I.
Mord an ſeiner Frau, um ihre Seele
zu retten.
Auf einem Dorfe ohngefaͤhr eine ſtarke Meile
von Dresden, Birnichen mit Namen, lebte
vor wenig Jahren ein Bauer, Namens Heine;
er beſaß einiges Vermoͤgen, und einen unbe-
ſcholtenen Ruf, ſo lang er ledig blieb. Aber
kaum war er verheirathet, als ihn die Eifer-
ſucht ſeiner Frau oft aus dem Hauſe trieb,
und die Geſellſchaft ſeines Schwiegervaters zu
Trunk und Spiel verleitete. Er verließ nach-
her zwar den Ort, wo er bisher gelebt hatte,
und kaufte in einem andern Dorfe ein anſehn-
liches Gut; doch da er auch hier ſein unordent-
A
liches Leben fortſezte, und da weder er ſelbſt,
noch ſeine Frau der Landwirthſchaft ſich thaͤ-
tig annahmen, ſo geriethen ſie von Tag zu
Tag in mehrern Verfall ihres Vermoͤgens;
die Schuldner klagten; der Tag der Huͤlfs-
vollſtreckung war bereits angeſezt; ſeine Bruͤ-
der, die wohlhabend und bis izt ſeine lezte
Hoffnung geweſen waren, ſagten ſich von ihm
los, und ſein Ruin war entſchieden.
Doch alles dies war nur geringes Leiden
gegen einen andern taͤglichen Verdruß. Sei-
ne Frau naͤmlich, die den Gedanken der heran-
nahenden Armuth noch weit weniger, als er
ſelbſt, ertragen konnte, unterließ nicht, ihn
jeden Augenblick mit Vorwuͤrfen zu uͤberhaͤu-
fen. „Er allein, hieß es, habe ſie in dieſes
unuͤberſehbare Elend geſtuͤrzt, wo der Bettel-
ſtab, wo Schimpf und Qual ihrer warteten,
und wovon nur ein freiwilliger Tod ſie erloͤ-
ſen koͤnne. Naͤchſtens ſey ſie entſchloſſen, den-
ſelben ſich anzuthun: denn unmoͤglich koͤnne
dort, wenn ſie auch ungerufen komme, ein ſo
großer Jammer ihr beſtimmt ſeyn; wohl aber
muͤſſe die ganze Laſt ihrer Verdammung immer
und ewig auf demjenigen ruhen, der ſie zu die-
ſem Schritte gedraͤngt habe.“
Dieſe lezte Drohung erſchuͤtterte ihn tief:
er hoͤrte ſie ſo oft und mit ſo ernſtlichem Tone
wiederholt; ſpuͤrte in ſeiner Gattin uͤbrigen
Handlungen einen mit jedem Tage ſo ſicht-
lich wachſenden Tiefſinn, daß er an der
Wahrheit ihres Entwurfs nicht zweifeln
konnte, und fuͤhlte daher das Beſorgnis
eines traurigen Endes auch taͤglich bei ſich
gemehrt. — Vorſtellungen aus Gruͤnden der
Religion wirken tiefer, als alle irdiſche; das
iſt eine gewoͤhnliche und auch hier beſtaͤrkte
Wahrnehmung. Jhm, der bisher mit ruhi-
ger Gelaſſenheit ſich dem Abgrund der aͤußer-
ſten Duͤrftigkeit genaͤhert hatte, war der Ge-
danke, Schuld am Verderben einer Seele,
zumal der Seele ſeiner Frau, zu ſeyn, — war
die Vorſtellung von der Anklag' in jenem Le-
ben ſo ſchrecklich, daß er alles zu thun be-
ſchloß, um ſolcher, es ſey auf welche Art es
A 2
wolle, los zu werden. Der Verluſt ſeines
eignen Lebens, wo er nur Elend und Gewiſ-
ſensbiſſe ſeiner warten ſah, war ihm hierbei
eine Kleinigkeit, und es erhob ſich im Jnnern
ſeines Herzens ein Gedanke, der bald zum
Vorſaz ward; zum feſten Vorſaz, ſeine
Frau umzubringen, eh ſie ſelbſt Hand an
ſich lege; zuvor aber, da nicht Haß, ſon-
dern wahre Liebe zu dieſem ſchrecklichen Vor-
haben ihn verleite, auch alles zu thun, was
ihre Seele zu retten dienlich waͤre.
Sein erſtes Beſtreben ging nunmehr da-
hin, ihr wieder Hoffnung zur Verbeſſerung ih-
rer Gluͤcksumſtaͤnde zu machen. Es gelang ihm
durch falſche Nachrichten, die er ihr von ſei-
nem Advokaten und von ſeinen Bruͤdern brach-
te. Die arme Ungluͤckliche glaubte bald, was
ſie ſo eifrig wuͤnſchte, und fing an ſich von
neuem aufzuheitern. Kaum merkt' er dieß,
als er ihr vorſchlug, das heilige Abendmal zu
genießen; auch dazu war ſie willig, und beide
empfingen es mit moͤglichſter Andacht; er be-
tete ſelbſt mit ihr, ſprach viel vom Sterben,
kurz that alles, was, ſeiner Einfalt nach,
ihm faͤhig zu ſeyn duͤnkte, ſie, unbemerkt und
unwiſſend, zu dem nahen wichtigen Schritt
vorzubereiten.
Jndeß nahte ſich der zur Huͤlfsvollſtreckung
beſtimmte Tag. Er wandte heimlich alles
moͤgliche an, um ihn noch zu entfernen; jedoch
umſonſt; und als er nun alles verloren ſah,
ſezt' er den Abend vorher zur Vollbringung ſei-
nes Vorhabens an. Er war in der Stadt gewe-
ſen, und taͤuſchte, als er heim kam, ſeine Frau
von neuem mit den guͤnſtigſten Nachrichten.
Sie ging froh zu Bette; er ſezte ſich vor daſſel-
bige, ſprach mit ihr von verſchiednen kuͤnftigen
Einrichtungen, las ihr einige Kapitel aus der
Bibel und einige Gebete vor, und ſo entſchlief
ſie. — Kaum ſah er dieß, als er zu dem be-
reit liegenden toͤdtlichen Gewehr, einer gelade-
nen Flinte, eilte; er druͤckte ſolche auf ſie los,
und ſie ſtarb, ohne ſelbſt zu wiſſen, wie? Sein
Rufen ſowohl, als der Schuß, erweckten das
A 3
Hausgeſinde; ſein Geſtaͤndniß ſezte alle außer
ſich; nur Er blieb gelaſſen, und ſchickte ſelbſt
nach den Gerichten, denen er ſich willig gefan-
gen gab; die ganze Zeit ſeiner Haft hindurch
den erſten Muth beibehielt, und endlich ſeine
Strafe mit einer Unerſchrockenheit litt, die
jeden Zuſchauer zum Mitleid bewegte.
Wie viel hier Stoff zur Ausſchmuͤckung
und Verſchoͤnerung vorraͤthig waͤre, ſieht jeder
leicht. Mit Vorbeilaſſung alles deſſen frag'
ich blos: Wo iſt derjenige, der mir unwider-
ſprechlich ſagen kann, daß dieſer arme Jnqui-
ſit gut oder boͤſe, mitleidig oder grauſam ge-
handelt habe? Ob ein ſtaͤrkerer Beweis gut-
gemeinter Liebe moͤglich geweſen ſey? und
ob nicht ein ſolcher Fehltritt, der vor menſch-
lichem Richterſtuhl allerdings des Todes werth
war, vor jenem hoͤhern Tribunal ein ver-
zeihlicher, wo nicht gar verdienſtli-
cher Jrrthum geweſen ſeyn duͤrfte. —
O ihr Kenner des menſchlichen Herzens! ihr
wollt zuweilen ein Faͤltchen deſſelben entwi-
ckeln; aber Milliontauſend entſchluͤpfen euch.--
Und ihr Aufzeichner menſchlicher Begebenhei-
ten, was gilt's, bei eben erzaͤhlter Begeben-
heit ſtand in zwoͤlf Zeitungsblaͤttern: „Den
und den Tag ward gerichtet N. N. Er hatte
liederlich ſein ganzes Vermoͤgen verſchwen-
det, und dann ſeine Frau umgebracht“ —
Kein unwahres Wort, und doch jedes ſo falſch!
A 4
II.
Unkeuſche, Moͤrderin, Mordbrenne-
rin, und doch blos ein ungluͤckli-
ches Maͤdchen.
Größtentheils wörtlich, und gewiß ohne Aus-
laſſung eines Umſtandes aus einem Briefe
gezogen, den ich vom 18ten April 1785 aus
Liefland erhielt, und für den ich hier noch-
mals dem freundſchaftlichen, wiewohl mir
unbekannten Hrn. Einſender danke. Jch
machte ſie zuerſt in meiner damaligen Quar-
talſchrift unter der von ihm ſelbſt gegebnen
Ueberſchrift: Mörderin, Unkeuſche und Mord-
brennerin, doch aber nur ein gutes, Mitleid
verdienendes Mädchen bekannt. Jn der deut-
ſchen Monatſchrift, Junius 1790, erzählte
ſpäter nachher Hr. Regierungsreferendar
Schwarz unter dem Namen, Natalie, eine
Begebenheit, die allerdings ſehr viel Aehn-
lichkeit von der obenſtehenden hat, doch aber
in verſchiednen Umſtänden abweicht.Ein angeſehner Kaufmann zu Nowogrod
hatte nur eine einzige Tochter, und ſparte um
deſto weniger bei ihrer Erziehung Muͤhe und
Koſten. Beide waren auch nicht vergebens
angewandt. Das Maͤdchen hatte, als ſie
herangewachſen, alle Eigenſchaften, die man
jezt von einem wohlgebildeten Frauenzimmer
fordert; und beſaß uͤberdieß noch ein gutes,
unverdorbenes Herz. Kein Wunder daher,
daß dieſes reizende Geſchoͤpf bald ein Augen-
merk vieler junger Maͤnner ward; und daß
manche Muͤtter bei ihrem Anblick mit ſehnli-
chem Wunſch an die Lieblinge unter ihren
Soͤhnen dachten.
Jezt, als ſie ſo eben kaum zur voͤlligen
Bluͤthe gekommen war, bewarben ſich zwei
Kaufleute um ſie. Auch hier fand ſich der
ſo gewoͤhnliche Fall: daß der angenehmere
Mann nicht reich, der Reichere nicht angenehm
war; daß dieſer an den Vater, jener ans
Maͤdchen ſelbſt ſich wendete; und daß die-
ſer aͤlterliche Vertroͤſtung, jener aber Gegen-
liebe erhielt. Als der Vater, in der Perſon
ſeines Beguͤnſtigten, der Tochter einen kuͤnfti-
gen Gemal vorſtellte, ſparte dieſe weder Bit-
ten, noch Gruͤnde, noch Schmeicheleien um ihn
A 5
zu bewegen: daß er ſeine Wahl gegen die ihrige
umtauſche; aber ſie erreichte nur halb ihren
Zweck. Er liebte ſeine hoffnungsvolle Tochter
ſo innig, daß er ihr endlich mit Wort und Hand-
ſchlag verſprach, nie einen Mann ihr aufzu-
dringen; aber er beſtand dagegen auch ernſt-
lich, und vielleicht gar mit einiger Schaͤrfe
darauf: daß ſie ihrem Guͤnſtling nicht minder
entſagen ſolle; und das Ende vom Liede war:
daß wirklich beide abgewieſen wurden.
Das Maͤdchen hatte das Verſprechen, ih-
ren Liebhaber zu verabſchieden, in wahrem
Ernſte gethan. Als ſie aber nachher hoͤrte,
daß er, ihrer anſcheinenden Haͤrte ungeachtet,
eben ſo ſtandhaft auf ſeiner Neigung beharre,
als jener vaͤterliche Guͤnſtling ſich bald zu troͤ-
ſten gewußt habe; da blieb freilich immer noch
ein Funken der alten Zaͤrtlichkeit zuruͤck; und
ſo ſtandhaft ſie eine geraume Zeit hindurch
ſeine wiederholten Bewerbungen abwies; ſo
brachte er es doch durch Beſtechung einer Auf-
waͤrterin, und zwar einer, die nicht vom lezten
SchlageMan pflegt den Ruſſinen ſchon als Kin-
dern in der Wiege eine Aufwärterinn zu ge-
ben, die nachher durch ihr ganzes Leben bei
ihnen bleibt, und mir viel Aehnlichkeit mit
jenen Ammen der Alten zu haben ſcheinen,
die wir im Homer, Terenz, und andern Or-
ten treffen, und die gewöhnlich ihrer Säug-
töchter Freundinnen bis zur Mannbarkeit
und ſelbſt bis in ihr Alter blieben. war, endlich dahin, daß ſie ſich
wieder etwas von ihm vorerzaͤlen ließ; daß
ſie bald darauf abermals ſeine Briefe, und
zulezt gar ſeine Beſuche annahm.
Als ſie einſt ſo beiſammen in Geſpraͤchen
der Liebe, und zwar wirklich unſchuldigen Ge-
ſpraͤchen ſaſſen, trat die Alte beſtuͤrzt herein,
und meldete die Ankunft des verreiſt geweſenen
Vaters. Jn dieſer Angſt war kein anderer
Rath, als den Geliebten ſchnell ins Bette zu
verbergen, und ihn mit einer Menge Feder-
kiſſen aufs beſte zuzudecken. So empfing man
den Vater. Dieſer ſetzte ſich gerade aufs
Bette hin, blieb eine geraume Zeit drauf ſiz-
zen, und ging endlich, nach mancher langen
Erzaͤhlung, die ſeine Tochter ihm gern geſchenkt
haͤtte, ohne etwas zu merken, hinweg. Das
Maͤdchen eilte nun ſofort ihren Liebhaber zu
befreien. Die Eilfertigkeit, mit welcher ſie
die Federbetten hinwegriß, kann man leicht
ſich vorſtellen; aber kaum das Schrecken, mit
welchem ſie ihn todt, todt durch ihre Schuld
erfand. Denn der Vater hatte ſich gerade auf
den Kopf dieſes Ungluͤcklichen geſetzt. Mit ei-
ner Standhaftigkeit, die wohl Heldenmuth
genannt zu werden verdient, hatte dieſer Leztere,
ſelbſt in den Todesaͤngſten, ſich nicht geruͤhrt,
und war erſtickt. — Ein ſolcher Anblick war
ſchrecklich, oder vielmehr toͤdtend beinahe fuͤr
das arme Maͤdchen. Nichts ließ ſie unverſucht,
ihren Geliebten ins Leben zuruͤckzurufen; alles
umſonſt. Und was nun mit dem Leichname an-
fangen? Sich iezt der Haͤrte eines Vaters
ausgeſezt, einer gerichtlichen Unterſuchung
blos geſtellt, vielleicht gar mit Kerker und
Leibesſtrafe belegt zu ſehen! Wie fuͤrchterlich
war dieſe Ausſicht. Der Rath der alten
Kuplerin fand daher endlich Beifall. Der
Bediente ihres Vaters, ein haͤßlicher Kerl von
Leib und Seele, liebte den Trunk, und be-
durfte Geld. Jhm wollte man eine anſehn-
liche Belohnung verſprechen, wenn er den
Leichnam naͤhme und im naͤchſten Kanal wuͤr-
fe. Liebe und Schmerz machten noch manche
Einwendungen dagegen; aber Nothwendig-
keit drang endlich durch.
Die Alte ging den Kerl aufzuſuchen; aber
ſchrecklich war die Antwort, mit welcher ſie
wieder kam. Denn kaum hatte dieſer Boͤſe-
wicht vernommen, was er thun ſollte, ſo
uͤberſah er auch ſchon die Verlegenheit ganz,
in welcher die beiden Frauensperſonen ſich
befinden muͤßten; war zur Wegſchaffung des
Leichnams zwar erboͤtig; foderte aber zum
Lohn dieſes Dienſtes: daß ſeine Gebieterin
ſeinen viehiſchen Luͤſten ſich uͤberlaſſen ſollte.
Vergebens hatte die Aufwaͤrterin ihm Geld
uͤber Geld verſprochen; vergebens ſich ſelbſt
zur Befriedigung ſeiner Wolluſt angeboten;
vergebens, auf ſein Hohngelaͤchter, eine juͤn-
gere Liebſchaft zu verſchaffen, ſich verbindlich
gemacht. Er blieb bei ſeinem Begehren, und
ſie mußte die Nachricht uͤberbringen.
Mit aͤußerſtem Abſcheu lehnte das Maͤd-
chen dieſen Vorſchlag ab. Der Bediente ward
ſelbſt gerufen; ſie bot ihm zum Geſchenke al-
les an, was ſie von baarem Gelde beſaß.
Sie bot ihm ſogar ihre Juwelen, die — da
ſie eine Ruſſin war, — auf hohen Werth
ſich beliefen. Sie erklaͤrte ſich mit der moͤg-
lichſten Entſchloſſenheit, daß ſie in ſein vo-
riges Verlangen nie willigen werde. Aber
der verſtockte Nichtswuͤrdige beharrte auf ſei-
ner Bedingung; und drohte endlich, als das
Weigern ihm zu lange waͤhrte, ſofort hinzu-
gehen, und der Obrigkeit alles, alles anzu-
zeigen.
Jezt, da der Jammer immer groͤßer wur-
de; der Morgen nicht mehr fern war; iener
Boͤſewicht ſich wirklich bereits zum Weggehn
anſchickte; entfernt ihn die Alte noch auf ei-
nige Augenblicke, und fiel ihrer Pflegetoch-
ter weinend zu Fuͤßen. Sie ſtellte ihr die
Groͤße und Naͤhe der Gefahr, die Leichtigkeit
ſich zu retten, das Verſchwiegenbleiben einer
zwiefachen Schmach vor. Sie erinnerte ſie
an die Dankbarkeit, die ſie ihr ſchuldig ſei,
an die Knute, die ihr als Unterhaͤndlerin
unausbleiblich drohe, und an den Verluſt
des eignen Gluͤcks und aller vaͤterlichen Lie-
be. Kurz, ſie brachte es endlich dahin,
daß das arme Geſchoͤpf nachgab, und zit-
ternd, wie ein Opferthier, in einen Schritt
willigte, ſtatt deſſen ſie nachher lieber zwie-
fachen Tod erwaͤhlt haͤtte.
Der Leichnam ward nun fortgeſchafft. Nie-
mand errieth am andern Morgen, als er ge-
funden ward, ſein wahres Schickſal. Aber
jener Bediente, im Beſiz zweier ſo wichti-
gen Geheimniſſe, konnte nun fortan ſo viel
Geld bekommen, als er wollte, und ergab
ſich eben daher dem Trunk immer ſtaͤrker.
Als er nach Verlauf von ein paar Monaten
ſchon oft mit Angabe gedroht, und, was er
verlangte, auch wirklich ertrozt hatte, ſaß er
einſt, wie gewoͤhnlich, in einer Kabakke oder
Schenke und zechte mit ſeinen Gefaͤhrten, bis
er halb ſinnlos wurde. Ju dieſem Zuſtande
fragten ihn die Kameraden, denen ſchon laͤngſt
ſein Ueberfluß an Gelde bedenklich geſchienen
hatte, um die Urſache ſeines vermehrten Wohl-
ſtandes; aller Beſinnungskraft fuͤr die Zu-
kunft jezt verluſtig, antwortete er ihnen mit
einer Menge Großſprechereien, und um ihnen
ſein Gluͤck recht begreiflich zu machen, um ih-
re Zweifel zu widerlegen, ſchickte er als-
bald einen von den Aufwaͤrtern zu der
Tochter ſeines Herrn, und ließ ihr entbieten:
ſie ſolle ſofort kommen, und zwanzig Rubel
ihm mitbringen.
Das arme Maͤdchen, unwiſſend, wie ſie
ſich anders helfen koͤnnte, ſendete ihm dieſel-
ben wirklich. Aber dieſer Schaͤndliche, unzu-
frieden, daß ſie nicht ſelbſt komme, ſchickte
das Geld zuruͤck, und verlangte: ſie ſoll' es
ihm eigenhaͤndig uͤberbringen. Jn immer
wachſender Verlegenheit glaubte die Ungluͤck-
liche: Gewinn werde ihn beſaͤnftigen; und
verdoppelte daher die Summe. Doch eben
dadurch ward das Ungeheuer nur noch mehr
aufgebracht, und er ließ ihr drohen, alles
was er wiſſe zu entdecken, wenn ſie nicht ſo-
fort ſich einſtelle. Umſonſt ſtraͤubte ſich die
Bedauernswuͤrdige gegen dieſen ſchmaͤhlichen
Gang. Jene alte Kuplerin, die ſich nun ſelbſt
ſeit geraumer Zeit ſchon mit dem Bedienten
verſtand, drang abermals in ſie, und ſie ging.
Als ſie in die Schenke kam, uͤberhaͤufte ſie
der ſinnloſe Trunkenbold mit den haͤrteſten
Vorwuͤrfen; ſie ſuchte ſich auf die ſanftmuͤ-
thigſte Art bei ihm zu entſchuldigen; aber er
hoͤrte nicht drauf, nannte ſie eine Hure, und
ſchlug ſie. Dieſer Schimpf, in ſo vieler Per-
ſonen Gegenwart, unter den Augen der niedrig-
ſten Klaſſe von Menſchen ihr zugefuͤgt, war all-
B
zugroß, und uͤberſtieg alles bereits Erduldete.
Erſt rollten ihr einige Thraͤnen von der Wange
herab; dann eilte ſie ſchnell heraus; ein Licht
ſtand ihr draußen imWege; vom Schmerz ganz
außer ſich, ergriff ſie daſſelbige, und ſteckte,
von niemanden bemerkt, die hoͤlzerne Kabakke
beim Eingang in Brand. Das Feuer fraß
ſofort um ſich; das trockne Geſparr loderte
wie Schwefel auf; die Wache eilte zu ſpaͤt
herbei; alles Loͤſchen war vergebens; die
Schenke verbrannte; und — ſchrecklich ge-
nug! — alle in ihr befindliche Trunkenbolde,
12 an der Zahl. Man haͤtte gewiß der eignen
Unvorſichtigkeit dieſer Menſchen die Schuld des
ganzen Ungluͤcks beigemeſſen; aber die Thaͤte-
rin trat ſogleich zur Wache, uͤberlieferte ſich
ihr, und bekannte, was ſie gethan habe.
Man verhaftete ſie, unterſuchte den ganzen
Vorfall, und uͤberſchickte eine genaue Erzaͤh-
lung davon an die Monarchin.
Jn Deutſchland waͤre fuͤr die Verbrecherin
Lebensfriſtung unmoͤglich geweſen. Aber Ka-
tharina ſprach:
„Die Tochter des Kaufmanns, weil ſie
nach und nach, wider ihre Grundſaͤtze,
zu einer Handlung verleitet worden, die
ſie endlich in ganz ſinnloſer Verzweiflung
begangen habe, ſolle auf ein Jahr lang
ins Kloſter gehen, und dort ihre Suͤn-
den bereuen. Die alte Aufwaͤrterin hin-
gegen, die Urheberin aller dieſer Verbre-
chen, ſolle die Knute zum Tode erhalten;
der Vater nur einen Verweis fuͤr ſeine
Haͤrte; denn das Schickſal ſeiner Toch-
ter beſtrafe ihn ſchon hinlaͤnglich, wenn
nicht uͤberſcharf.“
Alles dies ward vollzogen. Nach Ver-
lauf jener Buͤßungszeit ließ das arme Maͤd-
chen, auf ihr eignes Verlangen, ſich ein-
ſchleiern fuͤr immer.
B 2
III.
Mord
wegen uͤberdachter Treuloſigkeit.
Haag in den Niederlanden, den = = = 1775.
Freund, Freund, beinah moͤcht' ich glau-
ben, daß mein alter muͤrriſcher Hofmeiſter
doch nicht ganz Unrecht hatte, wenn er mich
oft mit ſo fuͤrchterlichem Ernſte vor der Lie-
be warnte. — Wozu ſind wir nicht faͤhig,
ſobald ſie uns leitet! Jhre duͤnſten Faden
werden Ketten; und was vor ihrem Rich-
terſtuhl dann gerecht und loͤblich iſt, das be-
ſtrafen oft buͤrgerliche Geſezze und Ge-
braͤuche mit Schimpf, Verluſt, ja wohl gar
mit dem Tode. — Halten Sie dies nicht fuͤr
Uebertreibung. — Geſtern erſt hab' ich hier
einen jungen Mann auf das grauſamſte raͤ-
dern ſehen, der in den Augen der meiſten fuͤr
einen graͤßlichen Moͤrder galt. Erſchuͤttert
von dem Geſchrei ſeiner lezten Qual eilt' ich
weit, weit ins freie Feld, griff in meinen
Buſen, und fand, daß ich, an ſeiner
Stelle, wahrſcheinlich auch gethan haͤtte,
was er that.
„Was hatte denn aber der Arme gethan?“
ſo werden Sie fragen. — Nichts, als ſich ſelbſt
geraͤcht; nichts, als ſein Maͤdchen umge-
bracht. — „Wie?“ rufen Sie aus: „das
rechnen Sie fuͤr nichts, oder wenigſtens = = = =
Still, Freund, hoͤren Sie mich erſt an.
Ein junger, zwar nicht ſehr bemittelter,
doch auch nicht ganz armer, hieſiger Kauf-
mann liebte die Tochter eines andern weit rei-
chern Handelsherrn, und erhielt von ihr die
freiwillige und oft wiederholte Verſicherung,
daß ſie ihn nicht minder liebe. Was er ver-
B 3
mochte, wandt' er an, um auch die Einwil-
ligung ihrer Aeltern zu erlangen. Seine Sitten
waren die unbeſcholtenſten, ſeine Kenntniſſe be-
waͤhrt, ſein Betragen und ſein Aeußerliches
angenehm, doch alles dieß half ihm nichts,
denn ihm gebrach, was ſo manchen Buben
hebt: Keckheit und Geld.
So hartnaͤckig aber auch dieſe Grauſamen
auf ihrer Verweigerung beharrten, ſo guͤtig
wußte das Maͤdchen ſelbſt ihren Liebhaber wie-
der aufzurichten. — „Sie kenne,“ ſagte ſie oft
zu ihm, „die Denkungsart ihrer Aeltern; ſie
„waͤren allerdings ſchwer zu bewegen,
„aber nicht ganz unerbittlich. Die Fort-
„dauer ſeiner Bewerbung, die Kraft ihrer kind-
„lichen Bitten wuͤrde gewiß endlich noch ſie-
„gen; und waͤr' alles umſonſt; koͤnnte nichts
„die Abgeneigten erweichen, nur dann — dann
„ſey ſie feſt entſchloſſen, ihm zu folgen, wohin
„es auch immer ſey; zu folgen, wo keine hart-
„herzigen Anverwandten ihrem Gluͤck und ih-
„rer Liebe im Wege ſtehen ſollten.“
Der junge Mann, ganz verſunken in ſei-
ner Leidenſchaft, glaubte blindlings was ſie
ſagte, und wuͤrde den fuͤr ſeinen Todfeind er-
klaͤrt haben, der an der Wahrheit des gering-
ſten dieſer Worte gezweifelt haͤtte. Er fuhr
fort, ſein kleines Vermoͤgen zu Beſtechungen
fuͤr die uͤbrigen Verwandten, zu Geſchenken
fuͤr ſeine Geliebte, — die gern Geſchenke nahm
— und zu ſeinem eignen Lebensunterhalte zu
verwenden; ſchlug manches andre vortheil-
hafte Anerbieten zu ſeiner Gluͤcksverbeſſerung
aus; vermied jedes Geſchaͤfte, das ihn von
hier entfernen konnte, und ſah ſich endlich
mit ſeiner Kaſſe nach ein paar Jahren da,
wo man ſich gewoͤhnlich zu ſehen pflegt,
wenn man viel ausgiebt, ohne wieder
verhaͤltnißmaͤßig einzunehmen.
Da er ihr aus nichts auf der Welt ein Ge-
heimniß machte, ſo wußte ſie dies alles gar
wohl; und ihre Geſchicklichkeit, ihm guͤnſtige
Hoffnung zu machen, blieb ſich ſo lange voll-
kommen gleich, bis nun auch das lezte kleine
B 4
Kapital ſeines Vermoͤgens aufgekuͤndigt und
im Schmelzen war.
„Lieber Junge,“ ſprach ſie dann einſt, in-
dem ſie freundlich mit der einen Hand ſeine
Wange ſtreichelte und mit der andern ſich
aus dem Auge eine Zaͤhre wiſchte, die eigent-
lich gar nicht im Auge war, „ich kann dir
„nicht laͤnger verhehlen, was mich nun ſchon
„um die Ruhe mancher Nacht gebracht hat.
„Alle Hofnung, meine Aeltern dir geneigt zu
„machen, iſt in gegenwaͤrtiger Lage deiner
„Gluͤcksumſtaͤnde verſchwunden. Sie und alle
„meine Anverwandten ſind Unmenſchen, die
„kein Verdienſt, als das in Goldſaͤcken ken-
„nen. Um uns ehlich zu verbinden, und um zu-
„gleich -- was doch freilich auch zum menſchli-
„chen Leben und Gluͤck gehoͤrt -- ſo viel Vermoͤ-
„gen zu beſizzen, als noͤthig iſt, uns ohneKum-
„mer zu naͤhren, ſeh' ich nur einen Weg noch.“
„Und der iſt?“
„Daß du ſelbſt durch Handel und Fleiß
„dir, wenn auch nicht ein anſehnliches, we-
„nigſtens doch ein ſcheinbares Vermoͤgen zu
„erwerben ſuchſt; dann bin ich und eine rei-
„che Ausſteuer dein.“
„Liebes Maͤdchen! ſpotteſt du meiner? Jch
„und Vermoͤgen? — Du ſo lange warten,
„bis ich, — der ich nun zum Bettler gewor-
„den! — mich wieder zum reichen Mann
„hinaufgeſchwungen haͤtte? — Welch ein
„Einfall?“
„Und doch ſeh ich die Unmoͤglichkeit nicht,
„die du drinnen findeſt. Der Ruf nennt dich
„einen Mann, der ſeine Handlungsgeſchaͤfte
„verſteht. Wenn dein Gluͤck zeither und
„hier nicht bluͤhte, wer ſpricht dir die Hoff-
„nung kuͤnftig und anderwaͤrts ab?
„— Mit zwanzig Thalern ging mein Groß-
„vater nach Oſtindien, mit ſieben Tonnen
„Goldes kam er zuruͤck. Dort iſt die Gold-
„grube der Europaͤer; ſelbſt Einfaͤltige wer-
„den allda reich; und dir, den Erfahrung
„und Liebe beſeelen, ſollte dies unmoͤglich
„ſeyn?“
B 5
Der Ungluͤckliche ſchwieg ein paar Sekun-
den lang. Der ſchreckliche Gedanke: Wie,
wenn ſie, der du alles vertrauteſt, dich ver-
riethe? ſtieg in ihm empor; er unterdruͤckte
raſch denſelben, und wandte ſich wieder lie-
bevoll zu ſeinem Maͤdchen.
„Beſter Engel, du ſprichſt von Oſtindien,
„wie die Verfertiger der Robinſone und der
„Avanturiers davon zu ſprechen pflegen:
„ſtellſt dir unter jenem Welttheil eine offne
„Schatzkammer vor, aus der ein jeder weg-
„tragen kann, was ihm einzuſtecken gut-
„daͤucht. Und doch, doch iſt dieſe Schatzkam-
„mer meiſtentheils das Zuchthaus, oder
„wohl gar dasGrab derEuropaͤer. Boͤſewich-
„ter und Krankheiten lauern dort uͤberall den
„neuen Ankoͤmmlingen auf, und von hun-
„derten kommen kaum zwanzig davon,
„gedeiht oft kaum Einer. Aber ſez' auch,
„dieſes ferne Land waͤre mild gegen mich;
„welch ein Zeitraum wird dazu erfordert?
„Rechne ſo wenig als du willſt: zehn, zwan-
„zig Jahr gehn gewiß fruchtlos vorbei. Mei-
„ne Wange wird inzwiſchen braun gebrannt,
„meine Stirne runzlicht, mein Koͤrper durch
„Scharbock,Fieber, und tauſend andereKrank-
„heiten ſiech gemacht werden. — Endlich komm'
„ich wieder, und finde dich — in dem Arm
„eines Andern; vielleicht als eine laͤngſt ver-
„bluͤhte Mutter von Toͤchtern, die dann das
„ſind, was du jezt biſt.“
„Du verkennſt mich! Jch wart' auf dich,
„und wenn ich nie einen Mann als mei-
„nen Mann kuͤſſen ſollte.
„Aber der Ungeſtuͤm deiner Aeltern indeß?
„deine fruchtloſe Schwermuth; die Verlaͤum-
„dung deiner Mitbuͤrger; die = = =
„Was iſt mir dies alles, wenn ich es fuͤr
„dich leide?“
„Ha! nun hab' ich dich, wo ich dich ha-
„ben wollte! Willſt du dies alles meinet-
„halben auch ohne mich leiden, o! ſo thei-
„le lieber gleich jezt dein Geſchick mit mir!
„— Gieb mir deine Hand, und ich fliege dann
„an derſelben, wohin du es haben willſt, gen
„Mitternacht, Morgen oder Mittag? — Du
„wirſt blaß? du ſchweigſt? — Theure, wie
„oft verſprachſt mir du ſonſt ungebeten
„das zu thun! Halte mir es nun auch, da
„ich dich darum bitte!“
Das Maͤdchen, durch dieſe lezte Rede uͤber-
raſcht, ſah freilich ſich in ihrer eignen Schlin-
ge gefangen; aber ſie nahm zum gewoͤhnli-
chen Huͤlfsmittel falſcher Seelen, zur Hart-
naͤckigkeit, ihre Zuflucht. Seinen Gruͤnden
ſezte ſie Thraͤnen, ſeinen Bitten zehnmal wi-
derlegte Einwuͤrfe entgegen; und der arme
junge Mann ging troſtlos von ihr. — Er
ſah, beim einſamen Erwaͤgen des ihm geſche-
henen Vorſchlags, gar wohl die Tuͤcken ein,
die hier auf ihn lauerten; er war bereits feſt
entſchloſſen, ſich nicht umſonſt betruͤgen zu
laſſen; aber er wollte doch auch zuvor ganz
uͤberzeugt ſeyn, eh' er es glaube und ſich
raͤche.
Alles, was ihm noch von baarem Gelde
uͤbrig geblieben war, mochte kaum hundert
Thaler betragen; er nahm einen anſehnlichen
Theil davon, und beſtach die Vertraute ſei-
ner Geliebten. Das Kammermaͤdchen wider-
ſtand lange, aber endlich ergab ſie ſich. —
Von ihr erfuhr er ein heimliches Verſtaͤndniß
ſeiner Treuloſen mit eines reichen Banquiers
Sohne; von ihr erfuhr er, daß ſie ſich oft
Briefe ſchrieben; von ihr erhielt er endlich
das Verſprechen, daß ihm naͤchſtens eines die-
ſer Sendſchreiben in die Haͤnde geſpielt wer-
den ſollte.
Seine Wuth war ohne Grenzen; aber auch
jezt zwang er ſich; ſah ſein ſogenanntes Maͤd-
chen noch an dem naͤmlichen Tage; verſicher-
te der Niedertraͤchtigen: daß er ihrem Vor-
ſchlage weiter nachgedacht, ihn thunlich be-
funden, ja ſich bereits auf einem bald abge-
henden Schiffe verdungen habe; ward des-
falls aͤußerſt von ihr gelobt, und erhielt zwei
Tage drauf durch die beſtochne Aufwaͤrterin
ein Billet, welches fuͤr ſeinen Nebenbuhler
beſtimmt, und folgenden Jnhalts war:
„Jn drei Tagen, mein Beſter, ſind wir bei-
„de ganz ohne Sorgen. — Jener gute
„Narr glaubt alles, was ich ihm vor-
„geſchwazt habe, und geht morgen zu
„Schiffe. Von Oſtindien aus koͤmmt
„dann ſein Einſpruch, er komme,
„wann er wolle, viel zu ſpaͤt. — Glaubſt
„du nun endlich, du getaufter Un-
glaͤubiger, daß ich dich mehr liebe,
„als ihn? Nur ſprich fein bald mit
„meinen Aeltern; ich weiß, ſie ſind dir
„gewogen, und erwarten blos das Eh-
„renwort, um dir ihre Einwilligung zu
geben.
„Dies, dies der Lohn, den ich um dieſe
Schlange verdient habe?“ rief der Arme, in-
dem er das Billet durchlas; ſeine Augen hat-
ten keine Thraͤnen mehr, und ſein Herz war
geſtaͤhlt. Er eilte hin zu ihr, ſie empfing ihn
mit der moͤglichſten Verſtellung, und er mel-
dete ihr, daß er Abſchied zu nehmen komme.
— „Nur noch einen Tag alſo“ rief ſie, und
ſchlang ihren Arm um ihn. Sie wartete nicht,
bis er ſie kuͤſſen wuͤrde; ſie kam ihm ſo bruͤn-
ſtig zuvor, daß der Ungluͤckliche wirklich auf
zwei Augenblicke vergaß, in weſſen Armen er
ſich befaͤnde.
Aber bald ermannt' er ſich. — „Weg mit
deinen Kuͤſſen! Kennſt du dieſe Hand?“ ſo
rief er, indem er ſich loswand, und den fa-
talen Brief ihr darbot; ſie erkannte denſel-
ben, bebte, wollte reden, ſtammelte, ſchwieg.
—„Nun ſo nimm dann dieſenEinſpruch
„hin, eh ich noch fort nach Oſtindien reiſe.“
— Ein ſcharfes Meſſer durchſtieß ihr raſch
Bruſt und Herz. — „Jch hab' es verdient!“
ſtoͤhnte ſie muͤhſam, ſank und ſtarb.
Der Juͤngling eilte unbemerkt hinweg und
zum Richter. — „Geſtrenger Herr, (war
ſeine Anrede) „wenn ein Raͤuber mir mein
„ganzes Vermoͤgen raubt; wenn ich ihn da-
„bei finde und toͤdte; bin ich des Todes
„ſchuldig?“ — „Das wohl nicht; aber nach
„Befindung der Umſtaͤnde kann es Jhnen
„doch wohl noch Ungelegenheit genug machen.
„Es ſagen unſere Geſezze = = =“ — „Nun
„ſo entſcheidet nach ihnen und mißt: Eine
„Buͤbin raubte mir mein ganzes vaͤterliches
„Vermoͤgen, meine Ruhe, mein Herz und
„Gluͤck. Verſpottet, betrogen, ausgepluͤn-
„dert, dem gewiſſen Elende von ihr entgegen-
„geſandt, hab' ich mich geraͤcht. Hier iſt das
„blutige Meſſer.“
Man kann leicht denken, wie der Richter
erſchrack; aber der Ungluͤckliche ließ ſich ge-
laſſen ins Gefaͤngniß fuͤhren, und man ſprach
nachher auf zwei Univerſitaͤten einſtimmig das
Urtheil uͤber ihn: daß er, ſeiner grauſamen
Mordthat halber, mit dem Rade von unten
hinauf beſtrafet werden ſolle.
Freund, wenn Sie nicht errathen, warum
ich gegen das Ende dieſer Geſchichte ſo eilte;
meine Erzaͤhlung ſo zuſammen engte; ſo ha-
ben Sie die Fuͤhlbarkeit vergeſſen, die mir
die Natur, weiß Gott, ob zum Segen oder
zum Fluch, in der Stunde der Geburt ver-
lieh. — Leben Sie wohl! Mit naſſen Augen
ſchreibt man ja doch gleich ſchwer und ſchlecht.
C
IV.
Todtſchlaͤger, durch Eiferſucht und
Zuſammenhaͤufung ungluͤcklicher
Umſtaͤnde getrieben.
Ein Kurlaͤndiſcher Bauer, der lange Zeit
fuͤr den ordentlichſten, beßten Mann im gan-
zen Dorfe gegolten hatte, war der Gatte ei-
nes Weibes, die ſchon ſeit vielen Jahren
unablaͤßig kraͤnkelte. Er ertrug den mannich-
faltigen Schaden, den ſeine Wirthſchaft da-
durch erlitt, mit großer Geduld; unterließ kei-
ne Muͤhe, keinen Aufwand, wodurch ihre
Geſundheit wieder hergeſtellt, ihr Leiden ver-
mindert werden konnte; und ſo fruchtlos al-
les blieb, brach er doch nie in Unwillen oder
Beſchwerden aus.
Nur in einem Punkte waͤr' er zwar gern
Herr uͤber ſich geweſen, aber er vermocht' es
nicht. Das immerwaͤhrende Kraͤnkeln machte
ſein Weib von Tag zu Tage unſcheinbarer,
machte ſogar zur ehelichen Liebe ſie faſt im-
mer unvermoͤgend. Er hingegen war noch ein
junger raſcher Mann, deſſen Blut ſehr warm
floß, und deſſen Begierden oft ſehr thaͤtig ſich
regten. Daß bei ſolchen Umſtaͤnden zuwei-
len der Wunſch in ihm emporſtieg: auswaͤrts
zu erſetzen, was daheim ihm abgieng; das
iſt wohl kein Wunder; und noch minder kann
es fuͤr eines gelten, daß er bald einen Ge-
genſtand nach ſeinem Behagen fand.
Eine entfernte Muhme ſeiner Frau ging
oft in ſeinem Hauſe aus und ein. Ein jun-
ges, ſchlankes Maͤdchen, deren derbes, fri-
ſches Fleiſch, deren rothe Wange und luͤſter-
ne Augen einem Manne von ihrem Stande
allerdings nicht misfallen konnten. Er ſah
ſie ſo oft, unter ſo mancherley Umſtaͤnden;
ſie nahm zuweilen ſeiner Wirthſchaft ſich an;
ſie ſprach ihm oft Troſt zu, wenn er bekuͤm-
mert zu ſeyn ſchien. Alles dies erhoͤhte ihren
C 2
Reiz in ſeinen Augen; er glaubte, durch naͤ-
hern Umgang mit ihr niemanden etwas zu
entziehen, und ſich doch fuͤr ſo manche truͤbe
Stunden auch einen froͤhlichen Augenblick wohl
goͤnnen zu duͤrfen. Er brachte ſein Wort an,
und unterſtuͤzt' es durch thaͤtige Liebkoſungen
ſeiner Art. Die Dirne ſtellte dieſem Begeh-
ren allerdings triftige Gruͤnde entgegen; aber
er widerlegte ſie durch Vorſpieglung gewiſſer
Ehe, ſo bald er, — was nicht mehr fern ſeyn
koͤnne — Wittwer geworden ſeyn wuͤrde;
und das Maͤdchen ergab ſich. Doch eben
dieſes Liebesverſtaͤndnis blieb nur kurze Zeit
ohne Folgen und unentdeckt. Das Maͤdchen
fuͤhlte ſich ſchwanger, und ihr Geſtaͤndnis
kam dem armen Mann noch viel zu fruͤh und
viel zu unerwartet. Eine ſchwache Hofnung
auf ſeiner Frauen baldigen Tod troͤſtete ihn
zwar immer noch etwas; aber eben dieſe Frau
fing jezt an die Eiferſuͤchtige zu ſpielen. Die
freundlichen Blicke zwiſchen Gatten und Muh-
me entgingen ihrer Aufmerkſamkeit nicht. Sie
deutete ſolche ſehr richtig auf Dinge, die ent-
weder ſchon vorgegangen ſeyn duͤrften, oder
bald vorgehen wuͤrden. Was ſie ſelbſt nicht
mehr genießen konnte, mißgoͤnnte ſie wenig-
ſtens einer Dritten; und es kam dahin, daß
ſie endlich ihrer Nichte den Zutritt in ihr
Haus ganz unterſagte. Alles dies verbitter-
te zwar ſchon das Leben des armen Mannes
gewaltig; doch ein Umſtand, der anfangs
nur eine Kleinigkeit zu ſeyn ſchien, vollen-
dete das Maas ſeines Elends.
Die Kurlaͤndiſchen Bauern ſind verpflich-
tet, ihrem Gutsherrn alljaͤhrlich einen gewiſſen
ausgeſetzten Zins von Geſpinnſt zu liefern.
So maͤßige Anſtrengung dieſe Art von Arbeit
auch erfordert, ſo war ſie doch noch uͤber-
wiegend fuͤr die Kraͤfte des armen, faſt immer
bettlaͤgrigen Weibes. Was ihr daher an dem
gebuͤhrenden Maaſe abging, mußte ihr Mann
auswaͤrts ſpinnen laſſen und bezahlen. Er
that dieß abermals gern und treulich; nur
fiel dieſe Lohnarbeit, ganz ohne ſein Verſchul-
C 3
den, etwas abſtechend von der uͤbrigen aus.
Sein Edelmann, ein ziemlich ſtrenger Herr,
hatte desfalls ſchon vorm Jahre einen der-
ben Verweis ihm ertheilt; hatte die Drohung
einer harten Behandlung, wenn dieſes noch
einmal ſich zutruͤge, hinzugefuͤgt. Jezt, als
er wieder das ausgeſetzte Garn ihm uͤber-
brachte, und der Grundherr ſolches (was doch
falſch war) noch ſchlechter als vordem zu fin-
den glaubte, ſetzt' er die Drohung ins Werk,
und behandelte ſeinen Unterthan mit harten
Schlaͤgen.
Eine ſolche Begegnung ſchmerzte die ohne-
dem empfindliche Seele des armen Landmanns
unendlich. Er ging mit bitterm Murren
uͤber Junker, Unterthanspflicht und Schick-
ſal ſeiner Heimath zu. Doch eh er noch da-
hin gelangte, kam ihm, mit Haͤnderingen,
mit rothgeweinten Augen, mit ſchluchzender
Stimme ſeine Geliebte entgegen. — „Jezt,
ſagte ſie, waͤre auf Gottes weiter Erde keine
ungluͤcklichere Perſon als ſie. Jhre Mutter
merke nur zu deutlich ihre Schwangerſchaft.
Bald werde alles ruchbar, bald fuͤr ihre
Schmach keine andere Rettung moͤglich ſeyn,
als ſich im naͤchſten Teich zu ſtuͤrzen.“
Der gute Mann that, was er nur vermoch-
te, um auch dieſe Ungluͤckliche, wenigſtens in
etwas, zu beruhigen. Verweiſung auf ſeines
Weibes taͤglich zunehmende Schwaͤche, Wie-
derholung ſeines Verſprechens, Troſtgruͤnde
der Religion, Schmeicheleien der Liebe —
alles ward hervorgeſucht, und das arme
Maͤdchen fing wirklich an etwas gelaßner zu
werden, als ſie von weitem eben diejenige Per-
ſon, auf deren Tod ſie beiderſeits hoften,
kommen ſahen. Sie trennten ſich ſofort, und
der Bauer ging ſeiner Frau entgegen.
— Aber dieſe hatte bereits jenes Geſpraͤch
bemerkt, und ſelbſt aus der geſchwinden Tren-
nung deſſelben neuen Verdacht unerlaubter
Vertraulichkeiten geſchoͤpft. Sie vergaß da-
her jezt auf einige Augenblicke ihr Unpaͤß-
lichſeyn und ihre Kraftloſigkeit; kam ſo ſchnell,
C 4
als ſie nur immer konnte, herbei; uͤberhaͤuf-
te ihren Gatten mit den bitterſten Vorwuͤr-
fen; belegte ſeine Geliebte mit den aller-
ſchimpflichſten Beinamen; beſchuldigte ihn ei-
nes offenbaren Ehebruchs, und ſchwur: „daß
ſie ſofort zu Pfarrer und Edelmann, um ihn
zu verklagen, hingehn wolle.“
Eine ſolche, gleichſam verabredete Zuſam-
mentreffung mannichfaltiger Unfaͤlle, deren je-
der einzeln ſchwer genug zu tragen war, uͤber-
wog die Faſſung unſers armen Bauers weit.
Gemißhandelt ohne Schuld von ſeinem Edel-
mann, bedroht vom Ausbruch einer allgemei-
nen Schmach; ſeine Geliebte in Bereitſchaft
Hand an ſich ſelbſt und an das Kind unter
ihren Herzen zu legen; ſeine Habe in Abnah-
me, ſeine Hauswirthſchaft in Verwirrung —
und auch eben diejenige Perſon, deren Krank-
heit von allen dieſen Unfaͤllen die erſte, ob-
ſchon unſchuldige Urſache war, im Begriff,
ſeine Schmach und ſein Elend zu vollenden.
— Wahrlich, der Bedaurungswuͤrdige kann-
te beim Uebermaas ſeines Ungluͤcks nun ſich
ſelbſt nicht mehr, und ſein Gefuͤhl brach endlich
im heftigſten bewußtloſeſten Zorn aus. „Elen-
de, rief er zu ſeinem Weibe, bin ich nicht erſt
durch dich um alles, was mir lieb iſt, gekom-
men? Und nun willſt du noch ſelbſt gegen
mich den Teufel ſpielen, und mich bei Gott
und Menſchen verklagen? Er hob den Stock,
den er ſo eben in der Hand hatte, hier uͤber
dem Haupte ſeiner Frau auf, und von einem
graͤßlichen Schlage getroffen, ſank die Arme
augenblicklich todt zur Erde. Wahrſcheinlich
hatte ſich der Arme ſelbſt nicht klar gedacht,
was er veruͤbe. Aber die That war geſchehen.
Nun konnte keine Reue die Getoͤdtete wieder
retten; ihn eben ſo wenig. Gerechtigkeit der
Geſetze verfuhr bald nachher gegen ihn, wie
ſie — mußte.
C 5
V.
Ein Raͤuber, weil die menſchliche
Geſellſchaft ohne Schuld ihn aus-
ſtieß.
Eine Raͤuberbande von zwoͤlf Mann hatte
ſeit geraumer Zeit die Gegend umGegenwärtiger Aufſaz, mir (1779) aus der
Pfalz zugeſendet, iſt nur in einigen Kleinig-
keiten, den Stil und die Ordnung der Jdeen
betreffend, von mit abgeaͤndert worden. Ge-
wünſcht hätte ich freilich, daß dem Hrn. Ein-
ſender gefällig geweſen wäre, die vielen N.
N. und Lücken mit wirklichen Namen aus-
zufüllen. Allzu ängſtliche Vermeidung der-
ſelben bringt ſo leicht im Verdacht der Er-
dichtung; und ich begreife nicht, warum
man in Fällen, wie gegenwärtiger iſt, einer
ängſtlichen Verſchwiegenheit bedarf. Jch
ſelbſt zwar hätte im Verfolg, da ich vor we- beun-
ruhigt. Man uͤberfiel ſie endlich in einem klei-
nen Staͤdtchen; die Raͤuber griffen, als ſie
ſich entdeckt ſahen, verzweiflungsvoll zu den
Waffen, und verwundeten ſowohl einige von
nigen Jahren erſt, durch einen ſonderbaren
Zufall, der Geſchichte ſehr nahe auf die Spur
kam, dieſe Ausfüllung auf mich nehmen kön-
nen. Aber ich wollte gern alles, was einer
Anmaßung auch nur ähnelt, vermeiden;
zumal da es doch möglich, wenn auch nicht
wahrſcheinlich war, daß meinem unbe-
kannten Freund dieſe Ergänzung einige Pri-
vatunannehmlichkeiten gemacht hätte. — Daß
übrigens manche ſeine Naſe ſich mit gewal-
tigem Eckel rümpfen dürfte, wenn ſie das
Wort Abdecker lieſt, zweifle ich keines-
weges. Für mich war daſſelbige nicht der
geringſte Anſtoß. Denn auch der Abdecker
iſt ein Menſch wie wir; und oft ein mora-
liſch beſſerer, mithin im Weltall edlerer
Menſch, als derjenige, deſſen Naſe ſich ſo
ſtark und ſo gern beim Unterſchied der
Stände rümpft.
der Amtsfolge, als auch von den ihr zugegeb-
nen Soldaten. Ein einziger, Johann mit
ſeinem Vornamen, ergab ſich ſogleich, und
bot mit Schluchzen ſeine Haͤnde den Banden
dar, indeß die andern ſich noch beinah eine
Stunde lang wehrten.
