Jn der schwersten, ernstesten und erschütterndsten Zeit, die das deutsche
Volk jemals in seiner Gesamtheit betroffen hat, – mitten in dem
Niederbruch seiner Verteidigungsmittel vor einer riesenhaften
feindlichen Übermacht, gegen die es über vier Jahre lang mit Auf-
bietung aller Kräfte standgehalten und den heimatlichen Boden von
den Schrecken des Kampfes frei gehalten hat, – mitten in der durch
den Krieg geschaffenen und ihrer Heilung harrenden großen wirtschaft-
lichen und seelischen Notlage im Jnnern des Vaterlandes und endlich
– mitten hinein in den politischen Gewissenskampf, den wir nach der
Revolution um den Neubau unseres Staatslebens miteinander aus-
zufechten haben, ist den deutschen Frauen in ihrer Gesamtheit, kraft
Verordnung der neuen Regierung, das große Recht der vollen staats-
bürgerlichen Gleichstellung neben dem Mann gegeben worden, d.h.
den Zulaß zur Ausübung des politischen allgemeinen, gleichen,
geheimen und direkten Wahlrechtes vom vollendeten 20 ten Lebens-
jahre an. Die Frauen können die Volksvertreter in die National-
versammlung des Reichs wie in diejenigen der Bundesstaaten mit wählen,
das nennt man aktives Wahlrecht, wie auch selbst als Abgeordnete
gewählt werden, das nennt man passives Wahlrecht.
Es ist mit Sicherheit anzunehmen, daß der überwiegende Teil
der deutschen Frauen, zumal die politischen Ereignisse sich jetzt so
überstürzen, sich noch nicht annähernd der Bedeutung des zugestandenen
neuen Rechtes klar ist, ja, daß vermutlich sehr viele von ihnen über-
haupt noch nichts vom Frauenstimmrecht wissen. Sie ahnen es nicht,
welch großes politisches Machtmittel sie damit zugeteilt erhielten und
welch ungeheure Verantwortung für die Gesamtheit ihres Vaterlandes
ihnen nunmehr in Hand und Herz gegeben worden ist, ihnen als
der zahlenmäßig größeren Hälfte des deutschen Volkes. Es wird
noch einer längeren Zeitspanne und einer großen aufklärenden Arbeit
in öffentlichen Versammlungen, von Haus zu Haus, von Mund zu
Mund bedürfen, an der jeder Einzelne sich beteiligen sollte, um
dem neuen Gedanken überall Eingang zu verschaffen, auch können
wir nicht erwarten, in den wenigen Wochen, die bis zur Wahl der
Nationalversammlung noch bleiben, dies Ziel ganz zu erreichen. Aber
weil die Zeit drängt, weil augenblicklich von dieser Wahl die ganze
Zukunft unseres Vaterlandes abhängt, weil für uns dabei alles auf
dem Spiel steht, müssen wir versuchen, so gut es irgend geht, die
wahlberechtigten Frauen aufzurütteln, sie herbei zu rufen zu ihrer
Pflicht und ihnen zu helfen, in all dem neuen, was von ihnen ver-
langt wird, sich zurechtzufinden.
Die folgenden Worte sind dazu geschrieben, um die Frauen
auf ihr Wahlrecht vorzubereiten, mit der ausdrücklichen Absicht, in
diesen Ausführungen keine Werbearbeit für eine besondere politische
Partei zu treiben. Die Parteipolitik ist eine notwendige Sache,
weil nicht alle Menschen gleicher Meinung sein können, und weil zu
einem geordneten, kraftvollen, politischen Wirken die Gesinnungs-
genossen in feste Gruppen zusammengeschlossen sein müssen, und an
dieser Parteipolitik werden auch die Frauen sich eifrig zu beteiligen
haben. Aber ehe sie sich einer Partei anschließen können, müssen sie
einige allgemeine Kenntnisse über die deutsche Politik und über die
Rechte und Pflichten der Wähler haben und müssen es vor allem
lernen, ihr neues Recht zu einer tiefernsten Gewissenssache ihrem
Volk und Vaterland gegenüber zu machen. Und noch eins: ehe
die Parteipolitik auch die Frauen in Gruppen trennen wird, ist es
so ungeheuer wichtig, das zu betonen, was sie alle, ganz abgesehen
von ihrer einzelnen Überzeugung, mit einander verbindet, was sie
auf denselben Grund und Boden stellt, von dem sie alle ausgehen,
und das ist: ihre gemeinsame Frauenschaft, oder um noch
einen stärkeren Ausdruck für diesen einigenden Gedanken zu gebrauchen:
das ist ihre gemeinsame Mutterschaft, das Wort in seiner
weitesten Bedeutung genommen. Wie der Körper der Frau, so ist
auch ihr Geist und ihre Seele zu einem bedeutenden Teil auf ihre
Aufgabe als Mutter des Volkes eingestellt und diese ihre weibliche
Veranlagung muß sie mit hineintragen in ihre Verantwortung für
das Gesamtwohl. Die Frauen sollen die Vertreterinnen
des Mutterwillens im wirtschaftlichen und poli-
tischen Staatsleben sein. Es werden manche Aufgaben in
der Gesetzgebung vorkommen, die das weibliche Geschlecht besonders
berühren und zu deren Gestaltung daher die Wählerinnen eine
einheitliche Meinung haben werden, weshalb sie versuchen müssen,
sich einen gewissen überparteilichen Zusammenhalt zu wahren. Aller-
dings ist solcher Zusammenhalt nur bei gegenseitiger Achtung der
politischen Überzeugung des einen vor dem anderen möglich, auch
vor der Ansicht des Gegners.
Angesichts der vollendeten Tatsache des politischen Wahlrechts,
das den Frauen gegeben wurde ohne zu fragen, ob die einzelne
damit einverstanden sei oder nicht, erübrigt es sich eigentlich über
die Berechtigung des Frauenstimmrechtsgedankens und seine geschicht-
liche Entwicklung noch Worte zu verlieren. Soweit aber diese Dinge
zur augenblicklichen Aufklärung und als Fingerzeige für die Zukunft
dienen können, sollen sie erwähnt werden.
Es ist eine althergebrachte Auffassung, daß die Frauen nichts
mit der Politik, also auch nichts mit der Gesetzgebung zu tun haben
sollen. Diese Ansicht muß uns aber zweifelhaft werden, wenn wir
den Satz einmal umdrehen und fragen: Haben denn Politik und
Gesetzgebung nichts mit der Frau zu tun? Wir merken da sofort,
daß etwas an der ersten Behauptung unklar gedacht ist, denn die
Gesetze haben sehr vielmit der Frau zu tun. Die alte Anschauung
ist aus den früheren Verhältnissen heraus erklärlich, in denen Leben
und Arbeit der Frau sich fast ganz im Rahmen der Familie abspielten
deren Vertreter nach außender Mann war. Nach innen zu
sicherten Sitte und Gewohnheit der Frau ein vielfach recht umfang-
reiches Herrschaftsrecht, wie es noch heute die Bäuerin in manchen
Gegenden hat. Aber wir wissen ja alle, daß die wirtschaftliche
Entwicklung der letzten 100 Jahre einen großen Teil der Frauen,
auch der verheirateten, aus dem gesicherten Hort der Familie heraus-
gerissen, und in das außerhäusliche Erwerbsleben hineingestellt hat,
sodaß sie direkte Mitarbeiterinnen der öffentlichen Volkswirtschaft
wurden. Es ist in erster Linie diese Tatsache, das Einrücken der
weiblichen Millionenscharen in das Erwerbsleben, was zur politischen
Betätigung der Frau führen muß. Darum ist auch die Berufs-
organisation das erste Stück politischer Erziehung für die Frauen
gewesen. Ganz naturgemäß, denn die dem wirtschaftlichen Kampf
ums Dasein Ausgesetzte empfand am eigenen Leibe die starke Ab-
hängigkeit ihres Lebens mit seinem Wohl und Wehe von den staat-
lichen Maßnahmen. Es wäre ein unhaltbarer Zustand, wenn die
für Frauen geltenden Gesetze auch in alle Zukunft nur von Männern
geschrieben und gehandhabt würden, die tatsächlich nicht imstande
sind, alle Jnteressen des weiblichen Geschlechts zu erfassen. Das
ist kein Vorwurf gegen den Mann, sondern besagt nur, daß Mann
und Frau etwas von Natur verschiedenes sind. Beweis dafür sind
eine Fülle von dringenden Wünschen der Frauen, die immer wieder
in den Tiefen des männlichen Papierkorbes verschwanden.
