Inhaltsverzeichniß.
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S. 11, Z. 14: Und lenkt das Schickſal der Geſchlechter,
〃 29, 〃 14: Grün übers Dach ihr junges Laubpanier
〃 43, 〃 2: Und ſchritten flüſternd durch die Buchengänge!
〃 57, 〃 5: Kein Lied, das die rothe Rache preiſt,
〃 61, 〃 18: Ein farblos Nichts, das bunt lackirt,
〃 73, 〃 10 u. ſ. w.: Honni soit, qui mal y pense!
〃 88, 〃 3: Ji hewt doch geſehn dem Klabautermann?
〃 104, 〃 5: Vom Thurm nur läuteten die Glocken
〃 111, 〃 10: Eine Handvoll Erde
〃 120, 〃 5: Die junge Sonne
〃 120, 〃 8: Dem wogenden Fluthmeer
〃 120, 〃 12: Flackernden Lichtern
〃 133, 〃 21: O ſtillverſchwiegne Kemenate,
〃 146, 〃 4: Heil dir und mir, Germania!
〃158, 〃 3: Ein Prachtjuwel blieb unſre Erde doch
〃 263, 〃 21: Die die kalte Berechnung
〃 335, 〃 4: Der ewig frißt und nie verdaut!
〃 412, 〃 13: Das iſt die Zuflucht der Verklärten,
Inhaltsverzeichniß.
Seite
Widmungsbrief VII
Zum Eingang 5
Ein Bild 19
Ein Andres 23
Frühling 1. 2. 27
Samſtagsidyll 39
Literariſche Liebenswürdigkeiten.
1. Ballade 49
2. Stoßſeufzer! 52
3. Anathema sit! 54
4. Einem Glaceedemokraten 56
5. Pro Domo 58
6. F. v. B 60
7. So iſt's! 63
8. Die deutſchen Denker an die deutſchen Dichter 66
Den Franzoſenfreſſern 73
Noch Eins! 79
Seite
Arme Lieder.
1. Meine Nachbarſchaft 85
2. „Een Boot is noch buten!“ 88
3. „So Einer war auch Er!“ 90
4. „Ein Herz, das zerſprungen!“ 92
5. Nachtſtück 94
6. „Weder Glück noch Stern!“ 96
Emanuel Geibel 1. 2. 101
Ein Heroldsruf! 123
Weltgeſchichte 149
Von Ewigkeit zu Ewigkeit 155
Ecce homo! 163
Tagebuchblätter 1–31 183
ΓΝΩΘΙ ΣΑϒΤΟΝ! 261
Berliner Schnitzel.
Initiale 307
Programm 308
Leider! 308
Philologenpoeſie 309
Stubenpoeſie 309
Chorus der Lyriker 310
Donner und Doria! 311
An unſre Modedichter 312
Traurig aber wahr 312
Suum cuique! 313
Recept 313
Stoßgebet! 314
Offener Brief 315
An Neunundneunzig von Hundert! 316
Als Wegzehrung 317
Bibelbiereifrig! 318
Seite
An meine Freunde 319
An die Conventionellen 320
En passant 321
An die Autoritätsklauber 322
An gewiſſe Quidams 323
Die achte Todſünde 324
Pro Domo 325
Dito 326
Selbſtporträt 327
Verſchiedenen Collegen 328
Dreierlei! 329
! 330
Einem Kritiker 331
Collega Collegae 331
Kritikſucht 332
An meine Kritiker 332
Einem „Freunde“ 333
Einem Pſeudonym 333
Unſer Wortſchatz 334
Einem Fortſchrittsleugner 335
Sanſara 336
Abfertigung 336
Trotzalledem! 337
Stimmt! 337
Einem „Tondichter“ 338
Richard Wagner als „Dichter“ 339
An Gottfried Keller 340
An die Wölfflinge 341
An Albert Träger 342
An Max Kretzer 342
An Joſeph Victor von Scheffel 343
Felix Dahn 344
Einem Gartenlaubendichter 345
An Rudolf Baumbach 346
An Adolf Friedrich Graf von Schack 347
An Friedrich Rückert 348
Unſere Zeit 349
Ein „garſtig“ Lied! 350
Einſtweilen! 351
An den's gerichtet iſt! 352
Amerika 353
In memoriam! 354
Lehrfreiheit! 355
An gewiſſe „Naturforſcher“ 356
Freilich! 356
Schauderhaft! 357
Einem Pietiſten 357
Schließlich! 358
Einem Orthodoxen 359
Variatio delectat 359
Schwarz in Schwarz 360
Al Fresco 361
„Καϑ’ ὅλην τὴν γὴν!“ 362
Wie's gemacht wird! 363
Hm! 364
Geiſterduo 364
Ruſſiſch 365
Pfui Deibel! 365
„Pyramidal!“ 366
Für kleine Kinder 367
Ein dunkles Blatt 368
Frühlingszauber 369
Lied 370
Ausgepfiffen! 371
Strophen 372
Nicht wahr? 373
Seite
Kuſch dich! 373
Weltzeitungs-Inſerat 374
„Ἔσσεται ἧμαϱ!“ 374
Reimſpiel 375
An die Opportuniſten 375
Der Dichter 376
Videant consules ...! 377
Das Volk an die Fürſten 378
An die „Obern Zehntauſend“ 379
Chanſon 380
Noch ein Stoßſeufzer! 381
„Sanft ruhe ſeine Aſche!“ 382
Tres faciunt Collegium 383
Fragezeichen 384
Auf alle Fälle 385
Frommer Wunſch 386
Zum Deſſert 387
Die Kritik als Epilog 387
Phantaſus 1–13 391
Zum Ausgang 423
Fürwahr, ſie irrten, die geſagt, die deutſche Poeſie ſei todt;
Nein, wenn ein Abend wirklich naht, ſo dämmert bald das Morgenroth.
Schon ſeh ich fern am Horizont des neuen Tages goldnen Schein,
O laßt in ſeiner Frühe mich der erſten Lerchen eine ſein!
Emanuel Geibel.
1
Berliner Schnitzel.
20
Ich bin ein wilder Reiter,
Auch beißt und ſchlägt mein Gaul,
Ich bin ein grober Streiter
Und führ ein grobes Maul.
Gottfried Keller.
Initiale.
Die deutſche Sprache war einſt in alter Zeit
Ein blondes Vollweib, das durch die Wälder ſtrich;
Doch heut iſt längſt ihr ſchlotternder Buſen
Platt wie ein Plättbrett!
Das gute Frauchen hat zu viel Thee geſchluckt
Und leidet nun an Huſten und Heiſerkeit;
Ich aber frage, wann wird ſie wieder
Saugrob wie Luther?
Programm.
Kein rückwärts ſchauender Prophet,
Geblendet durch unfaßliche Idole,
Modern ſei der Poet,
Modern vom Scheitel bis zur Sohle!
Leider!
Die deutſche Dichtkunſt ſchrieb notoriſch
Sich ſelber den Uriasbrief,
Seit das Gefühl ihr obligatoriſch
Und der Verſtand nur facultativ.
Philologenpoeſie.
Wie, wann, warum, wodurch und wie?
Zum Teufel, die ſo ſchreiben!
Die Philologenpoeſie
Kann mir geſtohlen bleiben!
Stubenpoeſie.
Die Simpeldichter hör ich ewig flennen,
Sie tuten alle in dasſelbe Horn
Und nie packt ſie der dreimal heilge Zorn,
Weil ſie das Elend nur aus Büchern kennen.
Chorus der Lyriker.
O Mainacht, Mond und Mandoline!
Wer ſchwärmte früher für Laſſalle?
Heut gellt der Pfiff der Dampfmaſchine
Ins Hohelied der Nachtigall!
Man ſchimpft uns „ewge Sekundaner“,
Doch falſch iſt ihre Strategie:
Wir ſind die letzten Mohikaner
Der deutſchen Stimmungspoeſie.
Wir klopfen an die leere Tonne
Und rufen: Wein her, rothen Wein!
Auch uns erfreut das Licht der Sonne,
Nur darf es nicht elektriſch ſein.
Laßt uns die Henkelkrüge ſchwingen:
Ju Evoë, Anakreon!
Was geht die Zeit uns an? Wir ſingen
Vom Mammuth und vom Maſtodon!
Donner und Doria!
Das iſt ſo heute der Herren Manier:
Man ſetzt ſich ans Schreibpult wie an ein Klavier;
Vor ſich drei Bogen gelbes Concept
Und kommt ſich vor wie ein alter Adept.
Dann taucht man ins ſchwarze Gallelement
Sein Selbſtberäucherungsinſtrument,
Träumt ſich nach Memphis, Korinth und Walhall
Und gebiert einen mächtigen Phraſenſchwall.
Daneben ſpuckt man nach Recht und Pflicht
Der neuen Zeit in ihr Proſageſicht;
Und hat man ſich dick mit Gefühlen beſchwert,
Wird drüber der Thränenkübel geleert.
Dann druckt es der Drucker auf fein Velin,
Der Buchbinder bindet's in Maroquin
Und ſchließlich ſchimpft's die Kritik: „Poeſie“ —
Blasphemie!!!
An unſre Modedichter.
Noch ehe die Zukunft euch richtet,
Verfallt ihr der ewigen Nacht,
Weil ihr zu viel gedichtet
Und weil ihr zu wenig gedacht!
Traurig aber wahr.