Auch im Kerker betrug er ſich mit außeror-
dentlicher Gelaſſenheit. Wenn die andern
fluchten, fleht' er um Gnade zu Gott, und er-
mahnte ſie zu gleichem Gebete; oft weint' er
ſo bitterlich uͤber ſein Vergehen, daß ſelbſt die
Amtsknechte, — ſo fremd dieſen Leuten ſonſt
das Mitleid zu ſeyn pflegt — ihm Troſt zu-
ſprachen.
Durch ihn allein erhielt man eine umſtaͤnd-
liche Nachricht von den Unternehmungen die-
ſer Diebesbande, und auch von ſeiner eignen
Geſchichte that er folgendes aufrichtiges Ge-
ſtaͤndniß.
Er war auf einer Hofmarch des Grafen
von T — in Baiern geboren, auf welcher ſein
Vater, ein ehrlicher Greis, ſchon uͤber vierzig
Jahr als Abdecker gedient hatte, und wegen
ſeiner Redlichkeit und Kenntniß bei Viehkrank-
heiten in der ganzen Gegend bekannt war.
Nie riß in den Orten ſeiner Pflege eine
Viehſeuche ein, ſo verderblich ſie oft in der
Nachbarſchaft wuͤtete; und er war deshalb
bei ſeiner Herrſchaft, troz ſeiner ſonſtverach-
teten Handthierung, ſehr beliebt.
Aber in ſeinem ſechs und ſechzigſten Jahre
traf ihn das Ungluͤck, daß ein Jagdpudel,
den ihm der junge Graf, der ſeit kurzem erſt
ſein Herr geworden war, in die Koſt gegeben
hatte, unvermuthet verreckte. Zwar geſchah
dies ganz ohne ſeine Schuld; doch man glaub-
te ſeinen Worten nicht; dieſer Hund war ein-
mal der hochgraͤfliche Liebling; und der arme,
entkraͤftete Greis verlor ſein Brod und ſeine
Stelle.
Ohne Dienſt, ohne Ausſicht, ohne Kraͤfte
ſich Unterhalt zu erwerben, zog der ungluͤck-
liche alte Mann mit ſeinem Sohne Johann,
einem damals achtjaͤhrigen Knaben, im Laͤnd-
chen herum; einige Bauern, menſchlicher als
ihr Graf, gaben ihm kaͤrgliche Broſamen, bis
er erkrankte, und fuͤr Kummer und Elend
ſtarb.
Johann ward jetzt neun Jahr alt; und ein
Vetter ſeines Vaters, von gleicher Handthie-
rung, nahm ihn zu ſich; doch dieſer Mann
war ein verſteckter Boͤſewicht, der ſich des ar-
men Knaben bald zu einigen kleinen Viehdieb-
ſtaͤhlen ſo zu bedienen wußte, daß Johann
ſelbſt nicht argwohnte, wozu er gebraucht
wuͤrde. Aber endlich ward ihm die Sache doch
verdaͤchtig,und als einſt in ſeinerGegenwart ein
foͤrmlicher Raub verabredet, er ſelbſt auch zum
Einſteigen und zur Eroͤffnung der Fenſter da-
bei beſtimmt wurde, ſtand auf einmal der Geiſt
ſeines Vaters ihm vor Augen; er glaubte,
ſeine Ermahnungen alle von neuem zu hoͤren,
wagt' es nicht, ihnen untreu zu werden, und
entfloh noch den naͤmlichen Abend, als der
Diebſtahl ins Werk geſezt werden ſollte.
Sein Weg ging zur naͤchſten Stadt, und
nachdem er einige Tage herumgebettelt hatte,
nahm ihn ein Schloſſer auf ſein inſtaͤndiges
Bitten zum Lehrpurſchen an. Er arbeitete hier
ein ganzes Jahr; war, nach des Schloſ-
ſers eignem Zeugniſſe, willig, gehorſam, ein-
gezogen, gelehrig und gottesfuͤrchtig; und
wuͤrde ganz gewiß ein geſchickter Kuͤnſtler ge-
worden ſeyn, haͤtte man nicht ploͤtzlich entdeckt,
daß er eines Abdeckers Sohn ſey. Er ſelbſt,
unbekannt mit dem Vorurtheile, das ihm die
Ehrlichkeit abſprach, laͤugnete dies bei der er-
ſten Befragung keineswegs, und ward mit
Schimpf und Haͤrte aus der Zunft verſtoſſen.
Voll Scham, Verwirrung und Jammer,
kam er auf ein benachbartes Dorf, und fand,
da es eben Aerntezeit war, bei einem Bauer
Dienſte, ſo wenig er auch ſonſt mit der Land-
arbeit bekannt ſeyn mochte. Er behielt ſolche
bis zu Ende der Aernte, und ward, da man ihn
jezt auch hier als einen unnoͤthig gewordenen
Koſtgaͤnger abdankte, mit einem andernBauer-
jungen bekannt, der ein Wildſchuͤtze war, und
von dem der arme, dienſt- und brodloſe Jo-
hann zu gleichem Gewerbe angefuͤhrt, oder
wenn man lieber will, verfuͤhrt ward. Auch
dies dauerte noch nicht ganz ein Jahr; er
ward ertappt, eingezogen, und auf eignes Bit-
ten zum Soldatenſtande verurtheilt. Doch,
da er den Winter hindurch, in welchem er dem
Wildſchießen nachgegangen, ſich beide Fuͤße
ſo ſehr erfroren hatte, daß einer davon auf-
brach, ſo ward er auch hier nicht angenom-
men, empfing vielmehr zwanzig Karbatſchen-
ſtreiche, und ward fortgejagt.
Dieſes, wie er weinend geſtand, benahm
ihm die lezte Hoffnung, ſich als ein redli-
cher Menſch zu naͤhren. Von neuem beſchimpft,
beſtraft, ohne Unterhalt, und ohne Vermoͤ-
gen ihn zu erwerben, eilt' er wieder zu ſeinem
Vetter, von dem er ehmals entflohen war,
und fand ihn in noch beſſern Umſtaͤnden, als
er ihn verlaſſen hatte.
Aufgebracht gegen das Menſchengeſchlecht,
das ihn uͤberall ausgeſtoßen, ja noch oben-
drein, beinahe ganz ohne Schuld, beſtraft
hatte, — aufgemuntert durch den Wohl-
ſtand, in dem er ſeinen Vetter antraf, folgt'
er deſſen Anweiſung; und da er einmal zum
erſten Raube ſich verleiten laſſen, ging er
auch nachher allzeit treulich mit, ohne jedoch
etwas weiter dabei zu denken als: du haſt ja
doch ſchon mit dem erſten Gange den Tod ver-
dient. Gleichwohl konnt' er bei den ſechs Rau-
bereien, deren er ſich ſchuldig gemacht hatte,
nach den Ausſagen ſeiner eignenKammeraden,
nie zur Hauptſache, und am allerwenigſten
zur Bindung der Ueberfallnen gebraucht wer-
den. Sein weiches Herz machte vielmehr, daß
er oft bei den Andern fuͤr ſie bat, und ver-
ſchiedenen Hartgeknebelten, beim Abzug des
Raͤubergeſindels, die Bande heimlich wieder
loͤſte; ſo daß ſie ſelbſt einmal beinah' alle druͤ-
ber waͤren eingeholt worden, und nur mit
groͤſter Muͤhe ſich fluͤchten konnten. Das
D
Einzige, wozu ſeine Kammeraden ihn nutzen
konnten, war — Eroͤffnung der Schloͤſſer
und Thuͤren; eine Kenntniß, die er ſeinem eh-
maligen Schloſſerhandwerke noch zu danken
hatte, und ohne welche er, vermoͤge ſeiner
Gutherzigkeit, ſelbſt zum Spitzbuben verdor-
ben geweſen waͤre.
Vielleicht duͤnkt manchem dieſe Geſchichte
unbedeutend, aber dann wuͤrd' er nur einen
Beweis ſeiner Fluͤchtigkeit im Leſen geben.
Vorausgeſetzt, was ich ſchon vorhin in der
Note ſagte, und was doch wohl ſo gewiß, als
irgend eine Wahrheit in der Bibel ſeyn duͤrfte:
daß der Menſch in jedem Stande doch noch
Menſch und unſers gleichen iſt, und daß,
nach dem Rechte der Natur betrachtet, der
zerlumpteſte Bettlerbube zum ſtiftsmaͤßigſten
Edelmanne: Bruder! ſagen kann; dies, ſag'
ich, vorausgeſezt, wer mag ſich des Unwillens
enthalten, wenn man ſieht, daß der Tod ei-
nes graͤflichen Pudels einen ehrlichen verdien-
ten Greis zum Bettler herabſezt, und ſeinen
abgelebten Koͤrper dem Hunger, der Bloͤße
und dem aͤußerſten Elende preis giebt? Wer
liebt den Knaben nicht, der, ſo ſehr er noch
Knabe iſt, doch, den Lehren ſeines Vaters treu,
eher alles wagen, als ein Raͤuber werden will?
Wer zuͤrnt nicht auf ein barbariſches Vorur-
theil, das vergebens von der Vernunft wider-
legt, vergebens durch weltliche Geſetze verbo-
ten, ſich gleichwohl immer noch feſt im Beſiz
erhaͤlt; dem Staate ſchon manchen braven
Mann entzogen haben mag, und hier einen
Juͤngling, der ſo gern ein nuͤzliches buͤrgerli-
ches Mitglied geworden waͤre, zwang, durch
Laſter ſein Leben zu friſten? Und wer ent-
ſchuldigt endlich ſelbſt den Fehlenden nicht,
der mitten in ſeinen Fehlern Erbarmung mit
denen traͤgt, die er beraubt und berauben
muß, weil dieſe Grauſamen ihn ja ſonſt nicht
leben laſſen wollen?
Sezt dieſen Ungluͤcklichen unter andere Um-
ſtaͤnde; gebt ihm Aeltern, durch Geburt, Gluͤck
und Vermoͤgen wirkſam im Kreis oͤffentlicher
D 2
Geſchaͤfte; und dann haͤtten vielleicht Mit-
menſchen und Nachkommenſchaft ihn in die
dauernde Namenliſte der erhabenſten, durch
Grundſaͤtze edeln Menſchenfreunde eingetra-
gen! Denn leider bleibt nur allzuwahr, was
Pope ſagt: „Nicht jeder, der eine Wohlthat
erzeigt, iſt deshalb auch wohlthaͤtig. Vielleicht
hatt' er eine gluͤckliche Stunde; vielleicht blies
eben der Wind aus Oſten.“
VI.
Franzoͤſiſcher Juſtizmord.
Von der ehemaligen franzoͤſiſchen Kriminal-
juſtiz, ihren mannichfaltigen Gebrechen, und
vorzuͤglich ihrer allzugroßen, allzuraſchen, all-
zubuchſtaͤblichen Strenge iſt ſchon ſo manches
geſchrieben, ſo manches Beiſpiel geſammelt
worden, daß man leicht mit dieſer leztern Ar-
beit ganze Alphabete fuͤllen koͤnnte. Umſonſt
verhallte in dieſem Punkte Voltairens ſonſt ſo
allgeachtete Stimme. Seine Beredſamkeit konn-
te hoͤchſtens nur ein Paar einzelne Ungluͤck-
lichen retten; und noch gewoͤhnlicher ihrem
Leichnam nur zu einem ehrlichen Begraͤbniß
verhelfen. Jm Ganzen blieb alles beim
Alten! — Folgende Anekdote, die fuͤr
Ballade und theatraliſcheBearbeitung vielleicht
kein undankbarer Stoff geweſen waͤre, iſt, ſo
viel ich weis, noch nirgends gedruckt, und
D 3
ungezweifelt wahr: denn ich verdanke ſie der
Erzaͤlung eines Augenzeugen, der den Un-
gluͤcklichen ſelbſt zum Tode fuͤhren ſah.Des nun ſchon ſeit ſieben Jahren geſtorb-
nen Oberlandbaumeiſter Krubſacius in
Dresden.
Jm Jahr 1755 lebten unter den Sieben bis
Achtmal hundert tauſend Menſchen, die Paris
bewohnen, auch ein junger Schloſſerge-
ſelle und ſein Maͤdchen. Er, ein fleißiger,
braver, geſchickter, und, nach Landesſitte,
recht herzlich in ſeine Schoͤne verliebter Bur-
ſche; ſie, eine feine ehrliche Dirne, die ſich
durch Naͤhterei recht artig ihren Unterhalt er-
warb; die, troz dieſes oft zweideutigen Gewer-
bes, und troz ihrer Unabhaͤngigkeit als aͤl-
ternloſe Waiſe, doch voͤllig bei unbeſcholtnem
Rufe blieb; von allen ihren Bekannten ge-
ſchaͤzt wurde, und ihren Joſeph (ſo hieß je-
ner Burſche) von ganzer Seele lieb hatte.
Beide glaubten bereits dem Zeitpunkt ihrer
Verbindung nahe zu ſeyn; ſahn ſich alle Ta-
ge, und hatten ſich ſchon ziemlich zu ihrer
Wirthſchaft vorbereitet.
Eines Morgens ward der junge Mann in
ein Haus, dicht an der Wohnung ſeines Maͤd-
chens gerufen, um ein zugeworfenes Schloß
wieder aufzuſprengen. Er that dieſes, und
wollte wieder heim gehen; als ihm ſehr na-
tuͤrlich der Gedanke beifiel, hurtig ein paar Au-
genblicke zu ſeiner ſo nahen Geliebten hinauf-
zuſchluͤpfen, und ſich: wie ſie geruht habe?
zu erkundigen. Gedacht, gethan! Sie wohn-
te im fuͤnften Stockwerk; ihr Vorhaus pfleg-
te verſchloſſen zu ſeyn. Der junge Schloſſer
klingelte daher auch jezt, aber er klingelte lan-
ge vergebens. Ein ſo fruͤher Ausgang ſchien
ihm verdaͤchtig, und es erwachte bald die ei-
ferſuͤchtige Beſorgniß: Wie? wenn ſie ſich
vielleicht mit Fleis verſchloſſen, dich geſe-
hen, wohl gar irgend etwas Unrechtmaͤßiges
dir zu verbergen haͤtte. — Ein ſolcher Arg-
wohn im Kopf eines Alt- oder Neufranken
iſt immer ein ſchlimmer Gaſt. Auch Joſephs
D 4
Verdacht ward mit jedem neuen Klingelzug
ſtaͤrker. Er legte ſein Ohr dicht an ein Paar
Spalten der Thuͤre, und glaubte, nach der ge-
woͤhnlichen Art der Selbſtquaͤler, wirklich
drinnen ein Fluͤſtern und Raſcheln zu verneh-
men. Natuͤrlich, daß durch alles dieſes ſei-
ne Unruhe treflich wuchs; er ſann bereits hin
und her auf Rache, und endlich fiel es ihm
ein, daß er ja ſo eben durch ein guͤnſtig ſchei-
nendes Ungefaͤhr ſein Handwerkszeug bei ſich
habe.
„Wie, dacht' er, wenn ich mich nun deſſen
zur Eroͤffnung dieſer Thuͤre bediente? Jſt
meine Braut treulos, ſo verdient ſie Beſchaͤ-
mung, und unſer Handel iſt geendigt. Jſt
ſie unſchuldig, ſo bitt' ich um Verzeihung,
und ſie vergiebt meiner Eiferſucht, um meiner
Liebe willen. — Aber wie? wenn ſie noch ſchlie-
fe? Muͤßte doch wahrlich ein Todtenſchlaf
ſeyn! Und zudem waͤre ja dem Braͤutigam
auch wohl ſolch' eine Ueberraſchung ver-
goͤnnt.“
Noch waͤhrend dieſes ungeſprochnen Mo-
nologs bediente der Eiferſuͤchtige ſich bereits
ſeines Handwerkszeugs; eroͤffnete ziemlich leiſe
die Thuͤre, fand das Zimmer offen und huſch-
te hinein. Jezt erkannt' er ſeinen Verdacht
ungegruͤndet; und fand, daß ſein Maͤdchen
wuͤrklich ſchon ausgegangen ſey. Er wollte
ſich daher ſogleich wieder entfernen, als ihm
auf ihrem Arbeitstiſche ein kleines niedliches
verſchloßnes Kaͤſtchen in die Augen fiel. —
„Was iſt das? ſezt' er ſeine Gedankenreihe
fort: noch nie ſah' ich dieſes Kaͤſtchen bei
ihr. Es iſt ſo leicht; hoͤchſtens koͤnnen einige
Papiere drinnen verwahrt ſeyn. Jch will ei-
nen Scherz machen; wills mitnehmen. Wenn
ſie's vermißt, auf wen wird ſie wohl rathen?
Sicher wird ſie zu mir kommen -- wird mir's
klagen. Jch laſſe ſie dann ein wenig in der
Angſt zappeln; zeig' es ihr endlich; mache den
Argwoͤhniſchen; vermuthe Liebesbriefchen drin-
nen und ſo weiter; kurz, ich will's mitneh-
men.“
D 5
Auch dieſen Einfall vollfuͤhrt' er: machte
ganz geſchickt die Saalthuͤre wieder zu, und
entfernte ſich, von Niemanden im ganzen Hau-
ſe, wie er glaubte, bemerkt. — Kurz drauf
kam die Naͤtherin heim; an der Saalthuͤre
ſpuͤrte ſie nichts; aber beim erſten Eintritt ins
Zimmer vermißte ſie ſofort ihr Kaͤſtchen; denn
gerade deſſentwegen kam ſie wieder nach Hauſe;
es waren Spitzen von einigen hundert Livres
am Werthe drinnen; ſie hatte ſolche vorher
ſchon zu der Herrſchaft, der ſie gehoͤrten, und
von welcher ſie dieſelben zum Ausbeſſern er-
halten, nach Hauſe tragen wollen, aber un-
gluͤcklicherweiſe uͤber andern Dingen ſie ver-
geſſen. Jezt, als ſolche verſchwunden waren,
erhob ſie ein lautes Geſchrei. Jm ganzen
Hauſe lief ſie herum; erzaͤlte jedermann, daß
ſie beſtohlen worden ſey; fragte, ob man keine
Spur von den Dieben ihr geben koͤnne? und
uͤberließ ſich bei einem Verluſt, der ihr ſo un-
erſezlich ſchien, der aͤußerſten Verzweiflung.
Der Wirth, als er von ihrem Unfall erfuhr,
ſchickte aus Mitleid ſowohl gegen das arme
Maͤdchen, als aus Sorge fuͤr den guten Ruf
ſeines Hauſes, ſofort nach einem Polizeikom-
miſſar; es ward die ſtrengſte Unterſuchung in
allen Stockwerken angeſtellt; aber man fand
natuͤrlicher Weiſe das Kaͤſtchen nirgends.
Bei den ſaͤmmtlichen Hausgenoſſen ward nun
nachgeforſcht: Ob ſie nicht irgend Jemand
kommen oder weggehen geſehn haͤtten? Aber
auch hier wollte ſich eben ſo wenig irgend ei-
ne Spur finden; und die Gerichtsperſonen
waren ſchon im Begriff ſich zu entfernen; als
eine Strumpfſtrickerin, die dieſem Hauſe ge-
genuͤber ihren Laden hatte, durch das Getuͤm-
mel herbeigelockt ward, und von dem Vorfall
hoͤrte.
„Je nun — fing ſie ganz in ihrer Unſchuld
an — Jemand haͤtt' ich doch wohl unterdeß
ins Haus hinein und wieder herausgehen ſehn;
jemand, der allerdings oben geweſen ſeyn
muß; aber unmoͤglich der Dieb ſeyn wird.“
— Man fragte ſie: Wer das geweſen ſey?
— „Der Jungfrau ihr Braͤutigam; er blieb
ein geraumes Weilchen drinnen!“ — Bei
dieſen Worten erblaßte das arme Maͤdchen,
und verſicherte: daß der gewiß nichts ihr weg-
genommen habe. Aber der Polizeibeamte be-
hauptete ſofort: daß auch bei ihm Nachſu-
chung geſchehen muͤßte. Man ging hin; er
war abermals ausgegangen; doch man durch-
ſtoͤberte ſeinen Verſchlag, und ſieh' da, das
vermißte Kaͤſtchen, nur ganz leicht in ſeiner
Waͤſche verſteckt, fiel bald in die Haͤnde der
Suchenden.
Sogleich folgte die Wache an den Ort ihm
nach, wo er hingegangen war. Der arme
Juͤngling ſtaunte nicht wenig, als er ſich ver-
haftet ſah; doch er ſchien wieder guten Muths
zu werden, als er hoͤrte: warum dieß geſchehe?
Er erzaͤlte ſofort alles, was wir kurz vorher
auch erzaͤlt haben; geſtand, daß er die Saal-
thuͤre aufgemacht, das Kaͤſtchen mitgenommen,
und einen Spas mit ſeinem Maͤdchen haben
wollen; aber er erſchrack ſchon ein wenig, als
man ihn verſicherte: daß vor Gericht ein ſol-
cher Spas nicht gaͤlte; ſondern daß auf die
Aufſprengung einer Thuͤre in des Jnwohners
Abweſenheit, und auf die Entwendung einer
ſchon weit geringfuͤgigern Sache, nichts ge-
ringers, als der Strang, ſtehe. — Er ent-
ſchuldigte ſich zwar, daß dieß alles, ſeiner Ab-
ſicht halber, fuͤr keinen Diebſtahl gelten koͤn-
ne; er erbot ſich zu dem feierlichſten Eide:
daß er jetzt erſt erfahre, was in dieſem Kaͤſt-
chen, deſſen Schloß er nicht einmal angeruͤhrt
habe, enthalten ſey. Aber man erwiederte:
daß dieſes eine leichte Ausrede jedes Spizbu-
ben ſeyn wuͤrde, und ein falſcher Eid bei einem
ſolchen Fall gar leicht ſich ſchwoͤren laſſe.
Kurz, der peinliche Prozeß nahm in aller
Foͤrmlichkeit ſeinen Anfang.
Jezt entfiel dem Aermſten das Hrrz. Um-
ſonſt gab ihm ſein bisheriger Meiſter, umſonſt
jeder ſeiner Bekannten das Zeugniß des un-
ſtraͤflichſten Lebens. Umſonſt warf ſich ſein
verzweiflungsvolles Maͤdchen zu den Fuͤßen
ſeiner Richter; umſonſt ſchienen ſelbſt dieſe,
ſo wie ganz Paris, von ſeiner Unſchuld uͤber-
zeugt zu ſeyn. Der toͤdtende Buchſtabe des
Geſezzes ging aller andern Ruͤckſicht vor, und
wenige Tage drauf beſchloß der Ungluͤckliche
am Galgen ſein Leben.
VII.
Moͤrder, nach Uebereinſtimmung al-
ler Umſtaͤnde und ſeiner eignenUeber-
zeugung, und dennoch unſchuldig.
Daß Zeugen und Richter durch den An-
ſchein verfuͤhrt werden koͤnnen einen Unſchul-
digen fuͤr ſchuldig zu erkennen; dieſer Fall
mag leider nur alzuoft ſich zutragen. Aber wenn
nun ſogar der Angeklagte ſelbſt einen ſol-
chen Urtheilsſpruch im Jnnerſten ſeiner Seele
fuͤr gerecht erklaͤrt; wenn er ſich mit vollſter
Ueberzeugung fuͤr den Thaͤter einer That be-
kennt, die er — nicht beging; wenn er, ganz
ohne Folter und Zwang, bereit iſt, durch Auf-
opferung ſeines eignen Lebens eine Blutſchuld
auszuſoͤhnen, die — nicht auf ſeiner Seele
laſtet? Was ſoll man dann erſt von der Un-
gewißheit menſchlicher Gerichtsbarkeit denken?
Jn den meiſten hollaͤndiſchen Feſtungen hat-
te man ſonſt (und vielleicht auch noch jezt!)
die Gewohnheit, der Beſazzung alljaͤhrlich,
wenn ſie ihre ſogenannten großen Exerzi-
tien gemacht hatte, einige Freiabende einzu-
raͤumen, an welchen ſie, nach eignem Belieben,
durch Singen, Spielen, Zechen und Tanzen
ſich beluſtigen, und von vollbrachter Arbeit
ausruhen durfte. — Die Abſicht dieſer Ein-
richtung war recht gut, aber der Erfolg war
es doch nicht immer. Das lebhafte Blut die-
ſer Krieger verwandelte nicht ſelten jene Stun-
den einer allgemeinen Freude, in Auftrit-
te, die fuͤr manchen Einzelnen ſehr ernſtlich
wurden. Vorzuͤglich war dieſes ſchon einige-
mal der Fall in Herzogenbuſch geweſen;
wo eine ſehr gemiſchte Beſazzung lag, und wo
das eine Regiment faſt ganz aus Wallonen
beſtand, die ſich noch nie — weder in Krieg
noch Frieden! — durch eine genaue Manns-
zucht empfahlen. Faſt nie verging dort ein
ſolcher Abend ohne Haͤndel. Faſt nie waren.
des andern Morgens alle Stirnen ſo ganz,
alle Koͤrper ſo unverwundet, als ſie es ohn-
gefaͤhr ſechszehn oder ſiebzehn Stunden fruͤher
geweſen waren.
Einſt (es mag nun an die vier und zwanzig
Jahr ſeyn!) als man wieder an gedachtem
Orte eine ſolche Tragi-Komoͤdie begangen
hatte, fand man gegen Morgen, mitten auf
der Straße, ohnweit einem der beſuchteſten
Weinhaͤuſer, einen Grenadier entſeelt, und ganz
in ſeinem Blute ſchwimmend liegen. Eine tie-
fe, toͤdtliche Halswunde hatte ihn dahinge-
ſtreckt; und um dieſen Anblick noch graͤslicher
zu machen, lag einer ſeiner Kammeraden,
mit welchem der Getoͤdete ſchon eine geraume
Zeit in Unfrieden gelebt hatte, die Queere auf
ihm; gab ſich durch ſeine wuͤtende Miene,
durch ſeinen gezognen blutigen Saͤbel, und
durch den Ort, wo man ihn fand, augen-
ſcheinlich als den Moͤrder an; ſchlief aber auch
zugleich, desWeines uͤbervoll, auf dieſemLeich-
name, dem Schlachtopfer ſeiner Wuth, eben
E
ſo ſanft, als ob er auf dem weichſten Sofa
ruhte. Man hob ſie beide auf; verſuchte
fruchtlos, ob bei dem Erſtern noch eine Huͤlfe
moͤglich ſei; und brachte den Zweiten, der jezt
ebenfalls einem Todten mehr, als einem Leben-
den glich, ins Gefaͤngnis; wo er nach einigen
Stunden ſein Bewußtſein wieder erhielt, und
beim Erwachen nicht wenig ſtaunte, ſich hier
zu befinden.
Noch mehr erſchrack er, als er vernahm,
wo man ihn angetroffen, und was er ange-
ſtellt habe. Er wagte es nicht, auch nur mit
einer einzigen Silbe, die That ſelbſt abzulaͤug-
nen. Er verſuchte es eben ſo wenig ihr den
Schein einer Nothwehr, oder eines ungefaͤhren
Zufalls zu geben. Sein wiederholtes, reumuͤ-
thiges Geſtaͤndnis lautete vielmehr ohngefaͤhr
alſo: „Er erinnere ſich leider nur alzuwohl,
daß er im Taumel des geſtrigen Rauſches, mit
ſeinem Kameraden ſich abermals, wie ſchon oft
geſchehen, heftig uͤberworfen habe. Er erin-
nere ſich nicht minder, daß dieſer ebenfalls be-
rauſcht, vor ihm aufgeſtanden, und mit
Schimpfen und Schmaͤhen weggegangen ſei.
Hierdurch noch mehr ergrimmt, ſei er aufge-
ſprungen; habe ihn in vollſter Wuth, mit ge-
zognem Saͤbel, und mit dem feſten Entſchlus
des Mordes verfolgt. Nun muͤß' er zwar
geſtehn: ſo wie er vor die Hausthuͤre gekom-
men, habe ihn auch die aͤußere kalteLuft ſo raſch
angefallen, daß er von dieſem Augenblick an
keine Silbe mehr von ſich und ſeinem Zuſtan-
de wiſſe. Doch, was er gethan, wozu Zank
und Trunk ihn verleitet haͤtten; das ſaͤhe er
jetzt nur allzudeutlich; bitte auch um nichts,
als um eine etwas gnaͤdigere Strafe, weil
ſein Rauſch doch einen großen Theil ſeines
ſtrafbaren Vorſazzes wegnaͤhme.“
Mit dieſer Ausſage ſtimmte auch die Erklaͤ-
rung des Wirths und einiger andrer Gaͤſte
uͤberein. Alle hatten den Zank mit angehoͤrt.
Faſt alle verſicherten, daß der Jnquiſit ſelbſt
ihn angefangen habe. Daß der Ermordete
ſich dieſen oder einen vorigen Abend mit ſonſt
E 2
Jemanden uͤberworfen haͤtte, wußte man
nicht. Denn Moͤrder hatte man mit gezognem
Saͤbel dem Weggehenden nacheilen geſehen.
Weiter war ſich freilich nicht um ihn bekuͤm-
mert worden. — Alles was die Richter da-
her auf eine ſolche Ausſage thun zu koͤnnen
glaubten, war: daß ſie die Todesſtrafe des
Rades in Erſchießung verwandelten. Der
Jnquiſit ſelbſt dankte ihnen fuͤr dieſe Milde,
und bereitete ſich zu ſeinem Ende, ſo gut er
konnte. Am anberaumten Tage ward er
hinausgefuͤhrt, und in den Kreis gebracht.
Dort las man ihm nochmals ſein Urtheil vor;
der Prieſter ſegnete ihn ein; er kniete bereits
nieder; die Augen wurden ihm, nach gewoͤhn-
licher Art, verbunden; ſechs Mann, die auf
ihn feuern ſollten, ſtanden ſchon zum Anſchla-
ge bereit; und der Offizier, der das toͤdtliche
Zeichen geben muſte, grif nun ſo eben nach
dem weiſſen, dazu beſtimmten Tuche; als ein
Soldat, der im erſten Gliede jener ſechs Beor-
derten ſtand, ploͤtzlich ſein Gewehr wegwarf;
ſeinem Nachbar zur Rechten und zur Linken
gleichfalls ihre Flinten aus den Haͤnden ſchlug,
und laut rief: „Nein, laͤnger halt ich es
nicht aus! Jch, ich ſelbſt bin der Moͤrder!
Dieſer hier iſt unſchuldig!“
Ein allgemeines Erſtaunen bemaͤchtigte ſich
der Zuſchauer. Wie eine ſolche Selbſtankla-
ge gegruͤndet ſeyn koͤnne, begrif niemand; und
am allerwenigſten der Verurtheilte. Es war
ja alles ſchon eingeſtanden! Alles ſo klar und
deutlich! Da indeß jener Grenadier auf ſei-
ner Rede beſtand; da er verſicherte: daß bei
einem ordentlichen Verhoͤre ſich alles aufklaͤ-
ren wuͤrde; da ſich bei ihm ſelbſt auch nicht die
geringſte Spur einesWahnſinns fand; ſo ſchob
man ſehr natuͤrlich die Vollſtreckung des To-
desurtheils auf; fuͤhrte beide Soldaten im
Verhaft zuruͤck; und, ſiehe da, zur unbe-
ſchreiblichſten Verwunderung aller leiſtete die
Ausſage des Letztern nur allzutreulich, was
er verſprochen hatte.
E 3
„Er ſey, geſtand er, nicht nur Moͤrder,
nuͤchterner Moͤrder, ſondern ſogar ein Boͤſe-
wicht, der nach dem kaͤlteſten, uͤberdachteſten
Plane gehandelt habe. Schon ſeit zwoͤlf Jah-
ren ſey er im Geheim des Erſchlagnen (der ihn
einſt bey einemLiebeshandel ausgeſtochen) Tod-
feind geweſen; hab' ihm oft genug im Herzen
den gewißen Untergang geſchworen; nur uͤber
die Mittel hierzu haͤtt' er mit ſich ſelbſt nicht
einig werden koͤnnen. Jhn vorwaͤrts, im of-
nen Streite anzugreifen, dazu hab' er ſich zu
ſchwach und, frei geſtanden, auch zu verzagt
gefuͤhlt. An andrer Gelegenheit, ihm unbemerkt
beizukommen, hab' es ihm ſtets gemangelt.
Endlich ſei ihm eingefallen: Ob er nicht viel-
leicht ſeinen Feind bei der lezten Schmauſerei
zum Zank mit einem Dritten reizen, und dann
den Verdacht des Mordes auf einen Unſchul-
digen waͤlzen koͤnne. Aufs vollkommenſte ſei
ihm dies gelungen. Denn durch ihn heimlich
angereizt haͤtten Jnquiſit und jener Ermordete
zuſammen einen Wortwechſel angefangen, der
bald bis zur hoͤchſten Erbitterung fortgeſchrit-
ten waͤre. Wie der Zank im vollſten Gange
geweſen, hab' er ſich fortgeſchlichen, und drauſ-
ſen in einem Winkel der Straße aufgepaßt.
Bald drauf ſei ſein Feind bei ihm vorbeige-
wankt; von niemanden bemerkt, ſei er ihm
uachgeſchlichen; habe den toͤdtlichen Streich
gegen ihn gefuͤhrt, und zwar ſo gut getroffen,
daß jener Ungluͤckliche ſogleich, entſeelt, ohne
Schrei und Laut hingeſunken ſei. Gleich nach-
her waͤre auch derZweite ſinnlos getaumelt her-
gekommen; uͤber den Leichnam geſtrauchelt,
und — das Ruͤckſtaͤndige weiß man ſchon.
Alles habe er nachher ſeinen ordentlichen Lauf
nehmen laſſen. Auf ihn ſei auch nicht der ent-
fernteſte Verdacht gekommen. Doch da er
jezt, durch ein Ohngefaͤhr, auserſehen wor-
den, auf eben denjenigen zu feuern, den er
einzig und allein ins Ungluͤck geſtuͤrzt, da ha-
be ihn die gedultige Ergebung dieſes Armen,
der ſich ſelbſt fuͤr ſchuldig gehalten, unbe-
E 4
ſchreiblich ſtark ergriffen. Sein Gewißen ſei
erwacht, und er begehre nun ſeine verdiente
Strafe.“ Die er wuͤrklich einige Tage drauf
durch das Rad erhielt!
VIII.
Vatermoͤrder, ohne es zu wollen.
Beruͤhmt, oder unvergeßlich vielmehr, iſt
in Frankreichs ſchoͤner Litteratur der Name
vom Prevot d'Exiles, des Verfaſſers von Kle-
veland, von Dechant von Killerine, und vie-
ler andern Romane, deren keinem es an Man-
nichfaltigkeit, an Neuheit der Erfindung, an
Darſtellung und philoſophiſchen Anſtrich, —
kurz, an wahrem Jntereſſe gebricht; nur daß
es immer in ihnen der traurigen Bilder weit
mehrere, als der heitern gefaͤlligen Gemaͤlde
giebt. Einen ſolchen Mann unter Kriminal-
verbrechern mit aufzufuͤhren, zumal, da wir
nie aufgezeichnet finden: daß er vor irgend
ein Gericht Zeit ſeines ganzen Lebens gefodert
worden, ſcheint ſehr ungerecht zu ſeyn; und
doch erzaͤhlen einige neuere franzoͤſiſche Jour-
E 5
nale eine Anekdote von ihm, die mir hoͤchſt
paſſend zum Endzweck gegenwaͤrtiger Geſchich-
ten duͤnkt.
Prevot d'Exiles, in der leztern Halbſcheid
ſeines Lebens Benediktiner des Ordens von
Clugny, ſpeiſte eines Abends mit einigen ſei-
ner vertrauteſten Freunde, in einem Zirkel
von lauter Maͤnnern, die Geiſt und Kenntnis
beſaßen. Eine geraume Zeit ſchon hatte ſich
das Geſpraͤch mit litterariſchen und politiſchen
Neuigkeiten beſchaͤftigt; unvermerkt kamen
auch einige moraliſche Saͤzze an die Reihe,
und einer von der Geſellſchaft behauptete:
Selbſt der rechtſchaffenſte Mann koͤnne nie
ſicher ſeyn, ob er nicht dereinſt noch auf dem
Schafot werde ſterben muͤſſen.“
O, gehn Sie keck noch einen Schritt weiter!
— unterbrach ihn Prevot: -- das auf dem
Schafot-Sterben bedroht freilich den Rei-
chen wie den Bettler, den Sokrates wie den
Cartouche. Doch ſelbſt fuͤr das weit ſchlim-
mere, fuͤr das Schafot verdienen
kann kein Redlicher ſich verbuͤrgen!“ — Laut
ſchrien alle gegen dieſe Behauptung auf. Gruͤn-
de, Deklamation und Eifer wurden darwider
aufgeboten; Prevot blieb ganz gelaſſen bei ſei-
ner Behauptung; blieb bei dem Sazze: „Auch
„der Mann vom redlichſten Herzen koͤnne durch
„einen Zuſammenfluß von Umſtaͤnden ungluͤck-
„lich genug ſeyn, ein Verbrechen zu begehn,
„worauf den Geſezzen nach der Tod, und
„zwar mit Rechte, ſtehe.“ -- Man verſchmaͤh-
te ſeine Beweiſe; man uͤbertaͤubte ſeine Rede;
man verſicherte gerade zu: daß dies unmoͤg-
lich ſey.
„Wohlan, meine Herren“ — hub Prevot,
als er wieder gehoͤrt werden konnte, mit ei-
nem Mittelding von Laͤcheln und von Nach-
denken an — wohlan, ſie ſind ſaͤmtlich meine
Freunde; ich rechne auf ihre Verſchwiegenheit,
und bin bereit, Jhnen ein Geſtaͤndnis zu thun,
das ich noch keinem ſterblichen Ohre anvertraut
habe. Zuvor aber nur erſt die nothwendige
Frage: Halten Sie mich ſaͤmtlich fuͤr einen
rechtſchafnen Mann?“
Man bejahte es einſtimmig, und aus Her-
zensgrunde.
„Jch dank' Jhnen, und hoffe dieſes Zu-
trauen zu verdienen. Dennoch hab' ich eines
der groͤßten Verbrechen auf meinem Gewiſſen;
wenig fehlte, ſo waͤr' ich dem ſchimpflichſten
Tode anheim gefallen; und gewiß ſtarben vie-
le tauſende ſchon auf dem Blutgeruͤſte, die
weit weniger ſich vergingen als ich. — Jch
ſehe, Sie halten das alles fuͤr meinen Scherz;
und doch ſprach ich in meinem ganzen Leben
nicht ernſtlicher, als jetzt.“
Staunend ſahen ſich alle unter einander an;
keiner konnt' ihm glauben; und doch foderte es
ſein Ton. Dringend bat man ihn, dieſes
Raͤthſel aufzuloͤſen.
„Das will ich; muß aber deshalb in wenig
Worten meineJugendgeſchichte zuſammendraͤn-
gen Bald nach Vollendung meiner Schulſtu-
dien, wo ich ſelbſt noch ungewiß war, wozu ich
mich entſchließen ſollte, verliebt' ich mich in ein
jungesMaͤdchen aus meinerNachbarſchaft. Sie
war ungefaͤhr meines Alters, reizend, arm
und gefuͤhlvoll. Jch warb um ihre Gegenlie-
be und erhielt ſie; erhielt bald alles, was ein
Maͤdchen geben, und ein Liebhaber ſich wuͤn-
ſchen kann. Unſre Unbeſonnenheit blieb nicht
lang' ohne Folgen. Meine Schoͤne entdeckte
mir mit thraͤnendem Aug' ihre Lage; aber ich
war unſinnig genug, mich bei dieſerNachricht zu
freuen. Trunken und immer trunkner von Liebe
wich ich nunmehr erſt faſt nie von ihrer Seite,
und brachte bei ihr, auf ihrem Zimmer, meinen
ganzen Tag ſchier hin. Meine Aeltern dran-
gen eben damals ernſtlich in mich, eine beſtim-
te Lebensart zu erwaͤhlen. Doch ich dachte
nur an meine Gebieterin und an ihren heim-
lichen Umgang mit Vergnuͤgen, an alle uͤbrige
Geſchaͤfte mit Ekel. — Jn dieſen Jahren
verbirgt man ſeine Thorheiten nicht lange un-
belauſcht. Mein Vater ſchoͤpfte Argwohn;
erkundigte ſich genauer und erfuhr bald viel;
ſchlich mir nach und entdeckte alles. Meine
Geliebte war damals bereits im ſiebenten Mo-
nat ſchwanger, und ich befand mich eben wie-
der bei ihr, als er uns uͤberraſchte. Er mach-
te ihr in meiner Gegenwart uͤber dieſes ſtraͤfli-
che Verſtaͤndnis mit mir die bitterſten Vor-
wuͤrfe. Jch ſchwieg ehrerbietig. Er ſchmaͤlte
auf ſie, als auf ein Hindernis meines Gluͤcks;
und ſie verſuchte, ſich auf eine beſcheidne Art
zu vertheidigen. — Doch eben dadurch ſtieg
ſein Zorn; er behandelte ſie nun als ein ver-
worfenes Geſchoͤpf, das fuͤr Bezahlung Jedem
feil ſey. Tauſend Schimpfreden uͤbertaͤubten
ſie; die bitterſten Thraͤnen waren ihre lezte
Zuflucht. Jhn erweichten ſie nicht; mich deſto
mehr. Jch wagt' es nun, fuͤr ſie zu ſprechen.
Umſonſt; mein Vater ward immer aufgebrach-
ter; er vergaß ſich ſo weit, daß er die Un-
gluͤckliche ſchlug. Sie wollte ſeine Knie um-
faſſen; aber ein Stoß, den er ihr mit ſeinem
Fuße vor den Leib gab, ſtreckte ſie in bewußt-
loſen Konvulſionen zu Boden. Bei dieſem
graͤßlichen Anblick verließ mich alle Beſin-
nungskraft. Jch ſah nicht meinen Vater
mehr, ich ſah nur den Moͤrder alles deſſen,
was mir werth und theuer war. Jch ſtuͤrzte
auf ihn los; ergrif ihn, warf ihn die Treppe
hinab; und bei dieſem Falle verlezt' er ſich
am Hinterhaupte ſo toͤdtlich, daß er noch am
Abend dieſes unſeligen Tages ſeinen Geiſt
aufgeben mußte. Er war großmuͤthig genug,
mich in dieſen leztenAugenblicken nicht anzu-
klagen. Niemand hatte ihn hinauf gehn ge-
ſehn; niemand von unſerm Zank etwas ge-
hoͤrt; ſein Fall galt fuͤr ein nntuͤrliches, ganz
ohngefaͤhres Ungluͤck. Man begrub ihn; ſein
Stillſchweigen rettete mich von Schmach, Ge-
richt und Tod. Aber ach! nicht von der in-
nern Strafe! Jch fuͤhlte das Graͤßliche mei-
nes Fehltritts nur allzuſehr. Eine tiefe, in
ſich ſelbſt verſchloßne, durch nichts zerſtreu-
bare Traurigkeit verbreitete ſich uͤber mein
ganzes Weſen. Jnnere Unruhe trieb mich jezt
ins Getuͤmmel der Welt, jezt in prieſterlichen
Stand, jezt wieder in Geraͤuſch' und Krieg.
Endlich entſchloß ich mich, meinen Gram und
meine Gewiſſensbiſſe in kloͤſterliche Stille zu
vergraben, und waͤhlte Clugny dazu. Viel-
leicht iſt dieſe tiefe Schwermuth, die ein ju-
gendliches Vergehn uͤber mein ganzes Leben
verbreitete — vielleicht iſt dieſe auch der Grund
jener tragiſchen Begebenheiten, jener graͤßli-
chen Scenen, und jenes duͤſtern Kolorits, das
man in meinen Schriften zu finden gewohnt
iſt, und das von den Kunſtrichtern mir ſo oft
als Uebertreibung vorgeworfen worden iſt.“
Prevot d'Exiles ſchwieg hier. Mit Auf-
merkſamkeit, doch auch mit Schauder und Be-
ſtuͤrzung, hatten ihm ſeine Freunde zugehoͤrt;
ſahen ſich wechſelſeitig mit zweifelvollen Mie-
nen an, und konnten noch nicht glauben, daß
er ihnen Wahrheit erzaͤhlt habe. Sie hielten
es fuͤr einen Zug, den er in irgend einem neuen
Roman anzubringen geſonnen ſey, und von
welchem er verſuchen wollte, ob er auch Wir-
kung hervorbringe. Der Erfolg hat gezeigt,
daß ſie wenigſtens in dieſer Vermuthung ſich
irrten; auch befragten ſie ihn nachher noch
oͤfters um die Beſtaͤtigung dieſes Abentheuers,
und er blieb dabei, daß alles dieß ſeine eigne
wirkliche Geſchichte ſei. — Hat er erfunden,
ſo hat er es wenigſtens ohne Verletzung der
Wahrſcheinlichkeit gethan.Sollte nicht dieſe Anekdote die erſte Veran-
laſſung zu derjenigen (in jedem Betracht et-
was weit getriebenen) Novelle ſeyn, die in
den Blätrern des ſogenanuten Herrn Gra-
fen von Vargas im zweiten Bändchen
unter dem Titel, der Böſewicht, ſich
findet?
F
IX.
Ja wohl hat ſie es nicht gethan!
Es moͤgen einige dreißig, bis nahe vierzig
Jahr verfloſſen ſeyn, als zu Bar==th eine ar-
me ledige, ſchon ziemlich tief in die mannba-
ren Jahre gekommene Weibsperſon lebte, der
man weiter nichts vorzuwerfen wuſte, als daß
ſie einen Fehltritt der Liebe gethan, und ſolchen
durch einen kleinen lebendigen Zeugen ſelbſt an
Tag gebracht habe; ſonſt ein ehrliches, gutes,
ziemlich einfaͤltiges Maͤdchen! — So menſch-
lich auch ein Vergehn dieſer Art ſeyn mag; ſo
gewiß der Verfuͤhrer weit ſtaͤrkern Tadel als
die Verfuͤhrte verdient; ſo dachte man doch in
damaligen Zeiten uͤber einen ſolchen Punkt
weit ſtrenger, als jezt; und wahrſcheinlich auch
weit ſtrenger, als — man ſollte. Nicht genug,
daß damals noch an vielen Orten Kirchen-
buße und Gefaͤngnißſtrafe uͤber die geſchwaͤch-
te Dirne verhaͤngt wurden; ſondern gewoͤhnlich
blieb ſie auch nun fuͤr die uͤbrige Zeit ihres
Lebens, ohne Freier und Mann; fand ſogar
aͤußerſt ſelten einen vortheilhaften Dienſt; und
muſte oft ihr Alter in Duͤrftigkeit zubringen,
blos, weil ſie in ihrer Jugend einen offen-
bar dummen Streich gemacht hatte.
Auch gegenwaͤrtiges armes Geſchoͤpfe be-
drohte ein aͤhnliches Loos. Muͤhſam erwarb
ſie ſich ihren Unterhalt, indem ſie allwoͤchent-
lich ein paarmal von Bar* nach N—g zu Fuße
ging; allda einige Gartenfruͤchte zu Markte
trug; auch nebenbei, als eine halbeBothenfrau,
Briefe und maͤßige Paͤcktchen hin und wieder
beſtellte. Ein getreuer kleiner Spiz, mit wel-
chem ſie redlich das Brod ihrer Armuth theil-
te, war dann gewoͤhnlich ihr Begleiter, und
half ihr oft Weg und Steg ſuchen, wenn im
Herbſt oder Fruͤhjahr eine finſtre regnerichte
Nacht, und im Winter ein Schneegeſtoͤber ſie
in Verlegenheit ſezten.
F 2
Zwiſchen Bar* und N — g liegen, bekanter
maßen, einige Strecken Waldes. Als unſre
Dirne daher einſt wieder auf ihrer gewoͤhnli-
chen Wanderſchaft begriffen war, blieb das
Huͤndchen, ohngefaͤhr eine Meile von erſtge-
nannter Stadt, imBuſche bei einem etwas ſeit-
waͤrts gelegnen Strauche ſtehen; ſpuͤrrte,
krazte, ward unruhig, bellte zulezt. Seine
Beſizzerin, dadurch aufmerkſam gemacht, rief
den Hund ein paarmal; ging, als er durchaus
nicht von der Stelle wollte, endlich ſelbſt hin,
und ſah in der Mitten des Geſtraͤuches ein
recht ſaubres, leinenes Paͤcktchen liegen. Voll
Freuden uͤber dieſen Fund hob ſie ſofort das-
ſelbige auf, und wollte nun eben nachſehen,
was denn das Gluͤck ihr beſchieden habe, als
ſie ploͤzlich, gar nicht mehr weit von ſich, ein
paar Reiter herbeiſprengen hoͤrte. Eine raſche
Furcht wandelte ſie an, daß dieſes Menſchen
ſeyn koͤnnten, die den Fund mit ihr theilen,
oder wohl gar fuͤr ſich behalten duͤrften. Sie
hielt es daher fuͤrs kluͤgſte, das Paͤcktchen wie-
der grade ins Geſtraͤuche hinzuwerfen, ihres
Weges fortzugehen, die Reiter vorbeizulaſſen,
dann aber wieder umzukehren, und die Beſiz-
nehmung zu erneuern. Das Erſtere geſchah;
aber leider, nicht ſo unbemerkt, als ſie wohl
gehoft und gewuͤnſcht hatte. Die Reuter wa-
ren ſchon allzunahe, und beſtanden in dem
Kriminalrichter aus Bar* und ſeinem Be-
dienten. Erſterer hatte deutlich geſehen, daß
dieſes Weibsbild etwas im Strauch werfe,
und dann ſchnell ſich entferne. Eben dieſes
halb haſtige, halb ruhige Fortgehen war ihm
verdaͤchtig. Mit Vergehungen mancher Art in
ſeinemAmte ſchon bekannt, war er vielleicht auch
an ſich ſelbſt mistrauiſcher, als andre Perſonen
an ſeinerStelle geweſen ſein wuͤrden.Er ſpreng-
te demWeibsbild daher nach;holte ſie,wie leicht
zu erachten, bald ein; und fragte: Was ſie dort
am Geſtraͤuch vorgenommen haͤtte? Sie fuhr
erſchrocken zuſammen,und antwortete: Nichts,
gar nichts! Dieſes Erſchrecken und dieſe Un-
wahrheit mehrten den Argwohn, daß es nichts
F 3
Loͤbliches geweſen ſeyn muͤße. Er befahl ihr
mit umzukehren; ſie that es, weil ſie es nicht
abſchlagen durfte. Der Bediente ſtieg beim
Gebuͤſche ab; das Paͤcktchen war bald gefun-
den und aufgehoben. Man oͤfnete es, und
in ihm lag — ein todtes, mit ſichtlicher Ge-
waltthat ermordetes Kind.
