſen. Ein nicht zu widerſtehn-
der Trieb,
Des Schoͤpfers Herrlichkeit zu preiſen, Sein Lob nach
Wuͤrden auszudruͤcken,
Fuͤhrt’ mich in eine Garten-Laube, woſelbſt ich, voller
Andacht, ſchrieb:
Gottheit! Die ich uͤberall, ſonderlich im Heer
der Sterne,
Finden, ehren und bewundern, lieben und ver-
ehren lerne,
Laß, von den Dich offenbarnden großen Werken,
jetzt mein Lallen,
Bloß aus vaͤterlichem Lieben, Ewge Liebe! Dir
gefallen!
A 4Die
Lob-Lied.
Die Wunder-wuͤrdige Verſchwendung der Strahlen-rei-
chen Flammen-Quellen,
Der großen Sonn’ und Welten Heere, beſchaͤfftigt ſich,
in ihrer Pracht,
Die Tiefen Deiner ewgen Weisheit, den weiten Abgrund
Deiner Macht,
Das Grund- und Grenzen- loſe Meer der ewgen Liebe
vorzuſtellen.
Sie blitzen, funkeln, ſchimmern, ſtrahlen in nimmer un-
terbrochnem Schein,
Sie glaͤnzen, waͤlzen ſich und prangen in dieſer Abſicht
bloß allein,
Der Gottheit Ehre zu verbreiten, im ſtillen, doch bered-
ten, Schweigen,
Das ewige ſelbſtſtaͤndge Weſen, den Schoͤpfer, aller
Welt zu zeigen.
Sie ſtellen dieſen großen Jnhalt, auf einer Tafel von
Sapphir,
Die unermeßlich, unbegrenzet, in feurig hellen Schriften,
fuͤr;
Sie geben unſerm Blick und Geiſt, in uͤberall vorhandnen
Werken,
Den uͤberall vorhandnen Gott, faſt ſicht- und fuͤhlbar
zu bemerken.
Sein Daſeyn, Seine weiſe Liebe und Seine Grenzen-loſe
Macht
Verkuͤndiget ein Tag dem andern, und eine Nacht der
andern Nacht.
Von Seines Weſens Einfachheit erkennt mein Geiſt die
hellen Spuren
Jn den verſchiednen Toͤnen, Farben, in den verſchiedlichen
Figuren
Der
Lob-Lied.
Der Pflanzen, Bluͤhte, Fruͤchte, Thiere, in der Geſichter
Unterſcheid.
Jn der ſo richtigen als feſten Veraͤnderung der Jahres-
Zeit
Seh ich, daß Er unwandelbar. Es zeigt ſich Seine
Guͤt’ und Milde
Jn allen Schaͤtzen unſrer Erde, Sein Vor-Verſehn,
Sein Weisheit-Licht,
Jn einem Nahrung-Segen-reichen und Aehren-ſchwan-
geren Gefilde.
Wie herrlich zeiget Seine Groͤße der Luft- und Waſſer-
Abgrund nicht!
Ja gar der unumſchraͤnkte Himmel. Man ſteht an aller
Erden Grenzen
Das Feuer Seiner Liebe blitzen, die Strahlen Seiner
Weisheit glaͤnzen,
Wodurch Er, bloß um uns zu leuchten, das wunderbare
Licht formiert,
Die Luft zum Athem-ziehn bereitet; die Waͤrme wirkt,
um uns das Leben
Und deſſen Saamen zu erhalten. Die Pflanzen, uns
die Koſt zu geben,
Wenn wir geſund, ja wodurch Er die Kranken auch zu-
gleich curiert.
Die Bienen, daß ſie nicht allein den ſuͤßen Honig uns
gewaͤhren;
Daß ſie zugleich, durch ihr Betragen und Ordnung, uns
die Ordnung lehren.
Das Meer, daß es der Handelſchaft zu einem Mittel-
punkte dien.
Die Wolken, daß ſie um die Welt, auf Fluͤgeln ſchneller
Winde, fliehn.
A 5Um
Lob-Lied.
Um unſre Felder zu befeuchten. Die Sonne, mit den
hellen Blicken
Uns zu erleuchten, zu beleben, die Welt zu ſchwaͤngern
und zu ſchmuͤcken.
Den Mond und uͤbrige Planeten, uns etwas Licht
herab zu ſchicken,
Wenn Phocbus in der Ferne wirkt. Den Tag, als
unſrer Arbeit Zeit;
Die Nacht, die Erde zu bedecken mit einer holden Dun-
kelheit,
Jn eine ſuͤß- und holde Stille die Creaturen einzuhuͤllen,
Die muͤden Coͤrper zu erquicken, die Geiſter wieder an-
zufuͤllen,
Mit einer neuen Kraft zu wirken. Der Morgenroͤthe
bunten Schein,
Den Tag uns wieder herzubringen,
Und die Natur ſelbſt zu verjuͤngen.
Es muͤſſe denn die Geiſter-Welt dem Schoͤpfer ewig dank-
bar ſeyn.
Es muͤſſe, was nur Othem hat, fuͤr ſolche nicht
zu zaͤhlnde Proben
Der Liebe, Macht und Weisheit Gottes, die Gott-
heit unaufhoͤrlich loben!
Auf-
Aufmunterung,
ſich an Gottes Werken zu vergnuͤgen.
Wie ſchoͤn iſt das bebluͤhmte Feld!
Wie ſchoͤn der Wald! wie ſchoͤn die Wieſe!
Wie ſchoͤn der bunten Gaͤrten Zelt!
Und kurz: Wie ſchoͤn die ganze Welt!
Sie gleicht faſt einem Paradieſe.
Mein Geiſt, der dieſen Schmuck bemerkt,
Wird, durch die Pracht, nicht nur geruͤhret;
Sein denkend Weſen wird geſtaͤrkt,
Und, da es ſolche Wunder ſpuͤhret,
Zu Dem, aus Welchem alles quillt,
Was uns mit ſo viel Luſt erfuͤllt,
Zum Schoͤpfer aller Welt, gefuͤhret.
Er glaubt, Jhn uͤberall zu finden,
Zu hoͤren, ſchmecken und zu ſehn.
Er ſcheint, Sein Weſen zu ergruͤnden,
Und, da die Creatur ſo ſchoͤn,
Jn ihrer Ordnung, Zier und Pracht
Des Schoͤpfers Lieb’ und weiſe Macht
Ganz uͤberzeuglich zu verſtehn.
Denn, bloß allein zu unſrer Freude,
Schuff Er das ſchoͤne Welt-Gebaͤude.
Wer wollte denn die holden Pflichten,
Sich zu vergnuͤgen, nicht verrichten?
Wer
Aufmunt. zur Vergnuͤg. an Gottes Werken.
Wer wollt’ an Seinen ſchoͤnen Gaben,
Zu Seinem Preiſe, ſich nicht laben?
Wer wollte ſich an allen Schaͤtzen,
Die Gott uns ſchenket, nicht ergetzen?
Er ſchuff ſie ja fuͤr uns allein.
So laßt uns, Seinen holden Willen,
Jm froͤhlichen Genuß, erfuͤllen,
Jn unſrer Luſt, Jhm dankbar ſeyn!
Die
Die Nachtigall.
Welch ein hell- und reiner Schall,
Der aus jenem Buſche dringet!
Ach! es iſt die Nachtigall,
Die ihr erſtes Liedchen ſinget.
Gott ſey Dank, daß wir die Zeit
Wiederum erlebet haben,
An der Voͤgel Lieblichkeit
Unſern Geiſt, durchs Ohr, zu laben!
Moͤchte ſie, wann wir ſie hoͤren,
Bey der Luſt, uns auch belehren!
ARIA.
Kleiner Saͤnger, ſey willkommen! wunderreiche
Creatur
Deines wunderbaren Schoͤpfers, Deſſen Weis-
heit, Lieb’ und Macht,
Jn dem Reiche der Natur,
Dich fuͤr uns hervorgebracht!
Die Blaͤtter ſcheinen ſich zu mehren,
Ja gleichſam recht hervor zu dringen,
Um dein faſt uͤberirdiſch Singen,
So wie wir andern, auch zu hoͤren.
Du ſcheinſt zu rufen, daß ſie eilen;
Sie hoͤren es, bemuͤhen ſich
Die Knoͤſpchen aͤmſig zu zertheilen,
Sie wachſen gleichſam ſichtbarlich.
Es
Die Nachtigall.
Es ſcheint, als ob ſie ſich verbreiten,
Um deinem Neſt, aus Dankbarkeit,
Fuͤr deiner Lieder Lieblichkeit,
Ein gruͤnes Schirm-Dach zu bereiten.
Geliebte Menſchen, laßt uns doch auf ihre ſuͤße Lieder
achten,
Und beſſer, als bisher geſchehn, dieß laute Wunder-Werk
betrachten.
Ein Ton wird einzeln wiederholt, darauf verdoppelt,
ſchnell vermehrt,
Ja oͤfters faſt vertauſendfacht. Oft ſcheints, als ob ſie
uns belehrt;
Oft, daß ſie lacht, oft, daß ſie klaget;
Oft ſchlieſſet ſie, mit kurzem Satz, im Steigen, recht
als wenn ſie fraget;
Zum oͤftern ſinkt, nach langem Kraͤuſeln, und oͤfterm
Schlagen, ſchnell ihr Schall,
Jn einem, nach der Ton-Kunſt Regeln gedehnten, recht
gemeßnen Fall;
Bald aber ſingt, mit neuem Feuer, ſie wild, und doch
nicht minder ſchoͤn.
Kaum, daß der Menſchen ſchlanke Zunge ſo manches
Wort articulieret,
Als ſie ein klingend Woͤrter-Heer verſchiedlich fuͤget und
formieret.
Jhr fehlet nichts, nur uns die Kunſt, ihr klingend Spre-
chen zu verſtehn.
Zuweilen deucht mich, daß ichs merke: Daß naͤmlich
aller Melodey,
Und ihres reinen Modulierens, Zweck, Lehr und Jnhalt
dieſer ſey:
ARIA.
Die Nachtigall.
ARIA.
Jch ſinge, mit nie muͤder Kehle,
Zu Gottes Ruhm, und dir zur Luſt.
Ach! waͤre deiner regen Seele
Die Abſicht der Natur bewußt!
Wenn nur dein Geiſt, beym Hoͤren, denket:
“Daß Gott die Kunſt zu ſingen mir,
“Die Gabe des Gehoͤres dir,
“Dich zu beluſtigen, geſchenket;
“So ſing, und hoͤreſt du, und ich,
“Zu Gottes Ruhm, gemeinſchaftlich.
Die
Die Nachtigall.
Die Nachtigall hoͤrt man, zur lieblichen Fruͤhe
lings-Zeit,
Aus ihrer, zum Wunder, erſchaffenen Kehlen,
Die Waͤlder begeiſtern, die Schatten beſeelen,
Und, ſingend, die Wunder des Schoͤpfers erzehlen,
Mit klingendem Eifer, mit feuriger Fertigkeit.
Verſtehen wir nun gleich, von ihrem Lob-Geſang,
Den Jnhalt nicht, nicht den Zuſammenhang;
So faſſen wir doch dieß, daß dieſer Wunder-Klang,
Wo nicht der Wunder-Bau der Ohren
An uns formieret waͤr, fuͤr uns verlohren
Und ganz vergebens wuͤrd’ erklingen.
Ach denket dann, bey ihrem Singen,
An Den, Der ſolche Eigenſchaft
Dem kleinen Vogel eingeſenket,
Und unſerm Geiſt zugleich des Hoͤrens Kraft,
Die Ohren, unſerm Koͤrper, ſchenket;
Damit wir uns, bey allen Fruͤhlings-Schaͤtzen,
Nicht durchs Geſicht allein, auch durchs Gehoͤr, ergetzen.
Behorchet dann noch einſt, mit aufmerkſamen Sinn,
Der Waͤlder holde Saͤngerinn.
Arioſo.
Sie fuͤllet die Luͤfte mit ſchmetterndem Schallen,
Sie laͤſſet, mit Floͤthen und Glucken gemiſcht,
Worunter ſie, lockend, bald gurgelt, bald ziſcht,
Die reinen Geſaͤnge bald ſteigen, bald fallen.
Jetzt
Die Nachtigall.
Jetzt aͤchzet, jetzt jauchzt ſie, jetzt wirbelt ſie ſtrenge
Der klingenden Toͤne nicht zaͤhlbare Menge.
Es quillet und ſprudelt auf einmal ein Chor,
Aus ihrem harmoniſchen Schnabel, hervor.
Man hoͤrt ſie bald pfeifen, bald, Froͤſchen gleich,
quarren;
Bald klingt ſie, wie Glocken; bald miſcht ſich
ein Schnarren,
Jn einer ſanft winſelnden Floͤthe, mit ein;
Bald ſcheint ſie zu trauren, bald froͤhlich zu ſeyn.
Unzaͤhlbar veraͤndert ſie Stimmen und Klang.
Es bleibet ihr Singen ein Wunder-Geſang.
8 Theil. BEin
Ein ander Gedicht von der
Nachtigall.
Bey der hellen Nachtigall ſchmetterndem und reinem
Singen,
Konnt’ ich juͤngſt mich nicht enthalten, dieß noch zu Papier
zu bringen.
Ein hell- und hohles Floͤthen wendet
Und endet oͤfters ſich in ein Geziſch.
Jhr Hals gebiert, vermengt, verſchwendet,
Ein ſonſt nicht miſchbares Gemiſch
Von Toͤnen, die ſie weiß zu fuͤgen,
Daß, ſonder Wohllaut, ſie dennoch vergnuͤgen.
Jetzt quarret ſie, dem Froſch im nahen Bach,
Jetzt ſchnarret ſie, dem Graſe-Koͤnig, nach;
Jetzt ſtimmt, ihr feuriger Geſang,
Mit dem durchdringend reinen Klang
Metallner Glocken uͤberein.
Da ſie bald lockt, bald ſchlaͤgt, bald pfeift,
Bald ſtehnt, bald jauchzt, bald klagt, bald keift;
Scheint ſie, verwegen, zu probieren
Die Toͤne, die nur moͤglich ſeyn,
Hervorzubringen, zu vermaͤhlen,
Durch Werkzeug’ ihrer ſchlanken Kehlen,
Und alle moͤgliche Manieren
Mit einzumiſchen, auszufuͤhren,
Um deſto kraͤftiger der Menſchen Ohr zu ruͤhren.
ARIA.
Die Nachtigall.
ARIA.
Fehlt’ uns unſer horchend Ohr,
Und viel tauſend Nachtigallen
Suͤngen, in vereintem Chor;
Wuͤrd’ ihr Klang vergebens ſchallen.
Aber, fehlt’ uns auch das Denken:
Daß die Gottheit unſrer Bruſt,
Durch dieß Thierchen, ſo viel Luſt,
Bloß aus Liebe, wollen ſchenken;
Schien es, daß, von Abſicht leer,
Durch ein blindes Ungefehr,
Alles dieſes, was vorhanden,
Koͤnnt’ und wuͤrde ſeyn entſtanden.
B 2Betrach-
Betrachtung Goͤttlicher Gegenwart,
bey Bluhmen.
Geruͤhrt durchs bluͤhende Gepraͤnge,
Erſtaunt ob aller Wunder Menge,
Die jetzt aus Erd’ und Baͤumen quillt,
Durch ihren bunten Schmuck erquicket,
Durch Farben, Form und Glanz entzuͤcket,
Von ihrem Balſam ganz erfuͤllt,
Erhebt mein froͤhliches Gemuͤthe
Die Allmacht, Weisheit, und die Guͤte,
Des Weſens, welches ihre Pracht,
Zu unſrer Luſt, hervorgebracht.
Es miſchet ſich in mein Ergetzen
Ein ſuͤß- ein liebliches Entſetzen,
Das durch mein ganzes Weſen dringt,
Das mich zur Lieb’ und Ehrfurcht zwingt,
Da ich, in ihnen, in der Naͤhe,
So ihr- als meinen Schoͤpfer ſehe.
Von Andacht heiß, von Luſt erſtarrt,
Verſpuͤhr’ ich Sein’ Allgegenwart,
Die nie ſo klar, als hier, zu ſpuͤhren.
Nicht nur der ganzen Erden Zier;
Ein jedes Bluͤhmchen, zeigt Jhn mir,
Bemuͤht ſich, mich zu Jhm zu fuͤhren.
Ein’ iede, deucht mich, daß ſie ſpricht:
Erblickſt du unſern Schoͤpfer nicht?
Du kannſt in mir, da ich ſo ſchoͤn,
Sein’ Allmacht, Lieb’ und Weisheit ſehn.
Und
Betracht. goͤttl. Gegenwart bey Bluhmen.
Und dieß iſt ja Sein wahres Weſen.
Du kannſt, wo du vernuͤnftig biſt,
Ganz deutlich, daß, und was, Er iſt,
Auf allen meinen Blaͤttern leſen.
Die Stimm’ und dieſe ſchoͤne Schrift,
Die meiner Seelen Jnnres trifft,
Bringt mich zu einer Seelen-Stille.
Jch fuͤhle, wie dieß ſtille Denken,
Mich in Jhn Selber zu verſenken,
Mir Faͤhigkeit und Anlaß giebt.
Jch fuͤhle, wie mein ganz Gemuͤthe,
Jm holden Ausbruch Seiner Guͤte/
Jn Furcht und Luſt, Jhn ehrt und liebt.
Es waͤchſt mein kindliches Vertrauen,
Wenn die geruͤhrte Seele denkt:
Der Bluhmen kleidet, naͤhrt und traͤnkt,
Der ſie formiert, der mir ſie ſchenkt,
Wird auch auf meinen Zuſtand ſchauen.
Die nahe Gegenwart erregt
Noch ferner, da ich Sein mich freue,
Mein Herz Sein Daſeyn uͤberlegt;
Daß ich, was Jhm mißfaͤllig, ſcheue.
Wer einen Kaiſer in der Naͤhe,
Und bey ſich gegenwaͤrtig, ſaͤhe;
Der wuͤrde ja, nach ſeinen Pflichten,
Jhm nichts Mißfaͤlliges verrichten.
Wenn ich dann Gottes Naͤh’ und Groͤſſe,
Bey Bluhmen, die Er ſchuff, ermeſſe;
Wie ſollt’ ich Seiner mich nicht freuen?
Wie ſollt’ ich nicht die Laſter ſcheuen?
B 3Auf
Betracht. goͤttl. Gegenwart bey Bluhmen.
Auf die Art kann der Bluhmen Heer
Nicht nur zu ihres Schoͤpfers Ehr;
Es koͤnnen ihre Lieblichkeiten
So gar uns zu der Tugend leiten.
Auf die Art lernen wir verſtehn,
Wenn wir vernuͤnftig Bluhmen ſehn,
Wie Gott in Bluhmen Selber ſchoͤn.
Auf die Art dienet jede Bluhme,
Bey klugen Menſchen, Gott zum Ruhme.
Die
Die ſchoͤne Nacht.
Es uͤberſilberte bereits, mit reinem Lichte,
Der helle Mond die dunkle Welt;
Wodurch dem menſchlichen Geſichte
Ein neuer Schauplatz vorgeſtellt,
Um, wie ſo wunderwuͤrdig ſchoͤn,
Auch bey der Nacht, der Welt-Kreis anzuſehn.
Nun zeigt zwar uͤberall, in einer hellen Nacht,
Der Mondſchein Anmuth, Glanz und Pracht;
Allein ſo auſſerordentlich
Verſchoͤnerte ſie ſich
Noch niemals, wenigſtens fuͤr mich,
Als ich ſie jetzt auf meinem Garten finde,
So daß ich mich, faſt auſſer mir, und ganz
Erſtaunt, den gar zu ſchoͤnen Glanz
Kaum, zu beſchreiben, unterwinde.
Des Gartens Lage mehrete,
Durch die verſchiedne Tief’ und Hoͤh,
Die Schoͤnheit, die man ſonſt zertheilt nur |findet;
Jndem, bey den verſchiednen Stiegen,
Sich ein verſchiedenes Vergnuͤgen
Bald einzeln zeigt, bald ſich mit andern bindet.
Wenn man im untern Gange ſteht,
Und in der gruͤnenden Allee ſpazieren geht,
Wird unſer Blick vergnuͤgt empor gefuͤhrt,
Und ihm, da er bequem auf Stiegen aufwaͤrts ſteiget,
Wie ſo verſchiedentlich ſich alles ziert,
Auch Staffel-weiſe ſtets gezeiget;
Da ſieben Abſaͤtz’, ihm, die wir zugleich erblicken,
Zur Luſt, ſich mit ſo viel beſondrer Schoͤnheit ſchmuͤcken.
B 4Ein
Die ſchoͤne Nacht.
Ein ſchoͤn- und zierliches Gebaͤude,
Das oben, wo der Berg am ſtaͤrkſten ſich erhoͤht,
Nebſt zween geraden Fluͤgeln, ſteht,
Jſt unſrer Augen Ziel. Vor dieſen ſtehn ſechs Bogen
Von Linden, nach der Kunſt gezogen,
Auf welchem ſechs erhabne Staͤmme ſich,
Jn richtig zugeſpitzten Zweigen,
Recht zierlich, kuͤnſt- und meiſterlich,
Als wie Laurieren-Kronen, zeigen.
Dieß alles traf, in dieſer ſchoͤnen Nacht,
Des Mondes heller Strahl.
Es ſtund das Haus in einer weiſſen Pracht:
Der Baͤume Dunkelheit
Erhob des Lichtes Herrlichkeit;
Ja machten ſolche ſcharfe Schatten,
Daß wir, am weißlichten Gebaͤude,
Statt ſechs, zu noch vermehrter Freude,
Zwoͤlf Baͤume zu bemerken hatten.
Durch dieſe funkelten, recht wie ein heller Tag,
So hell, daß es nicht zu beſchreiben,
Die angeſtrahlten Fenſter-Scheiben,
Vom hellen Mond, im Wiederſchlag.
Hiedurch war das Gebaͤude ganz
Jlluminirt; es fiel und ſchien,
Erhoͤhet durch der Baͤume Dunkel-Gruͤn,
Jn netter Simmetrie, ein ſolcher Glanz,
Ein ſolches Funkeln, ſolch ein Licht,
Jn unſer faſt darob erſtaunetes Geſicht,
Daß wir, erſtarret, ſtille ſtunden,
Und uns recht innerlich dadurch geruͤhret funden.
Jch
Die ſchoͤne Nacht.
Jch trat nachher, im Dunklen, in den Saal,
Und fand denſelben angefuͤllet
Vom ſanften Licht, vom Silber-weiſſen Strahl,
Der aus des Mondes Scheibe quillet,
Nebſt einigen formirten netten Schatten
Von Blaͤttern, die, von angeſtrahlten Zweigen,
Sich uͤberall gebildet hatten,
Und ſich hier an der Wand, dort auf dem Boden, zeigen.
Welch angenehmes Schatten-Spiel,
Als ich drauf achtete, mir inniglich gefiel.
Die Luſt ward noch vermehrt,
Als ich mich, linker Hand,
Nach den durchſtrahlten Fenſtern, kehrt’,
Und alle Scheiben bunt, von Licht und Schatten, fand.
Das angeſtrahlte Glas war nicht, wie ſonſt, ſo glatt,
Schien minder klar, und etwas matt;
Doch ſchien es weiſſer noch, als ſonſt: wodurch die
Schatten
Der Blaͤtter, welche ſich darauf gebildet hatten,
Um ſo viel deutlicher und zierlicher ſich zeigten.
Wie ſich, vom linden Weſt, die wahren Blaͤtter beugten;
So beugten, regten ſich, und ſchwebten
Die Schatten-Blaͤtter, faſt als wenn ſie lebten.
Jch ſtund dann auch, durch dieſes Glanzes Fuͤlle
Nicht weniger geruͤhret, ſtille,
Und ward, durch dieſe lichte Pracht,
Bey dieſer wunderſchoͤnen Nacht,
Zu folgenden Betrachtungen gebracht.
B 5Mein
Die ſchoͤne Nacht.
Mein Schoͤpfer! iſt die Welt, bey Tage, wurd
derſchoͤn;
So laͤßt Du uns, in einer neuen Pracht,
Wie ſie, ſo gar bey dunkler Nacht,
Nicht minder wunderſchoͤn, zu Deinen Ehren zu
ſehn.
Auf-
Aufmunterung bey hellem Wetter.
Ein bunter, doch meiſt gruͤner Glanz,
Bedecket unſern Erd-Kreis ganz,
Der faſt in Licht und Waͤrme ſchwimmet.
Faſt jeder Vorwurf, den man ſieht,
Vergnuͤgt das Auge, ſchimmert, gluͤht;
Luft, Waſſer, Feld und Garten glimmet.
Was ſonſt ſchon herrlich gnug gemahlt,
Wird, da es durch- und angeſtrahlt
Vom Sonnen-Licht, an Pracht vermehrt,
Verſchoͤnert, uͤberſilbert, helle,
Ja guͤlden oft auf mancher Stelle,
Durchlaͤuchtig, in der That verklaͤrt.
Wenn Felder faſt Smaragden ſcheinen;
So gleichet, andern Edelſteinen,
Das glaͤnzend- bunte Bluhmen-Heer.
Da Gott uns nun auf eine Welt,
Die ſo viel herrliches enthaͤlt,
Zu unſrer Luſt, und Seiner Ehr’,
Aus lauter Liebe, hingeſtellt;
So ſollte jeder Menſch, zumal
Wer im entwoͤlkten Sonnen-Strahl
Spazieren gehet, und beſiehet,
Wie Wald und Feld und Garten gluͤhet,
Wie, was er ſieht, ſo wunderſchoͤn,
Mit Luſt, zu Gottes Ehren, ſehn.
Vernuͤnf-
Vernuͤnftiges Gebet.
Ach! ſtaͤrke mein vergnuͤgt Geſicht,
Daß der Gewohnheit Nebel nicht
Dein herrlich Werk vor mir verſtecke;
Gieb, daß ich Dich, in jeder Stelle,
Als aller Schoͤnheit Grund und Quelle,
Mit immer neuem Blick, entdecke.
Gieb, daß ich Geiſt und Sinn verbinde,
Wenn ich, in Farben und Figur,
(Die Liberey der Creatur)
Die Proben weiſer Liebe finde.
Gieb, daß ich, mit geruͤhrter Bruſt,
Bey immer neu empfundner Luſt,
Von jedem Deiner Werke denke:
Es ſey ein goͤttliches Geſchenke.
Laß, wenn die ſchoͤne Welt mich ruͤhret,
Mich von der Wahrheit uͤberfuͤhret
Und voͤllig uͤberzeuget ſeyn:
Es ſtamme, was die ſchoͤne Welt
Bewundernswuͤrdigs in ſich haͤlt,
Von Gott, vom Schoͤpfer bloß allein.
Bey einem jeglichen Genuß
Von Anmuth, ſey ein froͤhlichs Denken:
Dieß wollt’ uns unſer Schoͤpfer ſchenken!
Der Anfang; ein Gott Lob! der Schluß.
Betruͤb-
Betruͤbtes Verfahren der Menſchen.
Fuͤr alle Seine Wunder-Gaben,
Die Er erſchuff, um uns zu laben,
Fuͤr aller Bluhmen Pracht und Zier,
Verlangt der große Schoͤpfer hier
Nichts, als nur unſre Luſt, zu haben.
Da nun ein ſolcher Dienſt bequem,
Nicht ſchwehr, nein leicht und angenehm;
Jſt es dann nicht bedaurenswerth,
Daß man dieſelbigen verachtet,
Sie nicht genießt, ſie nicht betrachtet,
Sich nicht vergnuͤget, Gott nicht ehrt?
Die
Die mit großem Nutzen verbundene
Schoͤnheit des Graſes.
Was fuͤhlet ein geruͤhrt Geſicht
Fuͤr Anmuth in dem Graſe nicht?
Da kaum Figuren, Farb’ und Glanz,
An einem ſchoͤnen Bluhmen-Kranz,
Voll tauſendfacher Zierlichkeiten,
Uns ſo verſchiedne Luſt bereiten.
Der ſaͤurlich- angenehme Duft,
Der aus dem friſchen Graſe quillet,
Und uͤberall die niedre Luft,
Mit allgemeiner Anmuth, fuͤllet,
Wird hier und dort, und uͤberall,
Durch einen angewuͤrzten Schwall,
Der inniglich den Geiſt erfriſchet,
Aus tauſend Kraͤutern, untermiſchet.
Wann wir, von ſchwarzen Sorgen frey, bequem, bey
ruhigem Vergnuͤgen,
Hier auf dem Teppich der Natur, im Blumen-reichen
Graſe, liegen;
So laßt uns, mit vernuͤnftgem Blick, auf unſer ſchoͤnes
Lager achten,
Und die bewundernswerthen Theile, aus welchen es
beſteht, betrachten.
Die
Nutzen und Schoͤnheit des Graſes.
Die Faͤden dieſer ſchoͤnen Decke, von Fingern der Natur
gewebt,
Sind Meiſterſtuͤcke ſchon fuͤr ſich: Ein jeder Draht
ſcheint hier belebt;
Ein jeder Faden iſt ein Kunſtſtuͤck, das alle Kunſt weit
uͤberſteiget,
Und in ſich Farben, Licht und Schatten, Glanz, Zeich-
nung und Figuren zeiget.
Was Wunder dann, daß ein Geweb’, aus ſolchen ſchoͤnen
Faͤden, ſchoͤn,
Und, ſonder inniges Vergnuͤgen, und ohne Luſt, nicht
anzufehn?
Jch lenke dann den frohen Blick, und des Geſichts
geſchaͤrften Sinn,
Auf dieß bewundernswerthe Werk der unſichtbaren
Wirkerinn,
Und finde, wie mein reges Auge, durch ſo viel Lieblichkeit
verwirret,
Von einer Schoͤnheit zu der andern, in immer neuen
Wegen, irret,
Ganz ungewiß, was ich zuerſt, da jedes Kraut von
Wundern voll,
Vor andern, die nicht minder ſchoͤn, zuerſt beſehn und
waͤhlen ſoll.
Von jungem, hell durchſtrahltem Graſe, erblick ich
gruͤne Linien;
(Die ſich ſehr zier- und lieblich ſpitzen) nicht minder
gruͤne Zirkelchen
Von Klee- und tauſend andern Blaͤttern, bald ſie be-
deckend, bald bedeckt,
Jndem bald vor, bald hinter ihnen, bald durch ſie, ſich
ein Spitzchen ſtreckt,
Und ſie bald zeigt, bald ſie verſteckt.
Jn
Nutzen und Schoͤnheit des Graſes.
Jn den ſo ſuͤß verwirrten Tiefen, wohin der Sonnen
Strahl nie drung,
Herrſcht unten eine gruͤne Nacht; dann eine gruͤne
Daͤmmerung,
Die unſer Auge kuͤhlt und ſtaͤrkt, ergetzt, erquicket und
erfriſchet,
Wenn, etwas hoͤher, mit der Daͤmmrung ein zart gemil-
dert Licht ſich miſchet,
Und oben, auf den netten Spitzen,
Jn einem Schimmer-reichen Glanz, viel kleine gruͤne
Lichter blitzen,
Wodurch, in ſo verſchiednem Gruͤnen, da eins das andere
erhoͤht,
Ein lieblich angenehm Gemiſch, das unſre Blicke labet
entſteht.
Wie ſchmeichelt es nicht dem Gefuͤhl,
Da Gras und Kraut ſo lieblich kuͤhl,
Wenn es im Sommer heiß und ſchwuͤhl,
Und man ins friſche Gras ſich ſetzet;
Da es, ſelbſt dem erhitzten Blut,
Von auſſen wohl und ſanfte thut,
Zugleich auch innerlich ergetzet,
Da, aus der Kuͤhlung, eine Luſt,
Die unſer Herz vergnuͤgt, entſpringet,
Und ſich von auſſen in die Bruſt,
Durch ſo viel kleine Nerven, dringet.
Es ſeh’ ein menſchlich Auge dann,
Mit Fleiß, mit Luſt und Andacht, an,
Was fuͤr ein Schatz, von Nutz und Luſt,
Der ſich aufs Vieh, und uns, erſtrecket,
Und, manchem, leider! unbewußt,
Nur bloß allein im Graſe ſtecket.
Ein
Nutzen und Schoͤnheit des Graſes.
Ein einziges Geſchoͤpfe kann
Nicht nur allein faſt alles Vieh,
Und uns, durch ſie,
Erhalten, ſpeiſen und ernaͤhren;
Es kann zugleich auch unſerm Geiſt,
Wie es ja die Erfahrung weiſt,
Durch viele Sinnen, Luſt gewaͤhren,
Und uns dadurch zugleich erklaͤren,
Wie wunderbar die weiſe Macht
Deß, Der den großen Bau der Welt,
So wie Er ihn hervorgebracht,
So wunderbar ihn auch erhaͤlt:
Ja daß Er, mit dem Pflanzen-Reich,
Nicht nur das Thier-Reich hat verbunden;
Daß Er, mit einem Stoff zugleich,
So manchen Endzweck zu erhalten,
So leichte Mittel ausgefunden.
Ach laſſet Jhn dann ferner walten!
Und wenn ihr auch wo Mangel leidet,
So denkt: “Der Gras und Bluhmen kleidet,
“Zum Nutz dem Vieh, zum Schmuck der Erde,
“Das euch zugleich ergetzt und naͤhrt,
“Auf dieſem ſchoͤnen Welt-Gebaͤude,
“Sey einer feſten Zuverſicht,
“Und kindlichen Vertrauens Pflicht,
“Daß Er auch euch verſorgen werde,
“(Wodurch ihr Jhn am meiſten ehrt)
“Sey eurer Luſt, ſey eurer Freude,
“Bewunderung, und Dankens, werth.
8 Theil. CDer
Der Thau.
Jndem ich hier, vom reinen Thau,
Den bunten Glanz und Schimmer ſchau,
Faͤllt mir, bey ſeiner Schoͤnheit, ein:
Daß faſt durch nichts, auf dieſer Welt,
Die Herrlichkeit vom Sonnenſchein
Uns herrlicher wird vorgeſtellt,
Als durch den klaren Thau allein.
Nicht nur ein kleines Sonnen-Bild
Hat jedes Troͤpfchen angefuͤllt;
Die ſieben Farben ihrer Strahlen
Sieht man darinn ſich deutlich mahlen:
Man ſiehet Purpur, gelb und blau,
Auch roth, und weiß, und gruͤn, im Thau;
So, wie bekannt, vom Sonnenſchein,
Und ihrem Strahl, die Farben ſeyn.
Man wird dahero fuͤglich koͤnnen
Die Troͤpfchen, Sonnen-Spiegel nennen,
Die Kraut und Gras und Land befeuchten,
Doch auch zugleich die Welt erleuchten,
Daß ſie, was in der Sonne ſchoͤn,
Auch kann auf unſrer Erde ſehn.
Schoͤpfer Himmels und der Erden!
Sollte dann, durch alle Zier
Deiner Wunder, nicht in mir
Eine Zuverſicht zu dir
Billig auch gewirket werden?
Lehren
Lehren der Creaturen, abſonderlich
der Bluhmen.
Was giebt uns nicht das Buch der Welt von unſers
Schoͤpfers Wunder-Weſen
Fuͤr uͤberzeuglich-klare Lehren, wie manchen ſchoͤnen
Text, zu leſen?
Die Welt ſcheint eine große Schule, wo alle Creaturen
Lehrer,
Auch ohne Witz und Klugheit, ſind. Die Lehre laͤßt ſich
fuͤhlen, ſehn,
Zumal in den ſo ſchoͤnen Bluhmen. Ein jeglicher ver-
nuͤnftger Hoͤrer
Kann, durch Betrachtung, ihren Jnhalt und eigentlichen
Sinn verſtehn.
Sie rufen all’, in ſanftem Ton: Es iſt ein Gott!
Die Ordnung, Pracht,
Licht, Farb’, und Abſicht, die wir haben, ſind nicht
durch uns, in uns, gemacht:
Wir ſind zu dumm, uns ſelbſt zu bilden. So muß
dann Anmuth, Pracht und Schein,
Die ihr in unſerm Weſen findet, von einem
andern Weſen ſeyn,
Das weiſer iſt, als wir und ihr. Dieß ſagen ſie
Jahr aus, Jahr ein.
Doch ihre Sprache faſſen nur die Geiſter, welche,
durch Betrachten,
Nicht nur die ſchoͤne Schrift allein, den Jnhalt auch
darinn, beachten.
C 2Der
Lehren der Creaturen, ſonderl. der Bluhmen.
Der iſt nicht nur: Es iſt ein Gott. Er iſt zugleich,
(da wir ſo praͤchtig,
Und zwar fuͤr euch ſo ſchoͤn, formieret) Er iſt auch
liebreich, weiſ’, und maͤchtig.
Sie ſagen ferner: Da uns Gott, fuͤr euch, ſo ſchoͤn,
ſo herrlich, bildet,
Fuͤr euer Aug’ uns faͤrbt, verſilbert, zu eurer Luſt
uns uͤberguͤldet,
Fuͤr uns, zu eurem Beſten, ſorgt; wie ſollt’ Er dann
fuͤr euch nicht ſorgen,
Da ihr ja ſo viel mehr, als wir? Drum ſetzet
eure Zuverſicht
Auf Seine weiſe Macht und Liebe, und ſorgt nicht
fuͤr den kuͤnftgen Morgen.
Dieß ſind die Worte, lieber Menſch, die jede Bluhme
zu dir ſpricht.
Der
Der durch den Regen verſchoͤnerte
Wald.
Mich lockte juͤngſt ein heitres Wetter,
Zum holden Schirm-Dach gruͤner Blaͤtter,
Jn einen dicken Wald, zu gehn.
Jch ſah daſelbſt, wie wunderſchoͤn,
Jn denen dicht belaubten Buͤſchen,
Sich Licht und dunkle Schatten miſchen,
Und tauſend Miſchungen entſtehn.
Darauf bezog ſich ſchnell die Luft
Mit einem ſchwarzen Wolken-Duft.
Die vielen Lichterchen verſchwunden;
Die vielen Schatten, ihre Kinder,
Verlohren ſich zugleich nicht minder,
Mit dem verſchwundnen Sonnenſchein.
Ein dunkel Gruͤn, das allgemein,
Ward in dem ganzen Wald allein,
Und keine Farbe ſonſt, gefunden.
Jndeß erhub ſich uͤberall
Ein liſpelnder und ſanfter Schall.
Auf hohen Wipfeln und in Buͤſchen
Verſpuͤhrte man ein lautes Ziſchen.
Es rauſchte, durch des Regens Fall,
Die Luft, das Laub, daß dem, ders hoͤrte,
Es ſeine Luſt annoch vermehrte.
Hiedurch nun wurden Laub und Gras,
Die Wipfel und der Boden, naß.
C 3Gleich
Der durch den Regen
Gleich aber fing der kurze Regen,
Eh mans gedacht, an, ſich zu legen;
Es brach der hellen Sonne Schein,
Von neuem, uͤberall herein.
Da haͤtte man ein Blitzen, Glimmern,
Ein Funkeln, Spielen, Glaͤnzen, Schimmern,
Jm ganzen Walde, ſollen ſehn
Jn einem Augenblick entſtehn!
Ein jedes Kraut, ein jedes Blatt,
Das, von dem Regen, naß und glatt,
Bedeckt ein heller Silber-Schein.
Ja, wie ein glattes Spiegel-Glas,
Sah man die Stellen, welche naß,
Viel Blaͤtter-Bilderchen formieren,
Von andern Blaͤttern, die man nah,
Und ſich in ihnen bilden, ſah.
Wohin man ſeine Blicke ſchickte,
Sah man, in dem begruͤnten Dunkeln,
Faſt nichts, als Diamanten, funkeln,
Und an verſchiedner Blaͤtter Spitzen,
Dem Schein nach, helle Lichter blitzen;
Zumal, wo große Tropfen hingen,
Worinn der Sonne bunte Strahlen,
Die ſie mit vielen Farben mahlen,
Sich dringen, und zuruͤcke ſpringen.
Jch ſtutzt’, und lieſſe dieſe Pracht,
Die uͤber Wunder Wunder ſchoͤn,
Mir, durch das Aug’, ans Herze gehn.
Es
verſchoͤnerte Wald.
Es dankte mein geruͤhrt Gemuͤthe,
Voll Luſt, dem Gott, durch Deſſen Guͤte
So manche Pracht auf dieſer Welt,
Durchs Aug’, in unſre Seele faͤllt;
Zumal fuͤr das Geſchenk der Augen,
Wodurch wir, was auf Erden ſchoͤn,
Mit innerlicher Luſt zu ſehn,
Uns gleichſam zuzueignen taugen.
C 4Zum
Zum Fruͤhlinge.
Da uns, mit ſolcher Wunder-Pracht,
Der Lenz jetzt uͤberall anlacht,
Und alles, was das Aug’ erblicket,
Sich lieblich bildet, herrlich ſchmuͤcket;
Da ſich die Welt, wohin man ſieht,
Mit neuer Schoͤnheit uͤberzieht;
Da alles gruͤnet, alles bluͤht:
So laß, o Menſch! doch dein Gemuͤth,
Durch aller deiner Sinne Thuͤren,
Des Schoͤpfers ſchoͤne Werke ruͤhren,
Und dich zu Dem, durch Deſſen Macht
Sie, bloß fuͤr dich, hervorgebracht,
Durch froͤhliches Empfinden, fuͤhren.
Es ſtammet aller Glanz und Schein,
Fuͤr dich, nur bloß aus Gott allein.
Er will, du ſollſt an Seinen Schaͤtzen,
Zu Seinen Ehren, dich ergetzen.
“Die Anmuth deiner frohen Bruſt,
“Ob Seinem Werk, iſt Jhm bewußt,
“Und deine Luſt iſt Seine Luſt.
Kommt, laßt uns Seine Lieb’ und Macht,
Jn Bluͤht- und Bluhmen, dann beſingen;
Laßt uns, entzuͤckt durch ihre Pracht,
Jhm unſre Bluhmen-Luſt zum Opfer bringen.
Jhr
Zum Fruͤhlinge.
Jhr ſchimmernden Bluhmen in zierlichen Betten,
Wo ihr, wie bunte Flammen, gluͤht;
Jn glaͤnzenden Luͤften erhabne Buquetten,
Die ihr auf ſchwanken Zweigen bluͤht,
Wie herrlich iſt euer ergetzliches Glaͤnzen,
Jhr lieblichen Kinder des froͤhlichen Lenzen!
Betracht’ ich, wie ſchoͤn ihr, wie lieblich, wie
praͤchtig;
Gedenk’ ich, inniglich geruͤhrt,
Wie herrlich, wie liebreich, wie weiſe, wie
maͤchtig,
Der Schoͤpfer, der euch, fuͤr uns, formiert!
C 5Fruͤh-
Fruͤhlings-Betrachtungen.
Auf ausgeſpannten Pfirſich-Baͤumen ſieht man es
roͤthlichs Feuer gluͤhn;
Auf hohen Aepfel-Baͤumen, bluͤhn,
Aus rothen Knoſpen, weiſſe Roſen; und auf den Kir-
ſchen-Baͤumen ſcheint
Zugleich ein ſchimmernd Weiß, ein glaͤnzend Gruͤn,
Als waͤren ſie dazu vereint,
Sich, in die Wette, zu beſtreben,
Aus den Behaͤltern ſich zu heben,
Um ein gedoppeltes Vergnuͤgen, dem menſchlichen Ge-
ſicht, zu geben.
Seht, wie die Tulpen, Kaiſerkronen,
Ranunkeln, Primuln, Anemonen,
Aurikeln, Hyacinthen, Crokos, Narciſſen, Jrides, Tercetten
Jonkilchen, guͤldene Violen, auf gruͤn bebuͤſchten Gar-
ten-Betten,
Aus ſchwarzer Erde, triftig dringen!
Seht, wie ſie, auf den ſchwanken Stielen,
Wenn laue Weſten-Winde kuͤhlen,
Sanft wankend, glaͤnzen, ſchimmern, ſpielen!
Es ſcheint ihr hin und wieder ſchweben
Uns groͤßre Luſt, als wenn ſie ſtill, zu geben.
Es laͤßt, als ob ſie ſich bemuͤhn,
Jm Wanken, unſern Blick noch mehr auf ſich zu zieht
Und uns dadurch, von allen Seiten,
Der Form und Farben Lieblichkeiten,
Zuſamt dem Glanz, der ihnen eigen,
Noch deſto deutlicher zu zeigen;
Auch deſto kraͤftiger, da ſie ſich ruͤhren,
Durch ihren Ruch, die Luft zu balſamiren.
Man
Fruͤhlings-Betrachtungen.
Man wird zugleich, mit neuer Luſt, gewahr,
Von Schatten-Bluhmen, eine Schaar,
Die, rings umher, in den dadurch geſchmuͤckten Steigen,
Jn netten Zeichnungen, ſich zeigen,
Als wenn ſie recht getuſchet waͤren:
Wodurch ſie dann, da ſie auch Bluhmen gleich,
Derſelben Meng’, und, durch die Dunkelheit,
Der wahren Bluhmen licht- und helle Herrlichkeit
Annoch erheben, und vermehren.
Bemerkt anbey, daß ihrer Schoͤnheit Pracht
Nur bloß fuͤr uns gemacht;
Da ihrer Wurzeln Bau, als welchen wir nicht ſehn,
An Farben und an Form, nicht ſchoͤn.
Suchet dann doch, eure Pflichten,
Jm Betrachten, zu verrichten!
Wenn wir ſie, mit Luſt, betrachten,
Wird man, Den ja hoch zu achten,
Jhn zu ehren, Jhn zu lieben,
Schon von ſelbſten, angetrieben;
Welcher dazu das Geſicht,
Welcher uns das Sonnen-Licht,
Und die ſchoͤnen Koͤrper, ſchenket.
Jſt denn ſolch ein Gott nicht werth,
Daß man Jhn, bewundernd, ehrt,
Und, mit Freuden, Sein gedenket?
Schoͤn-
Schoͤnheit
der Baͤume im Fruͤhlinge.
Unzaͤhlich iſt die Lieblichkeit
Auf Baͤumen, in der Fruͤhlings-Zeit,
Durch junger Blaͤtter junges Gruͤn,
Die aller Augen auf ſich ziehn.
Da ſich das Laub noch nicht geſchloſſen,
Sieht man auf einmal alle Sproſſen
Des ganzen Baums, von allen Seiten;
Wobey des Himmels blaues Licht,
Da er annoch durchſichtig, bricht.
Das Glaͤnzen vom Sapphir, und von Smaragden
ſcheinet
Hiedurch in jedem Baum vereinet,
Und wirket eine reine Luſt
Jn ein vernuͤnftig Aug’, und eine fromme Bruſt.
Augen-
Augen-Luſt an Knoſpen
im Fruͤhlinge.
Kommt, laßt uns, an den reichen Schaͤtzen,
Die ſich dem Blick, auf allen Zweigen,
Jn aufgequollnen Knoſpen, zeigen,
Die der Gebuhrt jetzt nah, uns jetzt ergetzen!
Erwaͤget, wie ſie jetzt, im lauen Lenzen,
Jn ſolcher Meng’, auf allen Wipfeln, glaͤnzen.
Es ſcheinet jetzo recht, ob ſchwebe
Um Baͤumen, in der niedern Luft,
Von Knoſpen, ein durchſichtiges Gewebe;
Ein braun- mit grau und gruͤn gemiſchter Duft,
Der, ſichtlich faſt, ſich mehret, ſich verdicket,
Und, durch ein ſtets ſich mehrend Gruͤn, ſich ſchmuͤcket.
Willt du, in dieſen ſchoͤnen Werken,
Jn ihrer Ordnung, Schmuck und Pracht,
Nicht Deſſen Weisheit, Lieb’ und Macht,
Der ſie, fuͤr dich, hervorgebracht,
Und Gottes Finger, nicht bemerken;
So nuͤtzeſt, und ſo brauchſt du ſie
Nicht, als ein Menſch; kaum, als das Vieh.
Der Linden Knoſpen, die, vor allen,
Da man, auf ihrer glatten Haut,
Ein kraͤftig Roth, das lieblich glaͤnzet, ſchaut,
Am meiſten uns gefallen,
Eroͤffnen allgemach die rothen Spitzen,
Und laſſen ein lebendig Gruͤn, in noch gefaltnen Blaͤt-
tern, blitzen.
Die
Augen-Luſt an Knoſpen
Die Ypern, die auf ihren Zweigen
Uns Millionen Knoſpen zeigen,
Sehn, durch die Menge, rauch und kraus,
Umnebelt und bewoͤlket, aus;
Sie mehren, in ſo holder Augen-Weide,
Des Fruͤhlings allgemeine Freude.
Der Erlen Knoſpe laͤßt, auf andre Weiſe, ſchoͤn,
Schon einen fetten Glanz, auf braunen Blaͤttern, ſehn
Wenn, aus verſchiednen Baͤumen, Knoſpen, in gruͤ-
nen runden Augen, dringen,
So ſieht man andere, geſpitzt, aus einem harten Holz
entſpringen,
Sich bald, in mancherley Geſtalten,
Entwickeln und entfalten,
Und in der Ruͤnd’, auf allen Seiten
Vom Mittelpuncte, ſich verbreiten,
Allmaͤhlich uͤberall ſich ſtrecken,
Allmaͤhlich Zweig und Stamm verdecken.