Als die Frauen vor etlichen Jahrzehnten anfingen, nach einer
eigenen Freiheit und Selbständigkeit zu streben, galt es manchen
von ihnen als wünschenswertes Ziel, alles so zu tun und zu können
wie der Mann. Sie merkten dabei nicht, daß sie auf diese Weise
wesentliches von ihrem Besten einbüßen würden, daß sie dagegen
sich und der Menschheit am erfolgreichsten dienen könnten in der
vollen Ausgestaltung und Betätigung ihrer weiblichen Veranlagung.
Heute ist es uns klar, daß Mann und Frau wie zwei Kreise sind, die
sich zwar teilweise aber nicht vollständig decken, daß sie ein gemeinsames
Bereich des allgemein Menschlichen haben und dazu jedes sein be-
sonderes Gebiet von männlicher bezw. weiblicher Eigenart. Für die
gewerbliche Arbeit hat man ihre Verschiedenheit so ausgedrückt: „Die
starke Hand und der geschickte Finger.“ Diese Erkenntnis wird auch
in der Politik eine wichtige Rolle spielen, denn Mann und Frau
werden in manchen Fragen einheitlich denken, andere aber von
verschiedenen Gesichtspunkten aus betrachten.
Der Pionierstaat für das Frauenstimmrecht ist Wyoming in
Nordamerika gewesen, der schon 1869 dasselbe einführte. Später
sind die Vereinigten Staaten nach und nach zu dem Prinzip über-
gegangen, sowie auch Australien. Jn Europa haben Finnland,
Norwegen und Dänemark innerhalb der letzten 12 Jahre den Frauen
das Stimmrecht gegeben. Jn Norwegen wählten bei ihrem ersten
Wahlgang 1909 90 v. H. aller stimmberechtigten Staatsbürgerinnen.
Jn allen diesen Ländern hat sich ein guter Einfluß der Frauen auf
die staatlichen Maßnahmen im Sinne ihrer Wünsche für das eigene
Geschlecht, wie zur Hebung des allgemeinen Volkswohls bemerkbar
gemacht.
Jn Deutschland haben die Anfange des Sozialismus im Jahre
1847 den engen Zusammenhang von Frauen- und Arbeiterfrage
bereits anerkannt. Aber eine bürgerliche Frau ist es gewesen, Luise
Otto Peters, die schon 1848, also vor 70 Jahren, die politische
Mitarbeit der Frau nicht nur für ein Recht, sondern für eine Pflicht
erklärte.
1891 wurde auf dem internationalen sozialdemokratischen Partei-
tag in Brüssel das demokratische Wahlrecht ohne Unterschied des
Geschlechts als Grundsatz angenommen und im selben Jahr auf dem
Erfurter Parteitag dem deutschen sozialdemokratischen Programm ein-
gefügt. 1912 waren in Deutschland schon in 500-600 Wahlkreisen
bezw. Ortsvereinen sozialdemokratische Frauen in den betreffenden
Parteivorständen tätig. Daher kann die Sozialdemokratie bei den
bevorstehenden Wahlen auf eine seit langer Zeit vorbereitete, und
gut geschulte weibliche Wählerschaft rechnen, während die übrigen
Parteien auf diesem Gebiet noch fast alles nachzuholen haben.
Die bürgerliche Frauenbewegung beschäftigt sich in Deutschland
erst seit dem Jahre 1902 eingehender mit dem Frauenstimmrecht,
wenn auch schon viele ihrer Angehörigen diesen Gedanken als einstiges
Ziel von vornherein erkannt hatten. Doch wollten sie den Aufbau
der Frauenrechte und -pflichten von unten anfangen, um schließlich
die politische Betätigung der Frau als Dach auf das Gebäude zu
setzen. Aber während ihrer Arbeit fühlten doch die meisten, daß nur
die Anteilnahme an der Gesetzgebung ihnen erst die Mittel zur
Durchführung ihres Bauplanes in die Hand geben würde. Deshalb
stellte auch der große Bund deutscher Frauenvereine die Forderung
nach dem Frauenstimmrecht in Staat, Gemeinde und Kirche schon
vor Jahren in sein Programm mit ein. Aber schließlich, es ist doch
immer nur ein Teil der Frauen, der in der bürgerlichen und sozial-
demokratischen Frauenbewegung organisiert ist, für die weit größere
Anzahl, die diesen Kreisen nicht angehört – und auch von den
Lohnarbeiterinnen sind sehr viele noch nicht beruflich oder politisch
zusammengeschlossen –, kommt das Frauenstimmrecht als ein ganz
neuer, schwer zu begreifender, mit Scheu zu betrachtender und von
vielen zunächst noch abgelehnter Gedanke. Unter denen, die ihn ab-
lehnen sind sowohl die wertlosesten, die gleichgültigen, die abge-
stumpften Frauen, sowie solche, die dem öffentlichen Leben noch ganz
fern stehen, aber auch viele sehr ernste und nachdenkliche, die durch
ihre Zurückhaltung beweisen, wie gewissenhaft sie die Sache nehmen.
Werden diese letzteren die Jdee selbst erst als Notwendigkeit erkannt
haben, so können sie auf Grund ihrer Gewissenhaftigkeit gerade die
besten Mitarbeiterinnen werden, während die Masse der Unwissenden
und Gleichgültigen am schwersten in Bewegung zu bringen ist.
Die weltgeschichtlichen Ereignisse treiben unsere innerpolitischen
Verhältnisse mit orkanartiger Geschwindigkeit vor sich her, welcher
Gestaltung zu, das kann noch niemand übersehen; auch das Frauen-
wahlrecht ist ganz abhängig von dem was kommen wird. Es ist zu
beachten, daß das jetzige Stimmrecht zunächst nur für die konstitu-
ierende Nationalversammlung des Deutschen Reiches und die ent-
sprechenden Versammlungen der Bundesstaaten gilt. Jn deren Be-
ratungen soll die neue deutsche Verfassung gegeben werden, zu deren
Bereich auch Feststellung der Art und Weise des künftig geltenden Wahl-
rechts gehört. Es ist aber kaum anzunehmen, daß der einmal ein-
geführte Gedanke der politischen Gleichberechtigung der Geschlechter
wieder verschwinden wird, so daß, wie es auch kommen mag, die Frau
ihre Stellung neben dem Mann im Staatsleben erhalten wird.
Es ist klar, daß nunmehr das Frauenstimmrecht sich auch außer-
halb der Politik überall geltend machen wird, wo Männer und
Frauen gemeinsam einer Organisation angehören. Das Gemeinde-
wahlrecht ist hier an erster Stelle zu nennen, das vereinzelt und
in beschränktem Maße den deutschen Frauen schon zugänglich war.