Man kann ſich hier leicht den Schrecken der
armen Weibsperſon vorſtellen. Daß ſie jezt
in einen boͤſenHandel verwickelt werden duͤrfte,
ſah ſie wohl ein. Zwar erzaͤhlte ſie nun buch-
ſtaͤblich die Wahrheit; aber wer glaubte ihr
dieſe? Zwar bat ſie himmelhoch, ſie gehn zu
laſſen; aber wie war das moͤglich? Mit der
einen Hand an das Pferd des Bedienten ge-
bunden muſte ſie nun nach Bar* zuruͤck, und
ihr Weg ging gradezu ins Gefaͤngniß. Jn
der ganzen Stadt war wohl kein Menſch, der
nur zweifelte, daß ſie die Moͤrderin ſei. Die
Unterſuchung nahm ihren Anfang.
Aber freilich nicht ganz ſo, wie ſie wohl
ſollte! Ein wichtiger Umſtand ward verab-
ſaͤumt. Das erwuͤrgte Kind ward gehoͤrig
beſichtigt; die angebliche Verbrecherin keines-
wegs. Bei einer koͤrperlichen Unterſuchung
muͤſte es ſich doch wohl unlaͤugbar ergeben
haben, daß ſie nicht erſt vor kurzem wieder
Mutter geworden ſeyn koͤnne. Aber weil ſo
viel gegen ſie ſprach; der Ort, wo ſie gefun-
den worden, ihr ſichtliches Halten des Paͤckt-
chens in Haͤnden, ihr Wegwerfen und Weg-
gehn, ihr Laͤugnen und Erſchrecken, ſelbſt ihr
ehmahliger Fehltritt — ſo war man feſt uͤber-
zeugt, daß alles ihr Betheuern und Schwoͤ-
ren eitel Unwahrheit ſey; verhoͤrte ſie nach dem
gewoͤhnlichen Schneckengange teutſcher Kri-
minaljuſtiz, und — verſchickte die Akten.
Noch galt damals leider bei Gerichtshoͤfen
und Schoͤppenſtuͤhlen die Folter fuͤr das
einzige Mittel verſtockte Suͤnder zum Geſtaͤnd-
nis zu bringen. Lieber zehn Unſchuldige ge-
peinigt, als einen Boͤſewicht durchſchluͤpfen
laſſen! Dies war der unſelige Grundſaz,
nach welchem Urtheilsverfaſſer ſprachen, die
F 4
doch jedem mit elner Jnjurienklage drohten,
der ſie unmenſchlich ſchalt. Auch bei gerin-
gern Anzeigen ward oft genug nach dieſer Regel
darauf erkant; kein Wunder alſo, daß ſie jezt
ebenfalls auf ſogenante peinliche Frage,
mit dem ſchaͤndlichen Beiſaz ziemlicherma-
ßen ſprachen. Umſonſt bat die Aermſte kniend
um Erbarmen. Daumſchrauben, Fitſchel und
ſelbſt die ſogenannte Leiter mußten dreimal ihr
hoͤlliſches Meiſterſtuͤck am Koͤrper der Leidenden
verſuchen. Aber wunderbar genug, alle drei-
mal blieb die Ungluͤckliche auf Behauptung ih-
rer Unſchuld; und endlich mußte man mit der
Folter, wenn auch nicht ganz aufhoͤren, doch
ausſezzen. Nicht Mitleid, nur Ueberzeugung,
daß laͤngres Anhalten toͤdtlich ſeyn wuͤrde,
bewog dazu. Die Jnquiſitin ward ins Ge-
faͤngnis zuruͤckgebracht, damit ſie einige Kraͤf-
te ſamle, und dann — noch einmal gefoltert
werde.
Mehrmals hatte man zwar ſchon in damali-
gen, an Proben dieſer Art ſehr reichenZeiten, die
Bemerkung gemacht: daß Frauen, wenn ſie
nur vorher ein Kindbette uͤberſtanden, dann
groͤßre Martern als Maͤnner zu ertragen ver-
moͤchten. Dennoch machte eine Halsſtarrigkeit
dieſer Art gewaltiges Aufſehn. Das Geruͤchte
davon durchlief bald das ganze kleine Fuͤrſten-
thum.Vorzuͤglich ſprach man in allenBierſchen-
ken anSonn- undFeſttagen von dieſer unglaub-
lichen Bosheit, von dieſer verſtockten Suͤnde-
rin, die lieber ihren Leib verrenken, ihre Glied-
maßen verſtuͤmmeln laſſe, ehe ſie der Wahr-
heit eingeſtaͤndig ſeyn wolle. Schon munkel-
ten einige: ob nicht gar ein Buͤndnis mit dem
T— hier moͤglich ſey. Daß Unſchuld ſelbſt
die Kraͤfte eines armen Maͤdchens ſtaͤlen koͤn-
ne; daran dachte niemand.
Aber auch unter Bauern giebt es zuwei-
len Koͤpfe und Herzen, die ihren eignen, un-
gehinderten Gang fortgehen; giebt es Jſmaels,
deren Hand gegen Jedermann, und Jeder-
manns Hand gegen ſie iſt; die beim Zeitungsle-
ſen ſich immer zur ſchwaͤchern Partei ſchlagen;
F 5
und beim Streite nicht ſelten (troz einem Rouſ-
ſeau und Hobbes) die ſcheinbarſten Jrrſaͤzze
vertheidigen. Ein ſolcher Brauſekopf befand
ſich auch in dem Bar**iſchen Dorfe L—n.
Er hatte ſich ſchon oft einige Zweifel uͤber die
hohe Gerechtigkeit in der Marggraͤflichen
Hauptſtadt erlaubt; hatte ſchon uͤber dieſes
und jenes Geſez, dieſe und jene freiwillige
Steuer geſpoͤttelt; und wuͤrde, wenn er in
gegenwaͤrtigen verderbten Zeiten lebte, ſicher
fuͤr das abſcheulichſte aller Ungeheuer, fuͤr
einen — Demokraten gegolten haben. Jezt,
als er hoͤrte: daß man jene Kindsmoͤrderin
die naͤchſte Woche abermals in die Marterkam-
mer bringen werde; war er laut der Meinung,
daß ihm dies nicht gefalle, und fuͤhrte ſeinen
Beweis folgendermaßen: „Das Menſch iſt
„entweder ſchuldig, oder unſchuldig. Jm er-
„ſtern Fall hat ſie freilich Strafe verdient;
„aber auch ſchon erhalten. Den Kopf ſchlaͤgt
„man den Leuten nur einmal ab. Es muß
„verdamt albern zugehn, wenn das uͤber eine
„Minute dauert; und dann iſt es vorbei.
„Auch muͤſſen wir alle einmal an die Reihe
„des Todes kommen! Ob mit dem Schwert
„oder durch ein Fieber? der Unterſchied iſt
„am Ende nicht groß. Aber dreimal gefoltert
„werden, iſt mein Seel' aͤrger, als zweimal
„ſterben; und ſo lange an einem zerren und
„renken, bis man endlich eine Weile ausſez-
„zen muß, um nur wieder fortfahren zu koͤn-
„nen, das iſt nicht gerichtliche Unterſuchung,
„ſondern gerichtliche Barbarei! — Sollte
„nun zumal am Ende das arme Weibſtuͤck gar
„unſchuldig ſeyn = =
„O das iſt ſie nun wohl gewiß nicht! das kann
ſie gar nicht ſeyn! ſchrie hier der ganze Trupp
ſeiner bisherigenZuhoͤrer. Alle rechneten ihm die
oben erwaͤhnten unguͤnſtigen Umſtaͤnde, noch
wohl vermehrt und verbeſſert, her; alle bewieſen
und ſchrien, und — uͤberzeugten ihn doch
nicht! Daß die Wahrſcheinlichkeit gegen
ſie ſpreche; daß ein ſchwerer Verdacht die Ein-
gekerkerte druͤcke; das geſtand er freilich. Doch
daß Wahrſcheinlichkeit nicht Gewisheit, und
Verdacht nicht Ueberweiſung ſey; das fuͤhrte
er, fuͤr einen Bauer, recht gut aus; und blieb
bei der Folgerung: Am Ende koͤnne doch
noch der Teufel ſein Spiel haben, und die
Gefangene unſchuldig ſeyn.“
Jndem die Bauern ſo am Tiſche ſich ſtrit-
ten; und um beſſer ſchreien zu koͤnnen, den
Bierkruͤgen weidlich zuſprachen, ſaß in einer
weiten Entfernung von ihnen auf der Ofen-
bank ein junges, derbes Bauernmenſch, die
Dienſtmagd eines Freihuͤfners und Witwers
auf einem noch faſt zwei Stunden weit entleg-
nen Fraͤnkiſchen Dorfe. Sie war in Bar**
zu Markte geweſen, hatte verſchiednes einge-
kauft, war von einem Gewitterſchauer uͤber-
raſcht worden; war deshalb in der Schenke
eingekehrt, und wolte warten, bis es ausge-
regnet habe; wo ſie dann des Abends, zumal da
man Mondenſchein vermuthete, langſam heim-
zukehren gedachte. Es war wirklich eine flinke,
und auch (was ſie mit ſo regenſcheu gemacht
haben mochte) recht ſauber gekleidete Bauer-
dirne; da ſie aber grade in dieſem Dorfe we-
nig oder gar keine Bekanntſchaft hatte, ſo mach-
te ſich von den Mannsperſonen niemand etwas
mit ihr zu ſchaffen. — Gleich hinter ihr
auf dem Ofen lag ein junger Burſche der
Laͤnge nach ausgeſtreckt; er hatte den Tag
uͤber als Tagloͤhner beim Wirthe gearbeitet,
und glaubte ſich nun in der Feierſtunde mit
dieſer Lage und Waͤrme, nach gewoͤhnlicher
Denkart ſolcher Menſchen, eine Guͤte zu thun.
Feſt hatte er die Augen zugemacht und ruͤhrte
ſich nicht. Das Maͤdchen hatte ihn entweder
gar nicht bemerkt, oder glaubte wenigſtens,
daß er im Ernſte ſchlafe. Jhre Aufmerkſam-
keit war ganz auf das Geſpraͤch an jenem Ti-
ſche hingerichtet; und als der ſchon erwaͤhnte
Redner ſeine Vertheidigung der angeblichen
Kindsmoͤrderin hielt, und ſich ein paarmal
des Ausdrucks bediente: Wer weiß aber, ob
es das Menſch auch gethan hat! da buͤckte ſich
dieſe Fremde mit halbem Leibe uͤber den Korb,
der neben ihr ſtand, als ſuche ſie etwas in
ihm, und erſeufzte fuͤr ſich: Ja wohl hat
ſie es nicht gethan!
Nur aͤußerſt leiſe, ganz in ſich ſelbſt ver-
ſchluckend, hatte ſie dieſe Worte ausgeſpro-
chen. Gleichwohl waren ſie dem jungen Bauer-
kerl hinter ihr nicht entgangen. Ja, es lag
fuͤr ihn in den Worten ſelbſt, und mehr noch in
der Jnnigkeit, womit ſie ausgeſtoßen worden,
etwas aͤußerſt merkwuͤrdiges. Je laͤnger er
druͤber nachdachte, je bedenklicher ſchienen ſie
ihm. Um nichts durch Uebereilung zu verderben,
verharrt' er noch ein gutes Weilchen in ſeinem
angenommenen Schlafe; ahmte dann ganz ge-
nau einem erſt aufwachenden Menſchen nach;
ſtand auf, ging zur Thuͤre hinaus, rief den Wirth
bei Seite, und erzaͤlte ihm das Gehoͤrte. Die-
ſer fand grade nicht viel Merkwuͤrdiges drin-
nen; aber als jener immer drauf beharrte,
daß der Ton doch gar zu ſehr vom Herzen ge-
kommen ſei, ward auch die Wirthin herbei geru-
fen, und dieſe — wie Weiber uͤber Weiber,
zumal in gewißen Punkten immer ſchaͤrfer als
wir Maͤnner urtheilen, — war gleich der
Meinung: daß dahinter allerdings wohl mehr
ſtecken koͤnne. Sie kannte die Dirne ein we-
nig; ſie entſann ſich, daß ſie vorm Jahre ge-
kraͤnkelt habe; jezt aber, ſeit einigen Monaten
wieder, wie Milch und Blut ausſaͤhe. Sie
hegte die chriſtliche Muthmaßung, daß ſie wohl
nicht ohne Nebenurſache ſo lange ſchon bei ei-
nem Witwer diene; nicht ohne Nebenverdienſt
ſo gut ſich trage; kurz — was bei dem erſten
Erzaͤler nur dunkles Gefuͤhl, nur verworrne
Muthmaßung geweſen war, das ward hier
zuſammenhaͤngend und faſt ſo gut als ent-
ſchieden. Jhr Mann trat endlich ebenfalls
ihrer Meinung bei, und da unter den Bauern
in der Schenkſtube auch der Richter des Dor-
fes ſich befand, ſo ward er nicht minder
herausgerufen, alles ihm erzaͤlt, und von der
Wirthin das Gutachten angehaͤngt: daß man
die Dirne ſofort verhaften ſolle, weil ſie dann
im erſtenSchrecken gewiß alles bekennen werde.
Dieſer leztere Vorſchlag ſchien freilich dem
Dorfrichter etwas bedenklich zu ſeyn. Da
aber nun ſchon drei Menſchen uͤbereinſtimten;
da man vorzuͤglich ihm bewieß, daß grade in
der Ueberraſchung die groͤßte Hofnung von
zu entdeckender Wahrheit liege; und da die
Wirthin mit aller moͤglichen Beredſamkeit
behauptete: es koͤnne im ſchlimmſten Fall
doch keine uͤbeln Folgen haben, wenn man
eine unſchuldige Perſon zu retten, eine ſchul-
dige auszuforſchen ſuche; ſo gab der Schul-
ze endlich nach, holte ſofort ein paar Ge-
huͤlfen, und eh eine Viertelſtunde verlief, ward
jene Magd, eben als ſie aufſtehn und weiter
gehn wollte, verhaftet. Sie erſchrack außer-
ordentlich; fragte zitternd um die Urſache;
und als man ihr ganz kurz zur Antwort gab:
Sie moͤgte ſich nur beſinnen, was ſie vor ei-
nigen Monaten angeſtellt habe! kam eine Ohn-
macht ihr nahe. Als man jene Worte endlich
ihr vorhielt, wußte ſie noch minder eine gehoͤ-
rige Erklaͤrung davon zu geben; kurz ehe noch
eine Stunde verging, bekannte ſie frei heraus:
„Daß ſie ſelbſt die Mutter, Moͤrderin und
„Weglegerin jenes Kindes geweſen ſei.“
Wie ſchnell ſich das Geruͤchte von dieſem
Vorfalle umher verbreitete, welches Erſtaunen
daruͤber entſtand, und wie wenig ſich im
Grund des Herzens die Kriminalgerichten zu
Bar * dabei erfreuten; das alles bedarf keiner
Ausfuͤhrung. Schon des andern Morgens
ward die Neuverhaftete abgefuͤhrt, und blieb
auch beim Verhoͤr in der Stadt bei ihrem Ge-
ſtaͤndnis; gab alle Umſtaͤnde ſo genau an,
daß jeder noch uͤbrige Zweifel verſchwand, und
erlitt nach einigen Monaten — denn auch
beim eingeſtandenſten Verbrechen nimmt teut-
ſche Kriminaljuſtiz ſich gute Weile! — ihre
Strafe. Jene Unſchuldige hingegen, durch ei-
ne ſo ſonderbare Zuſammentreffung kleiner
Zufaͤlligkeiten angeſchuldigt und wieder ge-
rechtfertigt, ward nun vom Gericht ſelbſt
als unſchuldig anerkannt und in Freiheit ge-
ſezt. Aber die grauſame Folter hatte ſie des
G
gehoͤrigen Gebrauchs ihrer Gliedmaßen be-
raubt. Nur gebuͤckt konnte ſie fortan ſchlei-
chen. Jn ihren ausgerenkten Armen war
keine Kraft mehr. Man gab ihr daher eine
ſogenannte Spitalpfruͤnde; das heißt, Koſt
und freie Wohnung auf Lebenslang; und
ſie erreichte, — doch vielleicht nicht ſo be-
dauert, wie ſie es verdiente! — ein ziemlich
hohes Alter.
X.
Der Mann um Mitternacht auf der
Kanzel.
Jn einem kleinen Nieder-Lauſiziſchen Staͤdt-
chen ward vor ungefaͤhr dreißigJahren einRaͤu-
ber eingezogen, deſſen Verbrechen vorzuͤglich
in Kirchendiebſtaͤhlen beſtanden. — Auf ge-
richtliches Befragen: warum er eben dieſe Art
vonRaube, auf der doch ein doppelter Fluch
ſtaͤnde, ſich erwaͤhlt habe? antwortete er:
„Weil er keine leichtere Beſchaͤftigung kenne.
„Der Aberglaube,“ fuhr er laͤchelnd fort,
„ſorgt ſchon dafuͤr, daß man ſicher genug da-
„bei handthieren kann. — Wer naht ſich
„gern des Nachts einem Kirchhofe? Und
„wann's zumal regnet, wann die Winde mit
„den Thuͤren kniſtern, oder durch die Zugloͤ-
G 2
„cher in den oft zerbrochnen Fenſtern heulen:
„wann die Nachtvoͤgel rund herum ſchwirren,
„und die Glocken vom Sturme klingen; wer
„laͤuft dann nicht, ſo weit er nur kann, vom
„Kirchhof hinweg,oder wer glaubt nicht, wenn
„er ja nahe vorbeigehen muß, ſeinen Großva-
„ter und ſeine Großmutter leibhaftig dort her-
„umwandeln zu ſehen? — Nirgends iſt man
„alſo gewiſſer, ungeſtoͤrt zu bleiben, und nur
„ein einzigesmal in meinem ganzen Leben be-
„gegnete mir ein ſeltſamer, halb drolligter,
„halb fuͤrchterlicher Streich.“
Man fragte ihn; Was fuͤr einer? Und er
beichtete freimuͤthig folgendermaßen:
Es war das erſtemal, daß ich mit dabei
war, und es gab eine fuͤrchterliche, regenvolle,
pechfinſtere Nacht. Wir erbrachen gluͤcklich
die Kirchthuͤre; ich war der Lezte ohne einem,
und, ſieh da! als ich aus der Halle in die
Kirche ſelbſt trat, wie erſchrack ich, als ich
beim erſten Blick und erſten Schimmer mei-
nes Laternchens, auf der Kanzel, groß und
lang einen Mann im Prieſterrocke ſtehen ſah,
der ſo entſezlich ſtark ſchrie, daß es aus allen
Winkeln der Kirche zuruͤckſchallte, ob ich gleich
keine Silbe davon verſtehen konnte.
Man kann ſich mein Zuruͤckprallen leicht
denken. Meine Kameraden, ohnedem auf-
merkſam auf mich, ſahen es. — „Was iſt
„dir?“ fragten ſie. — „Je! ſeht ihr denn
„den Mann nicht auf der Kanzel dort? der ſo
„da ſteht und predigt? Wer iſt er? Was
„will er?“ — „Siehſt du den auch?“ gab
mir einer laͤchelnd zur Antwort: „laß du den
„immer ins Teufels Namen hier ſtehen! er
„thut dir doch nichts.“ — Man riß mich
fort; die Sakriſtei ward erbrochen und be-
raubt. Wir arbeiteten mit der groͤßten Muße,
und waren ſchon wieder gluͤcklich heraus und
auf dem Kirchhofe, als unſer Anfuͤhrer fragte:
„Es hat doch keiner von euch was drinnen
„vergeſſen?“ Wir ſahen nach; keinem fehlte
das geringſte, außer mir — meine Muͤtze.
G 3
Jch haͤtte ſie herzlich gern im Stiche gelaſ-
ſen; aber es war die einmuͤthige Stimme mei-
ner Kameraden: daß durch ſolche alles ver-
rathen werden wuͤrde, und daß ich ſie ſchnur-
ſtraks wieder holen muͤſſe. — „Wenn nur
wenigſtens, wandt' ich ein, jemand mitginge!
Der Mann drinnen = = = „Zum Henker,
„ſo laß doch den Mann drinnen Mann ſeyn!
„Der kruͤmmt dir kein Haͤrchen, wenn du dir's,
„furchtſamer Haſe, nicht ſelbſt kruͤmmſt.“
So rief man von allen Seiten mir zu.
Scham und Noth draͤngten mich; es half
nichts, ich mußt' allein hinein. Der verzwei-
felte Mann ſtand wirklich noch da, und hatt'
er vorher ſtark geſchrien, ſo ſchrie er jezt noch
zehnmal ſtaͤrker. Jch ſah mir ihn ein paar
Augenblicke recht ſtarr an. — „Je,“ ſagt'
ich endlich zu mir ſelbſt, indem ich mir ein
Herz, ſo groß wie zwei Herzen faßte: „wenn
du nichts als ſchreien kannſt, ſo ſchrei dich
meinetwegen heiſcher!“ Hierauf ging ich in
die Sakriſtei, fand meine Muͤtze, und wie ich
wieder herauskam, war nicht nur der Kerl
weg, ſondern ich hab' auch ſeitdem nie wieder
etwas Unheimliches geſehen. —
So weit, und zwar ganz genau, die
Ausſage dieſes Raͤubers! — Es iſt wohl
kaum noͤthig, meine Leſer auf einige Be-
ſonderheiten ſeines Geſtaͤndniſſes aufmerkſam
zu machen. — Die Frage des einen Mit-
raͤubers: Siehſt du den Kerl auch? iſt mir
immer am merkwuͤrdigſten vorgekommen. Sie
zeigt, duͤnkt mich, deutlich genug, daß dieſe
oder eine aͤhnliche Erſcheinung der loͤblichen
Geſellſchaft, wenigſtens einigen von ihr, bei
den erſten Probeſtuͤcken ihres Gewerbes
ſich auch dargeſtellt haben moͤge. Das Ver-
ſchwinden dieſes Mannes, den die erhizte Ein-
bildungskraft eines Neulings im Laſter ſich
ſchuf, war eine nothwendige Folge ſeines
uͤbertaͤubten Gewiſſens, deſſen lezte ſter-
bende Empfindung ſich in einen nicht ganz
willkuͤhrlichenSpott verwandelte. Ver-
wunderlich ſcheint es mir, daß die Furcht des
G 4
Raͤubers dem anſcheinenden Geſpenſt nicht
auch wirkliche Worte lieh; und noch wun-
derbarer muͤſte es zugehn, wenn ſich Geſchich-
ten aͤhnlicher Art nicht noch in manchen Jn-
quiſitionsakten vorfinden ſollten. Sie koͤnnten
vielleicht manchen treflichen Aufſchlus mehr
von der Staͤrke einer erhizten Einbildung uns
geben; und ich will eben daher gleich noch ei-
ne Geſchichte von aͤhnlicher Art drauf folgen
laſſen, die ich zwar nicht aus den Akten ſelbſt,
doch aus dem Munde ſo glaubwuͤrdiger, vom
ganzen Vorfall ſo genau unterrichteter Perſo-
nen habe, daß ich mich ohne Bedenken fuͤr die
Wahrheit derſelben verbuͤrgen kann.
XI.
Auch einer verſtorbnen Frauen Win-
ke ſoll man nicht verachten.
Die Kerniſche Handlung, eine der vorzuͤg-
lichſten in Prag und in ganz Boͤhmen,
hatte, unter ihrem vorigen Beſizzer, ſchon
ſeit mehr als zwanzig Jahren einen ſoge-
nanten HausmeiſterSo nennt man in Böhmen und auch in einigen
andern Provinzen Teutſchlands einen Mann,
der in großen Häuſern ſeine Wohnung im
Erdſtock hat, das Haus auf und zuſchließt,
für kleine häusliche Reparaturen ſorgt, und
dafür, außer freier Wohnung, Holz und
Licht, oft noch andre kleine Vortheile zu
genießen hat. in ihrem Dienſte,
der das Zutrauen ſeiner Herrſchaft vollkom-
men beſaß, und deſſelben doch aͤußerſt unwerth
war. Denn ſchon ſeit geraumer Friſt hatte
G 5
dieſer Nichtswuͤrdige ſich Nachſchluͤſſel zu ver-
ſchaffen gewußt, oͤfnete damit des Nachts lei-
ſe die Gewoͤlber; verſorgte ſich nicht nur reich-
lich mit Zukker, Koffe und andern aͤhnlichen
Waaren; ſondern that auch in die Kaſſe ſelbſt
manchen dreiſten und derben Grif. Da er
immer ziemlich genau wiſſen konnte, wann dieſe
am beſten beſezt, und ein Abgang am wenig-
ſten zu ſpuͤren ſey; da er uͤberdies ſeine Maas-
regeln ſo vorſichtig als moͤglich nahm, ſo blieb
er immer unentdeckt; ward dadurch nach und
nach ein wohlhabender Mann; und kaufte
ſich endlich ſelbſt einen betraͤchtlichen Wein-
garten an, wobei er aber immer noch ſeinen
vorigen Dienſt behielt.
Auch bei dieſem Kaufe argwohnten ſeine
Prinzipalen nichts, und wieſen ſelbſt einige
freundſchaftliche Warnungen lachend von der
Hand. Er konnte ihnen verſchiedne ehrliche
Wege, worauf er ſich etwas erworben, an-
geben; und es war ihnen ſogar lieb, einen be-
mittelten Mann in dieſem Poſten zu haben,
weil ſie glaubten, einem ſolchen mehr als ei-
nem ganz Duͤrftigen trauen zu koͤnnen. Doch
endlich kam ſeine Frau, die um alles wußte,
auf's Sterbebette und ihr Gewiſſen erwachte.
Zwar wollte ſie auch jezt noch ihren Mann
keineswegs angeben oder verrathen. Aber
unter vier Augen that ſie ihm die ernſtlichſte
Vorſtellung: „Es ſey endlich Zeit,“ ſagte ſie,
„in ſich zu gehen und vom bisherigen Laſter-
„wege abzuweichen. Er ſey nun vor allem
„Mangel auf ſeine aͤltern Tage gedeckt; be-
„ſizze eine eigne Wohnung und baares Geld
„genug. Eigentlich ſollte er beides, als ein
„geraubtes Gut, wieder erſtatten; doch wenn
„er auch dazu ſich nicht entſchloͤße, ſo be-
„ſchwoͤre ſie ihn wenigſtens mit Thraͤnen,
„ſich mit dem zu begnuͤgen, was er ſchon ha-
„be; und ſie koͤnne nicht ruhig ſterben, bevor
„er dies nicht ihr zugeſichert haͤtte!“
Dieſe Rede wirkte; denn er hatte ſeine Frau
lieb gehabt, und durch ihre jezzige Lage wur-
den ihre Worte ihm noch wichtiger. Er ver-
ſprach ihr daher mit Thraͤnen, nie wieder zu
ſtehlen. Sie ließ ſich die Hand drauf geben;
wiederholte einigemal: daß, wenn er dieſes
Verſprechen braͤche, Gottes Langmuth muͤde
ſeyn und ihn zu Schanden laſſen werde; und
verſchied wenige Stunden nachher. Einige
Monate durch hielt unſer Wittwer ſein Wort
aufs puͤnktlichſte. Doch nunmehr war ſein
Vorrath von Zukker und Koffe aufgezehrt,
und er ſollte ſein eignes Geld fuͤr Waaren aus-
geben, die er bisher uͤberfluͤßig gehabt, oft
ſelbſt verſchachert hatte. Dies ging ihm ſchwer
im Kopf. Er war es zufrieden, ehrlich zu
ſeyn; ſelbſt wenn er einigen Gewinnſt verloͤre.
Doch dabei ſogar, wie er es nannte, zuzubuͤßen,
dies, glaubte er, ſey alzuviel gefodert. Zu-
dem troͤſtete er ſich mit einem Grunde, der nur
alzuoft dem gemeinen Mann den Schritt uͤber
ſein Gewiſſen hinweg erleichtert — „Gott ſey
„Dank,“ dachte er, „deine Prinzipalen ha-
„ben es ja! Es iſt ja nicht einmal ihr baa-
„res Geld; es ſind ihre Waaren, die ihnen
„nicht ſo hoch als andern Menſchen zu ſtehn
„kommen.“ Kurz! nach einem langen Kampfe
mit ſich ſelbſt, entſchloß er ſich ſeinen alten
Gang abermals zu thun und ſich nun Vor-
rath, doch nur Vorrath von Zukker und
Koffe zu holen.
Die Gewoͤlbthuͤre ging in einem geraͤumi-
gen Hof. Das Zimmer, wo er wohnte, lag
in einem andern Theil des Hauſes. Jn einer
ſtillen Mitternachtsſtunde machte er ſich auf
den Weg. Aber, ſo wie er im Hof eintrat,
ſo wie er jene Thuͤre ins Geſicht bekam, ſah
er vor ihr ſeine verſtorbene Frau in Lebens-
groͤße ſtehen. Sie war in einem weiſſen Ge-
wande; ihre ausgebreiteten Arme ſchienen die
Thuͤre gleichſam noch feſter zuzuklemmen. Daß
der Raͤuber bei dieſem unerwarteten Anblick
erſchrack, laͤßt ſich leicht denken. Er floh ha-
ſtig in ſein Zimmer zuruͤck und zu Bette. Die
ganze Nacht kam kein Schlaf in ſein Auge,
und wohl zwanzigmal erneuerte er dem Schat-
ten ſeiner Frau in Gedanken eben den Schwur;
den er ihr ſelbſt am Todbette gethan hatte.
Doch ſo, wie wieder einige Tage verfloſſen
waren, ſtiegen auch andre Gedanken und man-
cherlei Zweifel in ihm auf. — „Wie dann,
„wenn es nur ein Mondſchein, ein Licht im
„erſten Stocke oder wohl gar deine Einbil-
„dung geweſen waͤre? Biſt ein ſo alter Kerl
„— ſo lange in dieſem Hauſe — ſo oft auf
„dem nemlichen Wege, und ſpuͤrteſt nie etwas
„unheimliches! Nur jezt — Poſſen, ich ver-
„ſuch es noch einmal! muß entweder hinein
„oder mir wenigſtens das Ding, das mich
„ſcheucht, genauer beſehen.“ Er ging; nach
Mitternacht; kein Mondſchein war am Him-
mel, im ganzen Hauſe kein wachender Menſch,
und kein Licht zu ſpuͤren. Er ſamlete ſeine
ganze Herzhaftigkeit. Sie hielt aus, bis er
im Hof eintrat; aber ſieh da, der Geiſt ſeiner
Frau ſtand wieder am vorigen Poſten. Es
war ihre Geſtalt, ihr Geſicht, ihre Groͤße;
alles vom groͤßten bis zum kleinſten! Er be-
trachtete ſie einige Augenblikke unverwandt;
ſie blieb ſtehen. Jhre Arme waren wieder
ausgebreitet. Mit einemFinger ſchien ſie ihm zu
drohen. Es uͤberlief ihn ein eiskalter Schauer;
er eilte wieder zuruͤck und brachte auch dieſe
Nacht wie jene erſtre mit Furcht, Gebet und
guten Vorſaͤzzen von Lebensbeſſerung zu.
Aber Geiz und Habſucht, wo ſie einmal
recht Raum gewonnen haben, uͤberwaͤlti-
gen auch den beſten Vorſaz und ſelbſt das
erwachte Gewißen. Bei jedem Pfennig, den
unſer Hausmeiſter wieder fuͤr jene, ſchon er-
waͤhnte, Beduͤrfniße ausgab, dachte er alle-
mal: „Haſt das ſo nahe; koͤnnteſt das ſo
umſonſt haben!“ Jmmer uͤberzeugte er ſich
ſtaͤrker, daß jener Geiſt, troz ſeines zweima-
ligen Schildwachtſtehens, nur ein Spiel der
Einbildungskraft, ein ſelbſtgeſchafnes Schreck-
bild ſey — „Wenn deine Frau dir erſcheinen
„wollte und koͤnnte, warum nur immer im
„Hofe und vor jener Thuͤre? Warum nicht
„auch hier auf deinem Zimmer? Warum
„nicht da, wo ſie ſonſt lebend zu ſizzen pfleg-
„te, oder vollends da, wo ſie ſtarb?“ Er
ſah ſich anfangs immer furchtſam um, ſo oft
er dieſen Gedanken hegte; aber er gewoͤhnte
ſich bald dran, und nahm ſich nun, mit Gruͤn-
den, wie er glaubte, gewafnet, feſt vor: noch
einmal nicht nur hinzugehen, ſondern auch
ſeinen Vorſaz durchzuſezzen, und wenn ſeine
Frau doppelt daſtuͤnde.
Er ging. Jener zweimalige Anblick erneu-
te ſich richtig wieder. Aber der Verſtockte
blieb auf ſeinem Entſchlus. Mit halb abge-
wandtem Geſicht kam er bis dicht an die Thuͤ-
re; ſchob jenen lichten Schein, ſo daͤucht es
ihm, gleichſam davon hinweg, und ſchloß
dann ungehindert auf. Alles dies, ſo ſchau-
derhaft es vielleicht fuͤr manche, ohnedem
furchtſame Leſer klingen mag, laͤßt ſich doch
durch ein klein wenig Seelenkunde leicht erklaͤ-
ren, ohne daß deshalb ein wirkliches Geſpenſt
ins Spiel zu miſchen waͤre. Merkwuͤrdig
aber bleibt es doch, daß dieſer ſo oft und ſo
fruchtlos von ſeiner ſterbenden Frau und von
ſeinem eignen Gewißen gewarnte Boͤſewicht
jezt allerdings in ſein Verderben rante, und daß
er, der vorher ſo oft gluͤcklich entwiſcht war,
grade jezt in einem Fallſtrick kommen mußte,
dem er nicht mehr entgehn, und wovon ihm
keine Silbe ahnden konnte.
Jene fruͤhere Kaſſeneingriffe waren zwar
nicht immer, und nicht ganz beſtimt gemerkt,
aber doch ein paarmal vermuthet worden.
Man hatte hin und her, doch niemals auf die
ſchuldige Perſon gerathen; auch wurden ſchon
ein paar Ladendiener, wenn gleich nicht gera-
dezu deswegen, doch wenigſtens mit einigem
Argwohn verabſchiedet. Jezt war ſeit wenig
Wochen ein neuer angenommen, der Redlich-
keit, Liebe zur Ordnung und Unverdroſſen-
heit beſaß. Er hatte von jenen Diebſtaͤlen
murmeln gehoͤrt, hegte Ehrliebe genug zu
wuͤnſchen, daß dergleichen unter ihm nicht
vorfallen moͤchten, und glaubte vor allen Din-
gen beobachten zu muͤßen: Ob er auch lau-
H
ter ehrliche Hausgenoßen habe. Er nahm ſich
daher vor, einige Monate hindurch alle Naͤch-
te in einem kleinen, dicht an das Hauptge-
woͤlbe ſtoßenden und mit einer Glasthuͤre ver-
ſehenen Stuͤbchen zu ſchlafen. Alle Abende
trug er ſich ſelbſt, ganz heimlich, ein paar
Betten auf eine Bank dorthin. Niemanden,
als ſeinen Prinzipalen, ſagte er ein Wort da-
von; ſchon mehrere Wochen hatte er dieſe
Uebung fortgeſezt und nicht das geringſte
Verdaͤchtige bemerkt. Da gewoͤhnlich immer
nur neue Diener recht eifrige Diener zu
ſeyn pflegen; da auch der beſte Vorſaz, wenn
man keinen Nuzzen ſpuͤrt, bald erkaltet; ſo
war es ſehr moͤglich, daß dieſes unbequeme
Nachtlager ſich ſchon ſeiner Endſchaft nahte,
und daß jener nichtswuͤrdige Raͤuber nur
noch ein paar Wochen haͤtte warten duͤrfen,
um dann ſicher wieder pluͤndern zu koͤnnen.
Doch daß er gerade jezt ein Herz ſich faßte,
auch dies war vielleicht eine Fuͤgung des
Schickſals, welches ihn reif zu ſeinem Ver-
derben fand.
Kaum hatte er jezt die Thuͤre des Gewoͤlbes
aufgeſchloſſen, als unſer Kundſchafter auch
dieſes nahe, wiewohl leiſe Geraͤuſch vernahm,
an jenes Fenſtergen ſich ſchlich, und beim
Schimmer einer kleinen Diebslaterne den Raͤu-
ber gar bald erkannte. Er ſah, wie er den
Zukker- und Kaffeevorraͤthen zuſprach, und
ließ ihn ungeſtoͤrt ſich belaſten, ſo viel er
wollte. Jezt hatte ſolcher nun alles das,
weswegen er eigentlich gekommen war. Er
hatte ſich feſt vorgenommen, die Kaſſe dies-
mal nicht heimzuſuchen; da er ihr aber ſo
nahe war; da er alles um ſich herum ſo ſi-
cher glaubte; da er entſchloſſen war, ſobald
nicht wieder zu kommen; ſo dacht' er: Ein
Grif mehr dort hinein kann doch auch nichts
ſchaden! Die Schluͤſſel hatte er bei ſich; die
Kaſſe war in einem Augenblick eroͤfnet. Doch
jezt ſprang auch der Ladendiener ſchnell her-
bei, packte den Dieb feſt, und ſchrie ſo laut
H 2
er konnte: Huͤlfe, Huͤlfe! um noch mehrere
Menſchen im Hauſe zu wekken. Vergebens
wollte jener Elende ſich losreißen: der Diener
war juͤnger und ſtaͤrker. Vergebens bat er
um Gotteswillen, nur diesmal ihn gehn zu
laſſen; nahm vergebens zu den ſchoͤnſten Ver-
ſprechungen ſeine Zuflucht. Jener hatte we-
der Erbarmen noch Luſt ſich beſtechen zu laſ-
ſen; ſchrie immer nur noch ſtaͤrker, und wek-
te endlich die Hausgenoſſen, die ſchaarenweiſe
zuſammen kamen. Ein allgemeines Erſtau-
nen entſtand, als man ſah, was vorgegan-
geu ſey, und wer es veruͤbt habe. Man hol-
te ſogleich die Wache und uͤbergab ihr fuͤr
dieſe Nacht den Verbrecher. Des andern
Morgens uͤbernahmen ihn die Gerichten. Da
alles Laͤugnen umſonſt geweſen waͤre, geſtand
er die vielen Diebſtaͤhle, die er nach und nach
begangen hatte. Sie betrugen in Waaren
und Gelde an zwoͤlf tauſend Gulden. Er
hatte durch dieſe Summe das Leben, nach den
damals geltenden Geſetzen, mehr als zehnfach
verwuͤrkt; doch ward ſein Urtheil auf lebens-
laͤngliches Zuchthaus gemildert. Sein gan-
zes Vermoͤgen ward eingezogen und ſeinen
beraubten Prinzipalen uͤberliefert. Aus ſei-
nem eignen Munde erfuhr man, vor Gerich-
ten, die vorſtehende Geſchichte.
H 3
XII.
Die Stuzperuͤkke.
Engliſche Kriminalgeſchichte.
Daß in England oft Maͤnner vom feinſten
Stand und von der beſten Geburt, wenn
Spiel, Ausſchweifung oder Unfaͤlle ſie in Ver-
legenheit ſezzen, die Landſtraße zu bereiten
und dem erſten beſten Reiſenden ihre (oft le-
dige) Piſtole vorzuhalten pflegen, das iſt eine
laͤngſt bekannte Sache. Einſt hielt einer von
dieſen Highwaymens einen reichen Wollhaͤnd-
ler an; zwang ihn, der auf einen ſolchen Vor-
fall ganz unvorbereitet war, nicht blos mit
einem Paar Guineen, ſondern mit einer ziem-
lich anſehnlichen Banknote ſich zu loͤſen; be-
dankte ſich hoͤflich, und ſprengte davon.
Der Raͤuber, dem in mancher Ruͤckſicht
daran gelegen ſeyn mochte, unerkannt zu blei-
ben, hatte unter andern Huͤlfsmitteln auch
einer ſchwarzen Peruͤcke ſich bedient, die faſt
ſein ganzes Geſicht verdeckte. Jezt war er
kaum einige hundert Schritte von dem Orte
ſeines Fanges entfernt, als er dieſe Haarhau-
be wegwarf, und weiter eilte, ohne fuͤr deren
ferneres Schickſal beſorgt zu ſeyn. — Die
Straße, wo dies geſchah, gehoͤrte nicht zu
den ſehr beſuchten Straßen Englands; die
Peruͤcke war uͤberdies noch auf einen Neben-
weg hingeſchleudert worden; ſie lag daher ein
ziemliches Weilchen, eh' ſich ein Liebhaber da-
zu fand; aber endlich kam der einzige Sohn
eines reichen Eſquire, deſſen vaͤterliches Gut
in der Naͤhe war, geritten; ſah ſie, hob ſie
aus Neugier mit ſeiner Reitgert' empor, und
kam durch ein ungluͤckliches Ungefaͤhr auf den
Einfall, ſich einen Spas damit machen zu
wollen.
H 4
„Wenn ich dies Geniſte, (dacht' er bei ſich
ſelbſt) aufſezte, ſo wuͤrde mich vielleicht unſer
eignes Hausgeſinde, wohl gar meine leibliche
Schweſter nicht kennen. Jch habe ja nicht
weit bis heim! Was thut's, ich will's ver-
ſuchen.“ — Er ſezte ſie auf, und ritt ganz
gelaſſen weiter.
Eh er auf ſeines Vaters Grund und Bo-
den kam, mußt' er noch die Landſtraße durch-
ſchneiden, und ſowohl bei einem Schlagbaum,
als einem Zolhaͤuschen vorbei, wo Wegegeld
entrichtet ward. Er that dies, unbekuͤmmert
wegen der Leute, die er dabei ſtehen ſah; aber
deſtomehr bekuͤmmerten ſich dieſe um ihn.
Denn ſieh' da, durch einen neuen ungluͤckli-
chen Zufall hielt hier, in eben dieſem Augen-
blick, jener vor kurzem erſt beraubte Wollhaͤnd-
ler an; und erzaͤlte einigen von Ohngefaͤhr
angetroffenen Bekannten ſein trauriges Eben-
theuer. Jezt, als er im beſten Erzaͤlen un-
ſern jungen Esquire daher traben ſah, und
auf ſeinem Kopf jene Peruͤcke erblickte, die er
nur alzugut ſich gemerkt hatte, unterbrach er
ſogleich ſeine Erzaͤlung und rief haſtig. —
„Ei ſeht da! Unſer Highwaymann! Greift
ihn! greift ihn!“ — Seine Gefaͤhrten, ge-
taͤuſcht wie er, legten ſofort Hand an. Eh
der arme beſtuͤrzte Juͤngling ein Wort nur
reden konnte, war er auch ſchon vom Pferde
herunter gezogen. Es half nichts, daß er
ſich zu erkennen gab; nichts, daß der Zollein-
nehmer ſelbſt nun fuͤr ihn und ſeine Unſchuld
Leib und Leben zu verpfaͤnden ſich erbot;
nichts, daß von allen geraubten Stuͤcken auch
nicht ein einziges bei ihm zu finden war. Der
Wollhaͤndler blieb dabei, er erkenne ſeinen
Raͤuber in ihm. Das Begehren der Verhaf-
tung mußt' ihm gewilfahrt werden, und der
peinliche Prozeß nahm ſeinen gewoͤhnlichen
Lauf.
Der Sachwalter des jungen Esquire that
alles moͤgliche, um die Schuldloſigkeit ſeines
Klienten ins helle Licht zu ſezzen. Man gab
ihm durchgaͤngig das vortheilhafteſte Zeug-
H 5
nis; aber wegen der verdaͤchtigen Viertelſtun-
de konnt' er doch durch keinen Zeugen ſich recht-
fertigen; der Wollhaͤndler, auch ein ſonſt
unbeſcholtner Mann, beharrte auf ſeiner Aus-
ſage: legte den Eid drauf ab, und die zwoͤlf
Geſchwornen ſprachen das fuͤrchterliche guilty
aus.
Jn England, wie bekannt, werden alle Ge-
richtshaͤndel bei ofnen Thuͤren gefuͤhrt. Bei dem
gegenwaͤrtigen Verhoͤr war der wahre Thaͤter
vom Anfange bis zu Ende Zuſchauer geweſen,
hatte aber weislich geſchwiegen, bis der Aus-
ſpruch der Geſchwornen gefaͤllt war. Jezt trat
er hervor, wandte ſich zum Richter, und ſagte:
„Der Kriminalprozeß ſey zwar ganz ohne Par-
teilichkeit, ganz ohne Verlezzung irgend eines
Geſezzes gefuͤhrt worden; doch ſchein' es ihm,
als haͤtten Klaͤger und Geſchworne zu viel
auf den Punkt mit der Peruͤcke geachtet. Wenn
es ihm erlaubt ſey, getrau' er dieſes ſofort
durch ein augenſcheinliches Beiſpiel zu bewei-
ſen.“ — Der Richter, der nichts eifriger
wuͤnſchte, als ſeinen Angeklagten retten zu
koͤnnen, gab dieſem neuaufgetretenen Sachwal-
ter gern Erlaubnis, ſeinen Beweis zu fuͤhren,
und ließ ihm die Peruͤcke reichen, die waͤhrend
des ganzen Handels da gelegen hatte.
Er ſtuͤrzte ſie auf, indem er dem Wollhaͤnd-
ler den Ruͤcken zukehrte. Dann aber wandte
er ſich ſchnell um zu ihm, und mit eben dem
Blick, dem Ton, der Geberde, der Drohung
in Hand und Worten rief er: Deine Boͤrſe
her, Elender!
Kaum ſah dieſer ſo ploͤzlich jenes Original
vor ſich ſtehen, das ganz ein Da Capo mit
ihm ſpielte, als er auch augenblicklich ſeinen
bisherigen Jrrthum und ſeinen wahren Feind
erkannte. — „Gott verdamm mich (ſchrie er
auf) ich habe mich betrogen; dieſer hier iſt
mein Spitzbube!“
Aber eben ſo raſch war jener mit dem
ſchwarzen Stuz wieder herunter, und wandte
ſich laͤchelnd zum Richter. — „Ewr. Herr-
lichkeit ſehen nun, wie drehend dieſer gute
Mann durch die Peruͤcke gemacht wird;
kaum ſieht er in ihr mich ganz Unſchuldigen,
mich, der ich ſo lange voͤllig unbemerkt und
dicht vor ſeinen Augen ſtand, ſo bin ich ſogleich
ſeinen Gedanken nach der Raͤuber. Bei Gott,
ich glaube, er haͤtte Ewr. Herrlichkeit ein glei-
ches Kompliment gemacht, wenn Sie eher
eben den Einfall gehabt haͤtten! Wenigſtens
aber hat er jezt ſeinen Eid widerrufen und
den Beklagten frey geſprochen.“
Nach engliſchen Geſezzen galt wuͤrklich uͤber
dieſen lezten Punkt keine Frage mehr; und eben
ſo wenig konnt' er, nach einem ſchon geleiſteten
falſchen Eide, noch einen neuen ſchwoͤren,
oder irgend eine Klage gegen ſeinen muthmas-
lich wahren Raͤuber anheben. Zumal, da ge-
gen dieſen nicht der geringſte uͤbrige Verdacht
obwaltete. Der Esquire kam los; der Sach-
walter verſchwand wieder.
XIII.
Edle Dreiſtigkeit einer gemeinen
Baͤuerin, die Schande ihres hinge-
richteten Mannes zu mindern.
Jn einem Curiſchen Bauerhofe, und zwar in
einem, der ziemlich einſam lag, ſuchte ein pohl-
niſcher Jude, den auf ſeiner Fußreiſe die
Nacht uͤberfiel, um Beherbergung an, und
erhielt ſie auch. Bekanntermaßen fuͤhren dieſe
Handelsleute, unter der duͤrftigſten Kleidung,
oft reichlich verſehene Geldkazzen bei ſich;
thun, als ob ſie um Brod betteln muͤſten,
und koͤnnten ein Rittergut kaufen. Gegen-
waͤrtiger Wanderer gehoͤrte zu dieſen duͤrftig
ſcheinenden Reichen, und ich weiß nicht
durch welches Ungefaͤhr ſein Wirth Kund-
ſchaft davon erhielt. Die Vermoͤgensum-
ſtaͤnde dieſes Bauern waren eben nicht die
beſten; ſeine Geſinnungen, troz ſeiner ehrli-
chen Miene, eben nicht die rechtſchaffenſten.
Er hatte kaum von ſeines Gaſtes Boͤrſe eini-
ge Muthmaßungen gefaßt, als der Gedanke
in ihm aufſtieg: Der Tod eines Menſchen
koͤnne hier eine ganze Familie gluͤcklich ma-
chen, und ſei daher wohl zu entſchuldigen.
Er theilte ſeinen beiden Soͤhnen dieſen Ein-
fall mit, und fand ſie dazu bereitwilliger, als
ſie ſollten. Das ſchaͤndliche Vorurtheil: daß
das Leben eines Juden weit weniger als ein
chriſtliches werth und eigentlich nur als
ein halbmenſchliches zu betrachten waͤre, trug
viel zu ihrer Willfaͤhrigkeit bei; und jener
Ungluͤckliche ward im tiefſten Schlaf uͤber-
fallen, beraubt und ermordet.
Sie hatten ihre Maasregeln ſo gut zu neh-
men, den Leichnam ſo heimlich zu verſcharren
gewußt, daß niemand in der ganzen Gegend
etwas davon argwohnte. Die Vermoͤgens-
umſtaͤnde dieſes Bauern beſſerten ſich durch
dieſe ſchaͤndliche Erbſchaft gewaltig; er be-
zahlte ſeine Schulden; und in Jahresfriſt
heiratete ſein aͤlteſter Sohn die Tochter eines
reichen Nachbars; eine junge, huͤbſche, brave
Dirne, um die er vorher lange ſchon gefreit
hatte, und die ihn gegenſeitig auch von Her-
zensgrunde liebte.
Doch kaum war dieſe Hochzeit vorbei, als
Verdacht wegen jener Mordthat ausbrach.
Die Gerichte bemaͤchtigten ſich des Vaters
und ſeiner Soͤhne; man fand die Ueberbleib-
ſel des begrabnen Koͤrpers; man entdeckte
der Spuren bald noch mehrere. Die Schul-
digen geſtanden endlich ſelbſt ihr Verbrechen;
man ſprach uͤber ſie das Urtheil: enthauptet
und auf das Rad geflochten zu werden. Ein
hartes, aber doch gerechtes Urtheil, welches
auch bald darauf an ihnen vollzogen ward.
Wer vermag bei alle dieſen ſchrecklichen Er-
eigniſſen das Gefuͤhl der jungen erſt verheira-
teten Frau ohne Mitleid ſich zu denken. Zu
eben der Zeit, wo ſie einen geliebten, langge-
liebten Mann nun endlich zu beſizzen glaubt;
ſich dieſes Beſizzes noch in ſeiner ganzen Neu-
heit freut; ſieht ſie ebendenſelben eines
ſchwarzen Laſters angeſchuldigt; ſieht ihn aus
ihren Armen weggerißen; geſchleppt zum Ker-
ker; eben desjenigen Bubenſtuͤcks, weshalb
ſie ihn ſo gern gegen die ganze Welt verthei-
digen moͤchte, uͤberfuͤhrt; hoͤrt uͤber ihn das
fuͤrchterlichſte Urtheil des Todes ausſprechen,
und findet zwar ſeine Richter mitleidig bei
ihren Thraͤnen, doch unerweichbar das Ge-
ſez, wornach ſie ihn richten. O entſezlich
war ihr Abſchied, als ſie zum Hochgericht ihn
fuͤhrten, noch entſezlicher beinahe ein anderer
Gedanke, der ſie ſtraks drauf ergrif.