Die deutſche Muſe — hört's, ihr Patrioten! —
Warf ihre Flinte lachend längſt ins Korn;
Mit Heinrich Heine riß ſie freche Zoten
Und rülpſt nun Verſe à la Klapperhorn.
Suum cuique!
Ich weiß, ich bin euch zu polemiſch;
Doch die Dichteritis iſt heut epidemiſch.
Und kann ich ihr nicht das Maul verriegeln,
So will ich ihr doch den Hintern ſtriegeln!
Recept.
Nicht wahr, du biſt ein großes Thier?
So ſprich, was iſt zum Dichten nütze?
Eine Perryfeder, ein Bogen Papier,
Ein Tintenfaß — und ein Schädel voll Grütze!
Stoßgebet!
Eins iſt Noth, ach Herr, dies Eine
Lehre mich vollbringen hier,
Und mein Schutzpatron, der Heine,
Schärfe meine Klingen mir;
Gürt mein Herz mit Siegfriedsleder,
Gieß ins Hirn mir tauſend Lichter
Und befiehl in meine Feder
Unſre ſogenannten Dichter;
Dichter, deren ganzer Codex
Eſſen, Trinken, Trinken, Eſſen,
Dichter, die ſich in den Podex,
Hämorrhoiden eingeſeſſen!
Grüß Gott, ihr Folianten,
Hurrah in den Tod!
Spielt auf, Muſikanten,
Das Eine thut Noth!
Offener Brief.
Laßt euch begraben, ihr Philologen,
Bei mir habt ihr den Kürzern gezogen!
Drei winzige Jährchen erſt iſt es her,
Da habt ihr geflucht die Kreuz und Quer:
Der Kerl, der hat zu lange Ohren,
An dem iſt Hopfen und Malz verloren!
Und heute? Donner und Doria!
Grenzt das nicht ſchamlos an einen Eclat?
Zwar, was er weiß, iſt nur autodidaktiſch,
Aber das Factum iſt eben faktiſch:
Er capirte die deutſche Poeſie
Auch ohne die griechiſchen Verba auf mi!
An Neunundneunzig von Hundert!
Ihr ſchwatzt befrackt hoch vom Katheder
Von alter und von neuer Kunſt,
Von Fleiſchgenuß und Sinnenbrunſt,
Und gerbt nur Leder, altes Leder!
Ihr laßt um jede Attitüde
Ein weißgewaſchnes Hemdchen wehn,
Denn um die Schönheit nackt zu ſehn,
Sind eure Seelen viel zu prüde!
Als Wegzehrung.
Gott weiß, du biſt ein braver Junge,
Noch neune ſolcher machen zehn,
Dein Herz iſt rein wie deine Zunge
Und ſchwerlich wirſt du untergehn.
Du wogſt noch niemals eine Lanze
Und ſingſt von Liebe nur und Lenz —
So geh denn hin, mein Freund, und tanze
Den Eiertanz der Convenienz!
Bibelbiereifrig!
Hier Genie und dort Talent!
Jeder Menſch hat ſein Pläſirchen —
So ein armer Recenſent
Iſt das ärmſte aller Thierchen.
Wenn es pfaucht und wenn es ziſcht,
Laß es, laß es ſich nur ſchinden,
Denn dem Ochſen, der da driſcht,
Sollſt du nicht das Maul verbinden!
An meine Freunde.
Noch immer, ihr Freunde, florirt der Leim,
An dem die Dummen ſich leimen;
Die Dichter reimen und reimen
Und noch immer erſcheint das „Dichterheim“!
Drum ſchaart euch zuſammen nun Mann an Mann
Und wetzt eure Schwerter und ſagt mir an:
Wann werden wir endlich zu Boden treten
Das lyriſche Kruppzeug der Afterpoeten?
An die Conventionellen.
Ihr habt genug mein armes Hirn gebüttelt,
Ich käu nicht wieder wie das liebe Vieh;
Längſt hab ich von den Schuhen ihn geſchüttelt,
Den grauen Schulſtaub eurer Poeſie!
Ich hab mich umgeſehn in meinem Volke
Und meiner Zeit bis tief ins Herz geſchaut
Und nächtlich iſt aus dunkler Wetterwolke
Ein heilig Feuer in mein Lied gethaut.
Nun ruf ich zu des Himmels goldnen Kronen:
Dreimal verflucht ſei jegliche Dreſſur!
Zum Teufel eure kindiſchen Schablonen!
Ich bin ein Menſch, ich bin ein Stück Natur!
En passant.
Was ſoll uns heut lyriſches Mondſcheingewimmer?
So ſeid doch endlich ſtill davon!
Ihr ändert's ja doch nicht, die Zeit iſt noch immer
Die alte Hure von Babylon!
Das Eiſen der Kraft hat ſie ſpielend zerbrochen,
Sie ſchnitzt ſich Heroen aus jedem Wicht
Und ſaugt uns das Mark aus unſern Knochen
Mit ihrem weißen Sirenengeſicht.
Die Flammen der Freiheit ſind lange vergluthet,
Die Herzen ſchlagen, die Herzen ſchrein —
Eh der neue Meſſias ſich verblutet,
O heilige Sintfluth, brich herein!
21
An die Autoritätsklauber.
Schon immer hat uns der Magen gebellt,
Auch ohne den modiſchen Materialismus,
So alt wie dieſe alte Welt
Iſt ergo auch Zolas Zolaismus.
Drum poltert nur, poltert: Bezuckerter Miſt!
Er fürchtet nicht eure kritiſchen Beſen,
Iſt doch der erſte „Naturaliſt“
Schon der alte Vater Homer geweſen!
An gewiſſe Quidams.
Ich weiß, ihr wünſcht mir die Peſt an den Hals,
Ihr geberdet euch täglich entzückter;
Drum flucht nur, er iſt uns nichts weiter, als
Ein verrückt gewordner Verrückter!
Doch verläſtert mich nicht, denn dann ſeid ihr verratzt
Und der Teufel kommt gleich, euch zu holen,
Denn ich habe noch nie eine Jungfer beſchwatzt
Und ſilberne Löffel geſtohlen!
Die achte Todſünde.
Ein Dichter darf mit ſeinen Sachen
Uns wüthend, darf uns raſend machen,
Wir ſtecken's ſchließlich ruhig ein,
Wer wird denn immer: „Kreuzigt!“ ſchrein?
Nur Eins wird man ihm nie verknuſen,
Und gäb's ſtatt neun ſelbſt neunzig Muſen:
Wenn er in Reimen wäſſrig thränt,
Indeß ſein armer Leſer gähnt!
Drum, wer uns langweilt oder ledert,
Verdient, daß man ihn theert und federt!
Pro Domo.
Weh, unſer Zeitgeiſt liegt noch in den Windeln:
Die Juden ſchachern und die Pfaffen ſchwindeln!
Den Freund erſchießt man im Duell
Und ſucht die Liebe im Bordell.
Die deutſche Sprache wird gefälſcht,
Gekauder- und ſolongewälſcht
Und wäſſrig thront auf dem Parnaß
Die aurea mediocritas.
Drum ſchimpft nur weidlich: „Pamphletiſt“,
Ich bin nur Stimmungspeſſimiſt!
Dito.
Ich bin mein eigner Kritikus,
Drum ſpart euch eure klugen Reden,
Sagt doch ein alter Pfiffikus:
Nicht jede Formel paßt auf Jeden.
Mir hätt es ſo, mir ſo behagt,
Schon gut, ſchon gut, ihr lieben Leute;
Ihr wißt ja, was das Sprichwort ſagt,
Der Jäger pfeift, es bellt die Meute!
Doch daß ihr auch der Weisheit Schluß,
Der Wahrheit Wahrheit mögt erfahren,
Sagt jener ſelbe Pfiffikus:
Die Thorheit wächſt oft mit den Jahren!
Selbſtporträt.
Nur Wenigen bin ich ſympathiſch,
Denn ach, mein Blut rollt demokratiſch
Und meine Flagge wallt und weht:
Ich bin nur ein Tendenzpoet!
Auf Reime bin ich wie verſeſſen
— Drum lob ich plötzlich die Tſcherkeſſen —
Und wüſt durch mein Gehirn ſcherwenzen
Verrückt gewordene Sentenzen.
Mein Blut rollt ſchwarz, mein Herz ſchlägt matt,
Mein Hirn hat noch nicht ausgegoren,
Denn meine gute Mutter hat
Mich hundert Jahr zu früh geboren!
Verſchiedenen Collegen.
Ihr armen Dichter, die ihr „Philomele“
In jedem Lenz noch rhythmiſch angeſchwärmt,
O, wenn ihr wüßtet, wie ſich meine Seele
Um ihre gottverlaſſnen Schweſtern härmt!
Dreht ihr auch noch ſo ernſthaft eure Phraſe,
Der Teufel ſetzt ſie luſtig in Muſik,
Denn eine ungeheuer lange Naſe
Hat ſeine Großmama, die Frau Kritik.
Dreierlei!
Ich bin ein Dichter und kein Papagei
Und lieb es drum, in unſre Zeit zu ſchauen,
Und doch mißfällt an ihr mir Dreierlei,
Und dieſes Factum kann ich nicht verdauen:
Die jungen Damen werden nie mehr „blind“,
Die jungen Herrn ſind meiſtens eitle Schöpſe
Und — last not least — die echten Thränen ſind
Noch ſeltner heute als die echten Möpſe!
!
Verfluchtes Epigonenthum,
Aegypter- und Teutonenthum,
Daß dich der Teufel brate!