Da die Kriegsarbeit überall in Deutschland die Frauen in die Rat-
häuser als Helferinnen eingeführt hat, so werden sie sich als voll-
berechtigte Bürgerinnen in der Gemeindearbeit zunächst auch am
sichersten fühlen. Ferner ist die Durchführung des kirchlichen
Frauenwahlrechtes zu vermuten, denn nach der beabsichtigten
Trennung von Staat und Kirche wird die letztere noch mehr als
bisher auf die Anteilnahme und Mitarbeit ihrer Gemeinde sich stützen
müssen. Und endlich muß noch in Bezug auf das Frauenstimmrecht
auf das soziale Versicherungswesen, auf die Berufsorganisationen
aller Art, sowie auf die sonstigen, zum Wohl des Ganzen dienenden
öffentlichen und privaten Einrichtungen hingewiesen werden. Welch
eine Fülle von Verantwortung wird damit dem weiblichen Geschlecht
zugewiesen.
Wenn nun aber jetzt in den Frauen der Mahnruf zur Aus-
übung ihrer staatsbürgerlichen Pflicht Widerhall gefunden und den
Willen zur Tat wach gerufen hat, so tauchen bei ihnen zugleich eine
ganze Reihe von Fragen auf: „Was habe ich denn nun zu tun?
Wie wähle ich? Wen wähle ich? Zu welcher Körperschaft wähle ich?
Welcher Partei soll ich mich anschließen? So bedauerlich es ist, daß
ein großer Teil der Frauen den politischen Fragen unseres Reiches
bisher unwissend und gleichgültig gegenüberstand und darum von
dem jetzigen Zusammenbruch alles Bestehenden noch viel mehr über-
rascht worden ist als die Männer im allgemeinen, so ist diese Un-
wissenheit doch erklärlich und bis zu einem gewissen Grad entschuld-
bar. Denn das weibliche Geschlecht war in Deutschland mit Bezug
auf politische Tätigkeit irgend welcher Art in einen Zauberkreis ge-
bannt, aus dem einen Ausweg zu finden unter der alten Regierungs-
form unmöglich schien. Und da der Frau die Anteilnahme am staat-
lichen Leben versagt war, wurde es ihr auch sehr erschwert, eigene
Kenntnisse und Erfahrungen zu sammeln, vor allem fehlte der äußere
Antrieb, der in die Augen springende praktische Zweck zur Anteil-
nahme an der Politik. Das ist nun mit einem Schlage anders ge-
worden. Durch die plötzliche Erteilung des Frauenstimmrechts tritt
die Verbreitung einer eingehenden Aufklärung über politische Fragen
in den Vordergrund des Jnteresses.
Über die Zahl der in Betracht kommenden wahlberechtigten
Frauen gehen die Meinungen ziemlich auseinander, genaues läßt
sich für das ganze Reich schwer sagen. Man rechnet mit etwa
21 ½ Millionen gegen 18 ½ Millionen Männerstimmen. Wenn alle
diese Frauenstimmen mit in die Wagschale geworfen werden, so kann
das unter Umständen eine ganz bedeutende Verschiebung des End-
ergebnisses herbeiführen. Den politischen Parteien ist diese Sachlage
auch durchaus bewußt, das zeigt sich deutlich an dem Eifer, mit dem
die Frauen jetzt mit einem Mal von ihnen umworben werden, und
an der Sorge, mit der man bemüht ist, ihnen jede mögliche politische
Aufklärung zukommen zu lassen.
Wie eingangs schon gesagt wurde, haben die Frauen ebenso
wie die Männer vom vollendeten 20. Lebensjahre an das aktive und
passive Wahlrecht erhalten. Das aktive berechtigt dazu, selbst das
Wahlrecht auszuüben, also seine Stimme für eine oder mehrere zur
Wahl gestellte Persönlichkeiten abzugeben. Wer im Besitz des
passiven Wahlrechts ist, kann selbst durch Abstimmung als Ab-
geordneter gewählt werden, er erleidet sozusagen die Wahl. Die
Ausübung des aktiven Wahlrechtes und die Bewertung und Zählung
der Stimmen kann nun in der verschiedensten Weise geschehen. Das
unbeschränkteste Männerwahlrecht der Welt, wie es in dem Maß
kein anderes Volk besitzt, war das bisherige Reichstagswahlrecht, das
Bismarck im Jahre 1871 bei Begründung des Deutschen Reiches
allen Staatsbürgern vom 25. Lebensjahre an gab. Es war ein
persönliches Wahlrecht, weil jeder Wähler selbst an die Wahlurne
schreiten mußte, um den von ihm ausgefüllten Wahlzettel hinein-
zustecken. Allgemein hieß es, weil ohne Unterschied jeder deutsche
Mann vom genannten Lebensalter an das betreffende Recht besaß,
außer wenn er entmündigt war, Armenunterstützung empfing, sich im
Konkurs befand, oder wenn ihm die bürgerlichen Ehrenrechte entzogen
worden waren. Geheim hieß die Wahl, weil der Wähler den
Zettel mit dem Namen des von ihm zu wählenden Abgeordneten
ohne Angabe seines eigenen Namens in einem vor den Blicken
Neugieriger geschützten Raum in einen Briefumschlag steckte, den er
alsdann in die Wahlurne tat. Die Möglichkeit der Wahrung des
Wahlgeheimnisses ist ein außerordentlich wichtiges Erfordernis, um
ein wirklich der ehrlichen Meinung der Wähler entsprechendes Er-
gebnis zu erzielen und um eine Wahlbeeinflussung von Seiten ver-
schiedener Jnteressengruppen zu verhindern. Direkt war das Wahl-
recht, weil der Wähler seine Stimme unmittelbar für den von ihm
gewünschten Volksvertreter abgab und nicht, wie es im preußischen
Landtagswahlrecht war, für einen Wahlmann stimmte, der dann erst
wieder mit den übrigen aufgestellten Wahlmännern zusammen den
eigentlichen Abgeordneten ernannte. Und endlich gleich war das
Wahlrecht, weil jeder Wähler nur eine gültige Stimme hatte, ohne
Berücksichtigung des Alters, des Vermögens und der Lebensstellung.
Das Gegenteil vom Einstimmenwahlrecht ist das Plural- oder Mehr-
stimmenwahlrecht. Durch dieses erhalten gewisse Wähler, wenn sie
ein bestimmtes Alter erreicht haben, Grundbesitzer sind, öffentliche
Ämter bekleiden, große Vermögen haben usw. eine oder mehrere
Zusatzstimmen. Diese Art des Wahlrechts hat den Zweck, der Ver-
schiedenheit unter den Menschen Rechnung zu tragen und der ab-
soluten Majoritätsherrschaft entgegen zu treten. Die Landtage der
Bundesstaaten hatten vielfach solche Wahlordnungen, in denen ein-
zelne Stände, Berufe oder Grund- und Vermögensbesitzer noch bevor-
zugt wurden. Am rückständigsten war das berüchtigte Dreiklassenwahlrecht
des preußischen Landtages, um dessen Beseitigung seit Jahren von
den fortschrittlichen und sozialdemokratischen Parteien gekämpft wurde.
Alle diese Einzelbestimmungen gehören der Vergangenheit an,
denn das für die Nationalversammlung festgesetzte Wahlrecht soll nun
auch für sämtliche Parlamente in den Bundesstaaten das allein
gültige sein. Für dieses neue Wahlrecht zur Nationalversammlung
ist die ehemalige Grundlage der Reichstagswahl, daß sie eine all-
gemeine, gleiche, geheime und direkte sein soll, beibehalten worden, denn sie
ist eine Voraussetzung der demokratischen Gleichheit. Neu ist dagegen
die Einführung des Verhältniswahlrechts, auch Proportionalwahl-
recht, kurz Proporz genannt. Nach diesem werden alle Deutschen
jetzt zu wählen haben, darum ist es notwendig, seine schwierige
Handhabung etwas ausführlicher zu erklären. Bisher ist die Ver-
hältniswahl in Deutschland nur bei einzelnen Organisationen, z. B.
für die Kaufmanns- und Gewerbegerichte, für die Reichsangestellten-
versicherung und die Krankenkassen, sowie in kleineren staatlichen
Gemeinschaften, z. B. für die Hamburger Bürgerschaftsvertretung und
den württembergischen Landtag angewandt worden. Für ein so
großes Gebiet, wie das Deutsche Reich es ist, wird diese Art der
Wahl überhaupt zum ersten Mal versucht.