ARIA.
Jhr Muͤtter der Blaͤtter, ſo Muͤtter der Schatten
Jhr koͤnnet die Wohnung nicht ferner verſtatten
Den lieblichen Kindern, durch die ihr, gedrengt,
Euch jetzo, zu unſerm Vergnuͤgen, zerſprengt.
Vernuͤnftige Blicke bewundern den Segen,
Der in euch, ſo lange, verborgen gelegen.
Allein
im Fruͤhlinge.
Allein, werft die erſtaunten Blicke
Auf jene Baͤume dort zuruͤcke!
Die Knoſpen liefern uns nicht Blaͤtterchen allein;
Sie ſtoßen, in gefaͤrbtem Schein,
Und wunderſchoͤn formiertem Flor,
Ein ganzes Bluhmen-Heer hervor.
Seht Birn-Baͤum’, Aprikoſen, Kirſchen,
Jn weiſſen Roſen ſchimmernd, bluͤhn!
Seht dorten Mandel-Baͤum’ und Pfirſchen,
Jn rothen Roſen, lieblich gluͤhn,
Und dort, auf Aepfel-Baͤum- und Buͤſchen,
Sich beyder Farben zaͤrtlich miſchen;
Ja, wie dort, auf den ſchwanken Feigen,
Die Fruͤchte ſelbſt ſchon, ſtatt der Knoſpen, ſteigen.
Erwaͤget doch, in dieſer Fruͤhlings-Zeit,
Derſelben Drang, der Farben Lieblichkeit,
Der Form- und Arten Unterſcheid!
Will man denn, zu des Schoͤpfers Ehren,
Der Knoſpen liebliches Gebaͤhren,
Mit Andacht, und mit Luſt, nicht ſehn,
Jhn, durch Bewundrung, nicht erhoͤhn;
Und, da derſelben ſchoͤne Fruͤchte,
So wie die Bluͤhte, dem Geſichte
Ergetzlich, ſich nicht dran ergetzen,
Nicht darinn Gottes Macht und weiſe Liebe
ſchaͤtzen?
Mancher-
Mancherley
Vergnuͤgen im Fruͤhlinge.
Bemerke doch, mein Geiſt, die Herrlichkeit,
Womit die holde Fruͤhlings-Zeit
Die Welt, mit ſo viel Wundern, zieret,
Die man jetzt uͤberall verſpuͤhret.
Hier ſingt, dort ſtimmt, ein Voͤglein wieder
Die lange nicht geſungnen Lieder.
Doch horchet, welch ein heller Schall!
Fuͤrwahr, es iſt bereits die Nachtigall.
Gott Lob, daß Er uns wollen goͤnnen,
Daß wir ſie wieder hoͤren koͤnnen.
Ewger Urſtand aller Dinge,
Aller Luſt und Herrlichkeit!
Gieb, daß in den ſchoͤnen Werken,
Sonderlich zur Fruͤhlings-Zeit,
Jch Dich froͤhlich mag bemerken,
Und Dir oft ein Lob-Lied ſinge!
Laß mich, Herr, zu Deinen Ehren,
Oft der Voͤgel Lob-Lied hoͤren!
Die, in ungezaͤhlten Choͤren,
Deine Macht und Weisheit lehren,
Und Dein Lieben uns erklaͤren.
Mancher-
Mancherley Vergnuͤgen im Fruͤhlinge.
Man ſieht, aus kaum zu ſehnden Ritzen,
Des Graſes kleine ſtarre Spitzen,
Um Feld und Wieſen zu bedecken,
Jn unbegreiflicher Geſchwindigkeit, ſich ſtrecken.
Man ſieht zu anfangs, hier und dar,
Faſt ſichtlich, an verſchiednen Stellen,
Aus duͤrrer Erden, eine Schaar
Von kleinen gruͤnen Huͤgeln, quellen;
Die aber, eh wir es vermeynen,
Sich gleichſam naͤhern, ſich vereinen.
Der trockne Zwiſchenſtand verkleinert ſich
Gemach, und gleichſam ſichtbarlich;
Ein angenehmer gruͤner Schein
Wird, unvermuthet, allgemein.
Fuͤr wen bebluͤhmen ſich die Felder?
Fuͤr wen belauben ſich die Waͤlder?
Fuͤr wen? Fuͤr dich, o Menſch! allein.
Willt du denn nicht den holden Willen
Des Schoͤpfers der Natur erfuͤllen,
Dich Seiner Gaben nicht erfreun?
Jn deiner Luſt nicht dankbar ſeyn?
Die Erde, die damit noch nicht vergnuͤget ſchien,
Jn einen gruͤnen Sammt ſich einzuhuͤllen,
Mit Klee und Gras und Kraut, fuͤr uns, ſich zu beziehn,
Faͤngt an ſo gar, ſich zu bemuͤhn,
Durch ein nicht minder ſchoͤnes Gruͤn,
Den ganzen Luft-Kreis zu erfuͤllen,
Sich hoͤher, als ſie ſelbſt, noch zu erſtrecken,
Und Baͤum’ und Buͤſch mit Blaͤttern zu bedecken.
8 Theil. DNoch
Mancherley Vergnuͤgen im Fruͤhlinge.
Noch mehr! Sie will auch dort, mit ihren ſchoͤnſten
Schaͤtzen,
Mit Bluhmen, uns ergetzen.
Sie laͤßt, zu dieſem Zweck, der Baͤume Wipfel bluͤhn
Man ſieht ſie, aͤmſig ſich beſtreben,
Jhr Prangen uͤber ſich noch zu erheben,
Und, um die Luft nicht minder auszuzieren,
Auch Gaͤrten zu formieren,
Die in der That in Luͤften ſchweben.
Seh ich der Erde Fruͤhlings-Zier,
Komm ich, vor Luſt, faſt auſſer mir;
Zumal, da dieſe Luſt mich leitet
Zu Dem, Der ſolche Wunder-Pracht,
Durch Seine Goͤttlich weiſe Macht,
Aus Liebe, bloß fuͤr uns, bereitet.
Der
Der bluͤhende Dornſtrauch.
Es iſt, zur holden Fruͤhlings-Zeit,
Die Welt ſo voller Lieblichkeit,
Daß man, nicht ohn’ Ergetzen, ſiehet,
Wie auch ſo gar der Dornſtrauch bluͤhet,
Und zwar ſo angenehm, ſo ſchoͤn,
Daß wir das ſchimmernde Gepraͤnge,
Der Bluhmen, Farben, Form und Menge,
Nicht ſonder Luſt und Anmuth, ſehn.
Wie? dacht ich, ſoll der Fluch der Erden,
Mit welchem ſie beleget war
Zu unſrer Strafe, denn ſo gar
Ein Vorwurf unſrer Anmuth werden?
Da ja ſo Dorn als Diſteln bluͤhn,
Und ſich, zu unſrer Augen-Weide,
Mit einem Schimmer-reichen Kleide,
Und bunten Farben, uͤberziehn.
Doch ſey die Antwort ausgeſetzt;
Weil das, was ich, hier in der Naͤhe,
Am Dornſtrauch Schoͤn- und Lieblichs ſehe,
Mir Aug’ und Herz ſo ſehr ergetzt,
Daß ich es, mit geruͤhrter Seele,
Zum Vorwurf meiner Lieder waͤhle.
Wer, mit betrachtendem Gemuͤth,
Den Bau des Dornſtrauchs uͤberſieht
Den Zweig, den Dorn, das Laub, die Bluͤht;
Auch, wie ſo ordentlich ſie ſtehn,
Wie ſehr ſie gleich verworren ſcheinen:
Der findet alle Theile ſchoͤn,
Und zierlicher, als wie wir meynen.
D 2Die
Der bluͤhende Dornſtrauch.
Die Zweige, die, in jungen Sproſſen,
Vor kurzem erſt, hervor geſchoſſen,
Sind oben roth, und unten gruͤn.
Aus dieſen ſieht man ſich bemuͤhn,
Ein zierlich eingeſchnittnes Blatt,
Das dunkelgruͤn und glaͤnzend glatt,
An einem Ort hervorzubrechen:
Zugleich auch, einen Dorn ſich ſtechen,
Der dunkelroth, und noch nicht hart;
Der aber, bald darauf, erſtarrt.
Allein, was recht verwunderlich!
Ein kleines Blaͤttchen theilet ſich,
Und ſcheinet, recht in ſeiner Mitten,
Als waͤr’ es kuͤnſtlich aufgeſchnitten.
Es ſcheint, wenn man es recht beſieht,
Vom Dorn und groſſem Blatt zerſpalten,
Daß jede Haͤlfte ſich bemuͤht,
Von beyden Seiten ſie zu halten.
Es iſt dieß kleine Blaͤttchen werth,
Daß ſich Betracht- und Achtung mehrt.
Kein Menſchen-Witz vermag zu faſſen,
Warum es ſich muß theilen laſſen.
Jch brach zween Haͤlften ab, und fuͤgte
Sie beyde, vor mir, aufs Papier:
Da ich, an ihrer Formen Zier,
Mich recht in meinem Geiſt vergnuͤgte;
Zumal erſtaunt’ ich, als ich fund,
An jeder Haͤlft’, ein halbes Rund,
Das, wie ich ſie zuſammenbrachte,
Vollkommen einen Zirkel machte.
Ein
Der bluͤhende Dornſtrauch.
Ein jedes Spitzchen, das es ziert,
Jſt ſo ſubtil, ſo zart formiert,
Daß ſie kein Kuͤnſtler, mit der Scheere,
So nett zu bilden, faͤhig waͤre.
Nun laſſet uns das große Blatt
Am Dornſtrauch ebenfals beſehn.
Es iſt ſo lieblich gruͤn, ſo glatt,
So glaͤnzend, zierlich, und ſo ſchoͤn;
Es ſcheint an Glanz, an Farb’ und Zier,
Dem lieblich glaͤnzenden Laurier,
An Schoͤnheit, faſt noch vorzugehn.
Zuletzt betrachtet’ ich die Bluͤht,
Die jetzt den ganzen Buſch bedecket;
Die auch ein ſonſten traͤg Gemuͤth,
Als wie ein Licht, vom Schlaf erwecket,
Und, mit Gewalt faſt, auf ſich zieht.
Das Weiſſe ſcheinet, auf dem Dunklen,
Noch deſto kraͤftiger zu funklen.
Ein Silber glaͤnzet kaum ſo rein,
Als dieſer Bluͤhten weiſſer Schein.
Man ſah von ihnen eine Schaar,
Die noch nicht ganz geoͤffnet war,
An Ruͤnd’ und Glanz, den Perlen gleichen;
Jndem die offnen, dort und hier,
An weiſſem Schimmer, Form und Zier,
Kaum netten weiſſen Roſen weichen.
Fuͤnf Blaͤtter ſind daran zu ſehn,
Die in ſo netter Ordnung ſtehn,
Daß, da ſie untenwaͤrts ſich ſpitzen,
Man durch derſelben offne Ritzen
Ein fuͤnfeckt Sternchen glaubt zu ſehn.
D 3Da
Der bluͤhende Dornſtrauch.
Da ſich, in ihrer Mitte, nun
Meiſt funfzehn Faͤſerchen erhoͤhn,
Auf welchen kleine Kugeln ruhn,
Die purpurfarbig ſind, und ſich,
Das Auge mehr noch zu erfriſchen,
Mit ihrem weiſſen Grunde miſchen;
So freu ich recht und labe mich,
An dieſer Miſchung, inniglich.
Sehn wir nun, wie, durch Gottes Willen,
Die Felder, uns zur Luſt, ſich fuͤllen,
Und Dornbuͤſch’ allenthalben bluͤhn;
Laßt ſie den Blick doch auf ſich ziehn!
Laßt uns ſie mit Vergnuͤgen ſehn,
Und, bey ſo ſuͤſſer Augen-Welde,
Durch die darob gefuͤhlte Freude,
Den Schoͤpfer, im Geſchoͤpf, erhoͤhn!
Bluh-
Bluhmen,
Betrachtung-wuͤrdige Geſchoͤpfe.
Schoͤne Bluhmen! holde Zeugen
Von der Weisheit, Lieb’ und Macht
Deſſen, Welcher euch erdacht,
Und, ſo ſchoͤn, hervorgebracht;
Der, mit ſo viel Glanz und Pracht,
Aus der Erde ſchwarzen Nacht,
Euch befahl, hervorzuſteigen:
Welcher Farben und Figuren,
Auch den Ruch, in euch geſenket;
Der uns Menſchen das Geſicht,
Und das ſchoͤne Sonnen-Licht,
Auch des Riechens Kraft, geſchenket.
Nichts vermag von GOTT die Spuhren,
Und die Wunder, die Jhm eigen,
Ueberzeuglicher zu zeigen,
Als ihr ſchoͤnen Creaturen.
D 4Fruͤh-
Fruͤhlings-Gedanken.
Hier ſitz’ ich in zufriedner Stille,
Von Streit und Zank und Laͤrm befreyt
Jn ungeſtoͤhrter Einſamkeit.
Rings um mich her iſt eine Fuͤlle
Von Schaͤtzen holder Fruͤhlings-Zeit:
Von Roſen, Liljen und Jesminen,
Die all’, in tauſendfaͤrbgem Gruͤnen,
Als wie ein buntes Feuer, gluͤhn.
Sollt’ ich dann dieſes nicht erwaͤgen,
Nicht meinen Geiſt zuſammenziehn?
Sollt’ ich nicht froͤhlich uͤberlegen,
Wozu ſo ſchoͤne Bluhmen bluͤhn?
Sollt’ ich mich nicht, mit Ernſt, bemuͤhn,
Durch ein darauf verwandtes Denken,
Der Fruͤhlings-Kinder bunte Pracht
Mir zuzueignen? Sollt’ ich nicht
Zu Dem, Der ſie hervorgebracht,
Und mir nicht minder mein Geſicht
Dazu geſchenkt, mich dankbar lenken?
Erfodert es nicht meine Pflicht,
Mich an den wunderſchoͤnen Gaben,
Zum Ruhm Deß, Der ſie gab, zu laben;
Sie zu beteachten, zu beſehn;
Sie zu bewundern, und in ihnen,
Da ſie, nur bloß fuͤr uns, ſo ſchoͤn,
Und, uns allein zur Luſt, erſchienen;
Auch Gott, in meiner Luſt, zu dienen,
Jn meiner Freud’ Jhn zu erhoͤhn?
Es
Fruͤhlings-Gedanken.
Es hat ja Gott Sein liebreich Wollen,
Daß wir uns hier vergnuͤgen ſollen,
Durch die Vernunft, uns offenbahrt:
Wie daß, bey ſolcher Augen-Weide,
Man, unbegreiflich, Seine Freude
Stets auf ein kuͤnftigs Jahr verſpahrt!
D 5Bewun-
Bewundernswerthe Nahrung
der Pflanzen.
Nicht weit von zwo erhabnen Linden, die, Wolke
waͤrts, die Aeſte ſtreckten
Und welchen, erſt entſproßne Blaͤtter, die oft getheilten
Zweige deckten,
Beſah ich juͤngſt derſelben Pracht, bewunderte des Wuch-
ſes Hoͤh,
Betrachtete der breiten Wipfel gebogner Zweig’ und
Blaͤtter Menge,
Zumal der von der Wurzel ab ſo weit gedehnten Fiebern
Laͤnge,
Und faßte nicht, wie ihre Nahrung durch ſo entfernt
Wege geh.
Wie, dacht ich, koͤnnen ihre Hoͤhen, ſo weit entfernet
von der Erden,
Da ſie kein Menſch begieſſen kann, getraͤnket und genaͤh-
ret werden?
Die hohen Wipfel brauchen Naͤſſe; wer traͤnket, wer
begieſſet ſie?
Wuͤrd’ auch der allerkluͤgſte Menſch, mit aller Kunſt,
mit aller Muͤh,
So große Koͤrper anzufeuchten, ſie zu beſpruͤtzen, ſie
zu traͤnken,
Ein Mittel zu erſinnen wiſſen, ja nur die Weiſe zu er-
denken?
So aber hat ein andrer Geiſt, ein weit erhabnerer
Verſtand,
Ein herrlich Mittel ausgefunden: das, weil es uns
zu ſehr bekannt,
Zwar
Bewundernswerthe Nahrung der Pflanzen.
Zwar nicht von uns bewundert wird; das aber an ſich
ſelber wehrt,
Daß mans bemerket, und darinn die Weisheit des Er-
finders ehrt,
Samt Seiner Lieb’ und Seiner Macht. Es ziehen,
aus der tiefen See,
Durch der beflammten Sonne Kraft, ſich Feuchtigkeiten
in die Hoͤh,
Verſammlen ſich, formieren Wolken, und werden, als
im Schlauch gefaßt,
Von Winden hin und her getrieben, bis ſie zuletzt, durch
eigne Laſt,
Sich wieder abwaͤrts ſenken muͤſſen: da, wenn ſie nun
herunter eilen,
Die ihnen widerſtehnde Luͤfte ſie ſanfte von einander
theilen,
Daß ſie nur troͤpflend fallen koͤnnen; wodurch, recht
wie ein Gaͤrtner gießt,
Der Trank der Blaͤtter und der Pflanzen, nur maͤhlig,
auf dieſelben fließt,
Sie netzet, kuͤhlt, erfriſcht und traͤnkt: da ſie ſich, durch
die hohlen Roͤhren,
Nachher annoch, von unten auf, durch ein beſonders
Triebwerk, naͤhren;
So noch ein neues Wunderwerk. Ein Thier bemerket
dieſes nicht,
Und ſieht in dem, was, in dem Regen, Bewunderns-
wuͤrdiges geſchicht,
Kein’ Abſicht, keine Weisheit, Ordnung, noch Frucht-
barkeit, noch Nutz, noch Segen.
Allein, die kluge Creatur, der Menſch, wird dieß oft
uͤberlegen,
Jn
Bewundernswerthe Nahrung der Pflanzen.
Jn dieſem unentbehrlichen und Segen-reichen Welt
Getraͤnke,
Ein ihm, nebſt allen Pflanzen, Thieren, ſo noͤth- als
nuͤtzliches Geſchenke
Befinden, ſich daruͤber freuen, dem Geber oͤfters dank-
bar ſeyn,
Zu Jhm in Gegenlieb’ entbrennen, und Jhn verehren
Leider! nein.
Die meiſten danken nie dafuͤr, ja denken nicht einmal
daran;
So daß man: Ja ſo viel, als wir, dankt auch einem
Thier. wohl ſagen kann.
Labſal
Labſal der Sinne im Fruͤhlinge.
Jn, ganz von balſamirten Duͤften
Erfuͤllt- und faſt beſchwehrten, Luͤften
Erſchallt zugleich ein tzwitſchernd Klingen
Verliebter Voͤgelchen; ihr hell und ſchmeichlend Singen
Ruͤhrt, wie der Kraͤuter Duft die Naſe ruͤhrt, das Ohr.
Den Augen ſtellt das Heer der Bluhmen
Nicht nur die Felder aus Jdumen;
Ein neues Eden, gleichſam vor.
Des Zephirs Hauch, bald lau, bald kuͤhl,
Erquickt die Seele, durchs Gefuͤhl.
Jn Fruͤchten kann ſie, durch das Schmecken,
Noch eine neue Luſt entdecken.
Kurz: Durch das, was man riecht, fuͤhlt, hoͤret,
und erblicket,
Auch ſchmecket, wird die Seel’, auf ſo viel Art, entzuͤcket,
Wenn ſie ihr Denken nur mit ihren Sinnen bindet;
Zumal, wenn ſie darinn der Weſen Urſtand findet.
Fruͤh-
Fruͤhlings-Gedanken bey einem
lauen Regen.
Der Himmel weinet Freuden-Thraͤnen,
Und traͤnkt das Land. Die Erde lacht,
Und ſucht, zu ihrer Fruͤhlings-Pracht,
Viel tauſend Wege ſich zu baͤhnen.
Bemerkt das liebliche Geraͤuſch
Von dem ſo lang’ erſeufzten Regen!
Erwaͤgt, in ihm, den Nahrungs-Segen:
Es troͤpfelt Milch, es regnet Fleiſch.
Es ſaͤuſeln jetzt gelinde Winde,
Der rauhe Nord-Wind ſchnaubt nicht mehr;
Es oͤffnet hunderttauſend Muͤnde
Des Graſes und der Kraͤuter Heer.
Es koͤmmt dem aufmerkſamen Ohr,
Beym Fruͤhlings-Regen, gleichſam vor,
Als koͤnnt’ es, von den zarten Roͤhren,
Das Schmatzen ihres Saugens hoͤren.
Das Land wird ſchwarz, die Kloͤße kleben;
Wodurch, von Gras und Saat, das Gruͤn,
Durch dunklen Grund, ſich mehr zu heben,
Sich mehr noch zu verſchoͤnern, ſchien:
Ja, daß, bey jedem Augenblicke,
Das Feld ſich immer ſchoͤner ſchmuͤcke.
Es ſcheint, daß, durch die Feuchtigkeiten,
Das Gras geſtaͤrkt, ſich recht bemuͤht,
Sich zu erhoͤhn, ſich auszubreiten;
Ja, daß man es faſt wachſen ſieht.
Dem
Fruͤhlings-Gedanken bey einem lauen Regen.
Dem geſtern noch kaum Gruͤnen ſchien
Ein ganz beſonders lebend Gruͤn,
Das Aug’ und Herz und Geiſt erfriſcht,
Jn einer Nacht noch, zugemiſcht.
Es ſchien, bedeckt mit Glanz und Schein,
Faſt aus den Wolken ausgegoſſen,
Jm Regen mit herab gefloſſen,
Und faſt kein irdiſch Gruͤn, zu ſeyn.
Dem Gruͤnen, an dem bunten Kranz
Des Himmels, wich es kaum an Glanz.
Es ſcheint, wenn es das Licht durchſtrahlet,
Und das durchlauchtge Laub durchbricht,
Jlluminiert mehr, als gemahlet,
Und gleichſam ſelbſt ein gruͤnes Licht.
Ach, moͤchte doch des Fruͤhlings Zier,
Sein bunter Glanz, ſein heller Schein,
Geliebter Leſer, dir und mir,
Zur Luſt, zum Dank, ein Leitſtern ſeyn!
Gedan-
Gedanken uͤber Tulpen.
Faſt erſtaunet, ſeh’ ich hier,
Wie der bunten Tulpen Zier
Minder pranget, glaͤnzt und bluͤhet,
Als in bunten Flammen gluͤhet.
Ganz an Feuer-Farben reich,
Sehn ſie nicht nur Flammen gleich;
Sondern, was ſo ſchoͤn gemahlet,
Wird vom Sonnen-Feur durchſtrahlet,
Und dadurch darinn erblickt,
Wie ein wirklich Feur ſie ſchmuͤckt.
Dieſer Feuer-gleiche Schimmer
Mehrt, in ihnen, ſich noch immer,
Wenn, vom Winde ſanft bewegt,
Er bald hier, bald dort, ſich regt,
Und die Bluhmen bald ſich heben,
Bald ſich drehen, bald ſich neigen,
Und, im Sinken und im Steigen,
Ein beweglichs feurigs Schweben,
Als von einer Lohe, zeigen,
Welche nimmer ſtill, ſtets eilt,
Und die Luft durchdringt und theilt.
Dieſer ſchoͤnen Flammen Wuͤhlen,
Jhr ſo bunt- als reger Schein,
Dringt ſich in mein Herz hinein;
Meine Seele kann ſie fuͤhlen.
Durch
Gedanken uͤber Tulpen.
Durch der ſchoͤnen Farben Pracht,
Welche, Flammen gleich, nicht ruht,
Wird in ihr ein’ Andacht-Gluht,
Gott zu Ehren, angefacht.
Es wird recht ein neues Licht
Jn ihr Jnnerſtes geſenket;
Und ſie dankt, daß das Geſicht
Jhr vom Schoͤpfer ſey geſchenket,
Auch der Sonne heller Schein,
Nebſt ſo vieler Bluhmen Schaͤtzen.
Sollt’ ich dann, fuͤr ſolch Ergetzen,
Dir, mein Gott! nicht daukbar ſeyn?
8 Theil. EDer
Der fruͤh bluͤhende Roſenſtock.
Jm fuͤnf und vierzigſten nach ſiebzehn hundert Jahre
ward mir, ſchon mitten im April,
Ein wunderſchoͤner Roſenſtock, der voͤllig aufgebluͤht,
geſchenket.
Jch ſtund, bey der beſondern Schoͤnheit, vor Luſt geruͤhrt
erſtaunet ſtill,
Und ward, in der empfundnen Luſt, zum Ruhm des
Schoͤpfers hingelenket,
Der ein ſo ſchoͤn geformt Geſchoͤpf, der Blaͤtter, Knoſp-
und Bluhmen Pracht,
Aus hartem Holze ſteigen laͤßt: der Menſchen Seelen
ſinnlich macht,
Den Koͤrpern Naſ’ und Augen ſchenkt; damit wir, an
der Erde Schaͤtzen,
So, ſonder Sinn, nicht moͤglich waͤr, uns zu vergnuͤgen,
zu ergetzen,
Jhn zu bewundern, faͤhig waͤren. Darauf verband ich
Geiſt und Sinnen,
Roch achtſam, ſahe mit Bedacht den Schmuck, von
auſſen und von innen,
Der, Blaͤtter, Knoſp- und Bluhmen deckt. Da dann,
vor andern, aus dem Gruͤnen,
Der kleinen Knoſpen glaͤnzend Roth, wie kleine fun-
kelnde Rubinen,
Mir tief in meine Seele ſtrahlten. Jch ſahe ſie bedacht-
ſam an,
Und fand, daß ihre Lieblichkeit darinn hauptſaͤchlich mit
beſtand,
Daß ein gedaͤmpfter weiſſer Rand,
Da,
Der fruͤh bluͤhende Roſenſtock.
Da, wo das Gruͤn am Rothen graͤnzet,
Jn einem ſanften Schimmer glaͤnzet;
Wodurch ein ſanft Gemiſch entſteht,
Das, von dem ſanften Roth- und Gruͤnen, die Lieblich-
keit noch mehr erhoͤht.
Bey dieſer froͤhlichen Betrachtung ward ich, von unge-
fehr, gewahr,
Wie, auf des Topfes dunklem Boden, ein’ abgefallne
Blaͤtter-Schaar
Die Erde hin und wieder deckte. Dieß gab von der
Vergaͤnglichkeit
Der Bluhmen, mir zwar einen Eindruck; inzwiſchen ward,
durch ihren Fall,
Und fluͤchtige Beſchaffenheit,
Jn mir dennoch kein Gram erregt. Daß Creaturen
uͤberall
Vergaͤnglich und veraͤnderlich, dacht ich, muß nicht
getadelt werden:
Es iſt des Schoͤpfers Ordnung ja. Vielmehr laßt uns
auf dieſer Erden,
Durch die Vergaͤnglichkeit belehrt, uns unſrer Zeit
gebrauchen lernen,
Die uns der Schoͤpfer ſchenkt und goͤnnt. Weil wir
aus der Erfahrung wiſſen,
Daß, ſo wie alles ſich veraͤndert, wir ſelbſt uns auch
veraͤndern muͤſſen;
So laßt uns doch, ſo viel wir koͤnnen, uns oft am Jr-
diſchen vergnuͤgen,
Laßt uns, bey jeglichem Genuß, Erkenntlichkeit und
Danken fuͤgen!
E 2Je
Der fruͤh bluͤhende Roſenſtock.
Je oͤfter wir, in unſerm Leben, an uns von GOTT
geſchenkten Schaͤtzen,
Jn ihnen Seine Weisheit, Lieb’ und Macht bewundernd,
uns ergetzen;
Je mehr vollfuͤhren wir die Pflichten, zu welchen wir
erſchaffen ſeyn:
Es iſt der beſte Gottes-Dienſt, uns Sein, in Sei-
nen Werken, freun.
Noch
Noch einige Fruͤhlings-Gedanken.
Hoͤr, in dieſen holden Buͤſchen,
Linde Winde ſaͤuſelnd ziſchen!
Schau, wie ſanft das Laub ſich regt!
Schau, wie, durch ihr kuͤhles Scherzen,
Auch der Schatten ſich bewegt,
Und wie tauſend lichte Stellen
Bald, durch ihren Tuſch, ſich ſchwaͤrzen,
Bald ſich, wie vorhin, erhellen!
Fuͤhl! es ſpielen Zephirs Schwingen
Mit den balſamirten Luͤften,
Die aus tauſend Bluhmen dringen;
Denen er, wenn er ſie ruͤhrt,
Mancherley Geruch entfuͤhrt,
Und, aus tauſend ſuͤßen Duͤften,
Einen einzigen formiert.
Eine frohe Seele ſpuͤhrt,
Wenn ſie riechet, wie ſie ſoll,
Dieſen holden Bluhmen-Zoll.
Ein ambrirter ſuͤßer Schwall
Fuͤllt den Luft-Kreis uͤberall.
Wer behindert uns, zu denken,
Wenn die Fruͤhlings-Luſt uns ruͤhrt,
Daß Dem, Der ſie wollen ſchenken,
Ehre, Preis und Dank gebuͤhrt?
E 3Die
Die Paͤonien.
Seht, wie der laue Junius ſo manche Bluhmen-Art
gebiehret!
Seht, wie der Garten, unter andern, auch mit Paͤonien
ſich zieret,
Die, durch die Groͤße nicht allein,
Auch durch der Farben Gluht, betraͤchtlich ſeyn.
Man ſiehet ſie, mit Luſt, auf einem dunkeln,
Nicht gar zu hohen, Buſche, funkeln,
Und, eben durch dieß dunkle Gruͤn
Noch mehr erhoͤht, die Augen auf ſich ziehn.
Es iſt, ſo viel ich weiß, im Bluhmen-Reich,
An Groͤß’, ihr keine Bluhme gleich.
Es ſcheint, ob wolle die Natur
Uns, durch der Farben Glanz und Pracht, nicht nur
Das Aug’ erfreuen und ergetzen;
Durch die anſehnliche Figur
Zugleich uns in Bewundrung ſetzen.
Allein,
Weil dieſe Bluhme nur gemein,
Und auch der Bauren Garten ſchmuͤcket;
So wird, trotz ihrer Groͤß’ und ihrer Farben Schein,
Sie doch von wenigen nur angeblicket.
Es ſcheint, als ob die Achtlosheit,
So ihr von Menſchen wiederfaͤhret,
Jhr ſo empfindlich ſey, daß ſie nur kurze Zeit,
Darum, bey uns zu bluͤhn begehret.
Daher,
Die Paͤonien.
Daher, wenn ſie kaum aufgebluͤht,
Zur Probe, daß ſie uns nicht lang’ ergetzen werde,
Man, unter ihrem Buſch, oft auf der Erde
Schon abgefallne Blaͤtter ſieht;
Als wollte ſie dadurch, in uͤberfuͤhrnden Lehren,
Uns ihre kurze Daur erklaͤren.
Es ſcheint, als ob ſie uns noch mehr, als ſich,
beklagte,
Und daß ſie dieß, in ihrer Sprache, ſagte:
Schau, lieber Menſch, noch einmal nach mir her!
Denn morgen ſiehſt du mich nicht mehr.
Vermuthlich welkt ſchon morgen unſer Prangen;
Vielleicht biſt du, nebſt uns, ſelbſt morgen ſchon,
vergangen.
E 4Schoͤn-
Schoͤnheit junger Linden
im Fruͤhlinge.
Wenn in der Linden jungen Zweigen,
Die, weich, und noch nicht ſteif und feſt,
Sich, nebſt den Blaͤttern, abwaͤrts beugen,
Zuweilen der verliebte Weſt,
Um ſie zu kuͤſſen, liſpelnd blaͤſt,
Erreget er ein lieblich Spiel,
Und ein vergnuͤgendes Gewuͤhl.
Man hoͤrt nicht nur ein ſanft Geziſch;
Man ſieht, von Lichtern und von Schatten,
Die ſich bald trennen und bald gatten,
Ein immer wandelbar Gemiſch.
Bald durch- bald angeſtrahlte Blaͤtter,
Sind weislich bald, bald gelblich gruͤn:
Wodurch, in aufgeklaͤrtem Wetter,
Ein helles Gruͤne bald, und bald,
Jn ſtets ſich aͤndernder Geſtalt,
Ein dunkelgruͤnes Feur, erſchien;
Durch welches ſich ein blauer Strahl,
Vom blauen Himmel, oftermal,
Da, wo das Laub ſich oͤffnet, wies,
Und, bey ſo ſchoͤnen irdſchen Lichtern,
Den es beachtenden Geſichtern
Ein himmliſch Feur oft ſehen ließ.
Es ſchien, daß ſie der Weſt-Wind darum regte,
Und, in der Abſicht bloß, bewegte,
Damit wir deutlich moͤchten ſehn,
Daß ſie an beyden Seiten ſchoͤn.
Wenn
Schoͤnheit junger Linden im Fruͤhlinge.
Wenn uns nun aus den jungen Baͤumen,
So viel Ergetzlichkeiten keimen;
So laßt ſie, durch das Aug’, auch unſre Seelen
ruͤhren,
Und uns, in unſrer Luſt, zu ihrem Schoͤpfer
fuͤhren.
E 5Troſt
Troſt aus Bluhmen.
Voll Schwehrmuth, Gram, und recht betruͤbt,
Wozu, von einigen der Meinen,
Mir eine Nachricht Anlaß giebt,
Die mich zum innerlichen Weinen,
Ja faſt zum aͤuſſerlichen, zwingt,
Die von dem, was ich auf der Welt,
Von ihnen, nie mir vorgeſtellt,
Mir traurige Verſichrung bringt,
Geh’ ich allein, von ungefehr,
Mit Schritten, die von Kummer ſchwehr,
Jn meinem Garten auf und nieder.
An ſtatt daß ſonſt ein Lob-Geſang,
Jn dieſen Steigen, oft erklang,
Sang ich jetzt bittre Klage-Lieder:
Bis ich, zuletzt, auf einem Platz,
Woſelbſt ein bunter Bluhmen-Schatz,
Vom Sonnen-Licht beſtrahlet, ſtunde,
Mich, ohn’ auf ſie zu denken, funde.
Allein,
Als wie ein ſchnelles Licht
Durch Dunkelheit und Nebel bricht;
So brach und drang ihr bunter Schein
Auch durch der Sinne ſchwarzen Kummer.
Jch ſtutzt’. Und als ich ihre Pracht
Erwog, und etwas nachgedacht,
Erwacht’ ich, als aus einem Schlummer.
Es ward, auf dieſer bunten Stelle,
Jn meiner Seele gleichſam helle;
Es
Troſt aus Bluhmen.
Es ließ, als duͤrften faſt die Traurigkeit, und Plagen,
Jn dieſen Sitz der Anmuth ſich nicht wagen.
Die Bluhmen ſchienen nicht mit Glanz und Farb’
allein,
Mit lieblichem Geruch, erfuͤllet und umgeben;
Es ſchien ein holder Anmuth-Schein
Um ihre bunte Pracht zu ſchweben,
Und ein Vergnuͤgungs-Duft, aus ihr, ſich zu erheben,
Mit dem Geruch zugleich.
Ja, ihr von Gott geſchmuͤcktes Heer
Erklaͤrte mir, aufs neue, Chriſti Lehr,
Die, an beſonderm Troſt, ſo reich,
Daß, wenn wir Gott gefaͤllig handeln,
Allhier nach unſern Pflichten wandeln,
Und Gott gefaͤllig leben wollen,
Wir Dem allein vertrauen ſollen:
Der, ſo wie Er die ganze Welt
Erſchuff, regieret, und erhaͤlt;
So auch der ſchoͤnen Bluhmen Pracht,
Ohn’ ihre Sorg’, hervorgebracht.
Jch fuͤhlte dann, in meiner Bruſt, von innen,
Den Kummer allgemach zerrinnen:
Der ſanften Anmuth holder Schein
Nahm, ſtatt der Schwermuth Nacht, mir alle Sinnen ein.
Jndem ich alſo ſtehen bleibe,
Um recht zu ſehn, die Augen reibe,
Woraus der ſchwarze Gram verfleucht;
Wird eine Schachtel, die recht ſchwehr,
Verſiegelt, mir, von Hamburg her,
Von meinem Gaͤrtner, eingereicht.
Dieß
Troſt aus Bluhmen.
Dieß war aus Baaden Durlachs Garten,
Jn welchem ſie zuerſt entſprungen,
Ein Ausfluß, zu mir hergelenkt,
Von faſt zwohundert Tulpen-Arten,
Der, dafuͤr daß ich ſie beſungen,
Mir war, aus Dankbarkeit, geſchenkt,
Und der nunmehr in Hamburg bluͤht.
Kein Feuer, das man, wie es gluͤht,
Und, unverhofft, im Dunkeln ſieht,
Zieht die ſonſt ausgedehnten Blicke,
So ſchnell, auf ſich allein, zuruͤcke,
Als hier ſich eine bunte Flamme, die ſchnell aus dem
Behaͤlter drang,
Und gleichſam mir ins Auge ſprang,
Wie ich die Schachtel oͤffnen ließ,
Dem drob erſtaunten Geiſte wies.
Es ſchien, ob loderten zuſammen
Glanz, Edelſtein’, und helle Flammen,
Jn einer bunt gefaͤrbten Loh:
Der holde Schimmer ſtrahlte ſo;
Es drang der ſuͤß gemiſchte Schein
Jn meine Bruſt, ſo kraͤftig, ein,
Daß ich, da ihre Gluht ſo bunt,
Vor Luſt, mich kaum beſinnen kunnt.
Es kam mir faſt nicht anders vor, als ob Ergetzen
und Vergnuͤgen,
Jn einem unſichtbaren Duft, zugleich aus dieſer Loh
ſtiegen,
Und alle Sorgen, die mich nagten,
Durch ihren Wunder-Glanz, faſt mit Gewalt, verjagte.
Jch
Troſt aus Bluhmen.
Jch ließ, um an den Herrlichkeiten
Mich deſto mehr noch zu vergnuͤgen,
Sie alle von einander breiten,
Und, um ſie beſſer zu erwaͤgen,
Jn Schuͤſſeln voller Waſſer, legen.
Mein Gott, welch eine Farben-Menge!
Wie uͤber wunder-wunderſchoͤn
War das faſt blendende Gepraͤnge,
Von Form und Schimmer, anzuſehn!
Jch ließ mir das Regiſter reichen;
Weil alle Nummern noch daran,
Worinn man die verſchiednen Zeichen,
Und ihre Namen finden kann.
Da fand ich denn, wie dieſer Namen,
Die ſie wohl, theils von ungefehr,
Und theils aus Abſicht, uͤberkamen,
Gar eine große Menge waͤr;
Wovon ich, einige zu nennen,
Damit ich noch, auf manchen Tag,
Mich ihrer Pracht erinnern mag,
Mich hier nicht hab’ entbrechen koͤnnen.
An Tulpen, fand ich folgende: Den Pfalz-Graf,
Samſon, Flamboyant,
Den Admiral, den bonten Held, de goude Scepter,
Diamant,
Minerva, Juno, Roſen-Kron, Thalia, Conſtans, Argentina,
De Liefde boven all, Achates, de Brand-Vlag, Paragon
Royal,
Diana, Koͤnigin von Polen, t’ vergult Juweel, der Cardinal,
Bona-
Troſt aus Bluhmen.
Bonaventura, Cafferin, de Neger Konigin, Bru
nette,
Die Kayſerinn Zenobia, Sophia, Gellia, Roſette,
De Bruyd von Harlem, Sansje pansje, der Chevalier
die Delila,
Den Hoogforſt, Prinz von Baden-Durlach, Duc
de Bourbon, Thereſia,
Dictator, Socrates, Petron, de Graf van Holland
Renommee,
De Roſemond, Mirtillo, Caſtor, Euphrates, Carolus
Moree,
Conquett van Lew, la Violette, le grand Monarque
Duc de Bourbon,
Jncomparable, Veldheer, Samſon, le Peroquet, Duc
d’ Epernon,
Charmante Brune, Prinz von Homburg, le grand Co-
loſſe, Proſerpina,
Der Erz-Biſchof von Canterbury, der Moor, Eliſabeth
Chriſtina,
Madame Merian, Auguſtus, Prinz von Hannover
Friſia,
Odatus, Pfalz-Graͤfinn von Sulzbach, Columba, De-
mus, Florida,
La Furieuſe, die Pictura, Louis de grote, Tamerlan,
La belle Collmar, Sommerſchvon, Palais Royal, de
witte Schwan,
Latona, Kliffort, Beauregard, Artorius, Pamphilia,
Aurora, Kayſer von Marocco, den blauen Reyerſ
Hecuba,
L’ Ambaſſadrice, Kayſers Hof, het guͤlden Vlies, etc.
Eſ
Troſt aus Bluhmen.
Es waren, in Ranunkeln, gleichfals nicht minder
eine große Zahl:
Le Turban d’ Or, Carl Friederich, Prinz Wilhelm, Hydra,
Roſen-Thal,
Philoctetes, Anacreon, Apelles, mon Plaiſir, Blandina,
De rode Draack, de bonte Mantel, Veſpaſianus, Palatina,
Die Dardanella, Duc de Berwick, Hyppomenes, Lao-
medon,
Manteau d’ Evequ’, Empedocles, Apollo, Sappho,
Papillon,
Veſpaſianus, Bruydegam, de Monteſpan, Mercurius,
Porſenna, mon Bijou, Camilla, Pan, Nimroth, Aga,
Priamus,
Artemidorus, Venus, Chilo, grand Alexandre, Amaranth,
Minerva, Nero, bella Donna, de Bruyt, Protector,
Oliphant,
Die Nonpareille, Leopoldus, Grand-Marechal, Prinz
von Piombino,
Prinz Lubomirſky, Hiero, Pomona, Memnon, Sol-
phorino,
Gaillarde, grand Seigneur, Achates, der Graf von Sporck,
Lavinia,
Arion, Baſſa Bonneval, Preſent Royal, Pamphilia,
Die Mignardiſe, Phoenomene, Andronicus, etc.
Von bunt gefaͤrbten Anemonen, die minder nicht,
als jene, ſchoͤn,
War gleichfals eine große Menge, vor andern aber die,
zu ſehn:
Biſard d’ Eſpagne, l’ Electrice, Tiarra, Notus, la Ducheſſe,
Adonis, Beau du Jour, Gigantes, la Monarchie,
la Moreſſe,
Super-
Troſt aus Bluhmen.
Superbe, la Grandeur, Merveille, Biſard de Blych
Aquarius,
De Paerl von Brabant, Philomele, Princes van Conte
Pindarus,
Conqueſt de Grisdelin, Pipinus, de Roſe-Croon
Arcadia,
Orange, Reus, de Abondanz, de Jannethon, Andromeda
Feu de Bruxelles, la Syrone, den roden Hahn, etc.
Hab’ ich nun etwan, durch die Liſte, der Dichtkunſt
Regeln uͤberſchritten,
Und ſcheint ſie jemand gar zu lang; den will ich um Ver-
zeihung bitten:
Es iſt zu keiner andern Abſicht, als darum bloß allein,
geſchehn,
Den Schoͤpfer ſolcher ſchoͤnen Bluhmen, auch in der
Menge, zu erhoͤhn,
Als welche nicht gnug zu bewundern; indem, an Tul-
pen bloß allein,
Fuͤnftauſend, ganz verſchiedner Art, in Carols Ruh,
vorhanden ſeyn.
Daß nun, bey ihrer Fluͤchtigkeit,
Jch, wenigſtens noch eine Zeit,
Sie der Vergaͤnglichkeit entzoͤge;
Brech’ ich von jeglicher ein Blatt, und lege
Es zwiſchen blau-papierne Blaͤtter: wozwiſchen, obzwar
gleich nicht ganz,
Die Farben blieben; doch der Glanz,
Und die Figur, noch lange ſchoͤn,
Jn dem Herbario, zu ſehn.
Damit
Troſt aus Bluhmen.
Damit es von den Bluhmen nun nicht mag, nur
beym Regiſter, bleiben;
Will ich, von ſo verſchiednen Schoͤnen, doch eine, we-
nigſtens, beſchreiben.
Dieß iſt die ſchoͤne Merian, die man la Burghemaitre
nennet,
Die faſt, von allen andern Bluhmen, an Pracht, nicht
ihres Gleichen kennet;
Und die ſowohl an ihrem Bau, als in der ſchoͤnen Farbe,
wehrt,
Daß man, zur Dankbarkeit getrieben, in unſrer Luſt,
den Schoͤpfer ehrt.
Sie iſt von ganz beſondrer Groͤße; ſie uͤbertrifft und
uͤberſteiget
Das Anſehn aller andern faſt. Die Form iſt recht ver-
wunderlich;
Jndem an ihr Figur und Umſtrich, auch fuͤr den beſten
Kuͤnſtler, ſich,
Durch fremde Biegung, ungewiß, und gleichſam un-
nachahmbar, zeiget:
Symmetriſch ohne Symmetrie: ſcheint recht, als ob
ein jedes Blatt
Mit andern Blaͤttern nichts gemein, und eine eigne
Bildung, hat;
Aus denen ſich dennoch, mit Ecken und runden Spitzen
ausgeziert,
Sowohl am Rand, als in der Mitten, ein wunderwuͤr-
digs Ganz formiert.
Die Blaͤtter ſcheinen feſt und dicke, und recht, als
wenn ſie ſich erhuͤben,
An manchem Ort, auf Goldſchmids-Art, wie Laubwerk,
in die Hoͤh getrieben,
8 Theil. FAn
Troſt aus Bluhmen.
An einem andern eingedruͤckt; woran ſich denn ſo Glanz
als Licht,
Jn den verſchiednen Tief- und Hoͤhen, ſich ſenket, ſich
erhebt, ſich bricht,
Und dadurch Farb’ und Formen mehrt. Sind nun die
Blaͤtter, in der Mitten,
Durch ihre Pracht, beſonders ſchoͤn; iſt der nicht min-
der ſchoͤne Rand,
Auf tauſend Arten, ausgeſchweift, ſo wunderkuͤnſtlich
ausgeſchnitten,
Daß, mit den allerfeinſten Scheeren, auch des geuͤbtſten
Kuͤnſtlers Hand,
Mehr Regel-recht, nicht auszuſchweifen, nicht zierlicher
zu ſchneiden, weiß.
Sie laſſen hier, mit Luſt beſchaͤmt, den Fingern der Na-
tur den Preis.
Was ſoll ich von der Farbe ſagen, die recht, als wie
Granaten, bluͤht,
Jn einem, dem Rubin, an Farben, recht aͤhnlich-ſchoͤ-
nen Feuer gluͤht?
Wodurch ein angenehmes, ſanft-gedaͤmpftes und ge-
brochnes Gruͤn,
Jn vielen nett geformten Adern vermenget, hin und
wieder ſchien.
Es ſcheinet, durch das dunkle Roth, ein gleichſam guͤldner
Grund zu ſpielen;
Der Blaͤtter Fuß ſcheint wirklich Gold. Kurz: Alles,
was man an ihr ſieht,
Scheint, auf ſo Blick als Geiſt zu laben, und auf Be-
wundrung, abzuzielen.
Es
Troſt aus Bluhmen.
Es ward, durch aller Bluhmen Pracht, mein gleich-
ſam aufgeklaͤrt Gemuͤth
Von Kummer, Gram und Sorgen ab- und zu der
Gottheit hingezogen,
Die alle Ding’ hervorgebracht, ernaͤhret, ſchmuͤckt, erhaͤlt,
regiert;
Die ſo viel liebliche Geſchoͤpfe, aus Lieb’ und Huld dazu
bewogen,
Der Menſchen Augen zu ergetzen, ſo ſchoͤn, ſo wunder-
wuͤrdig, ziert.
Dieß mehrete dann mein Vertrauen zu Seiner Lieb’,
und Seiner Macht.
Jch dachte: Sollte ſolch ein Gott, Der ſolchen Schmuck
hervorgebracht,
Der nichts, was Er geſchaffen, haßt, Dem Gluͤck und
Ungluͤck unterthan,
Der nichts, als Gutes, will, aus Liebe, und Welcher, was
Er will, auch kann,
Der, uns zum Beſten, ſo viel Schoͤnheit den fluͤchtgen
Bluhmen wollen goͤnnen,
Nicht auch, was etwan boͤſe ſcheinet, zu unſerm Beſten
kehren koͤnnen?
Hiedurch ward, wenn die ſchwarze Sorge zuweilen
durch die Freude drang,
Und, wie der Schatten mit dem Licht, bey einem dicken
Nebel, kaͤmpfet,
Bey einem, durch die Creatur gewirkten, frohen Lob-
Geſang,
Durch ein in Gott geſetzt Vertrauen: Was iſt, ſey
alles gut. gedaͤmpfet.
F 2Ueber
Ueber drey vortreffliche Vorſtellungen
des Paradieſes.
Von dem Hrn. Ridinger.
1.
Auf den werdenden Adam.
Dein, mit der Herrlichkeit des Schoͤpfers, erfuͤlltes
Eden lacht uns an;
Die angeſtrahlten Baͤume funkeln; die Thiere jauchzen.