Schon längſt ſind wir fascikelſatt,
Grinst doch durch jedes Titelblatt
Das Dante'ſche „Lasciate!“
Einem Kritiker.
Das größte Maul und das kleinſte Hirn
Wohnen meiſt unter derſelben Stirn.
Collega Collegæ.
Dein Lied iſt ein ſchreiendes Transparent,
Dahinter dein Hirn wie ein Talglicht brennt.
Kritikſucht.
Wenn die Kritikſucht unſre Kunſt
En masse ſchablonenhaft verhunzt,
Fällt mir der Vers ein, der famoſe:
„Du ſtinkſt, ſprach einſt das Schwein zur Roſe.“
An meine Kritiker.
Noch niemals hab ich mich geduckt,
So oft ihr auch gegen mich aufgemuckt;
Das macht, ihr ſeid total entnervt:
Ihr donnert, eh ihr Blitze werft!
Einem „Freunde“.
Nur ſelten hab ich mich ereifert,
Wenn du mich hinterrücks begeifert;
Dein Grund iſt jedenfalls ſehr triftig,
Auch kleine Kröten ſind ja giftig!
Einem Pſeudonym.
Zwar deine Reime ſind nur ſelten weibliche,
Doch was ſie meinen iſt das Ewig-Leibliche;
Laß ab, du lockſt uns doch nicht in den Sumpf.
Durch deine Phraſen lugt der blaue Strumpf!
Unſer Wortſchatz.
Die Philologen, die ſich ſtritten,
Rechneten Wort für Wort zurück
Und ſahn: der Schatz des großen Britten
Umfaßte 15,000 Stück!
Doch heut im neunzehnten Jahrhundert
Die Dinger wie der Wind verwehn:
Ein Droſchkenkutſcher braucht fünfhundert,
Ein lyriſcher Dichter nur circa zehn!
Einem Fortſchrittsleugner.
Dein Hypotheſenungeheuer
Hat mich noch niemals recht erbaut.
Der Weltgeiſt iſt ein Wiederkäuer,
Der ewig frißt und nie verdaut?
Still, ſtill, mein Lieber; alſo ſpricht
Nur Einer, den der Haber ſticht,
Denn könnt' ich, hoch im Himmel hauſend,
Nur um ein lumpiges Zehnjahrtauſend
Dein Hirn nach rückwärtshin verrenken,
Du würdeſt anders drüber denken!
Sanſara.
Das Nichts, das nie und nirgendwo,
Suchſt du vergeblich zu beweiſen;
Es iſt und bleibt nun einmal ſo:
Du grübelſt und die Sterne kreiſen!
Abfertigung.
Wohl machſt du mir für mein Talent
Ein ungeheures Compliment,
Doch ſchone, Freundchen, deine Lunge,
Denn wo das Herz ſpricht, ſchweigt die Zunge.
Trotzalledem!
Die ſieben Farben und die ſieben Töne,
Der Welt Geſtaltung und der Menſchheit Treiben,
Das Ewigwahre und das Ewigſchöne
Wird ewigwahr und ewigſchön verbleiben.
Stimmt!
Das Einmaleins und das Abc
Iſt nichts, als die Weisheit im Negligee.
22
Einem „Tondichter“.
Du biſt, ein Jeder nimmt drauf Gift,
Das Theekind aller alten Vetteln
Und auch, was deine Kunſt betrifft,
Gerecht in allen Modeſätteln.
Uns fascinirt nicht nur dein Name,
Du ſpielſt wahrhaftig mit Talent —
Zumal dein Lieblingsinſtrument,
Das goldne Kalbfell der Reclame!
Richard Wagner als „Dichter“.
Das urigſte Poetaſtergenie,
Das unſer Jahrhundert geboren;
Schon beim Anhören ſeiner Hotthüpoeſie
Verlängern ſich unſre Ohren!
Der deutſchen Sprache ſpie dreiſt ins Geſicht
Seines Stabreims Eiapopeia —
Ein demokratiſcher Krebs, der Verſe verbricht:
Wigala Wagala Weia!
An Gottfried Keller.
Die Weisheit lieh dir ihre Huld,
Die Schönheit ſteht in deiner Schuld.
Durch deine Verſe blitzt und rollt
Goethe'ſches Gold!
Ich möchte dich bis in den Himmel heben,
Doch ach, du glaubſt ja nicht an ihn,
Denn nur die Erde trägt dir Reben,
Rothe Roſen und weißen Jasmin.
Du biſt mir auf hundert von Meilen entrückt,
Doch hab ich dir oft ſchon die Hand gedrückt
Und jauchz dir nun zu durch Nebel und Dunſt
Das alte Sprüchlein: „Gott grüß die Kunſt!“
An die Wölfflinge.
Noch immer währt die Aventiurenplage —
Allwöchentlich ein Buch von zwanzig Bogen!
Wir aber thun ſtets unſre alte Frage:
Habt ihr euch immer noch nicht ausgelogen?
Seht, eure Herzen wickelt ihr in Watte
Und malt drauf zierlich: Vorſicht! Porzellan!
Und iſt auch manches „Vater, Menſch und Gatte“,
Sein Lumpenpack iſt jedenfalls im Thran.
O, werft ins Feuer euer Flickenkleid,
Am nächſten Stein zertrümmert euern Pſalter,
Denn uns „Modernen“ liegt die Bronzezeit
Wahrhaftig näher als das Mittelalter!
An Albert Träger.
Du überſchwemmſt das ganze Land
Als Mutterliederfabrikant
Und biſt, ſoviel du auch geſchrieben,
Immer ein kleines Kind geblieben.
An Max Kretzer.
Du biſt das wahre Urgenie
Der Hintertreppenpoeſie;
Damit ſie wirkt, verſetzſt du deine Schrift
Mit Brauſepulver und mit Rattengift!
An Joſeph Victor von Scheffel.
Du ſchwankſt als Urbild hin und her
Eines ſüffelnden Philoſophen,
Im Magen liegen uns centnerſchwer
Deine vorſintfluthlichen Strophen.
Jahrzehntelang lagen ſie uns zur Laſt,
Deine altdeutſch jodelnden Leute,
Doch daß du den Ekkhart geſchrieben haſt,
Das danken wir dir noch heute!
Felix Dahn.
Lyriſch hat er geaſathort
Schon als ein Jüngling mit lockigen Haaren;
Achtung, in ſeinem Schädel rumort
Ledern die Weisheit von tauſend Jahren!
Aber, verbrach er auch manchen Quark,
Unſer Volk wird ihn ewig lieben,
Hat er doch einſt, die Knochen voll Mark,
Herrlich den „Kampf um Rom“ beſchrieben!
Einem Gartenlaubendichter.
Ach, lieber Emil, hab Erbarmen,
Puſt aus dein kleines Dreierlicht!
Denn die ſchwarzweißrothen Gelegenheitscarmen
Haben wir endlich dick gekriegt.
Du biſt und bleibſt ein bloßer Reimer,
Kein echter Sohn des Vater Rhein,
Und ſchenkſt deinen Leſern, ſtatt Rüdesheimer,
Nur verſificirten Dreimännerwein.
An Rudolf Baumbach.
„Mondſchein, Zuckerwaſſer und Flieder“
Waren dir ſchon von je zuwider;
„Beſſer blinkender Sonnenſchein,
Rauſchende Tannen und alter Wein!“
Ja, das iſt deine ganze Deviſe,
Du unter Zwergen der einzige Rieſe!
Biſt uns ſo plötzlich hereingeſchneit,
Du und die alte Zigeunerzeit!
Zwar unſre Sphinx wirſt du ſchwerlich errathen,
Aber ein Wort von dir gilt uns Dukaten;
Und deine Weltweisheit lacht uns ins Herz,
Wie ein Shakeſpearſcher Fallſtaffſcherz:
Pfeif auf die Weiſen, pfeif auf die Thoren,
Schlage die Welt dir forſch um die Ohren,
Habe das Herz auf dem rechten Fleck,
Alles andre — iſt ein Dreck!
An Adolf Friedrich Graf von Schack.
O Gott, wie ledern reſpective blechern
Iſt doch der Quark von all den Versverbrechern,
Die heut mit ſelbſtgefälligem Behagen
Das Tretrad ſchwingen und das Tamtam ſchlagen!
Nur du ſchwingſt nicht das Weihrauchfaß der Mode
Und beugſt vor deinem Publikum das Knie,
Du weihſt dich als begeiſterter Rhapſode
Dem Hohenprieſterdienſt der Poeſie!
Die Zeit iſt eiſern, eiſern ihr Beruf,
O, daß ſie endlich ihres Sohns gedächte,
Des Sohns, der ihr die „Weihgeſänge“ ſchuf,
Sie und des Orients wundervolle „Nächte“!
Seit mir die Muſe lächelnd zugenickt,
Hab ich mit Staunen zu dir aufgeblickt
Und winde dir nun in dein Kranzgeflecht:
„Ich danke dir!“
Das kommende Geſchlecht.
An Friedrich Rückert.
Du warſt im Leben Unterthan und Chriſt
Und mehr als einmal auch ein Erzphiliſter,
Drum trauern, daß du ſchon geſtorben biſt,
Noch heute alle Unterrichtsminiſter.
Denn lebteſt du noch, dich ernannten ſie,
Ich ſchwör's bei allen abgehaunen Zöpfen,
Zum Mandarin der deutſchen Poeſie,
Zum Mandarin mit dreizehn Knöpfen!