Bei den bisher üblichen Wahlen stellten die verschiedenen Parteien
in einem Wahlkreis je einen Kandidaten auf, der Wähler gab für
einen derselben seine Stimme ab, und derjenige galt als gewählt,
der mehr Stimmen auf sich vereinigte, als die übrigen Kandidaten
seines Wahlkreises zusammen erhalten hatten. Wurde eine solche
absolute Majorität der Stimmen bei der ersten Wahl nicht erreicht,
so mußte noch eine Stichwahl zwischen den beiden Kandidaten an-
gesetzt werden, welche die meisten Stimmen aufzuweisen hatten. Also
schließlich ging aus jedem Wahlkreis ein einzelner Abgeordneter her-
vor, und nur die Anschauung seiner Wähler war durch ihn im
Parlament vertreten, alle übrigen Wählerstimmen des Kreises kamen
nicht zur Geltung. Ein grundlegender Unterschied des Verhältnis-
wahlrechtes gegen diese alte Wahlform ist, daß nicht mehr einzelne
Kandidaten in kleineren Wahlkreisen aufgestellt und gewählt werden, son-
dern daß man größere Wahlbezirke macht und in diesen jede in ihnen ver-
tretene Partei je eine ganze Liste von Kandidaten zur Wahl aufstellen
läßt. Der Wähler hat sich für die Gesamtannahme solcher Liste einer Partei
bei der Wahl zu entscheiden. Der Vorteil dieser Wahlform ist zunächst,
daß die Person des einzelnen Wahlbewerbers mehr zurücktritt; ferner
können in den stark vergrößerten Wahlbezirken kleinliche Sonderwünsche
nicht das Wahlergebnis beeinflussen; weiter beseitigt das neue System
die Stichwahlen, und endlich und hauptsächlich steigert es das allgemeine
politische Jnteresse, denn diese Wahlform hat zur Folge, daß jede
einzelne Stimme ihren Wert hat und daß nicht, wie früher geschah,
die Stimmen für die nicht erfolgreichen Kandidaten unter den Tisch
fallen. Dieser letztere Gesichtpunkt muß den Frauen gegenüber ganz
besonders betont werden, um ihnen klar zu machen, wie wichtig die
Beteiligung jedes Wählers an den kommenden Wahlen ist. Das
Wort Verhältniswahl besagt nämlich, daß in jedem Wahlkreis die
einzelnen Parteien so viele Abgeordnete in das Parlament entsenden
können, als sie im Verhältnis zu den anderen Parteien dieses Bezirks
Stimmen für sich erhalten. Es wurden zu dem Zweck allen Wahl-
kreisen nach der Höhe ihrer Einwohnerzahl eine bestimmte Anzahl
von Volksvertretern zugebilligt. Für die Reichswahlen soll auf
150000 Einwohner ein Abgeordneter entfallen. Jede Partei stellt
nun eine Liste auf mit soviel Kandidaten, als der Kreis insgesamt
wählen darf. Dabei ist die Reihenfolge der Namen von großer
Bedeutung, denn die zuerst genannten haben mehr Aussicht gewählt
zu werden als die späteren. Der einzelne Wähler gibt also seine
Stimme für die ganze Liste der Partei ab, zu der er Vertrauen hat.
Diese Stimmen werden gezählt und jeder Partei alsdann eine ver-
hältnismäßige Anzahl von Abgeordneten zugebilligt, sodaß zum
Beispiel in einem Wahlkreis die Partei, die ein Drittel aller Stimmen
erhalten hat, auch den dritten Teil ihrer aufgestellten Kandidaten
als Abgeordnete entsenden kann, die ein Viertel erhielt, den vierten
Teil, usw. Und zwar gelten die Namen auf der Liste von oben an
gezählt, daher ist, wie schon gesagt, die Reihenfolge der Namen so
wichtig. Die bedeutendsten Parteivertreter wird man an die Spitze
der Liste stellen. Die Berechnung dieser Verhältniswahl ist eine
sehr verwickelte und schwierige, weil die Zahlenverhältnisse natürlich
nie so einfach sind, wie die genannten Beispiele. Jn kurzen Worten
ist es nicht zu erklären; wer sich dafür interessiert, möge das beigefügte
Aufklärungsblatt studieren, auf dem ein möglichst einfaches und
klares Bild solcher Berechnung gezeigt wird. Das Ergebnis der
Wahl ist also, daß in jedem Wahlkreis diejenigen Parteien am meisten
Abgeordnete erhalten, die die meisten Wähler haben und diejenigen
die wenigsten, die die geringste Stimmenzahl aufweisen, daß aber
doch jeder Partei undjedem Wähler ihr Recht wird, wenn nicht
etwa der Anteil an einer Partei so gering ist, daß er bei der Be-
rechnung nicht in Frage kommt.
Die Notwendigkeit von geordneten Parteiorganisationen wurde
schon in den Eingangsworten betont, weil nur durch solchen Zusammen-
schluß die nötige Stoßkraft zum Durchsetzen bestimmter Forderungen
erreicht wird. Darum geht auch an die Frauen von allen Seiten
der dringende Mahnruf: organisiert euch, schließt euch den politischen
Parteien an, denn nur auf diese Weise könnt ihr politisch wirken.
Nun aber kommt die außerordentlich schwerwiegende Frage für die
Frauen, im Rahmen welcher Partei sollen wir nun wählen, welcher
Partei sollen wir uns anschließen? Diese Frage ist um so schwieriger,
weil die deutsche Revolution vom 9. November auch für das Partei-
wesen einen Umsturz herbeigeführt hat, aus dem erst allmählich sich
etwas neues herausgestaltet. Die meisten Parteiprogramme sind
null und nichtig geworden, die bürgerlichen Parteien haben alle ihre
Namen geändert, sind teilweise auseinandergefallen und haben sich
in einer anderen Gruppierung zusammengeschlossen. Diese Schrift,
die wie gesagt für keine Partei Werbearbeit besorgen will, kann sich
nur darauf beschränken, die neue Parteiordnung anzuführen. Die am
stärksten rechts stehende Partei, die ehemaligen Konservativen, denen
sich noch einige kleinere Gruppen ähnlicher Richtung angeschlossen
haben, nennen sich jetzt: Deutsch-nationale Volkspartei. Das frühere
Zentrum, also die katholisch-politische Partei, heißt jetzt: Christlich
Demokratische Volkspartei. Die Nationalliberalen und die Fortschrittliche
Volkspartei, die den rechten und linken Flügel des Liberalismus
bildeten, haben sich nunmehr, nach Überbrückung einer anfänglichen
bedauernswerten Uneinigkeit, zur Deutschen Demokratischen Partei zu-
sammengeschlossen. Und endlich ist die Partei der Linken, die
Sozialdemokratie, in drei Gruppen getrennt. Die gemäßigte, d. h.
die Mehrheitssozialisten (so genannt, weil sie zu der Reichstagsmehr-
heit gehörten, die im Juli 1917 die Friedensresolution beschloß)
sammeln sich um Ebert und Scheidemann. Die in ihren sozialistischen
Forderungen sehr viel schärfer auftretenden Unabhängigen Sozial-
demokraten werden von Haase und Ledebour geführt. Die aus der
Novemberrevolution hervorgegangene Regierung setzt sich aus Ver-
tretern dieser beiden Gruppen zusammen. Endlich die radikalste der
Linksparteien, die Spartakusgruppe, die bei uns den Bolschewismus
und die absolute Herrschaft ihrer Überzeugung ohne Anteilnahme
der übrigen Parteien an der Regierung, also die Diktatur einer
einzelnen Klasse vertritt, schart sich um Liebknecht und Rosa
Luxemburg. Vom Standpunkt der Frau sei zu diesen verschiedenen
Parteien nur das eine gesagt, daß sie als der körperlich schwächere
Teil der Menschheit dort am sichersten und besten aufgehoben ist, wo
Ordnung, Sitte und Gerechtigkeit regiert, daß sie aber auf alle Fälle
da unterliegen muß, wo eine einseitige Gewaltherrschaft die Oberhand
hat, weil sie der Gewalt gegenüber keine Waffe besitzt.
