Deutscher
Novellenschatz.
Herausgegeben von
Paul Heyse und Hermann Kurz.
Band 16
Berlin
Globus Verlag
G. m. b. H.
1910
Inhalt:
Seite Gemüth und Selbstsucht. Von F. v. W. 1
Mohrenfranzel. Von Hermann Schmid 87
Der Striethast. Von E. v. Dincklage 179
Die Schlangenkönigin. Von Otto Roquette 221
Der Striethast.
Von E. von Dincklage.
Emmy (eigentlich Amalie Ehrengarte Sophie Wihelmine) von Dincklage wurde am 13. März 1825 als das älteste Kind des Freiherrn Hermann von Dincklage - Campe und seiner Gattin Julie, geb. Baronesse von Stoltzenberg, auf dem westphälischen Rittergut Campe geboren. Ihre Jugend verlebte sie im väterlichen Hause, unter den sehr eigenartigen, patriarchalisch-feudalen Verhältnissen ihres heimathlichen Emslandes, mit dessen charaktervollen Menschen und Sitten sie aufs Innigste vertraut wurde. Früh entwickelte sich ein dichterisches Talent, das sich zunächst in Versen aussprach. Das Ansehen, zu welchem Klaus Groth die plattdeutsche Poesie erhoben, regte die jugendliche Dichterin zu einer Reihe von Gedichten in ihrer heimischen Mundart an, die dann in den fünfziger Jahren in Firmenich's „Völkerstimmen“ erschienen. Aber erst eine Reise nach Wiesbaden im J. 1848 führte sie in weitere Kreise und zu literarischen Bekanntschaften, die seit der Uebersiedelung ihrer Eltern nach Bückeburg neuen Zuwachs erhielten. Der Gruppe'sche Musenalmanach v. J. 1854 und 55 brachte verschiedene Gedichte von ihr, das Morgenblatt 1857 ihre erste Novelle, „das alte Liebespaar“, worauf im folgenden Jahre ihr erster Roman, „Hochgeboren“, erschien. Seit 1866 Conventualin des adeligen Damenstiftes zu Börstel benutzte sie ihre dadurch erlangte freiere Stellung zu vielfachen Reisen in Deutschland, Ungarn, zuletzt in Italien, die ihren Weltblick erweiterten und schärften, ihr dichterisches Gemüth aber immer wieder zu den Lebensbildern ihrer Heimath zurückführten. Das Schönste und Ergreifendste, was ihr gelungen, sind Bilder aus ihrem Emslande,
und ihr Roman „Tolle Geschichten“ schildert in seinem ersten Theil das Leben auf einem dieser altadeligen Herrensitze mit so lebendigen Farben, im Guten und Bösen so derb und rücksichtslos, dabei mit einer solchen Fülle des frischesten Humors, daß diesem Buch von Frauenhand kein anderes an die Seite zu setzen wäre, wenn der zweite Theil mit seinen abenteuerlichen Romanverwicklungen und einer gewissen Hast und Oberflächlichkeit der Ausführungen nicht allzu fühlbar gegen den ersten abstäche, Die kleineren Emsländer Erzählungen sind zumeist glücklicher in der Composition und bieten, von demselben drastischen Humor stroß end, eine Reihe höchst eigenthümlicher Charakterbilder. Wenn es der Dichterin gelänge, ihre zuweilen aus Rand und Band gehende Phantasie zu zügeln und sich gewissenhafter innerhalb der feinen Grenzlinie der Wahrheit und Natur zu halten, wäre sie ihrem Talent nach dazu berufen, auch in einer größeren Schöpfung ihre Heimath so erfolgreich zu vertreten, wie es Fritz Reuter in der „Stromtid“ mit seinem Mecklenburg gethan hat.
I.
Anntrin.
Es ist am Abend des Festes Mariä Himmelfahrt. Die Haide liegt im Mondenglanze: in den dünenartigen, sandigen Hügeln bergen sich vorgeschichtliche Aschenurnen, die mächtigen Decksteine der Hünengräber aber wurden gesprengt und über die nahe holländische Grenze gefahren, zu Hafenbauten oder Seedeichbefestigungen. Der Wiedehopf, welcher tief im Moore nistet, und seine bereits flügge Brut fahren erschreckt aus dem schon erntereifen Buchweizenfelde empor über das Hollah- und Juchherufen, das die kriechenden Nebel durchfährt und bis an die fernen, tief dunkel und drohend da stehenden Tannenholzungen weiter zittert. Mitternacht ist nahe, doch es sind nicht die Jäger des prachtliebenden Kurfürsten Clemens August, deren Geister ihr altes Waidrevier durchjagen; Meister Reinecke, der über eine Sandwehe hinauslugt und wittert, weiß das besser: die dunklen lustigen Gruppen, die längs des Heerweges im tiefen Sande weiterstapfen, sind harmlose Bauern und Bäuerinnen aus dem Emslande, die sich
auf dem Heimwege vom hohen Hümmling befinden. Wie sie heute von dem Dorfe Sögel heimkehren, wo sie neben den Gebeinen des heiligen Fructuosus beteten und zwischen den Honigkuchenbuden in den Schenken Kirchmeßfreuden genossen, so thaten es auch ihre Vorfahren und werden es ihre Enkel thun, obgleich wir dafür gesorgt haben, daß diese nicht mehr, wie es damals, als die Grauköpfe von heute blond waren, geschah, im Sande waten; denn die heutige Generation findet eine regelrechte Steinstraße, und die Reisenden können, wenn sie von Lathen oder Papenburg kommen, bis an diesen gepflasterten Damm auch noch die hannoversche Westbahn benutzen. Vor dreißig Jahren aber hatten wir alles das nicht und waren trotzdem sehr zufrieden, namentlich bei Festen, wie die Himmelfahrtsfeier der allerseligsten Jungfrau. Am 15. August ist das Heu und der Roggen in der Scheune, und man kann auch seinen Dienstboten gestatten, ein paar Meilen über Land zu gehen und sich an Ort und Stelle mit einem tüchtigen Hopser des Lebens zu freuen, falls sie nicht einen Schleifer vorziehen. Aber es sind nicht etwa nur Knechte und Mägde, die heute den Holzschuh mit dem derben Lederstiefel oder flachen Sonntagsschuh vertauschten, um die Festfreude auszukosten, bis sie förmlich zusammenbrechen — o nein, in den frohen Zurufen von einer Gruppe zur andern erwecken die stolzesten Namen des Emsufers die matten, nächtlichen Echo's, Namen, die drei- bis vierhundert Jahre mit ihrem Grund-
besitz verwachsen waren, Namen, die jeden ihrer Buchstaben mit einigen tausend holländischen Gulden zu decken können. Eine dieser „Besten“, die Erbin von Twistbrink, schreitet dem Zuge ihrer Dorfnachbarn groß und stattlich voran, sie hat das schwarze Laken (Tuch-)Kleid um die Hüften geschürzt, und ihr feuerrother Bojerock folgt in gleichmäßigen Schwingungen ihrer sichern, actrechten Bewegung. Niemand erlaubte sich indeß, sie scherzend anzureden, kein begünstigter Freier hatte das Recht, ihr heute den verhängnißvollen Honigkuchen, den Hilke-Maker (Heiraths-Macher), als zarte Liebesgabe anzubieten; Anntrin war ein ernstes, „sinniges“ Mädchen, dessen verschlossenes Wesen sich schweigend Zurückhaltung von Anderen erzwang. Obwohl bereits fünfundzwanzig Jahre alt, hatte Anntrin nie einen Bewerber begünstigt, und diese Thatsache zeugte von großem Standesbewußtsein. Ein armes Mädchen, des geringen Mannes Kind, muß sich bei Zeiten versorgen, die Erbin aber hat zu wählen, je länger sie „kührt“, desto stolzer beweis't sie: Ich habe es nicht nöthig, mich nach irgend etwas in der Welt umzusehen! — Was unter dem breiten Goldgeschmeide, das dann und wann auf Anntrin's Brust im Mondenstrahl aufleuchtete, lebte oder liebte — wer konnte es wissen? Ein Wagengerassel, das von dem holperigen Pflaster des Dorfes Wahne aus mit dem feuchten Nachtwinde weit über die Ebene zog, fesselte alsbald die Gedanken der Wandernden. Das ist Rolf Evert!