Dieſe Ungluͤcklichen waren — wie wir
ſchon geſagt haben — nach uͤberſtandener
Todesſtrafe aufs Rad geflochten, ihre Koͤpfe
oben auf den Pfahl geſteckt worden. So ver-
zerrt von dem lezten Streich und Schmerz,
ſo geroͤſtet von der Sonne, zerfreſſen von den
Raben, verabſcheut von allen Vorbeigehen-
den, ſollte nunmehr das Haupt verweſen, auf
deſſen Mund ſie ſonſt ſo oft den Kuß der Lie-
be gedruͤckt, das ihr ſo maͤnnlich ſchoͤn ge-
ſchienen hatte! Dieſe wahrſcheinlich fuͤr
Manche ſehr ſchwaͤrmeriſch klingende Empfin-
dung mußte doch ganz die wahre Empfindung
dieſer ungluͤcklichen Baͤuerin geweſen ſeyn;
denn wie ließe ſich ſonſt die ſonderbare That
erklaͤren, zu der ſie ſich erkuͤhnte.
Jm Dunkel der tiefen Nacht, allein, ohne
Leuchte, ohne Gefaͤhrten, ſtiehlt ſie ſich leiſe
aus ihrem Bette und aus dem vaͤterlichen
Hauſe; laͤuft weit, weit hinweg bis zur Ge-
richtsſtaͤtte. Keine rauhe Witterung haͤlt die
Halbnackende ab; keine Furcht vor dem ſchau-
dervollen Orte — Leuten von ihrer Erzie-
hung doppelt graͤßlich! — erſchreckt ſie;
ſelbſt das Unmoͤglichſcheinende wird ihr moͤg-
lich. Sie klettert an der bloßen Stange em-
por, koͤmmt bis ans Rad, bis an deſſen Spin-
del; und verhuͤlt mit einem weiſſen Tuche das
Haupt ihres ehmaligen Gatten; dann kehrt
ſie wieder zuruͤck in ihre Wohnung.
J
Man kann ſich die Verwunderung leicht
denken, die des andern Morgens bei denjeni-
gen entſtand, die zuerſt dieſer ſonderbaren
Bekleidung inne wurden. Die Gutsherrſchaft
forſchte weiter nach, und die wahre Beſchaf-
fenheit der Sache kam bald heraus. Man
verſagte der jungen Wittwe die Bewunderung
nicht, die ihre Kuͤhnheit verdiente. Der Leich-
nam ihres Mannes ward vom Rade genom-
men und unter demſelben begraben. Fuͤr ſie
ſelbſt ſorgte die Herrſchaft nach moͤglichſten
Kraͤften. Jene Verachtung, die ſonſt, unge-
recht genug, die Hinterlaſſenen eines Gerich-
teten zu verfolgen pflegt, traf ſie nie; ſie ward
vielmehr nach Verlauf eines Jahres die Gat-
tin eines ihrer Liebe wuͤrdigern Mannes.
XIV.
Der blutige Jeßanack.
Daß es im Koͤnigreich Ungarn ſehr viele
Waldungen von großen Umfang giebt; Wal-
dungen, in welchen man oft einige Meilen
reiſen kann, ohne auch nur ein Dorf, eine
Huͤtte, — hoͤchſtens hier und da ein einzeln
ſtehendes Gaſthaus ausgenommen! — zu er-
blicken; dies iſt eine allgemein bekannte, ſchon
in tauſend Buͤchern ſtehende, und von unzaͤhli-
chen Reiſenden verbuͤrgte Wahrheit.
So unangebaute Waͤlder ſind auch natuͤr-
licher Weiſe ſehr menſchenleer. Dennoch wer-
den ſie auch zuweilen von ganzen zahlreichen
Geſellſchaften durchſtrichen, die ſehr fuͤglich
— wegbleiben koͤnnten. Das heißt: Raͤuber-
banden ſammeln ſich hier nicht ſelten; werden
J 2
einzelnen Wanderern, auch wohl kleinen Ka-
ravanen, gefaͤhrlich, und begnuͤgen ſich zuwei-
len, wenn ſie alzuhartnaͤckige Gegenwehr fin-
den, nicht einmal mit dem Raube allein; ſon-
dern morden auch die Ungluͤcklichen, die in ih-
re Haͤnde fallen. Gerechtigkeit und Regie-
rung thun zwar, vorzuͤglich in der leztern
Haͤlfte dieſes Jahrhunderts, alles was ſie
nur koͤnnen, um dieſem Unweſen zu ſteuern.
Doch ſolches ganz auszurotten, war bis-
her unmoͤglich.
Nun lebte vor ohngefaͤhr fuͤnf und zwanzig
Jahren in eben dieſem Koͤnigreiche, im War**
Komitate, ein gewißer Prokurator, Jeßanack
mit Namen, der ſich ſeit ſeinem Eintritt ins
gerichtliche Leben immer als den geſchworen-
ſten Feind von ſolchen Stoͤhrern oͤffentlicher
Sicherheit auszeichnete. Er war Gerichtsdirek-
tor auf verſchiednen weitlaͤufigen Herrſchaften;
ließ mit dem lebhafteſten Eifer jedem Raͤuber,
der ſich allda nur von weitem ſpuͤren ließ,
nachforſchen, und ſuchte mit noch groͤßrer
Strenge jedem einmal Ertappten auch ſeinen
gehoͤrigen Lohn zu verſchaffen. Nachſicht,
Erlaß und Gnade waren Worte, die aus
ſeinenProtokollen undSchriften gleichſam weg-
gebannt zu ſeyn ſchienen; und indem er ſo faſt
immer bei jedem Ueberwieſenen die Todesſtra-
fe durchſezte, kein Vorwort anhoͤrte, keine
Ausflucht gelten ließ, reinigte er wuͤrklich in
der Friſt von einigen Jahren die ihm anver-
trauten Herrſchaften von allem ſolchen Raͤu-
bergeſindel gaͤnzlich; erhielt dafuͤr den Dank
der Verſtaͤndigen, zugleich aber auch, nicht
nur von den Straſſenraͤubern ſelbſt, ſondern
auch vom groͤßern Theil des Publikums, und
zumal von der gemeinen Menge, den etwas
zweideutig klingenden Namen: blutiger
Jeßanack.
Einſt, als er ſich ſelbſt auf einer Reiſe be-
fand, herrſchaftliche Gelder einkaſſirt, und
einige tauſend Gulden im Wagen bei ſich hat-
te, ward er, — indem er uͤber fremdes, nicht
ſo geſaͤubertes, Gebiet fuhr, — an einer Stel-
J 3
le, wo er ſich deſſen am wenigſten verſah,
von einer ganzen Rotte bewafneter Buſch-
klepper umringt. Er ſuchte ſich durch ſeine
dargebotne Boͤrſe von allen uͤbrigen Unge-
maͤchlichkeiten loszukaufen; da aber dieſe
ziemlich leicht wog, ſo hatte man wenig
Luſt, dieſen ſtillſchweigenden Kontrakt einzu-
gehn. Man ſtand vielmehr eben nicht nur
im Begrif, eine genaue Durchſuchung des
Wagens vorzunehmen, ſondern fuͤgte auch
bereits ſehr gefaͤhrlich klingende Drohungen
hinzu, als ploͤzlich mitten aus dieſem Hau-
fen ein junger Burſche hervordrang, die
Naͤchſten am Wagen und diejenigen, die den
Paſſagier angepackt hatten, zuruͤckſtieß, und
dabei ausrief: „Ei, ſo laßt doch den Kerl
„zu allen tauſend T — fahren, und verliert
„eure Zeit nicht bei ihm! Jch kenn' ihn. Es
„iſt der blutige Jeßanack, und der fuͤhrt ge-
„wiß, außer ſeinem Beutel, keinen einzigen
„Kreuzer bei ſich.“
Bei einer ſolchen Empfehlung ward dem
Prokurator wahrlich nicht wohl zu Muthe.
Sein Name blieb nicht ohne Wirkung. „Der
blutige Jeßanack!“ riefen mit einem Munde
die ſaͤmtlichen Raͤuber; traten wuͤrklich einen
Schritt zuruͤck; hielten aber den Wagen um-
ringt, und ſtimmten unter ſich ein gar nicht
troͤſtliches Gemurmel an. „Wenn das wuͤrklich
„Jeßanack iſt,“ ſchrie endlich einer von ihnen:
„was zoͤgern wir noch laͤnger den Burſchen
„kalt zu machen? Der Kerl verdient ja doch,
„er habe nun Geld verlaͤugnet, oder nicht,
„ſiebenfaͤltig den Tod! Wie manchen unſrer
„braven Kameraden hat nicht dieſer ſaubre
„Herr auf ſeinem verdammt ehrlichen Gewiſ-
„ſen!“
Schon zuckten einige die Meſſer; ſchon
empfahl Jeßanack ſeine Seele dem Himmel:
doch jener Vorſprecher trat abermals dazwi-
ſchen. — „So laßt ihn doch ziehen!“ ſprach
er: „ziehen, wohin es ihm beliebt! Aller-
„dings hat er ſich zwar an unſers Gleichen
J 4
„oft hart verſuͤndigt. Aber wer weiß, ob
„nicht an ſeine Stelle noch ein Schlimmerer
„kommen duͤrfte! Er hingegen, wenn wir
„ihn diesmal ſo fein ſaͤuberlich durchwiſchen
„laſſen, wird doch auch ein Gewißen haben,
„und kuͤnftig etwas glimpflicher mit uns um-
„gehn. Auf jedem Fall hat der alte Fuchs
„kein Geld weiter bei ſich; und mit ſeinem
„Blute — was iſt uns da geholfen?“
Dieſes Vorwort fruchtete. Unverſehrt,
und ungepluͤndert, nur nochmals ernſtlich
ermahnt, ſich fuͤr die Zukunft in ſeinen Maas-
regeln zu beſſern, zog Jeßanack ſeine Straße.
Er fand allerdings ſelbſt in dieſer Errettung
manches ſonderbar; begrif kaum,wie er davon,
und an jenem jungen Purſchen zu einem ſolchen
freundſchaftlichen Vertheidiger gekommen ſei;
glaubte aber dennoch nicht in ſeiner einmaluͤber-
nommenen Pflicht durch eineu Zufall dieſer Art
ſich irren zu laſſen. Er hatte ja alles bisherige,
nicht ausEigennuz,ſondern zurHandhabung der
Gerechtigkeit, zur oͤffentlichen Sicherheit ſeines
Vaterlandes gethan; er fuhr daher auch mu-
thig fort fuͤr beide zu wachen und zu arbei-
ten. Sein Ruf vermehrte ſich noch. Von
weiten her ward er zu mancher ſchwierigen
Unterſuchung verſchrieben; und ſchlaue Boͤſe-
wichter, die ſonſt jedes Verhoͤr unnuͤz zu ma-
chen wußten, erblaßten, wenn Jeßanack auf-
trat, und verſtrikten ſich gemeiniglich in ſei-
nen Fragen. Sechs oder ſieben Jahre ver-
liefen indeſſen. Jenes Abentheuer im Walde
kam ihm faſt gaͤnzlich wieder aus dem Sinn.
Einſt ward, in einer ziemlich weiten Ent-
fernung von ſeinem Wohnſizze, eine ſtarke
Raͤuberbande, die in einem graͤflichen Schloße
einzubrechen verſuchte, grade im guͤnſtigſten
Augenblicke noch entdeckt, uͤberraſcht, und
groͤßtentheils verhaftet. Es ward eine ſcharfe
Unterſuchung gegen ſie angeſtellt; man erbat
ſich hierzu Jeßanacks Beiſtand, und dieſer
ſtellte auch willig ſich ein. Jm erſten Verhoͤr
laͤugneten zwar die Gefangnen alles; doch
gleich nach demſelben verlangte einer von die-
E 5
ſer Bande mit Jeßanacken allein zu ſprechen,
und ſein Begehren ward ihm zugeſtanden.
„Warlich!“ — rief dieſer Burſche, ſo wie
ſein Kerkermeiſter nur abgetreten war: —
„Warlich, rief er und ſchuͤttelte die Feſſel an
ſeinen Haͤnden: Sie lohnen den Leuten ſchoͤn,
die ſich um Sie verdient machten! Es koſte-
te mich vordem Muͤhe genug, Sie beim Leben
zu erhalten; jezt, ſcheint mir, werden Sie
ſolche auch nicht ſparen, um mir davon zu
helfen.“
Jeßanack ſtuzte; wußte nicht gleich, was
er von dieſer Anrede denken ſolle; ſah aber
bald den Kerl genauer an, und fragte: Wie?
Waͤreſt du wohl gar . . .
„Nun ja! ja! ich bin freilich derjenige, der
Jhnen im **auer Buſche das Wort bei ſei-
nen Kameraden redete! Jch bin's, der ſich
damals groͤblich an ſeinem ganzen Handwerk
verſuͤndigte; indem ich durch Jhre Erhaltung
ſpaͤterhin wohl zwanzigen meiner Bruͤder zu
Strang und Schwert verhalf! — Glauben
Sie nicht etwa, daß ich jezt den Uneigennuͤz-
zigen, wohl gar den Grosmuͤthigen zu ſpie-
len Luſt habe. Jch geſtehe frei: Jch rettete
Sie damals in der Hofnung, daß Sie mich
vielleicht einſt wieder retten koͤnnten. Damit
Sie aber doch auch dieſen Dienſt nicht allzu-
wenig, allzu wohlfeil ſchaͤzzen, ſo wiſſen Sie:
mir war damals nicht minder aufs genauſte
bekannt, wie viel tauſend Gulden in ihrem
Wagenſizze ſich befaͤnden.
„Wie? auch das haͤtteſt du gewußt?“
Vollkommen! Ja jezt vielleicht genauer
noch, als Sie wohl ſelbſt ſich ſolches merkten!
Es waren ſieben Beutel und zwei davon mit
den ſchoͤnſten Kremnizzer Dukaten gefuͤllt.
Jch machte damals den Kundſchafter der Ban-
de. Jch hatte Jhre Baarſchaft im Schloſ-
ſe einpacken geſehen; wußte alles — und
ſchwieg. Unlaͤugbar ſind Sie alſo mein
Schuldner! Ob Sie jezt mich bezalen wol-
len, ſteht bei Jhnen. Wenigſtens, wenn nur
der gute Wille da iſt, hab' ich die Sache ſelbſt
nicht Jhnen unmoͤglich gemacht. An meinen
Haͤnden klebt kein Menſchenblut. Geraubt
hab' ich oft, gemordet nie. Mehrmals ſah
ich zu; doch nie gern; half nie mit; ſezte
mich nicht ſelten dagegen. Nach fremder Habe
ließ ich freilich ziemlich oft mir geluͤſten. Doch
dann waͤren Sie warlich kein Rechtsgelehrter,
wenn Sie ſo etwas nicht zu entſchuldigeu
wuͤßten!“
Wenigſtens will ich thun, was mir moͤglich
iſt! darauf geb' ich dir hiermit Hand und
Wort.
Jeßanack hielt beides. Durch ſeine Ver-
theidigung, und als dieſe nicht ganz hin-
reichen wollte, durch ſeine Vorbitte, blieb
von der ganzen Bande dieſer Einzige am Le-
ben, und kam mit einer ſehr maͤßigen Leibes-
ſtrafe durch, da es die Uebrigen alle mit ih-
rem Halſe buͤßen mußten.
XV.
Moͤrder, der ſich zwingt, eine Urſa-
che zu finden.
Ein junger Bauer gerieth in der Schenke
mit einigen ſeines Gleichen in Zwiſt. Von
Worten kam es zum Handgemenge. Er un-
terlag der ſtaͤrkern Anzahl; ward niederge-
worfen, bei den Haaren zur Thuͤre hinaus-
gezerrt, und noch draußen auf der Flur aufs
unbarmherzigſte zerpruͤgelt.
Er lag, wie an allen Gliedern gelaͤhmt,
und ſchaͤumte Wuth und Rache; aber er konn-
te ſich noch nicht aufrichten, und diejenigen,
welche in dieſen Zuſtand ihn verſezt hatten,
waren davon gegangen. Jndeſſen hatt' er
ſein Meſſer hervorgezogen, und wartete nur
auf die Ruͤckkehr ſeiner Kraͤfte, um ſich voͤllig
aufzuraffen und an irgend einem Gegenſtande
ſeine Mordgier auszulaſſen. Dieſe Kraͤfte
ſtellten ſich wieder ein; er ſtand auf; obſchon
noch halb taumelnd; das Zimmer oͤfnete ſich;
er ſah bei dem herausſchimmernden Lichte, —
denn die Flur war dunkel, — einen ihm voͤl-
lig unbekannten und an ſeinem Unfalle ganz
Unſchuldigen hertreten. Er fuͤhlte Begierde
auf ihn los zu gehen; aber eh' er noch ſich
dazu entſchließen konnte, war die Gelegenheit
ſchon voruͤber.
Unmittelbar drauf trat ein Andrer, an ſei-
nen Schmerzen eben ſo unſchuldig als jener,
hervor. Jndeß, da er, wie vorhin, in ſeinem
Entſchluſſe noch hin und herſchwankte, fiel
ihm ein: daß vor vielen Jahren die Mutter
dieſes Menſchen mit ſeiner Mutter einen
Zank gehabt, und ſolcher Unrecht gethan
habe; ſeine Rache in eben dem Augenblicke war
entſchieden; er ging auf ihn los, und ſtieß ihm
das Meſſer ins Eingeweide.
Seine Richter gaben ſich alle moͤgliche
Muͤhe, von dem Moͤrder noch irgend eine an-
dere Urſache dieſer blutigen That herauszu-
bringen; es war umſonſt. Auch bedarf der
Kenner der menſchlichen Natur keiner andern,
um ſie zu begreifen, und ſie wirft ein helles
Licht auf die Natur und den Gang des menſch-
lichen Willens, der alles aufbeut, um, ſelbſt
bei boͤſen Thaten, ſeinem Entſchluß einen An-
ſtrich von Billigkeit, oder wenigſtens eine Ent-
ſchuldigung, hinreichend fuͤr ſich ſelbſt, zu
geben.
XVI.
Der Hundsſattler und derLeinweber.
Jm Fraͤnkiſchen Kreiſe durchſtrich vor ohnge-
faͤhr vierzig bis funfzig Jahren ein Kraͤmer das
Land, den der groͤßere Haufen, faſt durchgaͤn-
gig, nur unter der Benennung des Hunds-
ſattlers kannte. Es war ein Mann, der mit
Schnittwaaren handelte; auf den Doͤrfern
und in den Flecken oft anſehnlichen Abſaz
fand; jenen Spiznamen aber von zwei engli-
ſchen Dokken erhielt, die er uͤberall mitzu-
fuͤhren, und mit einem Theil ſeiner Waaren
zu bepacken, mithin gleichſam zu ſatteln pfleg-
te. Ein junges Weibsbild, das er fuͤr ſeine
Frau ausgab, und bei welcher ihm wenigſtens
alle Rechte eines Mannes frei ſtanden, war
ſeine gewoͤhnliche Begleiterin. Fuͤr ſo ganz
engelrein galt freilich ſeine Denkungsart und
ſein Betragen nicht; gleichwohl wuſte niemand
ihm etwas auffallendes nachzuſagen, und noch
minder zu erweiſen.
Um eben dieſe Zeit lebte auf dem Lande, in
einem kleinen ofnen Marktflekken, ein Leinwe-
ber, der ſchon Vater von ſechs Kindern, und
ein kreuzbraver Mann, nur eben ſeiner zahl-
reichen Familie halber ſo blutarm war, daß
oft die Sonne Wochenlang in ſeine Kuͤche
ſchien, ohne einen Funken Feuer auf ſeinem
Heerde zu finden. Der Hundsſattler hatte
ihn, weiß der Himmel durch welchen Zufall,
kennen gelernt, und pflegte zuweilen, wenn
Nacht oder uͤbles Wetter ſein weiteres Fort-
kommen hinderten, hier auf einer Streu —
denn an ein Gaſtbette war nicht zu gedenken
— zu uͤbernachten. Wann ihm dann ſein
armer Wirth, nach gewoͤhnlicher Art der
Duͤrftigen, ſeine Noth recht herzlich klagte,
ſchien er ihm mit Ruͤhrung zuzuhoͤren, und
K
verſprach: bei erſter vorfallender Gelegenheit
auf Verbeſſerung ſeiner Umſtaͤnde zu denken.
Einſt kam der Kraͤmer und ſeine angebliche
Frau grade zu einer Zeit, wo die Noth des
Webers aͤußerſt groß und dringend war. Er
ſolte vier Gulden, die ein harter Glaͤubiger
ihm vorgeſtrekt, zalen, oder des andern Mor-
gens ſein Handwerksgeraͤthe ſich auspfaͤnden
laſſen. Jm ganzen Hauſe waren keine vier
Kreuzer aufzutreiben; zu verkaufen oder zu
verſezzen war auch nichts mehr; kein neuer
Darleiher wolte ſich finden, und der Aeltere
war unerbittlich. Die arme Frau rang die
Haͤnde; der Mann ſaß hinter ſeinem Weber-
ſtuhl, ſtum, thraͤnend und zur Arbeit un-
faͤhig; die Kinder ſchrien um Brod. Als der
Hundsſattler dieſem Jammer eine Weile zu-
geſehn und zugehoͤrt hatte, ſagte er: „Wohlan,
„hier will ich mich ins Mittel ſchlagen. Jch
„bin ſo eben im Begrif zu einem meiner vor-
„zuͤglichſten Kunden zu gehn, eine anſehnliche
„Summe Silbergeld einzukaſſiren, und einige
„neue Waaren abzuholen. Komm mit, hilf
„mir tragen! Jch will dir reichlich lohnen.
„Ueberhaupt, wenn ich merke, daß du in mein
„Geſchaͤfte dich ſchickſt, ſo will ich dich von
„nun an dazu gebrauchen, und ich wette, es
„ſoll dich bald beſſer als dein aͤrmlicher We-
„berſtuhl naͤhren. Aber freilich, da deine
„Noth dringend iſt, ſo muͤſſen wir auch ſo-
„gleich uns aufmachen. Jch hatte ohnedem
„keine Luſt heute zu uͤbernachten. Mein Weib
„aber mag dableiben, und unſere Ruͤckkunft
„abwarten.
Wer war bereitwilliger zu allem dieſen, als
unſer Weber! da der Kraͤmer noch uͤberdies
einen Zwanziger vorſtreckte; da ſogleich Brod
und Bier dafuͤr eingekauft, und das Weinen
der Kinder geſtilt ward, ſo entſtand aus dem
bisherigen Klagen ein ordentlicher Jubel. Man
aß, und die beiden Maͤnner machten ſich dann
ſofort auf den Weg. Dieſer Weg ging durch
einen Wald. Es ward ſchon dunkel, bevor ſie
ſich noch in der Mitte deſſelben befanden. Als ſie
K 2
an einen Kreuzweg kamen, blieb der Kraͤmer
ein paar Augenblicke ſtehen, und pfif viermal
aͤußerſt ſtark nach ieder Himmelsgegend, ohne
daß ſein Gefaͤhrte begreifen konte, warum dies
geſchaͤhe? Sie gingen weiter; nach drei oder
vier Minuten rauſchte es zur Rechten und zur
Linken ſtark im Gebuͤſche. Der Weber fuhr
erſchrocken zuſammen; er erſchrack noch mehr,
als neun oder zehn Kerls hervorſprangen,
unſre beiden Wanderer umringten, den Weber
mit einiger Verwunderung anſtaunten; und
endlich faſt einſtimmig riefen: „Wilkommen,
„Hundsſattler, wilkommen! Wo ſteckteſt du
„denn ſo lange? Und wer iſt dieſer hier?“
„Ein neuer Kamerad iſt es! erwiederte der
Kraͤmer. Armuth und Unfaͤlle haben ihn in
der Welt bisher genugſam durchgebeutelt. Nun
will er ſich an andrer Leute Beutel dafuͤr ſchad-
los halten. Jch ſteh' euch fuͤr ſeine Treue;
denn ich kenn' ihn ſchon lange.“
„Wenn dem ſo iſt, ſo ſei er uns wilkom-
men! antworteten alle; ergrifen einer uach
dem andern ſeine rechte Hand, und ſchuͤttelten
ſie, gleichſam zur Beſtaͤtigung ihres Bundes.
Stum und zitternd ſtand immer noch der We-
ber in ihrer Mitte. Daß man ſo ihm helfen,
in eine ſolche Geſellſchaft ihn einfuͤhren wolle,
davon hatte er in den Worten des Sattlers,
ſo ſonnenklar ſie iezt ihm wurden, keine Silbe
gemuthmaßet. Gern waͤre er wieder tauſend
Meilen davon entfernt geweſen; gern haͤtte er
dieſen graͤßlichen Bundsgenoſſen gradezu ge-
ſagt: daß er iede Verbindung mit ihnen ver-
abſcheue. Aber er beſorgte nicht ohne Grund,
daß er ſelbſt dann ſo gut als geopfert ſei. Ein
drohender Blick, den der Hundsſattler ihm zu-
warf, verſtaͤrkte dieſe Beſorgnis, und die Liebe
zum Leben bewies ihre gewoͤhnliche Staͤrke.
Er ſamlete daher alle ſeine Kraͤfte, nahm eine
willige Miene an; erwiederte ihren Haͤnde-
druck, dankte fuͤr gute Aufnahme, und ver-
ſprach ſein Moͤglichſtes zu thun, um der Ge-
ſellſchaft nuͤzlich zu werden.“
K 3
Jezt eroͤfnete der Kraͤmer, der ſich uͤber-
haupt als Anfuͤhrer der Bande betrug: wohin
es heute gehen ſolle? — „Ein reicher Muͤl-
ler,“ ſagte er, ohngefaͤhr eine kleine halbe
Meile von hier wohnhaft, deſſen Muͤhle ganz
abſeitig liege, der weder wegen ſeiner ſelbſt,
noch wegen ſeines Hausgeſindes viel zu fuͤrch-
ten ſei, habe, wie er gewiß wiſſe, vor vier oder
fuͤnf Tagen drei tauſend Gulden baar einge-
nommen. Dieſe koͤnten ſie beſſer brauchen, als
der Muͤller. Das Geſchaͤfte ſei eben ſo leicht,
als belohnend. Um unerkant zu bleiben, wol-
ten ſie das Geſicht ſich ſchwaͤrzen. Wirth,
Wirthin und ein paar Maͤgde muͤſten zuerſt
gebunden, und geknebelt werden; die zwei
Muͤhlpurſchen wuͤrden in der Muͤhle beſchaͤf-
tigt ſeyn, und vielleicht nicht einmal merken,
was im Hauſe darneben vorgehe. Merkten
ſie es, und ſezten ſich zur Gegenwehr, ſo wuͤr-
de die Geſellſchaft leicht den Meiſter ſpielen,
und muͤſſe zur ſchuldigen Dankbarkeit, alles
was dort Odem hohle, umbringen.“
Man ſtimte einmuͤthig dieſem Vorſchlag bei,
machte ſich ſofort auf den Weg, und vertheil-
te waͤhrend deſſelben die Rollen bei der Aus-
fuͤhrung. Unſerm Leinweber, weil er noch
Lehrling im Handwerk ſei, ward das bloße
Schildwachtſtehen zugetheilt. Auch dafuͤr war
ihm heimlich bange genug; doch fuhr er fort
ſich zu verſtellen, und verſicherte, ſo wachſam
als moͤglich zu ſeyn. Der Einbruch ſelbſt
ging nach Wunſch von Statten. Der Muͤl-
ler und ſein Hausgeſinde wurden im tiefſten
Schlaf uͤberfallen; Alle waren ſchon gebun-
den, ehe ihnen noch von Dieben traͤumte. Aber
gleichwohl fanden auch dieſe bei weiten nicht
alles, was ſie ſuchten. Daß dem Muͤller ein
Kapital von drei tauſend Gulden vor wenig
Tagen eingegangen, das hatten dem Hunds-
ſattler ſeine Kundſchafter richtig hinterbracht;
doch daß eben daſſelbe ſchon wieder ausge-
liehen worden, das hatte er nicht erfahren,
und fluchte daher jezt fuͤrchterlich, als er das
leere Neſt antraf. Der ungluͤckliche Muͤller
K 4
muſte eben daher an ſeinem Koͤrper verſchiede-
ne Mishandlungen erfahren, die fruchtlos
blieben, weil er doch, auch beim willigſten Her-
zen, ienes Geld nicht herzuſchaffen vermochte.
Sein iunges Weib und ihre Maͤgde muſten noch
mancherlei erdulten, was ihnen im Herzen viel-
leicht nicht ſo unleidlich ſchien, als ſie der Zeu-
gen wegen ſich ſtellten. Man packte dann zu-
ſammen, was man fand; knebelte nochmals
die Beraubten ſorgfaͤltigſt, und entfernte ſich.
Jm Walde theilte man die Beute; auf unſern
Weber kamen fuͤnf Gulden; die uͤbrigen Raͤu-
ber zerſtreuten ſich im Gehoͤlze. Der Hunds-
ſattler und der Weber gingen gradewegs auf
ihre Heimath zu.
Kaum aber ſah ſich dieſer leztere mit ſeinem
angeblichen Verſorger wieder allein, als er in
die bitterſten Vorwuͤrfe, der That wegen, wo-
zu er ihn verleitet habe, ausbrach. Der arme
ehrliche Mann ſchwur: daß er eher den Bet-
telſtab als dieſen Ausweg gewaͤhlt haben wuͤr-
de, wenn er nur mit einer Silbe ſein Vorhaben
gemuthmaßt haͤtte. Er wolte jezt noch die ihm
zugefallnen fuͤnf Gulden wieder geben. — „Es
„ſei Suͤndengeld,“ ſagte er,„es ſei eine Blut-
„ſchuld, die ihn ſchwerer, als ſelbſt der Hun-
„ger druͤcke; und er werde nie an die heutige
„Nacht gedenken, ohne zu bereuen, daß blos
„die Liebe zum elenden Leben und die Sorge
„fuͤr ſein Weib und ſeine Kinder ihn bewegen
„koͤnnen, huͤlfliche Hand zu einem ſolchen Bu-
„benſtuͤck zu bieten.“
Der Hundsſattler hoͤrte die ganze Rede ge-
laſſen und laͤchelnd an; nur die fuͤnf Gulden
ſchob er zuruͤck, ſo oft ſein Gefaͤhrte ſie ihm
anbot. — „Behalte ſie!“ ſagte er, „Jch be-
„greife gar wohl, daß ſie dir feigherzige Mem-
„me ſauer genug zu verdienen fielen. Geden-
„ke daran, daß vielleicht morgen dein Weib
„und deine Kinder verhungern, wenn du jezt
„einen Bettel wegwirfſt, der wenigſtens nie an
„ſeinen eigentlichen Herrn zuruͤckkommen ſoll.
„Wilſt du aus frommer Dumheit mit Gewalt
K 5
„ein armer Teufel bleiben, ſo bleib es! Jch
„wieß dir wenigſtens den Weg, wo du dir
„helfen konteſt; dich mit Gewalt geſcheid und
„gluͤcklich zu machen, waͤre Thorheit. Nur
„das merke dir, Kerl! Von allem, was du
„bei uns ſahſt und hoͤrteſt, halte reinen Mund!
„Unterſtehſt du dich, auch nur ein Wort da-
„von auszuplaudern, ſo wird dir die Huͤtte
„uͤbern Kopf angezuͤndet; ſo ſoll nicht etwan
„dir allein der Schedel zerſchmettert, ſondern
„auch Weib und Kinder vor deinen Augen er-
„wuͤrgt werden; das ſchwoͤr' ich Dir, Du
„magſt einen Gott oder Teufel glauben,bei bei-
„den! Und das werden gewiß, nebſt mir, vier-
„zig bis funfzig Burſche moͤglich machen, denen
„weder vor Galgen noch Gerichten graut.“
Dieſe herliche Zuſicherung ward in einem
Tone ertheilt, der beſtaͤtigen half, daß ſie
ernſtlich gemeint ſei. Der arme Weber, fuͤr
das Leben der Seinigen beſorgter, als fuͤr ſein
eignes, verſchloß daher auch ſorgfaͤltig ſeinen
Mund; ſelbſt ſeiner Frau ſagte er von der
Geſchichte dieſer Nacht kein Wort! Er ſah
den Hundsſattler in den naͤchſten drei oder
vier Wochen noch einigemal; er zitterte heim-
lich, ſo oft der Raͤuber zu ihm eintrat; aber
wenn derſelbe ihn lachend einlud, wieder mit-
zugehen, antwortete er blos mit einem treu-
herzigen: Gott bewahre! und verſchmerzte
gern Spott und Schimpfreden ſeiner Zaghaf-
tigkeit wegen.
Selten entlaͤuft der Dieb lange dem Gal-
gen, und noch ſeltner lebenslang dem Gerichte.
Auch der Hundsſattler ward einige Monate
drauf, zu Bareuth, nicht eines Einbruchs,
ſondern andrer aͤhnlichen Raͤubereien halber,
verhaftet. Die Anzeigen gegen ihn waren
ſtark. Er leugnete zwar friſch weg, doch kon-
te er ſich von der Tortur, die damals bei Ge-
richten noch allgemein im Schwange war,
nicht losleugnen. Sie erging, und zwar ziem-
lich ſcharf uͤber ihn. Er ertrug ſie, wie man
einen maͤßigen Kopfſchmerz ertraͤgt; beharrte
feſt auf ſeiner Vertheidigung und erhielt end-
lich nicht nur wieder ſeine Freiheit, ſondern
auch ſchriftliche Anerkennung ſeiner Unſchuld,
nebſt der Erlaubnis: ſich, wie bisher, von ſei-
ner Kraͤmerei zu naͤhren, und wegen erlittner
Unterſuchung weder Schaden noch Vorwurf
dulten zu duͤrfen. So ging er aus dem Ker-
ker, mit dem feſten Vorſaz: ſein bisheriges
Handwerk treulich, nur etwas vorſichtiger als
ehmals, fortzuſezzen.
Jn der Vorſtadt von Bareuth war ein
Wirthshaus, wo er vordem oft einzukehren
pflegte. Auch iezt nahm er dahin einen ſeiner
erſten Ausgaͤnge, und weil es gerade Jahr-
markt war, fand er im untern Zimmer eine
Menge Gaͤſte beiſammen. Einige alte Be-
kanten umringten ihn beim Eintritt, freuten
ſich ihn wieder ledig zu ſehn; fragten: Wie
es denn eigentlich damit hergegangen ſei? Ob
er viel ausſtehn muͤſſen? Ob er voͤllig ge-
rechtfertigt worden? Und dergleichen mehr.
— Er pralte dagegen, ſo viel ſich nur pralen
laͤßt, mit ſeiner Unſchuld, ſeiner Herzhaftig-
keit in unverdienten Leiden, und ſeiner endlich
anerkanten gerechten Sache. Er wieß uͤberall
den erhaltenen Freiheitsbrief herum, und un-
terließ freilich nicht, auch gegen die loͤbliche
Juſtiz manches bittre Woͤrtgen fallen zu laſ-
ſen, weil ſie einen ehrlichen Kerl, ſo mir nichts,
dir nichts, quaͤlen koͤnne, und doch am Ende,
wenn dieſem nur das Herz am rechten Flecke
ſizze, vor den Mund ſich ſchlagen muͤſſe. —
Dieſe Erzaͤhlung wirkte. Man bedauerte ſeine
erlittenen Schmerzen, bewunderte ſeinen Muth
bei ihrer Ertragung; und draͤngte ſich von al-
len Seiten um ihn herum, nicht nur um ihn
zu hoͤren, ſondern auch, um gleichſam zur
Entſchaͤdigung, ihm etwas abzukaufen.
Aber unter den Gaͤſten in eben dieſem Zim-
mer war auch einer befindlich, deſſen der
Hundsſattler ſich gewiß nicht verſah, und von
dem er nicht ahnden konte, daß er bald als
ſein ſchrecklichſter Peiniger auftreten werde;
und dies war — der Freimann von Culm-
bach. Niemand kante denſelben, und wohl-
weislich hatte er auch Niemanden ſich zu er-
kennen gegeben; denn die Denkart damaliger
Zeiten entfernte noch Gerichtsdiener und Frei-
maͤnner beinahe von jeder buͤrgerlichen Geſell-
ſchaft. Einſam und ſtill ſaß er in einem Win-
kel bei ſeinem Kruge Bier. — Doch eben die-
ſer Freimann war ſelbſt, ein Jahr vorher, zur
Nachtszeit voͤllig ausgeraubt worden; und
jezt, ſo wie er den Hundsſattler eintreten ſah,
erkante er den Rock deſſelben fuͤr eines ſeiner
ehmaligen Kleider, und den Anzug ſeiner Be-
gleiterin fuͤr einen Sonntagshabit ſeiner eignen
Frau. Daß er gegen ein alſo gekleidetes Paar
aufmerkſam ward, ergiebt ſich von ſelbſt; und
gleich aus den erſten Reden ſah er noch deut-
licher: mit wem er zu thun habe! Er ent-
fernte ſich daher leiſe aus dem Zimmer, rief
aber den Wirth bei Seite und ſagte: „Herr,
„mit ſeinem Haus und Vermoͤgen haftet er
„mir, oder vielmehr der Gerechtigkeit fuͤr den
„Mann dort. Jn einer halben Stunde aufs
„ſpaͤteſte bin ich, und zwar hoffentlich mit
„hinlaͤnglicher Begleitung, wieder da. Will
„der Vogel indeß ausfliegen, ſo halt er ihn
„auf, es ſei im Guten oder Boͤſen! Tref' ich
„ihn nicht noch, oder erfahre wenigſtens nicht
„puͤnktlich, wo er hinging, ſo ſizt der Herr
„ſelbſt heute noch, als ein Diebshehler, in
„Ketten und Banden.“
Der Wirth wolte dagegen verſchiedenes ein-
wenden; doch jener ging unverweilt fort; auch
bedurfte man beim Hundsſattler weder Liſt
noch Gewalt, ihn ſo lange aufzuhalten, bis
das Eiſen fertig geſchmiedet war. Er dachte
an keine Gefahr, ſondern zechte, ſchwazte und
prahlte noch immer fort, als der Culmbacher
ſchon mit der Wache eintrat. Jezt, als dieſe
Hand an ihn legte, ſtuzte er freilich nicht we-
nig; ſpielte bei der Verhaftung und bei der
Frage: Wo er dieſe Kleider her habe? den
Unwiſſenden, oder vielmehr den gleichſam Be-
leidigten; mußte aber doch, ſo ungern er wolte,
wieder in eben den Kerker wandern, den er
vor kurzem erſt verlaſſen hatte.
Verdaͤchtige Umſtaͤnde, fremde Zeugniſſe,
eigne Widerſpruͤche, haͤuften ſich iezt ſtaͤrker,
als vorher, gegen ihn. Die Juſtiz, ihrem
damaligen Schlendrian getreu, ſprach aber-
mals auf geſchaͤrfte peinliche Frage. Man
fand dies volkommen in der Ordnung; nur
war man verlegen druͤber: welche Marter
eigentlich gegen eine Perſon zu gebrauchen ſei,
deren Hartnaͤckigkeit man ſchon aus Proben
kante. Der Culmbacher Freimann bot auch
hier ſeine Beihuͤlfe an; und mit einem Scharf-
ſinn, der jeden gefuͤhlvollen Menſchen zwar
zu Unwillen und Abſcheu reizt, den man aber
ein halbes Jahrhundert fruͤher, bei Leuten
ſeiner Art, ſehr zu billigen pflegte, zwang er
das wirklich, was er zwingen wolte. Denn
ein feines baumwollenes Hemde, in Baumoͤl
eingetaucht, und mit einer gewiſſen Vorſicht
am Leibe des Hundsſattlers angezuͤndet, ver-
urſachte dieſem ſo unertraͤgliche Schmerzen,
daß er ſich endlich alles zu bekennen erbot.
Schaͤndlich, graͤßlich, unmenſchlich — ich
wiederhole es! — war dieſe Marter. Jch wuͤr-
de ſie verdammen, ſelbſt wenn ſie gegen einen
Ravaillac, oder gegen jene Teufel in der Welt-
geſchichte, gegen die Urheber der Pariſer Blut-
hochzeit, gebraucht worden waͤre. Wenn dieſes
Verfahren indeß ja durch etwas entſchuldigt
werden koͤnte, ſo muͤſte es dadurch ſeyn, daß es
gegen ein ſolches Ungeheuer erging. Die
Richter, als der Hundsſattler einmal zum
Geſtaͤndnis kam, erfuhren mehr, als ſie woll-
ten; mehr als die kuͤhnſte Einbildungskraft
ſich vorgeſtellt haͤtte. Nicht zufrieden damit,
ſeit vielen Jahren, bald allein und bald in
Geſellſchaft, bald des Tags in Waͤldern und
auf der Straße, bald des Nachts durch ge-
waltſamen Einbruch zu rauben, hatte dieſer
Boͤſewicht auch eine ungeheure Menge Men-
ſchenblut auf ſein Gewiſſen geladen: hatte
nicht nur unſchuldige Fremde, freundſchaft-
liche Reiſegenoſſen, ſondern ſogar ſein eignes
Fleiſch und Blut gemordet: hatte, um gleich-
L
ſam deſto eigenthuͤmlicher in ſeiner Art zu ſeyn,
es nicht aus Habſucht allein, ſondern auch
aus einem Aberglauben gethan, in welchem
Grauſamkeit und Wahnſinn um den Vorzug
wetteiferten. — „Haͤtt' ich nur den einzigen
„Tag, als ich gefangen ward, noch uͤberſtan-
„den,“ (ſagte er im Verhoͤr mit halben grim-
migen Lachen) „ſo haͤtt' ich euch und eure Kaͤ-
„fichte, eure Wachen und Henker verſpotten
„koͤnnen.“ — „Und warum das?“ — „Weil
„ich an eben dem Abend das neunte ſchwangre
„Weib zu ermorden dachte, und alle Gelegen-
„heit dazu mir ſchon auserſehen hatte.“ — Ein
allgemeines Erſtaunen bemaͤchtigte ſich jezt der
Gerichtsperſonen; ſie forſchten weiter und ge-
nauer nach; und ſiehe da, der faſt fabelhafte
Boͤſewicht hatte ſchon acht ſchwangere Weiber
meuchelmoͤrderiſcher Weiſe getoͤdtet, aus ihren
Leibern die Geburten geriſſen, und die Herzen
derſelben, indem ſie noch lebten oder vielmehr
zuckten, gefreſſen. Ja, um dieſes abſcheuliche
Bubenſtuͤck recht vollſtaͤndig zu machen, hatte
ſeine eigne erſte Frau, (ein unſchuldigesGeſchoͤ-
pfe, das ihn nie beleidigt, aber deren er bald
uͤberdruͤßig geworden) hatte ſein eignes erſtes
Kind auch das erſte Opfer abgeben muͤſſen.
Man ſchauderte bei dieſem Geſtaͤndnis zuruͤck;
aber man wuſte nicht, was man vollends von
der Urſache denken ſollte, die er angab. Denn
der grauſame Aberglaͤubiſche hatte gehoft, nach
dem Genuß des neunten Herzens — fliegen zu
koͤnnen, wie ein Vogel.
So willig uͤbrigens der Hundsſattler war,
ſich ſeiner Unthaten gleichſam zu ruͤhmen, ſo
verſchloſſen war er in Angabe ſeiner Zunftge-
noſſen. Man befragte ihn oft, ernſtlich, und
mit Bedrohung abermaliger Folter nach den-
ſelben. Er blieb dabei: daß er weder ihre
eigentlichen Namen noch Wohnungen kenne;
ſondern, daß er nur immer auf der Straße,
an beſtimmten Tagen und Oertern ſie getroffen
habe. Auch haͤtten ſie ganz gewiß nun ſaͤmmt-
lich ſchon aus Teutſchland, oder wenigſtens aus
den naͤchſtenKreiſen ſich weggefluͤchtet; denn ſie
L 2
waͤren daruͤber einig geworden, ſich ſofort zu
zerſtreuen, ſobald einer von ihnen, zumal ihr
Oberhaupt, eingezogen werde. — Daß man
ihm dies nicht glauben wollte, war ſehr natuͤr-
lich. „Wohlan,“ ſagte er, als man einſt
ſcharf in ihn drang; „eines Namen und Woh-
„nung kenne ich allerdings; und glaube auch,
„daß man ſeiner habhaft werden duͤrfte. Die-
„ſer war in allen meinen Raͤubereien mein
„treuſter Genoſſe; war, ſo einfaͤltig er ſich
„ſtellt, ſchlauer als ich; und kann allerdings
„noch mehr geſtehn, als ich ſelbſt.“ — Man
fragte nach dem Namen; und er nannte —
ſollte man es glauben? — jenen armen
Leinweber.
Daß derſelbe, auf dieſe Angabe, ſofort
geholt und hingeſezt ward, erraͤth man leicht.
Aber keine Zunge erzaͤlt, und keine Feder be-
ſchreibt das Schrecken, das der Ungluͤckliche
dabei empfand. Schon lange vorher, als er
des Hundsſattlers erſte Verhaftung hoͤrte,
hatte er heimlich gefuͤrchtet, in ſein Schickſal
mit verwickelt zu werden; doch nunmehr war
er ſchon ſeit einer geraumen Friſt wieder ru-
hig und ſicher; denn was ging ihn jener Culm-
bacher Diebſtahl an? und uͤberdies ſprach man
auch bereits im ganzen Lande davon, daß je-
ner ſonſt vermaledeite Boͤſewicht doch ſo ehrlich
ſei, keinen ſeiner Gehuͤlfen zu verrathen. Eben
hatte dem Weber ſeine Frau den Tag vorher
die freilich nicht troͤſtliche Nachricht mitge-
theilt: daß ſie zum ſiebentenmale ſchwanger
ſei. Auch daruͤber nachdenkend ſaß er grade
in der Daͤmmerung, und erholte ſich ein we-
nig von den Arbeiten des Tages, als er den
fuͤrchterlichen Beſuch der Gerichtsperſonen ein-
treten ſah. Ein Schauder am ganzen Leibe
uͤberlief ihn ſofort; aber vollends jedes Haar
auf ſeinem Haupte, jeder Blutstropfen in ſei-
nen Adern erſtarrte, als er, wiewohl noch kurz
und dunkel, von der luͤgenhaften Ausſage je-
nes Boͤſewichts etwas vernahm. Jndeß ſein
Weib in Ohnmacht hinſank, ſeine Kinder um
Huͤlfe und Erbarmen ſchrien, und ſeine Nach-
L 3
barn zuſammenliefen, ließ er ſich hinſchleppen,
wie ein Sinnloſer, und geſtand, gleich bei der
erſten Frage vor Gerichte, alles, was er ge-
than hatte, alles, was er wuſte.
Aber auch bei der groͤſten Aufrichtigkeit traf
ſein Geſtaͤndnis mit der Angabe des Hunds-
ſattlers noch aͤuſſerſt wenig uͤberein. Umſonſt
betheuerte der Weber im Verhoͤr mit ſeinem
Anklaͤger, daß er an allen uͤbrigen Unthaten
ſchuldlos ſei; umſonſt beſchwur er mitThraͤnen,
mit aufgehobnen Haͤnden den Verlaͤumder:
ſich nicht ſo frevelhaft, ſo grundlos an ihm zu
verſuͤndigen; dieſer blieb unverruͤckt auf ſeiner
Rede. Die immer ſteigende Herzensangſt des
Webers galt fuͤr einen Beweis gegen ihn.
Eben die Armuth, die ihn haͤtte vertheidigen
ſollen, machte, daß man ihn auch jedes Un-
ternehmens faͤhig hielt; ſeine Akten wurden
unter Umſtaͤnden verſendet, die im voraus nicht
vielGutes ihm verſprachen; das Urtheil hierauf
war, wie gewoͤhnlich: Tortur, und zwar von
Rechtswegen! Er erlitt ſie; und zwar ſchreckbar!
Denn ſo oft er ſich unter Scharfrichters Haͤn-
den befand, geſtand er aus Schmerz alles,
was man fragte, und was man wollte. Ließ
man mit Quaͤlen nach, ſo widerrief er als-
bald, und verhalf ſich durch dieſen Widerruf
— nur zu erneuerter, verſtaͤrkter Quaal. Sein
oͤfteres Ableugnen galt fuͤr bloße Bosheit;
Beihuͤlfe zu einer Raͤuberei war er doch ein-
mal geſtaͤndig; auf die Richtigkeit der uͤbri-
gen erbot ſich ſein Mitgenoſſe zu ſterben. Daß
eine Privatfeindſchaft zwiſchen ihnen geherrſcht
habe, konnte man aus nichts abnehmen. Dies
waren fuͤr die Urtheilsverfaſſer Gruͤnde ge-
nug, um auf den Tod zu ſprechen. Sie er-
kannten fuͤr den Hundsſattler das Rad, fuͤr
den Weber den Strang. Als der kleinere Ver-
brecher ſollte dieſer leztere eine Todesangſt
minder leiden, und zuerſt an Galgen kommen.
Als den beiden Gefangenen dieſer Ausſpruch
eroͤfnet ward, laͤchelte der Hundsſattler veraͤcht-
lich, und der Weber rang voll Jammer die
Haͤnde. Die Liebe zum Leben, mehr noch der
L 4
Gram um ſeine nackten Kinder, um ſein huͤlf-
loſes Weib, erwachten mit groͤßter Staͤrke in
ihm. Auch war dieſe leztere in der That noch
bedaurungswuͤrdiger, als er ſelbſt. Waͤh-
rend ſeiner Verhaftung hatte ſie und ihre ſechs
Waiſen faſt ganz von Almoſen der Nachbarn
gelebt. Nur mit aͤuſſerſter Muͤhe hatte ſie
zwei oder dreimal die Erlaubnis erhalten, ih-
ren Gatten zu ſprechen. Sie hatte ihn ge-
ſehn, als man ihn mit noch ganz verrenkten
Gliedern aus der Folterkammer zuruͤck im
Kerker brachte. Steine haͤtten damals ihren
Jammer erweichen ſollen. Daß ſie in gegen-
waͤrtigen Umſtaͤnden, bei der ſchwerſten Hand-
arbeit, beim oͤftern Laufen in die Stadt und
wieder zuruͤck in ihre Heimath, bei unablaͤßi-
ger Angſt zur Nachtzeit und am Tage, bei der
Noth, die ſie druͤckte, bei der noch groͤßern, die
ſie bedrohte, doch nicht ganz erlag; ſondern
immer noch in ihrer Schwangerſchaft nach
dem gewoͤhnlichen Laufe der Natur fortging,
— dies wuͤrde unbegreiflich ſcheinen, wuͤßte
man nicht ſchon aus andern Beiſpielen, wie
ungeheuer viel ein Menſch, und zumal ein
Weib, ertragen kann.