Unſre Zeit.
Ja, unſre Zeit iſt eine Dirne,
Die ſich als „Miſtreß“ produzirt,
Mit Simpelfranſen vor der Stirne
Und ſchauderhaft decolletirt.
Sie raubt uns alle Illuſionen,
Sie turnt Trapez und paukt Klavier
Und macht aus Fenſterglas Kanonen
Und Kronjuwelen aus Papier!
Ein „garſtig“ Lied!
„Ein garſtig Lied, pfui ein politiſch Lied!“
So ſchrieb einſt der Geheimrath, Herr von Goethe,
Und wenn mein Grips nicht um die Ecke ſieht,
Tanzt auch die Welt noch heut nach dieſer Flöte.
Ich aber denke, heilige Dreſſur!
Und folgre daraus dieſes Eine nur:
Daß Prügel für gewiſſe Kreiſe
Auch heut noch eine Lieblingsſpeiſe!
Einſtweilen!
Die alte Welt iſt ein altes Haus
Und furchtbar ungemüthlich,
Der Nordwind puſtet die Lichter aus —
Ich wollte, wir lägen mehr ſüdlich!
Ich wollte .... Puh Teufel, wie das zieht!
Der Hagel prallt an die Scheiben!
Drum ſingt nur einſtweilen das tröſtliche Lied:
„Es kann ja nicht immer ſo bleiben!“
An den's gerichtet iſt!
Du biſt ein Held, wie der König Saul,
Und hätt' ich bei Hofe Credit,
Ich gäbe dir für dein großes Maul
Den Orden Pour le mérite!
Und doch; vergeblich dein Ringen nach Ruhm,
Zum Nebel verbleicht dein Glanz
Vor dem Sigl'ſchen Mauldreckſchleuderthum
Des „Bairiſchen Vaterlands.“
Amerika.
Oft frag ich lachend mich, weswegen
Mit Lanzen, Schwertern, Spießen, Keulen
Dies todesfrohe Kämpfen gegen
Conceſſionirte Eiterbeulen?
Wie lang noch, und das Dunkel frißt
Europas letzte Gaslaternen,
Denn das Panier der Zukunft iſt
Das Streifenbanner mit den dreizehn Sternen.
23
In memoriam!
Alte Burſchenherrlichkeit,
Weh, man hat dich längſt begraben,
Denn nur noch an Soll und Haben
Denkt die Menſchheit dieſer Zeit!
Ihre Räder wühlen Schaum,
Funken ſprühen ihre Eſſen;
Ach, und längſt hat ſie vergeſſen
Ihrer Jugend goldnen Traum!
Ausgebrannt iſt jede Bruſt,
Die Altäre ſtehn verlaſſen,
Horch, und draußen auf den Gaſſen
Predigt die entmenſchte Luſt!
Um das Haupt des Helicon
Schwirren tauſend irre Fragen
Und den Zeitgeiſt hört man klagen
An den Waſſern von Babylon!
Lehrfreiheit!
„Pſt! Pſt! ſonſt wackeln die Kronen,
Ihr Herrn Profeſſoren, ſeid ſtill!
Schon lauſchen euch vierzig Millionen,
Wahrhaftig, ihr ſchreit zu ſchrill.“
So lispeln ſie heute von „Oben“
Und drohn auch mitunter: Ei! Ei!
Und die fettigen Spießbürger loben
Die brave Polizei.
Sie üben ſich tapfer im Beten
Und bilden der Dummheit Spalier,
Nur wir, eine Handvoll Poeten,
Umjubeln ein ander Panier!
„Die Wiſſenſchaft iſt nicht zünftig,
Sie iſt wie das Licht allgemein!“
Dies Wörtlein ſoll heut und auch künftig
Unſer „Ceterum censeo“ ſein.
An gewiſſe „Naturforſcher“.
Das Licht wird leuchten, weil es leuchten muß,
Drum knurrt nur immer: Ignorabimus!
Transcendental iſt nichts in der Natur,
Transcendental iſt eure Dummheit nur!
Freilich!
Daß ſich die Gegenſätze ſtets berühren,
Iſt manchmal auch noch heute zu verſpüren,
Denn dieſe Zeit der Culs und der Pomaden
Iſt auch die goldne Zeit der Hiobſiaden.
Schauderhaft!
Uns lehrt das Chriſtenthum en gros:
„Hier Erdenkloß, dort Himmelspächter!“
Doch unſrer Weisheit A und O
Iſt ein unſterbliches Gelächter!
Einem Pietiſten.
Dein Heil, verſuch es anderwärts,
Wenn frömmelnd dich der Teufel lauſt;
Mein Katechismus iſt mein Herz
Und meine Bibel iſt der Fauſt!
Schließlich!
Jawohl, das Ding iſt ärgerlich!
Das Volk hat lange, graue Ohren,
Und ſeine Treiber nennen ſich
Rabbiner, Pfarrer und Paſtoren.
Verhaßt iſt mir der Schwindelbau
Der jeſuitelnden Sophiſten,
Und überleg ich's mir genau,
Hab ich Talent zum Atheiſten.
Tagtäglich ſchürt in mir den Spott
Das fade Weihrauchduftgeträufel,
Denn ſchließlich iſt der liebe Gott
Doch nur ein dummer Antiteufel!
Einem Orthodoxen.
Famos ſteht dir dein bunter Kittel,
Doch was beſchmierſt du ihn mit Dreck?
Die Religion iſt nur ein Mittel
Und du — erniedrigſt ſie zum Zweck!
Variatio delectat.
Himmel, das halte ein Anderer aus!
Die Welt iſt wirklich ein Narrenhaus.
Ewig ſich ſelbſt bleibt ihr uralter Schwindel,
Manchmal nur wechſelt ſie ſchlau ſeine Windel;
Den Teufel verlacht ſie und wirft ſich ins Knie
Vor der Mutter Gottes von Medici!
Schwarz in Schwarz.
Beim Dulderherzen des Don Quixote!
Jetzt ſtreich ich's dick mit Rothſtift an:
Der bibelgeborne Chriſtengott
Iſt nie und nimmermehr mein Mann!
Die Schöpfung war einſt ſein erſter Witz
Und dieſer Witz war herzlich ſchlecht,
Denn oft ſchon traf es mich wie ein Blitz:
Die Despotie hat leider Recht!
Ein Volk, das heut nicht auf Prügel hört,
Und eine Unſchuld beim Ballett,
Ein ſolches Erz-Phänomen gehört
Ins Naturalienkabinett!
Al Fresco.
Die Menſchheit flucht in ihr ewiges Licht,
Stündlich dräut ihr das Weltgericht
Und ſie ſchaudert bleich, im Herzen den Tod,
Ins blutig verlodernde Abendroth.
Die Zeit iſt morſch wie ein Todtenbein —
So iſt es geweſen und ſo wird's ſein:
Roth vom Weltbaum taumelt das Laub,
Völker und Kronen zerfallen zu Staub
Und über das chriſtliche JNRJ-Schild
Hintaumelt ein nacktes Venusbild.
„Καϑ' ὅλην τὴν γῆν!“
Beluſtigt euch nur in grandioſen Metaphern
Ueber die Papus und Zulukaffern,
Die liebe Fetiſchdienerei
Legt auch bei uns ihr faules Ei!
Immer noch brennen in unſern Herzen
Blutig die Aſchermittwochskerzen
Und nächtlich durchwittern die ſtille Luft
Orgelhymnen und Weihrauchduft!
Wie's gemacht wird!
Und als ſich der Pfaff einen Juden briet,
Da ſchrieen die Junker Hurrah
Und ſangen das alte hochherrliche Lied:
Hepphepp Juvivallerala!
Doch das Volk ſtand auf und ſchrie Zeter und Mord!
Hie Hecker und Robert Blum!
Da erfand man ſchleunigſt das Kautſchukwort:
Praktiſches Chriſtenthum!
Hm!
Da meinen Einige vermeſſen,
Das Leben habe keinen Zweck;
Man ſieht's, ſie haben nie gegeſſen
Faſanenſtiz und Schnepfendreck.
Geiſterduo.
Der Zeitgeiſt brennt wie trocknes Stroh
Und ſingt: „In dulci jubilo!“
Der Weltgeiſt brummt dazu im Baß:
„O vanitatum vanitas!“
Ruſſiſch.
Sei doch kein Tropf, mein ſüßes Söhnchen!
Steck ein das lumpige Milliönchen!
Du kennſt ja die Moral der Zeit:
„Der Himmel iſt hoch und der Czar iſt weit!“
Pfui Deibel!
Ihr wißt, ich bin kein „von“-Verehrer,
Ich bin des Zeitgeiſts Straßenkehrer;
Doch protzgere Kerle ſah ich noch nie,
Als die Schlotbarone der Plutokratie!
„Pyramidal!“
Mein Gott, wozu die Grillenplage?
Noch blüht ja unſre haute volée!
Noch heilt der Zeit gewaltge Frage
Ein Titel und ein Portemonnaie.
Noch wachſen täglich unſre Zöpfe,
Der „Glaube“ iſt des Pudels Kern,
Das Militär putzt ſeine Knöpfe
Und das Antike wird modern.
Noch ſcharr'n vor meinem Cap vier Pferde,
Zu Fuß zu gehn iſt ja gemein —
„O wunderſchön iſt Gottes Erde
Und werth, darauf vergnügt zu ſein!“
Für kleine Kinder.