rief ein Dorfdemagoge, welcher der bäuerlichen Aristokratin nicht das Weiße im Auge gönnte, dicht hinter Anntrin, das ist Rolf der Matros' — natürlich, der muß fahren, wenn wir Anderen zu Fuß gehen; sein großer Kommheraus (Hemdekragen) könnte staubig werden auf der Landstraße! —
Anntrin wandte sich nach dem Sprecher um. Hermanton, sagte sie mit tiefer, ruhiger Stimme, wenn du vier fette Braune im Stalle hättest, statt deiner mageren Kuh, du säßest jetzt auch zwischen den grünen Wagenleitern!
So, so! machte der Andere boshaft, noch boshafter als gewöhnlich, aufgestachelt vom Fusel-Dämon, so, so! Ja, das hatte ich vergessen, Jüffer (Jungfer), daß Rolf's Bruder sich die Maße zum Hennekleed (Todtenhemd) nehmen läßt und damit das verhexte Felgen-Erbe auf den Matrosen fällt! Ja, ja, wenn ich verstände, was die verstehen, meine magere Kuh brauchte wahrlich nicht im Joche zu gehen!
Mehrere Leute, welche neugierig näher gekommen waren, stießen sich verstohlen an, die Erbin ging schweigend weiter. Der reizbare Hermanton indeß, uneingedenk des schönen Spruches: Schweigen ist Gold! gedachte sich vor seinen Zuhörern hervorzuthun, drückte den plumpen Hut ein wenig auf die Seite, qualmte eine dicke Tabakswolke in die Luft und begann von Neuem: He, Anntrin, da muß ich mich wohl bei
dem Matrosen einschmeicheln, damit er mich demnächst auf dem Twistbrink als Tagelöhner behalten thut?
Es entstand eine kurze, erwartungsvolle Pause des Schweigens, dann wandte sich Anntrin gegen den Tagelöhner, so daß die ganze Colonne stehen bleiben mußte. Hermanton, sprach die Erbin und stemmte ihre große, arbeitskräftige Hand, die an jedem Finger breite Goldringe trug, in die Seite, — Hermanton, um dir zu wissen zu geben, wer auf dem Twistbrink commandirt, kündige ich dir von heut ab die Arbeit auf dem Hofe. Wenn ich keinen andern Degesmann (Freiwerber) mehr finde, so will ich mich an dich wenden. Damit: stop!
Hätte Tacitus in dieser Mitternachtsstunde eine Geisterpromenade gemacht, um die Spuren der römischen Legionen aufzusuchen, gewiß, es müßte den alten Historiker gefreut haben, Anntrin in Mondscheinbeleuchtung da stehen zu sehen, voll ernsten, gemessen strafenden Zornes! Denn ihre kräftige Gestalt, ihr lichtblondes Haar, ihr blaues, unerschrockenes Auge — es war ja Alles so, als ob sie, eine der Mägde Thusnelda's, durch Jahrhunderte und Jahrtausende dahinschritte in ewiger Kraft und Jugend, die Trägerin des geheimnißvollsten und unveräußerlichsten Erbtheils, des der Stammeseigenthümlichkeit!
Hermanton, dessen Interesse keineswegs mit dem des Tacitus Hand in Hand ging, war durch das urgermanische Mondscheinbild seiner Arbeitsgeberin in trauriger Art ernüchtert. Wenn auch die Brinkhofleute
sehr „großmüthig“ im Bauernsinne, das heißt: hochmüthig waren, so zeigten sie sich auch großmüthig nach unserem Begriffe, indem ihre Almosen Freund und Feind zuflössen, ohne Ansehen der Person und nur mit Berücksichtigung des Mangels. Etwas wie Zurücknahme von Anntrin's ausgesprochenem Strafbeschluß war nicht denkbar; der Missethäter wußte zumal recht gut, daß er nicht eben zu den fleißigen Knechten zähle, und daß seine Verdienste niemals mit seinem Lohne Schritt hielten.
Kiek — süh! knurrte er sehr unwirsch, dann kann der Brinkhof die sieben Gulden und zwei Dübbeltje Vorschuß, die ich bekommen habe, in den Schornstein schreiben, krosse (kurz angebundene) Jüffer!
In unserer Freundschaft sind keine Schornsteinfeger, Hermanton! Du wirst in allen Fällen die sieben Gulden und die zwei Dübbeltje bezahlen, ich will das Geld deinen Kindern aufheben, damit sie nicht Hunger leiden, deines Durstes wegen!
Was auch in Hermanton kochte, er mußte es durch seine, leider wieder sehr trockne Kehle hinunter schlucken, denn der Wagen hatte jetzt die Fußgänger erreicht und der Matrose schwang sich elastisch, wie das seine Beschäftigung lehrt, über die Wagenleitern und gesellte sich zu der bereits wieder tactmäßig fortschreitenden Erbin: Wer von euch fahren will, kann aufsteigen! rief Rolf Evert und hob den Lackhut ein wenig, um die braunen, lockigen Haare zurück zu streichen.
Ich will fahren! erklärte trotzig Hermanton und stieg auf, einige Andere, die wacker getanzt hatten, folgten ihm.
Denkt dir's noch, Anntrin, wie wir mitsammen in die Schule gingen? fragte der Schiffer nach einigen gleichgültigen Hin- und Herreden.
Ja wohl, aber es ist lange her. Du warst auf der See von klein auf, ich, an meinem Platz, ginge nicht fort von dem Loog (Bauerschaft), wo ich jung geworden bin, um keinen Preis; aber ihr seid von einer andern Art, ihr bleibt nicht bei einander, um das Feuerhahl (den Kesselhaken).
Rolf lachte frohmüthig. Nein, der Kesselhaken hielt mich nicht, und du kannst dir schon selbst auslegen, fügte der Matrose hinzu, was mich wegtrieb.
Ich kann es mir nicht auslegen, widersprach Anntrin. Du hast eine Mutter, einen Bruder und Schwestern, Land und Sand und von Allem genug, es müßte denn sein, daß dir Pflug und Dreschflegel zu schwer gewesen wären.
Ich rechne, Anntrin, du wirst mir meinen Schimpf und Glimpf stehen lassen — ich kann Jedermann in die Augen sehen. Ich hatte wohl Alles zu Haus, nur keinen Frieden mit Mutter und Bruder, du weißt ja, was über Felgen-Vollerbe umgeht.
Marie Josef — und ist das denn wahr?
Sie sagen es — und es ist so; mein Bruder hat die Zehrung, deßhalb rief mich unsere Mutter mit
einem Brief von Archangel, damit Einer die Arbeit thäte — er kann es ja nicht! —
Erzähl mir, wie das Gesage ist — Wort für Wort!
Durch hundert Jahr soll nie der älteste Sohn den Felgenhof auf seinen Sohn vererben, er kommt auf den Bruder oder den Sohnes-Sohn oder einen Ohm — immer in die dritte Hand!
Wie lange dauert das schon?
Du meinst, fragte Rolf, wie lange muß es noch dauern? Wenn du mir deine Hand giebst, Anntrin, so will ich es dir sagen. Hier unter den Tannen, wo es so dunkel ist wie in Aegypten, wird kein Mensch erfahren, ob du mir die Hand giebst; aber ich rechne, es soll nicht lange dauern, dann sehen es alle Leute in der Kirche?