Doch, wer kann
Sie ſehn, ſie ruͤhmen, ſie bewundern? Von eines
Licht-Meers hellen Wogen
Wird Auge, Blick, und Seel’, und Sinn, zum großen
Mittel-Punct gezogen,
Der allenthalben, ſonder Umkreis, hier, uͤberirdiſch,
ſtrahlt und flammt,
Aus dem, nebſt allen Creaturen, das Leben ſelbſt, faſt
ſichtbar, ſtammt.
Wie weit reicht hier des Kuͤnſtlers Denken, und ſeine
Wunder-Kunſt! Man kann
Des Großen Wortes rege Wirkung, faſt ſichtlich, in die
Kraft ergehen,
Und, den noch nicht gewordnen Adam, faſt augenſchein-
lich, werden ſehen.
Voll Brunſt und Ehrfurcht betet er ſchon Den, Der ihn
noch ſchaffet, an.
Jn
Auf den werdenden Adam.
Jn einer groͤßern Majeſtaͤt, mit mehrerm Anſtand,
wuͤrdiger,
Mit weniger Verkleinerung, und edler, hat kein Sterb-
licher,
Ein Bild des nicht zu Bildenden, in einen Schatten-Riß
gebracht:
Er zeigt, ſo viel ſichs zeigen laͤßt, den Schoͤpfer in
Selbſt-eigner Pracht.
F 32. Auf
2.
Auf Evens Schoͤpfung.
Eva wird! Es jauchzt die Erde, Thier’ und Voͤgel
jubiliren:
Jhres ſchlanken Leibes Glanz, ihrer Glieder Symmetrie
Dringt auch in der Thiere Herzen, ruͤhrt, durchſtrahlt,
ergetzet ſie;
Jedes laͤßt, in ſeiner Art, ein erſtaunt Vergnuͤgen ſpuͤhren.
Nicht genug, mit klugen Strichen, Eden wuͤrdig
abzumahlen,
So daß alles prangt und funkelt, ſo daß alles glaͤnzt
und gluͤht;
Nein, es geht die Kunſt ſo weit, daß hier nicht nur
alles bluͤht,
Sondern, daß man, in dem Garten, etwas Heiliges
ſichtbar ſieht:
Selbſt der Sonnen Sonne ſcheint in dem Luſt-Revier
zu ſtrahlen.
Jch bewundere den Kuͤnſtler, der ſo trefflich wirkt
und denkt;
Doch weit mehr der Geiſter Urſtand, Der ihm ſo viel
Geiſt geſchenkt.
3. Auf
3.
Auf die von Adam zum erſtenmal
erblickte Eva.
Welch ein lodernd Liebes-Feuer, welch ein inniges
Entzuͤcken,
Welch Erſtaunen, kann ein jeder, hier, in Adams Seel’,
erblicken!
Alle Muſkeln, Zuͤg’ und Mienen, da ſein Gegenſtand
ſo ſchoͤn,
Laſſen des durchdrungnen Geiſtes innre Leidenſchaften
ſehn,
Geben uns von Adams Herzen, das von Evens Reiz
durchſtrahlt,
Die Empfindungen zu ſpuͤhren, alle Regungen zu leſen.
Waͤre Ridinger ein Zeuge der Zuſammenkunft geweſen,
Und er haͤtt’, in Eden ſelber, dieſes erſte Paar gemahlt,
Waͤren ſie, das Paradies, nebſt der ſchoͤnen Thiere Horden,
Herrlicher nicht vorgeſtellt, ſchoͤner kaum gemahlet
worden.
F 4Beſchrei-
Beſchreibung meines, nach begluͤckter
Zuruͤckkunft aus Ritzebuͤttel, in voͤllig
gutem Stande wieder vorge-
fundenen Gartens.
Gott Lob! mein’ Hoffnung iſt erfuͤllt,
Und mein Verlangen iſt geſtillt:
Jch ſeh die holden Fluren wieder.
Jch kann aufs neue, wie ſo ſchoͤn
(So ſeit ſechs Jahren nicht geſchehn)
Mein lang verlaßner Garten, ſehn;
Und darum ſing’ ich Freuden-Lieder.
Ach! moͤcht’ im Ton, der ungemein,
Jhr reiner Klang geſtimmet ſeyn;
Ach! moͤcht’ er vielen, wo nicht allen,
Vor andern aber Dem, gefallen,
Aus Dem, was Luft und Erde fuͤllt,
Aus Dem der Stoff von allen Schaͤtzen,
Woran Geſchoͤpfe ſich ergetzen,
Jn nie verſiegner Fuͤlle, quillt;
Der, zum Beweis, daß Er uns liebet,
Uns ungezaͤhltes Gutes giebet.
Allein, der Wunder große Zahl,
Die hier in der ſo ſchoͤnen Welt,
Auf einmal, mir ins Auge faͤllt,
Erregt mir eine ſuͤße Qual,
Durch zweifelhaft gemachte Wahl:
Zumal, wenn ich die Blicke ſchlage
Auf dieſes Gartens holde Lage,
Und
Beſchreibung ſeines wieder erblickten Gartens.
Und was ich von der ſchoͤnen Hoͤh
Fuͤr ſchoͤne Vorwuͤrf’ uͤberſeh;
Die, da ich ſie, mit neuen Augen,
So, durch Gewohnheit, noch nicht blind,
Wie meiſt geſchicht, geworden ſind,
Beſchau; mich ſo zu ruͤhren, taugen,
Daß ich, gezwungen, ſtill zu ſtehn,
Und ſtumm, fuͤr Anmuth und Behagen,
Faſt nichts, als dieß, vermag zu ſagen:
Ach Gott, wie iſt die Welt ſo ſchoͤn!
Es weiß mein ungewiß Gemuͤthe,
Da alle Stellen Wunder-voll,
Nicht, ob ich Bluhmen oder Bluͤhte,
Zuerſt, zum Vorwurf waͤhlen ſoll.
Wend’ ich die frohen Augen hier
Auf eine bunt gefaͤrbte Zier
Von Bluhmen; reißt ein andrer Ort,
Der ſchoͤner noch, ſie mit ſich fort.
Kaum ſchau ich den; ſo zieht von neuen,
Um mehr annoch mich zu erfreuen,
Ein mehr geſchmuͤckter dritter, dort,
Den ganz darob erſtaunten Sinn
Auf Bluͤht’ und junge Blaͤtter hin.
Ach! ſeufzt dann die geruͤhrte Seele,
Jch weiß nicht, was ich erſt erwaͤhle;
Herr, Deiner Wunder ſind zu viel!
Es hat in dem, was uns vergnuͤget,
Und uns hier vor den Augen lieget,
Dein’ Allmacht weder Maaß noch Ziel.
F 5Jnzwi-
Beſchreibung
Jnzwiſchen muß ein Anfang ſeyn.
So fang’ ich mit dem ſchoͤnen Bogen,
Womit der Vorhof uͤberzogen,
Auf eine Art, die ungemein,
Die man kaum gnug bewundern kann,
Des ſchoͤnen Orts Beſchreibung an.
Hier ſind, auf eine fremde Weiſe,
Jn einem Zirkel-runden Kreiſe,
Sechs ſchoͤne Linden ſo geſetzt,
Daß jedes Stammes ſchlanke Laͤnge
Uns, durch dadurch formierte Gaͤnge,
Gleich einer ſchoͤnen Seul’, ergetzt.
Die Wipfel ſind, durch Kunſt, gebogen,
Und ſo geflochten und gezogen,
Daß ein gewoͤlbtes Blaͤtter-Zelt,
Wodurch der ganze Platz begruͤnet,
Die Durchſicht zu verſchoͤnern, dienet,
Und, durch die Dunkelheit, erhellt.
Von jeder Linde ſieht man oben
Noch einen eignen Stamm erhoben,
Der hoch ſich in die Luft erſtreckt,
Und deſſen ſcharf geſpitzten Gipfel
Ein, nach der Kunſt, geſchorner Wipfel,
Der dem Laurier ſich gleichet, deckt.
Durch dieſer Laube gruͤne Schatten,
Die ſich mit holder Kuͤhlung gatten,
Wird der erſtaunte Blick geſtaͤrkt,
Da man, im hellen Sonnen-Strahle,
Die ſchoͤne Landſchaft, in dem Thale,
Dadurch noch herrlicher bemerkt.
Dieß
ſeines wieder erblickten Gartens.
Dieß wunderſchoͤne Stuͤck der Welt,
Das hier uns in die Augen faͤllt,
Jſt ſo Betrachtungs-wuͤrdig, ſchoͤn,
Daß, wenn der Schritt will weiter gehn,
Er gleichſam ſich gehemmet fuͤhlet.
Die ſtarren Fuͤße bleiben ſtehn;
Weil alles, was die Augen ſehn,
Zu herrlich glaͤnzt, zu lieblich ſpielet.
Ein gleiches wiederfaͤhrt auch mir,
Beym Eintritt in den Garten, hier.
Jch fuͤhle gleichſam mich beklemmet:
Es bleibt, bey dem zu ſchoͤnen Blick,
Der angefangne Tritt zuruͤck;
So Schritt als Feder wird gehemmet.
Jch muß, gezwungen, ſtehen bleiben,
Und, ſtatt der Ordnung nachzugehn,
Den obern Garten zu beſehn,
Die ſchoͤne Landſchaft erſt beſchreiben.
Doch hatt’ ich, von derſelben Pracht,
So bald den Anfang kaum gemacht,
Als ich mich gluͤcklich drauf beſann,
Daß ich derſelben Lag’ und Zier,
Bereits, mein Leſer, Dir und mir,
So gut ich es vermocht, gewieſen,
Und ihren Schmuck dir angeprieſen.vid. Tom. 2. pag. 390.
Weshalben ich die Stieg’ hinab,
Jn obern Garten, mich begab.
Ein
Beſchreibung
Ein laͤnglicht Viereck zeigt ſich hier,
Worinn der Bluhmen bunte Zier
Jn tauſend tauſend Farben bluͤhet,
Ja mehr faſt, als ſie bluͤhet, gluͤhet;
Zumal, wenn ſie die Sonne mahlet,
Und jedes bunte Blatt durchſtrahlet.
Drey Stufen fuͤhren uns hinab
Jn den bebluͤhmten obern Garten,
Wo uns, in Millionen Arten,
Der Bluhmen Heer ein Schauſpiel gab.
Jhr bunt- und bluhmigtes Gewand
Scheint von der Flora ausgeſpannt,
Und, uns zur Luſt, zur Schau geleget.
Die groͤßte Schoͤnheit der Natur,
Die ſie, an Farben und Figur,
Jn ihrem weiten Schooße heget,
Bedeckt hier die geſchmuͤckte Flur.
Ein weiſes Auge ſtutzt und ſtarrt
Bey dieſem Schmuck der ſchoͤnen Welt;
Weil, bey den Farben und Figuren
So wunderſchoͤner Creaturen,
Zugleich des Schoͤpfers Gegenwart,
Unleugbar, ihm wird vorgeſtellt.
Es laͤßt den Blick daruͤber ſchieſſen,
Und ſieht, im Sonnenſchein zumal,
Veraͤnderungen ohne Zahl,
Von Farben, in einander flieſſen.
Dann haͤlt er eine kluge Wahl,
Und laͤßt, von einer zu der andern,
Den ernſten Blick bedachtſam wandern,
Erwaͤgt,
ſeines wieder erblickten Gartens.
Erwaͤgt, vergleicht bald die mit jener;
Bald haͤlt er die, bald jene, ſchoͤner;
Bald ſieht er, mit Erſtaunen, dort,
An einem dritt- und vierten Ort,
Noch andre, zehnmal ſchoͤner, bluͤhn,
Jn Feuer-Farben gleichſam gluͤhn,
Und fuͤhlet, die erſtaunten Blicke
Von aller andern Schmuck zuruͤcke,
Recht mit Gewalt auf ſich nur, ziehn.
Bey einer ſolchen Anmuth Fuͤlle,
Steht billig unſer Fuß oft ſtille:
Man wird, in ihrer Farb’ und Pracht,
An allen Orten angelacht;
Man will, und kann dennoch nicht, waͤhlen.
Dann fragen billig kluge Seelen:
Fuͤr wen ſie doch hervorgebracht?
Die Antwort iſt ſo gleich vorhanden:
Durch Lieb’, und eine weiſe Macht,
Sind ſie, nur bloß fuͤr uns, entſtanden.
So laſſet dann auch uns allein,
Dadurch, wenn man bey ihnen denket,
Daß Gott ſie ſchuff, und ſie uns ſchenket,
Jn unſrer Luſt, Jhm dankbar ſeyn!
Nun war es eben in der Zeit,
Worinn der Tulpen Herrlichkeit,
(Auch die aus Baden-Durlachs Garten,
Von ſo viel ungezaͤhlten Arten,
Wornach mich lange ſchon verlangt,)
Jn buntem Glanz und Feuer prangt.
Jch
Beſchreibung
Jch ſah nicht minder die Ranunkeln,
Bey bunten Anemonen, funkeln;
Jch ſah dieſelben wunderſchoͤn,
Auf zierlich ausgeſchweiften Fluren,
Jn Ranken-formigen Figuren,
Und Bluhmen, ſelbſt in Bluhmen ſtehn.
Die ſchoͤnen Theile, voller Glanz,
Formierten ein ſo herrlichs Ganz,
Daß ich, durch ihrer Farben Brand,
Mich, auſſerordentlich geruͤhret,
Zum Schoͤpfer aller Welt gefuͤhret,
Und gleichſam halb entzuͤcket, fand.
Woher, rief ich, woher entſtand
Der ſchoͤnen Bluhmen Pracht und Schein,
Als bloß aus Gott, aus Gott allein?
Ach moͤcht’, ob dieſer Augen-Weide,
Doch meines Herzens Luſt und Freude,
Aus Gnaden, Jhm gefaͤllig ſeyn!
Am Ende dieſes Gartens findet
Derſelbige ſich ausgeruͤndet;
Jndem daſelbſt die Seiten-Ecken
Sich weiter, als die Mitte, ſtrecken.
Auf jeder ſtehet ein Altan,
Der eine frey, und der bedecket;
Von welchen man bemerken kann,
Wie fern ſich der Geſichts-Kreis ſtrecket.
Die
ſeines wieder erblickten Gartens.
Die Mitte fuͤhrt zur großen Stiegen.
Bey dieſer ſieht man, mit Vergnuͤgen,
Was ſonſt bey uns faſt unbekannt,
Zur rechten und zur linken Hand,
Zween Weinberg’, in der Ruͤnde, liegen,
Woran die Trauben-reichen Reben
Uns mancherley Vergnuͤgen geben.
An jedes Fuße zeiget ſich,
So kuͤnſtlich als verwunderlich,
Ein klein Parterr, in netten Ranken:
Wovon die wohlgeſchlungnen Schranken
Manch nach der Kunſt geordnet Bild,
Aus bunten Stein- und Bluhmen, fuͤllt;
Jn deren figurierten Graͤnzen
Wir oͤfters, ſonderlich im Lenzen,
Jn tauſend Farben, wunderſchoͤn,
So mancherley Aurikeln ſehn.
Von dieſem Platz, der unſern Blicken,
Da ihn ſo ſchoͤne Vorwuͤrf ſchmuͤcken,
So mancherley Vergnuͤgen gab,
Tritt man noch eine Stieg hinab,
Jn einen dunklen Bogen-Gang:
Derſelbe gehet, in die Queer,
Recht mitten durch den Garten her,
Und iſt des Gartens Breite lang.
Der Bogen-Gang iſt in der Mitten,
Zum Vortheil des Geſichts, durchſchnitten,
Und graͤnzt daſelbſt an einem Teich,
Der oft ſo Fiſch- als Waſſer-reich,
Den, von dem zierlichen Altan,
Man, mit Vergnuͤgen, ſehen kann.
Drey
Beſchreibung
Drey ſchoͤne Waͤnd’, aus Taxus-Hecken,
Die ſich um dieſen Teich erſtrecken,
Und ſich, im Viereck, um ihn ziehn,
Verſchoͤnern und verſchraͤnken ihn.
Um dieſe Waͤnd’, an beyden Seiten,
Sieht man ſich, durch zween Gaͤnge, leiten
Zur letzten großen Stieg hinab;
Woſelbſt dem Garten die Allee,
Von ganz beſondrer Laͤng’ und Hoͤh’,
Annoch das beſte Anſehn gab.
Beym Eintritt der Alleen findet
Man beyde Seiten ausgeruͤndet.
Die Winkel ziert ein hoher Baum,
Der, dem Laurier gleich, rund geſchnitten,
Und welche man dahero kaum
Von Lorbeern unterſcheiden kann.
Jn der getheilten Zirkel-Mitten
Eroͤffnet ſich, den ſtarren Blicken,
Ein herrlich Perſpectiv; woran,
Um recht nach Wuͤrden auszudruͤcken,
Was man darinn fuͤr Schoͤnheit ſieht,
Man ſich gewiß umſonſt bemuͤht.
Der, durch das Dunkelgruͤn der Waͤnde,
Geſtaͤrkte Blick durchſtreicht behende
Des Ganges lange Dunkelheit;
Die ihn mit Anmuth haͤlt gefangen,
Um nach der lichten Herrlichkeit
Des hellern Aug-Puncts zu gelangen.
Dieß
ſeines wieder erblickten Gartens.
Dieß iſt ein hell beſtrahltes Feld,
Worauf, damit mans unterſchiede,
Man eine weiſſe Pyramide,
Zum Ziel der Augen, hingeſtellt.
Doch iſt die Dunkelheit der Schatten
Jm Gange, reizend, und ſo ſchoͤn,
Daß ſelber auf den hellen Matten,
Trotz ſeiner angeſtrahlten Pracht,
Der Blick nicht maͤchtig, ſtill zu ſtehn.
Man ſieht ihn in die gruͤne Nacht
Des Ganges oͤfters ruͤckwaͤrts gehn,
Um auszuruhn, und ſich zu ſtaͤrken:
Bald aber, froͤhlich, ohn Verweilen,
Nach ſeinem Aug-Punct wieder eilen,
Und deſſen Schoͤnheit zu bemerken.
Jnzwiſchen fuͤhren unſre Schritte,
Von Luſt und Einſamkeit geleitet,
Und von Zufriedenheit begleitet,
Nach dieſes langen Ganges Mitte.
Hier iſt ein Platz, der ausgeruͤndet,
Von hohen Baͤumen ganz umringt,
Worinn man neue Luſt empfindet;
Jndem daſelbſt ein Spring-Brunn ſpringt,
Dadurch das Aug’ und Ohr der Bruſt,
Uns, eine noch vermehrte Luſt,
Durch Spruͤtzen und durch Klatſchen, bringt.
Unglaublich iſt die ſtille Freude,
Die hier, ob dieſer Augen-Weide,
8 Theil. GWenn
Beſchreibung
Wenn man ſich hier auf Baͤnken ſetzt,
Uns, durch den Fall und Schall, ergetzt.
Mich bringt der rege Waſſer-Strahl
Zu den Gedanken mannichmal:
“Das ſtetig ſteigende Bewegen
“Des reinen Strahls, den wir hier ſehn,
“Scheint unſerm Geiſt, ſich zu erhoͤhn,
“Auch Triebe gleichſam einzupraͤgen.
“Wir ſieigen mit: Allein, es waͤhrt
“Dieß unſer Steigen nicht gar lange;
“Dieweil man, mit des Waſſers Gange,
“Bald wieder ſinkt und abwaͤrts faͤhrt.
“Dieß ſcheint ein Bild von unſrer Ruh:
“Wir bringen unſre Lebens-Zeit
“Jn Hoffnung, Furcht, in Luſt und Leid,
“Mit Steigen und mit Fallen, zu.
Verlaͤßt man dieſe Ruͤnde nun,
Wie wir, des Ortes Anmuth wegen,
Doch oͤfters, nicht ohn’ Unmuth, thun,
Um die Alleen, die ſo ſchoͤn,
Bis ganz zum Ende durchzugehn,
Jn welcher wir doch in der Mitten,
An beyden Seiten, Thuͤren ſehn,
Wodurch wir in die Gaͤrten gehn;
Jn welchen, nebſt den Huͤlſen-Fruͤchten
Zu ſo verſchiedlichen Gerichten,
Viel Obſt- und andre Baͤume ſtehn:
Drauf finden wir, nach vielen Schritten,
Von einem Graben ſie durchſchnitten,
Den
ſeines wieder erblickten Gartens.
Den eine Bruͤcke deckt und ſchmuͤckt.
Hier wird das vorige Vergnuͤgen
Verdreyfacht; da man drey Alleen,
Die, unvermuthet, vor uns liegen,
Jn holder Symmetrie, erblickt.
Wann die zu Ende; ſehen wir
Noch eine ganz beſondre Zier,
Jn ſieben gruͤnen Bogen, ſtehen;
Durch die wir ein ſo ſchoͤnes Feld,
Das faſt nicht ſchoͤner auf der Welt,
Als durch ſo viel Arcaden, ſehen.
Wenn wir, ob dieſen ſchoͤnen Auen
Erſtaunt, uns drehn, und ruͤckwaͤrts ſchauen;
Erſtaunet man, fuͤr Luſt, aufs neu:
Weil wir nicht nur die lange Reih
Der dunklen ſchattichten Alleen;
Nein, gleichfals die erhabnen Hoͤhen
Der obern Gaͤrten, vor uns liegen,
Und uns ins Auge fallen, ſehen.
Es ſteigt, auf vier geraden Stiegen,
Die man auf einmal ſehen kann,
Der Blick den ſchraͤgen Berg hinan,
Bis zu den erſt erwaͤhnten Bogen,
Worauf die ſechs geſpitzten Wipfel
Der Linden in die Hoͤh gezogen.
Naͤchſt dieſen laͤßt der ſchoͤne Gipfel
Des Garten-Hauſes oben her,
Nebſt den zwo Fluͤgeln in der Queer,
Jn netter Symmetrie, ſich ſehn;
G 2Woruͤber
Beſchreibung ſeines wieder erblickten Gartens.
Woruͤber noch vier Linden ragen,
Die drauſſen vor der Thuͤre ſtehn,
Und die, zumal bey ſchoͤnen Tagen,
Da ſie das rothe Dach bedecken,
Und hoch ſich in die Luft erſtrecken,
Jn einem gruͤnen Schimmer glaͤnzen,
Und endlich unſern Blick begraͤnzen.
Das waͤre von des Gartens Pracht
Ein kleiner Abriß nun gemacht,
Den ich, Gott Lob! nun wieder ſehe.
Gieb, Herr! Der Du ihn mir gegeben,
Daß ich, bey einem laͤngern Leben,
Jn ihm, als Geber Dich erhoͤhe!
Ach laß mich an den innern Schaͤtzen,
Zu Deinem Preiſe, mich ergetzen,
Oft Deine Creatur beſingen,
Dir oft ein frohes Dank-Lied bringen!
Vergnuͤg-
Vergnuͤglicher Gottes-Dienſt.
Zum
Schluß des Fruͤhlings.
Heut haben heller Voͤgel Choͤre
Sich, mir zur Luſt, und Gott zur Ehre,
Jm Singen, nicht umſonſt, bemuͤht.
Gott Lob! ſo manche ſchoͤne Bluhme
Hat, mir zur Freude, Gott zum Ruhme,
Und folglich nicht umſonſt, gebluͤht.
Die Pracht der Kraͤuter-reichen Felder,
Die gruͤnen Schatten kuͤhler Waͤlder,
Hab ich, Gott Lob! mit Luſt, erblickt.
Es hat der Schnee der ſchoͤnen Bluͤhte
Mein drob erſtaunendes Gemuͤthe
Sowohl, als wie die Welt, geſchmuͤckt.
Das uͤberall vorhandne Glaͤnzen
Der Creaturen, in dem Lenzen,
Hat mich ergetzt, hat mich geruͤhrt:
Ja, es iſt nicht dabey geblieben;
Jhr Schmuck hat mich zur Quell getrieben,
Und zu dem Schoͤpfer Selbſt gefuͤhrt.
Jn tiefer Ehrfurcht fing mein Denken
Jn Deſſen Tief’ an, ſich zu ſenken,
Aus Welchem alle Schoͤnheit quillt:
Aus Dem entſtanden, was entſtanden;
Jn Welchem das, was iſt, vorhanden;
Der allen Raum umſchraͤnkt und fuͤllt.
G 3Meiu
Vergnuͤglicher Gottes-Dienſt.
Mein Geiſt, mit dieſer Welt verbunden,
Durch meine Sinnen, hat in ihr,
Jn ihrer Ordnung, Pracht und Zier,
Durch alle Sinnen, Gott gefunden:
Und zwar auf eine ſolche Weiſe,
Die, wenn man ſelbe recht ermißt,
Der wahren Gottheit wuͤrdig iſt.
Sein Werk gereichet Gott zum Preiſe.
Jhn Selbſt kann unſer Blick nicht ſehn;
Doch durch Sein Werk, das Er bereitet,
Wird unſer Geiſt zu Jhm geleitet.
Dieß giebt Sein Daſeyn zu verſtehn.
Wie kann Sich Gott an Creaturen,
Die ſo wie wir, ſo offenbahren;
Wie koͤnnten wir von Jhm nur Spuhren,
Daß, und wie groß, Er ſey, erfahren:
Wenn Gott uns nicht, in unſerm Leben,
Auch Sinnen, nebſt dem Geiſt, gegeben?
So brauchet ſie dann, alle beyde,
Zu Gottes Ehr’, und eurer Freude.Vermiſchte
Gedichte.
Vertheidigung
meines vielen Schreibens.
Hoͤrſt du denn noch nicht auf, mein Geiſt! in dei-
nen Schriften auszuſchweifen?
Die Menſchen, die doch deines Gleichen, mit Unterricht
zu uͤberhaͤufen?
Jhr allgemeines Thun zu tadeln? und einer neuen Wahr-
heit Licht
Denſelben gleichſam aufzudringen? Wer hat doch, zu
ſo ſchwehrer Pflicht,
Dich anders, als du ſelbſt, verdammt? Von wem biſt
du zu einem Lehrer
Des menſchlichen Geſchlechts beſtellt? Bemerkſt du nicht,
daß deine Hoͤrer
So vieler Lehren uͤberdruͤßig, dieſelbigen nicht ferner
leſen;
Und, leſen ſie ſie gleich einmal, doch bleiben, wie ſie vor
geweſen?
Was willt du doch, beſinne dich! auf die nicht ungerech-
ten Fragen,
Die die Erfahrung ja bewaͤhrt, betrogner Geiſt! zur
Antwort ſagen?
8 Theil. E eJa,
Vertheidigung
Ja, ja! dein Vorwurf iſt gerecht. Die Fragen ſind
es, leider! wehrt,
Daß man auf ihren Jnhalt achte: und, was noch
meinen Gram vermehrt,
Jſt, daß mir die Erfahrung zeigt, ich hab’ im Hoffen
mich geirret.
Es iſt auch nicht zum erſtenmal, daß der Gedanke mich
verwirret:
“Was nuͤtzt, daß ich die ſchoͤne Welt, daß ich der Erd’
und Himmel Pracht,
“Den ſproͤden Menſchen angeprieſen, zum Preiſe Des,
Der ſie gemacht,
“Und ihrem eigenen Vergnuͤgen? Da ſie, trotz dem,
was ich geſchrieben,
“Und trotz der unleugbaren Wahrheit, doch immer
unempfindlich blieben.
“Daß auch ſo gar begabte Geiſter, vom laͤcherlichen
Stolz beſiegt,
“Es nicht des Anſehns wuͤrdig achten, und lieber im-
mer unvergnuͤgt,
“Selbſt Gott zur Schande, bleiben wollen; als an
von Jhm erſchaffnen Schaͤtzen,
“Jhr zeitlich Leben zu begluͤcken, ſich laben wollen
und ergetzen:
“Die ſich geſchaͤmt, und noch ſich ſchaͤmen, zu weiſen,
daß von meinem Werke
“Sie die geringſte Kundſchaft haͤtten. Es ſcheint,
ſo viel ich es bemerke,
“Und hab ichs, leider! oft geſpuͤhrt,
“Wofern man glaubt’, ob laͤſen ſies, ſie hielten ſich
encanaillirt.
Wie
ſeines vielen Schreibens.
Wie oft hab ich, bey dem Betragen, mit einem bittern
Grimm, gelacht;
Bald aus Verdruß, und bald aus Mitleid! Vom
großen Vorwurf keck gemacht,
Da ich zum Lobe Gottes ſchrieb, hab ich von ihnen oft
gedacht:
“Wie ſeyd ihr doch bey dieſer Arbeit, da ihr ſonſt ſo
beredt, ſo ſtumm?
“Wird euer ſonſt ſo kluge Geiſt, allein bey dieſem Vor-
wurf, dumm?
“Es ſoll vielleicht der arme Author durch euren Neid
beehret ſeyn,
“Gedacht ich oft; doch dacht ich auch: Fuͤrwahr, das
waͤr fuͤr ſie zu klein.
“Vielleicht verachten ſie die Verſe, und alle Dichterey.
Doch nein:
“Sie leſen andre Verſe ja. Was bleibt, von allem,
dann noch uͤber,
“Als dieſe Warnung an mich ſelbſt: Was nuͤtzt es
alles? Schweige lieber!
Allein, hingegen dacht ich auch: und eben, was ich
da gedacht,
Dient auch, zur Antwort, auf die Fragen, die du zu
Anfangs vorgebracht.
Jch dachte naͤmlich: “Soll ich dann, weil etwan Alle,
meine Lehren,
“Aus dieſer, bald aus jener Urſach und Abſicht, nicht
mehr leſen, hoͤren,
“Und merken wollen, darum ſchweigen? Da ich jeden-
noch uͤberfuͤhrt,
“Daß viele ſie noch nicht verachten; daß viele noch,
dadurch geruͤhrt,
E e 2“Sich,
Vertheidigung
“Sich, Gott zum Ruhm, daran vergnuͤgen. Wie
die Verleger es bewaͤhren,
“Die eine neue Auflag bald, bald einen neuen Theil,
begehren.
“Es iſt ja keine Moͤglichkeit noch Hoffnung, auf der
Erden, allen
“Mit ſo verſchiednen Meynungen erfuͤllten Menſchen,
zu gefallen.
Warum ich zu ſo ſchwehren Pflichten, ſo wie du fragſt,
mich ſelbſt verdammt,
Da ich doch kein beſtellter Lehrer? So hoͤre: “Mein
Betragen ſtammt
“Aus einer allgemeinen Pflicht. Die allgemeine Men-
ſchen-Liebe
“Jſt einzig, welche mich, fuͤr dich und mich, zu dieſer
Arbeit triebe.
Es iſt ein Trieb, ſich zu vergnuͤgen, bey allen Men-
ſchen, allgemein:
Ein jeder wuͤnſchet, rennet, laufft, und ſehnet ſich, ver-
gnuͤgt zu ſeyn.
Ein jeder ſucht verſchiedne Wege, zu ſeinem Endzweck
zu gelangen:
Ein jeder irrt in ſeiner Wahl; faſt einen jeden taͤuſcht
der Schein.
Der eine glaubet: Das Vergnuͤgen beſteh’ in Hoheit,
Pracht und Prangen.
Der andre ſiehet volle Kaſten fuͤr Quellen des Ver-
gnuͤgens an.
Der meynt: Daß man ohn Wein und Weiber
unmoͤglich ſich vergnuͤgen kann.
Dieß
ſeines vielen Schreibens.
Dieß ſind die Meynungen der Menſchen, wornach
die mehreſten ſich lenken,
Und darinn ihr Vergnuͤgen ſuchen. Nun ſoll mein Le-
ſer nicht gedenken,
Daß ich dieſelben ganz verwerfe. Ein ſolcher Zeno bin
ich nicht,
Und kein ſo ſtrenger Sitten-Lehrer: indem ich einem
jeden goͤnne,
Daß er an Ehre, Geld, und Wein, und Liebe, ſich ver-
gnuͤgen koͤnne;
Wenn es nach Ordnung, Regeln, Maß’ und Ueberle-
gung nur geſchicht.
Jch halte dieſe Gegenwuͤrfe vielmehr fuͤr Mittel zum
Vergnuͤgen,
Jn welchen Quellen vieler Anmuth, zum Labſal unſers
Lebens, liegen.
Sie ſind es aber nicht allein. “Erwegt die Wege
der Natur!
“Seht Euch, die Welt, den Himmel, an; ſo kommt
ihr auf die rechte Spuhr.
“Jhr ſelbſt beſteht aus Geiſt und Koͤrper. Der Geiſt
iſt ſinnlich und vernuͤnftig.
“Der Koͤrper iſt fuͤr die fuͤnf Sinnen bewunderns-
wuͤrdig zugericht.
“Die Welt hat Millionen Vorwuͤrf fuͤr ſie. Der
Himmel hat das Licht.
“Der Geiſt, waͤr’ er auch noch ſo klug, begriff von
aller Erden Schaͤtzen,
“Wofern er keine Sinnen haͤtte, nichts, und es koͤnnt
ihn nichts ergetzen.
E e 3“Darum
Vertheidigung
“Darum hat Gott fuͤr ihn den Koͤrper, mit den fuͤnf
Sinnen, ausgefunden,
“Und, durch der Sinnen Wunder-Mittel, ihn mit der
ganzen Welt verbunden,
“Damit er ihr genieſſen moͤchte; damit er, was auf
Erden ſchoͤn
“Und angenehm, empfinden, fuͤhlen, auch hoͤren,
ſchmecken moͤcht’, und ſehn.
Dieß iſt des Koͤrpers, unſers Geiſts, und der Natur
Beſchaffenheit.
“Damit der Menſch an ſo viel Gutem, an Millionen
Erden-Schaͤtzen,
“Auf Millionen Art und Weiſe, ſich laben ſollt’, und
koͤnnt’ ergetzen;
“Hat Gott ihn in die Welt geſetzt. Dieß alles iſt
fuͤr dich bereit;
Komm, ſchlacht’, und iß! (ſcheint ſeine Stimm’
an alle Sterblichen zu ſeyn)
Gebrauche die Vernunft allein,
Und deines Geiſtes Kraft, das Denken, bey deinen
Sinnen. Ueberlege,
Daß du was ſchmeckeſt, wenn du ſchmeckſt; daß,
wenn du riecheſt, fuͤhleſt, hoͤrſt,
Du wirklich hoͤreſt, fuͤhleſt, riechſt: daß du, in
deiner Luſt, Mich ehrſt,
Wenn du die ſchoͤnen Werke ſiehſt, mit Luſt und
Achtſamkeit. Erwege,
Daß Jch die Kraft, die ganze Welt dir zuzueignen,
bloß nur dir
Geſchenkt, und keinem andern Thier:
Ja,
ſeines vielen Schreibens.
Ja, daß dir deſto deutlicher der Strahl von Mei-
ner Liebe ſcheinet;
So hab Jch, Meinen Dienſt ſo gar, mit einer
ſolchen Luſt, vereinet.
“So liegt es dann ja nicht an Gott, daß von den
Sterblichen hienieden
“Die allermeiſten unzufrieden;
“Zumal die, ſo, von Seiner Hand, Geſundheit, Noth-
durft, und noch mehr,
“An Geld, Bequemlichkeit, an Ehr’,
“An Leibes- und Gemuͤthes-Gaben,
“Auf dieſer Welt empfangen haben.
Durch dieſes unvernuͤnftige, dieß ungluͤckſelige Be-
tragen,
Das alle Lebens-Luſt verbittert, und das, von allen
unſern Plagen
Auf dieſer Welt, die Quell’ allein,
Jndem ſie, leider! allgemein;
Bin ich, nachdem ich es erkannt, zu mein- und deinem
Nutz und Frommen,
Auf den von mir erkieſten Weg zu meiner neuen Lehr-
Art kommen,
Jn dieſer feſten Ueberzeugung: “Daß, da der Weg,
zu Gottes Ehre,
“Und zu der, ſonſt auf dieſer Welt umſonſt geſuchten
Luſt, uns fuͤhret,
“Der wahren Stimme der Natur, in dieſer meiner
ſanften Lehre,
“Ein aufmerkſames Ohr gebuͤhret;
E e 4“Auch
Vertheidigung ſeines vielen Schreibens.
“Auch daß, wo nicht die jetzigen, vermuthlich doch
die kuͤnftgen Zeiten,
“Zu der ſo klar- als ſuͤßen Wahrheit ſich endlich wer-
den laſſen leiten.
Jn dieſer feſten Zuverſicht
Fahr ich, mit meinen Liedern, fort: und, in den wun-
derbaren Werken,
Des Schoͤpfers Weisheit, Macht und Liebe, mit froher
Andacht, zu bemerken,
Ermuͤd’ ich nicht.
Verſuch
Verſuch
einer etwanigen Vorſtellung
von
der unbegreiflichen Groͤße Goͤttlicher
Allwiſſenheit.
Meine Seele! ſenke dich, voller Andacht, noch einmal
Jn des tiefen Firmaments Grund- und Graͤnzen-
loſes Thal:
Wende die geſchaͤrften Kraͤft’, und des Geiſtes regen
Blicke,
Aus der hell geſtirnten Tiefe weitem Raum, nicht eh
zuruͤcke,
Ehe du von Gottes Groͤße, die dieß große Ganz erfuͤllt,
Die ſo groß, daß Sich Sein Weſen, durch die Groͤße
ſelbſt, verhuͤllt,
Hier in dieſem Kreis ohn Umkreis, ein Jhm nicht un-
wuͤrdigs Bild
Angetroffen, und verehrt. Ueberleg’, auf dieſer Reiſe,
Die, (wie fluͤchtig gleich dein Weſen, ſo daß du, im
Augenblick,
Tauſend Millionen Meilen, ja noch ihrer mehr, zuruͤck
Legen, und durchſtreichen kannſt; wenn du auch, auf
ſolche Weiſe,
Gleich dein ganzes Leben reiſteſt) doch kein Ziel hat,
Gott zum Preiſe,
Erſtlich, dieſen Wunder-Raum! Dann erweg’, in die-
ſer Ferne,
Jenes Graͤnzen-loſe Heer der beflammten hellen Sterne,
E e 5Welche
Vorſtellung der unbegreiflichen Groͤße
Welche lauter Sonnen ſind! Ferner, die noch groͤßre
Zahl
Aller Welten, die um ſie, durch derſelben Lebens-Strahl
Helle, fruchtbar, warm gemacht, ſich beſtaͤndig richtig
drehen,
Und um ſie (wie wir Planeten all’ um unſre Sonne)
gehen!
Weiter! Dann betracht’ einmal aller derer Creaturen,
Die darinn enthalten ſind, unterſchiedliche Figuren,
Und vor andern deren Weſen, welche denken! Dann
hab Acht
Auf die Menge der Gedanken, die von ihnen ſind
gedacht,
Von der Zeit, da ſie entſtanden, und die ſie, auf ihren
Erden,
Noch, ſo lange ſie beſtehn, kuͤnftighin erzeugen werden.
Hier halt ein! “und uͤberlege eines Weſens Groͤß’
und Stand,
“Dem ſie alle unverborgen, Dem ſie alle wohl bekannt;
“Welches den Zuſammenhang aller dieſer Ding’ er-
gruͤndet:
“Der, in einer ewgen Kette, alles, was erſchaffen,
bindet;
“Der, was war, was iſt, was kommt, all’, auf einmal,
vor ſich findet:
“Dem das Geiſtige nicht minder, als das Koͤrperliche,
klar,
“Und, ſo wie Ers jetzo kennet, immer unverborgen
war.
Dieſes
Goͤttlicher Allwiſſenheit.
Dieſes zeiget dir, vermuthlich, einen Gott viel wuͤrd-
ger an,
Als das unanſtaͤndge Bild, ſo, von einem alten Mann,
Nicht dem Blick nur, auch dem Geiſt, leider! oft wird
vorgeſtellt,
Und wodurch man in den Graͤuel eines Goͤtzen-Dienſts
verfaͤllt;
Den doch Gott ſo ſcharf verboten. Schaͤrf’ uns,
Herr! doch den Verſtand,
Der Du unumſchraͤnkt unendlich, Der Du groß
und unbekannt: Hiob 36, 26.
Daß wir Dich, als Gott, zu kennen, und zu ehren,
uns beſtreben,
Und Dir, zum gefaͤllgen Opfer, Ehrfurcht und Be-
wundrung geben!
Betraͤcht-
Betraͤchtlicher
Troſt fuͤr Ungluͤckliche und Arme.
An jedem Abend wird die Welt von uns, und wir
von ihr, verlaſſen:
Sie nuͤtzt uns nicht; die ganze Pracht und Schoͤnheit
iſt, fuͤr uns, nicht ſchoͤn.
Die Menſchen wollen uns nicht laͤnger, und wir dieſel-
ben auch nicht, ſehn.
Die beſten Freunde ſcheiden ſich: ſie ſcheinen, uns;
wir ſie, zu haſſen.
Wir werden Sinnen-los; verlieren Geſchmack, Geruch,
Gehoͤr, Geſicht,
Nebſt allen ihren Gegenwuͤrfen, als Speiſen, Bluhmen,
Klang und Licht.
Wir leben, wo wir anders leben, ſo dann, nur von der
Luft allein.
Kein Armer, wenn er ſchlaͤft, iſt arm: Ein Reicher
hoͤrt auf, reich zu ſeyn.
Ein Koͤnig iſt kein Koͤnig mehr; Ehr’, Anſehn, Schaͤtz’
und Zepter ſchwinden:
Ein Bettler kann, in ſeinem Traum, den Thron, den der
verlohren, finden.
Denn, wird man einen Reichen reich, ſo lang er ſchlaͤft,
mit Recht, wohl nennen?
Noch einen Armen wirklich arm, wenn er nicht wachet,
heiſſen koͤnnen?
“Da
Troſt fuͤr Ungluͤckliche und Arme.
“Da nun, die halbe Lebens-Zeit, kein Armer arm,
kein Reicher reich;
“So ſind, in ihrem halben Leben, die Menſchen ſich
einander gleich.
“Die Gleichheit, welche die Natur mit allen Sterblichen
beachtet,
“Verdient, daß man, in dieſer Ordnung, der weiſen
Vorſicht Huld betrachtet.
“Da einer, in der Lebens-Haͤlfte, ſein Ungluͤck; der,
ſein Gluͤck, verliert;
“Wird eine Art von Gleichgewicht, bey aller Ungleich-
heit, verſpuͤhrt:
“Bis daß zuletzt, nach kurzer Dauer, des ſtillen Todes
lange Nacht
“Den ganzen Unterſcheid hinwegnimmt, und alles voͤl-
lig aͤhnlich macht.
Neue
Neue Erd-Beſchreibung.
Es iſt der Erd-Kreis ein Planet,
Der einmal, jaͤhrlich, um die Sonn’, und taͤglich
um ſich ſelbſt, ſich dreht,
Wodurch die Sonne, vielen Voͤlkern, ſtets auf- und
immer untergeht;
Den Laub und Gras, von auſſen, ſchmuͤcken: auf wel-
chem den Bewohnern ſcheinet,
Daß ein Triangel aus drey Winkeln, und ein Quadrat
aus vier, beſteht;
Und wo man ſchließt: Ein Theil ſey kleiner, als wie
ſein Ganz, wenn es vereinet:
Worauf man, daß ein Ding, zugleich nicht ſeyn, und
ſeyn kann, ſtark verneinet;
Auch, daß zwey Paar nicht mehr als vier ſey, mit ziem-
licher Gewißheit, meynet.
Vor-
Vorzuͤge der Mahlerey.
Mit der Kunſt noch nicht zufrieden, ſo im Leſen als
im Schreiben
Die Gedanken zu verkoͤrpern; fand die guͤtige Natur,
Uns zum Nutzen und Ergetzen, annoch eine neue Spuhr,
Jhre Guͤte gegen uns weit- und hoͤher noch zu treiben.
Da wir, ſonder Muͤhe nicht, auch nicht ohne Zeit, erſt
leſen,
Was desjenigen, der ſchrieb, Zweck und Abſicht ſey
geweſen;
Schenkt ſie uns die Mahlerey:
Wo wir, ſonder tiefes Denken, ohne Muͤh, durch bloßes
Sehen,
Was des Kuͤnſtlers Geiſt gedacht, was ſein Zweck
geweſen ſey,
Jn der groͤßten Deutlichkeit, gleich im Augenblick, ver-
ſtehen.
Sprich dann, edler Ridinger, ob nicht unſrer Dich-
terey,
Deines Griff- und Pinſels Werk, billig vorzuziehen ſey?
Die
Die Sprache der Natur.
Das Welt-Buch muß der Menſch ſtudieren.
Dieß ſchrieb des Schoͤpfers Wunder-Hand.
Er ſchenkt uns Sinnen und Verſtand,
Daß uns der Jnhalt koͤnnte ruͤhren,
Und uns auf Sein Erkenntniß fuͤhren.
Der Jnhalt iſt der Unterricht:
Euch zeigt Mein Werk, daß Jch gewollt,
Daß ihr Mein Daſeyn wiſſen ſollt.
Ein mehrers brauchen wir hier nicht.
Doch merket, wie der Menſch es macht!
Was Gott, und zwar fuͤr ihn, geſchrieben,
Laͤßt er, von ſeinen eignen Trieben
Verfuͤhret, ſtraͤflich aus der Acht.
Er braucht, er nuͤtzt, er lieſt es nicht;
Er glaubt, was Paul und Peter ſpricht:
Die ſagen nichts von Gottes Werken;
Noch, daß Er darinn ſichtbarlich
Zu ſehn, zu ſpuͤhren, zu bemerken.
Ein jeder ſchreibt ſein Buch fuͤr ſich.
Sie ſehn nicht, was ſie ſollen ſehen:
Nicht Gott, in Seiner Werke Zier;
Sie ziehn, die eigenen Jdeen,
Des ſchoͤnen Welt-Buchs Jnhalt fuͤr.
Jhr Hirn-Geſpinnſt iſts ganz allein,
Womit ſie hier beſchaͤfftigt ſeyn:
Man lehrt, mit Zanken und Geſchrey,
Nicht, daß ein Gott; nein, was Er ſey.
Was
Die Sprache der Natur.
Was Gott ſchreibt, das muß allgemein;
Muß allen denen leſerlich,
Fuͤr die Er es geſchrieben, ſeyn.
Es kennt ſo gleich der Geiſt fuͤr ſich
Das, was er, durch die Sinnen, kennet.
Das Wiſſen iſt recht wunderbar,
Das Gott uns, durch die Sinnen, goͤnnet.
Die Wiſſenſchaft iſt allen klar;
Kein metaphyſiſches Studieren,
Kein tiefes Gruͤbeln, braucht es hier:
Der Bauer kann ſo gut, als wir,
Was ſeine Sinnen ruͤhret, ſpuͤhren.
Es iſt kein Kraut, kein Gras, ſo klein,
Kein Bluͤhmchen, und kein Laub, ſo zart,
So winzig iſt kein Staub, kein Stein,
Es kann des Schoͤpfers Zeuge ſeyn.
Es zeigt nicht Seine Macht allein,
Und Seiner weiſen Liebe Schein;
Es zeigt ſelbſt Seine Gegenwart:
Jndem Er es, zuſamt der Welt,
Nicht nur erſchuff; auch noch erhaͤlt.
Die Sonne, die am Himmel flammet,
Aus welcher, was uns auf der Welt
Ernaͤhret, nuͤtzet und gefaͤllt,
Unwiderſprechlich quillt und ſtammet,
Zeigt, in dem Nutzen und der Pracht,
Wie herrlich Der, Der ſie gemacht.
8 Theil. F fWenn
Die Sprache der Natur.
Wenn wir, auf dieſe Weiſe, ſehn;
Wird aller Eigenduͤnkel ſchwinden:
Wir werden gruͤndlicher verſtehn
Jn dem, was von Jhm Selbſt geſchehn,
Und in dem Welt-Buch klaͤrer leſen
Sein Daſeyn und Sein Goͤttlichs Weſen,
Als wirs in allen Buͤchern finden.
Wenn wir nun davon uͤberfuͤhrt;
So werden Seine Herrlichkeiten
Uns erſtlich zur Bewundrung leiten,
Worinn man ſich, in Jhm, verliert:
Wir werden, in Jhm, froͤhlich werden.
Dieß iſt, von Dienſten auf der Erden,
Der beſte Dienſt, der Jhm gebuͤhrt.
Naͤchſt dieſem wird es unſern Seelen
So dann an dem Begriff nicht fehlen,
Und an der Wiſſenſchaft, daß man
Dem Schoͤpfer nichts vergelten kann;
Da finden ſich ſo dann die Triebe
Zu einer wahren Naͤchſten-Liebe.
Wir kommen dadurch auf die Spuhr:
Daß, da er Gottes Creatur
Sowohl, als wir; der Schoͤpfer wolle,
Daß man, in ihm, Jhn lieben ſolle.
Dieß iſt die Stimme der Natur,
Die wir an allen Orten hoͤren;
Dieß ſind des Welt-Buchs weiſe Lehren,
Die wir an allen Orten ſehn,
Und uͤberall geſchrieben ſtehn.
Laßt
Die Sprache der Natur.
Laßt uns das Welt-Buch dann ſtudieren;
Doch nach der Ordnung dieſer Zeit:
“Wir ſollen hier nur buchſtabieren;
“Das Leſen lehrt die Ewigkeit.