Der alte Flötenſpieler Pan,
Der lehrte mich das Dichten:
Ein Volk und ein Stückchen Marzipan
Beſtehn aus zweierlei Schichten.
Die eine ſchlürft Auſtern und baut ſich Kohl
Und macht in Vaterlandstreue
Und fühlt ſich kannibaliſch wohl
Wie Goethes fünfhundert Säue.
Die andere ſpielt tagtäglich Va banque
Und kleidet ſich in Lappen
Und führt ihr ganzes Lebenlang
Einen Hungerknochen im Wappen!
Ein dunkles Blatt.
Liſch aus, du Gluth auf meinem Herd!
In Nacht und Froſt will ich verenden —
Oft ſcheint das Leben mir nicht werth,
Nur einen Vers dran zu verſchwenden.
Ihr aber fragt mich nicht, warum?
Nicht Liebe mehr iſt's, die ich ſuche!
Ich weiß, die Welt dreht ſich rundum,
Auch wenn ich lachend ſie verfluche!
Frühlingszauber.
Nun muß ſich wieder alles wenden,
Ich fühl's an meines Herzens Schlag,
Und ſchöner wird's an allen Enden
Und lieblicher mit jedem Tag.
Die Liebe ſchnürt ihr rothes Mieder,
Der Armuth ſchmeckt ihr trocknes Brod
Und ſüß klingt's nächtlich aus dem Flieder:
Im Frühling lächelt ſelbſt der Tod!
24
Lied.
Nun ſtimmt ſie wieder mir den Pſalter
Die liedervolle Maienzeit
Und gaukelnd ſchwebt um mich der Falter,
Das Sinnbild der Unſterblichkeit.
Drum lebt mir wohl, ihr Pergamente
Der winterlichen Hirntortur,
Mich lockt ins Reich der Elemente
Die neuerſtandne Lenznatur.
Umſpielt von ſilberbleichem Lichte,
Ein Grabfeld nach verlorner Schlacht,
Ein Todtentanz iſt die Geſchichte,
Ein Todtentanz um Mitternacht.
Es bleibt der Ruhm, wie er auch glänze,
Ein Blendwerk nur, ein eitler Schein;
Mehr gilt als tauſend welke Kränze
Mir dieſes Lebens goldnes Sein!
Ausgepfiffen!
Das Leben iſt eine Komödie
Und geht oft über den Spaß
Und gleicht dann jener Tragödie,
In der Einer den Andern fraß.
Und wenn wir's auch nicht wollen,
Wir kommen doch alle drin vor
Und ſpielen die nöthigen Rollen
Vom Jean bis zum Heldentenor.
Und wer mit ſeiner Viſage
Am beſten zu gaunern gelernt,
Erhält die nobelſte Gage
Und wird auch mitunter beſternt.
Ich ſtudirte mir manche Falte
Und trat vor das volle Haus,
Doch blieb ich immer der Alte —
Drum pfiff mich das Publikum aus!
Strophen.
Vita nostra brevis est!
War der Vorzeit weiſe Lehre —
Doch man haßt das Miſerere,
Heut iſt ſie ſchon längſt verweſt!
Rollt die Zeit, rollt auch das Blut,
Heute leben wir wie morgen;
Unſre Teufel heißen Sorgen,
Unſre Götter Geld und Gut!
Jede Blüthe wird umkreist,
Jede Blume wird gebrochen
Und nach Monden ſchon und Wochen
Weiß man, was Blaſirtheit heißt!
Stahl und Eiſen, Blut und Dampf
Rollen, donnern, ſieden, ziſchen
Und ein Wehruf gellt dazwiſchen:
Dieſes Leben iſt ein Kampf!
Nicht wahr?
Die Völker ſind wie große Kinder
Und ihre Könige ſind's nicht minder,
Lachen und weinen im ſelben Nu,
Spielen mitunter auch Blindekuh
Und ihre Fibel
Benennt ſich Bibel!
Kuſch dich!
Willſt du wohl fort mit deinen Pfötchen
Von meinem lieben Kaviarbrödchen!
Für dich den Schweiß, für mich das Gold!
Der liebe Gott hat's ſo gewollt!
Drum begnüge dich, Kerl, denn ſonſt biſt du ein Flaps,
Mit Kartoffeln und Schnaps!
Weltzeitungs-Inſerat.
„Geſucht wird für ſofort ein tüchtger Mäher.
Adreſſen sub Bureau zum großen Pan,
Denn dreigekrönt ſitzt noch ein Phariſäer
Auf ſeinem Sündenſtuhl im Vatikan.“
„Ἔσσεται ἣμαϱ!“
O Glaube, Liebe, Hoffnung, heilge Dreiheit,
Wir dienen dir und du belohnſt uns nie,
Denn auch noch heut iſt unſre deutſche Freiheit
Nur eine ſchwarzrothgoldne Phantaſie!
Reimſpiel.
Was iſt das beſte Futter, ſprich,
Für hungernde Nationen?
„Halt's Maul, Hallunk, was kümmert's dich?“
Der Reim lacht: Blaue Bohnen!
An die Opportuniſten.
Die ſieben Weiſen waren eure Väter
Und euer Ohm iſt Judas, der Verräther,
Denn wie der Wind weht, macht ihr tapfer Front,
Und euer Bauch iſt euer Horizont.
Der Dichter.
Was Hermelin und Diademe!
Ich bin ein Dichter und kein Hund!
Ich bin ein freier Mann und nehme
Kein Feigenblatt vor meinen Mund.
Ich ſeh die Welt im Dunkeln tappen,
Ich weiſe golden ihr ein Ziel,
Und erſt am letzten morſchen Wappen
Zerſchmettre ich jubelnd mein Saitenſpiel!
Videant consules ...!
„Die Zeit der Juden, Römer und der Kelten
Kam, Gottſeidank, ſchon längſt aus der Balance!
Wie unſre Welt die beſte aller Welten,
Iſt unſre Zeit, die Zeit par excellence.“
Wohl hör ich's, doch mit jedem meiner Lieder
Heb ich den düſtern Kehrreim auf den Thron:
Die Zeiten der Cäſaren kehren wieder
Und ihre Beile ſchärft die Reaction!
Das Volk an die Fürſten.
Einmal ſchon verhalf ich euch zum Siege,
Denkt, o denkt an die Befreiungskriege!
Und auch heut noch muß ich, wie befohlen,
Die Kaſtanien aus dem Feuer holen.
Einmal auch ſchon hab ich, ſelbſt verſchuldet,
Euren königlichen Dank erduldet:
Erſt mir lächelnd ins Geſicht geheuchelt,
Dann mich hinterrücks ins Knie gemeuchelt!
Glaubt mir, auch die Liebe weiß zu haſſen;
Eure Sonnen werden nicht verblaſſen!
Sink ich heute auch verblutend nieder:
„Bei Philippi ſehen wir uns wieder!“
An die „Obern Zehntauſend“.
Und wieder rollt nun ſterbend ein Jahrhundert
Dem Abgrund zu, drin uns die Zeit verſchlingt,
Und ihr ſeid immer noch nicht abgeplundert,
Nicht hinter die Couliſſen abgehinkt?
Wollt euch nicht länger freventlich vermeſſen,
Denn euer Lebensnerv iſt abgeſtumpft,
Denn eure Kronen ſind von Roſt zerfreſſen
Und eure Stammbaumwälder ſind verſumpft!
Ein neu Geſchlecht, ſchon wetzt es ſeine Schwerter,
Schon webt die Sonne ihm den Glorienſchein,
Und glaubt: Es wird kein veilchenblauer Werther,
Es wird ein blutiger Meſſias ſein!
Chanſon.
Noch immer baumelt der alte Zopf
Der alten Welt ins Genick,
Noch immer ſchmort ihr kein Huhn im Topf,
Drum: Vive la République!
Drum: Vive la République, blique, blique,
Das Herz ſchlägt uns im Bauch,
Das Knutenthum haben wir dick, dick, dick,
Und Kartoffel und Häring auch!
Noch ein Stoßſeufzer!
O hieß es endlich doch: „All right!“
Die Welt iſt blaß, blaß wie Louiſe,
Das Grundgeſetz der neuen Zeit
Sei drum das Buch von Adam Rieſe.
Denn wenn die Völker nicht mehr fackeln
Und über ihm die Throne wackeln,
Dann lupft der Weltwitz ſein Viſir
Und donnert: „Zwei mal zwei macht vier!“
„Sanft ruhe ſeine Aſche!“
Hier ruht der Hofpoet Hans Hänschen,
Gottlob, daß endlich er verreckt!
Er hat ſich nie ein Lorbeerkränzchen,
Doch oft ein Piepmätzchen erleckt.
Das Höchſte war für dieſes Püppchen
Ein „A“llerhöchſtes Bettelſüppchen.
Er ſchwitzte dafür zum Erbarmen
Alljährlich ein Geburtstagscarmen;
Drin hieß er die Quadrate rund —
Zugleich ein Dichter und ein Hund!
Tres faciunt Collegium.
Weh, ein Moraſt iſt unſre Zeit!
Drin machen ſich ekelerregend breit
Kröte, Baſilisk und Unke;
Und wöchentlich ſchon — juchheideldidum —
Predgen vor ihrem Publikum
Herr Moſt, Herr Stöcker und Herr Majunke!
Fragezeichen.