Ein einziger, aber ſchwacher Troſt blieb ihr
noch uͤbrig; derjenige, welcher die Ungluͤckli-
chen ſo ſelten ganz verlaͤßt, die Hofnung! —
Daß ihr Mann, bis auf jenes unſelige Schild-
wachtſtehen, von allen Verbrechen ledig ſei,
das wußte ſie gewiß; denn noch im Gefaͤng-
niß hatte er es aufs heiligſte ihr zugeſchwo-
ren; und ſie wußte, er werde ſie nicht hinter-
gehn; wußte noch aus mancherlei Umſtaͤnden,
daß er unmoͤglich des Hundsſattlers genauer
Freund geweſen ſeyn koͤnne. Daher hofte ſie
immer: ſeine Richter wuͤrden doch endlich ein-
ſehn, was ihr ſo ſonnenklar vor Augen ſtand;
hofte, der Himmel werde ſich ſeiner Unſchuld,
und waͤre es mit Zeichen oder Wunder, anneh-
men. Aber als der zum Hochgerichte anbe-
raumte Tag nun da war; als ſie das Todes-
urtheil ſchon oͤffentlich ausſprechen hoͤrte; als
ſie ſah, wie man den Stab brach; wie ſich der
L 5
Zug bereits in Ordnung ſezte; und ihr Mann
mit thraͤnendem Auge ſie zum leztenmal um-
armen wolte; da glaubte ſie freilich an keine
Rettung mehr. Sie riß ſich von ihm los,
und mit der ganzen Fuͤlle der Verzweiflung,
indem ſie ihr juͤngſtes Kind auf dem Arm trug,
das naͤchſte an der Hand fortriß, und den
andern ihr zu folgen gebot, flog ſie zum
Schloſſe hin, und verlangte vor ihrem Fuͤrſten
gelaſſen zu werden.
Die Wache verwehrte ihr den Zutritt, denn
ſie glaubte, eine Wahnſinnige in ihr zu ſehen.
Aber eine freundſchaftliche Seele fluͤſterte ihr
zu: daß die Marggraͤfin ſo eben im Schlos-
garten ſich befaͤnde; alsbald eilte die Aermſte
dorthin, fand die Fuͤrſtin, und ſtuͤrzte vor ihr
aufs Knie hin. Auch hier von ihren Kindern
umringt, beſchwor ſie bei dieſen ungluͤcklichen
Geſchoͤpfen, bei dem noch ungluͤcklichern, das
unter ihrem Hrrzen liege, und in wenigen Ta-
gen das Licht erblicken ſolle, bei ihrem Jam-
mer ohne Maas und Namen; bei allem, was
der Himmel Erhabnes und Heiliges hat —
bei dieſem und bei tauſend andern Dingen
noch, beſchwor ſie die Marggraͤfin: ſich ihres
Mannes anzunehmen, und nicht zu dulten, daß
er in dieſem Augenblick gemordet werde. Ge-
mordet! denn er habe zwar gefehlt, doch nicht
auf eine Art, die den Tod verdiene. Selbſt,
wenn er es haͤtte — Gott ſei ja gnaͤdig —
Warum nicht auch Menſchen und Fuͤrſten?
Das Herz der Prinzeſſin war edel und weich.
Sie fuͤhlte ſich von dem Jammer dieſes un-
gluͤcklichen Weibes, von den Thraͤnen derer,
die ſo eben wahre Waiſen werden ſolten, und
vom Schickſale deſſen, der vielleicht kein
Verbrecher war, geruͤhrt. Sie gieng zu ihrem
Gemal, und bat ſelbſt fuͤr das Leben des We-
bers. Er zoͤgerte ein Weilchen, gewaͤhrte es
ihr aber endlich doch. Der Zwerg des Fuͤr-
ſten erhielt Befehl aufs ſchnellſte Roß aus
dem Marggraͤflichen Stall ſich zu ſezzen, und
dem Weber Pardon zu bringen. Die Marg-
graͤfin ermahnte ihn zweimal ja zu eilen, was
er koͤnne; denn ſie beſorgte ſonſt, daß er zu
ſpaͤt kommen duͤrfe.
Jhre Sorge war nicht ohne Grund. So
ſehr jene ungluͤckliche Halbwittwe und auch die
Prinzeſſin ſich gefoͤrdert hatten, ſo war doch
eine ziemliche Friſt daruͤber hingegangen, und
der Zug zum Hochgericht indeß fortgeſezt wor-
den. Das ganze Volk, das mit hinausſtroͤmte,
bedauerte den Weber; ſelbſt diejenigen,die ſonſt
auf ſein hartnaͤckigesLaͤgnen geſchmaͤlt hatten,
ſchloſſen nun aus ſeinem Betragen auf ſeine
Unſchuld, und wuͤnſchten ſeine Befreiung. Der
Weg zum Hochgericht war fern; man ſuchte
ihn noch zu verlaͤngern, ſo viel man konte. Man
ward immer lauter, immer unwilliger, jemehr
man ſich dem Ort der Hinrichtung nahte. Jm-
mer glaubte man: jezt oder jezt werde Huͤlfe
kommen. Sie kam nicht, und man war end-
lich an der ungluͤcklichen Stelle. Der Prie-
ſter hatte bereits ſeine lezte Schuldigkeit ge-
than, und der arme Suͤnder ſtieg oder wankte
vielmehr die Leiter hinauf. Jezt, indem er
ſchon auf der dritten Sproſſe ſtand, und der
Henker den Strick ihm um den Hals legen
wolte, jezt wandte ſich der groͤßte Theil der
Zuſchauer, halb unwillkuͤhrlich, noch einmal
gegen die Stadt zu, und einige ſahen von
weiten etwas weiſſes in der Luft. Man ſchrie
dem Nachrichter zu, einzuhalten. Man er-
kante in naͤchſter Minute das Roß, den Zwerg
und das weiſſe Tuch. Pardon! Pardon! riefen
wohl hundert Stimmen auf einmal. Man eilte
dem Zwerg entgegen; man jauchzte von neuem,
als man die Hofnung beſtaͤtigt fand. Man
rief von neuem: Pardon, dem Weber, Pardon!
Stark war alſo die Wirkung, die dieſe an-
gekuͤndigte Gnade auf die Menge machte;
noch ſtaͤrker diejenige, welche eben dadurch auf
einen Einzelnen verurſacht wurde; und die-
ſer war — nicht etwa der Weber ſelbſt, ſon-
dern der Hundsſattler. Hartnaͤckig hatte die-
ſer Boͤſewicht ohne Gleichen im Gefaͤngniß al-
le geiſtliche Zuſpruͤche, alle Erinnerungen an
ein jenſeitiges Leben zuruͤckgewieſen. „Er wer-
de ſchon als ein Mann, und nicht als ein al-
tes Weib zu ſterben wiſſen! „Dies war ſeine
gewoͤhnliche Antwort, wenn man ihn zur Reue
uͤber ſeine Miſſethaten ermahnte. Jn den
lezten drei Tagen, wo man ihm (nach einer
in verſchiedenen Laͤndern bei Verurtheilten ge-
woͤhnlichen Sitte) frei ſtelte, was er zu eſſen
und zu trinken wuͤnſche, hatte er ſich noch ſo
guͤtlich als moͤglich gethan; hatte am heuti-
gen Tage den Richtern, als ſie das weiſſe
Staͤbchen brachen, ins Auge gelacht; auch im
Hinausgehn noch uͤber den Lermen des Poͤbels,
uͤber den Unwillen, den einige gegen ihn aͤuſ-
ſerten, und uͤber das Zittern ſeines Kamera-
den geſpottet. — „Das ſoll meine lezte
Freude ſeyn,“ ſagte er, “zuzuſehn, wie dieſer
fromme Dieb ſeine Abſchiedscapriole ſchnei-
det!„ Und mit unverwandten Augen, mit
immer gleichbleibender Geſichtsfarbe ſchaute
er wirklich hin, als dieſer Arme die Leiter hin-
aufſtieg.
Doch als gerade im lezten moͤglichen Au-
genblick die Rettung wirklich noch ſich ein-
ſtelte, da ward der Hundsſattler auf einmal
bleicher als eine weisgetuͤnchte Wand, trat
ein paar Schritte zuruͤck und rief: „Ja, es
„iſt ein Gott im Himmel, und eine Vorſicht,
„an die ich bisher niemals glaubte! Dies iſt die
„Probe, die ich mir ſezte! Jch glaubte ſchon
„gewonnen zu haben, und ſehe nun, daß ich
„verliere.“ — Man fragte ihn: Was er
eigentlich damit meine? — „Unſchuldig,“
ſprach er, „iſt der Weber. Nur gezwungen
„that er jene Wache, indeß wir raubten. Selbſt
„das Geld, das er bekam, wolt' er zuruͤck-
„geben, ſo ſehr ihn auch Mangel und Hun-
„ger druͤckten. Jeden Diebſtahl hat er ſonſt,
„wie den Tod ſelbſt, gehaßt. Alles dies wußt'
„ich, und verleumdete ihn abſichtlich. Doch
„nicht etwa aus Rachbegier; ſondern nur um
„zu ſehn, ob es eine goͤttliche Gerechtigkeit gebe,
„die ſich der Unſchuld annehmen werde. Jezt
„erkenn' ich, es giebt eine; und ich bitte man
„fuͤhre mich zuruͤck, damit ich mich bekehren
„koͤnne, ehe ich ſterben muß. Jch will dafuͤr auch
„noch manches bekennen, was wohl verdient,
„daß man einigeTage laͤnger mich leben laͤßt.“
Man dachte, ich weiß nicht, ſoll ich ſagen,
billig oder from genug, um ſein Verlan-
gen ihm zu bewilligen. Er ward wieder zu-
ruͤckgebracht, und man erfuhr bei einem neuen
Verhoͤr allerdings manches von ihm, was
nuͤzlich und wichtig war. Denn jezt erſt zeig-
te er ſeine ehemaligen Genoſſen wahrhaft an;
viele wurden noch eingezogen und dasLand von
Boͤſewichtern geſaͤubert. Ueber eine Menge
von Diebſtaͤhlen bekam man erſprießliche Er-
laͤuterung. Die Unſchuld des Webers ward
außer Zweifel geſtellt. Als ohngefaͤhr zehn
oder zwoͤlf Tage darauf der Hundsſattler zum
zweitenmal hinausgefuͤhrt wurde, betrug er
ſich mit einem ſo reuigen Tone, und mit ſo
vieler Ergebung in ſein Schickſal, daß wenig-
ſtens die Menge dadurch erbaut ward. Ob
eine ſolche Aenderung viel innern Werth beſiz-
ze, mag ich zwar nicht unterſuchen; aber mich
duͤnkt, es iſt in dieſer Geſchichte noch ſonſt man-
cher Zug des menſchlichen Herzens merkwuͤr-
dig; und vorzuͤglich der: daß auch der ver-
ſtockteſte Boͤſewicht Gelegenheit ſucht, ſeine
Zweifel gegen goͤttliche Vorſicht und Vergel-
tung entweder aufzuklaͤren, oder mit einem
Grunde mehr zu unterſtuͤzzen; ja, daß er
durch Pruͤfungen, die er dem Schickſaal ent-
gegenſtellt, ſich gleichſam zu verwahren ſucht,
wenn es doch vielleicht ein Leben und eine Re-
chenſchaft jenſeits des Grabes geben ſollte.
So maͤchtig iſt der Wunſch des menſchlichen
Herzens: auch beim offenbarſten Unrecht noch
Recht zu behalten!
M
XVII.
Falſch-Muͤnzer, Meineidiger, Be-
truͤger — dem Scheine nach.
Engliſche Kriminalanekdote.
Jakob du Moulin war einer von den fran-
zoͤſiſchen Hugonotten, die der Religionseifer
des ſo oft zur Unzeit großgenannten Ludwig
XIV. aus ihrem Vaterlande vertrieb. Mit Weib
und Kind floh er, im lezten Regierungsjahre
Karl II. nach England; und nuͤzte ſeine we-
nige noch gerettete Baarſchaft zum Ankauf ei-
niger beim Zollhauſe fuͤr verfallen erklaͤrter
Waaren, die er dann ſtuͤckweis wieder mit
einem maͤßigen Gewinn zu verkaufen ſtrebte.
Handelsleute dieſer Art ſtehn gewoͤhnlich in
England eben nicht im Kredit der tadelfreiſten
Ehrlichkeit. Da ſie mit Waaren handeln,
worauf faſt immer ein hoher Jmpoſt ſteht,
und mit welchen ein vorzuͤglicher Schleichhan-
del getrieben wird, ſo gilt ſelbſt der Ankauf
beim koͤniglichen Zollhauſe nur groͤßtentheils
fuͤr einen Deckmantel eigner Kontrebande.
Du Moulin, uͤberdies noch Auslaͤnder, und
von einer Landsmannſchaft, die man in Eng-
land niemals liebte, blieb ſehr natuͤrlich von
dieſem Verdacht auch nicht befreit. Dennoch
haͤtte er dies leicht verſchmerzen koͤnnen, waͤre
nur zu jenem allgemeinen Argwohn nicht noch
ein neuer, blos perſoͤnlicher, hinzugekommen.
Man bemerkte naͤmlich in einiger Zeit, daß du
Moulin oft falſches Gold ausgaͤbe; es noch
dazu auf eine Art ausgaͤbe, die ihn zwiefach
verhaßt machen mußte. Wenn er oft von
rechtlichen Leuten Geld empfangen hatte, kam
er nach einiger Zeit mit falſchgemuͤnzten Stuͤk-
ken; behauptete, ſolche von ihnen empfangen
zu haben, und verlangte Auswechslung der-
ſelben. Wiewohl nun jene oft mit vieler Hizze
M 2
es ableugneten, ſo blieb er doch, wenn nicht
ganz unleugbare Umſtaͤnde vom Gegentheil
ihn uͤberfuͤhrten, ſtets ſehr hartnaͤckig auf ſei-
ner Beſchuldigung; brachte ſich dadurch bald
in einen uͤblen Ruf; verlor almaͤhlig ſeine
Kunden, und endlich faſt ſeinen ganzen
Kredit.
Einſt fuͤgte es ſich, daß er an einen gewißen
William Harris, der noch nie mit ihm in
Verkehr geſtanden hatte, einige Waaren, acht
und ſiebenzig Pfund am Werthe, verkaufte,
und das Geld von ihm ſofort in Guineen und
Portugalleſern empfing. Unter dieſem Golde
kamen dem du Moulin zwar gleich Anfangs
einige Stuͤcke verdaͤchtig vor; da ihm aber
ſein Kaͤufer auf Ehre verſicherte: daß er ſie
alle ſorgfaͤltig unterſucht, und grade dieſe
Stuͤcke ſelbſt gewogen habe; ſo nahm er ſie
an, und ſtelte uͤber die ganze Summe eine
Quittung aus.
Einige Tage vergingen. Ploͤzlich ſuchte du
Moulin ſeinen Abkaͤufer wieder auf; brachte
ſechs Goldſtuͤcke zum Vorſchein, und verſicher-
te: ſie waͤren ein Theil jener empfangnen
Summe, aber von ſo ſchlechtem Metall, daß
er ihre Auswechslung begehren muͤſſe. Harris
unterſuchte dieſelben, erkante ebenfalls ihre Un-
aͤchtheit, behauptete aber zugleich: er wiſſe gewiß
daß ſie nicht unter ſeiner Auszahlung befindlich
geweſen waͤren. Du Moulin blieb auf ſeinem
Sazze. „Er habe,“ ſagte er, „dieſes Geld in
„einen Schubladen ganz allein gelegt; habe
„es ſofort zur Bezalung eines bald gefaͤlligen
„Wechſels beſtimt; habe, da ſolcher heute
„eingegangen, das bisher verſchloßne Fach
„geoͤfnet, und beim Aufzaͤlen dieſe unaͤchten
„Stuͤcke gefunden. Kein andrer Menſch ſei
„in dieſen Schrank gekommen; kein Jrrthum
„ſei moͤglich; und ganz gewiß waͤren es die-
„ſelben Muͤnzen, die er gleich anfangs habe
„ausſchießen wollen.“ — Harris gerieth
nun auch in Eifer, und beſchuldigte ſeinen Geg-
ner der Betruͤgerei. Du Moulin, durch dieſen
Vorwurf nicht in Furcht, aber wohl in Zorn
M 3
gebracht, ging zu einem Friedensrichter, be-
ſchwur, was er kurz vorher angegeben hatte,
und erhielt: daß Harris dieſe ſechs unaͤchten
Goldſtuͤcke mit richtigen austauſchen mußte.
Wie ſehr dem Leztern dies verdroß, kann
man leicht denken. Ueberzeugt, daß du Mou-
lin nicht nur ihn betrogen, ſondern den Be-
trug auch mit einem Meineide unterſtuͤzt habe,
erzaͤlte er dieſen Vorfall wo er nur hinkam;
ſchimpfte auf den diebiſchen Franzoſen ſo viel
er nur konte; und traf auf eine Menge Men-
ſchen, die ihm von eben demſelben aͤhnliche
Vorfaͤlle erzaͤlten. So formte ſich ein Ge-
ruͤcht, das bald weiter um ſich grif; und da
du Moulin ſah, daß faſt alle ehrliche Leute
ſich ſeines Umgangs entaͤußerten; da ihm der
Grund davon nicht lange fremd blieb; und da
er hoͤrte: daß Harris allenthalben laut gegen
ihn ſpreche, ſo belangte er ihn dieſer ehrenruͤh-
rigen Reden halber gerichtlich. Hierdurch
aufs aͤußerſte gebracht, behauptete Lezterer
nicht nur ſeine Rede, ſondern da er auch auf
noch mehrere Zeugen ſich berief, die vom du
Moulin auf gleiche Art betrogen worden waͤ-
ren, ſezte er es endlich durch: daß ſolcher als
ein falſcher Muͤnzer verhaftet, und eine Haus-
ſuchung bei ihm verordnet wurde.
Es war kaum moͤglich noch mehr zu finden,
als man hier wirklich fand. Denn man traf in
einer Schublade ganz allein eine Menge falſcher
Goldmuͤnzen; traf eine ziemliche Anzahl von
gleichem Gehalt unter anderm Gelde, an an-
dern Orten verſtreut an; entdeckte, als man
weiter ſuchte, verſchiedene Feilen, eine Flaſche
mit Goldſcheidewaſſer, geſtoßne Kreide,ein paar
Geldſtempel, und noch andre Werkzeuge zum
Muͤnzen. Nun war wohl kein Zweifel mehr, daß
der Verhaftete nicht nur ein Betruͤger, ſondern
auch ein Betruͤger von der abſcheulichſten Gat-
tung ſei. Die Art und Weiſe, wie er die
Muͤnzen auszuſtreuen geſucht hatte; wie er
ſie Leuten aufgedrungen, die ihn vorher ehr-
lich und redlich bezahlten; die Unverſchaͤmt-
heit, womit er ſeine Forderung unterſtuͤzt,
M 4
der Meineid, den er geſchworen, die Klage,
die er gegen Harris erhoben hatte; ſelbſt die
trozzige Unwiſſenheit, mit welcher er noch jezt
nichts begreifen wolte, und mit welcher er
Dinge ableugnete, die man ihm vor Augen
legte; alles dies vergroͤßerte ſeine Schuld und
ſeine Strafbarkeit bei jedem, der davon hoͤrte.
Man verglich die zum Praͤgen gefundnen
Werkzeuge mit den ausgegebnen und bei ihm
angetrofnen Muͤnzen; man verglich das noch
ungemuͤnzt gefundene Metall mit dem gemuͤnz-
ten; es war beides ſo uͤbereinſtimmend, daß
er die Gleichheit ſelbſt nicht leugnen konte.
Aber die That ſowohl, als auch die kleinſte
Kentniß von ihr, leugnete er hartnaͤckig. Die
Geſchwornen ließen jedoch ſich dadurch nicht
einen Augenblick irren, das: Schuldig! ohne
erſt abzutreten, auszuſprechen. Der Tag ſei-
nes Todes ward angeſezt.
Ohngefaͤhr drei Tage vor demſelben trug
es ſich zu, daß ein gewiſſer Williams, der an-
fangs bei einem Petſchierſtecher in die Lehre
gegangen, dann aber von dieſem Gewerbe wie-
der ausgetreten war, und mit kleinen Hand-
thierungen ſich beſchaͤftigte, von einem Hauſe
herabfiel, und auf der Stelle todt liegen blieb.
Seine hochſchwangre Frau entſezte ſich daruͤ-
ber dergeſtalt, daß ſie ſofort misgebahr. Sie
merkte bald, daß dies ihr Ende ſeyn werde;
ſie ließ daher ſo ſchleunig als moͤglich du Mou-
lins Gattin rufen; begehrte, daß man ſie bei-
de allein laſſe, und that ihr dann ungefaͤhr
folgende Eroͤfnung:
„Binnen wenig Minuten ſtehe ich wahr-
ſcheinlich vor dem Thron eines hoͤhern Rich-
ters. Unmoͤglich kann ich, wiſſentlich mit
Blutſchuld beladen, vor ihm treten. Jhr
Mann iſt ganz ſchuldlos an dem Verbrechen,
wofuͤr er ſterben ſoll. Aber leider der Meini-
ge war es nicht! Schon ſeit mehrern Jah-
ren ſtand er mit drei andern Falſchmuͤnzern in
genauer Verbindung. Von dem, was ſie
praͤgten, habe ich ſelbſt manches unter die Leute
gebracht, und beſizze mithin Kentnis von allem.
M 5
Einer von den uͤbrigen dreien vermiethete ſich
zu ihrem Mann. Mit Dietrichen zur Eroͤf-
nung aller Schloͤſſer hinlaͤnglich verſehen, hat
er, ſo oft ſich Gelegenheit fand, das Schrei-
bepult, und die uͤbrigen Schraͤnke, wo ſein
Herr ſeine Einnahme zu verwahren pflegte,
eroͤfnet, gutes Gold herausgenommen, und
ſo viel unaͤchtes dafuͤr hingelegt. Auf dieſe
Weiſe, die ich freilich jezt fuͤr abſcheulich er-
kenne, iſt der arme du Moulin um Handlung,
Kredit und Freiheit gekommen; und wuͤrde
jezt ſogar bald ſein Leben eingebuͤßt haben,
wenn nicht die Strafgerichte des Himmels
meinen Mann und mich ergriffen haͤtten.“
Nur mit groͤßter Anſtrengung und hoͤchſter
Gewiſſensunruhe vermochte die Kranke, oder
Sterbende vielmehr, dieſe Erzaͤhlung abzule-
gen. Jhre Kraͤfte waren nunmehr erſchoͤpft.
Nachdem ſie nur noch die Namen und den
Wohnort der beiden andern von ihr Beſchul-
digten angegeben hatte, ward ſie von Zuckun-
gen uͤberfallen; ward ſprachlos und verſchied
wenige Minuten darauf. Du Moulins Frau
begab ſich ſofort zum Richter; erzaͤhlte ihm
das Ebengehoͤrte; gab die drei Perſonen an,
und bewuͤrkte, daß ſie noch dieſen Tag in
Verhaft genommen und jeder beſonders ver-
hoͤrt wurden. Du Moulins Bedienter kam
zuerſt an dieſe Reihe; aber er leugnete alles
gradezu. Er hatte in ſeinem Leben nicht ge-
hoͤrt, wie man Geld praͤge; hatte den geſtorb-
nen Williams und deſſen Frau nie gekant;
hatte nie wiſſentlich einen Penny falſches
Geld ausgegeben; kurz, war ſo ſchuldlos,
als moͤglich. Ganz die gleiche Melodie ſtimte
auch der Zweite ein. Aber als der Dritte
verhoͤrt wurde, kam grade ein Gerichtsdiener,
der zur Durchſuchung ihrer Wohnungen ab-
geſchickt worden war, zuruͤck, und brachte eine
Menge falſcher Muͤnzen, falſches rohes Me-
tall und Werkzeuge, die zum Praͤgen gebraucht
werden konten, mit ſich. Die Vorlegung von
dieſem allen machte dieſen Verhafteten, der
ſonſt auch geleugnet haͤtte, ſtuzzig. Der Rich-
ter drang ernſtlicher in ihn, und machte ihm
zugleich einige entfernte Hofnung, durch ein
aufrichtiges Geſtaͤndnis, ſein Leben friſten zu
koͤnnen. Dies wuͤrkte endlich. Er bekante,
daß er ſchon lange mit dem Geſtorbnen, und
mit dem, der vor ihm verhoͤrt worden, in
Verbindung geſtanden habe; daß beide oft, in
ſeiner Gegenwart und mit ſeiner Theilnahme,
falſches Gold gepraͤgt haͤtten; daß er aber
von der Art und Weiſe, wie es untergebracht
worden, keine Kentnis habe; weil dies bloß
Williams und vielleicht auch du Moulins Be-
diente auf ſich genommen haͤtten.
Auf dieſes, nachher noch umſtaͤndlicher wie-
derholte Geſtaͤndnis, und auf die wahrhaft
befundne Anzeige: wo man noch mehr Praͤ-
gewerkzeug und falſche Muͤnzen finden wuͤr-
de; ſchob man nicht nur du Moulins Hin-
richtung auf, ſondern jene Beiden wurden
auch fuͤr uͤberfuͤhrt und des Todes ſchuldig
erklaͤrt. Gleichwohl leugneten ſie immer fort
hartnaͤckig ihr Vergehn; und auch gegen
du Moulin wollte der Verdacht (wenigſtens
bei vielen im Volk) noch nicht verſchwinden.
Daß jene ſpaͤter Verhafteten ſchuldig waͤren,
zweifelte man keinesweges; aber daß die An-
klage gegen ſie blos angeſtellt worden ſei, um
den eben ſo ſchuldigen du Moulin zu retten,
glaubte man allerdings. Den Umſtand, daß
man falſches Gold nicht nur zerſtreut, ſon-
dern auch in ganzen Haufen bei ihm ange-
troffen, konnte er noch zur Noth durch den
Vorwand entkraͤften: daß er es in Geldzah-
lungen von Unbekannten, an welche er ſich nicht
mehr zu halten wiſſe, empfangen, und nach-
her ausgeklaubt habe. Doch der uͤble Um-
ſtand, daß man Stempel und andre Praͤg-
werkzeuge bei ihm ſo wohl verwahrt gefun-
den, konnte durch ſeine, immer im allgemein-
ſten Ausdruck gemachte Verſicherung: daß er
nicht wiſſe noch begreifen koͤnne, wo ſie her-
gekommen? nicht widerlegt werden. Auch
hatte man von der Betruͤgerei ſeines Bedien-
ten immer noch kein recht guͤltiges Zeugniß.
Jener eingeſtaͤndige Falſchmuͤnzer hatte nur
gegen den Geſtorbnen und gegen den zweiten
Mitſchuldigen gehoͤrig und beſtimt ausgeſagt.
Williams Frau war todt. Jhre Erzaͤlung
hatte nur du Moulins Gattin mit angehoͤrt,
die hier unmoͤglich fuͤr unparteiiſch gelten konn-
te. Von den Ueberwieſenen hatte freilich kei-
ner den du Moulin ſelbſt als Mitſchuldigen
angegeben. Seine Freunde hoben dieſen Um-
ſtand ſehr zu ſeinem Vortheil aus. Recht
betrachtet, bewies er nichts. Die aufgefund-
nen Stempel blieben immer dem ohngeachtet
ein harter Verdacht.
Doch waͤhrend auf dieſe Art die oͤffentliche
Meinung noch hin und herſchwankte, war
man ſo gluͤcklich, bei einer nochmaligen Un-
terſuchung, in einem Schranke, der du Mou-
lins Diener gehoͤrte, eine kleine, ſehr gut ver-
borgne Schublade, und in dieſer einen Bund
Schluͤſſel, nebſt einem in Wachs abgedruͤck-
ten zu finden. Dieſen Abdruck verglich man
mit den Schluͤſſeln ſelbſt, und ſieh da, derje-
nige, der genau hineinpaßte, ſchloß jenen
Schrank du Moulins, in welchem man die
Stempel und die einzelnen Haufen falſcher
Muͤnzen angetroffen hatte. Als man daher die-
ſen Menſchen nochmals verhoͤrte, legte man
ihm ganz unerwartet Schluͤſſel und Wachs-
abdruck vor, und fragte ihn: Was er noch
gegen dieſen Beweis einzuwenden habe? Jezt
erſchrack und erblaßte er; die Thraͤnen traten
ihm in die Augen, und er bekante: „Ja, er
ſei ſchon verſchiedne Jahre hindurch nicht nur
Muͤnzverfaͤlſcher, ſondern auch vorzuͤglich der-
jenige geweſen, der die falſche Muͤnze ſeiner Ge-
noſſen in Umlauf zu bringen gewußt habe. Blos
in dieſer Abſicht habe er ſich zum du Moulin
vermiethet; habe zu allen ſeinen Schraͤnken
und Kaſſen ſich bald Nachſchluͤſſel zu verſchaf-
fen gewußt; habe ſich aber ſorgfaͤltig gehuͤtet,
auch nur das geringſte zu entwenden, damit
man ſeinen Auswechslungs-Kunſtgrif um ſo
weniger argwoͤhnen moͤge. Als der Handel
mit Harris gerichtlich geworden, ſei er in Sor-
gen gerathen, weil er wohl gewußt, daß er
die in ſeiner Kiſte befindlichen Werkzeuge auf
den Fall einer Hausſuchung in der heimlichen
Schublade, auf welche er ſein ganzes Ver-
trauen geſezt, nicht laſſen koͤnne. Jmmer ha-
be er daher von ihnen, ſo viel er gekont, bei
ſich getragen. Als die Gerichtsbedienten zur
wirklichen Unterſuchung beordert worden, ha-
be er ſie von weitem kommen geſehn; ſei ſo
ſchnell als moͤglich in ſeines ſchon verhafteten
Herrn Kabinet geeilt; habe ſolches ſowohl,
als den Geldkaſten und Hauptſchrank, mit
Nachſchluͤſſeln geoͤffnet, Stempel, Metalle,
Scheidewaſſer, noch andre Werkzeuge und
mehrere falſche Muͤnzen hineingeworfen, und
habe alles kaum wieder verſchließen koͤnnen,
als die Gerichtsperſonen ſchon vor der Thuͤre
erſchienen waͤren.“
Auf dieſe Art war du Moulins Unſchuld
nun am Tag gebracht und gerettet. Alle
Umſtaͤnde, die vorher wider ihn zeugten, wa-
ren aufgeklaͤrt. Der Eid, den er gegen Har-
ris
ris ablegte: daß er die Muͤnze, welche er zu-
ruͤckbrachte, wuͤrklich von ihm empfangen ha-
be; — dieſer Eid war freilich ein Meineid
geweſen. Aber weder Nachlaͤſſigkeit, noch
Unachtſamkeit, am allerwenigſten Bosheit,
hatte denſelben verurſacht. Er hatte die fal-
ſchen Goldſtuͤcken wuͤrklich in dem Fache ge-
funden, in welchem er jene Summe allein
aufbewahrt hatte; daß ſie immittelſt durch
eine andre Hand verfaͤlſcht worden, konte er
auf keine Art muthmaßen. — Wenn man
uͤbrigens bedenkt, wie manche Zufaͤlligkeit ſich
ereignen mußte, um einem ſchuldloſen, ſchon
auf ſo vielfaͤltige Art tiefgebeugten Mann,
das Lezte, was ihm ein treuloſer Bedienter
noch uͤbrig gelaſſen, das Leben zu retten;
wenn man erwaͤgt: wie ohne Williams jaͤhen
Tod, ohne ſeiner Frauen lezte Gewiſſensangſt,
du Moulin in aller Augen als ein mannich-
facher, verſtockter Verbrecher hingerichtet
worden waͤre; dann kann man ſich wohl nicht
N
eines kleinen Schauders bei dem Gedanken
enthalten: Wie oft mag nicht, ſelbſt bei
ſorgfaͤltiger Gerechtigkeit, die Unſchuld blu-
ten, indeß die Bosheit mit heimlichem Hohn-
lachen zuſchaut!
XVIII.
Mordbrenner und Schadenſtifter,
um fuͤr heilig zu gelten.Dieſe Geſchichte, die ich ſchon 1785. nach
einer mündlichen Erzälung bekant machte,
iſt nachher von der — Teutſchlands Hoch-
achtung durch Geiſt und Herz ſo ſehr ver-
dienenden — Frau von Recke in ihrer über
Caglioſtro bekant gemachten Schrift 1787.
noch einmal erzält, und in einigen Neben-
umſtänden berichtigt worden. Jch habe von
dieſen leztern hier Gebrauch gemacht.
Ein junger Kuriſcher Bauer, der auf einer
HerrſchaftWas man in Kurland Gebiet nennt. — des Grafen von Medem, als
Knecht in dem GeſindeDas Geſinde heißt in Kurland die Woh-
nung eines Bauers mit allen Wirthſchaftsge- ſeines aͤltern Bru-
N 2
ders diente, kam, um ſich ein ruhigeres Leben
und groͤßre Achtung bei ſeinen Mitgenoſſen
zu erwerben, auf den Einfall: Ob es nicht
moͤglich ſeyn ſolte, ſich im Ruf einer gewißen
Heiligkeit zu ſezzen? — Die Emſigkeit, mit
welcher er alle Sontage in die Kirche ging,
die Andacht, mit welcher er der Predigt zu-
zuhoͤren ſchien, ein dreimaliger Genuß des
Abendmals im Jahre, und ein ſanfter, ſchlei-
chender Ton in Worten und Werken ſchienen
ihm zur Erreichung ſeines Entzwecks noch
nicht hinreichend. Er ſuchte auch ſeine Ver-
bindung mit dem Himmel durch Thatſachen
zu bewaͤhren, die allerdings mehr ins Auge
fielen.
Denn ſo oft ihn jemand beleidigte, ertrug
er Recht und Unrecht zwar mit groͤßter Ge-
bäuden. Da es in Kurland eigentlich keine zu-
ſammenhängende Dörfer giebt. — Graf von
Medem war der Vater der ſchon erwähnten
edlen Eliſe und der Herzogin von Kurland.
dult, hoͤchſtens mit einer chriſtlichen War-
nung; ſchlich aber um die Wohnung und die
Wirthſchaft des Beleidigers ſo lange ganz im
Stillen, bis er ſeinen Vortheil erſah, und das
beſte Roß im Stalle, die ſchoͤnſte Kuh im Ho-
fe, oder ſonſt ein vorzuͤgliches Stuͤck Haus-
vieh. — todt dalag. War ihm dieſe ſchaͤnd-
liche That nun gelungen, und fand man den
Schaden, dann geſellte er ſich, wie von ohn-
gefaͤhr, zu den Gekraͤnkten; ließ ſich alles er-
zaͤlen; hoͤrte mit ſichtlicher Theilnahme zu;
bedauerte und troͤſtete; miſchte aber auch im-
mer in ſeine Worte die Erinnerung: „Ob ſie
„nicht dran gedaͤchten, wie er neulich von ih-
„nen gekraͤnkt, ſie von ihm gewarnt worden
„waͤren? Gott verlaſſe diejenigen nicht, die
„ihm vertrauten; aber er ſtrafe auch jene,
„die ſeine Lieblinge antaſteten!“
Freilich haͤtte eine ſolche Rede wohl gegen
ihn Verdacht erregen koͤnnen! Doch nicht ge-
rechnet, daß er ſich deren gegen Menſchen be-
diente, die eben nicht mistrauiſch waren, ſo
N 3
verband er ſie auch mit Maasregeln, die al-
len, vielleicht moͤglichen, Argwohn erſticken
muſten. Ja, nicht ſelten trieb er ſeine Heu-
chelei ſo weit, daß er ſelbſt von ſeiner gerin-
gen Baarſchaft zum Erſaz des Schadens frei-
willig etwas beitrug! — Man hielt ihn daher in
der That fuͤr einen frommen, nur etwas kopf-
haͤngeriſchen Mann. Er konte ſchon auf ei-
nen anſehnlichen Theil ſeiner Mitbauern nach
Wunſch und Belieben wuͤrken. Die beſte
Koſt und die wenigſte Arbeit ward ihm zu
Theil. Die Wuͤrde eines halben Heiligen
war errungen. Er hofte bald ſeinen gan-
zen Entzweck zu erreichen, wenn es ihm nur
noch mit einem recht auffallenden Beiſpiele
gelaͤnge.
Einſt, als er, den Sontag drauf, wieder
zum Abendmal gehen wolte, befahl ihm ſein
aͤlterer Bruder in naͤchſter Woche mit Korn
nach Liebau auf den Markt zu fahren. Es
war Winter; das Wetter grade um dieſe Zeit
hoͤchſt unfreundlich, der Weg dahin ſchlecht,
und das ganze Geſchaͤfte unſerm Halbheiligen
unangenehm. Er brachte daher einen andern
Knecht dazu im Vorſchlag; erhielt aber zur
Antwort: daß dieſer ebenfalls ſchon ſeine be-
ſtimte Arbeit habe. Ein kleiner Wortwechſel
entſtand nun zwiſchen den Bruͤdern. Der
Juͤngere erklaͤrte: daß er zwar reiſen wolle,
daß er aber ſeinen Bruder und deſſen Kinder
bedaure; „denn Gott werde es nicht unge-
„raͤcht laſſen, daß man einen ſeiner Lieblinge
„abſichtlich kraͤnke.“ Der aͤltere behauptete,
wie billig: daß die jenem aufgetragne Arbeit
keine Kraͤnkung waͤre; lachte uͤber die ihm an-
gedrohte Strafe; und erkuͤhnte ſich zu ſagen:
daß ein Liebling Gottes auch arbeiten muͤſſe.
Der traͤge Heuchler muſte endlich nachgeben;
verſprach mit Anfang naͤchſter Woche zu rei-
ſen; blieb aber immer bei der Beſorgnis: daß
die Reue nur allzufruͤh ſich einſtellen werde.
Er hatte Recht. Dieſer kleine Zwiſt fiel
Freitags vor. Des Sonnabends drauf, als
nach Kurlaͤndiſcher Sitte der Hauswirth
N 4
nebſt ſeinem Geſinde im Bade — welches im-
mer in einer kleinen Entfernung von der Woh-
nung zu liegen pflegt — ſich befanden, hoͤr-
ten ſie ploͤzlich, Feuer! Feuer! rufen; ſpran-
gen erſchrocken, groͤſtentheils nackend, heraus,
und ſahen ihre Wohnung in voller Flamme
ſtehen. Rettung war unmoͤglich. Alle Ge-
baͤude, alle Vorraͤthe des Bauern, alle Haab-
ſeligkeiten von ihm und ſeinen Knechten gin-
gen in der Flamme auf. — Der juͤngere
Bruder hatte zuerſt die Lohe erblickt, zuerſt
Feuer! gerufen, ſo gut wie die uͤbrigen alles
verloren. Aber mehr uͤber den Verluſt ſeines
Bruders, als uͤber ſeinen eignen betruͤbt, —
manchem Heiligen der aͤltern und manchem
Maͤchtigen der neuern Zeiten gleich, daß
er ein Unheil beklagte, welches er ſelbſt ange-
ſtiftet hatte, — fragte er jenen nun: Ob
er noch ſeiner geſtrigen Rede gedenke? „Sagt'
„ich dir's nicht, lieber Bruder? Warnt' ich
„dich nicht? Wirſt du nun einſehn, daß
„Gott ſeiner und der Seinigen nicht ſpotten
„laͤßt?“ und ging des andern Morgens mit
der Miene der froͤmmſten Ergebenheit, nebſt
mehrern ſeiner Mitbauern zur Kirche, ſprach
noch unterwegens in den erbaulichſten Aus-
druͤcken von der geſtrigen Rache des Himmels;
und bereitete ſich demuͤthig vor, das Nacht-
mal zu empfangen.
Schon ſeit geraumer Zeit war er auch hier-
bei aus Scheinheiligkeit gewohnt, ganz der
Lezte zu ſeyn, der vor dem Altar hinkniete.
Die Kaͤlte war heute aͤußerſt groß; dem Prie-
ſter, einem guten, aber durchs Alter ſchon ge-
ſchwaͤchten Greis, zitterten die Haͤnde heute
zwiefach, weil der Froſt ſie erſtarrte, der lan-
ge Verzug ſie ermuͤdete. Als daher jezt jener
Lezte niederknien, und der Geiſtliche die Ho-
ſtie ihm reichen wollte, ließ er ſie fallen, und
ſie zerbrach. So aͤußerſt natuͤrlich dieſer Zu-
fall war, ſo ſehr beſtuͤrzte er den Heuchler,
der wohl fuͤhlte, wie unwuͤrdig der chriſtlichen
N 5
Gemeinſchaft er hier knie. Er hob daher die
Hoſtie von der Erde auf, ſteckte ſie zitternd
im Mund, und ging den Uebrigen nach, um
den Altar herum.
Der Prieſter fieng nun an den Kelch auszu-
ſpenden. Je laͤnger er dieſes that, je muͤhſa-
mer ward es ihm. Nun kam der Lezte; durch
ſein vorheriges Verſehn wahrſcheinlich ſelbſt
ein wenig aus der Faſſung gebracht, wollte der
Geiſtliche den Kelch recht feſt halten. Grade
dadurch gelang es ihm um ſo minder. Der
Kelch glitt ebenfalls aus ſeiner Hand. Der
ganze Wein war verſchuͤttet. Nicht einen Tro-
pfen davon hatte der Heuchler erhalten.
Die Poſaune des Weltgerichts haͤtte den
Elenden kaum ſtaͤrker erſchrecken koͤnnen, als
dieſer Vorfall es that. Die baͤngſte Ge-
wiſſensangſt bemaͤchtigte ſich ſeiner. „Es iſt
„entſchieden;“ dacht' er: „Jeſus Chriſtus
„entzieht dir ſein Verſoͤhnungsopfer! will ſei-
„nen Leib und ſein Blut nicht mehr von dir
„entheiligen laſſen. Vor aller Welt hat er dies
„jezt kund gemacht. Strafe, zeitlich hier und
„ewig dort, wird auf dem Fuße nachfolgen.
„Nur noch ein freiwilliges Geſtaͤndnis kann
„ſie vielleicht — wenigſtens mildern!“ —
Er konnte kaum die wenigen Minuten des noch
ruͤckſtaͤndigen Gottesdienſts abwarten. Gleich
nach demſelben, mithin, — wohlbemerkt, noch
in der erſten Hizze, — flog er zumPrediger; fiel
zu ſeinen Fuͤßen; beſchwur denſelben, ihm zu
helfen; erbot ſich alles zu geſtehn; und legte,
da dieſer gar nicht wuſte, was er vergeben
und wie er helfen ſolle, das unbefangenſte
Geſtaͤndnis ab: „daß er ſich bei ſeinen Mit-
„bruͤdern das Anſehn eines Lieblings der Gott-
„heit geben wollen; daß er deshalb das Vieh
„ſeiner Nachbarn gemordet, und auch geſtern
„die Wohnung ſeines Bruders angezuͤndet
„habe; daß es ihm aber nun von Herzens-
„grunde reue, und er der fromme Chriſt wirk-
„lich werden wolle, fuͤr den er bisher nur
„gegolten habe.“
Man kann ſich leicht denken, wie erſtaunt
der Geiſtliche bei dieſem Geſtaͤndniſſe da ſtand.
Sein Gewiſſen gab die Verſchweigung der
Schuld nicht zu. Der Miſſethaͤter ward ver-
haftet. Nach unſern Geſezzen waͤre ſein Tod,
— oder in einigen Provinzen Teutſchlands
eine den Tod an Bitterkeit noch uͤbertreffen-
de, unerlaßliche Strafe! — gewiß gewe-
ſen. Doch in Kurland haben alle Gutsbe-
ſizzer auf ihren Guͤtern die ſogenannten ho-
hen Gerichte. Der guͤtige Graf von Medem
erſezte (was ihm zum Theil als Gutsbeſizzer
ſchon oblag) den Schaden der Abgebrannten;
und da durch den Miſſethaͤter wenigſtens kein
Blut vergoſſen worden, ſo legte er ihm nur
eine Leibesſtrafe, und dreijaͤhrige Bauarbeit
in Ketten auf. Zugleich aber traf er An-
ſtalt, daß dieſer Ungluͤckliche richtigere Be-
griffe von der Religion, die er entweiht hatte,
erhielt; und noch jezt,Wenigſtens lebte er, nichts weniger als
ſchon betagt, 1787. noch, als Frau von Reck
vorher erwähnte Schrift bekannt machte. nachdem er laͤngſt
ſeine Strafe uͤberſtanden, lebt er als ein fleiſ-
ſiger, moraliſch gebeſſerter Menſch zu Alt Auz,
einem Gute der Familie Medem.
XIX.
Auch Mordbrenner und Selbſt-
verraͤther.
Etwas Aehnlichkeit mit vorhergehender Be-
gebenheit in Ruͤckſicht des Verbrechens,
der Heuchelei, die dabei obwaltete, und
der Freiwilligkeit des Geſtaͤndniſ-
ſes hat, wie mich duͤnkt, die Geſchichte eines
Ungluͤcklichen, den ich ſelbſt in meinen Juͤng-
lingsjahren ſeine (faſt moͤcht' ich ſagen, allzu-
harte,) Strafe leiden ſah. Es fehlt ihr frei-
lich das Ausgezeichnete in der Urſache der
Entdeckung. Der Verbrecher kam hier
auf einem weit gewoͤhnlichern Wege zur Ge-
wiſſensunruhe und zur Selbſtangabe. Den-
noch duͤnkt ſie mir auch in ſofern der Erzaͤ-
lung nicht unwerth, als man aus ihr erſieht:
daß der Anſchein der Unſchuld alſo eben
ſo truͤgend, als der Anſchein der Schuld
ſeyn koͤnne.
Auf einem Dorfe in der Oberlauſiz, ohn-
weit Budißin gelegen, verliebte ſich im Jahr
1770 oder 71 ein junger Bauer in eine eben-
falls noch junge, ziemlich wohlhabende Witt-
we; warb um ſie; erhielt aber abſchlaͤgliche
Antwort. So weh ihm dieſe leztere that, ſo
ſchreckte ſie ihn doch nicht ganz ab. Er ſuchte
vielmehr alles hervor, was er nur wußt' und
vermochte, um ſich annehmlicher zu machen;
vergebens! Endlich, als nichts anſchlagen
wollte, ſchickte er ihr einen Brief, deſſen An-
fang nochmals warb, und deſſen Ende —
drohte. „Jhre Verweigerung werde ſie,“
verſicherte er „einſt, und zwar bald gereuen;
„werde ſie noch um Haus und Hof bringen,
„wenn ſie nicht eines beſſern ſich beſinne.“
— Dies hieß freilich ſehr nachdruͤcklich ge-
ſprochen, ward aber doch — nicht erhoͤrt.
Die Wittwe heirathete bald drauf einen an-
dern, der ihr beſſer gefiel.
Acht oder zehn Tage nach dieſer Hochzeit
ſtand eines Morgens ihr Bauergut ſchnell in
heller Flamme und verbrante faſt bis auf den
lezten Span. Es fanden ſich die allerdeut-
lichſten Spuren boshafter Anlegung, und der
Verdacht davon fiel, ſehr begreiflich, auf je-
nen ungluͤcklichen Freiwerber. Er ward ſo-
gleich verhaftet, nach Budißin gebracht und
verhoͤrt. Aber troz der allerſorgfaͤltigſten Un-
terſuchung konte man — außer jenen Droh-
worten, die er ſelbſt eingeſtand, doch viel
linder deutete! — auch nicht den kleinſten Be-
weis gegen ihn aufbringen; vielmehr ergab
ſich ein Umſtand, der ſehr zu ſeinen Gunſten
ſprach. Das Feuer auf der Baͤuerin Gute
war, wie bereits erwaͤhnt worden, des Mor-
gens, und zwar an einem Sontags-Mor-
gen ausgebrochen. An eben dieſem Sontag
nun hatte der Jnquiſit in einer, faſt vier Mei-
len von jener Brandſtaͤtte entlegnen, Kirche
vor der Fruͤhpredigt gebeichtet, und nach der-
ſelben das Abendmal empfangen. Noch mehr
in eben dieſem ſo entlegnen Dorfe war er ſchon
des Abends vorher befindlich geweſen, und
hatte ſich zu gewoͤhnlicher Zeit ſchlafen gelegt.
Ueber alle dieſe Punkte ſtelte er unverwerfliche
Zeugen. Wolte man ihn auch fuͤr ruchlos
genug halten, daß er einen ſolchen wichtigen,
(fuͤr Leute ſeines Standes zwiefach ehrwuͤrdi-
gen) Tag durch einen ſo großen Frevel habe
entheiligen koͤnnen; ſo widerſprach doch die
Entfernung der Oerter und die Gewisheit ſei-
nes Nachtlagers, aller Moͤglichkeit einer Anle-
gung durch ihn; und von irgend einer Mitge-
noſſenſchaft, wo andre in ſeinem Namen Rache
veruͤbt haben koͤnten, aͤußerte ſich auch nicht die
geringſte Spur. Der Jnquiſit blieb daher zwar
im Verhaft, aber in ſehr leidlichem. Seine
Sache ward verſchickt. Man ſah zum
Voraus, daß auf den Schwur geſprochen
werden und er damit loskommen wuͤrde.
Waͤhrend dieſes Zwiſchenraums, und in-
dem er ſein Urtheil erwartete, uͤberfiel ihn
eine ziemlich gefaͤhrliche Krankheit. Um ihn
bei ſolcher gehoͤrig abzuwarten, brachte man
O
ihn ins daſige Arbeitshaus, welches beiher
auch als Verpflegsort gebraucht wird. Hier
genaß er; ward aber abſichtlich, als er ſchon
wieder herumgieng um ſich deſto gruͤndlicher
zu erholen, noch einige Tage drinnen gelaſſen;
und grade jezt ereignete ſich ein neuer Zufall,
der ſelbſt den lezten Reſt des noch uͤbrigen Ver-
dachts von ihm zu entfernen ſchien. — Jene ab-
gebrante Baͤuerin hatte ihr Gutsgebaͤude von
friſchen zu bauen angefangen, und war bereits
damit faſt bis unters Dach gekommen, als
abermals Feuer bei ihr ausbrach; abermals
mit den ſichtlichſten Merkmalen boshafter An-
legung. Jhr ganzesGebaͤude ward wieder Aſche
und ſie ſelbſt nunmehr voͤllig am Bettelſtab ge-
bracht. — Die Nachricht davon gelangte bald
in die nahgelegne Stadt. Man ſprach uͤberall,
mithin auch im Zucht- und Arbeitshauſe da-
von. Der Jnquiſit, als ſein Waͤrter ihm
davon erzaͤhlte, fragte ſpottend: „Ob er das
„vielleicht auch gethan haben ſolle? und ob
„man noch nicht einſaͤhe, daß die Gutsbeſizze-
„rin, die von jeher ein ſtolzes, boͤſes Geſchoͤ-
„pfe geweſen ſei, auch außer ihm Feinde, und
„zwar rachſuͤchtigere, beſizzen muͤſſe?“
Allerdings ſchlos man ſo; allerdings that
ihm dieſer lezte Vorfall, wenn auch nicht bei
ſeinen Richtern, doch in den Augen des Publi-
kums die erſprieslichſten Dienſte. Man glaub-
te ganz gewiß: er werde nur ins Gefaͤngnis
zuruͤckkommen, um deſto foͤrmlicher, deſto
rechtlicher daraus wieder entlaſſen zu werden.
Hoͤchſt wahrſcheinlich waͤre auch dies geſche-
hen, haͤtte er nicht gleich drauf alle dieſe guͤn-
ſtigen Eindruͤcke — ſelbſt vernichtet. Denn
am naͤchſten Sontage hielt der Geiſtliche, dem
die Seelſorge dieſes Zucht-und Armenhauſes
oblag, eine Predigt, in welcher er ſehr leb-
haft die groͤßre Strafwuͤrdigkeit derjenigen
ſchilderte, die in jene Welt beladen mit Ver-
brechen uͤbergiengen, welche ſie in dieſer hart-
naͤckig verſchwiegen oder wohl gar abge-
leugnet haͤtten. Muthmaslich fiel ihm hier-
bei auch nicht ein Gedanke an unſern Jnqui-
O 2
ſiten ein; ſondern er hatte unter ſeinen Zuhoͤ-
rern noch weit andre und weit mehrere, die in
Verdacht ſtanden, manches auf ihrem Herzen
undGewißen behalten zu haben. Aber das Feuer
ſeiner Rede, die Staͤrke ſeiner Beweisgruͤnde
fruchteten grade da, wo er ſich deſſen am we-
nigſten verſah. Unſer Jnquiſit, dem doch Er-
mahnungen zum guͤtlichen Geſtaͤndnis nicht ſo
ganz fremd und neu ſeyn konten, fuͤhlte ſich
von der jezzigem (er kont' es nachher ſelbſt nicht
ſagen, wie?) ergriffen; ging gleich nach dem
Gottesdienſt zum Pfarrer hin; geſtand —
man denke ſich deſſen Erſtaunen! — Anle-
gung des erſten Brandes; ja, gab ſich auch,
was allen anfangs ein Maͤhrchen ſchien, als
den alleinigen Urheber des zweiten ſchuldig.