Es ſtimmt, von allen unſern Schluͤſſen,
Der beſte, dieſer Wahrheit bey:
“Der Menſch ſoll, hier auf Erden, wiſſen,
“Nicht, was Gott ſey; nein, daß Er ſey.
F f 2Gleich
Gleichniß von der Zweyſeitigkeit
aller Dinge.
Jn einer Oper ſah ich einſt ein Paar Schnee-weiſſer
Maſquen kommen,
Mit ſanftem Schritt; ſie hatten ſich einander bey der
Hand genommen:
Sie tanzeten mit leichtem Fuß; ſie ſchienen ungemein
vergnuͤgt,
Und recht, als haͤtte Fried’ und Eintracht ſie ſich einan-
der zugefuͤgt.
Jnzwiſchen drehete ſich eine, als wie von ungefehr,
heruͤm;
Da war ſie ſchwarz, wie Pech und Kohlen. Die andre
hatt’ es kaum geſehn;
So ſchiene ſie darob erſtaunt, und in Verwunderung
zu ſtehn:
Allein, kaum wendete ſie ſich; ſo war ſie ja ſo ſchwarz,
ſo ſchlimm,
So daß die erſte, durch den Anblick, denſelben Schrecken
jetzt verſpuͤhrte,
Den jene, durch der erſtern Schwaͤrze gewirket, kurz
vorhero ruͤhrte.
Sie merkten endlich alle beyde, daß ſie, an Weiß-
und Schwaͤrze, reich,
An gut- und boͤſen Eigenſchaften einander faſt vollkom-
men gleich.
Daruͤber ſchienen ſie zuletzt ſich mit einander zu vergleichen.
Man ſahe ſie, mit neuer Freundſchaft, einander ſich
die Haͤnde reichen,
Und
Von der Zweyſeitigkeit aller Dinge.
Und froͤhlich huͤpfen, tanzen, ſpringen; bald vorn, bald
ſeitenwaͤrts, ſich drehn:
Sie lieſſen bald die ſchwarze Seite, und bald die weiſſe
wieder, ſehn.
Jch dachte dieſem Handel nach; und fiel, bey die-
ſem Spiel, mir bey:
“Wie es, in unſrer ganzen Welt, nicht anders faſt
beſtellet ſey.
“Es hat ein jedes Ding zwo Seiten: halb iſt es haͤß-
lich, und halb ſchoͤn.
“Wer klug iſt, ſuchet ſtets von ſich die weiſſe Seite
vorzudrehn.
“Wenn wir nun recht vernuͤnftig waͤren; ſo muͤßten
wir uns auch bemuͤhen,
“Von allen Gegenwuͤrfen ſtets die beſte Seite vorzu-
ziehen:
“Weil, da doch nichts hier voͤllig weiß, wir, wenigſtens
mit groͤßern Freuden,
“Am Naͤchſten uns vergnuͤgen koͤnnten, und unſer Aug’
am Weiſſen weiden.
F f 3Die
Die Suppe.
Von ſeiner Tafel ſandt’ Amintas einſt an drey un-
terſchiedne Kranken,
Zum Labſal, angewuͤrzte Suppen, ſo niedlich, als es
moͤglich war.
Nun nahmen ſie dieſelbe zwar:
Doch, weil ſie von verſchiednem Geiſt, und ganz ver-
ſchiedenen Gedanken;
So nahm der erſte ſeine Schaale, und ſoffe ſie, als wie
ein Schwein,
Ohn’ etwas, was daran, zu koſten, in einem ſtarken
Zug’, hinein.
Der andre ſah die Schuͤſſel an, durchſuchte alles,
nahm die Stuͤcken;
Beſahe Wurzeln, Kraͤuter, Fleiſch: beſah, mit aufmerk-
ſamen Blicken,
Ein jedes Koͤrnchen vom Gewuͤrze; bemuͤhete ſich, das
Gewicht,
Und das Verhaͤltniß, auszufinden. Jndem er nun
von allen ſpricht,
Der Waͤrterinn gelehrt erklaͤrt, wo Jngber und der
Pfeffer wachſen,
Jn Java naͤmlich, und der Kuͤmmel an manchem Ort,
und auch in Sachſen;
Da war die ſchoͤne Suppe kalt, und zum Genuß nicht
ferner nuͤtz.
Und kurz darauf befiel, aufs neue, ihn ſeines wilden
Fiebers Hitz.
Der
Die Suppe.
Der dritte nahm, mit frohem Muth, die ihm geſandte
Schuͤſſel an,
Genoß und koſtete dieſelbe; empfand, was man daran
gethan;
Verband ſein Denken mit der Zunge: fand eine ſchoͤne
Harmonie
Jn den ſo wohl gemengten Theilen; vergnuͤgte ſich,
indem er ſie,
Mit Luſt, bedachtſam niederſchluckte, und dankte, faſt
bey jedem Biſſen,
Dem Geber, welcher ihn erquickt. Nun moͤcht’ ich wohl
die Meynung wiſſen
Von denen, welche dieſe Nachricht, mit einigem Be-
dacht, geleſen,
Ob das Betragen von dem Letzten nicht das vernuͤnf-
tigſte geweſen?
“Wie vielen werden, von dem Schoͤpfer, dergleichen
Suppen nicht geſchenkt!
“Wie ſelten findet ſich ein Menſch, der, wie der dritte,
ſpeiſt und denkt!
F f 4Beweg-
Beweg-Gruͤnde,
weswegen ein vernuͤnftiger Gebrauch
unſerer Sinnen, in Betrachtung
Goͤttlicher Werke, nicht zu
verſaͤumen.
Das, was wir eigentlich (wenn wir nur Ernſt dazu
gebrauchen wollten)
Jn unſern Maͤchten haben ſollten,
Sind unſere Gedanken ja: Sie ſind ja Kinder unſrer
Seelen.
Wir koͤnnen, fuͤr ſie, Vor- und Gegenwuͤrfe waͤhlen,
Aus ſo viel Dingen auf der Welt,
Von faſt unzaͤhlichen Geſtalten:
Es ſteht in unſrer Macht, dabey uns aufzuhalten,
So lang’ es uns gefaͤllt;
Wir koͤnnen, durch ein achtſam Ueberlegen,
Derſelben Farben und Figur,
Kraͤft’, Eigenſchaften und Natur,
Bewundern, und mit Luſt bewegen.
Was hindert uns, dabey nicht ſtill zu ſtehn,
Und ſie, mit Achtſamkeit zu hoͤren und zu ſehn?
Zumal wir, dadurch, nicht nur manche Luſt empfinden;
Nein, da wir Gott ſo gar, in ihren Wundern, finden.
“Wollt ihr, in dieſer Welt, in Gott vergnuͤget ſeyn;
“Wollt ihr euch Seiner Macht und Lieb’ und Weisheit
freun;
“Wollt
Nothwend. u. vernuͤnftiger Gebrauch der Sinne.
“Wollt ihr, im Jrdiſchen, den Schoͤpfer liebgewinnen,
“Auch Jhn, in Seinem Werk, erhoͤhen: ſo vermaͤhlt
“Vernuͤnftige Gedanken mit den Sinnen.
“Wo dieſes nicht geſchicht; ſo wird der Zweck verfehlt,
“Zu welchem ihr gemacht. Jhr habt nicht Geiſt allein;
“Jhr habt, ein Geiſt, mit Fleiſch verbunden, ſollen ſeyn.
“Durchs Fleiſch kann unſer Geiſt allein, von Gottes
Werken,
“Die koͤrperlich, ihr Daſeyn merken.
“Ohn dieſes Werkzeug kann das, was durch Gott
geſchehn,
“Die Seele nimmermehr verſtehn;
“Ja nicht einmal begreifen, und erweiſen,
“Daß eine Gottheit ſey, noch weniger Sie preiſen.
F f 5Das
Das lehrende Kerzen-Licht.
Mir ſtrahlte juͤngſt ein Kerzen-Licht,
Jm Dunklen, ploͤtzlich ins Geſicht.
Es traff deſſelben Glanz und Schein
Nicht meines Koͤrpers Aug’ allein;
Mein Geiſt ward ebenfals geruͤhrt,
Und, durch deſſelben helle Klarheit,
Zu einer unleugbaren Wahrheit,
Auf einen neuen Weg, gefuͤhrt.
Jch dachte: “Koͤmmt die helle Gluht,
“Die ſolche Wunder bey uns thut,
“Vielleicht von einem Ungefehr,
“Und alſo von ſich ſelber, her?
“O nein! ſie hat der Menſchen Hand,
“Und einen menſchlichen Verſtand,
“Zur Urſach’ und zu ihrem Grunde:
“Der eine ſolche Kunſt erfunde,
“Daß man, aus Jnſchlitt, Wachs und Dacht,
“So nutzbar, in der dunklen Nacht,
“Uns eine kleine Sonne macht.
“Wie kann es dann doch moͤglich ſeyn,
“Daß man der Sonnen Wunder-Schein,
“Das ungemeßne Licht-Gefaͤße,
“Von ſolcher Ordnung, Pracht und Groͤße,
“Das Leben, Aug’ und Schmuck der Welt,
“Von ungefehr entſtanden haͤlt?
“Dieß waͤr, von ihrer Kraft und Pracht,
“Weit aͤrger, als ein Vieh, gedacht.
“Wo
Das lehrende Kerzen-Licht.
“Wo Abſicht, Ordnung, Nutz, vorhanden;
“Jſt nichts von ungefehr entſtanden:
“Es muß ein weiſer Geiſt allein
“Die Urquell’ aller Ordnung ſeyn.
“Und alſo, nebſt viel tauſend Gruͤnden,
“Die ſich in der Natur befinden,
“Macht uns ein Kerzen-Licht ſo gar
“Der Sonnen Schoͤpfer offenbar.
Anhang.
Die Sonne zeiget ihre Kraft und helle Strahlen
nicht ſo ſehr
Der, durch ihr helles Lebens-Licht, erwaͤrmten und
beſtrahlten Erden,
Als, durch dieſelbige, vielmehr,
Von ihrem wunderbaren Schoͤpfer, die Macht,
die Weisheit, Lieb’ und Ehr
Beſtaͤndig offenbahret werden.
Menſch-
Menſchliche Unwiſſenheit,
im Buche der Natur zu leſen.
Cœcutus ging zum Brillen-Macher, um eine Brill
ihm zu erkaufen.
Er nahm verſchiedene derſelben aus einem aufgethuͤrmten
Haufen,
Setzt’ eine nach der andern auf, verſucht’, an ein ge-
druckt Papier,
Die Guͤte des geſchliffnen Werkzeugs; allein, er aͤrgerte
ſich ſchier,
Als er kein’ einzige gerecht fuͤr ſich und ſeine Augen fand.
Bald legt’ er die, bald jene, nieder; nahm eine andere
zur Hand,
Bis er ſie alle faſt probiert. Drauf fing der Brillen-
Macher an:
Mein Freund, ihr koͤnnt vielleicht nicht leſen. Darum,
daß ich nicht leſen kann,
Sprach jener, kauf’ ich eine Brille. Denn, haͤtt’ ich
ein ſo gut Geſicht;
Gebraucht’ ich eurer Brillen nicht.
Wie laͤcherlich nun dieſer Schluß;
So gab er mir zum ernſten Denken doch Anlaß; wel-
ches ich denn hier,
Geliebter Leſer! gleichfals dir,
Wiewohl betruͤbt, entdecken muß.
“Wir alle ſind Cœcutus gleich. Wer hat, im Buche
der Natur
“Zu leſen, jemals wohl gelernt? Man hat ja kaum
einmal die Spuhr
“Der
Menſchliche Unwiſſenheit im Buche der Natur.
“Der ſchoͤnen Lettern angeſehn, viel minder darinn buch-
ſtabiert,
“Noch weniger darinn ſtudiert,
“Den Jnhalt, der der wahre Gott, in ſeinen großen
Wunder-Werken,
“Die dieſes Buches Lettern ſind, zu uͤberlegen, zu be-
merken;
“Und meynen doch, die weiſe Schrift, und den darinn
verborgnen Schein,
“Durch unſrer Augen Brillen bloß, zu leſen, ſchon ge-
ſchickt zu ſeyn.
“Wahrhaftig, es ſind unſer’ Augen, wenn unſer Geiſt
nicht leſen kann,
“Nichts, als ein bloßes Brillen-Glas. Wir ſehn den
Kreis der Erden an,
“Als einer, der nicht lieſt, ein Buch; obgleich, in deſ-
ſen klugen Zuͤgen,
“Der allertiefſten Weisheit Schaͤtze enthalten, und ver-
borgen liegen.
Stunden
Stunden-Betrachtungen.
Obgleich die Zeit, von der Natur, in Tag und Nacht,
und von uns, in Stunden, eingetheilet wird; ſo befin-
den wir jedoch, daß dadurch eine langweilige Einfoͤr-
migkeit bey uns ſich nicht unterbreche. Wir ver-
bringen unſere Dauer in einem ungefuͤhlten Zug.
Jndem wir nicht daran gedenken; bemerken wir kaum,
daß wir ſeyn, wenn wir uns in guten Umſtaͤnden
befinden: und, in verdrießlichen, werden wir, in einer
nicht unterbrochenen bittern Stille, gleichſam als in
einem ſchwehren Schlaf, und wie in einem ſchleichen-
den Drang eines Strohms, fortgezogen. Jnſon-
derheit empfinden wir eine verdrießliche lange Weile,
bey ſchlafloſen Naͤchten. Dieſe beſchwehrliche Lang-
wierigkeit nun nicht allein zu unterbrechen; ſondern
auch zugleich, (nebſt einer vernuͤnftigen Erinnerung
unſers Daſeyns) in guten Zeiten, unſer Vergnuͤgen
zu vermehren; in kranken und betruͤbten aber, durch
erbauliche Betrachtung: daß wir, bey jeder Stunde,
dem Ende unſerer beſchwehrlichen Umſtaͤnde, und
dem Anfange einer ewig daurenden Gluͤckſeligkeit, uns
naͤhern; habe ich nicht undienlich erachtet, folgende
Stunden-Betrachtungen anzuſtellen.
1.
Jetzt ſchlaͤgt es Ein. Laß dieſe Zahl,
Die aller Zahlen Grund allein,
Geruͤhrtes Herz! dir allemal
Der großen Einheit Denk-Bild ſeyn,
Aus welcher alles, was vorhanden,
Der Welt und Sonnen Heer’, entſtanden.
2. Es
Stunden-Betrachtungen.
2.
Es ſchlug jetzt Zwey. Die Zeiten eilen.
Erwege Zeit und Ewigkeit!
Du ſelbſt beſtehſt aus zweyen Theilen:
Du biſt aus Seel’ und Leib bereit.
Quaͤlt etwa dieſes hier ein Leid;
Die Ewigkeit wird alles heilen.
3.
Drey ſchlug es. Jch erweg hiebey,
Zu meinem Troſt, ein heilges Drey:
Und, daß der Schoͤpfer aller Welt,
Der ſie erſchuff, regiert, erhaͤlt,
Allmaͤchtig, weiſ’ und liebreich ſey.
4.
Jetzt ſchlug es Vier. Vier Jahres-Zeiten
Bezeichnen unſre Lebens-Zeit:
Die all’, in reger Fluͤchtigkeit,
Nebſt uns, beſtaͤndig vorwaͤrts gleiten;
Bis daß dereinſt ein ſtetes Heut,
Ein ewger Fruͤhling, uns erfreut.
5.
Da es nunmehro Fuͤnfe ſchlug;
Erweg’ ich, und zwar wohl mit Fug,
Der herrlichen fuͤnf Sinnen Gaben,
Wodurch der Geiſt die Welt empfindet,
Wodurch ihn Gott mit Koͤrpern bindet,
Und wir ſo viel Vergnuͤgen haben.
6. Schon
Stunden-Betrachtungen.
6.
Schon Sechs! Von vier und zwanzig Stunden,
Worein die Tages-Zeit getheilt,
Jſt ſchon der vierte Theil verſchwunden.
Da auf der Welt nun nichts verweilt,
Sich alles aͤndert, wechſelt, eilt;
So laßt uns, bis er eingetroffen,
Den letzt- und beſten Wechſel hoffen.
7.
So eben ſchlug der Seiger Sieben,
Die man die heilge Zahl ſonſt heißt.
Ach wuͤrd jetzt, mehr als ſonſt, mein Geiſt,
Der Gottheit allgemeines Lieben,
Das ſich in allen Dingen weiſt,
Doch zu bewundern, angetrieben!
8.
Die Glocke ſchlug jetzt eben Acht.
Mein Herze, nimm des Schoͤpfers Macht,
Die alle Ding’ hervorgebracht,
Jn Seiner ſchoͤnen Werke Pracht,
Jn dieſer Stunde, mit Bedacht,
Mit Andacht, und mit Luſt, in Acht!
9.
Die neue Stunde tritt herein,
Sie iſt ſchon da, es ſchlaͤget Neun.
Moͤcht jetzt des Schoͤpfers Weisheits-Schein
Doch etwas mehr, als insgemein,
Ein Vorwurf unſers Denkens ſeyn!
10. Jetzt
Stunden-Betrachtungen.
10.
Jetzt hat es eben Zehn geſchlagen.
Biſt du befreyt von Pein und Plagen;
So danke Gott. Druͤckt dich ein Leid;
So denke: daß ſelbſt unſrer Zeit
Unauf haltbare Fluͤchtigkeit,
Von deinem Kummer und Verdruß,
Stets etwas mit ſich nehmen muß.
11.
Schon eine Stunde wieder hin,
Ob ich ihr Fliehn gleich nicht empfunde.
Eilf ſchlug es: und die letzte Stunde
Beginnt bereits. Moͤcht’ unſer Sinn
Sich zu den ſelgen Ewigkeiten,
Dem Schluß von unſrer Zeit, bereiten!
12.
Des Tages letzte Stunde ſchlaͤgt.
Wie gluͤcklich, wer dabey erwegt,
Daß, auch von unſern Lebens-Tagen,
Die letzte Stund’ einſt werde ſchlagen;
Und wer, befreyt von Gram und Sorgen,
Mit zuverſichtlichem Gemuͤth,
Dem kuͤnftig-ewgen Freuden-Morgen,
Den Gott verſpricht, entgegen ſieht!
8 Theil. G gWeil
Stunden-Betrachtungen.
Weil alle dieſe Betrachtungen auf die Nacht- und
Tages-Stunden ſich ſchicken, auſſer die eilfte und
zwoͤlfte; ſo ſind, beyde folgende, des Tages zu ge-
brauchen.
11.
Dieß war der eilfte Seiger-Schlag.
Gieb, Herr! daß ich bedenken mag,
Wie, ſelbſt aus Arbeit und aus Muͤhe,
Der Menſch ſo Luſt als Segen ziehe.
Es iſt des Menſchen Gluͤck allein,
Bey ſeiner Arbeit froͤhlich ſeyn. Pred. Sal. 3, 22.
12.
Jetzt ſchlug es Zwoͤlf. Die Mittags-Zeit,
Worinn uns Gott, in unſerm Leben,
So reichlich Speiſ’ und Trank wird geben,
Zum Nutz, zur Luſt; iſt nicht mehr weit.
Ach moͤchten wir die Gab’ ermeſſen,
Und ſo, zu Gottes Ehren, eſſen! 1 Corinth. 10, 31. Jhr eſſet, oder trinket,
oder was ihr thut, ſo thut es alles zu Got-
tes Ehren.
Beſſere
Beſſere
Anwendung unſerer Seelen-Kraͤfte.
Bey ungezaͤhlten leiblichen und ungezaͤhlten Seelen-
Gaben,
Die wir, von Gottes weiſer Liebe, zum Vorzug vor den
Thieren, haben,
Jſt dieß vor andern hoch zu ſchaͤtzen:
“Daß wir uns, auf der Welt, nicht nur am Gegen-
waͤrtigen ergetzen,
“Uns laben und vergnuͤgen koͤnnen: Man kann an
dem auch, was vergangen,
“Durch das Gedaͤchtniß; und, durch Hoffnung,
an dem, was noch nicht angefangen,
“Der Seelen ein Vergnuͤgen ſchaffen.„ Wir aber
brauchen dieſe Kraͤfte,
Statt uns zu nuͤtzen, uns zu plagen. Wir rauben,
durch Unachtſamkeit,
Uns ſelbſt, das gegenwaͤrtge Gute. Des Guten
der vergangnen Zeit
Erinnern wir uns, uns zur Plage: Wir graͤmen uns,
daß es dahin;
Da der genoſſene Beſitz, verfuͤhr man billig; unſerm Sinn
Doch einen Troſt ertheilen muͤßte. Die Hoffnung fuͤr
ein kuͤnftigs Gut
Wird von der bittern Furcht verſchlungen. Da es nun
auf uns ſelbſt beruht,
Uns zu vergnuͤgen und zu plagen; wuͤrd’ unſer Gluͤck
dann nicht vergroͤßert,
Wenn man, durch ein vernuͤnftigs Denken, die Kraft
der Phantaſey verbeſſert?
G g 2Und,
Beſſere Anwendung unſerer Seelen-Kraͤfte.
Und, da die Dinge dieſer Welt,
Fuͤr uns, ſo ſehr nicht, was ſie ſind, als das ſind, wozu
man ſie macht,
Und wie man ſie ſich vorgeſtellt;
So ſey man kuͤnftig doch bedacht,
Sich das von ihnen vorzuſtellen, was unſer Wohl
vermehren kann,
Und ſehe nicht ein jedes Ding, von ſeiner ſchlimmen
Seiten, an.
“Laßt, fuͤr das gegenwaͤrtge Gut, euch die Ge-
wohnheit nicht verblenden.
“Erweget ihr, daß ihr es habt; ſo habt ihr euer Gluͤck
in Haͤnden:
“Sonſt habt ihrs, da ihrs habet, nicht. Bey dem
vergangnen Guten, denkt:
“Daß ihr es in der That beſeſſen. Hat etwan euch
ein Leid gekraͤnkt,
“Und es iſt weg und uͤbergangen; ſo freuet euch, daß
es vorbey.
“Vom kuͤnftgen Guten hofft und glaubt, von uͤber-
fluͤßgen Sorgen frey,
“Daß, wenns euch nuͤtzt, das große Weſen, es euch
zu geben, maͤchtig ſey.
“Gebrauchten wir der Seelen Kraͤft’ auf dieſe Weiſ’,
auf dieſer Erden;
“Wir wuͤrden, wo nicht ganz begluͤckt, doch wenigſtens
begluͤckter, werden.
Die
Die abgewandte Gefahr.
Wenn ein von uns gewendet Ungluͤck, mit Recht,
ein wahres Gluͤck zu nennen;
So werd’ ich mich, mit hoͤchſtem Fug, aufs neu begluͤcket
heiſſen koͤnnen.
Da eine nicht vorher zu ſehnde, nicht vorzubeugende
Gefahr,
Sowohl mir ſelbſt, als meinen Kindern, ſo nah, und
kaum vermeidlich, war;
So hat ſie uns doch nicht betroffen. Jch ſehe dieſe
Wohlthat an,
Als eine Gnade, die ich Gott, durch Dank, nicht gnug
verdanken kann.
Damit ich, wie ſo vieles Gute, auch dieſes nicht
vergeſſen moͤge;
So wird mein Leſer mir vergoͤnnen, daß ichs auch ihm
vor Augen lege:
Zur ſtetigen Erinnerung, damit auch er ſein Gluͤck ermeſſe,
Bey auch von ihm vermiednem Ungluͤck, und auch des
Dankens nicht vergeſſe.
Jn dem von mir bewohnten Zimmer fiel der gegipſte
Boden ein;
Durch deſſen Laſt, da er ſo dick, und ja ſo ſchwehr, als
wie ein Stein,
Der Stuhl, der Sitz von meiner Tochter, zertruͤmmert
ward und abgeſchlagen.
Der ganze Boden war bedeckt mit großen Stuͤcken
Schutt und Graus;
Die ganze Stube ſah zerſtoͤret und gleichſam ruiniret aus,
Als ich, erſtaunt, in ſelbe trat. Wie glaublich, war
mein erſtes Fragen:
G g 3Ob
Die abgewandte Gefahr.
Ob keinen dieſer Fall betroffen? Zur frohen Antwort
hoͤrt’ ich: Nein;
Und ferner: Daß die juͤngſten Kinder, die in der Stunde
ſchreiben lernen,
Dadurch Gelegenheit gefunden, von der Gefahr ſich
zu entfernen,
Da ſie, in einer andern Stube zu ſchreiben, angewieſen
ſeyn,
Weil die zween aͤlteſten den Lehrer, in fremden Sprachen
ſich zu uͤben,
Zu gleicher Zeit vermuthet hatten; und der waͤr’ eben
ausgeblieben,
Zu ihrer aller groͤßtem Gluͤck. Wie mancher Umſtand
hat nicht muͤſſen,
Bey dieſem Fall, zuſammen laufen, daß ihr dem nahen
Tod’ entriſſen,
Und unverſehrt geblieben ſeyd! fing ich, halb bang, halb
froͤhlich, an.
Wer iſt, der eine weiſe Vorſicht, nach Wuͤrden, gnug
bewundern kann,
Die ſo geringe Mittel braucht, und in Gefahr ſo leicht
uns ſchuͤtzt!
Wie leicht haͤtt’ ich zerquetſchte Schaͤdel, den Boden
ganz mit Blut beſpruͤtzt-
Wie leicht erblaßte, Koͤrper finden; wie leicht, an einem
hier, die Knochen
Von Arm und Bein, am andern dort, den Kopf geſplit-
tert und gebrochen,
Voll
Die abgewandte Gefahr.
Voll Gram und Wehmuth, ſehen koͤnnen! Jetzt aber,
Gott ſey Dank dafuͤr!
Seyn wir geſund, uns fehlet nichts, und koͤnnen, un-
verſehret, ſehen,
Was uns, in ſolcher nahen Noth, von Gott, fuͤr Huͤlf’
und Heil geſchehen.
“Wir preiſen dann, fuͤr die Beſchirmung, Dich
unſern Gott, und danken Dir!
“Ach laß ein oͤfteres Erinnern, an Deinen Schutz,
uns innig ruͤhren,
“Und uns, Dein uns beſchirmend Aug’, auch kuͤnftig,
wie bisher, verſpuͤhren!
G g 4Der
Der Naͤchſte.
Dein Naͤchſter, lieber Menſch! iſt jeder, den Gott
auf dieſen Kreis der Welt,
Mit dir zugleich, hat hingeſtellt,
Daß ihr einander nuͤtzen ſolltet, gemeinſchaftlich euch
Seiner freun,
Und, in der ſuͤßen Leidenſchaft der Lieb’ und Freundſchaft,
froͤhlich ſeyn.
Nun ſteht euch frey, den edlen Zweck, zu welchem ihr
gemacht, zu waͤhlen;
Wie oder, ſtatt der Lieb’ und Freundſchaft, euch zu ver-
folgen und zu quaͤlen:
Euch an einander zu ergetzen; wie oder, ſo wie Hund
und Katzen,
Euch zu zerbeiſſen und zu kratzen.
Das
Das wahre Leben.
Wenn wir auf unſer ganzes Leben,
So wie wir ſollten, Achtung geben,
Mit rechtem Ernſt; ſo findet ſich:
Vom Leben komm’ uns eigentlich
Nur eine einzige Minute,
Zum Nutz, und in der That, zu gute.
Denn die Minute, die verſchwunden,
Jſt weg, gehoͤret uns nicht mehr;
Die kuͤnftge fehlt uns ja ſo ſehr,
Da ſie ſich noch nicht eingefunden.
Hieraus nun folget dieſe Lehr:
“Daß, da, von unſern Lebens-Theilen,
“Die alle fluͤchtig ſind und eilen,
“Die einzige Minut’ allein,
“Die gegenwaͤrtig, uns gehoͤret;
“Wir deſto mehr verpflichtet ſeyn,
“Wo uns kein Schmerz noch Gram beſchwehret;
“Dieſelbe froͤhlich zu gebrauchen: ſie ungenutzet
nicht vergehn,
“Und ungepruͤft verſchwinden laſſen. Es wird uns
die Erfahrung geben,
“Daß wir, wenn ſolches nicht geſchicht, ob wir gleich
leben, doch nicht leben:
“Geſchichts hingegen; daß wir leben, und Gott,
in unſrer Freud’, erhoͤhn.
G g 5Der
Der Punct.
Juͤngſt hatt’ ich einen Punct auf mein Papier gemacht:
Mein Aug’ erblickt’ ihn kaum. Mein Geiſt hatt’
aber Acht
Auf ſeine Kleinheit; ſonderlich
Auf ſeine faſt vollkommne Ruͤnde.
Die Ruͤnd’ und Kleinheit brachten mich
Zu einem abgezognen Denken.
Es fing mein Geiſt an, ſich ins Meer
Der dunklen Kleinheit zu verſenken:
Dieß kam mir gleichſam vor, als obs unendlich waͤr.
Denn, dacht ich, ich vermag ein Puͤnctchen, das
ſo klein,
Mir in Gedanken vorzuſtellen,
Daß, wenn man meinen Punct dagegen haͤlt,
Er, unſerm Kreis der Welt,
An Groͤße, gegen jenem, gleichet.
Wie fern, wie weit nun gleich das Ziel,
Wohin der Geiſt, im Kleinen, reichet;
So finden wir doch ja ſo viel
Bewundernswuͤrdiges, von ſeinen weiten Schranken,
Und wie ſo fern er ſich, im Großen, auch erſtreckt:
Worinn den forſchenden Gedanken
Ein Ziel ſo wenig ſcheint geſteckt;
Daß ich gar leicht den Kreis der Erden,
Durch die Vergleichung andrer Groͤßen
Jm Himmels-Raum, die nicht zu meſſen,
Zu
Der Punct.
Zu einem Punct, der meinem Puncte gleich,
Zu machen, mich geſchickt befinde.
Woraus ich mich, zu ſchlieſſen, unterwinde:
“Wie unſer Geiſt an Faͤhigkeit ſo reich;
“Auch, daß wir noch dadurch die Wahrheit mehr
erkennen:
“Nichts Endlichs ſey, fuͤr ſich, groß oder klein
zu nennen.
“Nur die Unendlichkeit der Gottheit bloß allein,
“Als unvergleichbar, kann groß, an ſich ſelber,
ſeyn.
Zwo
Zwo Seelen.
Zwo Seelen kamen auf die Welt. Sie waren Kinder,
wußten nichts;
Durch ihre Sinnen nahmen ſie allmaͤhlich an Erkennt-
niß zu.
Jhr Weſen ſchien, ſich zu entwickeln; genaͤhrt durch
Eſſen, Trank und Ruh.
Die eine ward, durch die Natur, durch alle Herrlichkeit
des Lichts,
Kurz, durch die Creatur geruͤhrt: genoß derſelben, war
vergnuͤget,
Und dankte Dem, Der ſie, fuͤr ſie, ſo weiſ’ und wun-
derbar gefuͤget;
Der ſie von tauſend Gegenwuͤrfen, und fuͤr der ganzen
Erde Pracht,
Durch manches Werkzeug ihrer Sinnen, zu ihrem Be-
ſten, ſinnlich macht.
Darauf verließ ſie ihren Leib. Die andre thate nichts
auf Erden,
Als Tag und Nacht ſich zu bemuͤhn, viel Geld zu ſamm-
len, reich zu werden;
Auf die Natur, auf ihre Schoͤnheit, auf ihres Schoͤpfers
Herrlichkeit,
Auf Seine Weisheit, Macht und Liebe, zu denken; hatte
ſie nicht Zeit.
Zuletzt verließ auch ſie die Welt. “Bey deinem Schei-
den, liebſte Seele!
“Sprich: welcher wollteſt du, von beyden, hier wohl
geglichen haben? Waͤhle!
Noth-
Nothwendigkeit,
unſere Vorſtellungen wohl ein-
zurichten.
Es haͤnget von dem Menſchen ab, um, mehrentheils
in allen Sachen,
Des Lebens Zufaͤll’ insgeſammt willkuͤhrlich boͤſ’ und gut
zu machen.
Des Geiſts und der Jdeen Zuſtand verurſacht und be-
ſtimmt allein
Den eigentlichen Wehrt der Dinge, und macht, fuͤr uns,
das, was ſie ſeyn.
Die Art, ſo wie wir ſie empfangen; die Form, die ſie,
im Herzen, nehmen;
Die Farben, die ſie da erhalten: macht eigentlich ihr
Weſen aus.
“Ach! laßt uns dann doch, die Jdeen zu recht zu
bringen, uns bequemen:
“Denn unſer ganzes Gluͤck und Ungluͤck, in dieſem Le-
ben, folgt daraus.
Allein, wie iſt dieß anzufangen? Bey einem jeden
Zufall denke:
(1) Ein Weſen ſey, das alles lenke;
Daß nichts von ungefehr geſchicht: (2) Daß dir
wohl eh, was ſchlimm geſchienen,
Dennoch, wie du es oft erfahren, zum Beſten habe
muͤſſen dienen:
(3) Daß
Noͤthige u. anſtaͤndige Einrichtung unſ. Jdeen.
(3) Daß du ein Menſch, der nicht verdiene, daß
alles, wie er es verſehn,
Nach der von ihm gemachten Richtſchnur, dennoch
von ſtatten muͤſſe gehn:
(4) Und endlich auf das viele Gute, ſo dir von
Gott annoch gelaſſen;
So wirſt du dich, verſuch es nur, in allem Ungluͤck
leichter faſſen.
Der
Der unvernuͤnftige Menſch.
Der Menſch iſt ein vernuͤnftigs Thier.
Wer ſagt es? Wir.
Nun wohl! es ſey. So laßt dann ſehn,
Worinn die Proben der Vernunft, bey uns, denn eigent-
lich beſtehn?
Es zeigt und lehrt uns die Vernunft: “Daß wir
der Sinnen Schaͤtz’ und Gaben,
“Um, Gott zum Ruhm, die ſchoͤne Welt zu nuͤtzen,
uͤberkommen haben.
Es lehret die Vernunft uns weiter: “Daß die Ver-
nunft, bey dem Genuß,
“Gebraucht ſeyn, und nicht fehlen muß;
“Weil Sehn und Hoͤren, ohn Erwegen, ein thieriſch
Sehn, ein viehiſch Hoͤren.
Nun mag uns die Erfahrung lehren:
Ob die ſo ſehr vernuͤnftge Pflicht,
Von den ſich ſelbſt ſo nennenden vernuͤnftgen Buͤrgern
dieſer Erde,
Vernuͤnftig ausgerichtet werde?
“So lange dieſes nicht geſchicht,
“Und du, zu Deines Schoͤpfers Ruhm, nicht riecheſt,
hoͤreſt, ſchmeckſt und fuͤhleſt,
“Dir ſelbſt die dir gegoͤnnte Luſt, dem Geber Seine
Ehre, ſtiehleſt;
“Wie werden andre Weſen, Geiſter, und Engel, dich,
mit Fug, wohl koͤnnen
“Ein mit Vernunft begabtes Thier, wie du dich ſelber
nenneſt, nennen?
Das
Das wahre Leben.
Wir leben; aber welch ein Leben, wenn man nicht,
daß wir leben, denkt!
Jnzwiſchen, daß ſich unſre Zeit beſtaͤndig, wie ein Strohm,
verſenkt,
Wird man, mit eitlem Tand beſchaͤfftigt, kaum, daß
wir leben, einſt gewahr;
Und eh wir merken, daß wir leben, zeigt ſich bereits die
Todten-Baar.
Wir ſuchen Brodt, wir ſuchen Reichthum, wir ſtreben
nach dem Schmuck der Ehre,
Als wenn, geehrt und reich zu ſeyn, der Endzweck un-
ſers Daſeyns waͤre:
Da doch Natur, Vernunft und Schrift, nebſt unſern
Sinnen, unſerm Geiſt,
Jn einer allgemeinen Sprache, ganz einen andern End-
zweck weiſt.
Es predigt uns die ganze Welt den wahren Satz:
“Der Schoͤpfer wolle,
“Daß man, in Seinen Werken, Jhn bewundernd,
ſich vergnuͤgen ſolle.
“Zu dieſer Abſicht ſcheinet uns das Leben, auf der Welt,
gegeben.
“Zum Ruhm des Schoͤpfers ſich vergnuͤgen, das
iſt allein ein wahres Leben.
Gottes
Gottes Wort in Seinen Werken.
Wie kann ein Weſen, das vernuͤnftig, das Welt-
Gebaͤude doch verachten!
Wie kann ein Menſch ſich doch enthalten, als Gottes
Werk, es zu betrachten;
Da doch des Schoͤpfers wahres Weſen Sich, durch die
Sinnen, unſerm Geiſt,
Jn den von Jhm gewirkten Werken, als wie in einem
Spiegel, weiſt!
Dieß iſt das große Wunder-Buch, das Gott, von
Seiner Weisheit, Liebe
Und Allmacht uns zu uͤberzeugen, und zu belehren, Sel-
ber ſchriebe.
Der Jnhalt iſt die Gottheit Selbſt. Die ſchoͤn geform-
ten Creaturen
Sind, von der Schrift des großen Schreibers, die Let-
tern, Ziefern und Figuren.
Ja dieſes Buch iſt Gottes Wort: Gott ſprach es
Selbſt. Es hieß: “Es werde
“Das Licht, das Meer, und Erd’ und Himmel! Und
Licht, und Himmel, Meer und Erde,
“Entſtand, erſchien und war ſo fort.
Jſt dieſes dann nicht Gottes Wort?
Ja zeigt uns nicht die Bibel ſelbſt, ſamt der Vernunft
und der Erfahrung:
“Es ſey, von unſers Schoͤpfers Weſen, die Welt, die
erſte Offenbahrung?
8 Theil. H hDes
Des Schoͤpfers Herrlichkeit.
Der Unendlichkeiten Tiefe, Raum, und Ewigkeit,
und Zeit,
Sind erfuͤllt von Gottes Liebe, Majeſtaͤt und Herrlichkeit.
Millionen Welt- und Sonnen, die durch Jhn hervor-
gebracht,
Sind die Proben Seiner Weisheit, ſind die Zeugen
Seiner Macht.
Der Natur Buch giebt den Geiſtern, von des großen
Schoͤpfers Weſen,
Ein unwiderſprechlichs Zeugniß, in der Creatur, zu leſen.
“Es erzehlt ein Tag dem andern, und die Nacht dem
andern Morgen
“Der allgegenwaͤrtgen Gottheit uͤberall vorhandne
Spuhr.
“Koͤnnt’ ich doch von der Natur,
“Von dem Himmel, von den Sternen, und der Welt,
die Stimme borgen,
“Um Den wuͤrdig zu beſingen,
“Durch Den die Natur, der Himmel, Stern’ und
Welt’, ihr Seyn empfingen!
Die
Die Einheit des Schoͤpfers.
Der Prinz von Malva, der ein Heide, bemuͤhete ſich,
ſeine Lehre,
Als ob, ſtatt eines Einigen, von Goͤttern eine Vielheit waͤre;
Durch dieſe Gruͤnde, zu behaupten: “Daß unſer’
allgemeine Welt,
“Sprach er, ein’ ungezaͤhlte Zahl von Sonnen-Heeren
in ſich haͤlt;
“Jſt wahr, und nimmermehr zu leugnen: auch, daß
ein jede Sonn’ um ſich
“Verſchiedene Planeten lenke, in richtger Ordnung
um ſich fuͤhre,
“Erleuchte, ſchmuͤcke, fruchtbar mache, belebe, waͤrm’,
und ſie regiere;
“Jſt auch unwiderſprechlich wahr. Nun ſage mir, ich
bitte dich!
“Muß nicht das Reich von jeder Sonne ein eigenes
Syſtema ſeyn,
“Das mit den Reichen andrer Sonnen gar nichts
gemeinſchaftliches heget,
“Sie nicht beruͤhret, ſie nicht nuͤtzt, und von dem gar
zu fernen Schein
“Gar keine Wirkung fuͤhlt noch braucht? Wenn man
nun ferner noch erweget,
“Daß ihre zugehoͤrgen Theile nach ihrem Mittel-Punct
ſich lenken,
“Und, ſo wie wir, mit unſrer Luft, uns ſtets nach unſrer
Sonne ſenken,
“Sie ebenfals, wie unſre Koͤrper, nach ihrem einge-
ſenkten Drang,
“Sich auch zum Centro ſenken werden; wodurch dann
kein Zuſammenhang
H h 2“Mit
Die Einheit des Schoͤpfers.
“Mit andern Sonnen uns begreiflich: warum kann
jede Sonne nicht,
“Nebſt ihren planetarſchen Erden, fuͤr ſie beſonders
eingericht,
“Von einem eignen Gott geſchaffen, erhalten und
regieret ſeyn?
“Der Mangel des Zuſammenhangs, im großen Ganzen,
bloß allein,
“Giebt meiner Meynung das Gewicht:
“Der Raum von Millionen Meilen, der zwiſchen jedem
ſich befindet,
“Behindert ja, daß keine Sonne ſich mit der andern
je verbindet.
Jch ſtutzt’, ob dieſem Satz, ein wenig. Allein, ſo
bald ich mich beſann,
Erwiedert’ ich, mit ernſtem Laͤcheln: “Wie geht ein
ſolcher Schluß doch an,
“Der ſich auf keine Wahrheit gruͤndet? Die großen
Welt-Gebaͤude hangen,
“Unleugbar, unter ſich zuſammen. Jndem wir der
Geſtirne Prangen,
“Mit unſern Augen, ſehen koͤnnen, und wir, durch ihren
Wunder-Schein,
“Jhr helles Funkeln, Blitzen, Glaͤnzen, und lichte Herr-
lichkeit, geruͤhret,
“Durch die Bewundrung ihrer Ordnung und Groͤßen,
zu der Quell gefuͤhret,
“Von ihren Groͤßen, ihrer Ordnung, zum wahren Gott
geleitet ſeyn;
“So ſind ſie nicht fuͤr uns umſonſt. Ja, waͤre dieß
noch nicht genug;
“So
Die Einheit des Schoͤpfers.
“So faͤllt mir ein Beweisthum bey:
“Daß eine der entferntſten Sonnen, zugleich fuͤr uns,
erſchaffen ſey,
“Einfolglich ſich mit uns verbinde; da, ſonder ihren
ſteten Glanz,
“Der allergroͤßte Theil der Welt vor uns verborgen
waͤr’, und ganz
“So ungebraucht, als ungenuͤtzt, ſo lang die Welt ſteht,
bleiben muͤßte,
“Und man von dem Gebrauch des Meers und ſeinen
Jnſeln nichtes wuͤßte.
“Dieß iſt der Wunder-reiche Pol-Stern. Den ich nun
in weit groͤßrer Achtung,
“Wie vor, hinkuͤnftig halten werde;
“Weil er uns nicht nur, wie vorhin, durchs Meer,
zu einer neuen Erde
“Gewiſſe Wege zeigen kann; Er leitet uns, durch die
Betrachtung,
“Zur majeſtaͤtſchen Einheit Gottes. Das unbegreiflich-
tiefe Leere,
“Der Raum, der zwiſchen allen Sonnen, vermindert
nicht des Schoͤpfers Ehre:
“Ein richtiger Vernunft-Schluß zeigt, daß er dieſelbe
noch vermehre.
“Denn, daß er leer, iſt nicht erweislich.„ Mein
Gegner ſtutzt’ ob dieſem Satz:
Der Wahrheit, die unwiderſprechlich, gab er, nach ern-
ſtem Denken, Platz.
Zwar wollte ſich, von ſeinem Eifer, die Hitze noch nicht
voͤllig legen;
Doch ſprach er: “Was ich jetzt gehoͤrt, will ich, mit
mehrerm Ernſt, erwegen.Die Groͤße unſers Geiſtes,
aus
der Betrachtung Goͤttlicher Groͤße
auch im Kleinen.
Jndem ich neulich, voller Ehrfurcht, die uͤberall
durchſtrahlten Blicke,
Jn unſers Himmels dunkle Tiefe, die aber hell von Ster-
nen, ſchicke,
Den Grund- und Graͤnzen-loſen Raum, der Sternen
und der Sonnen Groͤße,
Bey ihrer ungezaͤhlten Menge, mit aufmerkſamen Blick,
ermeſſe;
Erſtaunt’ ich, als ich uͤberdachte, wie ſolch ein unge-
heurer Raum,
Worinn faſt alle Maße ſchwindet, und welcher den Ge-
danken kaum,
Ein Ziel zu finden, zugeſteht, daß, ſag’ ich, eine Tief’
und Breite,
Daß eine Graͤnzen-loſe Weite,
Die, Sonnen ſonder Zahl und Maße, in ihrem tiefen
Schooß enthaͤlt,
So unbegreifllich ſich verkleint, daß alles, durch den
Gang der Augen,
Jn unſerm innerſten Gehirn, in ein ſo kleines Puͤnctchen
faͤllt,
Daß wir die Kleinheit dieſes Puncts kaum mit dem Geiſt
zu faſſen taugen.
Welch
Die Groͤße unſers Geiſtes.
Welch ein bewundernswuͤrdigs Wunder, daß ſolche
koͤrperliche Groͤße
Jn ſolche koͤrperliche Kleinheit ſich ſenken, ſich verſchraͤn-
ken kann!
Je mehr ich dieß erſtaunliche geheime Wunder-Werk
ermeſſe;
Je mehr treff ich, von Gottes Allmacht und Weisheit,
darinn, Proben an,
Nicht weniger von Seiner Liebe: da Er dieß Mittel
ausgefunden,
Und ſolche große Creaturen mit unſrer Kleinheit hat
verbunden;
Da Er, durch unſrer Augen Spiegel, dem Geiſt der Men-
ſchen deutlich zeigt
Den Ausbruch Seiner weiſen Macht, der alles Denken
uͤberſteigt,
Worinn man Gott als Gott erkennt. All’ andre Werke
haben Schranken;
Hier aber ſchwinden alle Kraͤfte der ausgeſpannteſten
Gedanken:
Sie finden weder Maß noch Ende; ſie ſtocken, ſie ver-
lieren ſich,
Und ſehen, in dem weiten Raum der Ewigkeit, Herr!
nichts, als Dich.
Weil wir denn in der Gottheit Tiefen, uns ſelbſt ver-
lierend, uns verſenken;
So laßt uns wenigſtens die Kleinheit vom menſchlichen
Geſicht bedenken.
Wir finden ein ſo kleines Puͤnctchen, worein ſo manche
Sonn’ und Welt,
Worein zugleich der Raum des Himmels, der ſonder
Ziel und Graͤnzen, faͤllt;
H h 4Daß
Die Groͤße unſers Geiſtes.
Daß er den Augen ſelbſt nicht ſichtbar. Bey dieſer
Kleinheit faͤllt mir bey:
“Ob nicht, die unſichtbare Kleinheit des Geiſtes, noch
viel kleiner ſey?
“Ob nicht von dieſem kleinen Punct der Abſtand zu des
Geiſtes Schranken
“Vielleicht ſo groß, als wie der Abſtand des Aug-
Puncts von des Himmels Hoͤhn?
“Wie, oder ob vom kleinſten Koͤrper zum Geiſt, der
Quelle der Gedanken,
“Vielleicht kein Abſtand uͤberall, und gar kein Raum
ihm zuzuſtehn?
Hier ſcheinen, wie des Koͤrpers Augen, des Geiſtes
Augen zu erblinden:
Sie koͤnnen zwar was ſehr betraͤchtlichs, doch nichts
begreifliches, hier finden.
Doch, da der Geiſt in einem Bande mit ſeinem Leib
und Koͤrper ſteht;
So ſcheints, daß er, mit ſeinem Denken, noch nicht aus
ſeinem Schranken geht,
Wenn er ſich dennoch Schluͤſſ’ erlaubet,
Und Graͤnzen zwiſchen ihnen glaubet.
Es moͤgen nun dieſelbigen ſo unempfindlich, zart und
klein,
Ja wie ein mathematſcher Punct, und, waͤr’ es moͤglich,
kleiner ſeyn:
Doch, weil es meinem Blick zu tief, und ich es nicht
vermag zu faſſen;
Will ich es eines ſchaͤrfern Geiſts gepruͤftrer Meynung
uͤberlaſſen,
Und
Die Groͤße unſers Geiſtes.
Und mich daran allein begnuͤgen, “daß ich von Gottes
weiſer Macht,
“Die unermeßlich, wie im Großen, ſo auch im Kleinen,
was gedacht.
“Hiedurch ſieht unſer Geiſt zugleich ſich ſelbſt als etwas
Großes an;
“Weil er, durch unſers Schoͤpfers Gnade, von Gott,
was Großes denken kann.
H h 5Das
Das Metall.
Wer ſagt, daß nicht die Unter-Welt
Die obere beherrſcht, regieret?
Gab nicht der Erden Schooß, das Geld,
Das uͤberall den Zepter fuͤhret?
Was unſrer Erden Schlund gebar,
Das Erz, regiert die Zeit ſo gar.
Die Glocken heiſſen und befehlen,
Wenn wir bald dieß, bald jenes, thun:
Wenn wir erwachen, oder ruhn;
So muͤſſen wir die Glocken zaͤhlen.
Was uns um unſre Freyheit bringt,
Womit man uns beherrſcht und zwingt,
Sind Stuͤcke, Schwerter, und Piſtolen:
Den Stoff zu dieſem Mord-Gewehr
Giebt uns der Erden Jnnres her;
Man muß es aus der Tiefe hohlen.