Der Peter ſpricht zum Bruder Paul:
„Der Zeitgeiſt iſt ein alter Sünder
Und ſtopfen können ihm ſein Maul
Nur Krupp'ſche Vierundzwanzigpfünder!“
Doch Paul kann Peter nicht beſehn,
Weil er ſein Lebtag nur gelungert
Und meint, als wäre nichts geſchehn:
„Du Peter, haſt du mal gehungert?“
Auf alle Fälle.
Der große Kanzler Otto ſpricht,
Ob's wahr, je nun, das weiß ich nicht:
„Der vielgeſuchte Stein der Weiſen
Iſt ein Gemiſch aus Blut und Eiſen.“
Zwar Standrecht giebt's und Feſtungswälle,
Doch Eins bleibt wahr auf alle Fälle:
Und ob der Kanzler zehnmal ſpricht,
Ein braver Kerl, der forcht ſich nicht!
25
Frommer Wunſch.
Immer noch halten die uralten Fragen
Nächtlich an unſerm Lager Wacht,
Denn das griechiſche Herz hat vergeblich geſchlagen
Und der griechiſche Geiſt hat umſonſt gedacht.
Die p. p. weltvernagelnden Bretter
Verſperren die Ausſicht uns weit und breit —
O, ſchlüge doch endlich ein heiliges Wetter
In dieſe verfaulte Hallunkenzeit!
Zum Deſſert.
Nicht jeder, der hinkt,
Hat heut eine Chaiſe;
Nicht alles, was ſtinkt,
Iſt Limburger Käſe.
Die Kritik als Epilog.
Dies ſchrieb ein Antihofpoet,
Halb Kakerlake, halb Prophet.
Er ſang zu wenig mir piano
Und roch verteufelt nach Guano.
Zwar Mancher wird ihm Beifall hageln,
Doch darf's mir nicht das Hirn vernageln,
Denn ſeht, ſein ganzer Singſang hinkte:
Er appellirte an die häßlichen Inſtinkte!
Phantaſus!
Ihm mit Staunen blickt' ich nach;
Doch, wenn mir die Kraft gebrach,
Um ihm nachzuringen,
Dacht' ich bang: genug! genug!
Brechen müſſen bei dem Flug
Endlich ſeine Schwingen.
Und es kam, wie ich gedacht;
Um ſein frühes Grab bei Nacht
Flattert die Phaläne;
Wo ſo oft er bei mir ſaß,
Blieb ich einſam, und ins Glas
Rieſelt eine Thräne.
Adolf Friedrich Graf von Schack.
Have anima candida!
Armer Freund!
Nicht hinter jedem Tempelvorhang verbirgt ſich eine
nackte Venus: dein Herz war mehr als groß, dein Herz war
rein!
O, daß jetzt der Todtenwurm um dein leuchtendes Locken¬
haupt ſein widriges Netz ſpinnt!
Du ſtarbſt!
Doch du ſtarbſt im Frühling und über dein friſch¬
geſchaufeltes Grab hin klagte die Nachtigall der Roſe ihre
ewige Sehnſucht .....
Nein, der Frühling iſt kein Kind!
Die frommen Maler, die ihm zärtliche Schmetterlings¬
flügel an die Schultern logen, haben ihn nie auf ſeinem feuer¬
ſchnaubenden Sturmroß nachts durch die Lüfte taumeln geſehn!
Hat er nicht oft ſchon droben im Bergwald trotzige Wetter¬
tannen entwurzelt? Und ſchleudert der Thau, der vom Mantel
ihm tropft, nicht Felsblöcke zu Thal? Felsblöcke, ſo groß wie
Kirchthürme?
Nein, der Frühling iſt kein Kind!
Ein Gigant iſt der Frühling und ſeine Thaten ſind
Legion!
Aber ſeine größte war's doch, daß er dir das Herz brach!
Denn ich weiß, du biſt ſein Liebling geweſen; ſein Liebling,
wie Siegfried, den Hagen erſchlug!
Doch ich klage nicht!
Was ſollteſt du auch hier auf dieſer närriſchen Kugel?
Das goldne Elend deiner Mitwürmer machte dich me¬
lancholiſch und wenn ein Hammer auf ſeinen Ambos ſauſte,
fuhr's dir durchs Herz wie ein Stich, denn die Zeit des
dritten Teſtaments iſt noch fern.
Armer Freund!
Wäre deine Seele, deine unſterbliche Seele, nicht von
Kryſtall geweſen, ſie wäre nicht zerſprungen. Sie wäre nicht
zerſprungen und du ſelbſt wärſt jetzt glücklich. Glücklich, wie
wir brutalen Kieſelſteinſeelen es eben ſein können.
Doch ich will nicht glücklich ſein! Ich will nicht wie
ein Thier ſein und das Schwein zum Schwager haben! Ich
pfeife auf ihre ſpießbürgerliche Verdauungsmoral!
Mein ſtilles Leben wird fortab ein Kampf ſein. Und
mein Lied ein Racheſchrei. Ein wilder, blutrünſtiger Aufſchrei
um dich und deine todten Hoffnungen, die hingemordeten
Kinder deines Herzens!
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
O, wie dunkel es iſt!
Lang, lang iſt dem Schlafloſen die Nacht und Träume
umgaukeln nur Kinder und Thoren!
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Wann, o ihr Brüder, wird uns das Frühroth, das
ewige Frühroth, Erlöſung ins Herz blitzen? Liegen wir
knirſchend und ſtaubbeſät nicht ſchmählich am Boden? Knir¬
ſchend und ſtaubbeſät, wie gefeſſelte Titanen?
Doch verzagen laßt uns nicht inmitten dieſer blöden
Beſtien und falſchen Schlangen! Wenn der Gebetriemen reißt,
thut der Fluch ſeine Pflicht. Löwen weinen nicht, Löwen
brüllen! Und der Weg zur Wahrheit führt durch den Kerker!
Drum ſchaart euch zuſammen, ihr Söhne des Ormuzd,
laßt eure Banner ſich mit Herzblut beſpritzen und taucht ſie
golden ins Licht der Zukunft!
Tod der Lüge!
Mich aber laßt euer Winkelried ſein, denn der Tod iſt
mein Freund und ich habe mehr zu rechten und zu richten,
als ihr!
Seht ihr ſie dort heranſchleichen, die Enkel des Ahri¬
man, die Prieſter des Moloch — vipernzüngig und katzen¬
äugig? Wacht auf, ihr Götter in goldener Hochburg, denn
euer Mord iſt ihre Parole und ihr Feldgeſchrei der Verrath!
Ihre Waffen ſind nicht aſſyriſche Sichelwagen und indiſche
Elephanten. Ihre Waffen ſind vergiftete Pfeile und nur
Wenige beſeelt der Muth des Nahkampfs.
Erſt, wenn ihr Speerwald die Bruſt mir durchbohrt, wird
mir wohl ſein!
Und ſo brech ich denn los: Tod der Lüge!
Den Stahl in der Fauſt und im Herzen — eine Thräne!
Armer Freund!
1.
Ihr Dach ſtieß faſt bis an die Sterne,
Vom Hof her ſtampfte die Fabrik,
Es war die richtge Miethskaſerne
Mit Flur- und Leiermannsmuſik!
Im Keller niſtete die Ratte,
Parterre gab's Branntwein, Grogk und Bier,
Und bis ins fünfte Stockwerk hatte
Das Vorſtadtelend ſein Quartier.
Dort ſaß er nachts vor ſeinem Lichte
— Duck nieder, nieder, wilder Hohn! —
Und fieberte und ſchrieb Gedichte,
Ein Träumer, ein verlorner Sohn!
Sein Stübchen konnte grade faſſen
Ein Tiſchchen und ein ſchmales Bett;
Er war ſo arm und ſo verlaſſen,
Wie jener Gott aus Nazareth!
Doch pfiff auch dreiſt die feile Dirne,
Die Welt, ihn aus: „Er iſt verrückt!“
Ihm hatte leuchtend auf die Stirne
Der Genius ſeinen Kuß gedrückt.
Und wenn vom holden Wahnſinn trunken,
Er zitternd Vers an Vers gereiht,
Dann ſchien auf ewig ihm verſunken
Die Welt und ihre Nüchternheit.
In Fetzen hing ihm ſeine Blouſe,
Sein Nachbar lieh ihm trocknes Brod,
Er aber ſtammelte: „O Muſe!“
Und wußte nichts von ſeiner Noth.
Er ſaß nur ſtill vor ſeinem Lichte
Allnächtlich, wenn der Tag entflohn,
Und fieberte und ſchrieb Gedichte,
Ein Träumer, ein verlorner Sohn!
2.
„Durch eine unverdiente Gnade
Die Sinne wunderbar erhellt,
So wandl' ich ſinnend dieſe Pfade:
Mein Reich iſt nicht von dieſer Welt.
Kein Erdenweib, vor dem ich kniete,
Nein, ſchöner iſt mein Herz entbrannt:
Mich liebt die Göttin Aphrodite,
Die Königin von Griechenland!
Die goldne Traumwelt der Hellenen,
In mir ward ſie zur Melodie;
Die ewge Schönheit iſt mein Sehnen,
Mein Flügelroß die Phantaſie.
Kein Sänger drum, vor dem ich kniete,
Mein Lied, es blitzt wie ein Demant:
Mich liebt die Göttin Aphrodite,
Die Königin von Griechenland!
Seit unvordenklichen Aeonen
War ſie's ſchon, die das Scepter ſchwang,
Und dienſtbar ſind ihr die Nationen
Vom Aufgang bis zum Niedergang.