Ein Glück verheißender Druck erwiderte den von seiner Rechten ausgehenden, zugleich fragte die Erwählte seines Herzens neugierig: Ist es in Aegyptenland immer dunkel?
Nein, nur ein halbes Jahr, und dann ist es wieder dreiviertel Jahr Tag, und so immer weiter, auf Island und Spitzbergen ganz dasselbe; die Leute bauen daselbst ihre Häuser aus Schnee, und so wie wir unsere Pferde, haben sie Eisbären, die sie anspannen. Aber Anntrin, verlangt dich's nicht zu wissen, wennehr der Felgenhof von dem Gesage frei wird?
Gewiß verlangt mich's — was du doch Alles erlebt hast, Rolf! Ich bin nicht bange, gar nicht,
aber ich habe einmal auf dem Verlaater Markt in Friesland einen Bären gesehen, und —
Laß die Kinderei, Anntrin, ich werde euch von diesen Dingen später noch jahrelang erzählen, wenn die böse Gewalt nicht mehr die Klinke meiner Hausthür aufheben kann und den Tod über die Schwelle tragen — ja, zu Ende ist's mit ihr, wenn Felgen-Erbe unter ein anderes Dach zieht! Ich rechne, Mädchen, von wegen meiner Person, ich stehe meinen Mann an den Ufern der Ems hinauf und herunter, wer es sei; unsere Höfe und Ländereien liegen an einander, somit frage ich dich, Anntrin, ob ich am Sonntag kommen mag, dich von deinen Leuten zu begehren?
Komm am Sonntag! entgegnete Anntrin leise, als ob eine unheimliche Unruhe über sie käme, aber, sich ermuthigend, sagte sie lauter: Und damit stop!
Und damit stop! wiederholte der Schiffer und demnächstige Anerbe, umfaßte des Mädchens kräftige Gestalt und drückte einen herzhaften Kuß auf ihre Lippen. Nur einen einzigen, denn die ägyptische Tannenfinsterniß lichtete sich, das Mondlicht quoll durch die leise rauschenden Tannenzweige, und der kräftige Geruch umgeackerten Landes verdrängte den harzigen Duft des Nadelholzes. Die Himmelfahrtswanderer waren an einen Scheideweg verschiedener Gruppen gekommen; noch einmal versammelten sie sich, hier und da reichte man sich die Hände, noch irgend ein leiser oder lauter
Abschiedsgruß und dann: Gute Nacht! und fern und ferner noch einmal: Tohop und Gute Nacht! Endlich wurde die Haide still, und in den Nestern erwachten die Frühsänger unter den Vögeln.
II.
Sanne Möhe
Anntrin fand, wie immer, die Thür ihres Vaterhauses bei ihrer Heimkehr unverschlossen. Es giebt noch heute viele Häuser im Emslande, die nur dann und wann durch ein Vorhängeschloß von außen versichert werden können, von innen aber höchstens einen Pflock oder eine Krampe zu diesem Ende aufweisen. Im Twistbrink-Hause war auch das nicht nothwendig, denn die Besitzerin des ganzen Hofes, die achtzigjährige Muhme Susanne, wachte die ganze Nacht. Die alte reiche Bäuerin, unter dem Namen Sanne Möhe weit umher bekannt und gefürchtet, war nie vermählt gewesen, und dieser Umstand war ihr vornehmster Stolz. Wenn Sanne Möhe jemals etwas über Elisabeth von England gehört hätte, man müßte glauben, sie habe sich die jungfräuliche Königin zum Vorbilde ausersehen, wahrscheinlicher aber ist, Sanne würde dann einen andern Weg eingeschlagen haben; denn sie wollte in allen Dingen ihren eigenen Sinn und Willen haben. Die alte Bäuerin war äußerlich andächtig, barmherzig
und so tugendhaft, daß sie die Ausübung des Guten am liebsten mit der „Schwepe“, hochdeutsch: Peitsche, gefördert hätte; ihre herbe Jungfräulichkeit ging hier und da in eine gleißnerische Grausamkeit über, besonders wenn ihre Eifersucht rege gemacht worden war. Denn eifersüchtig war diese alte, dürre, ewig fröstelnde Mumie, als ob diese letzte Leidenschaft eigens dazu weiter kröche und fräße, um den erkaltenden Lebensfunken immer von Neuem wieder anzufachen! Eifersüchtig war Sanne Möhe auf ihren Rang, ihren Reichthum, vorzüglich aber: ihren Einfluß! Bei alledem machte Sanne einen so vollkommen gelassenen, gehaltenen Eindruck, wie es nur immer der Tochter und Erbin einer Familie, gleich der von Twistbrink, zukam; ihre Leidenschaften waren von Jung auf „tigerfüßig“ und dem Opfer am nächsten, wo dasselbe am wenigsten davon ahnte. Es war ein Ehrenpunkt für Sanne Möhe, zu jeder Zeit der Nacht zu wachen und — wie sie behauptete — zu beten! Das Letztere weiß Gott allein, das Erstere erfuhren zu ihrem Schrecken auch häufig die Menschen, welche sie unter allerlei Vorwänden der süßen, aber gänzlich nutzlosen Gewohnheit des Schlafes entriß. Früher, als sie noch weniger fror, hatte die würdige Jungfrau den größten Theil der Nacht spinnend — und betend, wie sie behauptete! — am Feuer gesessen; auch jetzt hielt sie vorzugsweise in der Nacht ihr Lever unter Assistenz sämmtlicher Hausbewohnerinnen, aber sie konnte die Nachtluft nicht lange
ertragen, und wenn Alle ein paar Vaterunser gebetet hatten, mußte die Alte, trotz des erwärmenden Kaffees, wieder in ihre dicken Federbetten gestaut werden.
Na — na — na! klang es hohl und hüstelnd aus der Butze (Wandbettstelle), welche die „scharfe Ecke“ der Brinkhofküche bildete, bei Anntrin's Rückkehr; du mußt einen Haufen Plaisir gehabt haben, Kind, daß du so lange ausbleibst — die Glocke hat schon ausgehoben zu ein Uhr — na — na — so lohnt es nicht mehr, daß du dich niederlegst — wache und bete — leg auch ein paar Törfe an — die Nächte werden schon kalt — na — na — wer war denn Alles da in Sögel?
Anntrin erzählte nun, was sie wußte; sie nannte alle Freunde und Bekannte einzeln, denn die tugendstrenge Sanne war sehr neugierig und behielt die Lebenswege ihrer Umgebung scharf im Auge. Na — na — na! — sagte die Möhe, als Anntrin schwieg, also der Matrose Rolf Evert vom Felgenhof freit jetzt um dich, mein Mädchen?
Obwohl dunkle Röthe über das Gesicht der Erbin zog und einen Moment ihre Augen zornig aufleuchteten, hielt sie doch ihre Ruhe vollständig aufrecht; sie fragte auch nicht, woher die Alte diese Kunde habe, schnell errathend, weßhalb der Dorfdemagoge gefahren war und wozu er seinen Vorsprung vor ihr benutzte. Das Ohr der Schlaflosen war nie offener als bei nächtlichen Audienzen; nichts schmeichelte ihr mehr, als wenn
Jemand geheimnißvoll mit irgend einer Neuigkeit zu ihr schlich — wenn ihr Volk schlief. Das „Volk“ sind nämlich die Dienstboten, und „Leute“ Familienmitglieder. Anntrin erhob sich und schritt sichern Trittes vor die Bettloge der Allgebietenden, selbst die derben Knechte des Hauses traten nicht ohne Zagen daher, und die andächtige Sanne freute sich ihrer Angst. Aber die Erbin verlor ihre sichere Ruhe nicht, war sie doch im Bewußtsein ihrer bevorzugten Stellung aufgewachsen. Ja, Möhe, entgegnete sie, Rolf Evert wird mit Schein den Felgenhof bekommen und denkt am Sonntag bei Euch und meinen Alten um mich anzufragen!