Allein, was ſchmaͤhlen wir aufs Geld?
Was tadeln wir die Unter-Welt,
Daß ſie uns das Metall gewaͤhret?
Der Menſchen Bosheit bloß allein
Kann hier, nicht ſie, zu tadeln ſeyn,
Die den Gebrauch in Mißbrauch kehret;
Die, was die guͤtige Natur
Uns, im Metall, fuͤr Guts geſchenket,
Auf Ungluͤck und auf Plagen nur,
Zum allgemeinen Schaden, lenket.
“Erweget, was, in unſerm Leben,
“Fuͤr Gutes, durchs Metall, geſchicht!
“Das Boͤſe kann das Gute nicht,
“Und den Gebrauch kein Mißbrauch, heben.
Goͤtt-
Goͤttliche
Offenbahrung in den Werken.
Jn welcher Abſicht ſollte wohl der Schoͤpfer ſo viel
Wunder-Gaben,
Und Sinnen, ihrer zu genieſſen, und den erwegenden
Verſtand,
Auf dieſer Welt, hervorgebracht, und ſie in uns vereinet
haben,
Als bloß, daß Seine Weisheit, Macht und Liebe
von uns ſollt’ erkannt,
Gefuͤhlet, und geprieſen werden? Will man denn ſol-
chen heilgen Willen,
Der bloß auf unſer Wohl nur zielt, ihm widerſpaͤnnſtig,
nicht erfuͤllen;
So handeln wir der Pflicht entgegen, zu welcher wir
erſchaffen ſeyn,
Und ſuͤndigen, durch die Beraubung der Luſt, nicht gegen
uns allein;
Wir widerſtehn der Ordnung Gottes, und dem in uns
geſenkten Triebe,
Jn unſrer Freude, zur Bewundrung der Weisheit, All-
macht und der Liebe
Des Schoͤpfers, oft uns zu erhoͤhn;
Jn Seinen wunderbaren Werken,
Durch die uns zugefuͤgten Sinnen, Jhn zu erkennen,
Jhn zu ſehn,
Und, in der Weisheit, Macht und Liebe, Sein wahres
Weſen zu bemerken;
Uns
Goͤttliche Offenbahrung
Uns Seiner Guͤt’ und Huld zu freuen, Sein’ unum-
ſchraͤnkte Macht zu ehren,
Die tiefe Weisheit zu bewundern, und Sein unendlichs
Lob zu mehren.
Jn welchem viehiſchen Betragen, ich, gegen Gott, die
groͤßte Suͤnde,
Man ſag’ auch, was man will, dagegen, von allen
andern Suͤnden, finde.
Die allermeiſten andern Suͤnden betreffen unſern
Naͤchſten nur;
Hier ſuͤndigen wir gegen Gott. Die Suͤnde wider die
Natur
Jſt dieſer Suͤnde rechter Name. Ein viehiſch Laſter!
Doch, ein Vieh,
Jndem es die Vernunft nicht hat, und Gott nicht kennt,
begeht es nie.
“Wir haben die Vernunft bekommen, um einen
Schoͤpfer zu erkennen:
“Jn Seinen Werken zeigt Er Sich; Sein Weſen,
Weisheit, Lieb’ und Macht,
“Sein Daſeyn zeigt die Creatur. Daher wird man
ſie nicht nur koͤnnen;
“Man wird dieſelbe wirklich muͤſſen, die erſte Offen-
bahrung nennen.
“Es giebt ſie uns der Erden Schmuck; es giebt ſie uns
des Himmels Pracht,
“Jn einer hellen Schrift, zu leſen. Ein Gott hat uns
hervorgebracht!
“Ruft uns die Stimme der Natur, aus allen ihren Wer-
ken, zu.
“Die
in den Werken.
“Die Sinnen gebens unſrer Seele zu ſehn, zu fuͤhlen,
und zu ſchmecken;
“Und unſre Seele kann, in ſich, der Gottheit Gegen-
wart entdecken,
“Wenn ihre Kraft, zu uͤberlegen, ſich mit der ſinnlichen
verbindet,
“Als wodurch ſie, und zwar allein, den Schoͤpfer in
Geſchoͤpfen findet.
Genaue
Genaue
Unterſuchung unſerer Seelen.
Es ſcheinet, als ob unſre Seele
Sich, durch die kuͤnſtlichen Canaͤle
Der Sinnen, mit der Welt vermaͤhle.
Denn, ohne Sinnen, wuͤßten wir,
Von unſrer Erden Pracht und Zier,
Von Formen, Farben, Ordnung, Licht,
Von allem, das geringſte nicht.
“Ja, denk’ ich recht, die Seele koͤnnte,
“Wenn Gott ihr nicht die Sinnen goͤnnte,
“Sich ihrer ſelbſt ganz unbewußt,
“Daß ſie ein Weſen, ſelbſt nicht ſpuͤhren:
“Ja, ſollte ſie ſo gar die Gaben
“Der Sinnen, und die Werkzeug’, haben;
“So wuͤrde ſie dennoch nichts wiſſen,
“Und ſich ſelbſt unbekannt ſeyn muͤſſen,
“Wenn keine Gegenwuͤrfe waͤren,
“Die ihr, ſich, ſie, und Gott, erklaͤren.
Man ſtell ſich eine junge Seele ohn’ Haͤnde, ſon-
der Aug’ und Ohr,
Und, nebſt dem Mangel aller Vorwuͤrf’, auch ohne
Naſ’ und Zunge vor;
Wie iſt es moͤglich, daß Jdeen
Jn einer ſolchen Seel’ entſtehen?
Wie kann ſie, ohn’ Jdeen, denken?
Jhr
Genaue Unterſuchung unſerer Seelen.
Jhr fehlt nicht nur der Phantaſey; ihr fehlet des
Gedaͤchtniß Kraft,
Und, ohne Vorwuͤrf’, ohn’ Jdeen, der Ueberlegung
Eigenſchaft,
Die wir Vernunft zu nennen pflegen. “Es ſcheint
demnach, daß einer Seelen,
“Der Vorwuͤrf’, und die Sinne, fehlen,
“Der Seelen Name kaum gebuͤhr; daß ſie, mit ihnen,
durch die Zeit,
“Und durch Erfahrung, allererſt zur denkenden Be-
ſchaffenheit,
“Und ihrem Weſen, recht gelange: daß ſie ſich allge-
mach verbeßre;
“Daß, durch ein oftes Ueberlegen, die Kraft zu ſchlieſ-
ſen, ſich vergroͤßre:
“Daß ſie ſodann erſt richtig ſchlieſſe, wann ſie vom Jrr-
thum ſich entfernt;
“Und daß, durch oft gepruͤften Jrrthum, ſie ſich der
Wahrheit naͤhern lernt.
Durch ſolch ein Denken von der Seelen
Wird ihr dennoch kein Vorzug fehlen.
Denn, daß der Schoͤpfer haben wolle,
Daß ſie, durch Mittel ihrer Sinnen, und durch den
Gegenwurf der Welt,
Sich allgemach verbeſſern ſolle;
Dieß nimmt ihr nichts von ihrem Weſen. Vielmehr
bleibt dieſes feſtgeſtellt:
“Daß, wenn ſie ihre Pflicht beachtet,
“Den Schoͤpfer, im Genuß, bewundert, und, Gott
zum Ruhm, die Welt betrachtet,
“Sie
Genaue Unterſuchung unſerer Seelen.
“Sie ein vernuͤnftigs Weſen worden.„ Woraus
ihr ſelbſt der Troſt entſprieſſet,
Und ſie, von ihrer ewgen Dauer, aus dieſem Grunde,
ſicher ſchlieſſet:
Daß, weil ihr Gott die ewge Liebe; Er auch, aus
ewger Liebe, wolle,
Daß ſie, zu Seinem Ruhm, beſtehn, und ewig
Guts genieſſen ſolle.
Gedemuͤ-
Gedemuͤthigter Stolz der Menſchen.
Was hat die Menſchheit doch fuͤr Recht, daß ſie ſich
ſelbſt vernuͤnftig nennet:
Da doch der Menſch und die Vernunft ſich ſtets, faſt
unvereinbar, trennet;
Da er nicht in- nicht auſſer ſich, kaum das geringſte,
gruͤndlich kennet?
Wir ſcheinen dazu nicht geſchaffen, wie wir (doch
bloß aus Stolz nur) wollen,
Daß wir der Dinge Grund und Weſen, nach ihrem Ur-
ſtand, kennen ſollen:
Auf dieſem unſern Erd-Planeten ſcheint ein ſo ausge-
dehnter Witz,
Als wir uns zuzueignen ſuchen, uns nicht ertheilet, auch
nicht nuͤtz.
Vermuthlich wird, nach dieſem Leben,
Der Schoͤpfer, nach der weiſen Ordnung, uns ein gewiſ-
ſers Wiſſen geben.
“Genug, daß wir, Jhn zu bewundern, uns Sein
zu freuen, ſo viel Gaben,
“Vor allen andern Thier- und Weſen, in ſolchem Maß,
empfangen haben.
8 Theil. J iDer
Der Schlaf,
eine Abbildung des Todes.
Wenn wir des Abends ſchlafen gehn, wir gleichſam
uns der Welt entziehn:
Da naͤmlich unſere Bekannten von uns, und wir von
ihnen, fliehn,
Die beſten Freunde ſich von uns, und wir von ihnen
gleichfals, ſcheiden;
Die Sinnen ſelber uns verlaſſen, und wir, von allen
ihren Freuden,
Vom Licht, von Hoͤren, Schmecken, Riechen, und Fuͤh-
len, uns beraubet ſehn,
Gedaͤchtniß und Verſtand verlieren: muß man dann
nicht mit Recht geſtehn,
Daß wir die Welt, mit aller Pracht, ſo oft wir ſchlafen
gehn, verlaſſen?
Was iſt denn fuͤr ein Unterſcheid, wenn wir, im letz-
ten Schlaf, erblaſſen,
Als daß wir nicht ſo bald erwachen? Daß aber dieß
einſt wird geſchehn,
Und, von dem kuͤnftigen Erwachen, zu einem Freuden-
reichen Leben;
Davon, Gott Lob! kann jeder Morgen uns ein beleh-
rend Beyſpiel geben,
Das, (dadurch, daß wir, wenn wir ſchlafen, dennoch
aufs neu erwachen koͤnnen)
Um unſre Hoffnung hier zu ſtaͤrken, uns Gott auf Erden
wollen goͤnnen.
Der
Der Hochmuth,
die Quelle des menſchlichen Ungluͤcks.
Ogroßer Gott! was iſt der Menſch? Ein Weſen,
welches uͤberleget;
Das allenthalben Wahrheit ſucht: und, wenn er alles
recht erweget;
Doch allenthalben Jrrthum findet.
Wenn er ſein Jnnerſtes ergruͤndet,
Wenn er nach Billigkeit verfaͤhrt; ſo ſollt’ ihn ja der
Fehler Menge,
Der Leidenſchaften zaͤhe Stricke, des Labyrinths ver-
worrne Gaͤnge,
Die er bey ſich und andern ſpuͤhrt, doch auch auf die
Gedanken bringen:
“Wer gab denn dir allein Befugniß, die Wahr-
heit aus der Gruft zu ziehn,
“Jn welche ſie geſenket ſcheint? Wer gab denn
dir das Richter-Amt?
“Jſt es denn bloß in deiner Bruſt, wo Weisheit
unbetrieglich flammt?
“Ein jeder deines gleichen denkt und urtheilt eben
ſo von ſich,
“Als du von dir und deinem Geiſt. Von wem
wird dieſer Zwiſt entſchieden?
“Du haſt nicht den geringſten Vorzug: du kamſt,
und biſt, wie er, hienieden.
“Ein jeder deines gleichen fuͤhlt ſowohl, als du,
ſein denkend Jch,
J i 2“Und
Der Hochmuth,
“Und glaubet, was er denkt, ſey recht. Die Ei-
gen-Lieb’ herrſcht in uns allen,
“Und fodert, es ſoll einem jeden nur das, was ihm
gefaͤllt, gefallen.
“Ein jeder Geiſt ſcheint, auf der Welt, mit ſich,
und ſonſt mit nichts, zufrieden.
Dieß ſcheinet nun die wahre Quelle von unſrer Noth
und Plag’ hienieden.
Doch laß uns ernſtlich unterſuchen, ob dieſe Plagen,
Noth und Pein,
Der Eigen-Liebe beyzumeſſen, und ihr nur zuzuſchreiben
ſeyn.
Jch meyn’ es nicht: Denn Eigen-Liebe ſcheint uns,
von Gott, in unſerm Leben,
Als eine Quelle des Vergnuͤgens, zum Labſal und zum
Troſt, gegeben.
Wie wuͤrde man, ohn’ Eigen-Liebe, ſein eignes Jch
ertragen koͤnnen,
Wofern uns, eine weiſe Liebe, die Troͤſterinn nicht wol-
len goͤnnen?
Der Mißbrauch unſrer Eigen-Liebe, der Hochmuth,
iſt es bloß allein,
Wodurch wir, allen andern Menſchen, und uns ſelbſt,
unertraͤglich ſeyn.
Wenn dir ein andrer widerſpricht, kann es dein Hoch-
muth nicht vertragen;
Er denkt ſo gleich: Der Widerſprecher woll’ eigentlich
nichts anders ſagen,
Als:
die Quelle des menſchlichen Ungluͤcks.
Als: Du ſeyſt nicht ſo klug, als er. Gleich wird
dein ſchwuͤlſtger Stolz gereizt
Zu ſeiner Selbſt-Verthaͤdigung; gleich faͤngt er Feuer,
ſtrebt und ſpreizt
Sich gegen alle fremde Lehre, ſie ſey ſo deutlich und ſo klar,
So gruͤndlich und unwiderſprechlich, als wie ſie woll’,
und noch ſo wahr.
Der Stolz vergißt recht unvergeblich, daß er ſich
tauſendmal geirret,
Daß Vorurtheil und Uebereilung ihn tauſend- tauſend-
mal verwirret.
Ja, er vergißt ſo gar ſein Weſen, das bloß ſo einge-
richtet ſcheint,
Daß er nichts, gruͤndlich, wiſſen ſoll: daß, wenn er nur
vernuͤnftig meynt;
Er ſeiner Abſicht ſchon gemaͤß, wozu er in der Welt,
gelebet.
Wo er, die wahre Wiſſenſchaft hier zu erlangen, ſich
beſtrebet,
Die, wie es ſcheint, ein Eigenthum von einer andern
Athmoſphaͤre;
So will er fliegen, ſonder Fluͤgel: da aber ihn, ſein’
eigne Schwehre,
Beſtaͤndig wieder ruͤckwaͤrts zieht. “Nur die Bewun-
derung allein,
“Scheint bloß die Abſicht und das Ziel, bey allen
Sterblichen, zu ſeyn,
“Wohin ihr Geiſt gelangen kann. Nur durch Be-
wundrung dienet er
“Sich ſelbſt, ohn allen Zank und Streit. So wird,
nicht minder, Gott der Herr,
J i 3“Bloß
Hochmuth, eine Quelle des menſchl. Ungluͤcks.
“Bloß durch Bewunderung, geehrt. Die Wiſſens-
Sucht, wornach wir ſtreben,
“Dient minder unſers Schoͤpfers Weisheit, als unſre
Weisheit, zu erheben:
“Da wir, was Gott uns hier verborgen, und das Ge-
heimniß Seiner Macht,
“Jhm gleichſam abzulauren ſuchen. Gott hat die Welt
hervorgebracht
“Zu unſerm Nutzen, uns zur Luſt: Wir aber wollen
gruͤndlich wiſſen,
“Wie Er gewirkt; und daß Er ſo, und anders nicht,
verfahren muͤſſen.
“Steckt nicht, in dieſem Unterfangen,
“Der Eva ſtraͤflichs, ihr vom Teufel ſelbſt eingegebenes,
Verlangen,
“Zu ſeyn, wie Gott? Dieß iſt die Quelle, woraus
ſo vieles Ungluͤck fließt,
“Und Zank, und Ketzerey, und Neid, ſich auf die Sterb-
lichen ergießt:
“Die ſonſt, gemeinſchaftlich, die Wahrheit, auf Erden,
ruhig ſuchen koͤnnten,
“Wenn ſie das privativſche Wiſſen, und Stolz, und
Eigenſinn, nicht trennten.
“Ach folgten wir, von der Natur, den wahren un-
leugbaren Schluͤſſen:
“Daß Thiere denken, Menſchen meynen, und daß
allein die Engel wiſſen!
Ver-
Vernuͤnftige
Anwendung der Vergaͤnglichkeit.
Was hat der Menſch, der ſelbſt ſo fluͤchtig, fuͤr Grund,
ſich uͤber aller Dinge
Vergaͤnglichkeit und Fluͤchtigkeit, mit murrſchem Graͤ-
men, zu beſchwehren?
Die Klagen moͤchten dann mit Recht ihm zuſtehn, und
fuͤr ihn gehoͤren,
Wenn er nicht ſelber fluͤchtig waͤr, wenn er nicht ſelber
ſtets verginge.
“Ach! braͤchten, beyder Fluͤchtigkeit,
“Jhn doch zu dem vernuͤnftgen Schluß,
“Sich ihrer, und auch ſeiner Zeit,
“Vernuͤnftig und wohl zu gebrauchen; durch ihren
oͤfteren Genuß
“Sich zu vergnuͤgen; oft zu danken dem Weſen,
welches ihm ſein Leben,
“Von einer ihm beſtimmten Daur, und ſo viel Guts
darinn, gegeben!
J i 4Unempfind-
Unempfindlichkeit
uͤber Goͤttliche Wohlthaten,
ein Verbrechen.
Wenn ich den Menſchen recht mit Ernſt, was um
und an ihm iſt, erwege,
Und, daß er eigentlich ein Weſen, ein ſolches Weſen, uͤberlege,
Das riechen, ſchmecken, fuͤhlen, hoͤren, auch ſehen, und
gedenken, kann;
So ſeh’ ich ihn nicht anders an,
Als daß ihm, hier in dieſem Leben,
Die Sinnen, nebſt der Kraft zu denken, zum ſicheren
Beweis gegeben:
Daß, Der ſie ihm gegeben, wolle,
Daß er ſie anders, als ein Thier, das nicht gedenket,
brauchen ſolle.
Soll denn die Abſicht, Pflicht und Vorzug, von einer
ſo begabten Seelen,
Allein, um Reichthum zu erwerben, Metall zu haͤufen,
Geld zu zaͤhlen,
Wie es doch meiſt geſchicht, beſtehn?
“Was kann denn fuͤr ein Endzweck ſeyn,
“Daß wir ſo vielerley erhalten, in dieſem Leben, als allein:
“Zu Deſſen Preis und Ruhm und Ehren,
“Der uns dieß alles wollen ſchenken,
“Bedachtſam, ſuͤße Bluhmen riechen; was ſchoͤn iſt,
ſehen; Toͤne hoͤren;
“Was ſanft iſt, fuͤhlen; Fruͤchte ſchmecken, mit An-
muth; und dabey gedenken:
“Daß
Unempfindlichkeit uͤber Goͤttl. Wohlthaten.
“Daß aller dieſer Guͤter Fuͤlle
“Aus Gott, und Seiner Liebe, quille;
“Jhm, mit geruͤhrter Seele, danken, daß, fuͤr ſo ſchoͤ-
ner Werke Pracht,
“Er, bloß aus Liebe, wunderbar, mit ſolcher Kunſt,
uns ſinnlich macht?
“So iſt es dann ja wohl betruͤbt,
“Daß wir, in unſerm ganzen Leben,
“(Da wir aus dem, was Gott uns giebt,
“Nichts machen, nicht drauf Achtung geben,
“Es gleichſam faſt nicht haben wollen) der Liebe ſelber
widerſtreben,
“Und auch zugleich, ſo viel an uns, des weiſen Schoͤp-
fers Abſicht ſchwaͤchen,
“Uns ſchaden, Gottes Ehre rauben!
“Wer kann hievon was anders glauben,
“Als: es ſey dieſes ein Verbrechen?
J i 5Betruͤbte
Betruͤbte Fragen.
Jſt es wahr, daß, Gott zum Ruhm, dieſe Welt her-
vorgebracht?
Jſt es wahr, daß unſer Geiſt, unſers großen Schoͤpfers
Willen,
Durch Genieſſen, in Betrachtung, Jhm zu Ehren, zu
erfuͤllen,
Fuͤr die Koͤrper, ſinnlich worden, und zu dieſem Zweck
gemacht?
Jſt es wahr, wie es wahrhaftig, daß, von allen andern
Pflichten,
Dieſe die hauptſaͤchlichſte? Jſt es wahr, daß nicht nur
hier;
Sondern (wenn wir, auf der Welt, dieſe holde Pflicht
verrichten,
Und, in Seiner Werke Zier,
Mit Bewundrung, Jhn betrachten,
Gottes Weisheit, Gottes Liebe, Gottes Macht, in ihnen
achten)
Auch der Geiſt dadurch bereitet, in der ſelgen Ewigkeit,
Jn dem Preiſe fortzufahren, Gottes Vollenkommenheit
Zu erheben und zu preiſen? Jſt es wahr, daß, wo wir
nicht
Unſerm Gott, in dieſem Leben,
Das, was Jhm gebuͤhrt, gegeben:
Durch Verſaͤumung dieſer Pflicht
Wir nicht nur den wahren Zweck, wozu wir doch hier
erkohren;
Sondern unſre ganze Zeit, uns, ja Selber Gott, ver-
lohren?
Jſt
Betruͤbte Fragen.
Jſt es wahr, daß eine Seele, die ſo ſorglos hier gelebt,
Die, in ihrer Luſt den Schoͤpfer zu erhoͤhn, ſich nicht
beſtrebt,
(Wenn ſie ſich vom Koͤrper trennet, und zugleich von
allem dem,
Was ihr hier ſo lieb geweſen, ſo beliebt, ſo angenehm)
Muͤß’, erſtaunet, nur allein ob den Unterlaſſungs-Suͤnden,
Jn ihr ſelbſt, ein ſchreckend Leer, eine tiefe Wuͤſte, finden?
“Jſt dieß, ſag’ ich, alles wahr; ach! wie kann es
moͤglich ſeyn,
“Daß wir uns der ſchoͤnen Welt nicht gebrauchen
Gott zu Ehren,
“Daß wir nicht, in unſrer Luſt, Seines Namens Ruhm
vermehren:
“Da wir, durch ſo ſchnoͤden Wandel, nicht allein in
irdſchen Dingen,
“Aller Freuden uns berauben; ſondern uns, nach die-
ſer Zeit,
“Um die uns, zum Lohn der Luſt, dort verheißne Se-
ligkeit,
“Ja zugleich, ſo viel an uns, Gott um Seine Ehre,
bringen?
Unter-
Unterſuchung der Liebe.
Das, was wir Menſchen, Liebe nennen, iſt anders
nichts, als ein Verlangen,
Von einem Vorwurf, den wir uns, durch Phantaſey,
ſelbſt zugeſchickt,
Und, mehrentheils, mit ſelbſt erdachten Vollkommenhei-
ten ausgeſchmuͤckt,
Ein vorgeſtelletes Vergnuͤgen, zu unſerm Beſten, zu em-
pfangen.
Die Meynung, und der ſuͤße Vorwand, als ob man
bloß, in unſerm Triebe,
Auf der Geliebten Beſtes ſaͤhe, dient gleichſam unſrer
Eigen-Liebe
Zum Frey-Brief’, unſere Begierd’ an der Geliebten
zu entdecken;
Da, unterm Schein der Gegen-Lieb, wir ihre Eigen-
Lieb’ erwecken.
Die Eigen-Liebe der Geliebten verblendet ſie, daß ſie
vermeynt,
Die Liebe deſſen, der ſie liebet, ſey Lieb; ob es gleich
nur ſo ſcheint:
Sie glaubt, daß ſeine wahre Abſicht, die doch nur Eigen-
Lieb’ allein,
Ganz uͤberzeugliche Beweiſe von ihrem Wehrt und Vor-
zug ſeyn.
Wird
Unterſuchung der Liebe.
Wird dieſe Eigen-Liebe nun von einer Meynung
unterſtuͤtzet,
Daß deine Lieb’, ihr Vortheil, Ehr’, auch Luſt, ver-
ſpricht, ihr folglich nuͤtzet;
So ſcheinets, als ob Gegen-Lieb’ entſtehe: die doch,
in der That,
Nichts anders, als bloß Eigen-Liebe, zu ihrem wahren
Grunde hat.
Die
Die
Ausſchweifungen der Leidenſchaften.
Jch ſahe neulich, im Geſicht, von Menſchen, drey
verſchiedne Haufen,
Auf dreyen ganz verſchiednen Wegen, auf ganz ver-
ſchiedne Weiſe, laufen.
Der eine Weg fuͤhrt in die Hoͤhe, zu einer Boden-loſen
Tiefe:
Jn dieſe ſtuͤrzte faſt ein jeder, der auf dem ſteilen Wege
liefe,
So bald als er den aͤuſſern Rand von dieſer hohlen Gruft
beruͤhrte.
Nur einige, die ſich von ihnen meiſt ſelber Philoſophen
nennten,
Anſtatt ſie einen kleinen Fußſteig, der durch die niedre
Tiefe fuͤhrte,
(Auf welchen ſie, in Sicherheit, durch dieſen Abgrund
kommen koͤnnten)
Erwaͤhlen ſollten; waͤhlten einen, der uͤber einen Berg
ſich ſtreckte,
Der noch viel hoͤher, welchen man an dieſes Abgrunds
Rand entdeckte:
Von welchem ſie zuletzt denn alle,
Mit einem deſto ſchwehrern Falle,
Jn hoͤherm Sturz, herunterſchoſſen,
Und ihres Lebens Lauf beſchloſſen.
Der
Die Ausſchweifungen der Leidenſchaften.
Der andre Weg iſt weich und ſchluͤpfrig, ein uner-
gruͤndlicher Moraſt:
Auf welchem die, ſo ihn beſchritten, von einem Huͤgel-
chen zum andern,
Jn einer ſtetigen Gefahr, bald ſpringen, bald geruhig
wandern;
Bis ſie zuletzt, ermuͤdet, ſchwach, gedruckt von ihrer
eignen Laſt,
Faſt alle, nach und nach, verſunken,
Und, im verfaulten Wuſt, ertrunken.
Der dritte ſenkte ſich ſtets abwaͤrts; und die denſel-
bigen erwaͤhlen,
Bemuͤhen ſich, die hohle Tiefe beſtaͤndig mehr noch aus-
zuhoͤhlen:
Sie ſuchen ſich hindurch zu graben, ſie wollen durch, ſie
muͤſſen fort;
Und dennoch graben ſie mit Fleiß, und ſtets am aller-
haͤrtſten Ort.
Sie ſuchen, ſonder Ruh’ und Raſt, bey ihrer Graͤberey,
von allen,
Die Stellen ſich vor andern aus, woſelbſt ergiebige
Metallen:
Da ſie dann theils der giftge Duft, der aus den Minen
ſtieg, erſtickte,
Und theils die eingeſchoßne Laſt des ſchwehren Erzes
ſie erdruͤckte.
Guter
Guter Rath.
Wenn, auſſer unſrer Erden etwan, vernuͤnftgen We-
ſen, von der Welt
Beſondrer Schoͤnheit, Anmuth, Ordnung, wuͤrd’ irgend
etwas vorgeſtellt;
So koͤnnten ſie nicht anders denken, als daß, in unge-
ſtoͤrten Luͤſten,
Der Erden Buͤrger und Bewohner, ohn’ allen Zweifel,
leben muͤßten.
Erfuͤhren ſie, daß wir dennoch in Unruh, Gram und
Sorgen ſchwebten,
Und, ſonder einiges Vergnuͤgen, in ſolchem ſchoͤnen Orte,
lebten;
So wuͤrden ſie unmoͤglich anders gedenken, und dabey
verbleiben:
Die Schuld davon waͤr’ anders niemand, als unſerm
Geiſte, zuzuſchreiben.
Betrachteten ſie nun den Geiſt des Menſchen, um
ihn zu ergruͤnden;
So wuͤrden ſie in ſeinem Weſen, mehr als es jemals
zu vermuthen,
Von Klugheit und von Unverſtand, von Groͤß’ und
Kleinheit, Boͤſ- und Guten,
Ein nicht entwickelbar Gewebe, ein ordentliches Chaos,
finden.
Wo ſie ſich nun, in dieſem Stande, mit uns ſo viel
befaſſen wollten,
Um einen Rath uns zu ertheilen, wie wir uns hier
verhalten ſollten,
Um
Guter Rath.
Um auf der ſchoͤnen Erde gluͤcklich, und, nach dem Le-
ben auf der Erden,
Auch ewig dort begluͤckt zu werden;
So wuͤrd hierinn der Rath beſtehn: Sucht euch im
Leiblichen zu naͤhren,
Jm Sinnlichen euch zu vergnuͤgen, nur in Be-
wundrung Gott zu ehren,
Und ſtets von ihm das allerbeſte und das vollkom-
menſte zu glauben;
So wird euch das Vergnuͤgen hier, den Himmel
dort, kein Teufel rauben.
8 Theil. K kVer-
Verehrung des Schoͤpfers
in den Geſchoͤpfen.
Ach was erregen nicht in mir, ſo mannichfaltige Be-
wegung,
So viele Wunder auf der Welt, Schmuck, Ordnung,
Schoͤnheit, Pracht, fuͤr Regung!
Welch eine Harmonie, o Gott! zeigt uͤberall uns die
Natur!
Und doch ſieht man, von Deinen Werken, den kleinſten
Theil, in ihnen, nur.
“Wer taugt denn Deiner Majeſtaͤt ſelbſtſtaͤndgem We-
ſen nachzuſpuͤhren?
“Jn Deiner Unermeßlichkeit muß Menſch und
Engel ſich verlieren.
Cornaro
Cornaro.
Was man vom trinkbarn Golde ruͤhmt, daß es uns
nicht nur unſer Leben
Auf hundert Jahr, verlaͤngern ſoll, in unzerſtoͤrlicher
Geſundheit;
Daß es zugleich, die ſanfte Ruh, und ein vergnuͤgtes
Herz zu geben,
Der Leidenſchaften Wut zu daͤmpfen, der Seelen Kraͤfte
zu erheben,
Bequem, geſchickt und faͤhig ſey: lieſt man in dunklen
Schriften wohl.
Allein, hier hab ich das Recept. Cornaro giebt es
uns zu leſen,
Jn unverfaͤlſchter Deutlichkeit: es iſt probat; es iſt
nicht ſchwehr,
Nicht koſtbar. Jſt es denn wohl moͤglich, daß es noch
nie gebraucht geweſen?
Daß nicht einmal ein Philoſoph, die doch, vor allen
andern, mehr,
Um ihrer Seelen Kraft zu ſchaͤrfen, ſich zu bemuͤhen
ſuchen ſollten,
Den ſichern Weg nicht eingeſchlagen? Der, wenn ſie
nur vernuͤnftig wollten,
Nicht ſchwer, und gar nicht unerſteiglich; und der, zur
Wiſſenſchaft, zur Ehr,
Zur Tugend, zur Geſelligkeit, zum Gottes-Dienſt, zu
allen Pflichten,
Die wir, auf dieſem Wunder-Bau der Welt, gehalten,
zu verrichten,
K k 2Bey
Cornaro.
Bey einem langen, froͤhlichen, vergnuͤgten Leben, ſicher
fuͤhrt.
Jch bin nicht nur fuͤr ſie, fuͤr mich; fuͤrs ganze menſch-
liche Geſchlecht,
Von einer billigen Verwundrung und inniglichen Scham
geruͤhrt:
Und dieſes, wie es mich beduͤnkt, mit großem Fug und
großem Recht.
Das Mittel, wodurch alle Menſchen zum ſpaͤten Alter
faͤhig ſeyn,
Und zwar zum frohen und geſunden, iſt bloß die Maͤßig-
keit allein:
Wozu er ſolche leichte Regeln, die alle unumſtoͤßlich, giebet,
Daß es der ganzen Menſchheit ſchimpflich, daß man ſie
noch nicht ausgeuͤbet.
Was hab ich, dacht ich, bey dem Zuſtand, fuͤr meine
Lehren, doch zu hoffen,
“Daß man ſich, im Gebrauch der Sinnen, zu Gottes
Ruhm, vergnuͤgen ſoll;
Da dieſe Lehre, die das Leben, bey einem ungeſtoͤhrten
Wohl,
Uns zu verlaͤngern faͤhig iſt, noch ihre Abſicht nicht
getroffen!
Das, was der Menſch hat, heißt es dort, das laͤßt
er willig fuͤr ſein Leben;
Und dennoch ſieht man keinen faſt, es zu erhalten, ſich
beſtreben.
Wie wenig werden ſich demnach an deine gut gemeynten
Lehren,
Dacht ich, da ſie noch lange nicht ſo viel verſprechen
koͤnnen, kehren!
“Ver-
Cornaro.
“Vergnuͤgt ſeyn, iſt ein großes Gut; in Gott ver-
gnuͤgt ſeyn, noch vielmehr:
“Es ſind zwo ungemeine Schaͤtze, der Menſchen Luſt
und Gottes Ehr.
Allein, auch alle beyde hat Cornari Lehr nicht ausge-
ſchloſſen;
Da ſie vielmehr, als ſchoͤne Fruͤchte, aus ſeiner Lehre
Saamen ſproſſen:
Und ſie verſpricht annoch daneben
Ein lang-geſundes, froͤhlichs Leben;
Jn welchem wir, um deſto laͤnger, die Gott und uns
geweihten Pflichten,
Auch die zu unſers Naͤchſten Beſten, geſchickt und faͤhig
zu verrichten.
Jch muß es wenigſtens geſtehn, ich bin, dieß ſchoͤne
Buch zu leſen,
Doch minder um des Lebens Laͤng’ und Dauer ange-
flammt geweſen,
Als daß ich, in demſelbigen, zugleich den Nutzen eingeſehn,
Auf welche Weiſe wir zugleich, der Leidenſchaft zu wider-
ſtehn,
Von ſelbſt, geſchickt und faͤhig werden. Steckt hier
der Menſchen hoͤchſtes Gut,
Die Kraft des Koͤrpers und der Seelen, in einem wohl-
gemiſchten Blut;
So ſollt’, ein ſolches zu erzeugen, von klugen Buͤrgern
dieſer Erden
Der allerehrſte Zweck ja ſeyn, und ihres Denkens Vor-
wurf werden.
K k 3Das
Das beſte Leben.
Von einem jeglichen Vergnuͤgen ſollt billig Gottes
Lob das Ende;
Das Ende von dem Lobe Gottes, ein Anfang vom Ver-
gnuͤgen, ſeyn:
Dieß waͤr’ ein recht begluͤcktes Leben, in dieſer Welt,
fuͤr alle Staͤnde.
“Ach wuͤrd’ es doch, zu unſerm Nutzen, und Gottes
Ehren, allgemein!
Schaͤd-
Schaͤdliche Verabſaͤumung der Kraͤfte
unſers Gedaͤchtniſſes.
Die meiſten halten dieß fuͤr wahr, daß der Verſtand
aus dreyen Kraͤften,
Gedaͤchtniß, Phantaſey, Verſtand, beſtehe. Wenn
wir nun bisher,
Um Gott zu kennen, uns allein an den Verſtand am
meiſten heften,
Und, was Gott ſey, begreifen wollen; das aber unbe-
greiflich ſchwehr,
Und viele Ketzerey gewirkt: ſo waͤr’ es wohl zu uͤberlegen,
Ob, da die andern Kraͤfte ganz hintangeſetzt, wir dieſer-
wegen
Nicht in den Labyrinth gerathen. “Wenn wir, bey
allen Wunder-Gaben,
“Die wir, aus Gottes Huld und Liebe, beſitzen, und
empfangen haben,
“Nur das Gedaͤchtniß angeſtreckt, und, durch der
Gaben große Zahl,
“Zum Danken uns geſchickt gemacht, und zur Be-
wunderung zumal;
“So ſcheinet faſt von ſelbſt zu folgen, daß Gott, von
allem Zanken frey,
“Weit wuͤrdiger verehret worden, und immer zu ver-
ehren ſey:
“Daß es einfolglich unſre Pflicht, anſtatt ein ſchwuͤl-
ſtiges Begreifen,
“Das gar dem Glauben widerſpricht, ſtets die Erinne-
rung zu haͤufen;
K k 4“Und
Schaͤdl. Verabſaͤumen unſ. Gedaͤchtniß-Kraͤfte.
“Und uns durch das Gedaͤchtniß mehr, Gott zu ver-
ehren, zu bemuͤhn,
“Als den Verſtand im Gottes-Dienſt, den andern
Kraͤften vorzuziehn.
Dieß wird nun ebenfals fuͤr die, ſo, durch die Phan-
taſey verfuͤhrt,
Enthuſiaſten worden ſind, vertieft in ihren dunklen
Lehren,
Auch der Erinnerung vergeſſen, und, durch dieſelbe
nicht geruͤhrt,
Den Schoͤpfer alles Danks berauben, zu ihrer Beſſerung,
gehoͤren.
Neuer
Neuer Beweis
des Nutzens und der Wahrheit
des
Copernicaniſchen Syſtematis,
aus dem 3, 4 und 5 Verſe des 1 Capitels
im erſten Buche Moſis.
Wie noͤthig des Copernici vortreff lichs Welt-Syſte-
ma ſey,
Wird ſich aus dieſem Satze zeigen. Es machet eine
ſchwehre Stelle,
Jn unſrer Schrift, die dunkel ſonſt, und kaum zu loͤſen,
deutlich, helle,
Und, vom bishero ſtark beſtrittnen und zweifelhaften
Vorwurf, frey.
Man hat faſt gar nicht faſſen koͤnnen, wenn Moſes von
der Schoͤpfung ſpricht:
Es ward aus Abend und aus Morgen der erſte Tag.
Da doch das Licht
Der Sonne gar noch nicht erſchaffen. Wie haͤtte ſelbige
denn rennen,
Und uns den Morgen und den Abend, durch ihren Kreis-
Lauf, geben koͤnnen,
Da ſie noch uͤberall nicht da? Allein, wenn man es ſo
verſtehet,
Daß, wie es auſſerdem ja klar, ſich unſer Kreis der Erde
drehet;
So kann, weil ſchon das Licht erſchaffen, durch dieſes
Drehen unſrer Erden,
Ein Morgen und ein Abend fuͤglich von uns ſich vorge-
ſtellet werden.
Sene-
Seneca,
Lib. de Or. Sap. XXXII.
Curioſum nobis Natura ingenium dedit: et artis
ſibi ac pulchritudinis ſuæ conſcia, Spectatores
nos tantis rerum ſpectaculis genuit. Perditura fru-
ctum ſui, ſi tam magna, tam clara, tam ſubtiliter
ducta, tam nitida et non vno genere formoſa, ſoli-
tudini oſtenderet.
Ueberſetzt.
Es gab die wirkende Natur uns einen Geiſt voll Neu-
begier;
Und, da ſie ſich ſelbſt ihrer Kunſt bewußt, und deß, was
an ihr ſchoͤn:
Hat ſie uns, ihre Treff lichkeiten und ſchoͤne Schauſpiel’
anzuſehn,
Erzeuget und uns werden laſſen. Sie wuͤrd’ auch ſelbſt
die Frucht von ihr
Und ihrer Abſicht Zweck verlieren, wenn ſolche große
Herrlichkeiten,
So kuͤnſtlich- und ſo zarter Werke, voll glaͤnzenden Voll-
kommenheiten,
Die auf viel tauſend Arten ſchoͤn, nur bloß einſiedleriſche
Wuͤſten,
Von allem Geiſt und Denken leer, und ohn’ Empfindung,
ſehen muͤßten.
Die
Die
Groͤße des Schoͤpfers aus der Groͤße
Seiner Werke.
Herrſcher der beflammten Schaaren,
Die, in jenen tiefen Hoͤhn,
Schon ſeit ſo viel tauſend Jahren,
Sich bewegen, waͤlzen, drehn,
Die, in unverruͤcktem Kreiſe,
Dir, Herr Zebaoth, zum Preiſe,
Die beſtimmten Wege gehn.
Nirgends, als in ihrem Lichte,
Kann das menſchliche Geſichte,
So erhaben, praͤchtig, ſchoͤn,
Deiner Allmacht Ausbruch ſehn.
Unſer’ Erde, Berge, Meere,
Aller Creaturen Heere,
Offenbahren, zeigen Dich
Doch in keinem wuͤrdgern Bilde,
Als im himmliſchen Gefilde,
Weiſt Dein Goͤttlichs Daſeyn ſich.
Dieſen nie begriffnen Raum,
Seine Hoͤhe, Groͤß’ und Weite,
Seine Laͤnge, Tief’ und Breite
Faſſen alle Engel kaum.
Es vermoͤgen nicht einmal
Ewig denkende Gedanken,
Jn dem hohlen Abgrunds-Thal,
Ende, Maaße, Ziel und Schranken,
Umfang, Kreis und Schluß zu finden,
Noch die Tiefe zu ergruͤnden.
Jn
Die Groͤße des Schoͤpfers
Jn dem Raum nun, ohne Graͤnzen,
Sieht man, ſonder Maaß und Zahl,
Millionen Sonnen glaͤnzen,
Welches alle Licht-Gefaͤße,
Von ſo unermeßner Groͤße;
Daß der menſchliche Verſtand,
Wenn er ihren Umkreis ſpuͤrt,
Und ihm der Begriff bekannt,
Sich in ihnen faſt verliert.
Da denn ihre Groͤßen eben,
Samt dem Jnhalt, Laͤng’ und Breite,
Von der ungeheuren Weite,
Jhres Raums, worinn ſie ſchweben,
Unleugbare Proben geben.
Ja, was das erſtaunlichſte,
Daß ſie, nebſt dem Raum, den Augen
Sich dennoch zu zeigen taugen,
Und ich ſie auf einmal ſeh.
Von ſo ungemeßner Lichter
Ungezaͤhlt- und großen Flammen
Zieht, in unſere Geſichter,
Wunder- wunderbar verkleint,
Wunder- wunderbar vereint,
Alles ſich im Punct zuſammen.
Hier ſcheint alle Groͤße klein;
Und die Kleinheit groß zu ſeyn.
Aber, da ich dieß bedenke,
Faͤllt mir noch ein Wunder ein.
Naͤmlich dieß: Auf welche Weiſe
Gott die ungeheuren Kreiſe,
Samt dem ganzen Himmel, lenke!
Laßt
aus der Groͤße Seiner Werke.
Laßt uns, unſerm Gott zur Ehre,
Jn den wunderbaren Werken,
Mit erſtaunter Ehrfurcht, merken,
Welche Kraft dazu gehoͤre,
Solche Koͤrper, ſolche Schwehre,
Jhre Zahlen- loſen Heere,
Zu erhalten und regieren,
Und in ſolcher Ordnung fuͤhren!
Dieß Bewegen ſollt’ allein
Uns ein ſolcher Vorwurf ſeyn,
Deß wir nimmermehr vergeſſen;
Sondern darinn Gottes Macht,
Unauf hoͤrlich, mit Bedacht,
Mit erſtaunter Furcht, ermeſſen,
Und Jhr darum ehren ſollten,
Wenn wir Menſchen heiſſen wollten.
Nichts auf Erden ſtellet mir
Wuͤrdiger die Gottheit fuͤr.
Nichts im Reiche der Natur
Giebt uns eine ſolche Spur,
Laͤßt von einer Gottheit Werken
Sichtlicher die Kraft bemerken,
Machet Seine Allmacht-Hand
Unſerm Geiſt ſo klar bekannt.
Der Du alle Dinge traͤgeſt
Bloß durch Dein allmaͤchtig Wort,
Und das Sternen-Heer bewegeſt
Um den, durch Dich, feſten Nord
Jn beſtaͤndig reger Ruh.
Großer Gott! wer iſt, wie Du?
O un-
Die Groͤße des Schoͤpfers ꝛc.
O unendlichs ewigs Weſen,
Welche Wunder giebt von Dir,
Und von Deiner Allmacht, hier,
Dieſes Himmels-Buch zu leſen!
Wie ſo praͤchtig, wunderbar,
Wie ſo herrlich, wie ſo wahr
Jſt der Jnhalt! Wie ſo klar
Laͤßt es uns den Schoͤpfer ſehn!
Dieß kann ich daraus verſtehn:
Raum und Ewigkeit umſchraͤnken,
Sonnen waͤlzen, Welten drehn,
Aller Himmel Himmel lenken,
Daß ſie ewig richtig gehn;
Herrlicher und anders ſeyn,
Als erſchaffne Geiſter denken,
Kann, und iſt mein GOTT allein.
Die
Die verdrießliche Frage.
Jch ſehe ſo viel Wunder-Ding’, aus allen Orten, jetzt
entſprieſſen,
(Da recht als wie ein Wunder-Meer aus Waſſer, Luft
und Erde quillt)
Daß ihre mannigfache Zier und Pracht mein ganzes We-
ſen fuͤllt.
Jch fuͤhle mein gefuͤlltes Herz von Anmuth gleichſam
uͤberflieſſen.
Dabey faͤllt, mitten in der Luſt, der wohlgemeynte Wunſch
mir ein:
“Ach waͤr, bey allgemeiner Schoͤnheit der Welt, die Luſt
auch allgemein!
Jch wiederhole denn zum Schluß, bey meiner oft ge-
fuͤhrten Klage
Ob unſrer Unempfindlichkeit, die euch vielleicht verhaßte
Frage:
“Da die Natur an tauſend Orten, wie ihr es allenthal-
ben hoͤret,
“Zugleich auch allenthalben ſeht, daß in der Werke
Schmuck und Schein
“Sie uns den Schoͤpfer deutlich zeigt, auch das ja,
was Er iſt, uns lehret;
“Wie kann man blind vor ihrer Schoͤnheit, und taub
vor ihrer Lehre ſeyn?
Hartes
Hartes Betragen der Menſchen
gegen einander.
Jndem ich juͤngſt, in meinem Zimmer, bey einer Erden-
Kugel ſteh,
Und, auf derſelben, neue Proben vom menſchlichen Ver-
ſtande ſeh,
Der, (da er etwas, das ſo groß, bewundrungswuͤrdig,
ſo verkleinet)
Recht unbegreiflich die Natur, zuſamt der Kunſt, in ſich
vereinet;
Bewundert’ ich Natur und Kunſt, von beyden inniglich
geruͤhrt:
Doch ward ich, eh ichs mich verſah, auf eine neue Bahn
gefuͤhrt.
Jch ſahe, mit geſchaͤrftem Blick, die Stellen an, wo
Chriſten wohnen,
Jm Gegenhalt mit andern Oertern verſchiedener Reli-
gionen,
Und ſtutzte, da ich die Verhaͤltniß ſo klein, ſo gar aus-
nehmend klein,
An Weite, Meng’ und Laͤnge fand, daß, nicht nur nach
dem Augenſchein,
Auch in der That faſt kein Verhaͤltniß von uns zu ihnen
ſich befindet,
Zumal, wenn ſich mit dieſen allen noch eine Schwierigkeit
verbindet,
Da
Hartes Betragen der Menſch. gegen einander.
Da auch die Chriſtenheit, von neuem, ſich wieder in drey
Theile reißt,
Wovon ein jedes Drittel ſich rechtglaͤubig, jene Ketzer,
heißt,
Sie mehrentheils verdammt, und niemand, als ſich alleine,
ſelig preiſt.
Mich uͤberfiel, bey dieſem Denken, ein Schrecken. Denn
mir kam die Welt,
Wie ſie, von allen, gegen alle, beſchrieben wird, und vor-
geſtellt,
(Da ſie ſich alle durch einander des Jrrthums zeihen und
verdammen)
Als wie der Hoͤllen Vorhof vor. Denn alle werden zu
den Flammen
Von allen ordentlich vertheilt. Wofern man ihnen
glauben ſoll;
So iſt der Himmel leer von Seelen, der Pfuhl der Hoͤllen
aber voll,
Und, wenige nur ausgenommen, ſo traͤgt hieran faſt
niemand Zweifel,
Einfolglich, nach dem Spruch der Welt, gehoͤrt die Welt
faſt ganz dem Teufel.
Jch wollte mich, voll heilgem Eifer, zu einer Widerle-
gung wenden;
Allein mir kam ein Schaudern an, die Feder fiel mir aus
den Haͤnden.
8 Theil. L lGroßer
Großer Troſt uͤber unſere Kleinheit.
Es iſt die ganze Erden-Welt,
Wenn man ſie bey dem Wunder-Bau und Heer
der feſten Sterne haͤlt,
Ein nicht zu findend Puͤnctchen nur; was wird denn doch
aus dieſer Erden
Bewohn- und Buͤrgern immer werden?
Der Menſch ſcheint, nach der Wahrheit Schein,
Faſt ganz vernichtiget zu ſeyn.
Wird man denn nun wohl glauben koͤnnen, ob hab’ ihn
Gott in Seinen Werken
Gewuͤrdiget, ihn zu bemerken?
Und daß fuͤr ihn der Jahre Kreis, die Aenderung der Tag’
und Zeiten
Sich in ſo richtger Ordnung leiten?