An dieser Stelle soll noch eine erklärende Bemerkung ein-
geschoben werden, um einer häufig vorkommenden Verwechslung der
Parteinamen entgegenzutreten. Jn den verschiedenen Bezeichnungen
kommt mehrmals das Wort „demokratisch“ in Verbindung mit anderen
Begriffen vor, oder auch das Wort „Volkspartei“. Das ist im Grunde
ein und dasselbe, denn demos ist das griechische Wort für Volk und
bedeutet die Gesamtheit der in einem Staat zusammengeschlossenen
Menschheitsgruppe. Also jede Partei, die für die Anteilnahme des
ganzen Volkes und nicht nur für diejenige einzelner Volksklassen an
der Regierung eintritt, ist eine demokratische. Jn diesem Sinne
sprechen wir auch von der künftigen Gestaltung Deutschlands als von
einer demokratischen Republik. Die Sozialdemokratie verbindet nun
mit diesem Gedanken der Volksherrschaft das Programm ihres
sozialistischen Zukunftsstaates, in dem die Herstellungsmittel in der
Volkswirtschaft, also z. B. Grund und Boden, Arbeitsgebäude, Maschinen,
Rohstoffe, usw. der Allgemeinheit angehören und die wirtschaftlichen
Erwerbsbetriebe aller Art sozialisiert, d. h. vergesellschaftlicht, ver-
staatlicht werden sollen. Die ganz links stehenden rein sozialistischen
Politiker verlangen auch Abschaffung des Privateigentums. Diese Er-
klärung erscheint notwendig, weil noch so oft demokratisch, sozialistisch
und sozialdemokratisch mit einander verwechselt werden.
Bei welcher Partei die wahlberechtigte Frau das Wohl ihres
Vaterlandes am besten aufgehoben glaubt – das zu entscheiden bleibt
dem Gewissen jeder einzelnen überlassen. Unser Wahlrecht ist ein
geheimes, für keinen besteht ein Zwang von außen zur Entscheidung.
Jeder muß so handeln, wie er es vor sich selbst und seinem Volk
verantworten kann. Den Frauen sei dringend geraten, mehr als bis-
her den politischen Teil der Zeitungen zu lesen und politische Ver-
sammlungen zu besuchen, um sich einen eigenen Eindruck davon zu
verschaffen, was die einzelnen Parteien anstreben. Man lernt am
besten aus der Praxis, und man wird nie für etwas reif um das
man sich nicht kümmert. Ferner ist eine persönliche Aussprache mit
politisch erfahrenen Männern und Frauen zur Klärung der eigenen
Anschauung sehr zweckdienlich und notwendig. Welche Frau von der
Wahl sich fern hält, aus welchem Grund es auch sein mag, die stärkt
mit ihrer Stimmenthaltung ihre Gegenpartei. Zählt ihre Stimme
nicht mit, so gewinnt die Gegnerschaft eine Stimme Vorteil bei der
Abzählung. Es ist nun anzunehmen, daß die im öffentlichen Beruf
stehenden Frauen, namentlich die in den Städten, aus eigenem An-
trieb und weil sie durch Berufsorganisationen geschulter sind, ihr
Stimmrecht reichlicher ausüben werden, als die dem Leben außerhalb
des Hauses noch ferner stehenden, die Hausfrauen sind hier besonders
gemeint, und dann die Mädchen und Frauen auf dem Lande. An
diese Kreise muß der Weckruf noch ganz besonders hindringen. Das
muß jetzt von Mund zu Mund gehen, wie ein Lauffeuer, das muß
zünden wohin es kommt, das wird hier und da erst kleine Flämmchen
geben oder nur im verborgenen schwälen, es wird auch noch auf
manch nasses Holz treffen, das nicht brennen will, es wird vereinzelt
nur Strohfeuer bewirken, mit dem der Sache unseres Volks nicht
gedient ist, das sieht nach was aus und schafft doch nichts, aber
schließlich muß doch das ganze eine gute, tüchtige, wärmende Glut
werden, ein leuchtender, brennender Wille in den Herzen: „Jch will
eine ganze deutsche Frau und Staatsbürgerin sein, ich
will meinem Volk und meinem Vaterlande mit meinen
besten Kräften dienen.“
Die erste Probe auf die politische Selbständigkeit und Leistungs-
fähigkeit der Frau wird die Nationalversammlung des Deutschen
Reiches sein, auf deren schleunigste Herbeiführung alle diejenigen
Deutschen hindrängen, die unseren jetzt nur provisorisch regierten Staat
auf eine neue, gesetzliche, vom gesamten Volkswillen gutgeheißene
Grundlage stellen wollen. Zudem weigern sich auch unsere Feinde,
mit einer Regierung Frieden zu schließen, die nicht als gesetzmäßige
Vertretung des ganzen Volkes angesehen werden kann. Gegner der
Nationalversammlung sind die ganz links stehenden Parteianhänger
der Spartakusgruppe, eben weil sie allein die Herrschaft in Händen
haben wollen mit Ausschaltung des nicht auf sozialistischem Stand-
punkt stehenden Bürgertums. Darum ist es in der jetzigen Zeit für
die demokratischen Parteien besonders wichtig, sich fest zusammen
zu schließen und ihre frühere Zersplitterung zu überwinden, weil sie
sonst keine einheitliche Macht und Kraft haben, um ihre Stellung
zu behaupten. Eine große Erschwerung der schnellen Einberufung
einer Nationalversammlung ist erstens der Umstand, daß sämtliche
etwa 40 Millionen wahlberechtigte Deutsche beiderlei Geschlechts zu-
nächst in Wahllisten eingetragen werden müssen, damit der Betrug
einer mehrmaligen Stimmabgabe des Einzelnen verhindert wird, und
zweitens, die Tatsache, daß unendlich viele Staatsbürger, z. B. die
heimkehrenden Truppen, die entlassenen Munitionsarbeiter usw. zur
Zeit nicht ortsansässig sind, ja, daß viele als Gefangene oder als
Besatzungstruppen noch im Ausland sind. Die unter Ebert und seinen
5 Genossen stehende Regierung setzt aber alle Kraft dafür ein, die
Wahl möglichst schnell erfolgen zu lassen. Die Einteilung des Deutschen
Reiches in 38 große Wahlbezirke ist bereits geschehen. Jedem der-
selben ist eine je nach Höhe der Einwohnerzahl berechnete Anzahl
von zu wählenden Abgeordneten zugebilligt worden; zusammen werden
433 Volksvertreter für die Reichsversammlung zu ernennen sein.
Dazu kämen noch die Vertreter der Republik Deutschösterreich, falls
deren Vereinigung mit dem Deutschen Reich zustande kommt.