Na — na — na — klang es unter den mächtigen Federbetten hervor, das kommt mir ja recht gelaufen, so kann mich der krecke (saubere) Fant auch zu Tode hexen, wie er es seinem Bruder that — das versteht die Felgenart, Krausköpfe, schwarze Krausköpfe!
Anntrin kreuzte die Arme und entgegnete: Krauses Haar ist nichts Ehrloses, Möhe Sanne!
Na — na — na! Die Andächtige lachte und hustete unheimlich durcheinander, nein, nichts Ehrloses, an den Blättern kennt man den Baum, was eine Else, was eine Eiche, was eine Hagebuche — die Krausköpfe na — na — sind so recht die stillen, gehorsamen, friedfertigen Leute, nicht wahr? Na, du hast gut gekührt!
Er hat dem Schiffsbaas gehorcht — er wird Euch eben so wohl gehorchen!
Sieh — sieh, da hast du Recht, was die Kinder heute klug sind! Na, na, zieh dein Sonntagsgut aus und wecke das Volk.
III.
Amandus Twistbrink, geborner Slootmann.
Eine Bauernerbin wie Anntrin durfte keine intime Freundinnen oder vertraute Bekannte haben, denen sie sagte, unter welchem Drucke sie und ihre Leute lebten; die alte aristokratische Devise „Ich hoffe Neid“ war die Richtschnur, welche die Bevorzugten um jeden Preis inne zu halten hatten, und wie viel Glanz hätte das Geständniß verwischt: Sanne Möhe giebt uns ihr Geld, aber sie nimmt uns jede Freude, jede Freiheit! — Nein, Anntrin hätte sie nicht über die Lippen gebracht, diese schreckliche Wahrheit, auch wenn nicht die Wahrscheinlichkeit nahe läge, irgend ein liebedienernder Zuträger würde der Alten Alles brühwarm überbringen. Dennoch besaß Anntrin hinter dem Rücken der Muhme, ja mit ihr unter demselben Dache, einen Vertrauten und Verbündeten. Dieser eben so vorsichtige als treue Parteigänger war ihr Vater. Wenn der stille, willenlose Mann auch keine Macht hatte, sein Kind zu beschützen, so hatte er doch ein redliches Herz, sie zu lieben! Die Beiden, Vater und Tochter, hatten seit den fünfundzwanzig Jahren, die Anntrin lebte, über-
haupt keine ungetrübte Lebensfreude, als die gegenseitige aneinander. Außer seiner Tochter war ihm in der That nichts geblieben von dem, was ihm die Natur an seiner Wiege zugeschworen — nicht einmal seinen Namen hatte er behalten. Amandus Slootmann ins Kirchenbuch eingetragen, übersetzte die Volkssprache den Amandus in Leffert (Geliebter), und der angeerbte Slootmann mußte mit dem erheiratheten Besitze dem stolzen Namen Twistbrink weichen, und lief nur noch, der Ordnung wegen, als „geborner“ nebenher. Leffert war ein sehr stattlicher, fast noch hübscher blonder Mann, der sich um so leichter mit der Tochter auf einen Gefühlston stimmte, als er nur zwanzig Jahre mehr als sein Kind zählte, indeß Anntrin's Mutter, eine arbeitsame, verblühte Matrone, einen Altersvorsprung von beinahe vierzig Jahren vor ihrem Kinde hatte. Dieses Ehebündniß zwischen dem blutjungen Gatten und der alten, ihm bis zum Verlobungstage gänzlich fremden Ehefrau war das Meisterstück der andächtigen Sanne Möhe. Sie war eine Verächterin des Ehestandes; trotzdem griff sie dem lieben Gott niemals öfter und verhängnißvoller in seine Naturgesetze, als im Ehestiften. Alle Liebesleute betrachtete die Alte als ihre geschworenen persönlichen Feinde und brachte, obwohl sonst ungemein „sünig“ (sparsam), die größten Opfer, um Verhältnisse zu lösen, welche sie gar nichts angingen. Oeffentlich aber wußte sie diese Steuer ihrer Herzenshärtigkeit immer als Almosen und Wohlthaten
herauszuputzen. Verheirathete sie schon Fremde gegen ihren Willen, so strafte sie die, welche nicht in Sanne's Gunst standen, oder deren Kinder, allemal mit einer muthmaßlich unglücklichen Ehe. Sie wartete gern zwanzig Jahre zu diesem Zwecke, bis die Unmündigen herangewachsen waren, und ging dann mit bewunderungswerther Klugheit und in erbaulichster Art zu Werke. Die Wilden fressen ihre Feinde, die Zahmen bekriegen und berauben sie — Susanne Twistbrink steuerte sie aus. Leffert verfiel der Erbsünde seines Vaters, Haye Slootmann, von dem ersten Tage seines Daseins an. Vor sechsundvierzig Jahren wurde Haye nämlich an einem Donnerstag, der zugleich ein Festtag war, von Sanne als Bewerber abgewiesen, am Sonntag derselben Woche aber ließ sich Haye bereits mit einem andern Mädchen als demnächstiger Ehemann „kündigen“, so daß sich die ganze Gemeinde lächelnd Zeichen und Winke gab, denn Haye's Verlobte war ein sehr schönes, sehr armes Mädchen, indeß Sanne ein sehr reiches und sehr unschönes Frauenzimmer war. Zwanzig Jahre später starb Haye's schöne Frau, seine Familie hatte sich indeß um sechs Kinder vermehrt, dagegen sein Vermögen um ein Erkleckliches vermindert. Der muntere Wittwer dachte, seine alte Auserwählte möchte inzwischen andern und mildern Sinnes geworden sein, und stellte sich ihr von Neuem als Bewerber vor. Die würdige Bäuerin war sehr holdselig, zeigte ihm ihre mit dem schönsten Vieh angefüllten Ställe und ihre üppigen Saatfelder, und
als nun dem flotten Bewerber recht das Wasser im Munde zusammenlief, ob des verlockenden Mammons, sprach die Beschützerin der Kirche und der Armuth: Ich fange bereits an etwas schwach auf den Füßen zu werden und kann mein Volk nicht mehr wie früher im Auge behalten; es würde nicht schicklich sein, mir einen ältlichen Bauern ins Haus zu nehmen, weil ich schon selbst alt bin; somit habe ich an einen jungen Stellvertreter gedacht — wie alt ist denn dein größter Junge?
Der flotte Wittman erbleichte. Den jungen, blühenden Sohn an das alte, in der Mitte der Fünfziger stehende Gespenst zu verschachern, schien doch selbst seinen praktischen Wünschen und Erfahrungen zu hart. Nun, Leffert ist noch ein baares Kind, entgegnete er kleinlaut, kaum neunzehn, er kommt nächstes Jahr zur Loosung! — Na — na — na, meinte die Alte, wir kaufen ihm einen Stellvertreter, bring ihn das nächste Mal mit, es soll dein Schaden nicht sein!