Die Herrlichkeit der Creaturen, die Gott der Herr her-
vorgebracht,
Jſt nicht mit Ellen abzumeſſen. Der Menſch hat die
Vernunft empfangen,
Und, nebſt dem Willen, eine Seele. Dem kleinen Weſen
theilt die Macht
Des Schoͤpfers eine Kenntniß mit, von Seinen Werken,
die das Licht
Des Sonnen-Koͤrpers ſelber nicht
Geſchickt und faͤhig zu erlangen.
Dem Menſchen hat Er den Gebrauch von aller Herrlich-
keit beſtimmt;
Der Menſch iſts, welcher bloß den Nutzen von allen dieſen
Schaͤtzen nimmt.
Den
Großer Troſt uͤber unſere Kleinheit.
Den Menſchen hat Er bloß erwaͤhlt, ihm Seine weiſe
Macht zu weiſen;
Nur er iſts, welchem Gott erlaubt, fuͤr alle Wunder Jhn
zu preiſen.
Es kann der Menſch gewiß mit Nutzen ſein’ ungeheure
Kleinheit fuͤhlen;
Allein, er muß um deſto mehr Verwundrung-voll und
dankbar ſeyn,
Zu ſehen, daß Gott ihn allein
Gewuͤrdigt, mit ſo vieler Huld und Vorzug nur auf ihn
zu zielen,
Jhn zum Beſitzer der Natur, ſo ungezaͤhlter ſchoͤnen
Sachen,
Und zum Betrachter Seiner Werk’ und Wunder ihn allein
zu machen.
Anſtatt denn, ſeine Niedrigkeit mit Gram und Dumm-
heit anzuſehn,
Fuͤhlt er vielmehr ſein niedrigs Etwas um deſto mehr ſich
noch erhoͤhn,
Wenn er die edele Beſtimmung von ſeinem Weſen uͤber-
denkt,
Auch daß ſie ihm, ohn ſein Verdienſt und Wuͤrdigkeit
umſonſt geſchenkt.
Er kann ſich ſelbſt, wenn er vernuͤnftig, die ſuͤße Wahr-
heit nicht verhehlen,
Daß ihn der Schoͤpfer hier zum Vorwurf von Seiner Liebe
wollen wehlen.
Ja, ſollten auch in andern Sphaͤren, und andern Wel-
ten, Millionen
Vernuͤnftger Creaturen wohnen,
L l 2Die
Großer Troſt uͤber unſre Kleinheit.
Die Gott nicht weniger gewuͤrdigt, auch ihnen Guͤter
zuzuwenden,
(So doch gewiß aus unſrer Sphaͤre
Ein unnuͤtz Unterſuchen waͤre)
Waͤr’ es darum nicht minder wahr, daß hier der Menſch
an allen Enden
Des Schoͤpfers Gnaden- reiche Hand und vaͤterliche Sor-
ge findet,
Auch wie, zu ſeinem Nutz, ſich alles in ſolcher ſchoͤnen
Ordnung bindet.
“Welch’ eine Wuͤrde! welche Groͤße! ſolch einen Gott
und Vater haben,
“Der nicht allein, fuͤr uns, die Erde mit ſolchen unge-
zaͤhlten Gaben
“Bedeckt, erfuͤllet, ſchmuͤckt und ziert,
“Der auch ſo gar den Himmel, mit fuͤr uns, und uns
zu Dienſt, regiert!
Krankheit
Krankheit des Geiſtes.
Die unerſaͤttliche Begierde, von allen, alles zu ver-
ſtehen,
Und alle Dinge zu erklaͤren, auch, bloß nach unſeren
Jdeen,
Die doch ſo unvollkommen ſind, die Wege Gottes ein-
zurichten,
Jſt unſers Geiſtes groͤßte Krankheit. Die noͤthigſte von
unſern Pflichten,
Und unſrer Seelen groͤßte Staͤrke, iſt, vor des Schoͤpfers
Weisheit ſchweigen,
Und, in Bewundrung- voller Demuth, vom Schoͤpfer,
ihren Abhang zeigen.
L l 3Seltſames
Seltſames Betragen der Menſchen.
Das rege Weſen, das, in mir,
Sieht, hoͤret, fuͤhlet, riecht und ſchmecket,
Dem ſich die ganze Welt entdecket,
Und das ſich doch, ſo mir, als dir,
Ja gar ſich, vor ſich ſelbſt, verſtecket,
Das ſollte ja, von Buͤrgern dieſer Erden,
Vorher erkannt und wohl begriffen werden,
Bevor ſie ſich, mit Recht, vernuͤnftig nennen,
Und ſich dadurch, vor allem Vieh nicht nur,
Vor einer jeden Creatur,
Ja, faſt vor Engeln ſelbſt, den Vorzug geben koͤnnen.
Man ſage mir, mit welchem Recht
Das eitle menſchliche Geſchlecht
Die Weisheit, die weit hoͤher geht,
Sich zuzueignen unterſteht,
Da ſich die Seele ſelbſt nicht kennt, da der Verſtand,
Da ſich ihr eigner Geiſt und Coͤrper unbekannt.
Da aller Menſchen Thun ſo naͤrriſch eingerichtet,
Daß, wenn man uͤberhaupt die Handlungen erwegt,
Die Thorheit gleich mit Recht den Hochmuth niederſchlaͤgt,
Und die Vernunft, die ſie ſich ſelbſt geſchenkt, vernichtet.
Kehrt einmal auf euch ſelbſt, bedachtſam, euren Sinn,
Seht, ob, was ich geſagt, nicht wahr! Damit forthin
Sich keiner wegere, die Wahrheit zuzuſtehn;
So laßt uns mit Bedacht der Menſchen Thun beſehn.
Die
Seltſames Betragen der Menſchen.
“Die Menſchen kommen auf die Welt, bemuͤhen ſich,
ſich zu ernaͤhren,
“Dann werden ſie verliebt, und ſuchen ſich fortzupflan-
zen, zu vermehren,
“So wie es auch die Thiere machen. Man ſtrebt dar-
auf nach eitlen Ehren;
“Dann wird man geizig. Unſer Zweck iſt, Geld und
Reichthum zu erwerben.
“Wir werden endlich krank, und ſterben.
Oder deutlicher:
“Jn unſrer Jugend ſchwaͤrmen wir, in voͤlliger Zu-
friedenheit,
“Sind fuͤr uns ſelber unbeſorgt. Nur wuͤnſchen wir,
zur ſelben Zeit,
“(Als fromme wohlgerathne Kinder) daß unſre Eltern
kluͤger waͤren!
“Um dreißig Jahren duͤnket uns zuweilen, daß wir ſelbſt
nicht klug.
“Jm vierzigſten erfahren wirs, und ſuchen alsdenn
umzukehren.
“Sind wir nun funfzig; ſchmaͤhlen wir auf den bishe-
rigen Verzug,
“Bemerken oͤfters, mit Befremdung, der ſchnellen Zeiten
ſtrengen Fluß,
“Und treiben unſern klugen Vorſatz zu einem ernſtlichen
Entſchluß.
“Jn den großmuͤthigen Gedanken, da man ſich zu ver-
beſſern ſtrebt,
“Entſchlieſſet man, entſchlieſſet wieder, und ſtirbt zu-
letzt, wie man gelebt.
L l 4Der
Der betraͤchtliche Verluſt,
in dem
betruͤbten und fruͤhzeitigen Ableben
des weiland
S. T. Herrn Hof-Raths
Drollingers.
Auf dieſem regen Erd-Planeten, worauf wir uns
geſetzet ſehn,
Jſt, vom Materialiſchen, faſt alles ordentlich und ſchoͤn.
Das aber, welches man, bey uns, vernuͤnftig, klug und
geiſtig nennet,
Jſt manchem Fehler unterworfen, und ſelten nur davon
getrennet.
Jn unſers Geiſtes Schwachheit bloß, hat jedes Laſter
ſeinen Sitz:
Stolz, Argliſt, Ungerechtigkeit, Verfolgung, Bosheit,
eitler Witz,
Der Unglaub’ und der Aberglaub’. Es bringen, da ſie
ſtets ſich haͤufen,
Die Leidenſchaften ihn dazu, faſt unauf hoͤrlich auszu-
ſchweifen.
Der Leim der Luſt, der Wind der Ehre, die ſtrenge Gold-
und Silber-Sucht,
Sind, nebſt derſelben ſchlimmen Folgen, bloß des ver-
fuͤhrten Geiſtes Frucht.
Der
Auf das Ableben des Hn. Hof-R. Drollingers.
Der Jrrthum herrſchet in den Geiſtern, faſt aller, die
auf Erden wohnen.
Erſtrecken ſich der Seelen Schwaͤchen nicht gar auch
auf Religionen?
Ein jeder glaubt, mit Ausſchluß andrer, als ob nur er
die Wahrheit haͤtt.
Viel Millionen ehren Brama, viel Millionen Mahomet.
Viel’ haben mehr, als tauſend, Goͤtter; viel’ einen fal-
ſchen, viele keinen:
Viel glauben Seelen-Wandrungen; da gegentheils ver-
ſchiedne meynen:
Die Seelen ſterben mit dem Koͤrper; und was des
Aberglaubens mehr.
Ein jedes Volk denkt faſt beſonders; ein jedes Land
hat ſeine Lehr.
Wie ſtraͤf- und ſchaͤdlich iſt noch ferner die Kraͤnklich-
keit der ſtarren Seelen,
Die, ſtatt, nach ihrer Pflicht und Ordnung, ſich Gottes
Werk zum Zweck zu waͤhlen,
Vor Gottes Werk, vor der Natur, ja vor der Gottheit
Selber, blind,
Und minder faſt, als alles Vieh, vor Seiner Lieb’ em-
pfindlich ſind!
Die das beſtirnte Firmament, worinn Sich Gott am
hellſten zeiget,
Kaum ihres Blickes wuͤrdigen. Was aus der frucht-
barn Erde ſteiget,
An Baͤumen, Kraͤutern, Gras und Bluhmen, an Feld-
an Baum- an Garten-Frucht,
Dafuͤr wird Luſt, Bewundrung, Dank, in ihnen, nur
umſonſt geſucht:
L l 5Sie
Auf das fruͤhzeitige Ableben
Sie wuͤhlen, ſchwaͤrmend, durch einander, und ſterben,
eh ſie das, was ſchoͤn,
Und was bewundernswehrt, auf Erden, zum Ruhm des
Schoͤpfers, angeſehn.
Nun finden ſich zwar hier und da erhabne Geiſter,
große Seelen,
Die ihres wahren Endzwecks hier nicht nur alleine
nicht verfehlen,
Da ſie den Schoͤpfer ſehn und ſchmecken; nein, die,
den Jrrenden zu gut,
Die Gottheit in den Creaturen, in Himmel, Erde, Luft
und Fluth,
Allgegenwaͤrtig darzuſtellen, und aus der Blindheit uns
zu ziehn,
Um Gott in unſrer Luſt zu ehren, in reinen Liedern, ſich
bemuͤhn:
So wie, vom großen Drollinger, bewundernswuͤrdig,
iſt geſchehn,
Und wir in ſeinen herrlichen, nie gnug geprieſnen, Schrif-
ten ſehn.
Allein, bedaurenswehrter Fall! der große Geiſt ver-
laͤßt die Welt:
Es ſtirbt, der nimmer ſterben ſollte; der Wahrheit
ſtaͤrkſte Stuͤtze faͤllt.
Dein Aug’, in welchem ſich ſo oft des Schoͤpfers Werk
geſpiegelt, bricht;
Der Werkzeug’ aller deiner Sinnen gebraucheſt du nun
ferner nicht.
Dein
des Hrn. Hof-Raths Drollingers.
Dein Koͤrper ſchwindet und verweſ’t; wir ſehen deine
ſanften Blicke,
Auf dieſer Welt, hinfort nicht mehr: du laͤſſeſt uns
betruͤbt zuruͤcke.
Dein Geiſt, der oft, im Sternen-Heer, der Sonn’ und
Sternen Herrn erblickt,
Und welcher oft, bewundernd, ſah, wie herrlich Gott
die Welt geſchmuͤckt,
Der es auch andern zeigt’, entweicht, und wird dem
Erden-Kreis entruͤckt.
Die ſich gelaſſene Vernunft kann ſolchen Zufall nicht
begreifen;
Sie duͤrfte ſich faſt unterſtehn, wie ſie gewohnt iſt, aus-
zuſchweifen,
Und ſprechen: Da der Erden Buͤrger bisher ſo ſtraͤflich
ſich verirrt,
Da der Gewohnheit Seelen-Schwindel die ganze Menſch-
heit faſt verwirrt,
Und Drollingers erhabner Geiſt ſie auf die rechten Wege
fuͤhret,
Wodurch die Unempfindlichkeit und Blindheit ſich gemach
verlieret;
So wird er von der Welt geriſſen! Was haͤtt’ er nicht
noch Gutes thun,
Wie viele noch belehren koͤnnen? Jetzt muß er ſchon
im Grabe ruhn!
Mich ſelbſt erſchuͤttert dieſer Fall, mich beuget dein
betruͤbtes Scheiden;
Dein Tod erregt, in meinem Geiſt, ein innerlichs em-
pfindlichs Leiden:
Auch
Auf das Ableben des Hn. Hof-R. Drollingers.
Auch fuͤhl ich den Verluſt der Menſchen, in deinem
Sterben, gar zu wohl;
Und auf des Einwurfs kuͤhnen Schluß weiß ich kaum,
was ich ſagen ſoll.
Daher ich auf den Mund die Hand, gebuͤckt, mit dieſen
Worten, lege:
Wie unbegreiflich ſind, o Herr! wie unerforſchlich,
Deine Wege!
Zugleich erblick ich dich, im Geiſt, in den geſtirnten
Himmels-Hoͤhn:
Was du im Schatten hier erblickteſt, kannſt du im Licht,
verklaͤrt, jetzt ſehn.
Jch ſehe dich den großen Lohn des ewig ſelgen Lebens
erben:
Und dieſes iſt allein mein Troſt bey deinem Thraͤnen-
werthen Sterben.
Schluͤſſe
Schluͤſſe der Vernunft.
Der Engel, aller Seligen, ja aller Geiſter, Schul-
digkeit,
Jſt, von der unumſchraͤnkten Gottheit unendlichen Voll-
kommenheit,
Das allerbeſt- und herrlichſte, wozu ſie faͤhig, zu ge-
denken,
Und alle, zu ſo edlem Zweck, des Sinnes Kraͤfte hinzu-
lenken.
Nun iſt der Glaub’: “Es werde Gott dem, was
Er, Sich zur Ehr, gemacht,
“Und was Er, auch zugleich aus Liebe, fuͤr Sein Ge-
ſchoͤpf, hervorgebracht,
“(Da Er ja nichts geſchaffen hat, wozu Er Haß hat)
Gutes goͤnnen;
Nach unſerem Begriff, das Beſte, was alle Geiſter den-
ken koͤnnen.
Der Will’ iſt da: Er iſt die Liebe. Die Macht
nicht minder. Er iſt weiſe,
Und weiß, wie Seiner Majeſtaͤt, ohn’ Abbruch Seiner
Heiligkeit,
Und Seinem ſtets gerechten Recht, genug geſchehen koͤnn’.
Es zeigen
Schrift, Werk, und unſrer Seelen Kraͤfte, daß dieſes
einer Gottheit eigen.
So kann dann die Vernunft nicht anders, als glau-
ben, unſerm Gott zum Preiſe,
Mit einem, voller Zuverſicht, auf Gott allein gekehrten
Muth:
“Wie das, was Gott geſchaffen, gut,
“Und
Schluͤſſe der Vernunft.
“Und Er, zu Seiner Ehr’, es ſchuff; auch bloß
(da Er die ewge Liebe)
“Die Liebe, Seiner Macht und Weisheit Geſchoͤpf
hervorzubringen, triebe:
“So werd’, ob wirs gleich nicht ergruͤnden,
“Die ewge Liebe, Weisheit, Macht, der Herr und
Schoͤpfer, Mittel finden,
“Daß Er, nicht eine kurze Zeit,
“Auf dieſer Kummer-reichen Erde,
“Von wenigen allein; auch dort, von allen, in der
Ewigkeit,
“Jn ewgem Wohl der Creaturen, auch ewiglich geehret
werde.
Da die Philoſophi nunmehr, um Gottes Macht noch
zu erhoͤhn,
Ob ſchaff’ Er immer neue Welten, in Lehren, oͤffentlich
geſtehn;
So ſtell’ ich dieß an ſeinen Ort, und moͤcht’ es fuͤr gewiß
nicht ſagen.
Doch deucht mich, daß man wenigſtens hiebey, mit Recht,
wohl koͤnne fragen:
“Ob nicht die Zeugungen der Dinge, die unauf hoͤrlich
noch geſchehn,
“Als eine Art von daurender beſtaͤndgen Schoͤpfung
anzuſehn?
“Und ob es von der Gottheit Weſen, von Seiner Lieb’
und weiſen Macht,
“Nicht ſey viel wuͤrdiger gedacht,
“Daß Er ſie nicht vernichtigen, noch minder ewig
quaͤlen werde?
“Da
Schluͤſſe der Vernunft.
“Da Seine Liebe, Weisheit, Ehre, ja ſehr darunter
leiden muͤßte,
“Daß Er, da Er, zu Seiner Ehr, die Creatur her-
vorgebracht,
“Er Sich, in alle Ewigkeit, davon ſodann verlaͤſtert
wuͤßte:
“Es haͤtte ja, die ewge Weisheit, hiedurch, den gan-
zen Zweck verlohrn;
“Es haͤtte ja, die ewge Liebe, faſt einen ewgen Haß
gebohrn.
“Wenn Goͤttliche Gerechtigkeit von ſolchen Eigen-
ſchaften waͤre,
“Daß, bloß durch ſie, des Schoͤpfers Abſicht, als
Seine Lieb’ und Seine Ehre,
“Des großen Zwecks verfehlen muͤßte; und Gott, ſo
wie es wuͤrd’ ergehen,
“Unſtreitig, ja vorher geſehen;
“So kann die menſchliche Vernunft unmoͤglich etwas
anders faſſen,
“Als dieß: Die ewge Liebe wuͤrde nie Menſchen haben
werden laſſen.
Wie weit nun aber die Vernunft, in Glaubens-
Sachen, anzuhoͤren,
Das werden deutlicher, als ich, vernuͤnftge Geiſt-
lichen erklaͤren.
Noth-
Nothwendiger Verband der Koͤrper,
der Sinnen, und der Seele.
Farben, Formen, Schatten, Licht,
Sind die Schoͤnheit dieſer Erden. Aber doch ſind
ſie es nicht
Ohn’ ein ſie verbindend Aug’, ohn’ ein ſinnliches Geſicht.
Und auch hierzu muß annoch ſich ein Ueberlegen fuͤgen,
Soll man anders an der Pracht dieſer Erden ſich ver-
gnuͤgen,
Jhren Wunder-Bau bewundern, ihre Lieblichkeit em-
pfinden,
Und, in ihnen, ihren Urſprung, einen weiſen Schoͤpfer,
finden.
Gottes
Gottes Groͤße.
Mit gebuͤhrender Bewundrung ſah die Seele durchs
Geſicht
Juͤngſt des eben aufgegangnen großen Monden-Koͤrpers
Licht,
Welcher, bloß durch einen Schein,
Wie von Licht, ſo auch von Groͤße, alle große Sterne
klein,
Nacht und Schatten helle macht,
Da er doch nicht licht, nicht groß. Dieſes nahm mein
Geiſt in Acht,
Und betrachtete zumal: Ob wir hier mit Recht wohl
koͤnnen
Etwas an ſich ſelber groß, ohne dran zu irren, nennen?
Von der wahren Groͤße Stand
Ward mir endlich dieſe Wahrheit, die unſtreitig iſt,
bekannt:
“Jn den Coͤrpern, die erſchaffen, und in aller Himmel
Gruͤnden,
“Trotz der ungeheuren Groͤßen, iſt nichts groß, nichts
klein zu finden,
“Als nur bloß Vergleichungs-weiſe. Nichts fuͤr ſich
iſt groß und klein.
“Der nur, der kein Gleiches hat, keiner ſonſt, iſt
groß allein.
8 Theil. M mVon
Gottes Groͤße.
Von der koͤrperlichen Groͤße ward ich zu den Geiſtig-
keiten,
Und derſelben unergruͤndlich- unbegreiflich- unbekannt-
Jn ſich ſelbſt verborgenen, denkenden Beſchaffenheiten
Unvermerket hingefuͤhrt. Da ich denn derſelben Stand,
Mit verwirretem Erſtaunen, ohne Raum und Ort befand,
Dergeſtalt, daß tauſend Geiſter kaum von einer Nadel-
Spitze
Den faſt unſichtbaren Platz, oder Raum, zu ihrem Sitze,
Wie es ſcheint, gebrauchen muͤſſen. Wenn man ſich die
Geiſter-Welt,
Nach den Gruͤnden unſers Wiſſens, wie man lehrt, vor
Augen ſtellt,
Hat ſo wenig Raum und Geiſt mit einander was gemein,
Daß uns deucht, die Geiſter koͤnnten all’ an einem Orte
ſeyn,
Ohn’ einander ſich zu hindern. Ob ich gleich, daß dieſer
Schluß
Mir nicht eben richtig ſcheint, und ganz unbegreiflich
faͤllt,
Mit Erlaubniß unſrer Weiſen, oͤffentlich geſtehen muß.
Da vielmehr es ordentlicher, von denſelben dieß zu glaͤuben,
Daß ſie in ein Mittel-Weſen, zwiſchen Geiſt und Leib,
gehuͤllt,
Wodurch jeder, abgeſondert, doch noch einen Ort erfuͤllt,
Und ſie etwan, auf die Weiſe, unter ſich verſchieden bleiben.
Was die menſchliche Vernunft von den Geiſtern faſſet,
ſcheint
Den Begriff uns faſt zu geben. Doch begreif’ ich auch
dabey,
Daß ihr Weſen von der Gottheit auch darinn verſchieden
ſey:
Daß
Gottes Groͤße.
“Daß der große Geiſt der Geiſter, Der ſie all’ in Sich
vereint,
“Und woraus ſie all’ entſtanden,
“(So wie ſie nur irgendwo) allenthalben ganz, vor-
handen,
“So wie die vergangenen, kuͤnft- und gegenwaͤrtgen
Zeiten,
“Der Unendlichkeiten, Tiefen, aller grauen Ewigkeiten
“Ewigkeiten in Sich faſſe;
“Nirgend nicht ſey, ſonder Ziel, ſonder Zahl und ſonder
Maaſſe.„
Dieſe Meynung von der Gottheit, und von der Allge-
genwart,
Auſſer, daß ſie uns erfreulich, und ſehr troͤſtlich, koͤmmt
ſie mir
Als die wuͤrdigſte Jdee einer wahren Gottheit fuͤr.
Alle Dinge, die erſchaffen, ſind, und ſind nicht groß
und klein;
Der nur, Der kein Gleiches hat, GOTT der
HERR, iſt groß allein.
M m 2Goͤttliche
Goͤttliche Guͤte mit Dank genieſſen,
Goͤttliche Guͤte mit Dank genieſſen,
iſt beſſer,
als Jhn begreifen wollen.
Der Menſchen Geiſt wuͤßt’, ohne Koͤrper, nichts;
Die Sinnen ſind allein die Quellen ſeines Lichts.
Es hat der weiſe Gott ein Mittel ausgefunden,
Und durch den Leib uns mit der Welt verbunden.
Warum verachtet denn der Geiſt ſo freventlich
Die Sinnen und den Leib, die doch ſein eignes Jch
Zuſammen halten und ernaͤhren,
Ergetzen, nuͤtzen und belehren?
Will, auf der Welt, der Menſch bloß den Verſtand allein,
Mit ſeines Koͤrpers Ausſchluß, brauchen;
So werden wir ſchon hier den Todten aͤhnlich ſeyn.
Man lebte, ſonder Leib, als waͤr man ſchon geſtorben;
Sechs achtel Theile ſind dadurch von uns verdorben.
“Der Schoͤpfer hat uns in dieſer Welt
“Gewuͤrdigt, ſo mancherley Guͤter zu haͤufen.
“Wie daß ſo viel Schoͤnes uns denn nicht gefaͤllt!
“Wir ſollen genieſſen; wir wollen begreifen.
“Er hat uns in ſolchen Stand geſtellt,
“Die Wunder der Koͤrper, durch Koͤrper, zu kennen;
“Jn Werken den Meiſter bewundern zu koͤnnen,
“Jn ihnen uns tauſend Vergnuͤgen zu goͤnnen.
“Die ſinnlichen Kraͤfte vom Geiſte zu trennen,
“Da Gott ſie, zur herrlichen Abſicht, vereint;
“Lauft wider die Ordnung der Schoͤpfung, und ſcheint,
Jndem
iſt beſſer, als Jhn begreifen wollen.
“Jndem wir die Weisheit und Macht nicht betrachten.
“Man woll’, in Geſchoͤpfen, den Schoͤpfer verachten;
“Und (mit dem Hirn-Geſpinnſt allein
“Beſchaͤfftiget, vergnuͤgt, zufrieden,)
“Da Gott uns die Welt noch, zum Wohnplatz, beſchieden,
“Aus Uebermuth, ſchon dorten ſeyn.
“Laßt uns die Gewohnheit nicht ferner verleiten;
“Vielmehr uns, zu kuͤnftgen Vergnuͤglichkeiten,
“Durch kluges Genieſſen des Jrdſchen, bereiten!
M m 3Aufrichtiges
Aufrichtiges Geſtaͤndniß, nach ſchuldiger
Aufrichtiges Geſtaͤndniß,
nach
ſchuldiger Bemuͤhung unſern Geiſt
zu unterſuchen.
Von allen Menſchen abgeſondert, um in der Stille
Gott zu loben,
Saß ich in meinem kleinen Thurm, von allem Niedrigen
erhoben.
Hier ſieht man, in ſo weiter Ruͤnde, den Himmel, Erd’
und Waſſer an,
Daß man, vom Zirkel am Geſichts-Kreis, auf neunzig
Grad erblicken kann.
Jch drehte meinen Augen-Punkt in dieſem Zirkel
allgemach;
Jch dachte dieſer hohlen Weite, zuſammt des Himmels
Tiefe, nach,
Und konnte, durch des Raumes Jnhalt faſt unterdruͤcket,
dieß verſpuͤhren,
Daß in der ungeheuren Groͤße ſich die Gedanken ſelbſt
verliehren.
Jch zog zuletzt des Geiſtes Blicke,
Und meinen denkenden Verſtand,
So viel mir noch zu denken uͤbrig, von dieſer Groͤß’ auf
mich zuruͤcke,
Da ich mich kaum, vor Kleinheit, fand.
Ja,
Bemuͤhung unſern Geiſt zu unterſuchen.
Ja, da ich ferner, wie ſo klein,
Jm Gegenhalt mit meinem Koͤrper, die ſo viel kleinern
Augen ſeyn;
Noch mehr, wie ich noch uͤberlegte,
Und den ſo kleinen Punkt erwegte,
Des Nervchens, wo die Linien von beyden Augen ſich
verbinden,
Konnt ich den Punkt, von dieſem Punkt, auch nicht ein-
mal durchs Denken finden.
Und dennoch ſenkt’ ſich ſolche Groͤße, in eine Stelle, die
ſo klein,
Daß ſie ſo wenig, als die Groͤße, dem Geiſt begreiflich iſt,
hinein,
Und iſt noch immer koͤrperlich, wie groß auch ſeine Klein-
heit bleibet,
Bis es, ſo wie es mich bedeucht, daſelbſt dem Geiſt ſich
einverleibet,
(Wo man vom Geiſt ſo ſagen kann) der es entwickelt,
uͤberleget,
Und anders mit der Form verfaͤhrt, als wie ein bloßer
Koͤrper pfleget.
Die Stelle, (wo es eine Stelle) den Ort, (wo es ein
Ort zu nennen)
Laßt uns ein wenig unterſuchen, um, wo der Geiſt be-
ginnt, zu kennen;
Weil eben zwiſchen Geiſt und Koͤrper, wofern wir anders
richtig ſchlieſſen,
An dieſem Ort, die Grenzen ſeyn, und End’ und Anfang
machen muͤſſen.
M m 4Es
Aufrichtiges Geſtaͤndniß, nach ſchuldiger
Es ſcheint, ob muͤſſen große Dinge, ſowohl im Him-
mel, als auf Erden,
Eh’ unſer Geiſt ſie faßt, verkleint,
Und, eh ſie was, mit ihm vereint,
Jn ein gewiſſes Maaß gebracht, und fuͤr ihn eingerichtet
werden;
Da auch, wenn Dinge gar zu klein,
Vergroͤßrungs-Glaͤſer noͤthig ſeyn.
Sprich nicht: Das liegt an unſern Augen,
Weil ſie ſonſt nichts zu ſehen taugen.
Es ſcheint vielmehr, daß das Geſicht
Sey fuͤr den Geiſt ſo zugericht’t,
Als daß der Geiſt, das edelſte, ſich nach dem ſchlechtern
richten ſollte;
Wie in der That geſchehen muͤßte, wofern man dieß be-
haupten wollte.
Es ſcheint demnach, was wir geſagt, aus dieſem
Grunde ziemlich klar,
Und gleichſam uͤberzeuglich wahr,
Daß Koͤrper ein gewiſſes Maaß von einer Groͤße muͤſſen
kriegen,
Damit derſelbigen Figuren ſich mit dem Geiſte koͤnnen
fuͤgen.
Allein!
Es duͤrft’ hier mancher ſprechen: Hier wird noch einzu-
werfen ſeyn:
Figuren ſind ja koͤrperlich;
Der Geiſt, ſo geiſtig, kann ja ſich
Mit den Figuren nicht befaſſen.
Wie
Bemuͤhung unſern Geiſt zu unterſuchen.
Wie wird doch wohl ein einfach Weſen,
Das bloß zum Denken nur erleſen,
Mit koͤrperlicher Bilder Formen ſich fuͤgen und verbinden
laſſen,
Und waͤren ſie auch noch ſo klein?
Die Schwierigkeiten, die ſich hier vom Geiſt, zum Geiſte
ſelber, haͤufen,
Die ſcheinen ihm faſt ja ſo ſchwehr, unmoͤglicher faſt zu
begreifen,
Als daß aus Koͤrpern, die gefuͤgt, wenn ſie ſich etwa
kuͤnſtlich trennten,
Nicht Theile ſich vergeiſtern koͤnnten.
Es waͤr denn, daß die Einfachheit, die große neu erfundne
Wahrheit,
Nicht eben die vermeynte Klarheit,
Als wie man glaubet, in ſich ſchloͤße.
Jedoch, dieß ſey dahin geſtellt. Auf das, ſo wir uns
vorgenommen:
Ob naͤmlich Kleinheit, oder Groͤße,
Jn dem, was geiſtig, anzutreffen; muß unſere Betrach-
tung kommen.
Daß einem Geiſt, ſo wie wir ihn, fuͤr ſich alleine, zu
erwegen,
Und einen denkenden Begriff von ihm uns bloß zu ma-
chen pflegen,
Wohl keine Groͤße zuzueignen, begreift man, ſo wie wir
begreifen;
Allein dann, wenn er ſich mit Groͤßen befaſſen muß, da
ſcheinen eben
Die Schwierigkeiten ſich zu haͤufen,
Und etwas Unbegreifliches ſich augenblicks hervor zu geben.
M m 5Wie
Aufrichtiges Geſtaͤndniß, nach ſchuldiger
Wie wenig wir nun faſſen koͤnnen; ſo ſcheinet doch,
man koͤnne ſchlieſſen,
Daß Geiſter, wenn ſie mit den Koͤrpern ſich fuͤgen, ſich
veraͤndern muͤſſen;
Daß ſie in einen andern Stand, als ſie vorher geweſen,
kaͤmen,
Und, es geſchehe wie es wolle, doch etwas anders an ſich
naͤhmen,
So ſie vorhero nicht gehabt. (wofern wir ſie,
Wie in der neuen vorbeſtimmten, alſo genannten Har-
monie,
Nicht bey und nebſt den Koͤrperchen faſt muͤßig, wollten
laufen laſſen.)
Allein, wie dieſes recht geſcheh, geſteh’ ich gern, es nicht
zu faſſen.
Es koͤnnen unſers Koͤrpers Augen faſt alles, aber ſich
nicht, ſehn,
Als etwa bloß in einem Spiegel; ſo ſcheint es mit dem
Geiſt zu gehn.
Wer aber reichet uns den Spiegel, in welchem unſer Geiſt
ſich zeiget?
Da alles das, was in und um uns, von ſeinem wahren
Weſen ſchweiget;
So deucht mich, wenn man dieſes erſt, wie unſre Pflicht,
ermeſſen wollte,
Daß man von einem Richter-Spruch ſo lange ſich ent-
halten ſollte,
Bis dieſer Spiegel erſt gefunden,
Und daß die Menſchheit, dieſen Satz wohl zu beherzigen,
verbunden:
Bevor
Bemuͤhung unſern Geiſt zu unterſuchen.
Bevor wir uns nicht ſelbſt gefaßt, und was wir ei-
gentlich ergruͤbelt,
Wird uns der Ausdruck: Es iſt ſo, und anders
nicht; mit Recht veruͤbelt.
Es ſcheint uns beſſer anzuſtehen,
Nachdem wir alles unterſuchet, und uns, wie alles, an-
geſehen,
Zu dem aufrichtigen Geſtaͤndniß: Wir wiſſen wenig;
uns zu kehren,
Den Schoͤpfer durch Bewunderung, in Seinen Werken,
zu verehren,
Und, in gelehrter Demuth, Jhn am wuͤrdigſten oft zu
erhoͤhen,
Nebſt einem kindlichen Vertrauen: Es werd’ uns Gott,
nach dieſem Leben,
Von uns, von allen, und von Sich, aus Gnaden, mehr
Erkenntniß geben.
“Wobey wir hier doch billig danken, daß Er uns einen
ſolchen Grad,
“Uns, in Bewundrung, zu vergnuͤgen, zu Seiner Ehr,
geſchenket hat.
Unter-
Unterſuchung
eines vom Koͤrper getrenneten Geiſtes.
Jch mag auch denken, was ich will;
Die ganze Welt bleibt vor ſich ſtill,
Und fuͤhlet nichts von meinem Denken:
Nichts kann ſich aͤndern, regen, lenken.
Es wird, auf unſrer ganzen Erden,
Dadurch nichts ausgerichtet werden,
Wo, durch ein koͤrperlichs Bewegen,
An mir ſich keine Theile regen.
Hieraus erhellet, daß der Geiſt,
Wie, oder was man Seele heißt,
Fuͤr ſich, nichts mit der Welt zu ſchaffen.
Es iſt demnach ein Mittel-Weſen
Zu dieſer Abſicht bloß erleſen.
Dieß ſcheint das ſinnliche Vermoͤgen,
Das unſre Seelen in ſich hegen,
Daß ſolches ſich mit ihr verbinde:
Und daß man anders keinen Band
Mit unſrer Welt, und den Verſtand,
Als bloß das Sinnliche, befinde.
Hier aber moͤchte mancher ſprechen,
Und unſer kuͤnftigs Hoffen ſchwaͤchen:
Hoͤrt, bey vollbrachtem Lebens-Lauf,
Bey uns das Sinnliche nun auf;
So ſcheint die Welt und Geiſt getrennet:
Die Welt wird, nebſt der Pracht des Lichts,
Fuͤr ihn ſodann ein leeres Nichts,
Jndem er nichts von ihr mehr kennet.
Ja,
Unterſuch. eines vom Koͤrper getrennten Geiſtes.
Ja, weil nicht nur die Welt allein,
Auch Himmels-Koͤrper, Koͤrper ſeyn;
So ſchienen ſie, nebſt ihrem Weſen,
Fuͤr unſre Seele nicht erleſen:
Einfolglich waͤr’ auch alle Pracht,
Die Gott darinn hervorgebracht,
Fuͤr unſre Geiſter nicht gemacht.
Der ſtrenge Schluß verwirret mich.
Doch, denk’ ich nach; ſo findet ſich:
Daß, da das ſinnliche Vermoͤgen
Was Geiſtigs, wovon eigentlich
Den Grund die Seelen in ſich hegen;
Wird ſich die Kraft nicht von ihr trennen,
Noch mit dem Koͤrper ſchwinden koͤnnen.
Wirfſt du mir etwa ferner ein:
Es koͤnne doch die Kraft allein,
Ohn leiblichs Werkzeug, nichts verfangen;
So iſt es noch nicht ausgemacht,
Ob man genugſam nachgedacht,
Ob alles Leibliche vergangen.
Vielleicht ſind koͤrperliche Theile
Bey ihr, die ſo ſubtil und fein,
Daß ſie nicht ſicht- nicht fuͤhlbar ſeyn;
Und daß die Ordnung der Natur,
Jm Tode, die zu groben nur,
So ſie bishero eingekleidet,
Von ihrem Weſen trennt und ſcheidet.
Vielleicht kann die Verwandelung,
Und merkbare Veraͤnderung,
Des
Unterſuchung
Des Seiden-Wurms, in dieſem Leben,
Uns ein etwanigs Beyſpiel geben:
Als welcher, zu gewiſſer Zeit,
Die groben Huͤlſen, und das Kleid,
Das erſt ihn einzuſchraͤnken pfleget,
Wenn es verſchrumpfet, von ſich leget;
Da man in einer ſchoͤnern Haut,
Aufs neu’, ihn eingehuͤllet ſchaut.
Daß aber unſer Leib ſo zart,
Daß man deſſelben Gegenwart
Mit Augen nicht vermag zu ſehen;
Kann nichts beweiſen: da uns ja
Die große Luft, die uns ſo nah,
Und, wie erweislich, wirklich da,
Nicht ſichtbar; wie du mußt geſtehen.
O welch ein heller Wahrheits-Schein
Praͤgt hier ſich meiner Seelen ein,
Der, tauſendfaches Widerſprechen,
Das hier ſo manchen Geiſt geplagt,
Und, recht als wie ein Wurm, genagt,
Vermoͤgend, kraͤftiglich zu ſchwaͤchen!
Von welchem Geiſte konnte ſich
Der Stand von unſerm Geiſte faſſen,
Noch ſeine Graͤnzen eigentlich,
Als unbegraͤnzt, begreifen laſſen?
Der hier im Koͤrper immerdar
Bisher verſchraͤnkt geweſen war,
Und eben dadurch bloß allein,
Ein Individuum zu ſeyn,
Geſchickt
eines vom Koͤrper getrennten Geiſtes.
Geſchickt geweſen; das nunmehr
Von Form, Figur und Schranken leer:
So daß die Geiſter etwa muͤſſen,
Wie Waſſer, in einander flieſſen;
Wie, oder man muß dieſes glaͤuben,
Daß ſie, wie hier, geſchieden bleiben.
Denn, ſprecht, in einem dunklen Sinn,
Von einem Geiſte, immerhin:
Er ſey ein Simplex. Denn das deine
Muß doch ein ander Simplex ſeyn,
Ein anders Seyn, als wie das meine:
Einfolglich, wo es ſich mit mir
Nicht ſoll verwirren; muß es ſich,
Recht in der That und weſentlich,
Durch ein nothwendigs dort und hier,
Durch etwas minſtens, unterſcheiden.
Die Meynung aber, daß die Seelen
Mit zartem Stoff ſich noch vermaͤhlen,
Mit duͤnnen Weſen ſich bekleiden,
Wuͤrd’ alle Schwierigkeiten heben,
Und viel Erlaͤuterungen geben
Jn Sachen, die, ſeit ſo viel Jahren,
Voll Widerſpruch, und dunkel, waren.
Seelen-
Seelen-Betrachtung.
Denkend und empfindend Puͤnctchen, das ſich ſelber
Seele nennet,
Das ſich ſelber zwar bewußt, aber ſich dennoch nicht
kennet,
Komm einmal, dring’ in dich ſelbſt; laß von deinem
wahren Weſen,
Jn ſo fern du dir begreiflich, uns doch etwas gruͤndlichs
leſen!
Da wir uns auf dich verlaſſen; da, was du fuͤr wahr
erklaͤrt,
Wir fuͤr wahr und richtig halten; iſt es wohl der Muͤhe
wehrt,
Deine Kraft zu unterſuchen: da wir, ohne dich zu kennen,
Wenn du dich wo ſelbſt betroͤgſt, auch betrogen werden
koͤnnen.
Dir iſt ſelbſt daran gelegen, deine Kinder, die Ge-
danken,
Einſt mit Ernſt auf dich zu wenden; deine Kraͤfte,
deine Schranken,
Ordentlich zu unterſuchen. Sprich nicht, um zu wi-
derſtreben:
“Wem ſoll ich von meinem Weſen und Verfah-
ren Rechnung geben?
“Der mich fragt, der bin ich ſelbſt; und zwar
bin ich es allein:
“Denn mein Koͤrper kann unmoͤglich uͤber mich
ein Richter ſeyn.
Gut!
Seelen-Betrachtung.
Gut! die Ausflucht ſcheinet billig. Aber, doch zum
Zweck zu kommen,
Und nicht erſt zu unterſuchen, ob nicht unſer Weſen ſey,
Statt zwey Theil’, als Seel’ und Koͤrper, eigentlich
gefuͤgt aus drey,
Aus dem Koͤrper, Seel’ und Geiſt; laß, von einer an-
dern Seelen,
Uns die Schranken unterſuchen, und zu unſerm Vor-
wurf waͤhlen.
Wir befinden, daß die Seele fuͤhlet, merket, denkt
und meynt:
Wobey ſie, nach ihrem Weſen, dennoch ſo beſchaffen
ſcheint,
Daß, wenn keine Koͤrper waͤren, und wenn ihr die Sin-
nen fehlten,
Auch ſo gar ihr’ eignen Kraͤfte ewig ſich vor ihr ver-
hehlten;
Ja, ſie wuͤrde ſich, vermuthlich, ſelber unbewußt ver-
bleiben.
Jſt denn ſolchem Weſen wohl, das nur bloß die Faͤhigkeit,
Durch Erfahrung, in ſich hegt, das Vermoͤgen zuzu-
ſchreiben,
Mich zur Wahrheit hinzufuͤhren, und zur Vollenkom-
menheit?
Unſers Koͤrpers Wunder-Bau iſt ſo wunderbar gefuͤget,
Zu der offenbahren Abſicht, wie es ja vor Augen lieget,
Daß wir ſinnlich werden ſollen; da die Menſchen, bloß
allein
Durch die Werkzeug’ ihrer Sinnen, mit der Welt ver-
bunden ſeyn.
8 Theil. N nWaͤr
Seelen-Betrachtung.
Waͤr der ganze Kreis der Welt voll von ſolchen Men-
ſchen-Seelen,
Die entbloͤßt von allen Sinnen; wuͤrd ſich die Natur
verhehlen;
Wuͤrden ihnen Erd’ und Himmel, ja ſie ihnen ſelber
fehlen.
“Thut denn eine Seele wohl, daß ſie Sinn’ und
Welt verachtet,
“Die doch ihre Lehrer ſind? daß ſie ſich allein
betrachtet
“Als der Wahrheit einzge Quelle? daß ſie, frech, bereits
hienieden
“Alle Dinge faſſen will, welche ſie, nach dieſer Zeit,
“Jn verklaͤrter Wiſſenſchaft, und vermehrter Faͤhig-
keit,
“Nach des Schoͤpfers Lieb’ und Ordnung, zu begreifen,
erſt beſchieden?
“Denn aus ihrer Schwaͤche ſelbſt machet ſie mit Recht
den Schluß:
“Daß ſie, von der Gottheit Liebe, Beßrung hoffen kann,
und muß.
“Durch die Sinnen ſich der Welt,
“Auf vernuͤnftge Art, gebrauchen, ſcheinet hier der
Menſchen Pflicht,
“Zu dem Endzweck ſcheinen Koͤrper, Seel- und Sinnen,
zugericht’t.
“Will man das, was Gott verbunden, und einander
zugeſellt,
“Trotz-
Seelen-Betrachtung.
“Trotz- und eigenwillig, trennen? Wollt ihr denn,
auf dieſer Erden,
“Statt mit Fleiſch vereinter Seelen, ſchwaͤrmende Ge-
ſpenſter werden?
“Welch ein Umſturz der Natur! welch ein thoͤrichter
Verſtoß!
“Da ihr Seel- und Sinnen trennet, ſeyd ihr Sinn-
und Sinnen-los.
N n 2Gleich-
Gleichniß.
Jndem ich, nach verfloßner Nacht,
Und einer ſanften Ruh’, erwacht;
Erblickt’ ich, an der Wand, die meiner Augen Ziel,
Von einem Linden-Baum, den Phoͤbus Licht beſtrahlt,
Und den der Wind bewegt, ein ſcherzend Schatten-Spiel;
Jndem der Blaͤtter Heer daran ſich deutlich mahlt,
Und, unaufhoͤrlich, eine Stelle
Bald dunkel macht, bald wieder helle.
Jch dachte dieſem nach, und fand, daß auf der Erden,
Dergleichen Aendrungen, die Licht und Schatten macht,
Jn Tag und Nacht,
Beſtaͤndig, auch gefunden werden.
Denn, daß ſie langſamer, und nicht ſo ſchnell, geſchehn,
Wie wir es hier im Spiel der Blaͤtter ſehn,
Beſtreitet dieſes Gleichniß nicht.
Die Zeit, worinn die Aenderung geſchicht,
Thut, an und fuͤr ſich ſelbſt, faſt nichts dazu; da man,
Mit Recht, von unſrer Zeit ja ſagen kann:
Daß eigentlich
Die Zeit, fuͤr ſich,
(Aufs wenigſte, wie wir ſie kennen)
Nicht kurz, nicht lang, zu nennen.
Wenn wir demnach, nach dieſer Zeit,
Nicht eine Ewigkeit
Zu hoffen haͤtten; koͤnnten wir,
Nebſt unſrer Zeit und Dauer hier,
So wie der Tag und Nacht auf Erden,
Mit dieſem Licht- und Schatten-Spiel,
Nicht ungereimt, verglichen werden.
Zu-
Zuſtand der Welt.
Wenn wir der Erde ſtetes Drehn,
Mit einiger Aufmerkſamkeit, beſehn,
Und, was dadurch geſchicht, erwegen;
So findet ſich, daß, immerfort,
Zu einer Zeit es fruͤh, am andern Ort
Es ſpaͤte ſey: daß hier ſich Menſchen niederlegen;
Die andern dort, zur ſelben Zeit,
Mit ſchon erſchlafner Munterkeit,
Von ihren Lager-Staͤten
Auf ihre Beine treten.
Dieß unauf hoͤrliche Gewuͤhl auf dieſer Welt,
Das mir die Phantaſey, im Geiſt, vor Augen ſtellt,
Ruͤhrt meinen Geiſt auf eine fremde Weiſe:
“So, daß ich Den, mit froher Ehrfurcht, preiſe,
“Der das, was ſonder Ordnung ſcheint,
“Auf eine Art, die einfach iſt, vereint,
“Und eine Welt, worinn ſich unſer Geiſt verliert,
“So wunderbar, ſo ordentlich, regiert;
“Ja, welcher, die Verſchiedenheit
“So vieler Handlungen, zu einer Zeit,
“Auf einmal uͤberſieht, Geſchoͤpfe ſchaffet, lenket,
“Und ihnen ihre Daur, ſo wie ihr Weſen, ſchenket.
N n 3Die
Die nicht ganz unſichtbare
Gottheit.
Der Geiſt des Menſchen, nicht der Koͤrper, iſt, einen
Gott zu ſehn, erleſen:
Kein Aug’ hat einen Geiſt zum Vorwurf. Es iſt Sein
eigentliches Weſen
Nicht ſichtbar; dennoch iſt Er ſichtbar in Seinen wun-
derbaren Werken,
Worinn die Augen der Vernunft, die Er uns ſchenkt,
Jhn ſehn und merken.
“So deutlich, und noch deutlicher, als wenn wir
Jhn mit Augen ſaͤhn,
“Kann man die Wirklichkeit des Schoͤpfers, in dem
Erſchaffenen, verſtehn.
Woraus dann dieſes klaͤrlich flieſſet:
“Daß, weil der Gottheit Werk allein
“Die Spuhren Seines Weſens ſeyn,
“Der, ſo vor ſie die Augen zu- auch ſelbſt vor Gott
die Augen ſchlieſſet.
Ungluͤck-
Ungluͤckſelige
Folgen der Unachtſamkeit.
OGott! wo kommt doch dieſes her,
Daß wir, recht als in einem Meer
Von Guͤtern, und von Wundern, ſchwimmen:
Und man doch immer, ungeruͤhrt,
Faſt alles, im Beſitz, verliert;
Sich nimmer, Dir, wie ſichs gebuͤhrt,
Bemuͤht, ein Dank-Lied anzuſtimmen!
Die meiſten Dinge ſcheinen ſo;
Man wird derſelben bloß nur froh,
So lange ſie von uns entfernet.
Es iſt nur ein Geſichts-Punkt da,
Wo es gefaͤllt: Kommt es zu nah;
Verzieht ſich ploͤtzlich alles das,
(Als wie, durch ein Vergroͤßrungs-Glas,
Bey Dingen, die zu nahe ſtehn)
Was in dem Aug-Punkt wunderſchoͤn,
So lang’ es nicht zu nah, zu ſehn.