Kein König drum, vor dem ich kniete,
Denn purpurn wallt auch mein Gewand:
Mich liebt die Göttin Aphrodite,
Die Königin von Griechenland!
Der Inder nennt die Gottheit Brahma,
Doch ach, ſchon anders der Buddhiſt;
Ich bin mein eigner Dalai Lama,
Ich bin mein eigner Jeſus Chriſt!
Kein Tempel drum, in dem ich kniete,
Die ganze Welt iſt mir ein Tand:
Mich liebt die Göttin Aphrodite,
Die Königin von Griechenland!“
3.
Die Nacht verrinnt, der Morgen dämmert,
Vom Hof her poltert die Fabrik
Und walkt und ſtampft und pocht und hämmert,
Ein hirnzermarterndes Gequik!
Die Nacht verrinnt, der Traumgott ruht nun,
Die Welt geht wieder ihren Lauf,
Zum Himmel ſpritzt der Tag ſein Blut nun,
Die Nacht verrinnt und ſeufzend thut nun
Das Elend ſeine Augen auf!
Die Schläfen zittern mir und zucken,
Denk ich, o Volk, an deine Noth,
Wie du dich winden mußt und ducken,
Dich ducken um ein Stückchen Brod!
Du wälzſt verthiert dich in der Goſſe
Und bauſt dir ſelbſt dein Blutgerüſt,
Indeß in goldener Karoſſe
Vor ſeinem ſandſteingelben Schloſſe
Der Dandy ſeine Dirne küßt!
Die Ritter von der engen Taille,
Das ſind die ſchlimmſten aus dem Chor,
Sie ſchimpfen hündiſch dich „Kanaille“!
Und haun dich ſchamlos übers Ohr.
Was kümmert ſie's, wenn Millionen
Verreckt ſind hinterm Hungerzaun?
Noch giebt's ja lachende Dublonen,
Kaſernen, Kirchen und Kanonen
Und .... köſtlich mundet ein Kapaun!
O, ſprich, wie lang noch ſoll es dauern,
Das alte Reich der Barbarei!
Noch ſtützen tauſend dunkle Mauern
Die feſte Burg der Tyrannei.
Doch ach, dein Herz ward zur Ruine,
Du lächelſt nur und nickſt dazu!
Denn auch der Menſch wird zur Maſchine,
Wenn er mit hungerbleicher Miene
Das alte Tretrad ſchwingt wie du!
4.
„An ſeiner Kettenkugel ſchleppe,
Wen nie ſein Sclaventhum verdroß,
Doch mich trägt wiehernd durch die Steppe
Arabiens weißgeſtirntes Roß.
Ein grüner Turban ſchmückt das Haupt mir,
Von Seide knittert mein Gewand,
Und jeder Muſelmenſch hier glaubt mir,
Ich wär der Fürſt von Samarkand!
Das Land, das ewig norddurchwehte,
Ich ſprach mich grollend von ihm los,
Ein Perſer bin ich nun und bete
Allah il Allah, Gott iſt groß.
Ein grüner Turban ſchmückt das Haupt mir,
Von Seide knittert mein Gewand,
Und jeder Muſelmenſch hier glaubt mir,
Ich wär der Fürſt von Samarkand!
Im Schatten einer Tamariske
Winkt gaſtlich mir ein weißes Zelt
Und drin die ſchönſte Odaliske,
Die allerſchönſte von der Welt.
Ein grüner Turban ſchmückt das Haupt mir,
Von Seide knittert mein Gewand,
Und jeder Muſelmenſch hier glaubt mir,
Ich wär der Fürſt von Samarkand!
Beim Nektar der verbotnen Rebe
Fällt mir wohl manch ein Skolion ein,
Doch da ich Lieder eben lebe,
Laß ich ſie ungeſungen ſein.
Ein grüner Turban ſchmückt das Haupt mir,
Von Seide knittert mein Gewand,
Und jeder Muſelmenſch hier glaubt mir,
Ich wär der Fürſt von Samarkand!“
26
5.
Und wieder hat das Rad der Stunde
Sich zwölfmal um ſich ſelbſt gedreht,
Und wieder fühlſt du deine Wunde
Und ächzſt und ſtöhnſt wie Philoktet!
Denn dir, auch dir rollt's durch die Adern
Und durchs Gehirn wie heißes Blei;
Gigantiſch thürmſt du deine Quadern,
Mit Gott im Himmel willſt du hadern
Und deine Seele ringt im Schrei!
Dein Herz ſteht wie die Welt in Blüthe,
Gehüllt in ſilbergrauen Dunſt,
Und mächtig fühlſt du's im Gemüthe:
Du biſt ein Prieſter deiner Kunſt!
Des Lebens goldne Kronen winken,
Die Roſen ſtehen weiß und roth;
Du fühlſt ſie duften, ſiehſt ſie blinken,
Doch ſcheu mußt du vorüberhinken,
Denn ach, dir fehlt dein täglich Brod!
Beneidenswerth in Forſt und Fluren
Das Schwein um ſeine Eichelmaſt!
Die ärmſte aller Kreaturen
Iſt doch ein dichtender Phantaſt!
Der Bettler dort an ſeiner Krücke,
Er iſt nicht halb ſo arm wie du...
Dir brach dein Himmel wüſt in Stücke,
Er aber träumt von ſeinem Glücke —
O Gott, nur zu, nur immer zu!
Du Licht, das mir ins Hirn gelodert,
Wozu die alte Litanei?
Iſt doch ſo viel hier ſchon vermodert,
O, wärſt auch du, auch du vorbei!
Dann wär der alte, blinde Lärmer
Ein dunkelbraunes Klümpchen Lehm;
Dann wär die Welt um einen Schwärmer,
Um einen Hirnverrückten ärmer
Und rollte weiter, wie vordem!
6.
„Ein Königreich für eine Leier!
Zwar eine Krone trug ich nie,
Doch ihren bunten Majaſchleier
Wand mir ums Haupt die Poeſie.
Die dunkle Nacht, die mich geboren,
Hat ſie als Sternbild ſüß erhellt;
Sie ſprach: Sei du der Thor der Thoren,
Denn dein Herz iſt das Herz der Welt!
Wer träumt ſo ſtraflos unter Palmen,
Wie wir, mein Liebling, ich und du?
Der Urwald rauſcht mir ſeine Pſalmen,
Das Weltmeer ſeine Hymnen zu.
Ich höre nachts, wenn fern im Fernen
Ein Schakal in das Mondlicht bellt,
Und ſpiele Fangball mit den Sternen,
Denn mein Herz iſt das Herz der Welt!
Als Tod mit Stundenglas und Hippe
Schlich ich um manchen morſchen Thurm,
Der Aar gehört in meine Sippe
Und Bruder nenn ich jeden Wurm!
Selbſt jene Sonne, die ſeit Newton
Sich rhythmiſch um ſich ſelber ſchnellt,
Mit meinem Hirn muß ſie verbluten,
Denn mein Herz iſt das Herz der Welt!
Von Capland, Mexiko bis Medien
— Gefunden iſt der Weisheit Stein! —
Von allen Bergen will ich's predgen,
In alle Herzen will ich's ſchrein!
Und iſt das All auch nur ein Plunder,
Der lachend einſt in nichts zerfällt:
Ich bin das Wunder aller Wunder,
Denn mein Herz iſt das Herz das Welt!“
7.
Die Nacht liegt in den letzten Zügen,
Der Regen tropft, der Nebel ſpinnt ...
O, daß die Märchen immer lügen,
Die Märchen, die die Jugend ſinnt!
Wie lieblich hat ſich einſt getrunken
Der Hoffnung goldner Feuerwein!
Und jetzt? Erbarmungslos verſunken
In dieſes Elend der Spelunken —
O Sonnenſchein! O Sonnenſchein!
Nur einmal, einmal noch im Traume
Laßt mich hinaus, o Gott, hinaus!
Denn ſüß rauſcht's nachts im Lindenbaume
Vor meines Vaters Förſterhaus.
Der Mond lugt golden um den Giebel,
Der Vater träumt von Mars la Tour,
Lieb Mütterchen ſtudirt die Bibel,
Ihr Neſtling colorirt die Fibel
Und leiſe, leiſe tickt die Uhr!
O goldne Lenznacht der Jasminen,
O, wär ich niemals dir entrückt!
Das ewge Rädern der Maſchinen
Hat mir das Hirn zerpflückt, zerſtückt!
Einſt ſchlich ich aus dem Haus der Väter
Nachts in die Welt mich wie ein Dieb
Und heut — drei kurze Jährchen ſpäter! —
Wie ein geſchlagner Miſſethäter,
Schluchz ich: Vergieb, o Gott, vergieb!
Wozu dein armes Hirn zerwühlen?
Du grübelſt und die Weltluſt lacht!
Denn von Gedanken, von Gefühlen,
Hat noch kein Menſch ſich ſatt gemacht!
Ja, Recht hat, o du ſüße Mutter,
Dein Spruch, vor dem's mir ſtets gegraust:
Was ſoll uns Shakeſpeare, Kant und Luther?
Dem Elend dünkt ein Stückchen Butter
Erhabner als der ganze Fauſt!
8.
„O, laßt mir meine Himmelsleiter!
Und fragt mich nicht: Woher — wohin?
Nur weiter, weiter, immer weiter...
Ihr wißt ja doch nicht, wer ich bin!