Mit einer Anſtrengung, welche freilich
die gewoͤhnlichen menſchlichen Kraͤfte uͤber-
ſteigt, welche aber doch durch die entſchloſ-
ſenſte Rachbegier zur Moͤglichkeit geworden
war, hatte dieſer Elende das erſtemal, nach-
dem er zuvor wuͤrklich ſich niedergelegt, aber
ſorgſam gelauert hatte, bis ſeine Kame-
raden ſchliefen, ſich zum Fenſter herabgelaſ-
ſen. Zwar war die Zeit, die er frei hatte,
hoͤchſtens eine Friſt von ſechs bis ſieben Stun-
den; er ſelbſt war nur halb angezogen, die
Nacht rauh, die Entfernung aͤußerſt anſehn-
lich. Aber nichts von dieſem allen hielt ihn
auf. Schneller als ein gelernter Laͤufer war
er hin und her geeilt; hatte mit ſchon vorher
abgemeßnen, bereit gehaltnen Lunten das Feuer
ſo angelegt, daß er gewiß wuſte, erſt in eini-
gen Stunden koͤnne ſolches ausbrechen; war
gleich ſchnell und ganz unbemerkt zuruͤckge-
kehrt; hatte ſich, dem Schein nach, wecken
laſſen und dann — man kann leicht erachten,
mit welchem Herzen! — in die Kirche bege-
ben. Zu eben der Zeit, als er vor dem Beicht-
ſtuhl kniete, muſte, nach ſeiner Ausrechnung,
die auch nur alzurichtig eintraf, das Gut ſei-
ner Feindin in vollen Flammen ſtehn.
Noch verwegner war er das zweitemal zu
Werke gegangen. Durch ſein gedultiges Be-
O 3
tragen, durch ſein frommes Reden, durch wil-
lige Dienſtleiſtungen und Kleinigkeiten mancher
Art hatte er nach und nach das Zutrauen des
Aufſehers vom Zuchthauſe erworben. Daß
er zu entfliehen ſuchen ſolle, argwohnte kein
Menſch, denn man hielt ihn noch fuͤr alzu-
matt von ſeiner lezten Krankheit; nicht gerech-
net, daß es eine Thorheit geweſen waͤre, wenn
er, der nicht viel zu befuͤrchten hatte, durch
eine Entweichung ſich alles haͤtte verſchlim-
mern wollen. — Mit wenigen Worten, man
traute ihm alzuviel! Er fand Gelegenheit zu
bemerken: wo des Nachts die Hausſchluͤſſel
hingelegt wurden; wuſte ſie gluͤcklich zu ent-
wenden; ſchlos auf; war aber nichts weni-
ger willens, als zu entfliehen; ſondern ſein
einziger Zweck blieb: Wiederholung ſeiner
Rache. Diesmal hatte er nicht ſo weit, wie
das erſtemal. Nachdem er bewuͤrkt, was er
ſuchte, war er richtig zuruͤckgekehrt, und war
beim Eingange ſo unbemerkt wie beim Aus-
gange geblieben.
Sein Prozeß ging nun von neuem an; und
das Endurtheil lautete: Hinausſchleifung auf
der Kuͤhhaut und lebendige Verbrennung. Jch
geſtehe, daß ſein Verbrechen hart, und die
Umſtaͤnde dabei erſchwerend waren. Ob aber
nicht ſein eignes Geſtaͤndnis doch etwas von
dieſer Schaͤrfe haͤtte mildern ſollen? daruͤber
— mag ich nichts entſcheiden. Genug, der
Buchſtabe desGeſetzes ward beibehalten. Man
verfuhr bei der Strafe ganz ohne einige, ſelbſt
verdeckte, Milderung. Das Leiden des Un-
gluͤcklichen war einige Minuten hindurch
fuͤrchterlich.
O 4
XX.
Mordbeſteller, oder Moͤrder —
welcher von beiden der Strafbarſte?Dieſe ganzeKriminalgeſchichte iſtZug fürZug
aus authentiſchen Quellen genommen, die ein
günſtiger Zufall mir in die Hände führte.
Vielleicht dürften einige meiner Leſer ihren
Abdruck, wenigſtens hier, tadelswerth fin-
den, weil es ihr ganz an Verwicklung, und
zumal an dem, was man romantiſchen
Anſtrich nent, gebricht. Doch, denk' ich,
wird man einige Züge der menſchlichen Na-
tur, zumal in den unterſten Klaſſen, in ihr
antreffen, die der Aufmerkſamkeit nicht un-
werth ſind; und auch der Zweifel der Rich-
ter am Schlus ſchien mir derſelben das
ganz Altägliche zu benehmen.
Johann Zen**, ein junger Bauer im
Dorfe Nautonitz,Nautoniz, Jarpiz, Strzedokluk u. ſ. w. ſind
Namen von Dörfern in Rakonizer Kreiße. lebte als einziger Sohn
im Hauſe ſeines Vaters, deſſen Wirthſchaft er
einſt zu erben gedachte. Jm zwanzigſten Jah-
re heiratete er eine Baͤuerin aus Jarpiz, die
Tochter nicht ganz unbemittelter Aeltern; ein
Maͤdchen, wenige Wochen uͤber funfzehn Jahr
alt, auch von Geſtalt ziemlich artig, deren er
aber in der Ehe bald ſatt ward. Warum?
wußte er nachher ſelbſt nicht genau anzugeben.
— „Sie hab' es nie recht gut mit ihm ge-
„meint, und als er einſt krank geweſen, ihn
„nicht gehoͤrig gepflegt!“ ſo ſagte er nach ih-
rem Tode vor Gerichte. Bei ihrem Leben hat-
te er ſich ſchon bei einer Nachbarin beſchwert:
„Seine Frau tauge nicht zur Wirthſchaft.“ —
Wohl moͤglich, daß er, bei ihrer großen Ju-
gend, in beiden Punkten, zumal im Leztern,
nicht ganz Unrecht hatte! Doch galt ſie bei
allen ihren Bekanten fuͤr ein ſtilles, gefaͤlliges,
fleißiges Geſchoͤpfe. Zen**s eigne Aeltern
— wovon die Mutter uͤberdies Stiefmutter
war — gaben der Schwiegertochter auch im
Grabe noch, zu einer Zeit, wo ſie ihren Sohn
O 5
gern entſchuldigt haͤtten, ein guͤnſtiges Zeug-
nis; und ein paar einzelne Zuͤge von Gutmuͤ-
thigkeit werden im Verfolge dieſer Erzaͤlung
vorkommen. Er geſtand uͤberdies ſelbſt, bald
nach ſeiner Hochzeit, zu Strzedokluk beim Tan-
ze, eine gewiße Dirne von Tellez kennen ge-
lernt zu haben, die er gewiß geehlicht haben
wuͤrde, wenn er nur erſt ſeine jezzige Frau los-
geweſen waͤre. Vielleicht war es daher dieſe
neue Liebe, vielleicht auch blos ein natuͤrlicher
Wankelmuth, der ihn antrieb, ſchon vor Ver-
lauf des zweiten Jahrs, nichts ſehnlicher zu
wuͤnſchen, als, bald wieder Wittwer zu wer-
den; oder vielmehr ſich ſelbſt zum Wittwer
zu machen.
Seine erſten Gedanken gingen jezt — ſehr
nach gewoͤhnlicher Art roher Seelen! — auf
aberglaͤubiſche Mittel. Mit nichts ſchlaͤgt der
Poͤbel lieber todt, als mit — Simpathie,Und zwar ſehr natürlich, wie mich dünkt!
Nicht nur, weil er ſteif und feſt an den En-
flus ſolcher Alfanzereien glaubt; ſondern weil
wie er es nennt. Auch Zen** erkundigte
ſich daher geſpraͤchsweiſe bei einigen ſeiner Be-
kannten: Ob ſie nicht Jemanden (der gemei-
nen Mundart nach,) verderben koͤnnten?
erfuhr mancherlei Gaukeleien;Jch könnte viele davon anführen, denn ſie
waren im Verhöre angegeben. Aber ſie wett-
eiferten unter ſich an Thorheit, zum
Theil auch an Eckel. Nur eine kommt im
Verfolge noch vor. Kirchhof, Sarg, Blut,
menſchlicher Unflath ſogar, ſpielten bei allen
wichtige Rollen. hatte große
Luſt jede derſelben zu verſuchen; fand aber
auch bei jeder gewiße Schwierigkeiten, die bald
durch ſeine Feigheit, bald durch eine andre
er die Strafbarkeit ſeines Vorhabens zu min-
dern hoft, wenn er ſogenannte höhere Weſen
gewiſſermaßen zu ſeinen Mitſchuldigen machen
kann. Mögen es dieſe verantworten! denkt er.
Der Pöbel aller Zeiten und aller Stände iſt
eben daher auch ein ſolcher Liebhaber vonZau-
bereien. Und die Zauberer der rohſten Völker
ſind am meiſten im Beſiz Böſes zu thun.
Zufaͤlligkeit fuͤr ihn unuͤberſteiglich wurden;
und fieng ſich nun an, nach ſolchen Dinzen zu
erkundigen, deren Erfolg natuͤrlicher und ſiche-
rer waͤre. So fragte er unter andern einen
gewißen Pokorny, Bauer von Przilep: „Ob
er nicht ein Mittel wiſſe, wodurch man auf
der Stelle eine Stutte umfallend machen koͤn-
ne? Er wolle ihm zuweilen dafuͤr zwei Gul-
den, auch oft Brod und Mehl ſchenken.“ —
So verſicherte er eine Hirtensfrau: „daß er
denjenigen reichlich bezalen wolle, der ihm von
ſeiner Frau helfe.“ — Reden dieſer Art, die
nachher auch zuerſt den Argwohn des Mords
auf ihn brachten, haͤtten eigentlich gleich da-
mals ihn verdaͤchtig machen koͤnnen. Aber ſie
blieben ungeachtet; und galten, zumal die
Leztere, fuͤr Aeußerung eines raſchen Unwil-
lens, der unter der ungebildeten Klaſſe von
Menſchen nicht gar ſelten ſich finden mag. —
Kurz, Zen** hatte ſeine Frau nun ins
dritte Jahr, und konnte ihrer immer noch nicht
los werden.
Aber jezt, mit Anfang des Jahrs 1791, zog
zu ſeinen Aeltern ein Knecht, Joſeph So**r,
von Prag gebuͤrtig, auf welchen Zen** ſo-
fort ein unſeeliges Zutrauen ſezte. Es war
ein Menſch ſchon nahe am Dreißigen, der von
ſeinen vorigen Dienſten ein guͤnſtiges Zeugnis
der Treue und Thaͤtigkeit mitbrachte. Aber
eine gewiſſe trozzige Miene und der Umſtand,
daß er ſehr arm war, machten Jenem Hof-
nung: daß So** zu allem moͤglichen ſich werde
erkaufen laſſen; und gleich in der erſten Woche
ſuchte Zen** dahin einzulenken. Freilich wa-
ren ſeine erſten Fragen aͤußerſt entfernt; und
erkundigten ſich blos: Ob er nicht mit gewiſſen
Mitteln bekannt ſei? Ob er ihm nicht einen
gewiſſen Dienſt leiſten wolle, wofuͤr er es dann
lebenslang bei ihm gut haben koͤnne? und der-
gleichen mehr. Da aber So**, wie ſehr natuͤr-
lich, hierauf weder mit Ja noch Nein, ſon-
dern mit der Gegenfrage: was er denn eigent-
lich damit meine? antwortete; ſo entdeckte er
ſich ihm ganz; ſchwur, daß er ſeine Frau von
Herzensgrunde haſſe; daß er nicht eher ruhig
ſeyn koͤnne, bis ſie im Grabe liege; und bat
ihn um Rath ſowohl, als um Beiſtand. So**r
war anfangs allerdings betreten; doch die ge-
faͤhrliche Ausſicht auf Gewinn, und auf einen
Dienſt, wo er es lebenslang gut haben ſollte,
blendete ihn bald. Auch der Umſtand, daß er in
den erſten paar Monaten gewiß noch keinen
ernſtlichen Antheil nahm, entſchuldigt ihn
mit nichten; denn es war ſchon ſtrafbar ge-
nug, daß er ihn nur zu nehmen ſchien.
Jhre erſten Berathſchlagungen liefen aber-
mals auf aberglaͤubiſche Poſſen hinaus. Zen**
hatte gehoͤrt: Wenn man ein Hemde bekommen
koͤnne, das ein Leichnam ſchon im Sarge ange-
habt, ſo muͤſſe derjenige, der es unwiſſend wie-
der anlege, ſterben. Er trug daher So**rn auf,
ihm ein ſolchesHemde vomGottesacker zu Czer-
winka zu verſchaffen. Wahrſcheinlich aus heim-
licherFurcht ſpielte dieſer den Unglaͤubigen, ver-
ſicherte dieſer, daß ein ſolches Mittel durchaus
nichts helfe, und brachte andre in Vorſchlag,
die (wo moͤglich) noch ſinnloſer und eben ſo
unausfuͤhrbar waren. — Die Reihe traf
daher wiederum Gift.Schon Herr Klein in ſeinen vortreflichen
Annalen preußiſcher Geſezgebung
macht an mehrern Orten die Bemerkung:
daß grade die niedrigere Klaſſe von Men-
ſchen in Teutſchland weit mehr, als die Vor-
nehmere; wenn ſie Rache, Haß, oder Scha-
denabſicht zu befriedigen ſucht, ihre Zuflucht
zu Vergiftungen nimmt. Jn andern
Ländern thut es die vornehmere Klaſſe. So**r entſann
ſich, daß ſein voriger Dienſtherr, ein Gaſt-
wirth zu Horzin, Rattenpulver beſeſſen habe.
Zen** drang ſofort in ihn, hinzugehn und
ſolches zu holen. Der Knecht ging; doch nur
zum Schein. Sein Gewiſſen erwachte. Er gab
vor, kein ſolches Pulver mehr gefunden zu ha-
ben. Als Zen** noch ein paarmal ihn hinſchi-
cken wollte, brachte So**r, um nur Ruhe zu
haben, gepuͤlfertes Glas zuruͤck; widerrieth
aber ſelbſt, ſolches der Frau zu geben, weil es —
nichts ſchaden wuͤrde. Auch Zen** ſcheint den
Betrug gemerkt zu haben; er vergrub das
Pulver im Stall und ſezte deſto ſchaͤrfer in
So**rn, nach Prag zu gehn, und ſich bei ſei-
nem, da noch lebenden Vater zu erkundigen:
wie man Gift bekommen koͤnne?
Hier ein trauriger Beweis mehr, fuͤr wie
wenigesGeld die duͤrftige Unwiſſenheit zum La-
ſter, oder wenigſtens zur Befoͤrderung des La-
ſters ſich erkaufen laͤßt. Der Alte widerrieth
es anfangs ſeinem Sohn hoͤchlich: mit ſolchen
Dingen ſich zu befaſſen. Doch als er hoͤrte,
daß Zen** es gern reichlich bezalen wolle, er-
bot er ſich endlich doch, ein ſolches Mittel zu
verſchaffen; und gab, nachdem er ſich noch ein
paarmal dran erinnern laſſen, fuͤr einen
baaren Gulden, ein gruͤnliches Pulver
her, das er fuͤr Gift erklaͤrte, das aber, wie
man nachher erfuhr, blos in geſtoßnem Gruͤn-
ſpan beſtand. Voll Freuden brachte Zen**
wuͤrklich ſeiner Frau ſolches im Biere bei;
aber es bewuͤrkte blos ein ſtarkes Erbrechen;
ſie genaß bald wieder; auf ihren Mann warf
ſie auch nicht den geringſten Verdacht.
Dieſe Geneſung verdros den Nichtswuͤrdi-
gen aͤußerſt. Er that nun So**rn, da ſelbſt
ſolche Mittel mislangen, immer noch gewalt-
thaͤtigere Vorſchlaͤge. Er wollte mit ſeiner
Frau auf ein, ohngefaͤhr zwei Meilen entleg-
nes Dorf gehn; auf den Heimweg ſollte
So**r im Walde aufpaſſen; ſollte ihn ſelbſt
mit Stricken binden, und die Frau todtſchla-
gen. Er brachte ihm ein paar neue Stricke
dazu; er bot ihm Geld uͤber Geld; dem
Knechte ſchien dieſes doch alzugewagt. —
Zen** ließ ſich nicht irren. Er hatte bald ei-
nen andern Plan. „Er wollte mit ſeinem Va-
„ter nach Prag gehn. Des Nachts ſollte So**r
„die Mutter in der Stube verſperren, die
„Frau in der Kammer erwuͤrgen. Damit der
„Verdacht auf Raͤuber falle, koͤnnten ja auch
„die Betten weggetragen und irgend wohin
„verſteckt werden.“ — So**rn ſchien die
Rolle, die er dabei zu ſpielen habe, ſo ge-
faͤhrlich, wie die vorige. Noch mehr, ſein
Gewiſſen erwachte abermals. Er machte ſich
P
einen Behelf, und ging nach Jarpiz zu Zen**
Schwiegereltern. Er verſicherte ſpaͤterhin
vor Gerichte: „Damals feſt entſchloſſen ge-
„weſen zu ſeyn, dieſen Eltern zu entdecken,
„was Zen** gegen ſeine Frau im Schilde
„fuͤhre. Er habe eben deswegen ſie ſelbſt ſo-
„wohl, als auch das Dienſtmenſch, befragt:
„Was die Tochter von der Behandlung ihres
„Mannes ſage? und zu verſtehn gegeben:
„daß ſolche ſehr uͤbel dran ſei. Da er aber
„zu ſeiner Verwunderung gehoͤrt: daß die jun-
„ge Frau nie, auch nur die geringſte Klage
„uͤber ihren Mann gefuͤhrt; ſo habe er eben-
„falls geſchwiegen.“
Kurz vor dieſer Zeit hatte Zen** eine Ent-
deckung gemacht, die allein ſchon ein minder
verſtocktes Herz auf beßre Gedanken geleitet
haben wuͤrde. Er merkte, daß ſeine Frau
ſchwanger, und wenigſtens ſchon im ſechſten
Monat ſchwanger ſei. Aus einer ſonderba-
ren Schuͤchternheit hatte ſie nie weder ihren
Schwiegereltern, noch ihrem Manne ein Wort
davon geſagt. Daß bei dieſem Leztern auch
nur der entfernteſte Verdacht, als ob er nicht
Vater ſei, obgewaltet, davon fand ſich nir-
gends eine Spur; aber eben ſo wenig aͤnderte
dieſeEntdeckung ſeinenVorſaz, vielmehr glaubt'
er um ſo mehr die Ausfuͤhrung des Letztern be-
ſchleunigen zu muͤſſen. Er befahl dem Knechte,
ihm im Walde zwei tuͤchtige eichne Knuͤttel ab-
zuſchneiden, und irgendwo im Hauſe zu verſte-
cken. Er ſei, ſagte er, Willens, ſeine Frau naͤch-
ſtens einmal, noch vor Tages Anbruch zu ihren
Eltern zu ſenden; dann koͤnten ſie ihr nach, und
im Buſche ſie todtſchlagen. So**r, — entweder
um wenigſtens den Anſchein nach ſeinen Willen
zu thun, oder auch wuͤrklich zur That bereitwil-
liger, wenn er bei ihr einen Genoſſen habe,
— brachte die Knittel. Der Ehmann quaͤlte
von nun an in Geheim ſein Weib, daß ſie
doch einmal nach Hauſe gehn, und ihren Va-
ter um Geld, deſſen er beduͤrfe,Daß auch dies eine Unwahrheit war, ſieht
man daraus: daß er nachher allerdings baa-
res Geld hatte, — den Mörder zu lohnen. anſprechen
P 2
ſolle; und die Ungluͤckliche war gutherzig ge-
nug, drein zu willigen.
Der lezte Sonntag im November ward zu
dieſem betruͤglichen Gange angeſezt. Gleich am
fruͤheſten Morgen war Zen** im Stall, und
trieb So**rn an, dieſe ſchoͤne Gelegenheit
nicht zu verabſaͤumen. Vom Selbſtmitgehn
ſprach er freilich nichts weiter, aber deſto mehr
vom Belohnen. So**r weigerte ſich durch-
aus. — Bald darauf kam Zen** wieder.
Zwanzig Gulden, eine Muͤzze und ein Kamiſol
wurden verſprochen, auch die ſchon oft geſche-
hene Verſicherung, daß er es dann lebenslang
bei ihm gut haben ſolle, wiederholt. So**r
fing an zu wanken. Zen** kam zum dritten-
mal, brachte ſelbſt einen von den verſteckten
Knitteln herbei, drang noch ſtaͤrker in ihn,
machte ihm alles ſo leicht als moͤglich; und
So**r weigerte ſich immer minder; ſchlos end-
lich mit der elenden Ausflucht: daß er bei
jezziger kalten Witterung keine Bedeckung an
den Fuͤßen habe. Zen** brachte ihm gleich
drauf ſeine eignen Filzſchuhe; ſagte ihm, daß
ſeine Frau ſo eben fort ſei; daß er noch aufs
freundlichſte mit ihr geſprochen, und ihr bis
in Garten das Geleite gegeben habe, um ge-
wiß zu ſeyn, welchen Weg ſie gehe. Wenn
der Knecht jezt ihr nacheile, muͤſſe er grade im
Anfange des Gebuͤſches ſie treffen.
So**r that es. Ohngefaͤhr eine halbe vier-
tel Meile weit holt' er ſie ein. Die Aermſte
mochte ganz unbekuͤmmert ihren Weg fortge-
gangen ſeyn; mochte den ihr Nacheilenden eben
ſo wenig geſehn, als ihn vorher vermuthet
haben. — „Da er nun dicht bei ihr gewe-
„ſen,“ ſagte jener Elende nachher aus: „hab'
„er die Augen feſt zugedruͤckt, und ihr mit
„dem Knittel einen ſolchen Schlag auf den
„Kopf gegeben, daß ſie ſofort mit zerſchmet-
„tertem Schaͤdel ruͤckwaͤrts geſunken und nur
„noch, Maticzko Hayowſka!So viel als: Mutter Maria zu Hayek!
weil an dieſem leztern Orte ein Marienbild ausgerufen
P 3
„habe.“ — Nachher wenigſtens muß der Moͤr-
der nur alzugut mit ofnen Augen vollendet ha-
ben. Denn er wiederholte ſeine Schlaͤge wohl
noch fuͤnf bis ſechsmal, um gewiß zu ſeyn, daß
ſie nicht mehr lebe. — Da ihm Zen** auch
befohlen, ihr die Roͤcke auszuziehen, und ſie
heim zu bringen; (wahrſcheinlich, damit man
wieder auf Raͤuber rathen moͤge!) ſo that dies
So**r wuͤrklich. Aber eine Art von Schauder
ſchien ihn zu ergreifen. Er warf ſie wieder ne-
ben ihr hin; eilte heim, und verſicherte den
Boͤſewicht, der ihn geſchickt hatte; daß alles
vollbracht ſei! Beide konten ein paar Stun-
den drauf gelaſſen in die Kirche gehn. So**r
erhielt von Zen** abſchlaͤglich vier Gulden,
und die Verſicherung, das Uebrige richtig nach-
iſt, worauf der Glaube der gemeinen Menge
viel hält. Daß der Mörder die Augen bei
dem tödtlichen Schlage zuſchlos,
hat, dünkt mich, etwas karakteriſtiſches vom
Gefühl der Schändlichkeit ſeiner That, die er
lieber ſelbſt nicht mit angeſehn hätte, in ſich.
zutragen. Beiher ermahnt' er ihn immer: ja
nichts zu geſtehn, wenn er doch vielleicht in
Verdacht kaͤme, und befragt wuͤrde. Auch
duͤrfe er ſich nicht fuͤrchten, ſelbſt einen Mein-
eid zu ſchwoͤren; denn es ſei bloßer Aberglau-
be, daß man dann binnen Jahr und Tag ſter-
ben muͤſſe!“ — Eine Troͤſtung, die im Mun-
de eines ſolchen, ſelbſt aberglaͤubiſchen Boͤſe-
wichts, faſt drollig klingen wuͤrde, wenn ſie
bei einer andern, minder graͤßlichen, Gelegen-
heit gegeben worden waͤre!
Einige Stunden nachher ward der Leichnam
der Ermordeten gefunden. Zen** ſpielte, ſo gut
er nur konte, den Erſchrocknen und Betruͤbten.
Doch nicht lange entging er und So**r dem
Verdachte. Seine fruͤhern Reden bei jener
Hirtin und andern Bekannten erregten jezt erſt
Muthmaßungen. Auch hatten die Nachbarn
eine Mannsperſon fruͤh aus Zen**s Garten je-
nem Buſche, wo die That geſchehen, zulaufen
geſehn, und argwohnten auf So**r. Wie bei-
de verhaftet wurden, wie ſie alles endlich ein-
P 4
geſtehn muſten, waͤre hier zu erzaͤlen ſo unnuͤz
als weitlaͤufig. Als Zen**en vorgehalten
ward: Ob er ſich denn nicht zwiefach ein Ge-
wiſſen draus gemacht, eine Frau, die nun ſchon
im achten Monat von ihm ſchwanger geweſen,
ermorden zu laſſen? gab er ganz gelaſſen zur
Antwort: „Ueber ihre Schwangerſchaft hab'
„er ſich weggeſezt. Was er gethan, ſei aus
„Unverſtand geſchehen. So**r, um ſo viel aͤl-
„ter, haͤtt' ihm abrathen ſollen. Er ſelbſt
„wuͤrd' es nie uͤbers Herz gebracht haben, ge-
„waltſame Hand an ſie zu legen.“
Jch wiederhole: daß bei dieſer Kriminal-
geſchichte alles, was einer romantiſchen Ver-
wicklung auch nur von weiten aͤhnelt, wegfaͤllt,
und daß ich ſie doch nicht fuͤr ganz unmerk-
wuͤrdig halte. — Merkwuͤrdig ſcheint mir
der ſchon beruͤhrte Stufengang moͤrdriſcher
Entwuͤrfe: — merkwuͤrdig das Gemiſch von
Feigheit und von Grauſamkeit im Gemuͤth bes
Mordſuͤchtigen, der von Entwurf zu Entwurf
fortſchritt, keine Vereitelung ſich ermuͤden, keine
Vaterpflicht ſich hindern ließ, der ſelbſt ganz
ohne Bedenken muthmasliches Gift ſeinem
Weibe reichte; kurz, der zu allem bereit war, —
nur nicht Hand an ſie zu legen; — merkwuͤr-
dig bei ſonſt ſo plumper Bosheit die ziemlich
durchdachte Verſtellung, mit welcher er die
ſchaͤndlichſten Plaͤne ſeinen Aeltern, Schwie-
geraͤltern und der, unſchuldig gehaßten Per-
ſon ſelbſt verhehlen konnte; am allermerk-
wuͤrdigſten endlich die Verlegenheit, in welche
dieſe That, als ſie abgeurtheilt werden ſollte,
ihre Richter verſezte.
Das Joſephiniſche peinliche Geſezbuch hat
bekantermaßen ſelbſt auf Mordthaten die To-
desſtrafe abgeſchaft, und ſtatt ihrer ein langwie-
riges hartes Gefaͤngnis und jaͤhrlich am Tage
des Mordes eine nach Maas des Verbrechens
und ſeiner erſchwerenden Umſtaͤnde zu ertheilen-
de Zahl von Stockſtreichen feſtgeſezt. Die
Stimme der Kriminal-Richter erkannte daher
anfangs: „daß beide Verbrecher mit lang-
„wierigen harten Gefaͤngnis im zweiten Grad
P 5
„von funfzig Jahren und jaͤhrlich am Tage
„des Mords mit fuͤnf und zwanzig Streichen
„zu belegen waͤren;“ als ploͤzlich einer von
ihnen die Frage aufwarf: ob denn wuͤrklich
beide Verbrecher ganz gleich ſchuldig, und alſo
auch ganz gleich zu zuͤchtigen waͤren? Die Mei-
nungen theilten ſich jezt. — „So**r,“ ſagten
einige, „iſt der Schuldigere. Er iſt der eigent-
„liche Moͤrder. Ohne ihn waͤre die That wahr-
„ſcheinlich nie geſchehn. Der feige Zen** haͤt-
„te ſein Weib gehaßt, ſich vielleicht von ihr
„getrennt; und nichts weiter. Er ſagt ſelbſt,
„daß er nie Hand an ſie gelegt haben wuͤrde.
„So**r, durch Geld erkauft, mordete hinge-
„gen; und iſt am ſtrafbarſten.“ —
„Mit nichten! entgegneten andere: Zen** iſt
„es! Er iſt zwar nur Mordbeſteller. Aber ohne
„ihn waͤre So**rn die ganze That nicht einge-
„fallen. Ohne ſeine vielfaͤltigen Anreizungen,
„ohne ſeine Erkaufung und Zudringlichkeit,
„waͤre jener der rechtſchafne Kerl geblieben, der
„er war, bis dieſer verfuͤhreriſche Boͤſewicht
„ihn kennen lernte. Er widerſtand lange; er
„ward ſelbſt das leztemal gewiſſermaßen dazu
„hingeſtoßen. Jener Schaͤndliche hingegen
„trug ſich nun ſchon Jahre lang damit. War
„es denn ſeine Schuld, daß jenes gruͤne Pulver
„nicht als toͤdtliches Gift wuͤrkte? Wollte er
„nicht ſchon toͤdten, ehe er So**rn noch kennen
„lernte? Und iſt es dann nicht einerlei, mit
„welchem Jnſtrument er vorſezlich toͤdtete?“
„Alles richtig!“ ſprachen die Erſtern.
„Aber menſchliche Geſezze beſtrafen doch im-
„mer ſtaͤrker die That, als die Abſicht.
„Zen** iſt ein Nichtswuͤrdiger, das unterliegt
„keinem Zweifel. Aber die peinliche Lage, mit
„einer Frau, die man nicht mehr liebt, verbun-
„den, durchs ganze Leben verbunden zu ſeyn,
„kann allerdings viel zu ſchwarzen und ſelbſt
„blutigen Entwuͤrfen beitragen. Hier war al-
„ſo warmes Blut; So**r hingegen mordete
„mit kaltem; mordete blos fuͤr elendes
„Geld; mordete, nachdem er mehrmals ſchon
„erkannt hatte, daß er Unrecht thun wuͤrde;
„mordete endlich eine fremde Perſon, deren
„laͤngeres Leben ihn keinesweges in ſeinem
„eingebildeten Gluͤck gehindert haben
„koͤnnte!“
„Aber iſt denn nicht grade der Umſtand, daß
„Zen** den Mord ſolcher Perſonen beſtellte,
„die ihm nicht fremd, ſondern nur alzunah
„verwandt waren, der erſchwerendſte un-
„ter allen? Lagen ihm nicht gegen die junge
„Frau und gegen das noch ungeborne Kind,
„als Gatte und als Vater, doppelt heilige
„Pflichten ob? Wer ſollte mehr fuͤr das Leben
„derjenigen ſorgen, die er ermorden ließ, als
„er ſelbſt? Und iſt nicht Blutverwandſchaft,
„zumal ſo nahe, eine von denjenigen die
„Strafe verſtaͤrkenden Urſachen, die ſelbſt im
„GeſezJm 52ten § deſſelben. angegeben werden.?“
Dieſer leztere Grund entſchied! Durch die
Stimmenmehrheit ward Zen**en jaͤhrlich die
Zahl von fuͤnf und zwanzig Stockſtreichen,
So**rn von funfzehn, außer ihrer ſchon er-
waͤhnten Gefaͤngnisſtrafe, zuerkannt.
Ganz ohne mich in die Frage zu vertiefen:
Ob eine Strafe, auf die Dauer von funfzig
Jahren in hartem Kerker erſtreckt, und noch
alljaͤhrlich mit einer empfindlichen koͤrperlichen
Zuͤchtigung verbunden, gerecht oder nur ge-
ſezlich ſei? bin ich allerdings auch der Mei-
nung: daß Zen** weit ſchuldiger als der ei-
gentliche Moͤrder, und auch nach menſchli-
chen Geſezzen ſchaͤrfer zu beſtrafen war. Da
ich aber ſchon einigemal in Geſpraͤchen fand,
daß Maͤnner, deren juriſtiſche Kentniſſe ich un-
endlich weit den meinigen vorziehe, und de-
nen ich auch ſonſt das Zeugnis der Billigkeit
und des Scharfſinns mit willigſter Seele er-
theile, der entgegengeſezten Meinung waren,
ſo glaubte ich um ſo eher dieſen Fall, als ei-
nen ſtreitigen erzaͤlen zu koͤnnen, und auch
etwas umſtaͤndlich in den vorlaͤufigen Umſtaͤn-
den ſeyn zu muͤſſen.
XXI.
Seltſamer Selbſtverrath.
Ein Herumſtreicher, den man zu Presburg in
Ungarn auf einem kleinen Diebſtahl ertappt,
und mehrerer wichtigen bezuͤchtigt, doch dieſer
leztern nicht ganz uͤberwieſen hatte, muſte ſichs
gefallen laſſen, als Zuͤchtling ein Jahr allda
Gaſſen zu kehren. Es kam ihm verzweifelt
ſauer an, denn man ſpuͤrte bei jeder Gelegen-
heit, daß er ſonſt an eine bequemere Lebens-
art gewohnt geweſen ſei. Doch die Gewalt un-
terſtuͤzte diesmal das Recht. Sein Strafjahr
war endlich bis auf einen einzigen Tag, dieſer
Tag ſogar bis auf ein paar Stunden voruͤber;
und unſer Zuͤchtling kehrte bereits gegen
Abend, mit der uͤbrigen geſchloßnen Ge-
ſellſchaft, zum leztenmal, wie er glaubte, dem
Ort ſeiner Aufbehaltung zu; glaubte ganz ge-
wiß den andern Morgen bereits, hoͤchſtens noch
mit einer kleinen, fuͤhlbaren Ermahnung, ent-
laſſen zu werden, als ein ſehr zufaͤlliger Um-
ſtand alles aͤnderte.
Es begegnete ihm, kaum zwanzig Schritt
vom Arbeitshauſe, auf der Straße ein junger
Mann in geſticktem Frack, ſeidnen Struͤmpfen,
mit zwei Brillantringen an Fingern, eben ſoviel
Uhren in der Taſche, hinter ſich einen Lohnbe-
dienten, kurz, ganz wie ein Mann von erſtem
Stande ſich traͤgt. Von den Zuͤchtlingen ange-
bettelt, warf er einen fluͤchtigen, halblaͤcheln-
den, halbveraͤchtlichen Blick auf dieKaravane;
faßte grade unſern Helden am ſtaͤrkſten ins
Auge, und ward auch von Ebendemſelben am
ſteifſten wieder angeblickt; denn dieſer erkante
in ihm einen — ſeiner ehmaligen Spiesgeſellen,
mit dem er drei oder vier Jahr lang unter ei-
ner Bande ſich befunden hatte. — „Sonder-
„bar!“ rief er, gekraͤnkt durch dieſen ge-
waltigen Abſtand, und vielmehr noch durch
jenes ſcheinbare Lachen: „Sonderbar, wie
„es in der Welt zugeht! Jch war ein Jahr
„lang einer elenden Kleinigkeit wegen Zuͤcht-
„ling; und dieſer Burſche, der ſonſt mein
„Kamerade war, geht hier frank und frei,
„ſo gepuzt und ſtolz wie ein Edelmann
„daher!“
Der Soldat, der die Wache bei den Gaſſen-
kehrern hatte, hoͤrte dies. „Wie,“ fragt' er,
„jener Herr dort waͤre dein Kamerad gewe-
„ſen?“ — „Nicht nur das;“ fuhr der Er-
zuͤrnte in ſeinem Eifer fort: „ſondern er war
„auch bei jeder Gelegenheit zehnmal ſchlimmer
„als ich!“ — „Nun ſo kan dem noch Rath und
„dieſer auch beſtraft werden! Kom! kom mit
„zum Polizeiamt! Wir wollen das gleich an-
„zeigen.“ — Auf einen Augenblick ſtuzte jezt
der Zuͤchtling, und hatte Luſt wieder umzukeh-
ren. Aber der Soldat ließ nicht ab. Sie gin-
gen. Jene Anſage ward regiſtrirt, und eine
halbe Stunde drauf war der Abentheurer
ſchon verhaftet.
Er ſtuzte nicht wenig, als dieſe Ehre ihm
wiederfuhr. Er ſtuzte noch weit mehr, als
jener Angeber ihm vorgeſtelt und er befragt
ward: Ob er hier nicht ſeinen Spießgeſellen
kenne? Er wolte zwar anfangs den Bitter-
boͤſen machen; wolte von ſeinem Stande, ſei-
ner Herkunft, ſeinen Guͤtern — die wohlver-
ſtanden ſaͤmmtlich in der Fremde lagen! — ein
Langes und Breites herpralen; doch die oͤftre
Verwandlung der Farbe, das Stottern der
Stimme, das Zittern ſeiner Knie, und tauſend
kleine Umſtaͤnde noch, die eine innere Verwir-
rung anzeigten, ſprachen gegen ſeine Worte;
und es gelang dem Richtrr, vor welchem er
ſtand, gar bald ihn in Widerſpruͤche zu ver-
wickeln. — Kaum merkte er dies ſelbſt, als
er auf einmal haſtig abbrach und ausrief:
„Nun ja, ich will es euch allen nicht ſchwer
„machen! Jch bin ein Landlaͤufer, Buſch-
„klepper und ein Kamerade von Jenem gewe-
„ſen. Aber weil der Schurke mich ſo ganz
„von freien Stuͤcken, ſo ganz ohne ſelbſt zu
Q
„wiſſen, warum, angiebt, ſo ſoll auch Er we-
„nigſtens nicht heraus, ſondern noch tiefer
„ins Garn hineinkommen; und mein erſtes
„Geſtaͤndnis ſey: daß wir vor zwei Jahren
„zuſammen im W* Walde einen Mord an
„zwei Reiſenden begingen!“
Die Verwunderung aller Anweſenden, das
Erſchrecken jenes unvorſichtigen Angebers kan
man kaum groß genug ſich vorſtellen. Schon
mochte er zwar heimlich, mehr als einmal
ſchon, ſeinen raſchen Ausruf und ſeine gan-
ze Klage bereut haben; mochte vorausſehn,
daß dieſer Handel ſeine Haft verlaͤngern
werde. Doch einer ſolchen Rache war
er ſich kaum vermuthend. Noch blei-
cher, noch bebender als vorher ſein Raubge-
noſſe, verſuchte er auch nun, noch fruchtloſer,
Entſchuldigung und Leugnen. Wenige Mi-
nuten waren hinreichend, ihn des Mordes,
des Straßenraubs und noch mancher andern
That eingeſtaͤndig zu machen. Sein Weg ging
nun nataͤrlicher Weiſe nicht mehr ins Zucht-
haus zuruͤck, ſondern in enge Haft; einige
Wochen drauf, in Geſellſchaft desjenigen, den
er angeklagt, aufs Schafot. — Unter den
vielen tauſend Zuſchauern, die dieſen ſauern
Weg ihn antreten ſahen, und dabey die ſon-
derbare Fuͤgung bewunderten, wodurch er ſich
ſelbſt verrathen muͤſſen, war auch der Freund,
deſſen muͤndlicher Erzaͤlung ich dieſe Anekdote
verdanke.
Q 2
XXII.
Die Strumpfbaͤnder.
Bald nach dem ſiebenjaͤhrigen Kriege, (be-
ſtimter wußte mein ſonſt glaubwuͤrdigerWaͤhr-
mann die Zeit mir nicht anzugeben,) kam ein
junger Mann aus Schwediſch - Pommern
nach Wien, um ſich dort erſt ein Weilchen
aufzuhalten, und dann nach Jtalien zu rei-
ſen. Er trat die erſten drei oder vier Tage
im ſogenannten Maſchacker Hof ab; miethete
ſich aber nachher, wie es Fremde in Wien ge-
woͤhnlich machen, ein Zimmer in einem Pri-
vathauſe; blieb alda einen knappen Monat;
verwandte den groͤßten Theil des Tags auf
Beſichtigung oͤffentlicher Merkwuͤrdigkeiten
und der reizenden Gegend umher; brachte ei-
nige Stunden des Abends im Schauſpiele zu;
ſuchte aber uͤbrigens, entweder aus Mangel an
Empfehlungsbriefen, oder aus eigner Schuͤch-
ternheit, keinen Eintritt in Familien; ſo leicht
ſich ſolche in dem gaſtfreien Wien Fremden oͤf-
nen! Als er endlich wieder wegreiſen wolte,
hatte er den ungluͤcklichen Einfall in einem
Zeitungsblatt anzeigen zu laſſen: „Ein ein-
zelner Mann ſuche einen Reiſegefaͤhrten nach
Trieſt oder „Venedig!“ war recht froh, als
ſich zwei Tage drauf ein andrer Fremder, dem
Vorgeben nach ein Schleſier, zur Geſelſchaft
ihm antrug; und machte ſich des andern Mit-
tags — fruͤher hatte der Schleſier nicht aufbre-
chen wollen! — in einer leichten Poſtchaiſe auf
den Weg.
Auf welchem er leider nicht weit kam! Die-
ſer angebliche Reiſegefaͤhrte war nichts mehr
und nichts minder, als ein Taugenichts, der
in Geſelſchaft mit mehrern, die ihm glichen,
bald den falſchen Spieler, bald den Beutel-
ſchneider gemacht, von unſerm Fremden, den
Q 3
er auf einem Kaffeehauſe geſehn, einige Nach-
richt eingezogen, und ſo wie er erfuhr, daß er
allein wegreiſen wolle, den Plan gefaßt hatte,
ihn zu begleiten, zu berauben und zu ermor-
den. Mit noch einem Gauner daruͤber ein-
verſtanden, wurden alle Anſtalten ſchon ge-
macht; ward eine ſo ſpaͤte Tagſtunde zur Ab-
fahrt beliebt; und der arme Fremde in ein
Nez verſtrickt, wovon ihm nichts traͤumte.
Auf der vierten Station, als es ſchon Nacht
geworden; als ſie troz der Dunkelheit fortfuh-
ren, und der Schwede ganz ſorglos ſchlief,
durchſtach ihm jener nachbarlicheBoͤſewicht mit
einem Stilet, ſo raſch und ſo richtig treffend,
die linke Bruſt, daß er mit einem einzigen
Schrei auffuhr, wieder zuſammenſank und
ſtarb. Der Poſtillon, der bei dieſem Getoͤſe
ſich umſah, ward eben ſo ſchnell mit einer Pi-
ſtolenkugel vor dem Kopf geſchoſſen, und
ſtuͤrzte. Ganz gemaͤchlich pluͤnderte dann der
Moͤrder die Habſeligkeiten des Fremden;
packte alles in zwei Mantelſaͤcke, die er deshalb
mitgenommen, ſpante das Sattelpferd aus,
und ritt an einem beſtimten Ort zuruͤck, wo be-
reits ſein Gefaͤhrte in einem Gebuͤſche mit einer
Halbchaiſe ſeiner wartete; ließ dann das Poſt-
pferd auf gutes Gluͤck in die weite Welt gehen,
und ſteuerte ganz keck und unbekuͤmmert wie-
der nach Wien zu; wo kurz vorm Thore ſein
Spiesgeſelle ſich von ihm trente; er aber un-
term Schein eines Reiſenden ankam.
Am andern Morgen fand man jene zwei
Leichname, und da man von dem Fremden
durchaus nichts weiter wußte, als daß er von
Wien herkomme, ſo ſchafte man ſeinen Koͤr-
per wieder dorthin, in der Hofnung alda meh-
rere Nachrichten einzuziehen. Da aber auch
hier von Polizei und Gerichten Niemand ihn
kante; da es von einer Perſon, der alle Schrif-
ten, alle Kleidung weggenommen worden,
unmoͤglich war, gleich in erſter Stunde zu
wiſſen, wer und woher ſie ſei; ſo ſtellte man
den Leichnam aus, und hing ein Zettel da-
bei, der jeden aufforderte: den Namen dieſes
Q 4
Ungluͤcklichen, wenn er ihn wiſſe, anzugeben.
Ein Mittel, das ſonſt wuͤrkſam genug, doch
diesmal vielleicht vergeblich geweſen waͤre,
haͤtte nicht ein ſonderbares Schickſal gerechter
Rache obgewaltet.
Jn jenen erſten paar Tagen, die der Ermor-
dete, ſchon gedachtermaaßen, im Maſchacker
Hofe zugebracht, war einſt fruͤhmorgens, als
er eben aufgeſtanden, eine Haͤndlerin, die mit
Kleidungsſtuͤcken und Galanterien hauſiren
ging, zu ihm gekommen, und er hatte einige
Kleinigkeiten, unter andern auch ein paar ge-
ſtickte Strumpfbaͤnder ihr abgekauft. Seit-
dem hatte dieſes Weib ihn nicht mehr mit Au-
gen geſehn; als ſie aber jezt bei dem Orte, wo
ſein Leichnam ausgeſtellt ward, vorbeiging,
und eine Menge Menſchen hinlaufen ſah, zog
auch ſie die Neugier mit fort, und auf den
erſten Augenblick erkante ſie ihn; bedauerte
herzlich den guten Herrn, der damals nur aͤuſ-
ſerſt wenig ihr abgehandelt habe; ging aber
ſtillſchweigend weiter,weil ſie doch weder ſeinen
Namen, noch ſein nachmaliges Logis kante,
und weil ſie hofte: ſo gut und beſſer als ſie
wuͤrden wohl tauſend andre ihn kennen.
So in Gedanken uͤber dieſen, ihr allerdings
unerwarteten Anblick ging ſie immer ihren
Weg fort, und ihrer Handthierung nach; kam
aber, ohne recht zu wiſſen, wohin ſie gehe, —
was ſich jedoch aus dem Zuſammenhange der
Jdeen leicht erklaͤren laͤßt — grade wieder im
Maſchacker Hof; ging grade vor das naͤmli-
che Zimmer; pochte an, hoͤrte rufen: herein!
oͤfnete die Thuͤre; ſah eine Mannsperſon noch
im Bette liegen; ward aber von derſelben (die
ſich vielleicht eines juͤngern Beſuchs verſah,)
ſehr rauh, mit den Worten: er brauche von
einer ſolchen alten Hexe nichts, angefahren.
Jndem ſie daher, eben nicht ſehr zufrieden,
wieder gehn wolte, warf ſie von ohngefaͤhr
einen Blick um ſich herum; und erblickte auf
dem Stuhle neben dem Bette — eben dieje-
nigen Strumpfbaͤnder, die ſie vor einigen
Wochen dem Ermordeten, von deſſen Leichnam
ſie herkam, verkauft hatte. Bei dieſem An-
blick ſtuzte ſie. Unterm Vorwand, troz jenes
Empfangs, ihre Waare noch einmal zu em-
pfehlen, trat ſie ein paar Schritt naͤher; ſah
genauer auf dieſen Stuhl, und ward immer
uͤberzeugter: es waren eben dieſelben! Der
Mann befohl ihr abermals ſich zu packen;
Sie that es.
Jm Heruntergehn erkundigte ſie ſich bei ei-
nem Kellner: Wer der Herr ſei, der Numer
fuͤnfe wohne? — „Ein Fremder, der geſtern
aus Steiermark angekommen!“ — Mit viel
Gepaͤck? — „Nein, ohne Bedienten; mit
ein paar Mantelſaͤcken.“ — Dies gab keinen
Aufſchlus, weder fuͤr noch darwider. Aber
ein gewißer inrer Trieb ward immer ſtaͤrker in
ihr. — Sie ging grade zur Polizei und zeig-
te an: „Jener ausgeſtelte Erſchlagne habe
„vor einigen Wochen in dem oftbenannten Gaſt-
„hofe gewohnt, und ein paar Strumpfbaͤn-
„der ihr abgekauft. Jezt liege in eben dem
„Zimmer, eben dem Bette, ein Menſch mit
„hoͤchſt verdaͤchtigem Geſichte, und neben ihm
„eben dieſelben Strumpfbaͤnder, die ihre eigne
„Tochter geſtickt, und ſie jenem verkauft habe.
„Wenn man den Menſchen frage: wie er zu
„dieſem Kleidungsſtuͤcke gekommen ſei,ſo wuͤr-
„de ſich vielleicht mehr ergeben.“ — Man trug
anfangs Bedenken, auf die ganze Anzeige zu
achten. Strumpfbaͤnder ſehn ſich gleich. Daß
der Moͤrder grade nach Wien kommen, grade
auf demſelben Flecke ſich einfinden ſolle, wo
ſie vorher den Ermordeten angetroffen, ſchien
ſo romanenhaft, daß man es eben deshalb fuͤr
gaͤnzlich unwahrſcheinlich hielt. Dennoch, da
ſie immer drauf beſtand: die Strumpfbaͤnder
waͤren es! ſo entſchlos man ſich endlich einen
Verſuch zu machen; den Fremden zu verhaften,
und ihn genau zu befragen: Wer er ſei?
Woher er komme? und ſo weiter. Es ge-
ſchah. Gleich bei der Verhaftung entſezte er
ſich gewaltig; als bei dieſer Gelegenheit auch
ſeine Kleider durchſucht wurden, fand man
blutige Waͤſche, ein Stilet, mehrere Taſchen-
puffer, und einen Rock, den man im Gaſthof
an jenen Fremden, — auf welchen man ſich
nun bei der Hauſirerin Angabe beſann, — ge-
ſehen haben wolte. Auch die Strumpfbaͤnder
— Kurz! was bedarf es noch vieler Worte
und Umſtaͤnde? Gleich beim erſten Verhoͤr
wurde dem Verhafteten ſo mancher Beweis
oder vielmehr ſo mannichfacher Grund zum
Verdachte vorgelegt, daß er bald alles ge-
ſtand; und wenige Wochen drauf die Strafe
litt, die er reichlich verdient hatte.
XXIII.
Moͤrder ſeiner Verlobten und Raͤu-
ber! dann eine Zeitlang redlicher
Mann; ſeltſam entdeckt, noch
ſeltſamer ſich ſelbſt angebend.
Heinrich R- der einzige Sohn eines ange-
ſehnen N**giſchen Kaufmanns, und ſelbſt
zur Kaufmanſchaft erzogen, glaubte lange
was mit ihm ganz N—g glaubte: daß
ſein Vater ein wohlhabender Mann ſei, der
ihm einſt nicht nur eine gutbeſtelte Seiden-
handlung, ſondern auch noch ein betraͤchtliches
Vermoͤgen hinterlaſſen werde. Als er daher
im vier und zwanzigſten Jahre dieſen Vater
verlohr, trat er mit ziemlich frohen Muthe
ſeine Erbſchaft an; ſah ſich aber in ihr —
gewaltig betrogen. Statt baaren Geldes fand
er Schulden. Jn den Handlungsbuͤchern
ſelbſt herrſchte eine kaum begreifliche Unord-
nung. Schon ſeit einigen Jahren war das
Soll beſtaͤndig gewachſen, das Haben un-
aufhoͤrlich geſunken. Durch verſchiedne dreiſte
Verſuche hatte der alte R. wahrſcheinlich ſich
helfen wollen, und immer tiefer ſich verſtrickt.