Der Fehler aber lieget nicht
Am Vorwurf, auch nicht am Geſicht;
Er liegt allein, daß wir das Denken
Nur immer vorwaͤrts, und faſt nie,
Aufs wenigſte nicht ohne Muͤh’,
Aufs Gute, ſo uns nah iſt, lenken.
N n 4“So
Ungluͤckſelige Folgen der Unachtſamkeit.
“So lang’ uns, was man hat, nicht ruͤhrt,
“Jſt es unmoͤglich, auf der Erden,
“Beym groͤßten Gluͤck, begluͤckt zu werden;
“Da man, was man bekommt, verliert.
“So lange man zu allen Sachen,
“Die gut ſind, nicht das Denken fuͤgt;
“Kann uns kein Koͤnigreich vergnuͤgt,
“Kein Kayſers-Zepter gluͤcklich, machen.
Der
Der Schoͤpfer,
durch Seine Werke geprieſen.
Herr der Tiefen! Quell der Meere!
Urſtand, Fuͤhrer und Monarch nicht zu zaͤhlnder
Erden-Heere!
Aller Stern- und Sonnen Sonne, deren Licht aus Dir
nur quillt!
Der der Himmel Himmels-Sphaͤre,
Ja, das unumſchraͤnkte Leere,
Allenthalben gegenwaͤrtig, uͤberall umſchraͤnkt und fuͤllt!
Grund der Weſen! Schoͤpfer, Meiſter,
Aller Menſchen, Engel, Geiſter!
Deiner Creaturen Choͤre
Singen, in nie ſtillen Toͤnen, die ſo ſanft als allgemein:
Ewger Urſprung unſers Weſens, wahres Weſen!
Dir allein
Sey Lob, Preis und Dank und Ehre!
N n 5Die
Die Wolluſt.
Von allem, was da lebt, Magnet, der allgemein,
O ſuͤße Wolluſt, ohne dich
Wuͤrd’ uns, zu ſterben, und zu leben
Auf dieſer Welt, gleichguͤltig ſeyn.
Es regt ſich, was ſich regt, nur bloß durch dich allein.
Es lebt kein Fuͤrſt, kein Baur, kein Kaufmann, kein Soldat,
Der, auf der Welt, nicht dich zum Endzweck hat.
Wie? rechnet man die Luſt der Sinnen gar fuͤr nichts?
Fuͤr wen iſt doch der Wein? fuͤr wen die Pracht des Lichts?
Fuͤr wen iſt die Muſik? fuͤr wen die ſchoͤne Bluͤhte?
Fuͤr wen ein ſchoͤner Leib? Ein froͤhliches Gemuͤhte
Gebraucht ſich aller Ding’, und nimmt nur dieß in Acht,
Daß er der Ordnung folgt, zumal im Lieben,
Die Der in Bruſt und Schrift ihm vorgeſchrieben,
Der, bloß aus Lieb’ allein, ihn und die Welt gemacht.
Verab-
Verabſaͤumte Betrachtung
Goͤttlicher Geſchoͤpfe hoͤchſtſchaͤdlich.
Wofern die Abſicht Gottes war, in uns, Geſchoͤpf
hervor zu bringen,
Die der von Jhm erſchaffnen Werke genieſſen ſollten, Jhm
zur Ehr;
So laßt uns doch einmal erwegen, da wir, in ſo viel
ſchoͤnen Dingen,
Uns nicht vergnuͤgt, Gott nicht erkannt; wenn wir ge-
ſtorben, wie ſo ſchwehr
Uns denn die Rechnung fallen duͤrfte, fuͤr das, was hier
von uns geſchehn,
Fuͤr das, was von uns unterlaſſen. Wird es nicht faſt
unleidlich klingen,
Wenn wir, erſtaunt, zuruͤcke denken, und, wegen Gottes
Werk’ auf Erden,
Betruͤbt uns ſelber fragen werden:
War denn die Welt voll ſolcher Schaͤtze? ſo ſehr Bewun-
derns-wehrt? ſo ſchoͤn?
Wir haben dieſes nicht bemerkt, geſchmeckt, gehoͤret, noch
geſehn.
Wie gluͤcklich wuͤrden wir uns ſchaͤtzen, wenn uns ſodann,
die Pracht der Erden
Noch einſt zu ſehn und zu genieſſen, aus Gnaden moͤcht’
erlaubet werden.
Mittel
Mittel gegen die Unachtſamkeit.
Daß man an ſo vielem Guten ſich ſo ſelten nur ver-
gnuͤgt,
Kommt, daß der Gewohnheit Staͤrke die Aufmerkſamkeit
beſiegt.
Doch, es ſchadet zum Vergnuͤgen die Gewohnheit nicht
allein;
Nein, auch dieß, daß die Gedanken mehrentheils zer-
ſtreuet ſeyn,
Der Beſchaͤfftigungen Vielheit, und der Vorwuͤrf’.
Es verhindern
Auch die Traͤgheit des Gemuͤths, nebſt der Unempfind-
lichkeit,
Andrer Jrrenden Exempel, Stolz und Unzufriedenheit,
Den Genuß des vielen Guten. Dieſe Feinde muß man
mindern,
Und ſie zu bekaͤmpfen ſuchen, eh wir zur Aufmerkſamkeit,
Als dem Schluͤſſel zum Vergnuͤgen und zum Dank, ge-
langen koͤnnen.
Wann nun dieſes ſonder Muͤhe, ja faſt ſonder Kampf
und Streit,
Nicht erhalten werden kann,
Und ſie wirklich eine Kunſt, eine ſolche Kunſt zu nennen,
Welche nicht ſo leicht zu lernen; ach! ſo fange man
doch an,
Sich mit Sorgfalt zu bemuͤhn,
Die ſich ſtets zerſtreunden Blicke, den nicht minder fluͤcht-
gen Geiſt,
Zu bezaͤhmen, und ſie beyde feſt auf einen Punkt zu ziehn,
Weil, auf ſolche Art zu ſehen, eigentlich nur ſehen heißt.
Beyder
Mittel gegen die Unachtſamkeit.
Beyder concentrirte Kraͤfte werden denn zuerſt erblicken,
Wie die Werke der Natur ſich Bewunderns-wuͤrdig
ſchmuͤcken,
Dadurch muß und wird Bewundrung in der regen Seel’
entſtehn.
Man wird tauſend Ding’ entdecken, die man nie vorher
geſehn.
Dann wird der geruͤhrte Geiſt, da er ſo viel Wunder
ſpuͤhret,
Jn der neu empfundnen Luſt, zu der Wunder-Quell gefuͤhret,
Und von Andacht, Lieb’ und Ehrfurcht inniglich erfuͤllet
werden,
Gegen den allmaͤchtigen Schoͤpfer Himmels und der Erden,
Der gewollt, daß ſie entſtuͤnden, und der uns fuͤr ihre
Pracht,
Durch der Sinnen Wunderwerke, wunderbar empfindlich
macht,
Ja, dabey uns noch die Kraft, zu erwegen und zu denken:
Daß wir alles Jhm zu danken; uns gewuͤrdiget, zu
ſchenken.
Verboth
Verboth,
an
Goͤttliche Geſchoͤpfe ſich zu vergnuͤgen,
ſuͤndlich.
Uns zeiget dieſes die Natur
Jn ihren ungezaͤhlten Schaͤtzen.
Es zeiget uns die Schrift die Spur,
Man ſoll an ſelben ſich ergetzen.
Es leget die Vernunft uns klar
Die Abſicht einer Weisheit dar,
Daß ſolche Ordnung, ſolche Pracht
Ja wohl umſonſt nicht ſey gemacht.
So ſpricht Natur, Vernunft und Schrift. Ein
ſchwaͤrmriſcher Phantaſt hingegen
Sucht, bloß auf ſich allein ſich fußend, ſie alle drey zu
widerlegen,
Und traͤumt: Der Menſch, aus Seel’ und Leib, ſoll auf
der Welt ein Geiſt allein,
Dis Goͤttliche Geſchenk, die Sinnen, ſoll ſuͤndlich: alles
teufliſch ſeyn,
Was koͤrperlich, was in der Welt. Vortrefflich waͤre
dieſe Lehre,
Wofern der Urſtand, Herr und Schoͤpfer der Welt, nicht
Gott, der Teufel, waͤre.
Die
Die Weisheit.
Die Weisheit iſt: Von allen Sachen,
Sowohl die koͤrperlich, als geiſtig, ſich richtige
Begriffe machen.
Um nun zur ſelben zu gelangen; ſo muͤſſen wir die Ei-
genſchaft
Der, von dem Schoͤpfer, unſern Seelen einſt anerſchaff-
nen Wunder-Kraft,
Uns etwas in uns vorzuſtellen, zu unterſuchen uns
bemuͤhen,
Und, um von allem Jrrthum, Trug und Widerſpruch
uns abzuziehen,
Die Phantaſie verbeſſern lernen, zumal, da alles auf der
Welt,
Fuͤr uns, das, was es iſt, nicht iſt; nein, das, was
man ſich vorgeſtellt.
Nun ſind die Sinnen eigentlich, wenn man es recht
erwegt, die Thuͤren,
Wodurch die Koͤrper unſre Seelen, und unſre Seelen ſie,
beruͤhren.
Die Thuͤren muͤſſen denn geoͤffnet, gerad’, und nicht ge-
kruͤmmet, ſtehn,
Damit die Vorwuͤrf’ auch gerad’ und richtig durch die-
ſelbe gehn.
Es muß kein Dunſt von Leidenſchaft und Vorurtheil die
Gaͤng’ erfuͤllen;
Kein Spinnen-Webe der Gewohnheit den freyen Durch-
gang uns verhuͤllen:
Weil,
Die Weisheit.
Weil, wo die Vorwuͤrf’ unſern Geiſt, von auſſen ſchon
verſtellt, beruͤhren,
Sie ihn in ſeiner Urtheils-Kraft behindern und gewiß
verfuͤhren.
Man ſpanne denn zu dieſem Endzweck die Kraft an,
wie es ſich gehoͤrt.
Man lege die Phyſik zum Grunde, die uns der Koͤrper
Weſen lehrt,
Und uns derſelben Eigenſchaften bloß durch Erfahrungen
erklaͤhrt.
Dann lerne man die Menſchen kennen, und fange bey
ſich ſelber an,
Weil Selbſt-Erkenntniß uns am beſten zur Kenntniß an-
drer leiten kann.
Wann wir bey dieſer erſten Sproſſe zur Wahr- und
Weisheit angefangen;
So werden wir zur andern Staffel der Geiſter ſicherer
gelangen,
Zu welcher, ohne daß man jene zuerſt beſtieg und da nicht
irrt;
Ohn’ Jrrthum, ſonder Fehl und Zweifel, man nimmer-
mehr gelangen wird.
Verſchie-
Verſchiedene Arten der Abgoͤtterey,
auch bey Chriſten.
Je mehr mir die Verkleinerung von Gott, im alten
Mann, zuwider,
Je lieber wehl’ ich dieſen Greuel zu einem Vorwurf mei-
ner Lieder,
Um, wo es moͤglich, alle Menſchen in dieſem Stuͤck be-
kehrt zu ſehn,
Daß von der Gottes-Laͤſterung ſie ſich beſtreben abzuſtehn.
Es iſt nicht gnug, daß man von Gott ein Bild vom alten
Mann formieret,
Bey welcher winzigen Jdee man ſelbſt den wahren Gott
verlieret.
Es bleibet nicht allein beym Bilde. Es dichtet dieſem
alten Mann
Ein jeder, ohn’ es ſelbſt zu merken, ſein’ eigne Leiden-
ſchaften an.
Der Gott der Geizigen iſt hart, ſcharf, ernſthaft,
unerbittlich, ſtrenge,
Der Wolluſt und Vergnuͤgen haßt, ein Feind von glaͤn-
zendem Gepraͤnge,
Ein reicher Herr, ein Herr von allem, der alles Gold
und Geld der Welt,
Sowohl gepraͤgt, als ungepraͤget, beſitzt, und in Ge-
wahrſam haͤlt,
Der, die er liebet, ſegnen kann, der aber niemand anders
liebet,
Als der, mit Ausſchluß aller andern, ſich unaufhoͤrlich
Muͤhe giebet,
8 Theil. O oUnd
Verſchiedene Arten der Abgoͤtterey,
Und bloß auf ſich allein bedacht, des Tages und des
Nachts nicht ruht,
Um ein, von ihm ſelbſt nicht gebrauchtes, und ein bald
zu verlaſſend, Gut.
Der Stolzen Gott iſt ein Monarch, der uͤber alle
Ding’ erhoͤhet,
Nur Loben, Ruhm und Preis verlangt, und bloß allein
nach Ehren ſtehet,
Dem das, was irdiſch, zu geringe, der nur allein im
Großen groß,
Der das, was klein, veraͤchtlich ſchaͤtzet, und welcher nur
den Hohen bloß
Gewogen iſt, und ihrer achtet. Dem aller Engel Schaa-
ren dienen,
Und die, aus Ehrfurcht ſeine Pracht nur anzuſehn, ſich
nicht erkuͤhnen;
Der bloß nach ſeinem Willen herrſcht, der nur gebiethe-
riſch befiehlt,
Und deſſen Herrſchen nicht auf Liebe, nur bloß allein auf
Hoheit, zielt.
Die Gottheit einer weichen Wolluſt iſt ein von red-
lichem Gemuͤthe,
Nachſichtlich und verzeihend Weſen, das minder Strenge
liebt, als Guͤte;
Der alles ſo genau nicht nimmt, dem unſre Schwaͤche
wohl bewußt,
Dem Gut- und Boͤſes einerley. Ein Weſen, welches
keine Luſt
An Plagen und an Strafen findet, das ihnen wird, nach
dieſem Leben,
Es ſey geweſen, wie es ſey, ein ewigs froͤhlichs Leben geben;
Dieß
auch bey Chriſten.
Dieß zu erlangen, glaubt man ihn. Der alte Mann
ſcheint ihm zu gut,
Als daß Er ihn beſtrafen ſollte mit einer ewgen Hoͤllen-
Gluht.
Dieß ſind die Fruͤchte, wenn man Gott, in den betro-
genen Jdeen,
Als wie ein altes Menſchen-Bild, gewohnt geweſen, an-
zuſehen,
Statt Jhn als ein unendlichs All, das unbegreiflich,
unumſchraͤnkt,
Das Millionen Sonnen, Welten, und Raum und Himmel
ſchuff und lenkt,
Allgegenwaͤrtig, maͤchtig, weiſ’, und ewig, guͤtig zu be-
trachten.
Wenn wir Jhn nicht unendlich anders, als aller Witz
Jhn faſſet, achten,
Und glauben, daß der Gottheit Weſen durchaus nicht
Formen faͤhig ſey,
Begehn wir das verbothne Laſter der ſchaͤndlichen Ab-
goͤtterey.
O o 2La
La Divinité eſt incomprehenſible.
Raiſon reconnois toi, connois toi, par toi-même!
Tu ne ſçais rien de ſur, ſi non, qu’il eſt un Dieu.
So yés ſoumiſe à Lui, addreſſe à Lui tes voeux.
Dire, qu’on le comprend, eſt erreur, eſt blaſpheme.
Sur cette terre, à toi Il voulût Se montrer
Dans Ses ouvrages ſeuls. Il veut ſe reveler
Dans leur beauté, leur ordre & l’excellence,
Mais ſache, qu’icy bas, Il a voulû cacher
Son incomprehenſible Eſſence.
Auf
Auf Herrn Reinbecks Bildniß.
Dieß ſind des großen Reinbecks Zuͤge; dieß iſt ſein
holdes Angeſicht,
Des ſchoͤnern Geiſtes ſchoͤne Schaale. Es leuchtet dieſes
große Licht,
Jn ſeinen Gott geweihten Schriften, als wie der Mond
bey dunkler Nacht,
Durch die, von ihm gezeigte, Sonne, ſelbſt hell, und ſelbſt
zum Licht gemacht.
O o 3Gott
Gott gefaͤlliger Dienſt.
Wofern ein Gott, ſo wird Jhm ja ein, durch Sein
Werk, vergnuͤgt Gemuͤthe,
Als welche Werk’ Er uns, aus lauter Guͤte,
Jn dieſem Leben wollen goͤnnen,
Unmoͤglich mißgefallen koͤnnen.
Die Anmuth, welche man darinn verſpuͤhret,
Da ſie, in unſrer Luſt, zu Seiner Ehr’, uns ruͤhret;
Jſt in der That
Ein Ausbruch, ein Beweis, von Seiner Liebe
Und Abſicht, wozu Er uns hier erſchaffen hat:
Und die Betrachtungen von Weisheit und von Macht,
Wodurch, was iſt, hervor gebracht,
Gereichen und gehoͤren,
So viel Jhn ein Geſchoͤpf kann ehren, Jhm zu Ehren.
Es iſt dahero nichts ſo klein,
Worinn, zu unſerer Beluſtigung,
Betrachtung und Bewunderung,
Nicht ſollten Gruͤnde ſeyn.
Weil alles, da es uns ſich durch die Sinnen weiſet,
Ja Den, Der uns die Sinnen ſchenkt,
Die Koͤrper ebenfalls, auch was in uns gedenkt;
Jn einer froͤhlichen Betrachtung, wirklich preiſet.
Vernunft
Vernunft und Glaube.
Es iſt unſere Vernunft, in uns, ein lebendigs Licht,
Welches das, was wahr und irrig, zeigt, bemerkt
und ſelbft empfindet.
Von dem Großen Geiſt der Geiſter iſt es in uns ange-
zuͤndet.
Man verachte denn den Wehrt dieſer großen Gabe nicht.
Ob nun gleich die helle Fackel ins Unendliche nicht
glaͤnzet,
Jſt ſie, bey der ganzen Menſchheit, und bey jedem, gleich
begraͤnzet;
So befugt dieß uns doch nicht, daß wir ſie vom Glauben
trennen,
Weil wir, ohne die Vernunft, nimmermehr recht glauben
koͤnnen.
Heiden, Juden, Tuͤrken glauben. Bloß nur die Ver-
nunft allein
Muß, daß unſer beſſer ſey, Richtſchnur, Prob’ und Richter
ſeyn.
Nun iſt des Verſtandes Kraft, die Erfahrung lehrts
hienieden
Faſt bey jedem andrer Gattung, und unglaublich unter-
ſchieden;
Doch beſteht dieß nur in Graden, und der Grund iſt
allgemein.
Denn ein Licht bleibt doch ein Licht, iſt dieß groß, gleich
jenes klein.
O o 4Wann
Vernunft und Glaube.
Wann nun auch der groͤßte Geiſt, die durchdringenſten
Gedanken,
Jn der Dinge Grund nicht dringen, denn der Geiſt hat
ſeine Schranken,
Ueber die ſein ſchwaches Licht nicht vermoͤgend weg zu
ſcheinen;
Alſo zeigt ſein eigner Strahl, daß wir, auf der Welt,
nur meynen,
Und nicht weiter gehen koͤnnen. Selbſt der Glaube zeigt
dieß an:
(Welcher eine feſte Meynung) daß man hier nicht wiſſen
kann.
Dannenher iſt unſre Pflicht, uns allhier, in allen Faͤllen,
So weit unſre Kraͤfte gehn, ſtets das Beſte vorzuſtellen,
Unſere Vernunft zu brauchen, auch beym Glauben; denn
nur dieß
Setzet unſern Glauben feſt, macht die Zuverſicht gewiß.
Wir ſchraͤnken unſre Meynung dann in dieſen wichtgen
Lehr-Satz ein:
Des Glaubens Anfang muß Vernunft, ihr End’ und
Schluß der Glaube, ſeyn.
Ungluͤcklicher
Ungluͤcklicher Mißbrauch der Kraͤfte
unſers Geiſtes.
Wir haben eine Faͤhigkeit, wodurch ein gegenwaͤrt-
ges Gut,
Wenn wir es, daß es gut, erwegen, von uns gefuͤhlt
wird und empfunden;
Auch eine, wodurch unſre Luſt, wenn ſie vergangen
und verſchwunden,
Durch die Erinnerung, annoch recht wie vor unſern
Augen ruht.
Wir haben ferner auch die Hoffnung, ein kuͤnftig Gut
herbey zu ziehn.
Und dennoch ſcheinen wir, mit Fleiß, uns ungluͤckſelig
zu bemuͤhn,
Die drey gluͤckſelgen Faͤhigkeiten fuͤr uns ungluͤcklich
umzukehren,
Und dadurch unſre Luſt auf Erden zu mindern, und
die Laſt zu mehren.
Des Gegenwaͤrtigen genießt man, durch ein verſaͤumt
Erwegen, nicht.
Die Luſt, die weg, erweget man: ſie ſteht uns gleich-
ſam vor Geſicht;
Doch klaget man, ſie ſey nicht mehr,
Und ſeufzet, mit vergebnem Wuͤnſchen: Ach wenn ſie
noch zugegen waͤr!
Statt ſuͤßer Hoffnung, mindert uns, die bittre Furcht
der kuͤnftgen Zeit,
Das Gute, wenn wir Gutes haben: wo nicht; ver-
mehrt ſie unſer Leid.
O o 5Der
Der
Goͤttlicher Abſicht und Ordnung
widerſtrebende Menſch.
Der Schoͤpfer hieß die ſchoͤne Welt, von uns genannt,
das Rund der Erden,
Zu einer Zeit, die Jhm gefiel, entſtehen, ſich verbinden,
werden.
Es ſonderte ſich von dem Trocknen das fluͤßige gelenke
Naß:
Es wurden Ebnen, Berge, Thaͤler; es keimten Pflanzen,
Laub und Gras.
Der Kraͤuter Gruͤn bekraͤnzete der aufgethuͤrmten Berge
Gipfel;
Das wunderſchoͤne Laub bekroͤnte, nebſt mancher Frucht,
der Baͤume Wipfel:
Bebluͤhmtes Gras bedeckt’ und ſchmuͤckte die Wieſen
und das ebne Feld.
Und kurz: Licht, Farben, Formen, Schatten, verſchoͤ-
nerten die Ober-Welt.
Es wurden Thiere, welche faͤhig, die Pflanzen, die
darauf entſprieſſen,
Zu ihrer Luſt, zu ihrer Nahrung, auf manche Weiſe,
zu genieſſen.
Allein, es war annoch kein Weſen, in welchem eine Kraft
gepraͤgt,
Die Wunder, die die Welt erfuͤllten, und uͤberall ihm
vorgelegt,
Zu
Der Gottes Abſicht widerſtrebende Menſch.
Zu ſehn, zu merken, zu bewundern: und, im Genieſſen,
Sehen, Schmecken,
Jm Hoͤren, Fuͤhlen, und Geruch, ein ſchaffend Weſen
zu entdecken;
Deſſelben Weisheit, Macht und Liebe zu ſpuͤhren: den-
kend einzuſehn,
Daß nichts ſich von ſich ſelber bildet; und folglich
deutlich zu verſtehn:
“Ein alles wirkender Verſtand hab’ aller Koͤrper Schmuck
und Pracht
“Erdacht, gefuͤgt, geformt, geordnet, und zu dem Zweck
hervorgebracht,
“Den Creaturen wohl zu thun, und, in dem Wohlthun,
Sich zu weiſen;
“Damit, in ihrem eignen Gluͤck, ſie Seine weiſe Liebe
preiſen,
“Jn ihrer Luſt Jhn ehren moͤchten. Zu dieſem End-
zweck bloß, entſtand
“Der Menſch, aus Seel’ und Leib gefuͤgt: Jhr unbe-
greiflicher Verband
“Vereint uns dergeſtalt mit Koͤrpern, die, durch den
Sinn, die Seele ruͤhren,
“Daß wir, durch denken, ſie genieſſen, ja gar darinn
die Gottheit ſpuͤhren.
Nun wird ja der vernuͤnftge Menſch, zu Gottes Ruhm,
ſich zu vergnuͤgen,
Jn Seinen Wundern Jhn zu merken, das Denken zum
Genuß zu fuͤgen,
Jn froͤhlicher Empfindlichkeit, des großen Schoͤpfers
holden Willen,
Der Ehre ſucht in unſrer Luſt, nach ſeinen Pflichten
zu erfuͤllen,
Mit
Der Gottes Abſicht widerſtrebende Menſch.
Mit ehrerbietigem Bewundern und Danken oft beſchaͤff-
tigt ſeyn,
Und dieß als einen Gottes-Dienſt beſonders rechnen?
Leider, nein!
Die meiſten kommen, leben, ſterben; ohn’, in ſo unge-
zaͤhlten Gaben,
Auf ſie, auf Gott, derſelben Schoͤpfer und Geber, je
gedacht zu haben.
Wir ſind nicht unſerm großen Urſprung, nicht uns,
nur bloß dem Mammon, hold;
Der Menſchen einzigs Augenmerk, ihr hoͤchſtes Gut, ihr
Gott, iſt Gold.
Wie ſtraͤflich iſt nun dieß Verfahren! Der Schoͤpfer
ſucht uns zu gefallen
Jn Seinen herrlichen Geſchoͤpfen: Fuͤr uns iſt Weis-
heit, Lieb’ und Macht,
Jn ihnen, uͤberall zu ſehn. Wir laſſen alles aus der
Acht,
Und, ſtatt in ihnen Gott zu ehren, macht man ſich
Goͤtter aus Metallen.
Bey dem Betragen ſcheint es faſt: (wie ſehr mich die
Bekenntniß quaͤlt)
“Des Schoͤpfers Zweck ſey nirgend ſonſt, als bey dem
Menſchen nur, verfehlt.
Ver-
Vertrauen.
So bald wir einen Gott erkannt, durch Deſſen Lieb’
und weiſe Macht,
Was in den Himmeln, auf der Erde, verwunderlich
hervorgebracht,
Verwunderlich erhalten wird, und daß wir feſt verſi-
chert ſeyn,
Das Allervollenkommenſte von allen ſey nur Er allein;
So ſcheint es unſre Schuldigkeit, und eine von den
groͤßten Pflichten,
Jn dieſer Regel Seinen Willen, zu Seinen Ehren, aus-
zurichten:
“An ſtatt wir, Seine Wege faſſen, und Sein Regieren
wiſſen wollen,
“Ja, unſre Lebens-Zeit verbringen, zu unterſuchen,
zu ergruͤnden;
“Daß wir vielmehr, mit allen Kraͤften der Seelen,
uns bemuͤhen ſollen,
“Was ein ſo weiſ- und liebreichs Weſen verhaͤngt und
wirket, gut zu finden:
“Zu glauben, wenn es uns gleich fremd, zuwider, nicht
erſprießlich, ſchien,
“Daß Er es fuͤr das große Ganze geordnet; daß es
nach der Erde,
“Wo nicht noch hier bey unſerm Leben, zu unſerm Be-
ſten dienen werde.
“Erweis-
Vertrauen.
“Erweislich iſt es, daß man Gott mehr ehre, fuͤrchte,
lieb’ und dien,
“Zu glauben: Es ſey alles gut,
“Was ein ſo weiſ- als liebreichs Weſen verordnet,
kommen laͤßt, und thut.
“Zu hoffen iſt, wenn wir hierinn uns Gott zu unter-
werfen trachten,
“Er werd’ ein ſolches Seelen-Opfer weit mehr, als
alle Opfer, achten.
Zu
Zu den Meynungen.
Halt! rief ein alter Philoſoph: man ſchlaͤgt dich
wirklich. Meyneſt du,
Daß man dich ſchlaͤgt? Weißt du es nicht? Man
ſchilt dich: Giebeſt du nicht zu,
Zu wiſſen, daß man dich geſcholten? Ja, lieber Phi-
loſoph! es ſcheinet,
Wir wiſſen etwas. Jch geſtehe: Jch hab’ hierinn
nicht recht gemeynet;
Jch gebe deiner Meynung nach. Allein, was wir jetzt
Wiſſen nennen,
Betrifft nur bloß das, was die Seelen, durch ihrer Sin-
nen Huͤlf’, erkennen,
Und iſt doch auch kein rechtes Wiſſen;
Man wuͤrd’ es eine Fuͤhlungs-Art und ein Empfinden
heiſſen muͤſſen.
Davon iſt aber nicht die Rede. Wir ſprechen bloß
allein von Schluͤſſen,
Die unſre Seel’, aus Folgen, macht, wenn ſie der Dinge
Gruͤnd’ ergruͤnden,
Und, von den Sinnen abgezogen, fuͤr ſich will neue
Wahrheit finden:
Hier, wo wir redlich denken wollen, wird es gewiß bey
einem Glaͤuben,
Und, welches meiſtens einerley, bey einem ſtarken Mey-
nen, bleiben.
Betrach-
Betrachtung
uͤber die beſtaͤndige Veraͤnderung
unſers Koͤrpers.
Jndem ich juͤngſt, das Nagel-Fleiſch zu loͤſen,
Am Daumen hinten etwas ſchnitte,
Und mir von ungefehr das Meſſer tiefer glitte,
So daß, faſt bis aufs Fleiſch, das Horn geſpalten war,
Und, durch den Schnitt, das Blut bereits zu dringen
ſchien;
Mußt’ es jedoch nicht ganz und gar
Durchhin gegangen ſeyn:
Denn erſtlich floß kein Blut, ich fuͤhlt’ auch keine Pein.
Jch dankte Gott dafuͤr, daß, vor ſo nahem Schaden,
Der um die Breite kaum von einem Haar
Von mir entfernet war,
Er mich ſo gnaͤdiglich beſchuͤtzt aus lauter Gnaden.
Jndem ich nun darauf,
Nach dem Verlauf
Von wenig Tagen,
Die Augen einſt auf dieſen Schnitt geſchlagen;
Ward ich, Verwundrungs-voll, gewahr,
Daß, da er erſt am Hintertheile,
Am Fuß des Nagels, ſtand, nunmehr, und zwar
Jn ſolcher Eile,
Die meiſt ſchon ausgewachſ’ne Ritze,
Ganz vorn ſchon, an des Nagels Spitze,
Zu
Beſtaͤndige Veraͤnderung unſerer Koͤrper.
Zu ſehen war. Jch ſtutzt’, als ich dieß ſah, und dachte:
Wie geht doch dieſes zu? Auf welche Weiſe
Geht dieß ſo ſchleunig fort? Stoͤßt ſich der Nagel ſachte,
Von Zeit zu Zeiten, weg? Wie, oder geht er leiſe,
Beſtaͤndig, Tag und Nacht? Jſt denn ein Nagel nur
Allein veraͤnderlich?
Erſtrecket ſich
Die Aendrung der Natur
Nicht auch auf unſer Haar?
Ja, was noch mehr, ſollt’ es nicht gar
Sich auf den ganzen Leib erſtrecken?
Da wir ja ſichtbarlich entdecken,
Und ganz unwiderſprechlich ſpuͤhren,
Wie Wunden-Maal’ und Narben ſich verlieren.
Ja, ja, dieß iſt gewiß! An uns verneut, verſchwindet,
Erſetzet und ergaͤnzt ſich alles dergeſtalt,
Beſtaͤndig, und ſo bald,
Daß, der mich jetzo ſieht, daſſelbe Mich nicht findet,
Was er vordem geſehn.
Wie? bin ich denn nicht mehr daſſelbe Jch?
Hab ich denn aufgehoͤrt? Treff ich mein wirklichs Mich
Jn mir nicht ferner an? Dieß waͤre wirklich wahr,
Wenn ich mich nur gefuͤgt befuͤnde
Aus einer ungefehren Schaar
Materie: und wenn ich nicht beſtuͤnde
Aus etwas, welches feſt und unzerſtoͤrlich;
Aus etwas, welches bleibt, und unauf hoͤrlich,
Ohn’ Aenderung, beſteht. Man mag es Stamina,
Man mag es Germen nennen.
Ja, wenn man es erwegt,
Und die Oeconomie vernuͤnftig uͤberlegt;
So wird man hierinn was erkennen,
8 Theil. P pDas,
Beſtaͤndige Veraͤnderung unſerer Koͤrper.
Das, wie in allen andern Werken
Des Schoͤpfers, ſo auch hier, recht ſonderlich, zu merken.
Die unauf hoͤrliche Veraͤnderung
Der Theile, die mein Weſen fuͤgen;
Die unnachlaͤßliche Verwandelung
Derſelben: (da ſie ſtets verfliegen,
Und doch, ſo ordentlich, ſich wieder andre finden,
Die, ſtatt der vorigen, ſich wieder mit mir binden;
Die ihnen gaͤnzlich gleich, an Weſen und Figur,
An Kraͤften, an Gebrauch, an Stellung und Natur)
Dieß, ſag’ ich, kann ja nimmermehr
Von einem blinden Ungefehr,
Jn ſolcher Richtigkeit und Ordnung, wie wir ſehen,
Die ſonder allen Fehl, geſchehen.
Es muß bey uns ein feſtes Weſen,
Das unveraͤnderlich, zugegen ſeyn,
Das, alle Theile zu erleſen,
Zu ordnen, fuͤgen, zu zerſtreun,
Geſchickt und faͤhig iſt: das, auf dieſelbe Art,
Wie ſie getheilet hat, auch andre wieder paart,
Die ihnen voͤllig gleich; weil ſonſt nicht die Natur,
Nicht unſere Figur,
Dieſelben wuͤrden bleiben koͤnnen,
Und niemand wuͤrd’ uns wieder kennen.
Es ſey nun, daß durch eine Kraft,
Die etwa, wie der Saamen und die Saat,
Mit einem Urſtoff ſich vereinigt hat,
Der unveraͤnderlich. - - -
So weit war ich,
Hierinn, mit meinem Denken, kommen,
Als mich bedeucht, daß ich zwar etwas ſehe,
Wie es vielleicht mit unſern Koͤrpern gehe;
Wie er, ob er gleich abgenommen,
Doch
Beſtaͤndige Veraͤnderung unſerer Koͤrper.
Doch immer als derſelbige beſtehe.
Doch deucht mich auch dabey,
Daß, wie es eigentlich geſchehe,
Uns doch nicht recht begreiflich ſey.
Thun es die Stamina fuͤr ſich allein;
So find’ ich, daß ſie mir doch dunkel ſeyn.
Thut es denn unſre Seele;
So faſſ’ ich nicht, wie ſie
Sich mit des Koͤrpers Stoff vermaͤhle.
Jſt es denn noch ein’ andre Kraft;
So iſt mir (ich geſteh’s) auch deren Eigenſchaft,
Trotz aller meiner Muͤh’ und Sorgen,
Dennoch verborgen.
Wir werden denn auch hier, mit unſerm Denken,
Gezwungen, uns von uns zu lenken,
Und in des Schoͤpfers Weisheit, Macht und Lieb’ uns
einzig zu verſenken.
Jndem wir, wenn wir redlich denken, dieß offenbar
geſtehen muͤſſen:
Daß, ob wir gleich die Weiſ’ und Art von unſrer Aen-
derung nicht wiſſen,
Man darum doch ganz uͤberzeuglich ſpuͤhre,
Daß Ordnung, Abſicht, Macht, darinn zu finden ſey;
Auch, daß ein weiſer Geiſt, ſo viel und mancherley,
Auf eine weiſe Art, unmoͤglich ein Ungefehr, darinn
regiere;
Nicht minder, daß es uns zugleich von unſerm Nichts,
Und von der Herrlichkeit und Weisheit Seines Lichts,
Unwiderſprechlich uͤberfuͤhre.
P p 2O gluͤck-
Beſtaͤndige Veraͤnderung unſerer Koͤrper.
O gluͤckliches Erkennen unſrer Schwaͤche!
O ſelge Demuth! du allein
Sollt meines Wiſſens End’ und Anfang ſeyn.
Wenn ich, vom Stolz verfuͤhrt, in mir, kaum einen
Dunſt und leeren Schein,
Von Fruͤchten falſcher Groͤße, breche;
So machet mich dein holdes Licht, mit Recht, in
meinen Augen klein,
Und fuͤhret mich zur wahren Groͤße, zu meinem
Urſprung, wieder ein.
Das
Das Große aus dem Kleinen.
So wie an eines Zirkels Centro die Winkel immer
enger ſeyn;
Man aber, wenn ſie noch ſo klein,
Doch in demſelben eine Gleichmaß, wie fern ſich auch
der Zirkel ruͤndet,
Mit ihren divergirenden und laͤngſten Radiis, ſich findet:
So werden wir, auch in den kleinſten von Gott erſchaff-
ner Creaturen,
Doch ein’ ununterbrochne Groͤße gewahr, und ſehn in
ihnen Spuhren,
Die uns, von ſich, auf allen Seiten,
Zu einer Unermeßlichkeit, zum Urſprung aller Dinge,
leiten.
P p 3Das
Das Leben.
Jch ſah’, in reger Munterkeit, ein kleines Wuͤrmchen
ſich bewegen,
Und mit faſt nimmer ſtillen Gliedern, in ſteter Fertigkeit,
ſich regen.
Jch ſah dann, daß das Thierchen lebt, und dachte mit
Bedacht dabey,
Was eigentlich das Leben ſey.
Es muß ja, fiel mir ein, das Leben
Wohl nicht von großer Wuͤrde ſeyn, und ſich ſein Wehrt
nicht weit erſtrecken;
Weil alles, was wir an dem Leben Vortreffliches und
Guts entdecken,
Auch einem ſolchen kleinen Thier, und ſo verworfnem
Wurm, gegeben.
Jch ging im Denken weiter fort. Es lebt ein Wurm,
es lebt ein Thier,
Sowohl, und minder nicht, als wir:
Es hoͤret unſer Lebens-Lauf
Sowohl, als wie des kleinen Wurms, und aller Thiere
Leben, auf.
Er kam, er war, er lebt’, er ſtirbt; wir kamen, waren,
lebten, ſterben:
Man ſiehet, was man an uns ſieht, auch was wir an
ihm ſehn, verderben.
Ja, ſprichſt du, es iſt bloß der Geiſt,
Worinn der Unterſchied ſich weiſt.
So
Das Leben.
So ſage: Kenneſt du den ſeinen?
Noch mehr! Sprich: Kenneſt du den deinen?
Denn, wie ich hoffe, denkſt du nicht, ob hab’ ein ſolches
Wuͤrmchen keinen.
Was lebt, kann ohne Geiſt nicht leben.
Dieß wird von dir ja zugegeben.
Wir koͤnnen gleichſam in ihm ſehen,
Daß minſtens dunkele Jdeen
Jn ſeinem kleinen Geiſt vorhanden;
Jndem er, was ihm ſchaͤdlich ſcheinet,
Mit Vorſicht gleichſam und mit Fleiß
Verabſcheut, und zu meiden weiß.
Man ſpruͤtze nur ein Troͤpfchen Waſſer vor ihm in ſei-
nen Weg und Lauf,
Gleich hoͤret er zu laufen auf;
Man ſiehet ihn
Sich ungeſaͤumt zuruͤcke ziehn.
Wo bleibt ſein Geiſt denn? Stirbt er mit? Wie?
koͤnnen Geiſter denn auch ſterben,
Und, durch die Trennung ihrer Theile, ſowohl als wie
der Leib, verderben?
Jſt dieß gewiß und ausgemacht?
O nimm dich bey dem Schluß in Acht!
Weil wir ja ſonſt von unſern Geiſtern, wenn ſie ſich
von den Koͤrpern trennen,
Vielleicht ein gleiches ſchlieſſen koͤnnen.
Wirſt du der Geiſter Einfachheit, worauf du alles bauſt,
verlaſſen;
Wirſt du ja von den Geiſtern minder, als wie du erſt
geglaubet, faſſen,
Und wie du meyneſt, nichts verſtehn.
P p 4Doch
Das Leben.
Doch hoͤre! laß uns weiter gehn!
Wie waͤr’ es, wenn ſie alle blieben, und daß, im Schooße
der Natur,
Sie andre Stamina belebten,
Die etwa beſſer, als die erſten; daß ſie ſich allemal
beſtrebten,
Den erſten Zuſtand zu verbeſſern? Daß dieſes Gott
nicht moͤglich ſey,
Zu glauben, faͤllt dir, (wie ich hoffe) mein Leſer, ja wohl
nimmer bey.
So fragt ſich: Ob, bey dieſem Satz, man wohl geden-
ken koͤnn’ und ſolle,
Daß es die Gottheit alſo wolle?
Und ob, von Seiner weiſen Macht,
Dieß auch ſey wuͤrdiglich gedacht?
Es ſcheint der Wahrheit nicht zuwider; wofern man
dieſe Meynung nimmt:
“Daß alles das, was Gott geſchaffen, ſey zur Ver-
beſſerung beſtimmt.
Vermuthlich kaͤm’ es darauf an: Wie es der Menſchen
Schuldigkeit,
Von Gott das Vollenkommenſte, wozu ſie faͤhig, zu ge-
denken;
Ob (wenn wir unſrer Seelen Kraͤfte auf Gott in dieſer
Sache lenken)
Es eine Seiner Gottheit wuͤrdig- und groͤßere Voll-
kommenheit
Bezeug’, ein Weſen, das Er ſchuff, noch immer weiter
zu verbeſſern,
Und das ihm eingeſenkte Gut noch ſtets zu mehren,
zu vergroͤßern;
Wie,
Das Leben.
Wie, oder es ſtets zu verſtoͤhren, und, ſtatt der einſt
geſchaffnen Sachen,
Beſtaͤndig neue zu formieren, und immer andere zu machen?
Jm Koͤrperlichen ſcheint es zwar, als ob die bildende
Natur,
Was ſie hervorgebracht, verſtoͤhre,
Und nimmer, wenn ſie was hervorbringt, ſich zu den-
ſelben Formen kehre;
Nein, immer neue Weſen bilde. Ob aber, da ſich ja
der Geiſt,
Von Koͤrpern, faſt in allen Dingen, am Weſen unter-
ſchieden weiſt,
Es eben die Beſchaffenheit mit ihm, als mit dem Koͤr-
per, habe,
Und er ſowohl, als wie die Koͤrper, zu einer kurzen Daur
entſtehe,
Und eben ſo, wie ſie, vergehe;
Dieß ſcheinet dem Begriff zugegen,
Den unſre Geiſter von dem Geiſt, und von des Schoͤp-
fers Weisheit, hegen.
Nun haben wir uns den Begriff vom Beſten ja nicht
ſelbſt geſchenket;
Er iſt uns von der Gottheit Selbſt, die uns den Geiſt
gab, eingeſenket,
Jn eines Geiſts Verbeſſerung mehr Vollenkommenheit
zu finden,
Als wenn die Geiſter wie die Koͤrper vergingen, neue
ſtets entſtuͤnden,
Und gleichſam, wie die Waſſer-Blaſen, die Geiſter kaͤmen,
und verſchwuͤnden.
P p 5So
Das Leben.
So lange nun der Geiſter Dauer uns beſſer, als ihr
Schwinden, ſcheint;
So ſcheinet unſre Pflicht zu ſeyn, wenn man von ihrem
Weſen meynt,
Daß es beſteh’, und ſich verbeßre. Ja, ſollte man
hierinn auch irren,
Und etwan uns, durch Vorurtheile, die Schwaͤche un-
ſers Geiſts verwirren;
So deucht mich, daß ein ſolcher Jrrthum, der Gottes
Ruhm zum Grunde ſetzt,
So ſtraͤflich nicht, als wie man meynet, und Seine Groͤße
nicht verletzt.
Doch, weil wir, wenn wir redlich denken, befinden,
daß wir wenig faſſen;
So will ich die Materie weit groͤßern Geiſtern uͤberlaſſen:
Und mich allein damit begnuͤgen, “wie auch ein Wuͤrm-
chen, das ſo klein,
“Zu groß- und wuͤrdiger Betrachtung des Schoͤpfers
koͤnn’ ein Anlaß ſeyn;
“Und daß ſich eben unſer Geiſt von ihm, und allen
andern Thieren,
“Am meiſten darinn unterſcheide, daß wir der Gott-
heit Weſen ſpuͤhren.
Unor-
Unordentliche Selbſt-Liebe.
Es glaubt der Menſch, er liebe ſich.
Allein er liebt ſich in der That nicht ſo, wie er es
ſelbſt vermeynet.
Es laͤßt, ob unterſcheid’ er ſich von ſich zuweilen, und es
ſcheinet,
Ob ſey er ſtets derſelbe nicht. Es haſſet oft ſein heutigs
Jch
Sein geſtriges. Jch irrte mich,
Giebt er noch wohl von geſtern zu;
Heut aber liebt er ſich ſo ſehr,
Daß, wenn auch du
Jhn noch ſo deutlich uͤberfuͤhrteſt, verachtet er doch deine
Lehr,
Er giebt nicht nach, er weichet nicht. Sein heutigs Jch
kann nicht vertragen,
Daß man ihn eines Fehlers zeiht; viel minder wird ers
ſelber ſagen,
Wie er vom geſtrigen doch noch zuweilen ſelbſt thut, oder
leidet,
So daß er ſich faſt alle Tage, von den verfloßnen, unter-
ſcheidet.
Allein, bedenke, lieber Menſch, der heute ſich ſo heftig
ſtreubet,
Daß dein, dem Schein nach, feſtes Heute gewiß nicht
immer heute bleibet.
Als
Unordentliche Selbſt-Liebe.
Als morgen iſt dein heutiges ein geſtrigs Jch. Drum
uͤberlege,
Daß du dich heute irren kaunſt, wie du vor dieſem oft
gethan.
Es bricht ein ſteter Morgen an,
Der, mit dem heutigen, vielleicht verfahren wird, und
minſtens kann,
So wie der heutige mit dem, der jetzo geſtern iſt, gethan.
“Dieß ſind zur wahren Selbſt-Erkenntniß die ſicherſten
und beſten Wege.
Unver-
Unvermeidliche Strafe
der
Unaufmerkſamkeit auf Goͤttl. Werke.
Wenn etwa dir von einem Großen, was Kuͤnſtliches
geſchenket waͤr,
Das er mit eigner Hand gemacht; ſo wuͤrd’ es ja, zu
ſeiner Ehr,
Von dir, vermuthlich, oft betrachtet.
Waͤr das Geſchenk von einem Fuͤrſten, geſchaͤhe ſolches
noch wohl mehr.
Von einem Kayſer wuͤrd’ es ja von dir weit mehr annoch
geachtet.
Wenn aber aller Kayſer Kayſer euch wunderſchoͤne Bluh-
men ſchenket;
So wuͤrdigt ihr ſie kaum ſo viel, daß ihr ſo ſchoͤner Ga-
ben Pracht,
Noch in denſelben Seiner Weisheit, und Seiner Lieb’
und Wunder-Macht,
Wodurch Er ſie fuͤr euch erſchuff, und ſie euch ſchenkete,
gedenket.
Sonſt ſchaͤtzt ihr, wenn wir ſuͤndigen, die Suͤnden
darum bloß allein,
Weil gegen ein unendlichs Weſen ſie freventlich began-
gen ſeyn,
Auch einer ewgen Strafe wehrt. Sollt’ eine ſtraͤfliche
Verachtung
Der Gaben dieſes ewgen Weſens, in einer rohen Nicht-
Betrachtung,
Nicht
Strafe der Unachtſamkeit auf Gottes Werke.
Nicht gleiche Strafe wirken muͤſſen, aufs wenigſte ver-
dienen koͤnnen?
Und zwar um ſo viel mehr annoch, als Gott in Seiner
Creatur,
Als Schoͤpfer, ſich zu offenbahren, und nur in ihnen uns
die Spur
Von Seines Weſens Wirklichkeit, zu Seiner Ehre, wol-
len goͤnnen?
Die
Die unerlaubte Gruͤbeley.
Aus allen Dingen, die wir ſehen,
Bey uns, auch in des Himmels Hoͤhen,
Faßt dieß der menſchliche Verſtand:
Gott iſt bekannt und unbekannt.
Es laͤßt uns die Erfahrung lernen,
Daß, wenn wir Jhn begreifen wollen,
Jndem wir nicht thun, was wir ſollen;
Wir uns nur mehr von Jhm entfernen.
Jn Werken wollt’ Er uns Sich zeigen;
Wir wollen Jhn darinn nicht ſehn,
Wir wollen, durch uns, zu Jhm ſteigen,
Durch unſer Wiſſen, das uns eigen,
Uns ſelbſt zu Seinem Thron erhoͤhn;
Wir wollen nicht, wie Gott gewollt,
Daß Jhn die Menſchheit finden ſollt;
Nein, unſer Geiſt ſoll Jhn verſtehn.
Wie aber kann dieß moͤglich ſeyn,
Da Gott ſo groß, und wir ſo klein?
Es ſcheint, wir koͤnnen ſelbſt verſpuͤhren,
Wenn Seine Wunder uns nicht ruͤhren,
Wir, da man auf der andern Bahn
Unmoͤglich Jhn erreichen kann,
Nebſt unſrer Luſt, ſelbſt Gott verlieren.
Er hat, ſo viel wir koͤnnen faſſen,
Sich Selbſt nicht unbezeugt gelaſſen.
Dieß iſt in Seinem Werk geſchehn,
Aus dieſem koͤnnen wir Sein Weſen,
Daß Er wahrhaftig ſey, nun leſen,
Zugleich auch Seine Weisheit ſehn.
