Die Bedeutung des Frauenwahlrechts
für die Arbeiterinnen.
Die gewerkschaftlichen Kämpfe zur Erringung besserer Lohn-
und Arbeitsbedingungen haben sich unzweifelhaft verschärft.
Die Aussperrungen der letzten Jahre legen Zeugnis ab, daß
den in den Gewerkschaften organisierten Arbeitern und Arbeite-
rinnen ein gut organisiertes Unternehmertum gegenübersteht,
einig in dem Bestreben, den Forderungen der Arbeiterorgani-
sationen energischen Widerstand entgegenzusetzen, ja wenn mög-
lich diese selbst zu vernichten. Das organisierte Unternehmertum
erfährt bei diesem Vorgehen tatkräftige Unterstützung durch die
Staatsgewalt. Durch die Praxis der Polizeibehörden wird Streiken-
den das ihnen gesetzlich zustehende Recht des Streikpostenstehens
häufig genommen, und in Gerichtsurteilen über Streikende und
Arbeitswillige zeigen sich oft zuungunsten der Streikenden wesent-
liche Unterschiede, die das Merkmal der Klassenjustiz tragen.
Dieser Stand der Dinge schädigt die wirtschaftlichen Kämpfe der
Arbeiterklasse und damit auch die Jnteressen der Arbeiterinnen.
Die gewerkschaftlichen Organisationen schaffen der Arbeiter-
schaft der einzelnen Berufsgebiete bessere Lebensbedingungen
und ermöglichen insbesondere den Arbeiterinnen, zu einem
menschenwürdigen Dasein emporzusteigen. Bei den niedrigen
Löhnen, wie sie für Arbeiterinnen fast allgemein sind, bedeutet
höherer Verdienst eine Befreiung von drückenden Sorgen und
ein Mehr an Kultur und Lebensfreude: bei der doppelten Be-
lastung der erwerbstätigen Frau durch Erwerbs- und Haus-
arbeit, unter der Millionen leiden, gibt verkürzte Arbeitszeit
den Arbeiterinnen erst die Möglichkeit, ihren vielseitigen Ver-
pflichtungen nachzukommen.
Für die Arbeiterinnen sind deshalb die Erfolge der wirt-
schaftlichen Organisationen der Arbeiterklasse von besonderer
Bedeutung. Sie sind aus diesem Grunde erheblich daran inter-
essiert, daß den Gewerkschaften bei der Verfolgung ihrer gesetz-
lich anerkannten Ziele keine Schwierigkeiten bereitet werden:
daß allen Arbeitergruppen die Ausübung des Koalitionsrechts
voll gesichert ist. Den Arbeitern und Arbeiterinnen der Staats-
werkstätten, den männlichen und weiblichen Landarbeitern und
den in den häuslichen Diensten beschäftigten Proletariern ist aber
noch heute dieses Recht vorenthalten.
Die Bestimmungen der Gesetzgebung, die solche Knebelungen
ermöglichen, und ihre Anwendung in der Praxis durch Gerichte
und Behörden werden erst dann beseitigt und durch eine gerechte
Regelung ersetzt werden, wenn die Zusammensetzung der gesetz-
Frauenwahlrecht
gebenden Körperschaften im Reiche und den einzelnen Bundes-
staaten eine andere geworden ist. Noch heute hat die Arbeiterklasse
in den Parlamenten nicht den Einfluß, der ihr nach Maßgabe
ihrer Stärke und ihrer Bedeutung für das gesamte Wirtschafts-
leben der Gesellschaft zukommt. Noch heute kann insbesondere die
weibliche Bevölkerung auf die Zusammensetzung der Parlamente
keinen direkten Einfluß ausüben, und erst recht nicht steht den
Frauen das Recht zu, in ihnen zu wirken. Und dies obgleich heute
das weibliche Geschlecht in so großem Umfang zu der materiellen
und kulturellen Produktion der Gesellschaft beiträgt, daß diese
ohne die Frauenarbeit undenkbar wäre. Uneingeschränktes Bürger-
recht für das weibliche Geschlecht ist jedoch nicht bloß vom
Standpunkt der Frau als gleichberechtigten Gliedes der Gesell-
schaft zu fordern. Dieses Rechtes ist auch eine unbedingte Not-
wendigkeit im Hinblick auf die gesetzlichen Bestimmungen über
die Verhältnisse der gesamten Arbeiterklasse und speziell der Ar-
beiterinnen.
Deshalb unterstützen die gewerkschaftlich organisierten Ar-
beiterinnen tatkräftig die Forderung des allgemeinen Frauen-
wahlrechts in der Überzeugung, daß nur durch die Mitwirkung
der Frauen bei den Wahlen und in den Parlamenten die Gesetz-
gebung den Arbeiterinnen Garantien gibt, den wirtschaftlichen
Kampf im Verein mit der gesamten Arbeiterklasse erfolgreich
führen zu können. Weil jeder Klassenkampf zwischen Arbeit und
Kapital zu einem politischen Kampf wird, muß die Arbeiterin
alle politischen Rechte besitzen, die sie für Kämpfe dieser Art
rüsten. Das Wahlrecht mitsamt der Wählbarkeit ist die uner-
läßliche Ergänzung des Koalitionsrechts.
Gertrud Hanna.