Blos der Kredit ſeines Namens hatte das
Ganze noch zuſammen gehalten.
Eine ſolche Entdeckung war fuͤr den juͤngern
R. gleich uͤberraſchend, als traurig. Jezt
eben, da er ſeine Freiheit erſt zu genießen hofte,
ſolt' er eines Wohlſtandes entſagen, an wel-
chem er von Jugend auf ſich gewoͤhnt hatte?
— Zwar war er klug genug, ſeine misliche
Lage noch jedermann zu verſchweigen; doch
daß ſie lange verſchwiegen bleiben werde, ließ
kaum ſich hoffen. Nur ein paar Glaͤubiger
durften mit gerechtem Mistrauen ſich melden,
und die Handlung ſtuͤrzte uͤbern Haufen.
Selbſt wenn alles dann aufs beſte einge-
leitet, aufs ſchnellſte und gluͤcklichſte ver-
kauft wurde, blieb dem neuen Beſizzer aͤußerſt
wenig, — ſobald es irgendwo ſchief ging,
Gerichte und Advokaten nur nach herge-
brachter Weiſe verfuhren, gar nichts
uͤbrig. Wohl hundert Plaͤne ſich zu retten
entwarf R. im Stillen und verwarf ſie wie-
der; endlich ſchien ihm Aufhelfung durch
eine reiche Heirath noch der einzig
taugliche Weg zu ſeyn.
Wohl ein gefaͤhrlicher Weg, der unter zehn
Faͤllen neunmal irre fuͤhrt! Jndeß, da R.
wuͤrklich ein artiger, wohlgemachter, junger
Mann war, ſeinen Namen nie mit dem klein-
ſten Fleckgen beſchmizt, wohl aber den Ruf
ſich erworben hatte, ſein Geſchaͤfte volkommen
zu verſtehn, ſo haͤtt' er doch vielleicht auch hier
ſein wahres Gluͤck durchſezzen koͤnnen; nur
mußt' er dann dieſen Weg mit Vorſicht betre-
ten, mit kalter, kluͤglicher Wahl verfolgen.
Doch leider glaubte er auf ihm auch eilen
zu muͤſſen. Jhn draͤngte die Angſt vor ſeinen
Glaͤubigern. Unter dem juͤngern weiblichen
Geſchlecht ſah er keine Beguͤterte, wo der Zu-
tritt ſofort ihm offen ſtand. Jn halber Ver-
zweiflung beſchlos er, auch mit dem Alter
es nicht genau zu nehmen. Eine unſeelige
Gelegenheit bot ſich ihm hier von ſelbſt an.
Jm Hauſe ſeines Vaters war ſchon laͤngſt
eine reiche Poſamentirers Witwe viel aus-und
eingegangen. Jhr Mann, der ſein Gewerbe
fabrikmaͤßig im Großen getrieben, hatte ein
anſehnliches Vermoͤgen ihr hinterlaſſen, und
ſie daſſelbe ſeit funfzehn Jahren unablaͤßig
vermehrt. Das Stadtgeruͤchte gab ihr acht-
zig tauſend Gulden. Zur reichlichern Haͤlfte
bekante ſie ſich mit einer Miene, die — mehr
ſagte. Eine Wucherin durfte man zwar nicht ſie
ſchelten; aber ſparſam, oder vielmehr geizig
war ſie allerdings; ſonſt ein gutes ehrliches
Weib, die jedoch ihren Jahren nach reichlich
fuͤr Heinrichs Mutter, ihrem Anſehn nach faſt
fuͤr ſeine Grosmutter gelten konte! Wohl
zwanzig Heirathen hatte ſie in ihrem Witwen-
ſtande ausgeſchlagen; gleichwohl muſten die
Jahre
Jahre noch nicht jede Empfindung des Ge-
ſchlechts und der Liebe in ihrem Herzen erſtickt
haben. Der Juͤngling, gleichſam unter ihren
Augen herangewachſen, und zum Manne aus-
gebildet, hatte laͤngſt in ihr einen Wunſch
erregt, der fuͤr ihr Alter ungezweifelt eine
Thorheit war; den ſie aber doch, als ſie auch
nach dem Tode des aͤltern R. ihre Beſuche
fortſezte, und die haͤusliche Verlegenheit des
Sohnes zu muthmaßen begann, in Hofnung
und zulezt in Abſicht uͤbergehen ließ. Schon
ein paarmal hatte ſie ſich ihm zu helfen erbo-
ten, wenn ſie ſicher wuͤßte, daß er — dank-
bar ſei. Er verſtand ſie bald; ſchauderte im
Geheim ein wenig, und — entſchlos ſich. Als
ſie einſt ihm wieder rieth, ſich bey ſeinen vielen
Geſchaͤften nach einer ehlichen Gehuͤlfin um-
zuthun; als ſie mit bedeutendem Tone hinzu-
fuͤgte: daß ſie aber an ſeiner Stelle mehr auf
eine vermoͤgliche vernuͤnftige Hausfrau, als
auf alzujunge, unerfahrne Dirnen ſehen wuͤr-
de, brachte er ſeine Worte bei ihr an. Sie
R
ſpielte ein paar Augenblicke die Erſtaunte;
antwortete aber bald mit einem tiefen Seuf-
zer: Es ſcheine ihr auch, als ob dieſe zweite
Ehe im Himmel ſelbſt ihr beſtimt worden ſei!
Ein Kuß, ſehr zaͤrtlich auf ihrer, ſehr beſchei-
den auf ſeiner Seite, beſiegelte den Bund.
Des andern Tags feierten ſie Verlobung. Die
Hochzeit ſelbſt konte, weil es grade Faſtenzeit
war, erſt nach ſechs oder ſieben Wochen an-
beraumt werden.
Der gute Himmel! Welche ungeheure Men-
ge freiwilliger Thorheiten moͤchten die Men-
ſchen gern, als ſeinen Rathſchluß betrachten!
— Ganz N* g, als dieſe Verlobung kund
ward, wunderte ſich laut und einſtimmig druͤ-
ber. Selbſt diejenigen, welche den wahren
Grund derſelben muthmaßten, misbilligten
doch dieſen Schritt, und R. ſpuͤrte dieſen Tadel
gar bald. So oft er an oͤffentlichen Orten
mit ſeiner Verlobten am Arm erſchien, ſah
er aller Blicke laͤchelnd auf ſich gerichtet. Der
ſpoͤttiſche Gluͤckwunſch ſeiner Bekanten ſchnitt
ihn durchs Herz. Die kalte, ſchier veraͤchtliche
Miene mancher, ſonſt gegen ihn freundlichen
Maͤdchen that ihm weh; faſt weher noch das
mistrauiſche Achſelzucken einiger Biedermaͤn-
ner, denen er ſeinen Vorſaz eroͤfnete. Je naͤher
er dem Zeitpunkt ruͤckte, wo er im voͤlligen
Beſiz ſeiner ehrwuͤrdigen Matrone treten ſol-
te, je baͤnglicher ward ihm bei dieſer, ſich ſelbſt
auferlegten Kaſteiung. Jn den Liebkoſungen,
die ſie jezt von ihm erwartete und nicht ſel-
ten begehrte, lag ſchon ſo viel peinliches
fuͤr ihn. Welche Freude konnt' er ſich erſt vom
Ehſtand ſelbſt verſprechen! Doch haͤtte er ſich
noch vielleicht gezwungen, aber anch ein an-
drer Querſtrich in ſeinen Plaͤnen vermehrte
den Mismuth gewaltig.
Bei Heirathen, die der Eigenuz ſchließt,
iſt Eheſtiftung immer eine ſehr wichtige Sache,
oder vielmehr die wichtigſte von allen. Auch
R. hatte ſie bald in Vorſchlag gebracht; haͤt-
te lieber am Verlobungstage ſchon ſie aufge-
ſezt geſehn. Doch unter mancherlei Vorwand
R 2
wußte ſeine ſchoͤne Braut dieſes Geſchaͤfte noch
um ein paar Wochen zu verſpaͤten, und betrug
ſich, als ſie nicht laͤnger ausbeugen konte,
nur ſehr freygebig nach ihrem, keineswegs
nach ſeinem Sinne. Denn alle Schulden
ſeiner Handlung uͤbernahm ſie zwar; bedingte
ſich aber auch dafuͤr ein unterpfaͤndliches Recht
auf dieſelbe. Jhr ganzes Vermoͤgen verſchrieb
ſie ihm zwar; doch — erſt nach ihrem Tode, und
auch dann nur unter der Einſchraͤnkung; wenn
er ſich indeß ſtets als ein liebevol-
ler Gatte betragen habe. Genuß und
Anwendung der Einkuͤnfte auf Lebenszeit, Wi-
derruf des Geſchenks, wofern ſie Stof zur
Klage finde, bedung ſie ſich ausdruͤcklich.
Dies waren die Vortheile nicht, die R. da-
mals erwartete, als ſie ihm zu helfen ver-
ſprach! Schenkung einer Haͤlfte ihres Ver-
moͤgens ſogleich, unbedingte Hinterlaſſung
der andern Halbſcheid nach ihrem Tode —
dies hatt' er noch fuͤr einen wohlfeilen Kauf
ſeiner Hand, ſeines Namens, und ſeiner ſchein-
baren Zuneigung gehalten. Sich zwanzig
oder dreißig Jahre mit einer alten Frau zu
quaͤlen, ſelbſt dabei zu veralten, den Sklaven
ihres Eigenſins und ihrer Eiferſucht abzu-
geben, aus ihren geizigen duͤrren Haͤnden jeden
Groſchen erheucheln, erbetteln oder erpreſſen
zu muͤſſen, und doch wohl am Ende noch —
leer auszugehn? dies ſchien ihm kein Handel
zu ſeyn, der einem klugen Kaufmanne zieme!
Wahrſcheinlich zwar, daß er manches hierbei
ſchwaͤrzer ſah, als er ſolte! daß ſie nicht ſo-
wohl ihn zu unterjochen und zu beruͤcken, als
vielmehr durch eine, ihr weislich duͤnkende, Vor-
ſicht naͤher an ſich zu knuͤpfen ſuchte! Noch
wahrſcheinlicher, daß es blos auf ſeine Klug-
heit und Entſchloſſenheit ankam, noch jezt ſich
beßre Bedingungen zu erwerben! Ein Wort,
zur rechten Zeit geſprochen, — eine Liebko-
ſung, ſchlau verſchwendet, — auch wohl eine
beſcheidne, doch ernſtliche Drohung haͤtten ge-
wiß viel vermocht. Was thut eine alternde
verliebte Frau nicht, um nur den Mann zu
R 3
behalten, an welchem ihr Herz haͤngt! —
Doch grade zu Maasregeln dieſer Art (nicht
ruͤhmlich an ſich ſelbſt, doch verzeihlich nach
R's erſtem Schritte, und loͤblich ſogar gegen
ſeine nachherigen!) kont' er durchaus ſich nicht
entſchließen! Er hielt ſich fuͤr recht ſchuͤler-
haft betrogen. Er began, undankbar genug,
diejenige zu haſſen, die Liebe von ihm erzwin-
gen wolte. — Gern haͤtt' er ſo fort und ganz
mit ihr gebrochen. Eigennuz hielt ihn aber-
mals zuruͤck. Seine Handlungslage ward
altaͤglich bekanter. Einige Glaͤubiger ruͤhrten
ſich bereits, doch noch leiſe; daß ſie derber,
wohl gar unbarmherzig anklopfen wuͤrden,
wenn jene Ausſicht verſchwaͤnde, ſah er voraus.
Ein wohlgemeinter Rath ſuchte ihn auch uͤber
dieſe Bedenklichkeit hinwegzuſezzen, und ward,
ganz gegen Abſicht, der Grundſtein — ſeines
Verderbens.
Einer von R's Jugendfreunden, ſchon ſeit
mehrern Jahren in der Fremde, abweſend daher
als R. ſeinen Vater verlohr, und ſeine Verlo-
bung einging, kam bald drauf heim, beſuchte
ihn, und that, was ſchon die ganzeStadt gethan
— das heißt, er tadelte ſeine vorhabende Hei-
rath. Aufrichtig entdeckte dieſer demTadler den
innern Stand ſeiner Handlung, und doch nahm
jener ſein Urtheil — nicht zuruͤck. „Deine
Lage,“ ſprach er, „iſt nur bedenklich, dein
Schritt verzweifelnd. Warum ſolten deine
Glaͤubiger dich ſtuͤrzen wollen? Sie verlieren ja
ſicher auch, wenn du faͤllſt; und verlieren wahr-
ſcheinlich — nichts, wenn ſie dich aufrecht
halten. Du haſt den Ruf von Ordnung und
Geſchicklichkeit fuͤr dich; beide erwerben Zu-
trauen. Die Schulden deines Vaters ſind
nicht die deinigen; ſogar der Verkauf der
Handlung haͤtte daher dir keine Schande,
Erhaltung durch eigne Kraft Ehre gemacht.
Fuͤr Unterkommen darf ein Menſch, wie du,
nicht bangen. Auf den ſchlimſten Fall aber iſt es
beſſer noch eineZeitlang derDiener eines andern
als durchs ganze Leben der Knecht eines al-
ten Weibes zu ſeyn! Geht es nicht hier, ſo
N 4
geht es in der Fremde. Auch ich trieb mich
in ihr herum. Ohne deine Figur, vielleicht
auch ohne deine Kentniß, fand ich auswaͤrts
doch manchen Vorſchlag meinGluͤck zu machen.
Glaube mir: Gelegenheit flieht den nicht im-
mer, der ſie ſucht, und koͤmmt ſelbſt zu demje-
nigen, der ſie nur nicht ausſchlaͤgt!“
Tief wuͤrkten dieſe oder aͤhnliche Reden auf
R's ohnedem mit ſich ſelbſt unzufriedne See-
le. Daß er aber aus ihnen, die gutgeſint
und richtig im Ganzen waren, grade nur
das Lezte undGefaͤhrlichſte ſich heraus-
hob; daß er mit dem feſten Entſchlus, ſeine
Alte nicht zu heirathen, nun auch den eben ſo
feſten: ſein Gluͤck nur in der Fremde
zu ſuchen, verband; — auch dies war ei-
ner von den gewoͤhnlichen Gaͤngen menſchli-
chen Geiſtes! Jn ſeiner Vaterſtadt, duͤnkte
ihm, warte nur Spott, Armuth und Verach-
tung ſeiner. Jm Auslande hofte er es beſſer
zu finden. Nur unter ſeinen eignen Namen
und mit ganz leeren Haͤnden mochte er den
Ausflug nicht, — wenigſtens nicht gleich an-
fangs, wagen. Ein Zufall erleichterte ihm den
erſten Punkt. Vor wenig Monaten erſt war
in ſeiner Handlung ein Diener geſtorben, Leh-
man mit Namen, ein Schleſier von Geburt,
mit ihm faſt eines Alters. Unter andern Pa-
pieren war auch ſein Lehrbrief, von Breslau
ausgeſtelt, anfangs in des aͤltern, dann in
des juͤngern R. Haͤnde gerathen; war auf-
bewahrt worden, ſie wußten ſelbſt nicht:
warum? Jhn jezt in der Fremde, als den
ſeinigen zu nuͤzzen, ſeinen Namen mit Leh-
mans Namen zu vertauſchen, fiel gar bald
ihm ein. Sich durch Eintreibung alter Rech-
nungen etwas Geld zu verſchaffen war ſein
zweiter Plan. Er ſchickte herum, wo er kon-
te; kleinere Poſten gingen ein; nur noch auf
ein paar groͤßere wartete er aͤngſtlich. Dann
wolt' er ſchnell verſchwinden, ſeinen Glaͤubi-
gern die Handlung, ſeiner Braut das leere
Nachſehn laſſen. — Schon miſchte ſich viel Un-
redlichkeit in dieſemVorſaz; aber noch ließ er ſich
R 5
theilweiſe entſchuldigen. R's Glaͤubiger buͤß-
ten noch jezt wenig oder nichts ein; die Wit-
we gewan, indem ſie zu verlieren ſchien.
Jnzwiſchen kam Oſtern herbei, und mit ihm
nahte ſich die Zeit des kirchlichen Aufgebots
und der foͤrmlichen Heirath. Was R. thun
wolte, mußte er bald thun, oder ſeine Ent-
fernung ward ein immer ſtaͤrkrer, immer ta-
delnswertherer Betrug. Seine Schuldner zahl-
ten, troz ſeiner Mahnung, immer noch nicht;
ſeine Glaͤubiger erwarteten jezt Zinſen. Er
war zum Fortwandern geruͤſtet, nur ſeine
Boͤrſe war es nicht. Einſt, als er ſeinen ge-
woͤhnlichen Morgenbeſuch — man kan leicht
denken, mit welcher Gemuͤthsſtimmung! —
bei der Witwe ablegte, fand er ſie in dem ihr
ſo wichtigen Geſchaͤfte des Geldzaͤlens be-
griffen. Ein aufgekuͤndigtes Kapital von fuͤnf
tauſend Thalern, ſaͤmtlich in Golde, war ein-
gegangen. Nur ihrem Braͤutigam ward jezt
die Thuͤre geoͤfnet, gleich hinter ihm wieder
abgeſchloſſen. Sie erzaͤlte ihm: daß ſie die
Haͤlfte davon zu ſeinen dringendſten Hand-
lungsſchulden verwenden, die andre Haͤlfte
in naͤchſter Woche um ein halbes Prozent hoͤ-
her anlegen wolle. Sie ſchlos, nachdem ſie die
Louisdors und Dukaten ſorgfaͤltig in Roͤllgen
gepackt, einen Schrank auf, und zog vor R's
Augen, ein Fach heraus, geraͤumig und ver-
borgen genug. Hier befand ſich noch ihr eig-
ner Schmuck, ein paar fremde brillantne Rin-
ge, worauf ſie Geld geliehen, und ein großer
lederner Beutel voll Goldſtuͤcke, die ſie ihren
Nothpfennig nante. Heute ſchon einmal in
zutraulicher Laune zeigte ſie ihm alles. Die
Juwelen uͤberſtiegen an innern Gehalt noch
die baare Summe. Zwoͤlftauſend Thaler war
dieſes Fach gewiß werth. Mit jenem liebli-
chen Laͤcheln, mit welchem gewoͤhnlich der Geiz
ſeine Schaͤzze uͤberſchaut und muſtert, hafteten
ihre Blicke einige Minuten hierauf. — „Noch
mein Liebſter,“ ſagte ſie endlich, „iſt dies
nur ein ſehr maͤßiger Theil meines Vermoͤgens.
Jenes duͤnne Paͤcktchen Dokumente enthaͤlt
leicht vier bis fuͤnfmal ſo viel, und alles, alles
wird einſt das Jhrige, wenn — Sie ſich gut
auffuͤhren. Nur abdringen laß ich mir nichts;
und Vorausbezahlung iſt eine Thorheit.
Unſelige Vertraulichkeit, die dieſe gute, ge-
ſchwaͤzzige Alte nie zur ungelegnernZeit aͤußern,
— ungluͤckliche Entdeckung, die R. nie zu ei-
ner gefaͤhrlichern Stunde machen konte. Grade
jezt geluͤſtete ihm ſo gewaltig nach Gelde; gra-
de jezt hatte er ſich ſo aͤngſtlich um achtzig
oder hundert Dukaten bemuͤht! Schon ein
paarmal hatt' er auch auf die Kaſſe ſeiner Ver-
lobten: ob er hier nicht etwas borgen, und
nie wieder geben koͤnne? gedacht. Ein ahn-
dender Widerwille, Furcht vor abſchlaͤglicher
Antwort, Unwiſſenheit: ob ſie auch, troz ih-
res Reichthums, bei baarem Gelde ſei? hatten
ihn ſtets zuruͤck gehalten. Jezt wußte er al-
les, und mehr, als ihm gut war! Wuſte,
welche anſehnliche Summe ſie liegen habe;
wußte, wo ſie laͤge? wie lange ſie hier lie-
gen wuͤrde? wußte noch einen ſo koſtbaren
Schmuck und uͤberreichlichen Nothpfennig in
der Naͤhe. Gedanken, die er noch nie gehegt,
Entwuͤrfe, deren dunkles Gewuͤhl er nicht
ſogleich zu ordnen vermochte, Empfindungen,
wofuͤr er keinen Namen hatte, — alles draͤng-
te ſich auf einmal empor. Noch mancherlei
ſchwazte und fragte ſeine Verlobte; er hatte
faſt kein Ohr, und noch weit minder eine paſ-
ſende Antwort dafuͤr. Unterm Vorwand
dringender Geſchaͤfte eilte er bald wieder nach
Hauſe.
Doch auch hier ſchien ihm, wo er ging und
ſtand, eine Stimme zuzurufen: Bemaͤchtige
dich dieſer Summe! Er wolte ſie nicht hoͤren;
wolte ſich zerſtreuen, wolte arbeiten. Um-
ſonſt! Jene Stimme blieb; ſein Verlangen
ward immer ſtaͤrker; nur alzubald hielt er es
fuͤr unwiderſtehlich; und von dieſem Augen-
blick an reichte gleichſam ein boͤſer Gedanke
dem andern huͤlfliche Hand. — Unbemerkt
dieſen Schaz zu entwenden, war allerdings
R's erſter Wunſch. Selbſt ihr Geſtaͤndnis:
daß dies nur ein kleiner Theil ihrer Habe ſei,
entſchuldigte in ſeinen Augen dann die That;
und auch darinne: daß ſie ſich ja weigre alles
fuͤr ihn zu thun, daß er durch ihre Verlobung
nur ungluͤcklicher geworden ſei, ſucht' er einen
Grund zur Verminderung ſeiner Straͤflichkeit.
Doch daß dieſe unbemerkte Entwendung ei-
neUnmoͤglichkeit ſei,begrif er faſt eben ſo ſchnell.
Sorgfaͤltig verſchlos die Witwe immer mit
doppelten Schloͤſſern jenen Schrank; ſorgfaͤl-
tig ihr Zimmer, wenn ſie nur einen Augen-
blick in die Kuͤche ging. Faſt immer war ſie
daheim; wenn ſie ausging, begehrte ſie jezt
R's Begleitung. Was daher geſchehen ſolte,
muſte gewaltſam, — noch mehr, es
muſte, wenn nicht Gefahr oder Abſcheulichkeit
ſich haͤufen ſolte, aͤußerſt bald geſchehen.
Ein ſonderbares Zuſammenpaſſen von Umſtaͤn-
den verlangte das Leztere. — Die Witwe hatte
zwei weibliche Bediente; doch die Einrichtung
mit beiden hatte Sparſamkeit getroffen. Eine
erwachsne Perſon, beſtimt zur groͤbern Arbeit,
kom nur des Vormittags zu ihr. Ein zwoͤlf
oder dreizehnjaͤhriges Maͤdchen vom Lande be-
ſorgte die noͤthigen Gaͤnge, half des Nach-
mittags und des Nachts die Wohnung huͤ-
ten; war aber grade damals auf eine Woche
zu ihren Eltern in die Feiertage, wie ſie
es nante, gegangen. Daß ſeine Verlobte ſie
ſpaͤteſtens uͤbermorgen zuruͤck erwarte, und
bis dahin des Nachmittags groͤßtentheils al-
lein ſei, wußte R. ſehr genau, und glaubte
ſogar auch hierinnen — denn jedes Laſter, gros
oder klein, iſt nah oder fern mit Aberglau-
ben verſchwiſtert! — eine Aufmunterung des
Geſchicks ſelbſt zu finden. Schon den kommen-
den Tag ſezt' er daher zur Vollbringung ſeines
Vorhabens an. Noch ein paar mal bebte er bei
dem Gedanken: Gewaltſam! — Gewaltſam
gegen eine Perſon,die ſich bereits fuͤr deine kuͤnf-
tige Gattin haͤlt, und dich zu ihrem kuͤnftigen
Erben erklaͤrt hat! zuruͤck. Noch einigemal rang
ſein guter und ſein boͤſer Genius mit einander,
und der Erſtere unterlag. Er traf alle Anſtalten,
die ihm noͤthig ſchienen, mit Beſonnenheit. Er
war des andern Morgens,als er die Witwe wie-
der beſuchte, freundlicher, ja faſt zaͤrtlicher,
als jemals. Er verſprach ihr, ehe ſie ihm noch
drum bat, heute um drei Uhr wiederzukom-
men, und dann auf einen Spaziergang ſie zu
begleiten. Die Arme freute ſich recht herzlich
druͤber, und wußte nicht, daß in dieſem Au-
genblick ihr Todesurtheil geſprochen werde.
Zwar verſicherte R. ſpaͤter nachher unab-
laͤſſig: Noch hab' er damals an keinen Mord
gedacht. Die Alte zu uͤberraſchen, zu binden,
und zu knebeln; dann, vielleicht vor ihren
Augen, jenen Schrank zu pluͤndern, wegzu-
gehn und alle Thuͤren zu ſperren, — darinnen
habe ſein ganzer Plan beſtanden. Kraft genug,
ſie zu uͤberwaͤltigen,Geſchicklichkeit genug,alles
Getoͤſe zu vermeiden, hab' er freilich ſich zu-
getraut. Nur ein ungluͤckliches Ohngefaͤhr
habe ihm, kurz vorher, eh' er ſchon gehen
wollen, ein Raſirmeſſer unter die Haͤnde ge-
fuͤhrt, und blos auf den hoͤchſten Nothfall,
blos
blos wenn er durch ihr Rufen vielleicht in
Gefahr kommen ſolte, hab' er es eingeſteckt. —
Moͤglich, daß er wahr ſprach! Selbſt die Abwei-
chung der That von ſeinem Vorſaz iſt kein ganz
guͤltiger Beweis gegen jene Verſicherung. Rie-
ſenmaͤßig und unglaublich ſchnell iſt der Wuchs
des Laſters. Abſcheulich konte vielleicht auch N.
jezt noch dasjenige finden, was er einige Mi-
nuten ſpaͤter am leichteſten, und eben daher auch
am thunlichſten fand. — Puͤnktlich um drei Uhr
erſchien er. Die Witwe war grade vorm
Spiegel mit ihrem Kopfpuz beſchaͤftigt. Auch
dies vielleicht mochte kein bloßer Zufall ſeyn.
Laͤngſt aller uͤbrigen Anſpruͤche auf Schoͤnheit
verluſtig, beſaß das Muͤtterchen noch einen einzi-
gen Ueberreſt, der ſonſt auch ſelten in hoͤhre Jah-
re dauert, — ein ſchoͤnes braunes, langes, dich-
tes Haar. Oft hatte R. dieſen Vorzug an
ihr gelobt; ſie war ſich deſſen um ſo mehr
bewußt, da es ihr lezter war. Eitelkeit bleibt
weiblicher Grundzug vom erſten Fluͤgelkleide
bis zur Bahre. Wohl moͤglich daher, daß
S
ſie auch jezt ihrem Braͤutigam mit bloßem Haa-
re um ſo lieber ſich zeigte. Wenigſtens nahm er
es dafuͤr; und erbot ſich ihr beim Friſiren zu
helfen; ſehr gern war ſie es zufrieden. Jndem
er ihr Haar flocht, ſchlang er es unbemerkt
um ſeine linke Hand. Raſch zog er das toͤdt-
liche Werkzeug aus der Taſche; noch raſcher
riß er ihr Haupt ruͤckwaͤrts. Mit einem ein-
zigen ſtarken Zuge jenes ſcharfen Meſſers war
die Gurgel ihr durchſchnitten; roͤchelnd ſank
ſie in ihrem Blute nieder. Bei dieſer dreifach
ſchaͤndlichen That war das Einzige minder
ſchaͤndliche: daß die Ungluͤckliche von der Welt
kam — ſie wußte und fuͤhlte ſelbſt kaum:
wie? Mit ihren Schluͤſſeln oͤfnete er dann
den Schrank. Das bewußte Fach ward bald
gefunden und geleert. Auch jenes geprieſne
Paͤcktchen von Dokumenten ſteckt' er, gleichſam
zum Ueberflus, mit ein. Alles uͤbrige ver-
ſchmaͤhte er. Kaum zehn Minuten beſchaͤftigte
ihn dieſes Bubenſtuͤck. Sorgfaͤltig verſchloß er
dann Zimmer- und Saalthuͤren. Jn ſeiner
Wohnung wechſelte er raſch die Kleider. Ein
Pferd ſtand ſchon geſattelt. Ein kleiner Man-
telſack war ſchon gepackt. Eh es noch halb
vier Uhr ſchlug, war R. bereits, unangehalten
und unverdaͤchtig, zum Thore hinaus; daß er
dann ſein Roß wacker angrif, laͤßt ſich denken.
Ungeſtoͤrt blieb der Leichnam den Ueberreſt
des Tages und die Nacht hindurch liegen. Ein
paar Perſonen, die bei der Witwe zu thun hat-
ten, gingen verdachtlos fort, da ſie die Thuͤre
verſchloſſen fanden. Erſt am Morgen, als ihre
aͤltre Bedienung kam, klopfte, keine Antwort
erhielt, kein Leben drinnen ſpuͤrte, fiel dies
auf. Nachbarn kamen herbei. Man ſpreng-
te die Thuͤre; man fand die Hausfrau in ih-
rem Blute; das Schrecken bei dieſem Anblick,
der Verdacht, den man ſofort gegen den
Braͤutigam faßte, die Gewisheit, als man zu
ihm eilte, ihn nirgends fand, von ſeinem Bur-
ſchen erfuhr, daß er ſchon ſeit geſtern Nachmit-
tags fehle; auch bald drauf in ſeinem Gemach
einen verſteckten Rock mit einigen Blutflecken
S 2
entdeckte, — alles dies ſind Folgen jener
That, die ſich von ſelbſt ergeben. Wie ein
Bliz durchfuhr das Geruͤcht dieſes Mordes
die ganze Stadt. Wer es hoͤrte, ſchauderte.
Am meiſten trieben es natuͤrlicher Weiſe die
Verwandten der Ermordeten. Drei oder vier
Geſchwiſter-Kinder waren ihre naͤchſten Er-
ben. Noch haͤtten ſie ſich wohl uͤber den Tod
ihrer Muhme getroͤſtet; doch jener erbrochne
Schrank machte ihren Schmerz um ein großes
Theil ſtaͤrker und — wahrer. Daß der Ent-
wichne mit Steckbriefen aufs ſchnellſte zu ver-
folgen ſei, war kein Zweifel; ein deſto groͤße-
rer: wo man ſolche zuerſt hinſenden ſolle?
Troz aller Muͤhe erfuhr man von Rs Flucht
keinen naͤhern Umſtand, als das Thor, zu
welchem er herausgeritten war. Gleich vor
demſelben ſpalteten ſich vier Wege. Ob er
einen von ihnen, und welchen er ergriffen habe,
blieb ungewiß. Kein Mittel alſo, außer nach
allen Winden zugleich Boten auszuſenden.
Viel Zeit ging uͤber dieſer Ungewisheit
verloren. Daß der Moͤrder indeß einen gro-
ßen Vorſprung gewonnen, glaubten alle;
daß man ihm doch irgendwo auf die Spur
kommen werde, hofte man ebenfalls. Ver-
gebens! Keine Verwendung an Obrigkeiten,
keine Beſchreibung in oͤffentlichen Blaͤttern,
auch keine im Entdeckungsfall verſprochne Be-
lohnung fruchteten. Auf ein bloßes Geruͤcht,
daß er ſeinen Weg nach Schafhauſen zu ge-
nommen, blieb faſt kein Winkel der Schweiz
undurchſpaͤht; ſogar in einem von Graubuͤn-
dens rauhſten Thaͤlern glaubte man in der
Klauſe eines Waldbruders ihn zu entdecken,
und — irrte ſich. Fuͤnf Jahre verfloſſen. R's
Name und Frevelthat kam endlich ganz in Ver-
geſſenheit. Wenn man ja noch zuweilen von
ihm ſprach, geſchah es mit dem Beiſaz: daß
er nach Weſt- oder Oſtindien gegangen ſeyn
muͤſſe. Manche Menſchen, die uͤber alles ge-
nauere Nachricht zu haben pflegen, verſicher-
ten: daß man ihn zu Batavia geſehen habe.
S 3
Eine große Unwahrheit! Denn kaum vierzig
Meilen weit von ſeiner Vaterſtadt lebte R.
dieſe ganze Zeit hindurch; war Buͤrger eines
andern Staats, Hausbeſizzer, Ehmann, Va-
ter, Genoſſe einer nicht unbetraͤchtlichen Hand-
lung, und zwar alles dieſes auf die ehrlichſte
Weiſe von der Welt geworden. Sonderbar
genug klingt das, und ging doch ſehr einfach
zu! — Nicht nach der Schweiz, nach Paris
hatte R. ſich fluͤchten wollen. Jn dem Ge-
tuͤmmel dieſer großen Stadt, hofte er, ſolte
ſeine Wenigkeit ganz unbemerkt ſich verſtecken.
Von da aus, wofern es ihm nicht gefalle,
nach England, von England nach Amerika
uͤberzugehn, lag noch im Hintergrund ſeines
Herzens. Ganz ohne Anſtoß war er bis
Strasburg gekommen. Jener fremde Na-
me, ein beſcheidnes Reiſekleid, die Sorgfalt
nirgends mit Gelde zu prahlen, ein geſtuztes,
mit vieler Vorſicht geſchwaͤrztes Haar, —
mehr als alles dies eine unbefangne ruhige
Miene, und eine Gleichguͤltigkeit, die nirgends
ſich verſteckte, nirgends uͤbertrieben eilte, hatte
ihn uͤberall verdachtfrei erhalten. Sein Pferd
hatte er zeitig an einen Juden verkauft, der ihm
unterwegens aufſtieß, und nach Niederſachſen
zuſteuerte. Lohnkutſcher, fuͤr einen Fluͤchtling
ein ſo unpaſſendes Fuhrwerk, hatten ihn weiter
gebracht. Schon ſtand ſein Name, ſeine Ge-
ſchichte und ſein Steckbrief in oͤffentlichen
Blaͤttern; doch nirgends verglich man dieſe Be-
ſchreibung mit ſeiner Perſon. — Jn Stras-
burg gedacht' er zwei Tage lang auszuruhen
und dann mit der Diligence weiter zu reiſen.
An der Gaſttafel, wo er ſpeißte, brachte gleich
den erſten Abend ein Ohngefaͤhr das Geſpraͤch
auf die Pariſer Polizei. Zwei Reiſende, die
von dorther kamen, und Luſt an Vergroͤße-
rungen hatten, ſchilderten ſolche als allwiſſend,
und ſezten ſie noch weit uͤber jene zu Venedig.
R. gab einen ſtummen, aber ſehr aufmerkſamen
Zuhoͤrer ab; jene Allwiſſenheit gefiel ihm uͤbel.
Eine leicht begreifliche Furcht erwachte; ein
Theil der Nacht verging ihm ſchlaflos. — Am
S 4
andern Morgen verſchafte ihm ein zweites Ohn-
gefaͤhr die Bekantſchaft eines Kaufmanns aus
H**, einem kleinen Landſtaͤdtchen, ohngefaͤhr
vier Meilen von Strasburg. Es war ein
Franzoſe von Geburt, ſchon etwas bejahrt,
doch noch munter. „Er habe, erzaͤhlte er,
vor wenigen Tagen einen Buchhalter, der ſei-
ne rechte Hand geweſen, durch einen Steck-
flus verloren, und ſuche einen andern, der
aber ein Teutſcher, Proteſtant und erfahrner
Menſch ſeyn muͤſſe. Das Staͤdtchen, wo er
lebe, ſei freilich klein, und gleichſam in einem
Erdwinkel verſteckt, doch ſeine Handlung nicht
unbetraͤchtlich.“ — R. horchte auf. Jene al-
wiſſende Polizei von geſtern, und die-
ſes verſteckte Landſtaͤdtchen ſchienen
ihm abermals — (wir wiſſen ſchon, daß er
aberglaͤubiſch war,) Warnungen ſeines Schuz-
geiſtes zu ſeyn. Er hofte hier auf einige Zeit
Sicherheit vor aller Nachſtellung und uͤber-
dies Gelegenheit zu finden, ſich im Franzoͤſiſchen
zu vervollkommen; was er zwar verſtand und
ſchrieb, doch nicht ganz fertig ſprach. Er trug
ſich daher dem Kaufmann von weiten an.
Schon hatte dieſer im Geſpraͤch geſpuͤrt: daß
R. Handlungskentniſſe beſizze. Mit Freu-
den ſchlug er ein; noch den Abend reiſten ſie
zuſammen ab.
R. war gewiß Willens nur wenige Monate
in H** zu verbleiben. Aber er fand das Oert-
chen ſo reinlich und nett, die Gegend umher
ſo romantiſch, unter dem kleinen Kreis neuer
Bekannten einige ſo angenehm, ſeinen alten
Herrn ſo gut, ſeine Handlungsgeſchaͤfte (wo-
von ein großer Theil in Unterſchleifswaaren
beſtand) ſo leicht und doch nicht unbedeutend,
daß es ihm weit beſſer gefiel, als er im An-
fang ſelbſt vermuthet hatte. Ein gewiſſes
ſtilles Leben kan uns bald zur Gewohnheit
werden. Der Wurm in R's Seele, die Furcht
beim Ausflug in die weite Welt entdeckt zu
werden, nagte fort. Er blieb daher andert-
halb Jahre hier, ohne ſich nur zu ruͤhren.
Als er dann Miene machte, ſeinen Stab wei-
S 5
ter fortzuſezzen, redete ihm ſein Herr, deſſen
Vertrauen er ſich ganz erworben hatte, ſo lange
zu bis er noch ſechs Monate hier zu bleiben
verſprach. — „Jch weiß ein Mittel, ſagte der
Alte lachend, wo ihr vielleicht auch den ſie-
benten Monat ungebeten zugebt!“ — R.
verſtand ihn nicht. Doch am Schluſſe des
halben Jahres nahm ſein Herr ſeine einzige,
bisher in Strasburg erzogne Tochter wieder
zu ſich; ein Maͤdchen von ſechszehn Jahren,
von munterm Geiſte und reizender Bildung.
Nicht vierzehn Tage befand ſie ſich im vaͤter-
lichen Hauſe und in dem fuͤr ſie einſamen
Staͤdtchen, ſo war ſie in R. und R. in ſie
verliebt. Sogar die Schwermuth ſeiner Miene
gefiel ihr, denn ſie hielt ſich ſelbſt fuͤr den Grund
derſelben. Jhre wechſelſeitige Neigung ent-
ging dem Blicke des Vaters nicht; nur wolte
er einige Zeit hindurch ſie nicht ſehen. Als
er einſt beide in zaͤrtlichſter, doch ſchuldloſer
Unterhaltung uͤberraſchte, rief er den jungen
Mann in ſein Kabinet; fragt' ihn erſt laͤ-
chelnd: Warum er noch an kein Weggehn
gedenke? und dann ernſthaft: ob er gar kein
eignes Vermoͤgen beſizze? Sorgfaͤltig hatte R.
bisher ſeinen ſo ſchaͤndlich erworbnen Schaz
verborgen. Auch jezt geſtand er nur einen
Theil deſſelben. „Fuͤnfhundert Dukaten, ſagt'
er, beſizze er baar; noch tauſend koͤnne er in ſei-
ner Heimath heben, wann und wie er wolle.“
Der Alte hatte ſich wenig, oder gar nichts ver-
muthet. Mit treuherzigem Tone ſchmaͤlte
er: daß R. jene Summe, die er vorwieß, ſo
lange ungenuͤzt bei ſich fuͤhre; glaubt' ihm
das Uebrige aufs Wort; bot ihm foͤrmlich die
Hand ſeiner Tochter und den Eintritt in ſeine
Handlung an. Freudig grif R. nach dieſem
Erbieten. Noch den Abend war Verlobung;
vier Wochen drauf Hochzeit.
Ueber drei Jahre lebte R. in dieſer Ehe;
zwei Kinder wurden ihm geboren. Ein eig-
nes Haus erkauft' er ſich. Seine Frau fuhr
fort, ihn zu lieben; bei ſeinen Mitbuͤrgern
ſtand er in Achtung; nicht ein Schatten von
Verdacht traf ſeinen moraliſchen Werth. Er
ſchien gluͤcklich. Eine gewiße duͤſtre Laune,
die man zuweilen an ihm ſpuͤrte, ward Hypo-
chonder genant, und ſeiner uͤbertriebnen Haͤus-
lichkeit zugeſchrieben. Wuͤrklich war er in den
fuͤnf Jahren ſeines Daſeins erſt zweimal auf ei-
nige Stunden, Handlungsſachen halber, nach
Strasburg gereiſt, ſonſt nirgends nur zwei
Meilen weit in der Gegend umher gekommen.
Seine junge Frau hatte ihn oft zu kleinen Reiſen
und auch zu einer groͤßern nach Paris aufge-
muntert. Jeden Wunſch gewaͤhrte er ihr ſonſt;
nur gegen dieſen hatt' er immer Ausfluͤchte.
Sein Weigern galt freilich fuͤr Eigenſinn,
doch auch fuͤr den einzigen, den man an ihm
wahrnahm. — Jm ſechſten Jahre ſtarb ein
alter Handlungsfreund zu Coblenz. Bei ſei-
nem Tode zeigten ſich anſehnliche Schulden.
R's Schwiegervater, ſchon lange im Verkehr
mit ihm, lief Gefahr ſiebentauſend Livres zu
verlieren. Schnelle Vorkehrung konte ſie noch
retten. Aber vorſichtig wolte das Geſchaͤfte
getrieben ſeyn; denn hier und dort war die
Rede groͤßtentheils von Kontrebandwaaren.
Der Alte ſelbſt konte Kraͤnklichkeit halber nicht
reiſen; der Auftrag kam daher an R. Ungern
ging er dran; ihn abzulehnen ſah er keinen Vor-
wand. Da uͤberdies Coblenz von N—g faſt
noch ein paar Meilen weiter als Strasburg
lag; da R. nur wenige Tage dort zu verwei-
len gedachte; da er hofte: ein ſo langer Zwi-
ſchenraum werde doch wohl auch manchen
Zug ſeines Geſichts geaͤndert, ihn ſelbſt und
ſeine That aus manchem Gedaͤchtnis gebracht
haben; da er ſich nicht entſann, jemals mit ei-
nem Coblenzer nur umgegangen zu ſeyn; und
da er endlich als ein Elſaßer Kaufmann unter
fremden Namen hinkam, ſo glaubt' er ſelbſt
wenig oder nichts zu wagen, und — reiſte.
Seine Frau begleitete ihn.
Nicht neu, aber grade durch ihr Alter deſto
bewaͤhrter iſt die Bemerkung: daß jene hoͤhre
Vergeltung, wenn ſie ſich lange nachſichts-
voll gegen den Schuldigen betrug, deſto ſich-
rer beim endlichen Schlage ihn trift; und daß
bei einer lange verzoͤgerten Entdeckung die
kleinſten Umſtaͤnde dann genauer, wie die Raͤ-
der einer Uhr, zuſammenpaſſen. Auch R. ſol-
te nun dieſe traurige Erfahrung machen. —
Gluͤcklich und ſchnell genug war ſein Geſchaͤfte
zu Coblenz vollendet; den naͤchſten Morgen ſolte
ſeine Abreiſe ſchon wieder vor ſich gehen. Blos
die Einladung eines Kaufmanns, der vor der
Stadt ein ſchoͤnes Landhaus beſaß, machte, daß
R. noch einen Tag zugab; ja, auch dies that er
nicht aus eigner Neigung, ſondern aus Gefaͤl-
ligkeit gegen ſeine Gattin. Gegen Mittag fuh-
ren ſie auf dieſes Landhaus; die Geſellſchaft,
die ſie da fanden, war nicht groß, aber, ſonder-
bar genug, unter derſelben befand ſich der ein-
zige Menſch, der in ganz Coblenz fuͤr R. ge-
faͤhrlich werden konte, ja faſt werden mußte.
Siebald hieß er, ein junger, artiger, erſt an-
gehender, kaum vor vier Wochen aus England
zuruͤckgekehrter Wechſelherr, und Anbeter von
der Tochter im Hauſe. Von ſeinem ganzen Le-
ben und Weben wußte R. kein Jota; jener
von dem Leztern nur alzuviel.
Dem Hauſe, wo die Witwe zu N—g er-
mordet ward, ſchief gegenuͤber, wohnte ein rei-
cher Banquier von ausgebreiteter Achtung;
verſchiedne Juͤnglinge aus der Fremde befanden
und bildeten ſich auf ſeiner Wechſelſtube; unter
ihnen war grade damals auch Siebald. Schon
laͤngſt kante er R. von Anſehn; oft hatt' er
ihn neben der Witwe am Fenſter, nicht ſelten
Arm am Arm mit ihr auf der Straße erblickt;
ſtets ſich im Herzen uͤber dieſes ungleiche Paar
geaͤrgert. Noch mehr, einer ſeiner beſten Freun-
de in N—g war ein naher Vetter und einer
von den muthmaslichen Erben der Witwe. Oft
genug hatte ſich dieſer imGeſpraͤche mit ihm uͤber
R. beklagt. Anfangs, daß er jenes gehofteVer-
moͤgen ihm wegheirathen wolle, und dann,
daß er es groͤßtentheils geſtolen habe. Oft
hatte ihn Siebald deshalb, ſo gut er konte,
getroͤſtet; hatte ihm, als er von N—g weg
auf Reiſen ging, noch mit Hand und Mund
verſprochen, wenn er irgendwo von dem Moͤr-
der und Raͤuber etwas hoͤre oder ſehe, es ihm
ſofort zu melden. Daß er nie glaubte, in die-
ſen Fall zu kommen, kan man leicht denken;
doch war ihm durch Zufaͤlligkeiten dieſer Art
R's Bildnis tiefer, als er ſelbſt es wußte, ins
Gedaͤchtnis gepraͤgt.
Um ſo mehr, wiewohl noch unmerklich,
ſtuzte er beim Anblick dieſes angeblichen
Elſaſſers; wußte zwar in der erſten Minute
noch nicht, wohin er mit dieſer Aehnlichkeit
rathen ſolte? beſann ſich aber bald; ſtraf-
te ſich eben ſobald ſelbſt eines Jrthums; kam
wieder auf ſeinen Argwohn zuruͤck; ward mit
jeder Sekunde immer beſtaͤrkter in ihm. Ab-
ſichtlich ſucht' er bei der Tafel neben der Gat-
tin des Fremden zu kommen; hofte im Ge-
ſpraͤch mit ihr einiges zu erfahren, was ſeine
Muthmaßung entweder beſtaͤtige oder wider-
lege; und erfuhr — alles. Das gute Weib-
chen war eine Franzoͤſin, mithin geſpraͤchig.
Kaum hatte Siebald, gleichſam verlohren, be-
merkt, daß er nach dem Dialekt ihres Man-
nes kaum auf einen Elſaſſer gerathen ha-
ben wuͤrde, ſo verſicherte ſie ihm: daß er al-
lerdings keiner, ſondern ein Schleſier von Ge-
burt ſey; daß er erſt ſeit fuͤnf Jahren in Elſas
lebe, und daß blos Liebe zu ihr ihn feſtgehalten
habe. Auch von ſeinem Hange zur Schwer-
muth, von der Muͤhe, die es gekoſtet, ihn
hieher zu bringen, von ihrer Freude, daß er
noch einen Tag zugegeben habe, — von allen
dem ſprach ſie in ihrer Unſchuld; und dachte
gewiß an nichts weniger, als daß ſie jezt die
Anklaͤgerin eines geliebten Gatten mache. Mit
jedem Worte faſt ward Siebald uͤberzeugter,
daß ſein Verdacht Wahrheit ſey. Selbſt
jenes Lehmanns, der, ein Schleſier von Ge-
burt, in R's Hauſe geſtorben ſey, entſann
er ſich. Aller uͤbriger Zuſammenhang daͤm-
merte vor den Augen ſeines Geiſtes.
Was ihm hier zu thun obliege, duͤnkte
ihm gar nicht zweifelhaft. Zwar dauerte
ihm ein paar Minuten lang die junge, heitre,
gewiß ſchuldloſe Frau; doch ein Gedanke an
ſeinen Freund, an ſein eignes Verſprechen,
und an die Abſcheulichkeit jenes Mordes er-
T
ſtickte alles Mitleid. Schon wollte er jenen
nichtswuͤrdigen Heuchler (denn dafuͤr hielt
er ihn) ein paarmal durch die Frage: Ob
er nie in N — g geweſen ſey? aͤngſtigen.
Aus Beſorgnis: es koͤnne doch eine noch zu
fruͤhe Warnung abgeben, hielt er ſie wieder
zuruͤck. Gleich nach der Tafel zog er den
Hausherrn in ein andres Gemach, und ent-
deckte ihm alles. Dieſer ſtaunte, glaubte
nicht, widerſprach. Siebalds Ueberzeugung
wankte keineswegs. Den gutgemeinten Rath:
ſelbſt dann zu ſchweigen, wenn ſeine Vermu-
thung gegruͤndet ſeyn ſollte, verwarf er als
gewiſſenswidrig. Daß der Fremde wenigſtens
in dem Hauſe, wo er ſich befand, verſchont
bleibe; — war alles, was er einging. Ohne
Ruͤckkehr zur Geſellſchaft eilt' er nach der
Stadt; ſuchte den Buͤrgermeiſter auf, der dies
Jahr die Regierung hatte, und verlangte ei-
nen Verhaftsbefehl gegen den Verbrecher.
Auch dieſer ſtuzte bei der Erzaͤhlung: Auch
dieſer widerrieth es dem jungen feurigen Mann,
ſich in einen Handel zu miſchen, wo kein Vor-
theil auf einer, mancher Verdrus auf der an-
dern Seite ſeiner warten duͤrfte. „Er koͤnne
„ja, meinte der Konſul, dem Rathe zu N — g
„und ſeinem Freunde melden, was er entdeckt;
„koͤnne es ihnen uͤberlaſſen, die Sache zu ver-
„folgen. Wo Jnkulpat ſein Domicilium und
„ſedem fixam habe, wiße man nun. Jhn
„hier zu verhaften, ſey um ſo bedenklicher, als
„er ſchon ſeit mehrern Jahren franzoͤſiſcher Un-
„terthan geworden waͤre.“ — Siebald blieb
bei ſeinem Kopfe. „Daß man hier des Ver-
„brechers habhaft werden koͤnne,“ ſagt' er,
„ſey gewiß; ungewiß, ob er es nicht im Ver-
„folg merken und entfliehen duͤrfte. Jm El-
„ſaß verhaftet, werde er nach dortigen Ge-
„ſezzen gerichtet, und der Unkoſten dabei viel-
„leicht ſo viele gemacht werden, daß von dem
„geſtohlnen Gelde den Erben wenig oder
„nichts verbleibe. Aber auf fremden Boden
„ergriffen, koͤnne er nach N — g ausgeliefert
„und da geſtraft werden, wo er ſuͤndigte. Fuͤr
„alle hieſige Unkoſten ſey er (Siebald) Buͤrge.