So fiel Amandus, vulgo Leffert, Sanne Möhe anheim, die sich unterdeß aus irgend einem fernen Dorfe eine alte vergessene, demüthige Nichte hervorgesucht hatte, um durch sie den künftigen Erben von Twistbrink zu strafen und an sich zu ketten, falls er nachgiebig genug sein sollte, sich den Plänen seines Vaters zu unterwerfen — denn nachgiebig mußten Sanne's Sklaven sein! Haye Slootmann gelang es um so eher, seinen Sohn zu der Heirath mit Stine
Twistbrink zu bereden, als dieser noch so ungemein jung und unerfahren war und die Aussicht, das väterliche Eigenthum mit den fünf jüngeren Geschwistern, einer Stiefmutter u. u. zu theilen, auch nichts Lachendes hatte. Es schmeichelte dem jungen Menschen, von Allen beneidet da zu stehen — bis er, gar bald nach seiner Heirath, inne wurde, daß er viel mehr ein Gegenstand des Mitleides als des Neides sei! Wer weiß, ob er nicht, trotz seiner duldsamen Natur, das Joch gewaltsam abgeschüttelt hätte, in welchem er mit seiner gleichmüthigen Stine ging, unter Sanne's oberherrlicher Aussicht, wenn ihm nicht ein Kind geboren worden wäre. Auf einmal hatte sein Leben einen Zweck, seine knechtische Stellung eine Versöhnung, seine Ehe eine Weihe — er besaß ja ein Kind! — Das Verhältniß zwischen dem Vater und der heranwachsenden Tochter ward um so inniger, als man dasselbe vor den Augen der Alten verbergen mußte; sie fand jede herzliche Liebe zu irdisch, selbst die zwischen Eltern und Kindern, wenn dieselbe einen beglückenden Charakter annahm, und sie sorgte alsbald für die Läuterung dieser in selbstischen, ungöttlichen Banden Befangenen, indem sie eine moralische oder örtliche Trennung herbeiführte. Es war eine tiefe, erbitterte Eifersucht auf alle Liebe.
Deshalb war nun Leffert der heimliche Vertraute seiner Tochter. Am Tage nach Mariä Himmelfahrt gingen sie mit einander zum Moore, Anntrin erzählte ihre gestrigen Erlebnisse und sagte dann mit einem
Seufzer: Seht, Vater, ich habe all mein Lebtag nicht gewußt, daß man so viel Herzweh haben könnte, als ich bei dem Gedanken, daß sie den Rolf nicht annimmt!
Es ist nun so, Kind, entgegnete Leffert bedächtig rauchend, daß man in der Jugend manche Dinge schlimmer ansieht als den Tod, und wenn sie dann kommen, dann überdauert man sie dennoch! Darin hat sie Recht, Zeit meines Denkens sagen die Leute, die Felgen und ihre Freundschaft sind nicht „süwer“ (sauber). Mir selbst will es nicht in den Kopf, daß mein einzig Kind in die Hexenwirthschaft kommen soll!
Aber, Vater, man weiß ja keine Unthaten von ihnen, und Herr Ohm (Pfarrer) hat uns in der Kinderlehre nie was von Behexen oder Besprechen gesagt.
Ja, meine Tochter, diese Dinge sagt man auch nicht; denn wenn man sie nennt, sind sie da. Aber wer kann wissen oder beweisen, daß sie nicht sind? —
Beide schwiegen eine Weile, bei dem Punkt angelangt, der schon Klügeren Kopfbrechen gemacht hat.
Was ist das nun aber, hob Anntrin wieder an, daß die, welche von der Stelle, wo es nicht richtig ist, heirathen, ihre Zauberart verlieren, und die Fremden, welche auf die „unsüweren“ Höfe ziehen, sie bekommen?
Leffert sah seine Tochter gedankenvoll an.
Die, welche den Fluch herabzogen, leben seit vielen hundert Jahren nicht mehr, es sind immer alte Erbstellen, wo das „Wesen“ ist; nun haftet der Fluch an dem Grund und Boden, denn — Leffert wollte den
Satz weiter ausführen und blickte über sich in die blaue Herbstluft, aber er kam nicht damit zu Stande und schloß kurz: Denn woran sollte es sonst haften?
Wenn Rolf Evert ein Twistbrink wird, nicht wahr, Vater, dann könnte er so werden wie wir und die anderen Leute?
Wer weiß das? sprach Leffert besorgt; aber wenn dir's so in deinen Gedanken ist, als würde er damit frei, dann will ich es gern glauben. Denn es ist keine Lüge und Gottlosigkeit in dir, und dein Sinn könnte nicht an einem schlechten Jungen hängen!
IV.
Der erste Striethast.
Der nächste Sonntag-Nachmittag fand Alles auf dem Brinkhofe für den Anspruch des Bewerbers vorbereitet. Sanne Möhe war aufgestanden und saß in viele Kissen und Röcke gehüllt in ihrem Krakestool (Lehnstuhl) an dem künstlich aufgebauten Torffeuer des Herdes. Die zinnernen Teller und Schüsseln, welche über dem Rauchfang und auf den Wandborten aufgereiht waren, glänzten, von Anntrin's derber Hand mit Asche und Oel geputzt, wie eitel Silber. Die geweißten Wände der geräumigen Küche, die zugleich das Wohngemach des Haushaltes bildet, zeigten sich sauber abgestäubt und das „Bossemklaed“ (Rauchfanggardine) frisch
gewaschen und gestärkt, wie zur Kirchmeß. Die große, die kleine und die Mittelmagd hatten Erlaubniß erhalten, über Land zu gehen, und die Knechte lungerten im Dorfe oder schliefen im Heu. Am Fenster saß Anntrin, das Gebetbuch auf den Knieen und den Kopf über dasselbe gebeugt; sie trug über den im Nacken kurz geschnittenen Haaren die kleine seidene Kappe mit vielen feuerroth und grün gemusterten Atlasbandschleifen, Leffert rauchte in seiner geduldigen Art des Abwartens, und Mutter Stine ging ab und zu, Dieses und Jenes besorgend. Jetzt ließen sich auf der Diele Männerschritte vernehmen, und gleich darauf zeigte sich Rolf's ansehnliche Figur im Rahmen der Thür. Einige Sekunden betrachteten die Anwesenden einander, es würde den Anstand ungemein verletzt haben, hier etwas Anderes als die eisenfeste Ruhe höchsten Selbstbewußtseins zu zeigen. Rolf trat einen Schritt vor, faßte leicht an den Lackhut, ohne ihn indeß abzusetzen — auch Leffert saß in Hemdsärmeln und mit seinem gewaltigen Sonntagsfilz auf dem Kopfe da — und rief mit seiner frischen, klangvollen Stimme: Guten Tag miteinander!
Nimm dir einen Stuhl, Rolf Evert! sprach feierlich die Hausfrau; der Matrose setzte sich, und es wurde von der Ernte, von Rolf's krankem Bruder, von Allem, was das Volk eben interessirte, geredet, Anntrin blieb aber ruhig in ihrer Ecke, und den Liebenden wurde kaum ein Blick, noch weniger ein Wort des Austausches gestattet, Anntrin's blaue Augen hafteten unausgesetzt
auf dem Gebetbuche. Nach einer Stunde erhob sich Rolf und meinte, es wäre jetzt wohl Zeit, nach Hause zu gehen.