Mit dieser kurzen Darlegung ist skizzenhaft und in ganz großen
Zügen das notwendigste gesagt, was die Frau von den sie jetzt be-
treffenden Wahlangelegenheiten wissen muß. Es scheint nun aber
doch noch erwünscht, einige ihrer besonderen Aufgaben im Staats-
leben zu betonen, um für ihre Arbeit auch praktische Ziele aufzustellen
und den Beweis zu bringen, daß die Frau ihr neues Recht nicht
umsonst erhalten hat. Jm Eingang war gesagt, daß die Frauen die
Vertreterinnen des Mutterwillens im Staat sein sollen, deshalb wird
auch wohl in allererster Linie jede gesetzliche Verordnung und Für-
sorge, die der Förderung und Pflege des Mutterberufes dienen kann,
ihrer Unterstützung sicher sein. Es ist garnicht an der Tatsache zu
zweifeln, daß dasjenige Volk das lebensfähigste im Kampf ums
Dasein ist, das die gesundesten, tüchtigsten und geistig hochstehendsten
Mütter hat, denn von ihnen hängt die Zukunft, das neue Geschlecht
ab. Es kann zwar nicht genug betont werden, daß kein noch so
ideales Gesetz den schöpferischen Willen zur Mutterschaft hervorbringen
kann, daß gerade diese Frage in das innerlichste, persönlichste Gebiet
der Frau gehören und keinem anderen Gesetz als dem des eigenen
Herzens unterworfen sein dürfen. Aber soweit der Staat Hinderungen
beseitigen und Wege ebnen kann, soweit also sein Einfluß zur
Vermehrung und Erhaltung der Kinderzahl und zum Schutz der
Mütter reicht, muß er jede dienliche Maßregel ergreifen. Die
Schreiberin dieser Zeilen hatte sich eine Liste solcher Gebiete aufgestellt,
an deren Umgestaltung und Ergänzung das weibliche Geschlecht ein
besonderes Jnteresse hat. Bei näherer Betrachtung stellte sich heraus, wie
fast jeder einzelne Punkt eng mit dem Mutterberuf zusammenhängt und
immer wieder auf diese Zentralstelle des Frauendienstes am Volk
hinweist. Soweit die Frauen es können, werden sie es versuchen,
die Ehefrau und Mutter ihrem Familienberuf ganz oder wenigstens
noch teilweise zu erhalten. Da es aber wirtschaftlich unmöglich ist,
alle verheirateten Frauen dem außerhäuslichen Erwerbsleben zu ent-
ziehen, so muß alles dafür getan werden, um die daraus für die
Familie entstehenden Schäden zu mildern. Bei der Kindererziehung
wird jede echte Mutter dem Staat nur so viel Anteilnahme und
Rechte einräumen, als sie selbst ihre Aufgabe an den Kindern nicht
erfüllen kann. Die meisten Arbeiterinnenschutzgesetze gelten der Frau
in ihrer Bestimmung zur Mutterschaft. Und zur Fürsorge der Mutter
gehört die Fürsorge für das Kind: Bewahrung des heranwachsenden
Geschlechtes vor Verwahrlosung und Ausbeutung, z. B. eingreifendere
Maßregeln, als sie bisher bestanden, um Kinder, die durch Veran-
lagung oder durch schlechten Familieneinfluß körperlich oder seelisch
gefährdet sind, in staatliche Erziehung und Fürsorge zu bringen.
Denn die Kinder sind das kostbarste Volksgut, das für sie angewandte
Kapital wird reiche Zinsen tragen. Ferner sei darauf aufmerksam
gemacht, welche traurigen Erfahrungen die Frauenrechtsschutzstellen,
deren Vorhandensein beweist, daß das bestehende Gesetz den Frauen
nicht genügend Recht zukommen läßt, mit den Zuständen machen, zu
denen unsere jetzigen Ehegesetze sehr häufig führen, die dem Mann
allein das Bestimmungsrecht über die Kinder, das Vermögen und
alle wesentlichen Entschließungen der Frau geben, auch dann, wenn
der Mann nicht der Ernährer der Familie ist (d. h. der Erwerb der
Ehefrau steht nicht unter seiner Verwaltung). Auch der geschiedene,
für schuldig erklärte und seiner sonstigen Elternrechte für verlustig
erklärte Mann behält noch die gerichtliche und sonstige Vertretung
seiner Kinder nach außen. Ein Einschreiten des Vormundschafts-
gerichts gegen den Vater ist nur bei groben Mißständen möglich und
bedingt ein langwieriges Verfahren, während dessen die Kinder unter
Umständen schon schwer gelitten haben können, bevor das Gesetz
ihnen Schutz verschafft. Dagegen kann der Vater sein Kind vor
einer schlechten Mutter ohne weiteres in Sicherheit bringen. Gerade
diese Tatsachen beweisen, wie notwendig eine Reform der Gesetz-
gebung unter dem Einfluß der Frau ist. Sie wird es wünschen, daß
sie eine größere Selbständigkeit als Ehefrau erhält und daß eine
andere Verteilung der Elternrechte vom Standpunkt der Gleichstellung
von Vater und Mutter vorgenommen wird.
Die Voraussetzung des Mutterschutzes ist die Bewahrung der
Frau vor geschlechtlicher Gefährdung und Ausbeutung und vor
ihrer sittlichen Verwahrlosung. Es ist dies das traurigste Kapitel
aus der Geschichte des Frauenlebens, ein Kapitel, an dessen er-
schütterndem Jnhalt sie selbst nicht ohne Schuld ist, denn in ihre
Hand ist die Erhaltung der Sittenreinheit in überwiegendem Maß gelegt.
Aber weil sie der körperlich schwächere Teil ist, der sich selbst gegen
Gewalt nicht schützen kann, und weil die sittlichen Anschauungen des
Mannes in vieler Beziehung den ihrigen nicht entsprechen, so haben
Gesetz und Gewohnheit schwere Mißstände geschaffen. Nur mit viel
Selbstüberwindung haben sich die Frauen daran gemacht, in diese
Abgründe hineinzuleuchten, aber zum Wohl ihrer Mitschwestern haben
manche auch diese schwere Arbeit tapfer angegriffen und ihr Streben
zu unterstützen ist für die Wählerinnen Gebot. Jn den Sittlichkeits-
gesetzen werden sie vor allem die Abschaffung der staatlichen Regle-
mentierung der Prostitution in Deutschland fordern, mittelst derer das
Gewerbe der Unzucht ein erlaubtes ist. Man hatte geglaubt, durch die
Einrichtung der polizeilichen ärztlichen Kontrolle der Prostituierten die
Verbreitung der Geschlechtskrankheiten zu vermindern, doch hat die
Erfahrung gezeigt, daß dieser Zweck nicht erreicht worden ist. Die Be-
gründung des Gesetzes fällt also fort und so wirkt es nur als ein
trauriges Zeichen dafür, daß der gesetzgebende Mann eine Unsitte
gut heißt, gegen die sich jedes reine Frauenempfinden empören muß.
Wenn auf irgend einem Gebiet des öffentlichen Lebens Fraueneinfluß
not tut, so ist es auf dem Gebiet der öffentlichen Sittlichkeit. Ver-
besserung der Wohnungsgesetze, Jugendgesetzgebung, Kampf gegen
den Alkoholmißbrauch, Bestrafung der öffentlichen Herausforderung
zur Unsittlichkeit und zwar für beide Geschlechter, das sind nur ein-
zelne Hinweise, für welche Reformen die Frauen einzutreten haben.