Wir koͤnnen, daß Er liebreich, maͤchtig,
Unendlich heilig, herrlich praͤchtig,
Aus
Die unerlaubte Gruͤbeley.
Aus dem, was Er gewirkt, verſtehn.
Ein mehrers von Jhm zu ergruͤbeln,
Als wie Er Selbſt erkannt will ſeyn,
Geſchicht aus Hochmuth bloß allein,
Und iſt daher uns zu veruͤbeln.
Koͤnnt’ auch ſogar bey uns auf Erden
Ein Fuͤrſt dadurch geehret werden,
Wenn ſeine Unterthanen deſſen,
Womit Er ſie beſchenkt, vergeſſen,
Und all ihr aͤmſiges Bemuͤhn
Auf nichts beſtrebeten zu ziehn,
Als wie ſie ſeinen Geiſt und ihn,
Auf welche Weiſe er regierte,
Was er fuͤr eine Abſicht fuͤhrte,
Vermoͤgten aus- und abzumeſſen?
Wie viel unmoͤglicher iſt nun,
Was wir in Anſehn Gottes thun?
Wie viel unbilliger daneben,
Daß, ſtatt Jhm Ehrfurcht, Lob und Preis,
Bewunderung und Dank zu geben,
Wir denken, zanken, gruͤbeln, haͤuffen,
Sein wahres Weſen zu begreiffen.
Aus des vortrefflichen Tit. Herrn Ribow habe ich
die hieher gehoͤrige ſchoͤne Stelle herzuſetzen nicht
unterlaſſen koͤnnen:
Die heilige Schrift berichtet uns an einem Orte Eſ. 45,
15. Daß Gott ein Gott ſey, der ſich verbuͤrge,
oder ein verborgener Gott. Und in einer andern Stelle
ſaget ſie uns: Gott offenbahre ſich, und laſſe ſich gleich-
ſam vor Augen ſehen. Roͤm. 1, 19. 20. Dieſe zwo Arten,
uns
Die unerlaubte Gruͤbeley.
uns Gott vorzuſtellen, ſcheinen einander entgegen geſetzt zu
ſeyn; allein ſie ſind es deswegen in der That nicht. Gott
iſt vor unſern Sinnen verborgen; Er offenbahret ſich aber
in unſerer Vernunft. Gott iſt auch ſelbſt unſrer Vernunft
verborgen, wenn ſie Jhn in den ordentlichen und gemeinen
Begriffen, welche ſie von Dingen hat, ſuchen will; doch of-
fenbahret Er ſich auch eben dieſer Vernunft, wenn ſie ihre
Begriffe von alle dem, was ſie vom Coͤrperlichen bey ſich
haben, reiniget, und wenn ſie ihnen alle die Geiſtigkeiten
giebt, die ſie zu haben faͤhig iſt. Gott iſt ein Gott, der ſich
der verwegenen Vermeſſenheit einer hochmuͤthigen Seele
verbirgt, die ſich unterſtehet, die goͤttlichen Tiefen zu er-
gruͤnden, und das Unendliche, ſo zu ſagen, zu meſſen, indem
ſie alles, was Gott iſt, begreifen will; die aber doch, wenn ſie
Jhn nicht begreifen, u. ganz u. gar in ihren Begriff einſchlieſ-
ſen kann, denſelben nicht erkennet, und nichts von Jhm weiß.
Faſt eben ſo, als wie ſich ein Menſch unvermoͤgend
machen wuͤrde, die Sonne anzuſehen, wenn er ſie gar zu
ſcharf anſehen wollte. Hingegen iſt Gott ein Gott, der
ſich einer weiſen und demuͤthigen Vernunft offenbahret, die
ſich unfaͤhig achtet, alles das, was Gott iſt, zu erkennen,
und die ſich begnuͤget, zu erkennen, daß er ſey, Jhn in Sei-
nen Werken zu finden, den Schoͤpfer in den Geſchoͤpfen zu
ſehen, und Jhn unter der Decke gewahr zu werden, worun-
ter Er Seine Hoheit vor uns verſtecket.
Darum kann man eben das von Gott ſagen, was man
von dem Lichte geſaget hat, das nichts ſey, welches mehr
bekannt, und auch zugleich mehr unbekannt ſey. Es iſt kein
Kuͤnſtler, kein Schiffmann, kein Soldat, der nicht das Licht
kennete; gleichwol aber giebt es keine Philoſophen u. keinen
ſo tiefſinnigen Verſtand, der erklaͤren koͤnnte, was es ſey.
8 Theil. Q qAnleitung
Anleitung zur Demuth.
Jch weiß, ich bin. Woher? Jch denke.
Jch weiß, daß ich mich nicht gemacht;
Auch, daß, der mich hervorgebracht,
Mir alles, was ich habe, ſchenke.
Was iſt dafuͤr denn meine Pflicht?
“Daß ich auf mein Verdienſt mich nicht;
“Auf Seine Lieb’ allein, verlaſſe:
“Daß ich von allem, was geſchicht,
“Dieß, daß nur Er vollkommen, faſſe;
“Und daß, bey dieſem Unterricht,
“Jch nichts ſo ſehr, als Hochmuth, haſſe.
Die
Die beſtrafte
Achtlosheit auf das Gute.
Es ſcheint mit uns, in dieſer Welt,
Wenn wir drauf achten, ſo beſtellt,
Daß in der Hoffnung bloß allein
Wir nur vergnuͤgt und gluͤcklich ſeyn.
So bald die Hoffnung nicht mehr da,
Jſt unſer Unvergnuͤgen nah:
Es ſey, daß das, ſo wir gehofft, von uns unmoͤglich
zu erlangen;
Es ſey, daß wir, was wir gehofft, erhalten haben und
empfangen:
Jndem, ſo bald wir es beſitzen, da wir das Gute nicht
betrachten,
Wir es, faſt im Beſitz, verlieren, dadurch, daß wir
darauf nicht achten.
Nun iſt es wahr, wir haben oft die Dinge koͤſtlicher
geſchaͤtzt,
Als wie ſie wirklich wehrt geweſen: und folglich wird
man, im Genuß
Derſelben, weniger ergetzt;
Und macht ſodann, ſelbſt der Beſitz, uns einen billigen
Verdruß.
Allein, wenn das, was wir erhalten, auch noch ſo gut,
auch noch ſo ſchoͤn;
Verſchwindet doch, ſo bald es unſer, da wir nicht auf
das Gute ſehn,
Q q 2Auch
Die beſtrafte Achtlosheit auf das Gute.
Auch die vorher gehoffte Freude. Dieß iſt nun unſre
Schuld allein:
Und koͤnnen wir, bey dem Betragen, auf Erden nimmer
gluͤcklich ſeyn;
Weil, wenn wir auch die ganze Welt, auf dieſe Weiſ’
und Art, erhielten,
Durch Unterlaſſung des Erwegens, wir dennoch kein
Vergnuͤgen fuͤhlten.
Gott
Gott zu lieben,
eine noch groͤßere Pflicht, als
Jhn zu ehren.
Giebt nicht die ungezaͤhlte Menge der uns von Gott
geſchenkten Gaben,
Die unſre Seele, durch die Sinnen, auf nicht zu zaͤhlnde
Weiſe, laben,
Uns uͤberzeuglich zu verſtehn:
“Daß, bey Formierung unſers Weſens, die Gottheit
mehr darauf geſehn,
“Durch unſer hieſiges Vergnuͤgen auf der von Jhm
geſchmuͤckten Erden,
“Von uns geliebt; als, durch des Witzes Begriff,
von uns geehrt zu werden?
Q q 3Der
Der vernuͤnftige Gottes-Dienſt.
Was waͤr die Erde, ſonder Licht? Was waͤren
Erd’ und Licht, ohn’ Augen?
Was waͤren Erd’ und Licht und Augen, ohn einen ſie
verſtehnden Geiſt,
Der faͤhig, im Geſchoͤpf zu finden, daß alles einen
Schoͤpfer weiſt,
Durch uͤberlegen und vergleichen? Koͤnnt wohl, von
allen, etwas taugen,
Der Weſen Ordnung zu verbinden,
Und, in derſelbigen Vergleichung, derſelben Quelle, Gott,
zu finden,
Durch Schluͤſſe, die unwiderſprechlich; als dieſe Kraft,
die in uns lebt,
Und die uns uͤber alle Dinge, die um und bey uns ſind,
erhebt?
Hierinn beſtehet unſer Adel und Vorzugs-Recht vor
allen Thieren:
“Daß, in Betrachtung Seiner Werke, wir Liebe, Macht
und Weisheit ſpuͤhren,
“Und Gott, den wahren Gott, erkennen; wovon ſonſt
keine Creatur
Von allen, die auf dieſer Welt, da ſie nicht ſchlieſſen,
eine Spuhr
Zu finden und zu ſehn, vermoͤgend. Nun zeiget uns
dieſelbe Kraft
Der uͤberlegenden Vernunft, zugleich: daß uns die Ei-
genſchaft,
Von
Der vernuͤnftige Gottes-Dienſt.
Von Gott was mehrers zu begreifen, als, daß Er ſey,
daß Er das Beſte;
Daß Er ganz anders, als Geſchoͤpfe Jhn halten koͤn-
nen, und der Groͤßte;
Jn dieſem Leben, nicht gegeben. Ein mehrers von Jhm
wiſſen wollen,
Da wir aus der Erfahrung ſehn, daß wir hier mehr
nicht wiſſen ſollen,
(Wie es uns ja der Widerſpruch von allen, gegen alle,
zeigt)
Scheint ein verwegner Stolz zu ſeyn, der alle Schran-
ken uͤberſteigt,
So einer Creatur geſetzt. Ein Weſen, welches in die
Welt,
Die ſo viel Wunder in ſich haͤlt,
Nebſt ungezaͤhlten Creaturen, auch Creaturen ſetzen koͤnnen,
Den Es, vor anderen Geſchoͤpfen, beſondern Vorzug
wollen goͤnnen;
Die Es, mit einer Faͤhigkeit zu uͤberlegen und zu denken,
Als die ſie ſich nicht ſelbſt gegeben, allhier gewuͤrdigt,
zu beſchenken:
Muß nicht allein,
Wahrhaftig und unwiderſprechlich, vernuͤnftiger und
weiſer ſeyn,
Als alle Seine Creaturen; Es folgt, zu Seinem groͤßern
Preiſe:
Er denke, von den kluͤgſten Geiſtern, auf eine ganz ver-
ſchiedne Weiſe.
Das uns von Jhm geſchenkte Licht der Weisheit zeigt
uns ſelber an,
Daß man, aus Ehrfurcht gegen Jhn, von Jhm nicht
anders ſchlieſſen kann,
Q q 4Als,
Der vernuͤnftige Gottes-Dienſt.
Als, daß Er anders, als wie wir, gedenken koͤnnen,
denken muͤſſe:
Sonſt waͤr’ Er bloß der kluͤgſte Menſch. Dieß ſcheinen
ungereimte Schluͤſſe.
Das Denken oder der Jnſtinct der Thier’ iſt ja nicht
einerley:
Wir ſehen, daß ein jedes Thier, auf andre Weiſe, witzig
ſey.
Wie koͤnnen wir, die auch Geſchoͤpfe, dann wohl, mit
Billigkeit, verlangen,
Daß wir dieſelbe Art zu denken, wie eine Gottheit denkt,
empfangen,
Ohn’ einen unvernuͤnftgen Stolz? Wir denken beſſer,
als das Vieh;
Wir uͤberlegen, wir verbinden, und ſchlieſſen beſſer, als
wie ſie.
Doch folgt aus dieſem unſern Vorzug, da wir oft
irren, nicht der Schluß,
Daß unſer eingeſchraͤnkte Geiſt, ſo wie die Gottheit,
denken muß;
O nein! die Billigkeit, die Demuth, die Anerkenntniß
unſrer Schwaͤche,
Die Ehrfurcht gegen unſern Schoͤpfer, vertragen ſolche
Thorheit nicht.
So wenig eine kleine Grube des großen Welt-Meers
Tief’ und Flaͤche
Jn ſeinen engen Schranken faßt; ſo wenig leidet unſre
Pflicht,
Daß wir, was Gott, begreifen wollen. Erwege ſelber,
wenn ein Thier,
Das ein Geſchoͤpf ſowohl, als du, von deinem Weſen
und von dir,
Was
Der vernuͤnftige Gottes-Dienſt.
Was weſentliches unterſuchen, und deine Schluͤſſ’ er-
gruͤbeln wollte;
Wuͤrd’ es nicht unvermeidlich irren? wuͤrd’ es gedenken,
wie es ſollte?
Sprich nicht: Ein Thier iſt unvernuͤnftig; wir ha-
ben die Vernunft empfangen.
Denn hoͤr! iſt dieſes recht geſchloſſen: Wir denken beſ-
ſer; darum kann
Dein Geiſt, der, ſonder Zweifel, endlich, zu dem Unend-
lichen gelangen,
Der Gottheit wahres Weſen kennen? Fuͤrwahr! es geht
der Schluß nicht an:
Dieß iſt ein Sprung, der unerlaubt. Ja, ſprichſt du:
Dennoch wird man muͤſſen
Der Seelen Kraͤfte dazu brauchen, von Gott, ſo viel
man kann, zu wiſſen.
O nein, mein Freund! dieß folget nicht. Die Graͤnzen
unſers Geiſtes zeigen,
Jn Dingen, die nicht ſinnlich ſind, wenn er vom Leib-
lichen ſich zieht,
Und abgezogne Schluͤſſe zeugt, wie ernſtlich er ſich auch
bemuͤht,
Daß wiſſen nicht fuͤr uns gehoͤrt: Dieß hieß die Schran-
ken uͤberſteigen,
Die hier dem Geiſt von Gott geſetzt. Ein gruͤndlichs
Wiſſen iſt vielleicht
Den Engeln kaum noch zuzuſtehn; viel minder uns, in
dieſem Leben.
Wird denn, was Engel nicht vermoͤgen, von eines Men-
ſchen Geiſt erreicht?
Q q 5“Ge-
Der vernuͤnftige Gottes-Dienſt.
“Gebrauche deiner Seelen Kraͤfte, zum Zweck, wozu
ſie dir gegeben.
“Such’, in Bewundrung Seiner Werke, den großen
Schoͤpfer zu erheben.
Hiebey wird aller Zank vermieden, den die bisherge
Wiſſens-Sucht,
Das Kind des Hochmuths, angerichtet: da jeder Gott
allein zu kennen,
Mit Ausſchluß anderer, verlangt; woraus die ungluͤck-
ſelge Frucht
Von Zank und Ketzereyen ſtammt. Die Weſen, die ſich
Menſchen nennen,
Und die von unſerm Erd-Planeten den aͤuſſern runden
Kreis bewohnen,
Sind unter ſich getheilt, und Feinde, durch mancherley
Religionen.
Von denen iſt nun eine, keine; wie, oder ſie ſind alle,
gut.
Das letzte wuͤrd’ ich etwa glauben, wenn ſie ſich nicht
mit Schwerdt und Gluht
Einander ſuchten aufzureiben. Dieß ſtimmet mit der
Wahrheit Schein,
Mit einer ewgen Liebe Willen, die unſer Gott, nicht
uͤberein.
Wie kann man, ſonder Raſerey, in Glaubens-Sachen,
ſich erkuͤhnen,
Der ewgen Liebe, durch Verfolgung, durch Zank, durch
Haß und Mord, zu dienen?
Daß keine gut ſey; dieſe Meynung kommt, ich geſteh’
es gerne, mir,
Wenn ich es recht erwege, Gott und Menſchen unan-
ſtaͤndig fuͤr.
Jſt
Der vernuͤnftige Gottes-Dienſt.
Jſt es nur eine; muß dieſelbe, da ſie von Gott ſtammt,
deutlich, klar,
So unveraͤnderlich, ſo rein, ſo uͤberzeuglich, offenbar,
Ohn’ alle Fehler, Zweifel, Zwiſt, unwiderſprechlich, all-
gemein,
Und auf Vertraͤglichkeit und Liebe, zu Deſſen Ruhm,
gegruͤndet ſeyn,
Aus welchem ſie, und alles, ſtammt. Dieß ſcheint nun
die: Jn Gottes Werken,
Voll ſtets bewundernden Vergnuͤgens, Sein’ All-
macht, Lieb’ und Weisheit merken;
Nach den Geſetzen der Natur vergoͤnnte Freud’,
erlaubte Luſt,
Zum Ruhm Des, Der ſie ſchenkt, genieſſen, be-
freyt von aller Laſter Wuſt;
Den Naͤchſten, unſer Mitgeſchoͤpf, wie uns, zu lie-
ben, uns beſtreben,
Und, in gelaßner Zuverſicht auf Seine Liebe, Gott
erheben:
Dieß ſcheint ein wahrer Gottes-Dienſt, und Gott,
was Gottes iſt, gegeben.
Das Chriſtenthum hat ſelber nicht,
Was dieſer Wahrheit widerſpricht:
Es iſt auf dieſen Grund gegruͤndet.
Je mehr man, ihren wahren Saͤtzen recht nachzuſinnen,
ſich beſtrebt;
Je mehr es ihren großen Urſprung, im Beyfall, und
ſich ſelbſt, erhebt;
Je mehr man Seine Groͤße findet.
Worinn
Der vernuͤnftige Gottes-Dienſt.
Worinn es aber weiter geht, den Glauben; davon laß
ich lieber
Den uͤberzeuglichen Beweis, voll Glaub’ und Hoffnung,
denen uͤber,
Die ſonderlich dazu beſtellt, und die, mit mehr geuͤbten
Haͤnden,
Die Schaͤtze der Geheimniſſe, als ich, vermoͤgend, aus-
zuſpenden.
Das
Das Grab der Beliſe.
So oft ich in der Kirche bin,
Wo mein verlohrner Schatz begraben,
Erweget mein gebeugter Sinn
Die Menge der verlohrnen Gaben.
Da denn mein Blick ſo gleich ſich lenkt
Zur Stelle, wo man ſie verſenkt:
Worauf mein Geiſt dann uͤberdenkt,
Wie ſchoͤn, wie fromm, wie auserleſen,
Jm Leben mein Gemahl geweſen.
Geweſen! ach betruͤbtes Wort!
Wobey ich dieſe Wuͤnſche zolle:
Daß Gott, die ewge Liebe, dort
Sie ewiglich erfreuen wolle!
Eine
Eine Lehr-reiche Geſchichte.
Nach einem entſetzlichen Sturm, und gaͤnzlicher
Zertruͤmmerung ſeines Schiffs, wird Miran-
der, ein deutſcher Edelmann, halb todt durch die
Brandung an ein ſonſt uͤberall mit ſteilen Felſen be-
ſetztes Ufer, jedoch, zu ſeinem Gluͤck, an eine etwas fla-
che Stelle geworfen. Hieſelbſt, nachdem er ſeine noch
uͤbrigen wenigen Kraͤfte angewendet, in moͤglicher Eile
weiter aufs Land zu gelangen, und denen ihn wieder zu-
ruͤckrollenden Wellen zu entkriechen, trifft er eine kleine
Hoͤhle an, worinn er ſich begiebt. Er danket dem Him-
mel inbruͤnſtig fuͤr ſeine ſonderbare Errettung, und ſank
fuͤr großer Muͤdigkeit in einen tiefen Schlaf.
Nachdem er nun des Morgens, um die Lage des Lan-
des zu uͤberſehen, auf die faſt unerſteiglichen Felſen ge-
klettert, wird er gegen Oſten, zwiſchen zween Himmel-
hohen, ſich unten aber allgemach verbreitenden Bergen,
in einem dadurch formirten Thal, einer ſehr anmuthigen
Gegend gewahr.
Ein uͤberaus klarer Fluß ſchlaͤngelte wie ein flieſſend
Silber ſich durch die Ufer, welche auf beyden Seiten mit
vielen geraden Palmen-Orangen-Oliven- und andern
Frucht-Baͤumen bepflanzet waren, wovon das ſchoͤne
Gruͤn ihrer Wipfel beyde Seiten des Waſſers mit einem
kraͤftigen Wiederſchein ſehr anmuthig faͤrbte, derſelben
Schoͤnheit verdoppelte, und dadurch den Augen den lieb-
lichſten Vorwurf von der Welt darſtellte. Die Anhoͤ-
he zur Rechten war von Weinreben, die Linke mit ver-
ſchiedenen ordentlich eingetheilten kleinen Kornfeldern
bedecket. Das Gras war kurz und gruͤn, worauf man-
cherley fremde Thiere ruhig weideten; wie er denn auch
den
Eine Lehr-reiche Geſchichte.
den Fluß mit vielen Waſſer-Voͤgeln, deren einige die
ſchoͤnſten Federn hatten, an vielen Orten faſt bedecket,
und in dem Waſſer ganze Heere beſchuppter Fiſche wim-
meln ſahe. Die Luft ſchien nicht nur von gebieſamten
Duͤnſten aus unzaͤhligen Bluhmen, ſondern zugleich
von ſuͤßen Toͤnen lieblich ſingender Voͤgel ganz ange-
fuͤllet. Kurz! die ganze Landſchaft war ein Jnbegriff
anmuthiger Vorwuͤrfe, und ſchien faſt ein irdiſches Pa-
radies vorzuſtellen.
Nachdem Mirander nun durch einen etwas weniger
gefaͤhrlichen Weg von dem Gebuͤrge herabgeſtiegen,
und in einem kleinen luſtigen Waͤldgen angelanget war,
ward er unvermuthet einen Mann anſichtig, dem ſeine
majeſtaͤtiſche Mine ein ehrwuͤrdiges Anſehn gab. Es
hatte derſelbe einen weiſſen Bart, der uͤber ſeine Bruſt
herab hieng, ſeine Augen waren ſehr lebhaft, durchdrin-
gend, und zugleich voller einnehmender Sanftmuth.
Er war zwar in Ziegenfelle gekleidet, die aber, weil ſie auf
eine zierliche Art zugeſchnitten waren, ihm nicht uͤbel
anſtunden. Jhn begleitete eine faſt auf dieſelbe Art
bedeckte lange und ſehr anſehnliche Frau, deren Geſichts-
zuͤge noch den Reſt von einer ausnehmenden Schoͤnheit
zeigten. Dieſe hatte einen Knaben von ungefehr acht
Jahren bey der Hand. Nachdem ſie alle bey dem er-
ſten Anblicke etwas ſtutzig ſich eine Zeitlang von ferne an-
geſehen hatten, nahete Mirander ſich ihnen voller Freu-
de, an einem ſo entlegnen Orte Menſchen ſo unvermu-
thet angetroffen zu haben, zumal ihr ſittſamer Anſtand
ihn etwas dreiſte gemacht hatte. Er redete ſie in Fran-
zoͤſiſcher Sprache an. Der ehrwuͤrdige Greis antwor-
tete ihm zu ſeiner groͤßten Verwunderung Teutſch.
Nachdem ſie ihn nun beyde mit vieler Hoͤflichkeit in ihre
nicht
Eine Lehr-reiche Geſchichte.
nicht fern gelegene Wohnung einzutreten genoͤthiget,
und mit auserleſenen Fruͤchten erquicket hatten, erkun-
digte Mirander ſich nach ihren Umſtaͤnden, und bat aufs
inſtaͤndigſte, ſeine Neubegier zu vergnuͤgen, und ihm
einige Nachricht davon zu ertheilen.
Der anſehnliche Alte gab ihm, nachdem er von ſeiner
Abkunft und ganzem Lebenslauf ihn kuͤnftig weitlaͤuftig
zu benachrichtigen verſprochen, einen kurzen Begriff
von ihrer nunmehr in die ſechs Jahr gefuͤhrten Lebensart.
Jch habe, fieng er an, nachdem ich faſt die halbe
Welt mit abwechſelnden Gluͤcks- und Ungluͤcksfaͤllen
durchgewandert bin, bey den meiſten Voͤlkern eine be-
daurenswuͤrdige Abweichung von den Wegen der Na-
tur, und von derjenigen Abſicht, wozu die Menſchen,
nach ihrer allerſeitigen Geſtaͤndniß, hervor gebracht ſind,
angetroffen. Jch habe zwar, fuhr er ſort, faſt
uͤberall Religionen gefunden, welche zu dieſer Abſicht
leiten ſollten: wie denn auch in einigen theils mehr,
theils minder darauf gezielet wird, und hin und
wieder ein Strahl von dem Lichte der Wahrheit darinn
zu erblicken iſt. Jedoch iſt es, durch unzaͤhlige
Kuͤnſteleyen, auch ſogar im Chriſtenthume, wieder
verdunkelt und oft unſichtbar worden. Ja ich habe
gefunden, daß die Menſchen, wie in den meiſten
Religionen, durch Betrug und Aberglauben, ſo in der
Philoſophie durch Hochmuth und Eigenſinn bis auf un-
ſere Zeiten verfuͤhret werden, da naͤmlich ein jeder Philo-
ſoph ein Welt-Syſtema nach einem von ihm erdachten
Leiſten gleichſam zugeſchnitten, und ſich faſt unterſtan-
den, wenn ich ſo reden darf, einen Schoͤpfer des Schoͤp-
fers abzugeben; wenigſtens alle Jdeen des Schoͤpfers
in ſeiner Jdee zu vereinen. Wodurch denn ſowohl,
als
Eine Lehr-reiche Geſchichte.
als durch die Religions-Jrrthuͤmer, die Wahrheit im-
mer mehr und mehr verdunkelt, und der Menſch von
der Einfachheit ſeiner wahren Pflichten iſt abgefuͤhret
worden.
Seiner Meynung nach, koͤnnte die Haupt-Abſicht
desjenigen allmaͤchtigen, weiſen und liebreichen We-
ſens, welches ſinnliche und zugleich denkende Creaturen
hervorgebracht hat, wohl keine andere, als dieſe, geweſen
ſeyn, den Menſchen naͤmlich durch die ſeinem Koͤrper
anerſchaffenen Sinnen faͤhig zu machen, die Gegenwart
unzaͤhliger von ihm formirter koͤrperlichen Geſchoͤpfe zu
bemerken, ihrer mit Vergnuͤgen zu genieſſen, durch die
Anwendung ſeines Geiſtes derſelben Urſprung und
Schoͤpfer zu erkennen, in der Creaturen Mannigfaltig-
keit und Schoͤnheit die weit herrlichere Eigenſchaften
ihres Urſprungs, insbeſondere ſeine Allmacht und Weis-
heit, zu bewundern, auch in dem aus den Geſchoͤpfen
ihm zuflieſſenden tauſendfachen Nutzen, und einem da-
mit beſtaͤndig verbundenen Vergnuͤgen, in kindlicher
Gegenliebe denſelben zu verehren. Dieſes, ſprach er,
zeige uns die Natur. Die geſunde und reine Vernunft
fuͤhre uns weiter, und bedeute uns, daß, da wir Gott
ſelbſt zu dienen uns zu ſchwach befinden; wir in unſern
Naͤchſten ſein Bild zu verehren, und, ſo viel an uns, den-
ſelben das Leben angenehm und ertraͤglich zu machen,
nach Moͤglichkeit uns zu bemuͤhen ſchuldig waͤren. Aus
welchem Dienſt, durch eine verwunderlich eingerichtete
Wechſel-Ordnung, denn zugleich unſer eigen Beſtes,
Heil und Erhaltung flieſſet. Ferner bringe dieſelbige
Vernunft, zum Glauben und zu einer veſten Zuverſicht,
daß, da Gottes Liebe eine von ſeinen vollkommenſten
Eigenſchaften, und ſelbige, wie alles an Jhm, ewig, er
8 Theil. R rauch,
Eine Lehr-reiche Geſchichte.
auch, aus ewiger Liebe, es denen von Jhm mit den groͤß-
ten Vorzuͤgen, und zumal mit einem Begriff von Jhm
ſelbſt begabten Geſchoͤpfen mit dieſer kurzen Lebenszeit
es nicht wird bewenden laſſen, ihnen nur Gutes zu thun,
ſondern uns zu einem ſtets ſich verbeſſernden Stande
koͤnne, wolle, und werde verhelfen.
Hier nun finge ſich, redete er weiter, allererſt die Of-
fenbahrung an, und haͤtten wir ſolche als ein Mittel an-
zuſehen, uns dazu zu verhelfen; durch dieſelbe wuͤrden
wir auf die chriſtliche Religion, als die beſte von allen,
gefuͤhret; jedoch ſo, daß wir daruͤber den Grund nicht
vergeſſen, oder uns von dem Dienſte des Schoͤpfers ab-
geben, am wenigſten, daß wir uͤber einem Dienſt, der
eigentlich faſt ganz allein auf unſer Beſtes abzuzielen
ſcheinet, die in unſerer Natur gegruͤndeten Haupt-
Pflichten ganz vergeſſen und aus den Augen ſetzen muͤß-
ten. Zu welchem meinen Glauben, fuhr er fort, der
Zuſtand in dieſer Welt noch ein großes beytraͤgt, da
naͤmlich nur ſehr ſelten die Tugend belohnet und das La-
ſter beſtrafet wird, welches alles, auf ein anderes Leben,
recht mit Fingern zeiget.
Dieſes iſt, nach vieljaͤhrigem Nachſinnen und Unter-
ſuchung vielerley Religionen, mir, als ein mit unſrer
und der ganzen Natur uͤbereinſtimmender Grund eines
Gottes-Dienſtes vorgekommen, welcher zugleich unſere
Pflichten mit in ſich ſchlieſſet. Es dienet nicht allein die
Einfachheit dieſes Grund-Satzes, ſondern die Ueber-
einſtimmung deſſelben mit dem Zuſtande unſerer erſten
Eltern im Paradieſe, mit dazu, ſeine unumſtoͤßliche
Wahrheit zu bewaͤhren.
Nach
Eine Lehr-reiche Geſchichte.
Nach dieſer Grund-Regel habe ich, bereits vor vielen
Jahren, gewuͤnſchet, im Stande zu ſeyn, mein Leben ein-
zurichten, auch bereits einen Anfang dazu gemacht, wie
ich noch in der Welt war; woſelbſt ich es denn, ohne
Ruhm, weiter als viele andere gebracht, ob ich gleich, wie
leicht zu glauben, daſelbſt noch viele Verhinderungen
angetroffen habe. Da ich nun, durch unzaͤhlbare Zu-
faͤlle, an dieſem Orte, von allen Menſchen abgeſondert,
mich befinde: ſo habe ich deſtoweniger Hinderniß gehabt,
mich mit mehrer Muͤhe darauf zu befleißigen. Wozu
denn meine geliebte Gemahlinn, durch ihren erhabenen
Geiſt, ein großes beygetragen hat, dergeſtalt, daß wir
nunmehr ſechs Jahre uns taͤglich damit beſchaͤfftigen,
uns zu vergnuͤgen; in allen Vorwuͤrfen die darinn
durch Gottes Finger gepraͤgte Weisheit zu bemerken,
und zu bewundern. Jch kann euch, mein lieber Freund,
nicht beſchreiben, wie weit wir durch die taͤgliche Ge-
wohnheit unſre ſonſt zerſtreuten Gemuͤths-Kraͤfte ge-
bracht haben; ſo daß wir nunmehr ohne Muͤhe un-
ſere Sinnen vernuͤnftig gebrauchen koͤnnen. Wir ſe-
hen, was wir ſehen, und hoͤren, was wir hoͤren. Wir
riechen, fuͤhlen und ſchmecken, was wir wirklich rie-
chen, fuͤhlen und ſchmecken.
Das zarte Gemuͤth unſers lieben Sohnes haben wir
bey Zeiten dazu angefuͤhret, welcher denn dadurch, daß
er weniger Vorurtheile abzulegen und weniger Ge-
wohnheits-Schwierigkeiten zu uͤberſteigen gehabt, zu
unſer beyderſeits nicht auszuſprechendem Vergnuͤgen,
alles auf dieſem Wege ſo leicht gefunden; daß wir uns
gar oft, mit Luſt, von ihm uͤbertroffen ſehen.
R r 2Was
Eine Lehr-reiche Geſchichte.
Was nun die Einrichtung und Ordnung unſerer taͤg-
lichen Beſchaͤfftigung betrifft; ſo beſtehet ſelbige in
ſolgenden:
Nachdem wir den Sonntag, zu Ausuͤbung unſerer
Chriſten-Pflichten, wobey wir jedoch des Schoͤpfers
nicht vergeſſen, insbeſondere ausgeſetzet; fangen wir
alle Morgen, wenn wir erwachen, welches kurz vor dem
Aufgange der Sonne bey uns zu geſchehen pfleget, ehe
wir aufſtehen, an, unſere Gedanken auf den Schlaf, als
ein Wunder der Natur und eine Gabe des uns liebenden
Schoͤpfers, mit ſtillem Nachdenken zu wenden; und
fuͤr die genoſſene Suͤßigkeit deſſelben Dem, welcher uns
hier damit begluͤckſeliget, mit wenigen, doch nicht leeren
Worten, herzlich zu danken. Sobald dieſes geſchehen,
erheben wir uns, erfriſchen und reinigen Geſicht und
Haͤnde in einer klaren Quelle, deſſen kuͤhlendes und rei-
nigendes Weſen wir nicht obenhin, ſondern als ein mit
mancherley Kraͤften begabtes Geſchenke, anſehen, wo-
durch der Menſch unzaͤhliges Gutes genieſſet.
Hierauf begeben wir uns an einen erhabenen Ort,
um uns an der Morgenroͤthe zu ergetzen, den Aufgang
der Sonne zu bewundern; der Sonne, des herrli-
chen Spiegels der Gottheit, welcher durch ſeine Gegen-
wart, die in der Dunkelheit verſunken geweſene Welt
wieder aufs neue hervorgebracht hat, und uns dadurch
gleichſam taͤglich ein Ebenbild der erſten Schoͤpfung
ſehen laͤſſet.
Haben wir beym Anblicke dieſer herrlichen Schoͤnheit
und dieſes, Himmel und Erde uͤberſtroͤmenden Lichts,
ſelbſt neue, auf Bewunderung, Ehrfurcht und Andacht
abzielende, Vorſtellung; ſo fahren wir in ſtiller Ueber-
legung darinn fort, theilen auch wohl unſere Gedanken
uns
Eine Lehr-reiche Geſchichte.
uns einander mit: wo aber nicht; ermuntern wir
unſere Jdeen durch die Betrachtungen, welche ich von
einem großen Geiſte in ſpaniſcher Sprache uͤber dieſen
majeſtaͤtiſchen Vorwurf erhalten, und zu meiner Erbau-
ung, ſo gut ich gekonnt, uͤberſetzt habe. Oder wir ver-
leſen des unvergleichlichen Miltons Morgen-Gebet un-
ſerer erſten Eltern bey Erbilckung der aufgehenden
Sonne; laſſen auch ſelbiges wol zuweilen uns von un-
ſerm Kinde, welches bereits der engliſchen Sprache
maͤchtig iſt, und ſolches laͤngſt auswendig gelernet hat,
vorbeten. Wobey ihm der Knabe ſolches ſogleich her-
ſagte, und, ſeines ſchoͤnen Jnhalts halber, von Mirander
bald darauf ſelbſt auswendig gelernet wurde. Es ver-
dienet, ſeiner Schoͤnheit wegen, hier einen Platz, und
lautet alſo:
Aller dieſer Creaturen Herrlichkeit und Wunder-Pracht
Jſt, o Vater alles Guten! durch Dein’ Allmacht bloß,
gemacht!
Dieß ſo wunder- wunderſchoͤne Welt-Gebaͤud’ iſt einzig
Dein.
Welch ein Vorwurf des Erſtaunens mußt Du nun wol ſelbſt
nicht ſeyn!
O du Unausſprechlicher! Deſſen Sitz der Himmel iſt,
Ja weit uͤber alle Himmel, der Du uns unſichtbar biſt,
Oder in der Daͤmmerung Deiner allerſchlechtſten Werke,
Nur allein von uns zu ſehn! welche doch noch deutlich
zeigen,
Daß Dein unbegreiflichs Lieben, daß die Weisheit, Macht
und Staͤrke
Deiner unumſchraͤnkten Gottheit, unſern Geiſt weit uͤber-
ſteigen.
R r 3Redet
Eine Lehr-reiche Geſchichte.
Redet ihr! die ihr viel beſſer, als wir koͤnnen, reden koͤnnt,
Lichtes-Kinder, heilgen Engel, weil euch, Jhn zu ſehn, ver-
goͤnnt;
Die ihr mit Geſaͤng- und Pſalmen euch, Jhn zu erhoͤhn,
beſtrebet,
Und mit ungezaͤhlten Choͤren, in ſo rein- ſo hellem Licht,
Welches keine Nacht begrenzet, noch die Klarheit unter-
bricht,
Unaufhoͤrlich jubilirend, Seinen heilgen Thron umgebet.
Jhr! durch die im Himmel droben, und nicht minder hier
auf Erden,
Aller Creaturen Schaaren zu dem Zweck vereinet werden,
Jhn zu loben, als den Erſten, als den Letzten, und zugleich
Als den Mittelſten ohn End’. Und du ſchoͤnſter Stern
der Sternen,
Den man von dem Nacht-Geſtirn ſich am ſpaͤtſten ſieht
entfernen,
Wo du nicht vielmehr gehoͤreſt zu der Morgenroͤthe Reich,
Der du als ein ſichrer Bothe eines nahen Tages glaͤnzeſt,
Und mit deinem hellen Zirkel den verjuͤngten Morgen
kraͤnzeſt,
Lobe du, in deinem Kreis, unſern Schoͤpfer in der Zeit
Dieſes neugebohrnen Tages, voller Luſt und Suͤßigkeit.
Sonne, die du Aug’ und Seele dieſer weiten Welt! erkenne
Jhn fuͤr deinen Oberherrn. Es erſchall ſein Lobgeſang
Stets in deines ew’gen Laufs nimmer ruhendem Gerenne,
Wenn du ſteigeſt, auch am Mittag, und bey deinem Un-
tergang.
Mond! der, da du jetzt der Sonne fruͤh begegneſt, dich
entzieheſt,
Und, mit denen veſten Sternen, nebſt derſelben Kreiſe,
flieheſt,
Worinn
Eine Lehr-reiche Geſchichte.
Worinn ſie beſtaͤndig gehn! Und ihr andern fuͤnf, die ihr
Jm geheimen Tanz beſtaͤndig, ſonder Ruhe, fuͤr und fuͤr,
Euch nicht ſonder Klang beweget, lobet Den, durch Den
das Licht,
Aus der Finſterniß gerufen, in ſo helle Strahlen bricht!
Luft! und alle Elementen! aͤltſte Kinder der Natur,
Die ihr weiter Schooß erzeugt! die, ohn daß ihr je
verweilet,
Jns Geviert, in vielgeformten, regen Zirkeln, laufet, eilet,
Alles miſcht, und alles naͤhret! laßt, dem großen Gott
zu Ehren,
Jn beſtaͤndig neuer Aendrung, neue Lieder jauchzend
hoͤren.
Nebel! Duͤnſte! die ihr falb, grau und ſchmutzig, bis
die Strahlen
Unſrer Sonnen euch den Saum uͤberguͤlden und bemahlen,
Ob ihr in verduͤnneten, allgemach erhabnen Duͤften,
Aus den feuchten Seen ſteiget, oder aus der Berge
Gruͤften,
Dem zum Ruhm, Der alle Welt wunderbar hervor
gebracht,
Ob ihr, am gefaͤrbten Himmel, einen Schmuck in Wolken
macht,
Und, zu dieſem Endzweck ſanft, euch unſichtbar hebt und
ſteiget,
Oder wenn ihr euch, die Erd’ auch zu traͤnken, abwerts
neiget,
Auf, vermehret Seinen Ruhm! Auf, vermehrt auch ihr,
ihr Winde!
Die ihr aus vier Himmels-Theilen heftig bald, und bald
gelinde,
R r 4Weht
Eine Lehr-reiche Geſchichte.
Weht und blaſet, Seinen Ruhm! Auch ihr Fichten, nebſt
dem Heer
Aller Pflanzen, die, durch ſie, eure Wipfel oft beweget,
Bieget euer Haupt, zum Zeichen eurer Demuth, Jhm zur
Ehr!
Auch ihr Brunnen, die ihr wirbelnd fließt, und ein Ge-
raͤuſch erreget,
Welches ſanft und lieblich klingt, rauſcht und wirbelt Jhm
zum Preiſe!
Alle Seelen, die ihr lebt! Voͤgel, die ihr ſteigt im
Singen,
Traget Seinen Ruhm empor, ſo im Ton, als auf den
Schwingen!
Jhr, die ihr in Waſſern glitſcht! Jhr, die auf dem Er-
den-Kreiſe
Praͤchtig tretet, oder kriechet, zeuget, ob, ſo fruͤh als ſpat,
Meine Zunge, Huͤgel, Thaͤler, Brunnen, oder friſche
Schatten,
Gott zu ruͤhmen, zu beehren, einmal wol geſchwiegen
hat,
Die mein ſtetiger Geſang, als womit ſie ſtets ſich gatten,
So zum Klang als Wiederhall Seines Ruhms geſchickt
gemacht.
Dir, allgegenwaͤrt’ger Herr! ſey mein Morgen-Gruß
gebracht!
Ach! erbarme Dich, gieb uns, ew’ge Guͤte, nichts als
Gutes.
Wo die Nacht auch etwas Boͤſes haͤtt’ erzeuget und ver-
borgen;
So vertilg es, wie die Schatten jetzt vertilgt der helle
Morgen.
Nachher,
Eine Lehr-reiche Geſchichte.
Nachher, fuhr er fort, begeben wir uns zu unſerer
gewoͤhnlichen Arbeit; wobey wir uns aber gewoͤhnet,
an allen unſern Werkzeugen die Materie als eine
goͤttliche Gabe, und die Zubereitung und Zuſchickung
derſelben, ſo zum verſchiedenen Gebrauche, als eine
Probe der unſerm Geiſte von Gott zugelegten Geſchick-
lichkeit, und mannigfaltiger Faͤhigkeit, zu betrachten;
da wir denn zugleich einen unſtreitigen Vorzug vor
andern Thieren in demſelben befinden. Die bewun-
dernswuͤrdige Zubereitung unſerer Haͤnde dienen uns
beſtaͤndig, und oft bey jedweder veraͤnderlichen Be-
wegung, zu einem Vorwurfe und Beweiſe eines weiſen
Weſens, der uns ſelbige nicht allein, ſondern auch
dazu unſerm Geiſte eine ſo bewundernswuͤrdige Faͤhig-
keit, uns derſelben nuͤtzlich zu gebrauchen, gegeben hat.
Zu Anfange kamen uns dergleichen Ueberlegungen
etwas ſchwer an; aber durch oͤftere Wiederholung
derſelben, fallen ſie uns gleichſam von ſelbſt bey: und
kann ich euch nicht ſagen, was fuͤr ein inniges Ver-
gnuͤgen wir dabey empfinden, wenn wir dergleichen
Vorſtellungen als Erfuͤllungen derjenigen Pflichten,
wozu wir gemacht ſeyn, und zugleich als ein Theil
eines zwar ſchwachen, doch ſchuldigen, Gottes-Dienſtes
anſehen. Ja, indem wir unſere Arbeit mit unſerm
Vergnuͤgen, und mit letzterem zugleich eine dem Schoͤp-
fer aller Dinge zu leiſtende Pflicht verbinden; ſo iſt
es mir ſchwer, diejenigen ſuͤßen Empfindungen aus-
zudruͤcken, welche bey dergleichen Betrachtungen ſich
durch unſer ganzes Weſen ausbreiten, und was wir
fuͤr ein inniges, ſanftes und ruhiges Vergnuͤgen da-
durch empfinden.
R r 5Bey
Eine Lehr-reiche Geſchichte.
Bey unſerer Mittags-Mahlzeit, auch beym Ge-
nuſſe anderer Speiſen und Fruͤchte, haben wir uns
gewoͤhnet, nicht allein mit Aufmerkſamkeit das Ver-
gnuͤgen des Geſchmacks uns zuzueignen; ſondern wir
erinnern uns zugleich der uns von Gott zu eben die-
ſem Vergnuͤgen geſchenckten Vorwuͤrfe, und der uns
dabey gegoͤnnten Geſchicklichkeit, dieſelben durch faſt
unzaͤhlbare Veraͤnderungen, in unterſchiedlicher Zube-
reitung derſelben, uns die Art von Vergnuͤgen im-
mer zu vermehren. Abſonderlich aber ermangeln wir
nicht, auf die zu ſolcher Luſt uns auf eine ſo bewun-
dernswerthe Art zugerichteten Werkzeuge der Zunge,
des Gaums ꝛc. nicht weniger der den Speiſen beyge-
legten Nahrungs-Kraft, einige Pflichtmaͤßige Gedan-
ken zu wenden. Dieſe Beſchaͤfftigung ſehen wir an
als eine Handlung, durch welche wir uns nicht allein
von den Thieren unterſcheiden, ſondern wodurch wir
in der empfundenen und durch die Betrachtung uns
zugeeigneten Luſt zu einer Dankbegier gegen denjeni-
gen, durch deſſen weiſe Macht und Guͤte wir ſo man-
nigfachen Vergnuͤgens auf eine ſo kuͤnſtliche Weiſe
theilhaftig werden, uns aufgemuntert finden; und in
einem bruͤnſtigen Verlangen, uns ſeinem Willen ge-
maͤß zu bezeigen, geſtaͤrket und beveſtiget werden.
Nach aufgehobener Tafel verfuͤgen wir uns aber-
mal zu unſerer Arbeit, und nach Endigung derſelben,
wenn der Tag kuͤhle worden, begeben wir uns entwe-
der in jenen luſtigen Wald, oder auf die am Ufer des
Fluſſes belegene Wieſe, oder in unſern angelegten
Garten; da uns denn die unzaͤhlbaren Vorwuͤrfe un-
gezaͤhltes Vergnuͤgen erregen. Wobey es uns un-
moͤglich an guten Vorſtellungen fehlen kann, da durch
der
Eine Lehr-reiche Geſchichte.
der Vorwuͤrfe Mannigfaltigkeit unſere zu Betrach-
tungen gewohnten Seelen von ſtets neuen Gedanken
gleichſam uͤberquellen. Wenn wir nun darauf die
untergehende Sonne, und endlich den geſtirneten Him-
mel, mit ſo vieler Ehrfurcht als Vergnuͤgungen be-
trachtet, und ein leichtes Abend-Brodt verzehret ha-
ben; ſo legen wir uns zur Ruhe, und erwarten eines
froͤhlichen Morgens, um unſer Vergnuͤgen von neuem
wieder anzufangen.
Nachdem Mirander, durch die Buͤndigkeit dieſes
Vortrages, ganz eingenommen, denſelben bewundert,
und nebſt einer dienſtlichen Dankſagung fuͤr deſſen Mit-
theilung, ſelbige mit dieſem herzlichen Wunſche beglei-
tet: daß doch dieſe guten Lehren ſo beſchaffen ſeyn
moͤchten, daß ſie auch denen in der Welt lebenden
Menſchen koͤnnten brauchbar gemacht werden; ſo
fing die Gemahlinn mit der ihr eigenen und gewohn-
ten Leutſeligkeit an: Sie glaube nicht, daß ein ein-
ziger Punkt in ihren Lebens-Regeln vorhanden waͤre,
welcher von allen, ſo ſich in der Welt befaͤnden, nicht
ſollte koͤnnen gebrauchet werden. Jhr waͤre die Welt,
nebſt allen denjenigen Unruhen und muͤhſeligen Be-
ſchaͤfftigungen, welche einem jeden Stande gleichſam
eigen und faſt nicht davon zu trennen, noch, mehr als
zu wohl bekannt. Sie haͤtte verſchiedene Jahre bey
Hofe zugebracht; dennoch getraue ſie ſich zu erweiſen,
daß auch alle daſelbſt insgemein herrſchende Eitelkei-
ten, ihre Lehr-Saͤtze vollkommen zulaſſen koͤnnten.
Wie viel weniger werden ſie in andern Staͤnden eine
Zerruͤttung machen; indem von dem hoͤchſten bis zu
dem niedrigſten, ja ſo gar dem Bauren-Stande, es
die Menſchen nicht hindern koͤnnte, ihre Sinnen
mit
Eine Lehr-reiche Geſchichte.
mit mehrer Anmuth zu gebrauchen, ſich ihr Eſſen
und Trinken beſſer ſchmecken zu laſſen, und bey ihrer
ohnedas unvermeidlichen Arbeit, dieſelbe mit ange-
nehmen Gedanken zu verſuͤßen; ja, mit einem ſol-
chen Vergnuͤgen zugleich das Haupſaͤchlichſte, naͤm-
lich einen vernuͤnftigen Gottes-Dienſt, zu verbinden:
welches, ihrer Meynung nach, einer vernuͤnftigen
Seele, zur Vermehrung ihres Gluͤcks, zur Erleichte-
rung ihrer Arbeit, und zum Troſt bey allen Unfaͤllen,
nothwendig dienen wuͤrde, ohne daß ſie deswegen von
ihren gewoͤhnlichen Handelungen etwas abbrechen
duͤrften. Kurz! das von allen Menſchen ſonſt ver-
gebens geſuchte Vergnuͤgen auf dieſer Welt, wuͤrde
auf dieſen Weg angetroffen, und das Leben der Ein-
wohner dieſes Erdbodens dadurch ertraͤglicher und
angenehmer werden.