Na — na — na! hüstelte Sanne, du wirst nicht vom Brinkhofe gehen wie der Hahn vom Warmbier, Rolf Evert! Der Bauer soll dir mal erst die Ställe und Viehstände zeigen, und dann langen wir mitsammen in die Schüssel! — Einen Moment begegneten sich die Blicke der Verlobten, und dann gingen die Männer hinaus auf die Viehdiele. Mutter Stine holte mit Hülfe einer eigens dazu bestimmten Holzgaffel eine Seite Speck aus dem Wiemen, und Anntrin wetzte das große Brodmesser auf der Thürschwelle und hing dann das eiserne Pfannengerüst in den Kesselhaken. Der Tisch wurde ans Feuer geschoben und mit einer riesigen Butter, dem Zinnnapf mit Candiszucker und Tassen besetzt — Sannens eingefall'ne glitzernde Augen folgten behaglich diesen Vorkehrungen, plötzlich — Anntrin fuhr ordentlich zusammen — rief sie freundlich: Stine, mein Kind, lange mir den Speck her, es gehört sich, daß das Haupt des Hauses den Striethast schneidet! —
Stine brachte gehorsam den Holzteller mit den langen, lichtrothen Speckscheiben; Anntrin aber, welche eben den Milchtopf in die Asche schob, erbebte so, daß ein Theil der Flüssigkeit zischend in die Kohlen lief. Na, na, murmelte die Alte, in den dürren, zitternden Händen das große Messer handhabend, unsere Schweine waren gut, auf dem Twistbrink
wird kein Stück geschlachtet, das nicht best (gut) wäre! —
Sie hatte die langen Specklagen in Quadrate getheilt und befahl, daß man die Pfanne erwärme. Na, na, kicherte sie, der Rolf wird nicht allzu viel davon essen; Fasten ist heilsam für junge, übermüthige Bursche und —
Sanne Mühe! schrie Anntrin auf und erfaßte die Hand mit dem Messer. Um aller Heiligen willen, thut es nicht! Ich will Euch dienen und pflegen Nacht und Tag, ich will eine Wallfahrt für Euch machen barfuß, so weit Ihr wollt, ich will ein ganzes Jahr für Euch fasten, ich will thun, was Ihr verlangt — aber schneidet mir nicht so ins Herz, bringt nicht solches Unglück über mich!
Na, na, na — unkluges Mädchen, kannst du's nicht erwarten, daß er mir die Zehrung an den Hals hext, damit ich aus dem Wege komme? — Denk an Gott, Kind, und nicht an die Mannsleute — für deine Seele sorg' ich, so lang meine Augen offen sind! — Bei diesen Worten schnitt Sanne Möhe die Speckquadrate franzenartig ein, so daß sie nur oben an der feinen Speckschwarte zusammenhingen, und legte vier derselben symmetrisch in die Pfanne.
Sanne, flüsterte Anntrin, ihre Augen von dem brodelnden Speck erhebend, Sanne, über diesen Striethast wird Gott eines Tages Rechenschaft von Euch fordern. Wie kann ich, wenn Ihr in der Erde liegt, des Guten,
das Ihr mir thatet, gedenken, wenn Ihr mir alle meine Lebenshoffnungen genommen habt?
Stine, besorgt, daß ihre hocherregte Tochter sich gegen die Tante hinreißen lassen möchte, goß das Buchweizenmengsel in die Pfanne und fragte zaghaft: Kann es denn gar nicht anders gehen, Sanne Möhe?
Nein, ich will es nicht anders!
Was ist denn nun aber ein Striethast? — Er ist eben ein Stück Symbolik, eine Volkspoesie, die wir glauben belächeln zu dürfen, weil wir uns einbilden, subtilere Begriffe und eine zartere Auffassungsweise zu besitzen. Die Spanierin öffnet ihren Fächer, wenn sie einen Bewerber annimmt, und schließt den Fächer, wenn sie die Huldigungen zurückweist. Die Orientalin sagt durch eine bestimmte Blüte: ich liebe dich! — durch eine andere: du bist mir verhaßt! — Auf Rügen hängt die Heirathslustige eine Schürze vor die Thür — die Münsterländerin dagegen hat ihren Striethast, ihren Speckselam! Ist die Speckscheibe ganz, so wird der Bewerber angenommen; ist sie eingekerbt, so ist derselbe abgewiesen! — Früher scheint die Striethastverständigung in Heirathssachen eine ziemlich weitverbreitete gewesen zu sein, die Spur dieser Sitte läßt sich bis an die Nordsee verfolgen und lebt noch hier und da in verschiedenen Variationen; in voller Blüte aber besteht sie fort in der Niedergrafschaft Bentheim, die durchweg eine Schatzkammer alter Ueberlieferungen ist. Das Wort
„Striethast“ bedeutet übersetzt „Streit hast“; doch ist vielleicht anzunehmen, daß es ursprünglich „Strietaßt“, d. h. „Streitaxt“ hieß, und man dem Speck die Form dieser Waffe gab.
Von der Diele her nahten die Stimmen der Männer. Anntrinn floh durch die Seitenthür ins Freie, und Stine wendete mit einem erstickten Seufzer den Pfannenkuchen, der ihres Kindes Lebensglück zerstören sollte. So lange Sanne lebte, war an keine Aenderung ihres Willens zu denken! — Rolf Evert wurde sehr bleich, als ihm die alte Sanne das Gebäck mit dem eingekerbten Striethast, der alle seine Hoffnungen vernichten sollte, auf den Teller schob. Einen Moment biß er die weißen, festen Zähne tief in die Lippen, dann aber ermuthigte, ja erheiterte er sich wieder, und seine braunen Augen nahmen einen sieghaften Ausdruck an. Stine war längst in der Waschkammer verschwunden, wo sie sich mit der Schürze eine rebellische Thräne abtrocknete, auch Leffert wurde unruhig, und unter dem geistvollen Vorwande, er glaube, das Füllen habe sich losgerissen, eilte er zu dem Stalle zurück.
So blieben Rolf und die Alte allein. Rolf rückte an ihre Seite und sprach, auf den Striethast deutend, welcher auf seinem Teller lag: Nun sagt einmal, Mole (Mühmchen), weshalb habt Ihr denn eigentlich diese Flagge da aufgehißt?
Ueber so viel Frechheit war selbst die doppelt
gegerbte Sanne betreten; nach kurzem Besinnen antwortete sie eiseskalt: Mir liegt nichts an dem Umgang mit Hexenleuten!
Ei ja, das versteht sich von selbst; aber an der Feindschaft der Hexenleute muß Euch noch weniger gelegen sein! Bleibt nur ruhig, ich thue Euch nichts, wir Schiffer haben einen Aberglauben, der uns verbietet, alte Weiber anzurühren — wozu Euch auch antasten? Ich habe es leichter, ich hexe so lange, bis Ihr mir meinen Schmuck, die Anntrin, freiwillig gebt — Euer Striethast wird gut bezahlt. Nun, Möhe, es gehe Euch gut, ich sage Euch hiermit guten Tag!
Rolf Evert stand auf, zupfte vor dem kleinen Spiegel sein rothes Foulard-Halstuch zurecht, drückte den Schifferhut schief aufs Ohr und trollte sich von dannen.
V.
Die Hexenleute.
Seit diesem Tage ging eine wunderliche Veränderung mit Susanne Twistbrink vor. Sie weckte ihr Volk nicht mehr des Nachts, spionirte nicht mehr bei Tage und ließ den Pfarrer kommen, mit welchem sie dann in eine Meinungsverschiedenheit gerieth und erklärte, sie wolle ihn von heute bis vor ihrer letzten Stunde nicht wiedersehen. Was sie wüßte, das wüßte
sie, und das könnte ihr auch Herr Ohm nicht abdisputiren — kurz, die Alte wurde ihrer Umgebung ein Räthsel, das sich durch ihre häufigen Fragen nach Rolf Evert noch vergrößerte. Der Matrose war an dem Tage, wo er auf dem Twistbrink abgewiesen war, zu seinem Schiffspatron nach Amsterdam gereis't. Ein anderes Ereigniß trauriger Art drängte indeß die gerechte Neugier in den Hintergrund. Eines Morgens fand man Stine besinnungslos auf dem Estrich, trotz aller angewandten Mittel starb sie wenige Stunden darauf, ohne zum Bewußtsein zurückzukommen. Sanne stand einen ganzen Tag auf, um beim Leichenschmause zu präsidiren; übrigens fand sie, man müsse Gottes Schickungen mit Fassung hinnehmen, und sie selbst ging in dieser Fassung mit gutem Beispiele voran. Von da aber richtete sich ihr ganzes Interesse auf — die Schneider, welche die Trauerkleider für das ganze Haus nähten. Der Meister mußte vor dem Bette der Matrone sitzen, und sie flüsterte mit ihm wie jüngst mit dem Seelsorger, nur daß sie mit dem Schneider nicht in Meinungsverschiedenheit gerieth. Natürlich fiel dies den Hausbewohnern sehr auf; denn die Schneider, welche ihr Handwerk in die Häuser und verschiedene Familienverhältnisse einführt, werden nicht selten als intime Unterhändler in wichtigen, namentlich in Heirathsangelegenheiten, gebraucht. Als einmal Anntrin vor die Butze gerufen wurde, um ein Kneep (Mieder) anzupassen, sagte Sanne mit unheimlichem
Humor: Na — na, Meister, unsere Braut kann sich wohl sehen lassen, man muß den Kindern ihren Willen geben mit ihren Freiereien!