Jn der Kriegszeit, in der so unzähliges kostbarstes junges
Menschenleben geopfert worden ist, hat sich die Gesetzgebung auch
mit Maßnahmen befaßt, die der Vermehrung der Geburten dienen
sollen. Bei den Vorbereitungen zu diesen Gesetzen im Reichstag sind
die Frauen nicht einmal zu Rate gezogen worden, noch hat man
ihre bekanntgegebenen Wünsche beachtet. Und wahrhaft empörend
ist es für das weibliche Geschlecht, daß in der Eingabe eines solchen
Gesetzes als einziger Grund für die Verringerung der Geburtenzahl
angegeben worden ist: Die Bequemlichkeit und Genußsucht der Frauen.
Das ist eine unerhörte Entstellung der Tatsachen, es ist geradezu eine
Feigheit, die Schuld allein der anderen an der Abfassung des Gesetzes
nicht beteiligten Hälfte der Menschheit zuzuschieben. „Diesen Schlag ins
Gesicht hinnehmen zu müssen – so schrieb dazu Gertrud Bäumer, die
Führerin der deutschen Frauenbewegung – ist vielleicht das bitterste, was
den Frauen jemals als Geschlecht angetan worden ist, – noch dazu mitten
in einer Zeit der größten Schmerzen, die Mütter je gelitten haben.“
Zu den Mitteln, in einem Volk den Willen zur Fortpflanzung
zu stärken, rechnen die Frauen das Jdeal einer gesunden Elternschaft,
die von Mann und Frau gleichmäßig hoch gehalten wird, und aus dessen
Boden sich daher auch die öffentliche Sittlichkeit stellen muß. Ohne
Anteilnahme der Frau an der Gesetzgebung wird dieses Ziel nicht
erreicht werden.
Noch einem anderen, wichtigen Kapitel seien einige Worte
gewidmet, – der Schule. Bei der bevorstehenden großen Reform,
welche die staatliche Einheitsschule für den grundlegenden Unterricht
der Kinder aller Volksschichten fordert, werden die Frauen nachdrück-
lich dafür einzutreten haben, daß den Mädchen das gleiche Recht
zukommt wie den Knaben, was bisher nicht geschah. Gemeint ist
hier nicht eine vollkommene Gleichartigkeit des Unterrichts, wenigstens
nicht immer und überall, wohl aber eine Gleichwertigkeit. Lediglich
aus Gründen der Verbilligung des Schulwesens darf die Mädchen-
bildung nicht anders sein als die der Knaben. Und die Mädchen-
schulerziehung muß noch weit mehr als bisher in der Hand und
unter der Oberleitung der Frau sein. Dieselben Forderungen gelten
für den Fortbildungsunterricht, in dem auch der wirtschaftlichen Aus-
bildung der Mädchen als künftige Hausfrauen und Mütter gedacht
werden muß.
An die Schulerziehung schließt sich die Berufsausbildung, auch
da muß es heißen, entsprechend unserem jetzigen deutschen Losungs-
wort: „Freieste Bahn der tüchtigen Frau.“Der natürliche Wett-
bewerb wird entscheiden, wohin sie paßt und wohin nicht, weder
Mann noch Frau dürfen aus einer Arbeit vertrieben werden, die sie
nach ihrer Begabung gut auszufüllen vermögen. Durch Ehe und
Mutterschaft wird indessen die Stellung der Frau zum Beruf immer
eine andere sein als die des Mannes. Um den ungesunden Wett-
bewerb zwischen den beiden Geschlechtern zu beseitigen, gilt es vor
allem eine grundsätzliche Forderung an die Volkswirtschaft durchzu-
setzen, das ist: gleicher Lohn für gleiche Arbeitsleistung.
Solange noch ein Arbeitgeber einen Mann entlassen kann, um statt
seiner eine weibliche Arbeitskraft einzustellen, weil sie ihm dieselbe
Arbeit billiger leistet, ist etwas fehlerhaft im Wirtschaftsleben, und
dieser Fehler muß sich rächen. Jn der Praxis wird voraussichtlich
im Durchschnitt der Mann wegen seiner größeren körperlichen Kraft
und Ausdauer und wegen seiner männlichen mehr verstandesmäßigen
Veranlagung höheren Verdienst erzielen als die Frau. Aber die
Unterbietung des Mannes durch die Frau, und die Lohndrückung
der Frau, das muß aufhören.
Es ist selbstverständlich unmöglich für den Einzelnen, von allen
solchen Fachfragen eigene Kenntnisse zu besitzen, das haben die wahl-
berechtigten Männer von ihren Jnteressen auch nur zum kleinen Teil,
aber die Frauen können und müssen nun dafür sorgen, daß kluge
und warmherzige Abgeordnete ihres Geschlechts in die Volks-, Ge-
meinde- und Berufsvertretungen hineinkommen, die an ihrer Stelle
wirken. Und dafür sollen die besten und bedeutendsten deutschen
Frauen gerade gut genug sein. Zum Glück haben wir in der
bürgerlichen und sozialdemokratischen Frauenbewegung schon eine
ganze Anzahl zu solchem Zweck vorbereitete Persönlichkeiten. Die
Frauen müssen es erreichen, daß solche in genügender Zahl und an
erfolgreichen Plätzen auf die Abgeordnetenlisten gesetzt werden und
haben sich mit diesen Vertreterinnen zu verständigen.
Über alle eigenen Wünschen hinaus muß es aber immer wieder
den neuen Wählerinnen eingeprägt werden: nicht nur um eurer selbst
willen erhieltet ihr die politischen Rechte, ihr tragt jetzt mit die
Verantwortung für das Ganze. Deutschlands, eures Heimats-
landes, eures Volkes Wohl, – das muß euch über alles gehen.
Soviel kostbares Blut ist um seine Verteidigung geflossen, soviel
Arbeit, Entbehrung und Schmerz haben Männer und Frauen um
dieser Heimat willen zu ertragen gehabt, diesem Land zu dienen
und es nach der schweren Niederlage neu wieder aufzubauen, das
soll die erste Losung aller Wähler sein, vor ihm gilt nicht Mann
noch Weib, vor ihm gibt es nur Deutsche.
Dieser Weckruf an die Frauen soll nicht zum Abschluß kommen,
ohne noch auf einige Gedanken einzugehen, die sie als gewissenhafte
Menschen in ihre Betrachtung mit hinein ziehen müssen, weil von
ihrer Lösung Wert oder Unwert der politischen Tätigkeit der Frau
abhängt. Es gilt eine Antwort zu finden auf die Frage: Wie
können die Frauen an dem Kampf der öffentlichen Meinung teil-
nehmen, ohne mit ihren nächstliegenden Pflichten in Widerstreit zu
geraten, und ohne etwas von ihrer Weiblichkeit dabei einzubüßen?
Denn auch darüber steht das alte Wort: Was hülfe es dem Menschen,
wenn er die ganze Welt gewönne und nähme doch Schaden an
seiner Seele!