Ich bin ein Adler und ich fliege,
Die Ewigkeit iſt mein Gewand,
Das Herz der Welt iſt meine Wiege,
Die Menſchheit iſt mein Vaterland!
Noch grub kein leuchtender Gedanke
Sich tief in eines Denkers Stirn,
Der nicht ſchon, ſtolz auf ſeine Schranke,
Gelodert hier durch dies Gehirn!
Ich bin ein Adler und ich fliege,
Die Ewigkeit iſt mein Gewand,
Das Herz der Welt iſt meine Wiege,
Die Menſchheit iſt mein Vaterland!
Die Länder mein und mein die Meere,
So weit die Sonne ſie beſcheint,
Und ich bin's, dem die Bajadere
Im Tanz noch blutge Thränen weint.
Ich bin ein Adler und ich fliege,
Die Ewigkeit iſt mein Gewand,
Das Herz der Welt iſt meine Wiege,
Die Menſchheit iſt mein Vaterland!
Wohl fraß die Zeit mit ihren Zähnen
Schon manchen goldnen Heilgenſchein,
Ich aber ſchüttle meine Mähnen
Und war und bin und werde ſein.
Ich bin ein Adler und ich fliege,
Die Ewigkeit iſt mein Gewand,
Das Herz der Welt iſt meine Wiege,
Die Menſchheit iſt mein Vaterland!“
9.
Der Mond blitzt durch die Fenſterſcherben,
Ums dunkle Dachwerk pfeift der Wind
Und Nachbars Lieschen liegt im Sterben
Und ihre Mutter weint ſich blind.
Das Haar gebleicht von tauſend Sorgen,
Im dünnen Kleidchen von Kattun,
Erwartet ſehnlich ſie den Morgen —
Der Apotheker will nicht borgen,
Der Doctor hat „zu viel zu thun“! ...
Der Märznacht goldne Sterne ſcheinen,
Ihr Himmel deckt uns alle zu:
Hör auf, du Mütterchen, mit Weinen,
Dein Kind iſt beſſer dran, als du!
Es braucht nicht nähend mehr zu ſputen
Sich ſpät bis in die Nacht hinein,
Und wenn die Lüfte ſie umfluthen
Und roth die Roſen wieder bluten,
Spielt um ſein Grab der Sonnenſchein!
Die Noth im löchrigen Gewande
Zertritt die Perle der Moral;
Das Loos der Armuth iſt die Schande,
Das Loos der Schande der Spital!
Ja, jede Großſtadt iſt ein Zwinger,
Der roth von Blut und Thränen dampft;
Drum hütet euch, ihr armen Dinger,
Denn dieſe Welt hat ſchmutzge Finger —
Weh, wem ſie ſie ins Herzfleiſch krampft!
Da horch! ein langgezognes Stöhnen
Und jetzt ein wilder, geller Schrei!
Was thut's? Man muß ſich dran gewöhnen!
Hier hieß es wieder mal: „Vorbei!“
Schon übermorgen karrt der Racker
Das arme Mädel vor die Stadt
Und niemand kennt den Todtenacker,
Darauf beim öden Sterngeflacker
Ein Herz ſein Glück gefunden hat!
10.
„Ich ſchwamm auf purpurner Galeere
Durchs dunkelblaue Griechenmeer,
Da auf der Inſel der Cythere
Traf ich den Juden Ahasver.
Und weiter fuhren die Gefährten,
Er aber ward mein Weggenoß
Und ſprach: „Nun zeig ich dir die Gärten,
Die Gärten des Okeanos!
Die Welt, ich habe ſie durchmeſſen,
Doch farblos ſchien mir Luft und Land;
Nur ein Bild hab ich nie vergeſſen,
Nur eins iſt werth, daß es entſtand:
Das iſt die Zuflucht der Verkärten,
Das iſt des Meergotts grünes Schloß,
Das ſind die wunderbaren Gärten,
Die Gärten des Okeanos!
Ich weiß, du biſt ein deutſcher Dichter,
Und ewig ruhlos biſt du auch,
Wir ſind zwei ähnliche Geſichter
Und um uns weht der gleiche Hauch.
Doch komm, der Kummer, den wir nährten,
Wankt wie ein thönerner Koloß,
Wenn wir uns tummeln durch die Gärten,
Die Gärten des Okeanos!“
Er ſprach's, wir thaten's und die Jahre
Sie rollten tönend drüber her,
Doch immer iſt mir's noch, ich fahre
Durchs dunkelblaue Griechenmeer.
O, daß die Götter mir gewährten,
Dereinſt, wenn ſich mein Leben ſchloß,
Ein ſelig Ende in den Gärten,
Den Gärten des Okeanos!“
11.
Nun hat der Morgen ſeine Thore
Phantaſtiſch wieder aufgethan
Und ſeine goldne Tricolore
Weht hoch aus jedem Wolkenkahn.
Nur hier in dieſen dumpfen Mauern
Zum Fluch wird er dem Proletar —
In allen Ecken ſeh ich lauern,
In allen Winkeln ſeh ich kauern
Dämonen, die die Nacht gebar!
Mein letztes Licht iſt längſt erloſchen
Und fahl durchs Fenſter lugt die Noth,
Denn dies hier iſt der letzte Groſchen
Und dies das letzte Stückchen Brod!
Verlacht, verludert und verloren,
Das alte „Weder Glück noch Stern!“
Fürwahr, ich bin der Thor der Thoren!
O Mutter, wär ich nie geboren!
O ſchöne Zeit, wie liegſt du fern!
Auf wilder, meerverſchlagner Planke,
Ein Schiffer bin ich, der verſinkt;
Mein letzter Stern iſt ein Gedanke,
Der leuchtend mir vom Himmel blinkt.
Ein fernes Eiland ſeh ich ragen,
Doch wirft die Fluth mich ſtets zurück;
O, will's denn immer noch nicht tagen?
Noch gilt's zu wetten und zu wagen,
Denn jenes Eiland wiegt mein Glück!
Schon thut mir, wie wenn Glocken klingen,
Die Zukunft ihre Wunder kund —
Ein Stammeln nur iſt jetzt mein Singen,
Ein Stammeln wie aus Kindermund!
Du Schöpfer aller Harmonieen,
O, gieb mir Luft, o gieb mir Licht!
Im Staube ſieh mich vor dir knieen,
Denn eine Welt von Melodieen
Geht unter, wenn dies Herz zerbricht!
12.
„Schlag zu, mein Herz, die Flocken treiben
Nicht wie im Winter mehr ums Dach!
Der Frühling pocht an meine Scheiben
Und tauſend Wunder werden wach!
Das Licht führt ſeine goldnen Funken
Tagtäglich wieder nun ins Feld
Und mir im Herzen jubelt's trunken:
O Gott, wie ſchön iſt deine Welt!
Wie lieblich nur durchs offne Fenſter
Der Maiwind mir die Schläfen kühlt!
Lebt wohl, ihr grübelnden Geſpenſter,
Die winterlang mein Hirn durchwühlt!
Als wär ich geſtern erſt geneſen,
Das Herz iſt mir ſo ſüß erhellt —
So wohl iſt mir noch nie geweſen:
O Gott, wie ſchön iſt deine Welt!
Hervor, hervor aus deiner Hülle,
Du liebes Bildchen meiner Fee!
O, dieſer Locken goldne Fülle!
O, dieſes Buſens weißer Schnee!
Und wölbt ſich über deiner Krone
Auch purpurroth ein Throngezelt,
Dein Herz ſchlägt doch dem Liederſohne —
O Gott, wie ſchön iſt deine Welt!
Doch ſtill, mein Herz, was ſoll dein Pochen?
O Tod, du kommſt zur rechten Zeit!
Das Schwert der Trübſal liegt zerbrochen ...
Sei mir gegrüßt, o Ewigkeit!
Beim Frühling hab ich tauſendkehlig
Ein Lerchengrablied mir beſtellt:
So ſterb ich jubelnd, ſterb ich ſelig —
O Gott, wie ſchön war deine Welt!“
27
13.
Und als der Morgen um die Dächer
Sein ſilbergraues Zwielicht ſpann,
Da war der arme, bleiche Schächer
Ein ſtummer und ein ſtiller Mann.
In ſeines Mantels grauen Falten,
So lag er da, kalt und entſtellt —
Fürwahr, er hatte Recht behalten,
Sein Reich war nicht von dieſer Welt!
Ein goldnes Sonnenſtäubchen tippte
Ihm auf die Stirn von ungefähr
Und ſeine lieben Manuſcripte
Verſchloß der Armencommiſſär.
Sein Freund, der Doctor, aber zierte
Brutal ſich durch das Kämmerlein
Und ſchneuzte ſich und conſtatirte
„Verhungert!“ auf dem Todtenſchein.
Drei Frühlingstage ſpäter karrten
Ihn Armenklepper vor das Thor!
Ich ſah's noch, wie ſie ihn verſcharrten —
Die Sonne lachte, doch mich fror!
Mich fror und meine Hände ſuchten
Umſonſt zu würgen meinen Schmerz
Und meine bleichen Lippen fluchten ...
O Gott, mein Herz! mein armes Herz!
So ſtand ich und vermaledeite
Die Welt bis in ihr Nichts hinab;
Der goldne Frühling aber ſchneite
Ihm lächelnd Roſen übers Grab.
Schon nahten unſichtbaren Zuges
Die großen Geiſter alter Zeit,
Und drüber ſchwebte leiſen Fluges
Der Genius der Unſterblichkeit!