Anntrin aber konnte einer Hoffnung nicht froh werden, welche in dieser unerklärlichen Art von Sanne ausging. Die Erbin entbehrte ihre stille, thätige Mutter um so schmerzlicher, als jetzt alle häusliche Arbeitslast auf sie selbst fiel, auch der Vater war still traurig, und sie reichten sich die Hände und sprachen: Wir Zwei sind jetzt wie allein in der Welt!
Nicht lange währte es, so forderte Sanne ihren Neffen auf, einmal nach dem kranken Felgenbauer zu sehen. Leffert wußte, daß nach einem solchen Besuche der Bewerber seiner Tochter zu einer neuen Anfrage mit erwünschter Antwort berechtigt sei; die Tochter meinte zwar: Es ist dankenswerth von Sanne Möhe, aber sie hat etwas dabei, und ich kann mich nicht freuen!
Die Hexenleute, schon durch den Schneider „gewahrschauet“ (benachrichtigt), empfingen den gebornen Slootmann ohne Erstaunen. Es sah Alles recht gut und schicksam auf dem Felgenhofe aus — bis auf die Bewohner selbst! Da war die Mutter, deren großes, grobes Gesicht durch eine Geschwulst an der Wange entstellt war. Diese Geschwulst bestand schon seit Jahren und konnte sich auch nie verlieren. Hätten alle Aerzte der Welt ihre Entstehung und ihre Heilung beschworen — Niemand konnte ihnen glauben, denn man wußte
ganz bestimmt, daß die Felgenbäuerin sie durch einen Schlag mit dem Besenstiel erhielt, den ihr ein Nachbar ertheilte, als sie, in eine Katze verwandelt, Nachts sein Vieh biß und kratzte, bis die Thiere Alles zerrissen und zerschlugen, was ihnen unter die Hörner und Hufe kam. Der Nachbar erwischte die Katze und traf sie mit dem Besenstiel am Kopfe. Am andern Morgen klagte Felgenmutter über die Kopfrose; aber es war die Hexengeschwulst, die sie von dem Tage an „merkte“ und zeichnete. Das stand in der ganzen Umgegend so fest wie was, daran zweifelte Niemand. Der kranke Sohn saß bleich, hager und mit großen, glänzenden Augen da. Höflicher Weise nannte man seine Krankheit ein Zehrfieber, und sie ließ sich auch ganz so an, obwohl der junge Mann einzig und allein hinwegschwand, weil er ein „Spökenkieker“ oder Gespensterseher war. Das glaubte wieder Jedermann im Emslande. Er sah todte Leute und Vorgeschichten und konnte verlorne oder vergrabene Dinge wiederfinden — der Kranke hatte zwar immer mit großer Verstellung diese Eigenschaften abgeleugnet, aber Einer aus dem Felgenblute mußte Geister sehen, und schon stand in der jüngsten Schwester, einem bildschönen Kinde, die Nachfolgerin des Spuksehers bereit, um das Erbamt aus seinen erkaltenden Händen zu übernehmen. Wer es ihr zuerkannt? Nun: Volkes Stimme, Gottes Stimme!
Leffert erfuhr nun von der Sippe, daß man Rolf
Evert zur Kartoffelernte zurückerwarte, und daß es allerdings angenehm sein würde, wenn dieser jüngere Sohn auch einen Hof im Loog besäße. Dies auch betonte der Kranke, der wenigstens über seinen eigenen Zustand nicht hellsehend war.
Sanne Möhe nahm Leffert's Berichte mit großer Befriedigung hin. Als Alles im Hause zu Bett und still war, murmelte sie noch immer halblaut vor sich hin, Niemand verstand die Andächtige; aber sie betete nicht, sie sagte: Jetzt wird das Umgehen hier im Hause ein Ende haben, jetzt tödtet er mich nicht, denn er kriegt sie, und sie kriegt ihn, und wenn sie ihn hat und denkt, daß sie Weiser gewesen ist, als die Alte, dann sage ich ihr: Na, na, Kind, es kam nicht von ungefähr; die Hexereien spielten Nacht für Nacht, und deine Mutter ist vor Schreck und Angst darüber gestorben! So sag' ich, und sie wird wünschen, es wäre mit dem Striethast aus gewesen bis an das Ende ihres Lebens!
Am nächsten Sonntag saß Rolf Evert wieder in der Kirche, und er hatte nicht seine Matrosenkleidung, sondern ein bäuerisches Wams an. Auch über diese Nachricht war Sanne sehr erfreut und sprach: Na, na, wenn das erste Trauervierteljahr um ist, so wollen wir den Verspruch halten!
Wie leuchteten nun Anntrin's blaue Augen so wehmüthig froh, als sie Rolf begegnete. Sie wollte das Vesperbrod zum Kartoffellande tragen, wo eine
Menge Arbeiter und dreißig Schulkinder beschäftigt waren. Der Matrose nahm ihre Rechte und sagte: Jetzt hab' ich, was ich halten will, so lange ich noch eine Hand rühren kann!
Du weißt wohl, entgegnete das Mädchen, daß ich nie an einen andern Mann denken kann, als an dich — auch wenn es anders mit uns gekommen wäre!
Rolf lachte: Es ist gekommen, wie es kommen mußte, mein Schatz, und es kommt noch besser, wenn ich dir nicht mehr so bei wegelang aufzulauern brauche, sondern ordentlich vor dir her jeden Sonntag zur Messe gehe, wie sich's für Mann und Frau gehört!
Ich habe es wohl nie Jemand, außer unserem Bauer, jemals gesagt, daß ich im Hause viel böse Tage und viel Trübsal hatte; aber, Rolf Evert, heute freut es mich, daß es so war. Denn jetzt ist meine Freudigkeit um so größer: du giebst mir, was ich nimmer nicht kannte!
Rolf Evert lachte in seiner lustigen Art und schüttelte das braune, krause Haar zurück: Hurrah, Anna Katharina Twistbrink! Ich bin der glücklichste Junge, der jemals die Sohlen auf die Tannenplanken setzte! Es thut mir nur leid, daß ich nicht so fromm und verständig bin als du! — Aber das sage ich dir, mein Lamm, meinen Striethast will ich haben, der Alten zum Schabernack, wir wollen doch sehen, ob sie es wagen wird, ihn wieder einzuschneiden (zu kerben).
Wagen — ? fragte Anntrin beunruhigt.
Ja, ja, Schmuck, das ist ein Geheimniß!
Hast du Geheimnisse vor mir, Rolf Evert?
O nein, Trinchen, Gott Dank keine; wenn ich mir meinen Striethast hole, sollst du es hören und erfahren, wie „klüftig“ (schlau) die Liebe macht!
VI.
Der letzte Striethast.
