REDE
BEI DER AUFSTELLUNG DER BÜSTE
DES
GEH. MEDICINALRATHES PROFESSOR
Dr. LICHTENSTEIN
IN DEM ZOOLOGISCHEN MUSEUM
AM 26. APRIL 1852
GEHALTEN
VON
ALEXANDER VON HUMBOLDT.
BERLIN 1852.
GEDRUCKT IN DER BUCHDRUCKEREI DER KÖNIGL. AKADEMIE
DER WISSENSCHAFTEN.
Die stille und einfache Feier, zu der wir uns hier bei Einweihung
eines kleinen Denkmals versammeln, würde von ihrem eigenthümli-
chen Charakter verlieren, wenn ich versuchte durch den Schmuck
der Rede den Ausdruck des Gefühls zu beleben, welches die Freunde
und Verehrer eines edeln, vielseitig begabten Mannes heute hier ver-
einigt hat. Den Vorzug, das Wort zu nehmen, verdanke ich nicht
meinem Uralter; nicht der Gemeinschaft allein, die mir mit ihm ge-
worden ist in der Akademie der Wissenschaften, auf der Universi-
tät, an welcher auch ich einmal zu lehren versucht habe, oder durch
gleiche Bestrebungen als Reisenden. Ich verdanke den Vorzug der
Freundschaft und innigen Achtung, welche ich dem leider! heute
von uns Entfernten seit meiner ersten Rückkehr in das deutsche
Vaterland gewidmet habe. Martin Heinrich Karl Lichtenstein,
dessen classisch gebildeter Vater auch mir, als Jüngling, aufmuntern-
des Wohlwollen bezeigte, war im Jahr 1780 zu Hamburg geboren,
und erhielt (was die Feier des heutigen Tages bezeichnet) im Jahr
1802, also in demselben Jahre, in welchem er seine denkwürdige
süd-afrikanische Reise antrat, die medicinische Doctorwürde. Ein
Erdraum, in welchem die mannigfaltigsten, und dabei auch die mäch-
tigsten und gefürchtetsten Thiergestalten wundersam, und mehr als
in irgend einem anderen zusammengedrängt sind, bot dem jungen,
lebensfrischen, sorgsam vorbereiteten Naturforscher ein herrliches und
damals noch minder ausgebeutetes Feld der Bearbeitung dar. Ne-
ben der Form und den specifischen Kennzeichen, neben der Le-
bensweise und den Sitten der gröſseren Thiere wurden von ihm
auch die kleineren Organismen wissenschaftlich beobachtet, ja schätz-
bare entomologische und botanische Sammlungen heimgebracht.
Für ein erregbares Gemüth hat der unmittelbare Contact mit der
freien und dazu noch mit einer so mächtigen Natur einen Werth,
welcher nicht allein nach der Zahl der neuentdeckten oder aufbe-
wahrten Gegenstände geschätzt werden darf; es wohnt diesem Ver-
kehr inne eine treibende Kraft, die den ganzen Menschen (ihm selbst
fast unbewuſst), durchdringt: im Lehrer sich auf die Hörenden re-
flectirt: so daſs mitgetheilt wird, da wo Empfänglichkeit ist, mehr
als Unterricht, eine innere, dauernde Belebung.
Zum ordentlichen Professor der Zoologie an dieser Hoch-
schule befördert, schon fünf Jahre nach seiner Landung in Holland,
und nur ein Jahr nach seiner Ankunft in Berlin, wurde Lichten-
stein später, bei dem Tode des scharfsinnigen und verdienstvollen
Illiger's 1813 Director des zoologischen Museums: einer An-
stalt, die damals bloſs reich an den einst in der Kunstkammer auf-
bewahrten Corallen, keinesweges einen solchen Namen verdiente. Der
Gründer des Berliner zoologischen Museums darf Lichtenstein ge-
nannt werden, wenn man die ältesten Zustände mit den folgenden
vergleicht. Die Sammlungen, welche diese Räume schmücken, sind
aber ausgezeichnet nicht bloſs durch Seltenheit und Fülle der Gegen-
stände, die groſsentheils mit eingeschränkten Mitteln erworben wur-
den und unter denen die entomologischen, von einem tiefen Kenner,
meinem vieljährigen Freunde, dem Geh. Ober-Medicinal-Rath Klug
geordnet, einen europäischen Ruf haben: sie sind es eben so sehr
durch die systematische und geographische Übersicht, die sie gewäh-
ren; durch die trefliche, naturgetreue Präparation der aufgestellten
Thierarten: einen Vorzug, welcher dem unermüdlichen Fleiſse und
dem erfinderischen technischen Kunstgeschick des Inspectors Ram-
melsberg verdankt wird.
Die bewundernswürdig vielseitige Thätigkeit dessen, den wir
hier feiern, wird bezeugt durch die anspruchslose, lehrreiche, auch
für die Form- und Sitten-Verschiedenheit der Völkerstämme wich-
tige Beschreibung seiner Cap-Reise; durch eine Reihe schöner zoo-
logischer Abhandlungen in den Schriften der Akademie; durch die
Sorgfalt, die er vierzig Jahre lang diesen, dem freiesten Gebrauche
geöffneten Sammlungen und seinem Lehramte an der Universität
gewidmet hat. Ich würde Tadel verdienen, wenn ich eines anderen
Instituts, das er unter den schwierigsten Verhältnissen ins Leben ge-
rufen, und für dessen Entwickelung und Erhaltung er mit so aus-
dauernder Anstrengung gekämpft, hier nicht erwähnte. In innigem
Zusammenhange mit den Zwecken des Museums, bietet der zoolo-
gische Garten, der dieser Hauptstadt bisher fehlte, durch seine
kleine Thierwelt, wie durch seine geschmackvollen und anmuthigen
Pflanzungen dem Naturforscher Stoff zur Beobachtung, Allen, und
(was am meisten erfreuet), selbst den ärmeren Volksclassen, eine
erheiternde Belehrung dar.
Das anspruchslose Denkmal, welches wir einweihen, ist das
gelungene Werk eines sinnigen Künstlers, Albert Wolff, dem sein,
von unserem groſsen Meister geehrtes Talent eine glänzende
Zukunft verheiſst. Möge es bleibend, und für späte Zeiten eine
dankbare Erinnerung an den sein, der, selbst noch so kräftig, aber
nicht ungeprüft von harten, tief erschütternden Schlägen des Schick-
sals, auf ein reiches, rühmlich angewandtes, Vielen hülfreiches Le-
ben zurückblickt! Durch die persönliche Huld zweier Könige geehrt.
hat er, immer mäſsig, zuvorkommend und milde, in den weite-
sten Lebenskreisen eines liebevollen Vertrauens genossen. Durch
die Ehre, welche unbestritten dem Einzelnen gezollt wird, erneuert
und belebt sich das Gefühl von der ernsten Würde des Studiums
der Natur. Es erhöt und veredelt in erregbaren Gemüthern und
bei glücklichen Anlagen die geistige Existenz des Menschen; es offen-
bart, wo es im stillen Frieden des Inneren gepflegt wird, seinen
wohlthätigen Einfluſs auf Erweiterung und Verschönerung der freien
Gedankenwelt.