Da sind zunächst die äußeren Formen des politischen Kampfes,
schön, moralisch hoch stehend sind sie nicht. Was im bürgerlichen
Leben kein anständiger Mensch dem anderen an Beleidigendem sagen
würde, das werfen sich recht häufig die Politiker in ihren öffentlichen
Streitreden an den Kopf. Jm Grunde denken sie garnicht persönlich
so geringschätzig von einander, es ist nur die Form, der leidenschaft-
liche Ausdruck für die erhitzte Überzeugung. Es ist begreiflich, daß
sehr viele Frauen, und darunter manche der besten, sich so davon
angewidert fühlen, daß sie lieber auf alle Rechte Verzicht leisten, als
daß sie sich zu solchem Gezänk hergeben. Liegt aber darin nicht
vielleicht auch ein gut Teil Bequemlichkeit, Selbstsucht und moralische
Überhebung? – und wäre es nicht besser, wenn sie statt dessen sagten:
Wir wollen uns dafür einsetzen, wir wollen wenigstens den Versuch
machen, daß durch unsern Einfluß die Formen an Häßlichkeit und
Schärfe verlieren. Wir müssen uns selbst zu gut sein, um in den
eingerissenen gehässigen Ton einzustimmen. Es hat schon mancher
Mann die Hoffnung ausgesprochen, daß mit Eintritt der Frau in
das parlamentarische Leben eine Verfeinerung der politischen Sitten
einziehen würde. Zum Trost sei auch gesagt, daß der eigentliche
politische Wahlkampf nur von den Führern und ihren direkten Helfern
ausgefochten wird. Der gewöhnliche Bürger kann seine Überzeugung
bilden und danach handeln, ohne unausgesetzt im öffentlichen Streit
zu stehen. Ein anderes ist die Frage: Werden die Frauen es ver-
stehen, die sachlichen Jnteressen von den persönlichen zu trennen, oder
werden sie das häßliche Gefühl eines gelegentlichen Beleidigtseins im
öffentlichen Leben mit hineinnehmen in ihren Familien- und Freund-
schaftsverkehr? Das ist ein Punkt, der fraglos manchen schwer werden
wird. Sie können nun einmal ihren Verstand nicht immer kühl über
ihr Herz stellen, sie fassen alle Dinge mit dem persönlichen Gefühl
auf. Darin liegt ja zugleich auch die ganze große Stärke der
mütterlichen Frau, denn Mutter sein heißt das wärmste Empfinden
haben, das es auf dieser Erde gibt. Aber es wird zu einer Schwäche,
wenn aus der Fähigkeit zu lebendigem Empfinden eine störende
Empfindlichkeit wird. Die Sache, für die sie eintreten, für
wichtiger zu halten, als sich selbst, darauf kommt es an, und daran
zu denken, daß der Gegner seine Meinung so hartnäckig verteidigt,
um der Sache zu dienen, und nicht um jemanden zu kränken. Bei
Sportleuten, z. B. bei Ringkämpfern, ist es eine gute Sitte, daß sich
nach beendetem Kampf Sieger und Besiegter die Hand schütteln, zum
Zeichen, daß der Kampf und sein Ausgang die persönliche Achtung
des einen Menschen vor dem anderen nicht beeinträchtigt; gerade so
sollte es im politischen Leben sein.
Und was die Zeit betrifft, die die Politik der Frau kosten wird,
so sei erst einmal daran erinnert, wie viel Muße sie oft noch zu
überflüssigem Gerede hat. Wenn von der Zeit etwas dem Gesamt-
wohl gewidmet würde, so brächte das keinen Schaden. Wohl werden
bei den meisten Frauen Jahre sein, namentlich wenn sie kleine Kinder
zu versorgen haben, in denen es für sie schwer ist, Kraft und Zeit
noch an äußere Pflichten zu setzen; aber es gibt doch auch andere
Jahre vorher und nachher, in denen die Möglichkeit vorhanden ist,
hin und wieder eine Versammlung zu besuchen und sich mit den
öffentlichen Angelegenheiten zu beschäftigen. Die Anteilnahme an
Jnteressen außerhalb seiner einförmigen Alltagsarbeit hat schon manchem
Menschen neue Kraft und Freudigkeit gebracht, und das Gefühl einer
höheren Verantwortung als der für das eigne kleine tägliche Leben
bedeutet schon jetzt für Unzählige Erhöhung und Erhebung aus
Selbstsucht und Stumpfheit.
Ferner, es darf nicht der Frauen Ehrgeiz sein, den Mann nach-
zuahmen. Der Wert ihrer Anteilnahme an der Politik kann nur
darin liegen, daß sie das Beste ihrer weiblichen Art mit hineintragen
in ihre Arbeit am Gesamtwohl. Verfallen sie in die Wesensart
der Männer, so müssen sie unterliegen, denn sie sind ihnen an äußerlicher
Kraft nicht gewachsen. Es muß ihnen stets eine Ehre bleiben, wenn
man es ihrer Arbeit ansieht, daß eine Frau sie gemacht hat, und
die beiden Begriffe, ein weibischer Mann und ein männisches Weib
sollen gleich verächtlich sein.
Und nun das allerletzte: Wie finden die Frauen eine gesunde
Vereinigung der beiden großen Pflichtenkreise, der Pflicht nach innen
zu gegen ihr eigenes Herz, gegen ihre Familie, gegen Mann und
Kinder und auf der anderen Seite gegen das öffentliche Leben, sei
es im Beruf oder im Dienst am Gemeinwohl. Die Frau früherer
Zeiten hat diesen Doppelanspruch nicht gekannt, sie hatte ihre Arbeit
nur in der Familie, und was sie als Bäuerin, Landarbeiterin, Hand-
werksmeisterin, Spinnerin, Näherin usw. leistete, spielte sich alles im
selben Gebiet beziehungsweise im Berufskreise des Ehemannes oder
Vaters ab. Diese Einheitlichkeit der Pflicht hat die Entwicklung der
letzten hundert Jahre sehr vielen Frauen genommen, und daran läßt sich,
mag man es noch so sehr bedauern, nichts ändern. Es bleibt ihnen
nur übrig, mit dieser Schwierigkeit irgendwie fertig zu werden. Die
Hereinziehung der Frau in die öffentliche Volkswirtschaft war die
Ursache zu dieser zwiefachen Belastung, die ihr jetzt übertragene
Mitverantwortung für das Staatsleben ist nur eine unausbleibliche
Folge der genannten Entwicklung, die früher oder später doch einmal
eingetreten wäre. Eine Vereinigung der doppelten Aufgaben kann
nur dadurch allmählich gefunden werden, wenn der Versuch gelingt,
für beide Gebiete einigermaßen Raum zu schaffen und sie zugleich
nicht als völlig getrennte zu betrachten; wenn z. B. die Hausfrau
als Einkäuferin und Verbraucherin der Waren weiß, daß sie mit
einem Gut umgeht, das ein Teil des gesamten Volksbesitzes ist, wenn
die MuterMutter daran denkt, daß sie in ihren Kindern gesunde und wert-
volle Menschen für ihr Volk heranzuziehen hat. Und andererseits
wenn die in der Öffentlichkeit Stehende sich Kraft und Wärme zu
ihrem Tun aus dem persönlichen Leben schöpft und durch ihre Arbeit
mit dazu beiträgt, daß die Frauen ihre Art behaupten und immer
reicher entfallen können. Mit ganzer Seele muß dafür eingetreten
werden, daß der Frondienst so mancher Frau, deren Kraft von der
Doppelbelastung vollständig aufgesogen wird, die nichts anderes ist
als ein armes Lasttier, aufhört, daß vielmehr jeder Frau noch die
Möglichkeit bleibt, ein Mensch um ihrer selbst willen zu sein und den
berechtigten Bedürfnissen des eigenen Herzens zu folgen.
Es sind das große und wohl niemals ganz erreichbare Jdeale,
die hier aufgestellt wurden, aber am Anfang eines Weges sich das
Ziel vor Augen zu halten, ist das wichtigste, sonst gerät man von
vorn herein in falsche Richtungen und muß sich mühsam durch Ab-
und Jrrwege hindurchtappen. Die Frauen tragen von jetzt ab
im vollsten Umfang die Mitverantwortung für das Wohl
ihres ganzen Volkes, ihres Staates. Dies Bewußtsein muß
in sie eingehämmert werden, möchten sie diesen Gedanken als den
wesentlichen Jnhalt dieser kleinen Schrift in ihren Kopf und in ihr
Herz aufnehmen und ihm weiter nachsinnen.