Da es nun schon kälter ward, der vorgerückten Jahreszeit wegen, blieb Sanne Möhe ganz im Bette. An den Werktagen lenkte von dem Lugeck der Wandbettstelle aus ihre scharfe Stimme den Haushalt, und sie hatte nichts lieber, als wenn eine Menge Menschen in Bewegung waren und sie so recht in dem Bewußtsein schwelgen durfte: dies Alles ist mir unterthänig. Am Sonntag war es auf dem Brinkhofe, bis gegen Abend, wo die Nachbarn oder Besucher aus anderen Dörfern einsprachen, sehr still, und dann schlummerte die Alte gewöhnlich, so oft sie nicht nöthig hatte, sich, ihres wachsamen Rufes halber, aufzuraffen. Als Rolf Evert nach der Vesper ins Haus kam, trat ihm Anntrin, welche die Sonntagshauswache übernommen hatte, schon auf der Diele entgegen, und er sagte, er wäre jetzt da, sich seinen Striethast zu holen. Ach, seufzte die Erbin, ich wollte, meine Mutter selig hätte diesen Tag
erleben können, sie hat sich damals großen Verdruß um deinetwegen gemacht!
Das Volk ist ungemein verschämt, neben aller anscheinenden Derbheit; die Sitten und Eigenthümlichkeiten, mit welchen es sein Dasein stützt und schmückt, sind vor dem Auge des Fremden ein sorgsam bewahrtes Geheimniß, selbst die Sprache nimmt vor Unberufenen einen minder bilderreichen Charakter an. Und bilderreich ist der Emsländer in seinem Thun und Reden, so sehr, daß bei der Verhochdeutschung manche Umschreibung als gesucht und künstlich wegfallen muß, die auf den Lippen der Bauern ganz natürlich klingt. Auch die gebildete Redeweise hat Umschreibungen, unsere jungen Damen kommen „unter die Haube“, ohne deßhalb eine ihrer zahlreichen Locken zu verstecken, wo die Bäuerin von Stund' an die Frauenhaube trägt! auch unsere eleganten Fräuleins theilen Körbe aus, aber in Gestalt eines unwillkommenen Wortes oder eines steif geschriebenen, bitter berührenden Briefblattes. Zarter knüpft sich die Sache bei den Bauern an, zarter trotz des so materiell dreinwinkenden und schmorenden Striethasts; denn kein verletzendes Wort begleitet die Abweisung, keine lächerliche Sentimentalität die Annahme. Die öffentlichen Modezärtlichkeiten, die ein kindliches junges Mädchen als ihren Tribut nimmt und fordert, sobald das „Ja“ gesprochen ist, verstoßen gegen die ländliche Sittsamkeit, die Braut und junge Frau bewahrt vor der Welt die Haltung einer Matrone und
würde, schon in grauen Haaren, noch erröthen über das Gebühren vornehmer Liebender.
Es wäre Unrecht, berichten zu wollen, was Rolf und Anntrin an jenem Nachmittag redeten, er in seiner leichtlebigen Art, sie in ihrem tiefen, mächtigen Liebesbewußtsein!
Die schneidende Stimme der Tante rief, nach langem, herzlichem Geplauder, die Liebenden aus ihrer Welt- und Tantenvergessenheit. Neben der Thür, welche von der Viehdiele in die Küche führt, ist stets ein kleines Fenster, um beide Räume mit einer Lampe erhellen zu können. Sieh, Anntrin, flüsterte Rolf, auf dieses Fenster zeigend, da fehlt eine Scheibe — diesem Fenster und dieser Scheibe habe ich es zu danken, daß du heute meine Braut bist, ich trage das ganze Geheimniß in der Tasche!
Dabei holte der Matrose zwei Holzkästen heraus, in deren einem sich ein Laternchen befand.
Was hast du gethan, Rolf, Mar' Joseph, was hast du gethan? stieß das Mädchen zitternd und erbleichend hervor.
Nun, Mädchen, erschrick nur nicht, ich habe der Alten da ein bischen vorgehext. Ich war nicht nach Amsterdam, sondern bei meinem Vetter in Waterput, von da kam ich dann und wann Nachts hierher, ging durch die Fallthür ins Haus, wenn Alles schlief, nahm meine brennende Laterne heraus, schob diese Glasbilder vor die Oeffnung und hielt sie an die
zerbrochene Scheibe. Deine Tante schlief eben so fest als andere Menschen, ich mußte gehörig mit der Holzkette da am Nagel rasseln, damit sie aufwachte — dann sah sie eine der Gestalten von meinen Glasbildern in Menschengröße an den Wänden entlang vor ihr Bett kommen. Griff sie darnach oder sagte sie etwas, so war Alles dunkel, aber nicht lange, so kam es zurück. — Als Mutter Stine starb, dachte sie nicht anders, denn daß sie selbst nun daran müßte, und schnell schickte sie den Schneider, um die Hexenleute wieder gut zu machen. Begreifst du nun, Schatz, daß Alles natürlich zuging? —
O ja, ich begreife jetzt Alles! erwiderte Anntrin und trat in die Küche, wo die Tante schon wieder nach ihr rief und der Vater rauchend am Feuer saß.
Na, na, — na! empfing die Alte den Matrosen, so ist's recht, so ist's recht! Setz dich, Junge; Anntrin, trag auf was da ist, heute muß sie den Pfannkuchen allein backen, Rolf Evert. Nun, ich gebe mich gern in Gottes Willen!
Die Männer redeten mit einander und bemerkten nicht, wie blaß und schmerzvoll Anntrin's Gesicht war. Sie besorgte geschäftig den Imbiß und backte die Pfannkuchen.
Kommt jetzt, sagte sie mit etwas rauher Stimme; die tiefe Glut, welche dabei über Stirn und Wangen lief, mußte ein Wiederschein des Feuers sein.
Alle Teufel, schrie plötzlich Rolf Evert, was ist das, Mädchen, was soll der Striethast heißen?
Anntrin richtete sich, angesichts der Tante und ihres Vaters, hoch auf und sagte ernst: Das soll heißen, daß Anna Katharina Twistbrink deine Ehefrau nicht werden darf! —
Kind, Kind, kreischte Sanne Möhe, so weißt du denn schon, daß deine Mutter vor Schreck über die Hexereien gestorben ist — er hat sie getödtet!
Nein, Tante, entgegnete Anntrin erbebend, das wußte ich nicht, doch ich setze mein Leben dafür ein, daß Rolf Evert nichts Schlechtes gewollt oder gethan hat, nach seiner Meinung — aber, Rolf, es ist doch wahr, du bist von einer andern Art, und was für dich gut und klug ist, das sieht ein simples Mädchen, wie ich, anders an. Ich kann nur offen und ehrlich sein, und um ehrlich zu bleiben, geb ich all mein Glück von mir!
Um was kannst du mich beschuldigen? rief der Matrose zwischen den zusammengebissenen Zähnen hervor.
Um nichts, Rolf, ich werde nie leiden, daß Jemand eine Schuld auf dich wirft — aber wenn wir immer zusammen wären, meine Gedanken könnten nicht sein wie deine Gedanken, meine Wege nicht wie deine Wege — wir sind nicht von gleicher Art — Adje!
Anntrin brach in Thränen aus — ach! in bittere Thränen — und stürzte in die Kammer, die sie verriegelte. Ihr einfaches redliches Gemüth empörte sich dagegen, durch einen Betrug, durch eine Komödie erkauft zu werden; lieber noch hätte sie — eine wirkliche Hexerei hingenommen!
Rolf Evert ging zu Schiff und kam erst nach Jahren wieder und verheirathete sich dann. Anntrin wurde ein altes Mädchen wie ihre in hohen Jahren verstorbene Tante — und doch ganz anders als diese; denn ernstes Wohlwollen, stilles freundliches Wohlthun sind der Inhalt ihres ringsum Segen spendenden Daseins.