T 2
„Allen Verdrus nehm' er uͤber ſich. Selbſt
„auf der Verhaftung beſteh' er nur dann,
„wenn der angebliche Lehmann bei erſter ernſt-
„licher Anrede ſich ſelbſt verrathe, oder ver-
„daͤchtig mache.“ — Auf dieſe Bedingung
erhielt eine gerichtliche Wache Befehl, Sie-
balden von weitem zu folgen, und zu thun,
was er ihr heißen werde. Mit einem ſeiner
Freunde, nach welchem er geſchickt hatte, traf er
gehoͤrige Abrede; dann eilten ſie nach dem
Gaſthof und erwarteten R., der bald darauf
von jenem Landhauſe zuruͤckkam. Unterm
Vorwand, daß jemand nach ihm gefragt,
ward er ins Billiardzimmer gerufen. Gleich
beim Eintritt in daſſelbige kam ihm Siebald
mit den Worten entgegen: „Aber warum,
„Herr R. verleugnen Sie Jhren wahren Na-
„men?“ Ueberraſcht und erſchrocken bebte er
zuſammen. Jndem er verſuchen wollte zu ant-
worten, klopft' ihn von hintenzu Siebalds
Freund mit der ſchrecklichen Frage auf die
Achſel: „Und wie konnteſt du wagen noch in
„Teutſchland zu erſcheinen, nach jener graͤs-
„lichen That, die du zu N—g veruͤbteſt?“ —
„Jch bin verrathen! Gott!“ rief R. und ſank
bewußtlos zu Boden. Als er wieder zu ſich
kam, befand er ſich ſchon in den Haͤnden der
Gerichte. Daß er derjenige ſei, den Siebald
genannt habe; daß der Name Lehmann ein
erdichteter ſei; daß er eines Mordes halber
die Flucht ergriffen habe; alles das geſtand
er noch dieſen Abend. — Der Jammer ſeiner
jungen Frau, die anfangs nicht begrif, was
dies bedeute; dann nicht glauben wolte, was
man ihr ſagte; endlich, als ſie es glauben
mußte, die bitterſten Vorwuͤrfe nicht ihm, ſon-
dern ſich ſelbſt zuerſt machte, uͤberſteigt jede
Beſchreibung.
Gerichtliche Anzeigen von dieſer Verhaftung
und dem Geſtaͤndnis des Verhafteten ergin-
gen ſofort nach N—g und nach Elſas. Das
Erſtaunen hier und dort war gleich groß;
von beiden Seiten verlangte man ſeine Aus-
lieferung; von N—giſcher Seite im Ernſte,
Q 3
von Elſaſſiſcher wenigſtens zum Scheine;
denn das erſte, aͤltere Recht jener Regierung
auf den Verbrecher war wohl unleugbar. Bald
wich daher auch dieſer Widerſpruch. R. wur-
de in Ketten und Banden nach ſeiner Vater-
ſtadt abgefuͤhrt. — Jn einem Stuͤcke hatte
man doch bei dieſem Verfahren merklich ge-
fehlt! Haͤtte man R. gleich bei ſeiner Ver-
haftung genau verhoͤrt; uͤber alle Umſtaͤnde
ſeiner That puͤnktlich befragt, haarklein wuͤrde
er damals alles geſtanden, und alles noch un-
bekante ſelbſt angezeigt haben. Doch jenesVer-
hoͤr war nur ein ſogenanntes vorlaͤufiges
geweſen. Sobald er geſtanden, daß erR. heiße,
aus N—g gebuͤrtig, wegen Ermordung jener
Witwe fluͤchtig, und Entwender von einem an-
ſehnlichen Theil ihres Vermoͤgens ſei; ſobald
hatte man abgebrochen; hatte geglaubt, man
wiſſe nun genug; das Weitere werde man ſchon
Zeit genug zuN—g ſelbſt ihm abfragen. Einige
Wochen waren ſeitdem mit Schreibereien hin
und her nuzlos zugebracht worden. Jn ſei-
nem einſamen Kerker hatte R. Zeit gehabt,
von ſeiner erſten Beſtuͤrzung ſich zu ſammeln.
Daß ein ſchmaͤhlicher Tod ſeiner warte, mußt'
er vorausſehn. Die Liebe zum Leben erwach-
te; mit ihr die Hofnung, ſich doch wohl noch
retten zu koͤnnen. Er uͤberdachte vielfach und
ſorgfaͤltig alles, was und wie er es geſtan-
den habe, und ſah doch noch eine Moͤglichkeit,
wenigſtens die groͤßreHaͤlfte ſeinesVerbrechens
von ſich abzuwaͤlzen. Gleich beim erſten Ver-
hoͤre in N—g leugnete er mit dreiſter Stirne
den Mord. Die Gerichten ſtuzten. Sein
Maͤhrchen klang folgendermaßen.
„Er laͤugne nicht, was er auch zu Coblenz
ſchon geſtanden, daß er wegen Ermor-
dung ſeiner Braut ſich gefluͤchtet habe; aber
man thue ihm gewaltig Unrecht, wenn man
glaube: er ſelbſt haͤtte dieſen Frevel begangen.
Er ſei an jenemNachmittage allerdings von der
Witwe zum Beſuch eingeladen worden, ſei
hingegangen, habe ſie allein zu finden vermu-
thet. Um ſo mehr ſei er erſchrocken, als er
T 4
nicht nur ihre Zimmerthuͤre offen, ſondern auch
ſie ſelbſt auf den Boden hingeſtreckt, in ihrem
Blute ſchwimmend getroffen habe. Jndem er
ſofort zu ihr hingeeilt, hab' er noch einiges
Leben in ihr verſpuͤrt, habe ſie aufzurichten
verſucht; hab' ihr zugerufen: Wer dieſes
gethan? — Wuͤrklich haͤtte ſie noch einmal
die Augen aufgeſchlagen; muͤhſam die Worte:
Raͤuber! Moͤrder! dreie zugleich! herausge-
ſtoßen; aber auch gleich drauf ihren Geiſt aus-
gehaucht. Jezt erſt hab' er ſeine Blicke im
Zimmer rund herum gekehrt, und geſehn, daß
auch ein Schrank aufgeſprengt worden ſei.
Angſtvoll hab' er zu den Nachbarn eilen, und
ſie um Huͤlfe, um Nachforſchung der Raͤuber,
die hier ſo graͤslich gewirthſchaftet, anrufen
wollen; doch ſchon auf der Treppe hab' ihn pfeil-
ſchnell der Gedanke ergriffen: Gott, wenn du
ſelbſt fuͤr ihren Moͤrder goͤlteſt! Ein Blick
auf ſich ſelbſt habe dieſe Beſorgniß verſtaͤrkt.
Hier und da ſei ſein Gewand mit Blut befleckt
geweſen. Sehr natuͤrlich bei der Muͤhe, die
er zu ihrer Aufhelfung verwandt, und doch
ſehr verdaͤchtig dem erſten Anſchein nach! —
Eine unbeſchreibliche Angſt habe ihn ins Zim-
mer gleichſam zuruͤckgeſtoßen. Daß es einen
ſchweren Handel fuͤr ihn ſelbſt veranlaſſen
koͤnne, ſey ihm mit jeder Sekunde augen-
ſcheinlicher geworden. Keinen Zeugen ſeiner
Unſchuld haͤtt' er gehabt; fuͤr das beßte, viel-
leicht einzige Mittel der Rettung hab' er eine
augenblickliche Flucht gehalten. Daß ihn
dieſe noch verdaͤchtiger machen werde, ſey ihm
zwar auch eingefallen, doch hab' er es noch
fuͤr moͤglich gehalten, aus einem fernen
ſichern Orte ſeine Vertheidigung einzuſenden.
Schon im Begrif von dannen zu gehen, habe
er auf jenen aufgeſprengten Schrank noch ein-
mal ſein Auge geworfen, und nicht gezweifelt,
daß ſolcher gepluͤndert ſeyn werde; da er aber
gewußt, daß in einem verborgenen Fache deſ-
ſelben die Witwe ihren heimlichen Schaz, wie
ſie ihn ſelbſt genannt, zu verwahren pflege,
hab' ihn raſch noch die unſelige Neugier ange-
T 5
wandelt, nachzuſehen: ob auch dieſes Fach von
den Raͤubern entdeckt worden waͤre? Er habe
gefunden: nein! habe den Geldbeutel aus
ſolchem zu ſich geſteckt, unwiſſend, ob er mit
Gold oder Silber gefuͤllt ſey. — Straͤflich
ſcheine allerdings dieſer Schritt. Aber in ſei-
ner Lage; genoͤthigt von Haus und Hof zu
fliehen; grade in ſeiner Kaſſe kaum hundert
Gulden reich; beraubt einer ſo ſchoͤnen Hof-
nung; ungewiß, wohin er fliehen und ſich ver-
bergen ſolle, — ſey er auch hier vielleicht kein
eigentlicher Raͤuber zu nennen. Wie er nach
Hauſe aufs Pferd, und aus der Stadt hinaus-
gekommen — dies alles ſchwebe nur noch wie
ein Traum ihm vor. Denn uͤberhaupt erſt drei
oder vier Meilen von N—g waͤre er wieder
ſeiner Beſinnungskraft voͤllig maͤchtig gewor-
den: habe nun erſt eingeſehen, wie ſehr er in
Allem gegen ſich ſelbſt gehandelt und doch auch
jede Ruͤckkehr nun fuͤr unmoͤglich gehalten.
Die Steckbriefe in allen oͤffentlichen Blaͤttern,
die graͤsliche Schilderung, die er von ſeinem
angeblichen Morde in zwanzig Zeitungen ge-
leſen, das Unvermoͤgen ſich gebuͤhrend zu recht-
fertigen, — dies habe ihn endlich zu dem Ent-
ſchlus gedraͤngt, den Namen zu behalten, den
er angenommen, und ſeinen vorigen einer un-
verdienten Schmach zu uͤberlaſſen.“
Ein Geſchichtgen dieſer Art war freilich
nicht vermoͤgend, die Gerichten zu taͤuſchen;
auch behandelten ſie es anfangs blos mit Ver-
achtung; hoften den Erzaͤhler deſſelben bald in
weiterm Verhoͤre durch Fragen und Einwuͤrfe
zu verſtricken. Sie irrten. R. hatte, was er ge-
ſagt, vollkommen durchdacht: er widerſprach
ſich nie; ſchweifte im drei – vierfachen Verhoͤr
nie uͤber die ſich ſelbſt geſteckten Grenzen; ge-
ſtand ſelbſt die Unwahrſcheinlichkeit ſeines Vor-
gebens, und beharrte doch feſt auf ſeiner Wahr-
heit; berief ſich auf nichts, als ſein eignes Ge-
wiſſen, und (zuweilen nur) auf die Schuldlo-
ſigkeit ſeines ganzen Lebens, vor der Flucht ſo-
wohl als auch im Hauſe ſeines Schwiegerva-
ters. Dieſes leztere war Wahrheit, aber
kein Beweis gegen die That, und fuͤr ſeine
Entſchuldigung. Ein andrer Umſtand ſchien es
wenigſtens einigermaßen zu ſeyn. Rs. Haus
zu H** war, ſobald man ſeine Verhaftung
zu Coblenz erfuhr, gerichtlich durchſucht, ſein
Vermoͤgen in Beſchlag genommen, ſeine Pa-
piere verſiegelt worden; noch einiges baare
Geld hatte man gefunden, aber von den Ju-
weelen der Witwe kein Steingen, von ihren
Dokumenten kein Blaͤttgen. Als man R.
deshalb befragte, ſpielte er den ganz Unwiſ-
ſenden, ſogar den Erſtaunten. — „Er wiſſe,
ſagte er, weder von Schmuck noch von Doku-
menten etwas. Es ſey dies ein Beweis mehr,
daß ganz andre Raͤuber als er bei der Witwe
eingebrochen ſeyn muͤßten. Nach ſeinem Tode
vielleicht werde man die wahrhaften Verbrecher
entdecken; er, und wenn er heute ſterben ſolle,
koͤnne blos mit ſeiner Unſchuld ſich troͤſten.“
— Alles Zureden, mild und ſcharf, blieb frucht-
los. Die Akten wurden verſchickt. Der Aus-
ſpruch der Fakultaͤt war, wie man vorausſehn
konte: Peinliche Frage, da Jnquiſit ſich ſo hoͤch-
lich gravirt befindet! — R. bebte allerdings,
als er zuerſt in die Folterkammer gebracht
wurde; aber die Folter ſelbſt ſtand er mit al-
ler nur moͤglichen, man kan wohl ſagen, mehr
als maͤnnlichen Standhaftigkeit aus. Zwei-
mal ward er gemartert; zweimal blieb er auf
ſeiner erſten Ausſage.
Welche mannichfache, ſich widerſprechende
Empfindungen und Aeußerungen eine Geſchich-
te, wie dieſe war, in N—g erzeugen mußte,
laͤßt ſich leicht ermeſſen. Alle hatten ſich an-
fangs gewundert, als man die Verhaftung
des faſt vergeßnen R's erfuhr; alle verab-
ſcheuten gleichſam von neuem ſeine ehmals be-
gangne That; aller Unwillen ſtieg noch, als
R. mit ſo dreiſter Unwahrheit — denn daß
ſeine Ausflucht Unwahrheit ſei, zweifelte Nie-
mand! — die Gerechtigkeit zu taͤuſchen ſuchte.
Aber ſchon ſpalteten ſich die Stimmen, als
man hoͤrte, daß er gefoltert werden ſolle;
ſpalteten ſich noch mehr, als man vernahm:
mit welcher Entſchloſſenheit er dieſer Folter
trozze. Gegen den Gequaͤlten wird, ſelbſt
wenn wir ihn fuͤr ſchuldig halten, ſo leichtlich
unſer Mitleid rege; und geht noch leichter
znr Bewunderung uͤber, wenn wir hoͤren,
daß ſein heroiſcher Muth ſelbſt in den Qualen
ſich nicht beugt! — Bald erblickten nun ei-
nige in R. einen Menſchen, dem — doch viel-
leicht Unrecht geſchaͤhe; bald ſahen noch meh-
rere in ihm einen Ungluͤcklichen, der fuͤr ein
raſchbegangnes Laſter nun ſchon genug abge-
buͤßt habe; und nur einige wenige betrachte-
ten ſeine Feſtigkeit ſelbſt als — einen Troz,
der ſein Verbrechen vergroͤßre.
Zu dieſer lezternZahl gehoͤrten ſehr natuͤrlich
die Erben der Ermordeten. Jene anfaͤngliche
Hofnung ihr Geraubtes wieder zu erhalten,
ſchwand altaͤglich mehr und mehr zuſammen.
Schon weit — weit uͤber Jahr und Tag, ſaß
der Verhaftete. Das bei ihm gefundne Geld
fraßen dieGerichtskoſten; zu mehrern bekante er
ſich nicht. Daß er hoͤchſtens noch einmal gefol-
tert, und wenn er dies uͤberſtehe, zu zehnjaͤh-
riger Zuchthausſtrafe verurtheilt werden duͤr-
fe, war allgemeiner Glaube. — Dies troͤſte-
te freilich jene Beraubten ſehr ſchlecht. Schon
wußten ſie Siebalden fuͤr ſeine Entdeckung we-
nig Dank. Ein unerwarteter Umſtand aͤn-
derte wieder alles. Noch einmal ward ein
Mann, den R. in ſeinem ganzen Leben mit
keinem Worte beleidigt, mit keinem Blicke ge-
kraͤnkt, durch jene That um keinen Heller ver-
kuͤrzt, und bisher kaum dem Namen nach ge-
kannt hatte, fuͤr den Ungluͤcklichen gefaͤhrlicher,
als alle Verwandte der Witwe, und alle moͤg-
liche Gerichte.
Jn N**g lebte damals ein Rechtsgelehrter
D. Falk mit Namen; einMenſch von derjenigen
Klaſſe, deren Element — Unruh iſt. Je ver-
wickelter eine Sache war, um deſto lieber uͤber-
nahm er ſie; von jedemGeſchaͤfte, welches er ein-
mal uͤbernommen, ging er nicht leicht, bevor er
es durchgeſezt hatte, wieder ab; auch war ſein
Weg dabei ſelten der gewoͤhnliche. Jn Geſell-
ſchaften war er munter, doch ſtritt er gern; war
oft in ſeinen Behauptungen raſch und dreiſt,
und nahm ſie doch nie zuruͤck. Mit dem Va-
ter des ungluͤcklichen R. war er ziemlich gut
bekannt geweſen; um den Handel des Sohnes
hatte er ſich wenig oder nichts bekuͤmmert.
Eben weil man uͤberall ſo viel druͤber ſprach,
hielt er es keines Wortes werth. Erſt jezt,
als er an einer großen Tafel mit dem Stadt-
richter von N—g zuſammen kam, als dieſer
viel von der unſaͤglichen Muͤhe ſprach, welche
ihm R. ſchon gemacht habe, und von der voͤl-
ligen Unmoͤglichkeit dieſen verſchmizten Suͤn-
der zum Geſtaͤndnis zu bringen, da uͤbereilte
D. Falken ſeine gewoͤhnliche Hizze, und er
behauptete: „Noch halt' er dieſen Jn-
„quiſiten fuͤr keinen verſchmizten Boͤſewicht,
„ſondern nur fuͤr einen etwas ſtandhaf-
„ten jungen Mann; und ſonderbar muͤſſe
„es zugehn, daß man einen ſolchen nicht,
„auch ohne Tortur, zur Beichte bringen
„ſollte, wenn man anders nur ſeine Sache
„geſcheut anzufangen wiſſe.“ Den Herrn
Stadrichter verdros dieſe Behauptung, und
mehr
mehr noch die angefuͤgteBeſchraͤnkung. Er redete
in ſeinerAntwort mancherlei von Menſchen, die
alles koͤnten, alles nur mit dem Munde moͤglich
faͤnden; und foderte zulezt den Doktor geradezu
auf, ſeine beſſere Einſicht zu beweiſen, mit dem
Verſprechen: daß einHochweiſerRath ihm allen
nur moͤglichen Vorſchub leiſten werde. Fal-
ke, der ſich beym Worte gehalten ſah, ſchlug
ein; nur auf vierzehn Tage oder drei Wochen
bedingte er ſich eine ſcheinbare Ruhe, um in-
deß ſeine Anſtalten zu treffen.
Noch dieſen Abend ſchrieb Falk nach H*, je-
nem Oertgen, wo R. fuͤnf Jahre ſo verſteckt
zugebracht hatte, und erkundigte ſich bei meh-
rern Perſonen zugleich: ob man waͤhrend die-
ſes Aufenthalts gar keine Lieblingsneigung an
dem Jeztverhafteten wahrgenommen habe? Die
einſtimmige Antwort war: „Keine! Jmmer
habe er ſich hier als der ſtillſte, ordentlichſte, vor-
wurffreieſte Menſch bewieſen; daß er zuweilen
mit einigen Bekanten ein Glas Rheinwein gern
getrunken habe, koͤnne man keine Lieblingsnei-
U
gung nennen. Berauſcht habe man ihn nie
geſehn.“ — Falk wußte nun genug. Schon vor-
her hatte er um Erlaubnis gebeten, mit dem
Gefangnen ein paarmal, wiewohl noch ſtets in
desKerkermeiſters Gegenwart, ſprechen zu duͤr-
fen. Einige Umſtaͤnde, die vaͤterliche Hand-
lung betreffend, waren zum Vorwand ge-
nommen worden. Willig hatte R. auf dieſe
Fragen Beſcheid ertheilt. D. Falk hingegen
ihm Mitleid mit ſeinem Zuſtand bezeigt, und
es ſogar auf eine freundliche Art bedauert,
daß er nicht zum Vertheidiger erwaͤlt wor-
den ſei. So waren ſie wieder von einan-
der geſchieden, und der Ungluͤckliche hat-
te jezt, — nach faſt zwei Jahren zum erſten-
male! — wieder eine Sprache gehoͤrt, die
ihm fremd geworden war; die Sprache der
Bedaurung! Sie that ihm wohl; doch haͤtt'
er Menſchenkenntnis genug gehabt, ihr jezt
noch nicht zu trauen. — Jn einigen Tagen
kam Falk wieder und leiſtete R. einen wuͤrkli-
chen Dienſt. Er hatte es ihm ausgewuͤrkt,
in einem beſſern Gemache, als ſein bisheriges
feuchtes war, aufbehalten zu werden. Unter
der Erde hatte R. nun ſchon bis im zwanzig-
ſten Monat geſchmachtet; ſein jezziges Gemach
war gleich neben den Zimmern des Kerkermei-
ſters ſelbſt, und hatte Tageslicht, obſchon
durch dicht vergitterte Fenſter. R. dankte ſeinem
Wohlthaͤter von ganzer Seele. Als ihn der-
ſelbe beim Weggehen fragte: Ob er vielleicht
nach irgend einer Erquickung ſehr verlange?
als er im voraus verſprach, ihm ſolche, wo
immer moͤglich, zu verſchaffen, — da ſtockte
R. ein wenig, und geſtand dann: „Wenn er,
auf ſeinem Stroh hingeſtreckt, oft ſeines Jam-
mers kein Ende ſaͤhe, hab' er zuweilen ge-
wuͤnſcht, nur mit einigen Tropfen des gering-
ſten Weines ſich Staͤrkung zu verſchaffen.“ —
„Sie ſollen deſſen eine Flaſche, und nicht vom
„geringſten haben!“ fiel ihm Falk in die Rede.
„Doch muß ich ihnen ſolchen ſelbſt uͤberbringen;
„und das kan erſt in drei oder vier Tagen ge-
„ſchehn, denn auf ſo lange verreiſ' ich heute
„noch.“ — Nicht ohne Urſache nahm er die-
U 2
ſen Aufſchub. Er wolte durch uͤbereilte Gefaͤl-
ligkeit R's Verdacht nicht erwecken; er wolt'
ihm auch Zeit goͤnnen, ſich wieder an ſein beß-
res Gemach zu gewoͤhnen.
Mit Anbruch des vierten Abends kam Falk,
in jeder Taſche ſeines Ueberrocks eine Flaſche
des treflichſten Rheinweins; auch ein paar
Speiſen, nicht lekker, doch wohlſchmeckend zu-
gerichtet, wurden ihm nachgebracht. Ein Trink-
geld, demKerkermeiſter in dieHand gedruͤckt, —
oder vielmehr der heimliche Befehl, den er des-
falls ſchon von der Obrigkeit hatte!—entfernten
auch dieſen laͤſtigen Zeugen; und Falk lud den
Gefangnen ein, mit ihm zu eſſen und zu trinken.
Man muß die Leiden des Kerkers entweder
aus Erfahrung kennen, oder wenigſtens ihrer
Schwere gemaͤß zu ſchaͤzzen wiſſen, um ſich
gnuͤgſam vorzuſtellen, welches Labſal der un-
gluͤckliche R. in dieſer Behandlung fand, mit
welchem unſaͤglichenWohlgeſchmack zumahl ein
Trank, den er ſo lange entbehren muͤſſen, ſeine
Kehle hinunter glitt.Nichtberauſcht, aber gleich-
ſam mit neuem Leben erfreut, mit neuen Kraͤf-
ten ausgeruͤſtet, vergaß er auf eine halbe
Stunde ganz, daß er in Ketten ſei; genoß nur
des gegenwaͤrtigen Augenblicks, und ſah in
dem Mann, der ihm denſelben verſchafte, der
um ihm wohlzuthun, keine andre Veranlaſſung
als Mitleid und Menſchlichkeit hatte, ein We-
ſen, den er kaum ſeinen Dank zu ſtammeln ver-
mochte. Zutrauen gegen einen ſolchen Menſchen
war unumgaͤnglicheFolge dieſesDanks. Ueber-
dies erſtickte alles Mistrauen, das ſonſt doch
wohl noch ſich geruͤhrt haben moͤchte, der
genoßne Wein, und die Sorgfalt, mit wel-
cher Falk durchaus von Rs. gerichtlicher Lage
zu ſprechen vermied. Einigemal hatte R.
ſelbſt davon angefangen; ganz kurz brach Falk
das erſtemal ab; warnte ihn das zweitemal
durch ein paar franzoͤſiſche Worte vor dem Zu-
horchen des Kerkermeiſters; und gab vor, nur
unter der ausdruͤcklichen Zuſage: hieruͤber
gar nicht mit ihm zu ſprechen, und noch min-
der ihm etwas anzurathen, die Erlaubnis des
U 3
Geſpraͤchs mit ihm erhalten zu haben. Erſt,
als R zum drittenmal wieder anhob; als troz
jezziger frohen Minute, und troz des Weines,
doch wieder auf die Zukunft zu denken begann,
und ſeinen Wohlthaͤter beſchwur, ihm zu ſagen:
was wohl noch ſeiner warten duͤrfte? da ſchien
D. Falk endlich einem unterdruͤckten Gefuͤhle
halb unwillkuͤhrlich Luft zu machen. Jndem er
aus der ſchon abnehmenden Flaſche noch ein
Glas ihm einſchenkte und hinreichte, ſprach
er: „Ungluͤcklicher, warum wilſt du mitGewalt
wiſſen, was ich ſogern dir verſchwiege? daß
du heute vielleicht nur Staͤrke zu neuen Lei-
den ſamleſt! daß allerdings wieder ein Be-
ſcheid da iſt; und daß er dir noch eine Folte-
rung ſo hart, wo nicht haͤrter, als die vori-
gen, zuerkent!“
R. bebte ſichtlich, und faßte doch ſogleich
ſich wieder. „Noch eine Folter? rief er: und
wenn mein Unſchuld auch dieſe uͤberſteht? — “
„Ja, junger Mann, wenn du unſchuldig biſt,
dann beklag' ich dich wuͤrklich! Denn auch nach
Ueberſtehung aller Martern bleibt ewiges Ge-
faͤngnis dein Loos. Und zwar nicht einGefaͤng-
nis, wie dieſes; nicht eines, wo ich weiter
dein Leiden lindern kann!“ — Nicht? Nicht?
Selbſt dieſes Gemach hier —“— „Erbat
ich dir nur bis zu einem neuen Verhoͤre. Blos
unter einer einzigen Bedingung behielteſt du
es fuͤr die uͤbrige Zeit deines Lebens!“ — Alſo
doch unter einer! und dieſe waͤre? Sie ſchwei-
gen? Sie zucken mit den Achſeln? Ha! ich
verſtehe — verſtehe alles, was Sie aus
ſchonender Milde mir nicht ſagen, und auch
nicht rathen wollen!“ — R. ſchwieg jezt ei-
nige Minuten hindurch. Daß in ſeinem Jn-
nerſten mancherlei ſich durchkreuze und empor-
arbeite, ſah man an ſeinen Geſichtszuͤgen.
Dennoch verriethen dieſe keineswegsWuth oder
Verzweiflung, nur ein unſtaͤtes Nachſinnen,
das jezt erwaͤhlte, jezt zweifelte, jezt wieder zu-
ruͤcknahm. — „Wohlan, rief er endlich, mein
Entſchlus iſt gefaßt. Nicht, als ob ich die
Folter, die ich ſchon zweimal ertrug, nicht
auch beim drittenmal fuͤr uͤberſteiglich hielte;
U 4
und noch weniger, als ob der Wein mich be-
rauſcht haͤtte! Aber dieſe Wohlthat, womit Sie
mich heute erquickt, dieſe herablaſſende Guͤte,
womitSie ſchon dreimal mich behandelt haben,
— im Gegenſaz jenes ewige Gefaͤngnis, was
mich bedroht — lieber Herr Doktor, wenn ich
wenigſtens bis zu meinemEnde dieſes Zimmer,
das Licht des Tages und den Anblick menſch-
lichen Mitgefuͤhls behalten darf, ſo — ſo ge-
ſteh ich alles!
„Junger Mann, bedenken Sie wohl, wozu
Sie ſich erbieten? Bedenken Sie auch, daß Sie
uͤber ſich ſelbſt das Urtheil eines wahr-
ſcheinlichen Todes faͤllen wuͤrden!“
O nein! eines gewiſſen Todes ſogar! Das
hab' ich ſchon laͤngſt uͤberdacht, als ich ſo
hartnaͤckig alles leugnete. Jmmer noch glimte
damals die Hofnung in mir, doch einſt wieder
zu Weib und Kindern durchzudringen. Der
Haͤrte haͤtt' ich getrozt bis zum lezten Le-
benshauch. Doch jezt — wenn Sie mir ver-
ſprechen, daß ich dieſes Gemach die wenigen
uͤbrigen Wochen hindurch behalte; daß ich ver-
ſchont mit fernern Qualen bleibe, und daß Jhr
Zuſpruch mich zu troͤſten fortfaͤhrt; ſo will ich
alles bekennen; will, wenn Sie Dinte und Pa-
pier in der Naͤhe haben, es Jhnen ſogleich in
die Feder ſagen. Jhnen lieber als meinen
Richtern! denn gegen Sie hat meine Seele
auch nicht den kleinſten verborgenen Winkel.“
Falk ließ nicht laͤnger ſich bitten, und ging,
um ein Schreibezeug zu holen ins Nebenzim-
mer. Schon war hier alles vorbereitet; bald
kam er wieder. Mit puͤnktlichſter Redlichkeit
bekannte nun R. ſeine That. Alles, was wir
ſchon wiſſen, zeigt' er an; außer dieſem auch
noch den Ort, wo er im Keller ſeines Hauſes ei-
genhaͤndig den Schmuck der Wittwe, ihren ſo-
genannten Nothpfennig, und in einem beſon-
dernKaͤſtgen alle entwandteDokumente verbor-
gen habe. „Erſtern zu verkaufen, ſagt' er, hab'
ihn ſtets noch die Furcht, und die ihm nuzloſen
Papiere zu vernichten, ein Ueberreſt von Ge-
wiſſenhaftigkeit abgehalten.“ — Vol-
lendet war iezt ſeine Beichte; aber der ſchlaue
D. Falk, wohlwiſſend, wie ungeſezlich alles
ſey, was er bisher gethan, erinnerte ihn nun
auch: „daß zur Bekraͤftigung ſeiner Ausſage
„die eigne Unterſchrift und das Zeugnis zweier
„unverwerflichen Zeugen noͤthig ſey. Schon
„hab' er deren ein Paar ins Nebenzimmer be-
„ſchieden. Alles bisherige haͤtten ſie mit ange-
„hoͤrt. Nunmehr woll' er ſie herbeirufen!“ —
„Zum erſtenmal ſtuzte jezt R. ein wenig; ſchien
zu merken, daß eine Falle ihm bereitet worden
ſey; war gleich drauf doch alles zufrieden. Jene
beide traten hinein. Er und ſie unterſchrieben.
Daß D. Falk dieſe wichtige Urkunde mit ſich
nahm, bedarf nicht erſt einer Erwaͤhnung.
Ob R. am andern Morgen nicht in Geheim
den Schritt, den er gethan, bereute, weiß
man nicht. Wenigſtens, als man vor Ge-
richt ihn fuͤhrte, und jenes unterzeichnete Pa-
pier ihm vorlegte, beſtaͤtigte er mit anſcheinen-
dem Gleichmuth alles. Auch gegen oder uͤber
den Mann, der ſein Geſtaͤndnis ihm abgelockt,
fuͤhrte er nie eine Klage. Das einzige Zeichen,
wodurch er doch einen gewiſſen innern Mismuth
verrieth, war, daß er nie wieder von dem
Weine trank, den Falk noch zweimal ihm ſchik-
te; und kaum ein paar Worte mit ihm ſprach,
als er noch einmal ihn beſuchte. — Man hielt
ihm von Seiten der Gerichte puͤnktlich, was
jener ihm verſprochen hatte. Auch einigen ſei-
ner ehmaligen Freunde geſtattete man den Zu-
tritt zu ihm. Oft verſicherte er ihnen, im ganzen
Leben keiner wiſſentlich ſchlechten That außer
jener einzigen ſich bewußt zu ſeyn. Seine
Angabe von Vergrabung der uͤbrigen Habſee-
ligkeiten ward richtig befunden. Wenigſtens
der groͤßre Theil davon kam in die Haͤnde der
rechtmaͤßigen Erben. Der Ungluͤckliche ſelbſt
erlitt vier Monate nach ſeinem Geſtaͤndniße
die Srafe des Rades von oben herab.
Es iſt mir unmoͤglich dieſe Geſchichte zu
ſchließen, ohne noch ein paar Bemerkungen ihr
beizufuͤgen. Vielleicht zwar, daß manche mei-
ner Leſer ſie bereits im Vergleich der uͤbri-
gen etwas lang erfanden. Aber wenigſtens
hab' ich ſolche nicht abſichtlich verlaͤngert. Aus
einem handſchriftlichen Aufſaz, von guter
Quelle mir mitgetheilt, oft mit woͤrtlichem
Extrakt der Akten begleitet, hab' ich ſie gezo-
gen. Noch manchen kleinen Zug haͤtte ich zwar
vielleicht weglaßen, manche Begebenheit in ihr
ſtaͤrker zuſammen draͤngen koͤnnen; aber dann
beſorgt' ich auch jenen Stempel zu verwiſchen,
welcher der Wahrheit immer vor der bloſ-
ſen Erdichtung einen merklichen Vorzug er-
theilt, und den ich grade hier hauptſaͤchlich
zu ſchonen wuͤnſchte.
R. ſcheint mir ein merkwuͤrdiges Beiſpiel
zu ſeyn, wie unſaͤglich ſchnell der Weg des La-
ſters bergabwaͤrts geht; oder vielmehr: wel-
che, im hohen Grade boͤſe, That ſelbſt derjenige
begehen, — wißentlich begehen kann, der
immer noch nichts weniger als ein eigentli-
cher Boͤſewicht iſt. — Ein Freund, dem ich
dieſe Erzaͤhlung in der Handſchrift wies, ſchalt
den Geiz als den Urquell von R's Verderben.
Mich daͤucht: ſelbſt dieſes Wort iſt noch zu
hart. Nur Furcht vor Armuth, nur
der anfangs ſehr verzeihliche Wunſch, nicht
tiefer herabzuſteigen, als er jezt
ſtehe, war der Grund ſeines Ungluͤcks. Man
nehme den einzigen Umſtand weg: daß R. ſich
nicht fuͤr den Sohn eines wohlhabenden
Mannes hielt; und man hat wahrſcheinlich
auch ſeine nachherige grauſende That mit allen
Zwiſchen-Veranlaßungen weggenommen. Er,
der ſelbſt bei jenem (ſonſt den Juͤngling ver-
zaͤrtelnden) Wahne zum thaͤtigen, geſchikten,
ordnungsvollen, jungen Mann ſich ausgebil-
det hatte, — er wuͤrde gewiß alles dies nicht
nur geworden, ſondern auch auf rechtem
Wege geblieben ſeyn, haͤtte er fruͤher ge-
wußt: daß ſein eigner Fleis ſein ganzer Reich-
thum ſey. Nur jene zertruͤmmerte Hofnung —
an deren Zertruͤmmerung er nicht Schuld
war! — nur Furcht vor Duͤrſtigkeit und Ver-
ſchlimmerung draͤngten ihn zur Wahl jenes
Huͤlfsmittels; zu einer ungleichen Heirath, die,
thoͤricht an ſich ſelbſt, ſeiner Unerfahrenheit
doch verzeihlich war. Seine Schaam hieruͤber,
als er die Misbilligung ſeiner Mitbuͤrger ſpuͤr-
te, — der Unwillen, als er bei der Eheſtif-
tung ſich fuͤr betrogen anſah, — ſeine Abnei-
gung beßre Bedingungen zu erſchmeicheln, —
ſein innneres Widerſtreben bei Annaͤherung ei-
nes zwangvollen Looſes, — ſein Entſchlus,
lieber auf gutes Gluͤck in die weite Welt zu
gehn, als daheim ſich verſpotten zu laſſen —
alles dies ſind Zuͤge, die mehr fuͤr als
wider ihn ſprechen. Selbſt der Wunſch,
den leztern, allerdings gewagten Schritt nicht
ohne den Ruͤckenthalt einer gefuͤllten Boͤrſe zu
thun, verraͤth nicht Geiz, ſondern wieder nur
Furcht vor unausbleiblichem Man-
gel, und iſt an ſich ſelbſt nicht tadelnswerth.
Man laſſe ihn gluͤcklicher in Eintreibung ſei-
ner Schulden ſeyn, und wer (wenn man ein
paar halbgetaͤuſchte Glaͤubiger ausnimmt,)
verzeiht nicht dem jungen, vor einem eh-
lichen Joch ſich fuͤrchtenden Manne ſein
Entweichen und ſeine Vorſicht bei demſelben?
An Gewaltthaͤtigleit, an eigentlichen Be-
trug gedacht' er damals gewiß noch nicht.
Sichrer waͤre ja dann fuͤr ihn die Ehlichung
der Witwe geweſen; ſich ihrer wieder zu ent-
ledigen, und doch ihr Vermoͤgen zu behalten,
waͤre ihm wahrſcheinlich um ein gutes Theil
leichter geworden. Nur die unſeelige Gele-
genheit, die ſich ihm darbot, nur die Ver-
zweiflung auf der andern Seite manche Be-
muͤhung fruchtlos angewandt zu haben, rißen
ihn hin. Von der That nun kein Wort wei-
ter! Sie ſpricht von ſich ſelbſt.
„Aber die Vorſicht, mit welcher er nicht
„nur entflieht, ſondern auch auf der Flucht
„ſelbſt ſich betraͤgt, ſpricht dieſe nicht von einem
„nun vollendeten Boͤſewicht?“ Auf den erſten
Anſchein allerdings faſt mehr noch, als jene
blutige That ſelbſt! Aber man vergeße nicht:
daß R. auf dieſe Entweichung, auf die Mittel
ſeinen Namen zu verbergen, auf die Art und
Weiſe, wie er auswaͤrts ſich betragen ſolle,
ſchon vorher, ehe noch ein Gedanke des Mordes
in ſeine Seele gekommen, in ganz andrer Ruͤk-
ſicht vorbereitet war. Sehr viel half ihm dies
wahrſcheinlich im Verfolg! Und auch dann —
kaum ſtoͤßt ihm hier eine Schwuͤrigkeit auf; oder
vielmehr, kaum macht er ſich ſelbſt eine, ſo bricht
er ſogleich von ſeinem Wege ab, und verbirgt
ſich. EineFurcht, die dem eigentlichenBoͤſewicht
nicht karakteriſirt! — Eben ſo wenig ſcheint
mir die Unbeſcholtenheit, die er nun ganzer fuͤnf
Jahre in ſeinem moraliſchen Betragen behaup-
tete, bloße Verſtellung geweſen zu ſeyn.
Zu anhaltend iſt ein ſolcher Zeitraum; zu leicht
lernt man, grade an kleinen Orten, in den noth-
wendig engern Cirkeln der Geſellſchaft, genau
ſich kennen; zu vielfach ſind die Pflichten, die
R. erſt als Untergebner, dann als Gatte,
Buͤrger und Handelsmann, zu erfuͤllen hatte,
als daß der bloße Heuchler ſich nicht wenig-
ſtens hier und da verrathen haben ſollte. Ja,
noch mehr, ſelbſt ſeltſam duͤnkt mich eine
ſolche moraliſche Beſſerung, der Form nach,
nicht. Nur auf das Erſtgeſagte darf man zu-
ruͤk gehn, und ſie erklaͤrt ſich von ſelbſt! —
R.
R. ſah ſich nun vor Mangel ge-
deckt; ſah ſich geſchaͤzt im Kreis,
worinnen er lebte. Mehr verlangte er
nicht! Jezt war er daher ganz derjenige wieder,
der er immer geweſen ſeyn wuͤrde, haͤtte er nicht
nach vaͤterlichem Tode ſich ſo unerwartet in ein
Labirinth verwickelt geſehn; oder haͤtte jener
freundſchaftliche Rath, den er ſpaͤterhin nur
halb und misgedeutet befolgte, ihn fruͤher un-
terſtuͤzt. Ob die Liebe zum Leben, und dieSehn-
ſucht nach Weib und Kindern, ſein nachmali-
ges Laͤugnen entſchuldigt; ob man gegen den
Gefolterten mehr Mitleid, ſeiner Standhaftig-
keit halber, oder mehr Misbilligung, ſeiner al-
lerdings hartnaͤckigen Erdichtung wegen, zu
aͤußern hat, — wag ich nicht zu entſcheiden;
und moͤchte ungern hierinnen dem Gefuͤhl mei-
ner Leſer vorgreifen.
Aber ſehr muͤſte ich mich irren: oder der
groͤßte Theil derſelben hat mit Misfallen ſein
Auge von Falkens Verfahren abgewandt;
hat es unedel, tuͤckiſch, — grauſam ſogar ge-
X
funden, daß er einem Ungluͤcklichen dasjenige
Geheimnis, das er ſchon zweimal, ſelbſt aus
der Marterkammer, unverrathen zuruͤckbrachte,
durch anſcheinende Guͤte dennoch zu entwin-
den wußte. — Zwar, da jede Sache in der
Welt ihre zwiefache Seite hat, ſo wuͤßt' ich,
wenn Falk jezt auftraͤte und fragte: „Was
„hab' ich aber, genau betrachtet, anders gethan,
„als die Gerechtigkeit unterſtuͤzt? Was hab'
„ich anders bezweckt, als — die Wahrheit
„ans Licht zu bringen? War R. etwa kein
„Verbrecher, der durch Raub und Mord, nach
„unſern Geſezzen, das Leben laͤngſt verwuͤrkt
„hatte? Verſchaft' ich nicht rechtmaͤßigen
„Erben auf dieſem Weg eine anſehnliche, ſonſt
„fuͤr ſie ganz verlorne Summe wieder?“
wenn er ſo fragte, ſo wuͤßt' ich wahrlich nicht,
was ſtrenge, foͤrmliche Gerechtigkeit dagegen
einwenden koͤnte. Aber daß er mein Herz nicht
uͤberzeugen wuͤrde; daß ich ſelbſt der Mann
nicht ſeyn wolte, der ſolche Verdienſte ſich er-
wirbt; daß ich ihn weder zum Bruder noch zum
Freunde haben moͤchte; — das weiß ich aller-
dings. Ueberhaupt ſchlaͤgt hier eine wichtige
Frage ein; eine der wichtigſten im ganzen Kri-
minal-Rechte! die Frage: „Darf der Rich-
„ter, es ſei mittelbar oder unmittelbar, dem
„Beklagten und Verdaͤchtigen ſein Geſtaͤndnis
„durch Liſt entlocken? Jſt dies nicht eben ſo
„ſchaͤndlich, ſo unbeweiſend, als Erpreſſung
„durch Gewalt?“ — Sich hier uͤber dieſen
Punkt weitlaͤuftig zu verbreiten, waͤre ganz ge-
gen Zeit und Ort. Schon haben uͤber ihnFreun-
de der Menſchheit und der Menſchlichkeit viel
geſchrieben; ſchon hat die Geſezgebung ſelbſt,
in einigenStaaten und in neuernZeiten, darauf
Obacht genommen. Aber noch iſt ſie in andern
weit — weit zuruͤck! Noch erlauben ſich ſehr
oft einzelne Richter, was die Geſezze im All-
gemeinen verbieten; und noch ſind uͤberhaupt
die Grenzen: wo loͤblicher Gerechtigkeits- Ei-
fer aufhoͤrt, und unredliche Liſt anfaͤngt,
nicht mit gehoͤriger Schaͤrfe gezogen worden.
X 2
Endlich, duͤnkt mich, tritt auch noch eine
Wahrheit mit großen Schriftzuͤgen aus dieſer
Geſchichte hervor; iſt ebenfalls eine von jenen,
die zwar ſchon oft gepredigt wurden; doch zu
oft kaum wiederholt werden koͤnnen. „Behan-
„delt, Gerichte, eureGefangne guͤtig! Oft wer-
„det ihr dann durch Milde von ihnen erfahren,
„was Strenge, und wohl gar Haͤrte, verge-
„bens zu erforſchen ſich beſtrebten!“ — Jn
mehrern Ungariſchen Komitatsgerichten waren
ſonſt, wie mich glaubwuͤrdige Zeugen verſi-
chern, zwei Perſonen angeſtellt, die man
(ſcherzweiſe, der Rolle halber, die ſie ſpiel-
ten,) den Teufel und den Engel zu nennen
pflegte. Wenn Landſtreicher, muthmasliche
Raͤuber, oder ſonſt verdaͤchtige Menſchen ein-
gefangen und vor dieſeGerichte geſtellt wurden,
ſo war jener ſogenanteTeufel der Erſte, welcher
ſie in Empfang nahm. Mit rauhem Tone, mit
Verſicherung, daß er ſchon alles wiſſe, mit Be-
drohung harter Leibeszuͤchtigungen, wenn ſie
nicht ſofort alles geſtaͤnden,begann ſich ſeinVer-
hoͤr. Bekanten dieAngeſchuldigten ihr Vergehen
wuͤrklich, ſo bedurft' es freilich keiner andern
Maasregeln. Ließen ſie ſich aber nicht ſchrecken,
ſo wurden ſie entweder auf ein Weilgen abge-
fuͤhrt, oder ihr bisheriger Unterſucher ward,
unter irgend einem Vorwand, weggerufen; —
kurz, es ward eine kleine Pauſe im Verhoͤr ge-
macht, und der Engel kam nunmehr an die
Reihe. Mit freundlichem, faſt mitleidigemTone
hob dieſer an; ſchalt ſelbſt auf ſeinenGenoſſen,
als auf einen harten, uͤberſtrengen Mann; ver-
ſicherte, daß man gleichwohl billig und glimpf-
lich mit ihnen umgehen werde, zumal wenn ſie
freiwillig geſtaͤnden, was ſich doch im Verfolg
nicht ablaͤugnen laſſe; fragte nach: ob ſie viel-
leicht hungrig oder durſtig waͤren? verſprach ih-
nen Befriedigung dieſer Beduͤrfniße, ſobald das
Verhoͤr geendigt ſei; kurz, ging mit ihnen auf
eine Art um, die ganz den Gegenſaz von jener
erſtern machte; und — wenn auch nicht alle-
mal, doch wenigſtens unendlich oͤfterer als dem
ſogenannten Teufel, gelang es dieſem anſchei-
X 3
nenden Engel des Lichts. Wenn Jener einen
ſchreckte, ſo uͤberredete dieſer wenigſtens viere.
Ob ein ſolches Verfahren noch dauert, weiß ich
nicht. Wahrſcheinlich iſt es ſeit K. Joſephs II.
Zeiten ganz erloſchen; auch bin ich weit davon
entfernt,daſſelbe anpreiſungswuͤrdig zu finden.
Es war,aufs gelindeſte geſprochen, immer eine
Art von Ueberliſtung, und Ueberliſtung
ſolte von jedem Gerichte, in jeder Sache, noch
ſo wichtig oder noch ſo geringe, auf ewig ent-
fernt bleiben. Aber wie weit wuͤrkſamer Guͤte
als Strenge ſei, ergiebt ſich doch augenſchein-
lich hieraus; und welchen maͤchtigen Eindruck
ſelbſt eine kleine Milde auf verſtockt ſchei-
nende Seelen machen koͤnne, davon mag zum
Beſchlus folgende Anekdote zeugen.
Vor ohngefaͤhr ſiebzehn oder achtzehn
Jahren wurden in Prag einige Juden gefol-
tert, die des Straßenraubs faſt ganz uͤber-
wieſen waren, aber aufs hartnaͤckigſte ihn ab-
laͤugneten. Selbſt die Folter brachte ſie nicht
zur Sprache. Vorzuͤglich uͤberſtand ſolche ein
ſchon ziemlich bejahrter Mann mit einerGleich-
guͤltigkeit, die alle Anweſende in Verwundrung
ſezte. Unter dieſen Anweſenden war auch,
ſeiner Amtspflicht gemaͤß, ſo ſehr ſein Herz
dabei litt, Graf K—gl, damals K. K. Ap-
pellationsrath, jezt Kreishauptmann in E.
Die Folter war endlich voruͤber; der Alte
ward noch uͤber einige Punkte befragt. Jn-
dem dies geſchah, zog K—gl von ohngefaͤhr
ſeine Schnupftobaksdoſe hervor, und das Au-
ge des Juden richtete ſich ſofort ſtarr auf die-
ſelbe. Der Graf bemerkte dieſes. „Schnupft
ihr vielleicht Tobak, Alter?“ — „Sonſt wohl,
und zwar ſehr gern! Jezt iſt es mir ſchon lange
nicht mehr ſo gut geworden, nur eine Priſe zu
bekommen.“ — „Hier habt ihr eine!“ und
der Graf ſchuͤttete ihm einen Theil ſeines To-
baks auf die Hand. Der Greis ſchnupfte;
eine Thraͤne trat ihm ins Auge; er ſchwieg
ein paar Minuten. „Gnaͤdger Herr, hob
er endlich an, Sie ſind brav; das ſeh'
ich. Die Folter haͤtt' ich uͤberſtanden. Aber
X 4
da Sie ſo menſchlich mit mir umgehn, ſo will
ich nun auch ohne Folter alles bekennen.“ —
Er that es wuͤrklich. Sein Geſtaͤndnis zog
bald drauf das Geſtaͤndnis der Uebrigen
nach ſich.
Man erzaͤhlt von Lips Tullian, jenem be-
ruͤhmten ſaͤchſiſchen Straßenraͤuber, eine faſt
aͤhnliche Geſchichte; ob mit Grunde weiß ich
nicht. Doch daß gegenwaͤrtige ihr nicht nach-
gemacht, und ungezweifelt wahr ſei; dafuͤr
buͤrgt mir das Zeugnis aus Graf K — gls
eignem Munde.
Einige Beiſpiele ſonderbar entdeckter
Meuchelmorde nach Fielding.
Heinrich Fielding, der unſterbliche Verfaſ-
ſer des Tom Jones, bekleidete bekanntermaßen,
in den leztern Jahren ſeines Lebens, das Amt
eines Friedensrichters in der Grafſchaft Mid-
leſex. Mehrern Bemerkungen nach war die Zahl
der Mordthaten in England nie ſo hoch ge-
ſtiegen, als eben damals. Fielding ſuchte,
— und wohl mit Recht — den Grund da-
von in der Verachtung religioͤſer Begriffe;
und um dieſem Laſter auch als Schriftſteller
entgegen zu arbeiten, gab er, vom Biſchof zu
Worcheſter ermuntert, ein Buͤchelgen unter
dem Titel heraus: Beiſpiele von Ein-
wuͤrkung goͤttlicher Vorſicht in Ent-
deckung und Beſtrafung des Mor-
des.Exemples of the interpoſition of Provi-
dence in the Detection and Puniſhment
of Murder London. 1752. 16. Eine
franzöſiſche Ueberſezzung führt den Titel:
Dieu vengeur du meurtre, prouvé par
plus de trente Exemples, ou la Provi-
dence s'eſt manifeſtée en decouvrant et
puniſſant les aſſaſins.
Schon dieſer bloße Titel zeigt hinlaͤnglich
Plan und Jnhalt des Werkleins ſelbſt an. Es
enthaͤlt drei und dreißig Faͤlle, wo Meuchel-
morde durch ſonderbare Umſtaͤnde ans Tage-
licht kamen. Daß nun allemal eine un-
mittelbare goͤttliche Vorſicht eingewuͤrkt
haben muͤſſe, kann man nicht ſagen. Denn
oft liegt der Grund der Entdeckung in einer
Unvorſichtigkeit des Thaͤters,Zum Beiſpiel in Chriſtinens und Lauriet-
tens Geſchichte. No. 2. und 8. oder in an-
dern ſehr natuͤrlichen Eigenſchaften des menſch-
lichen Herzens;z. B. No. 5. in dem Geſtändniß der er-
tappten Banditen. ſchon ſeltner, in Zufaͤl-
len, deren ſeltnes Zuſammenpaſſen allerdings
Verwundrung erregt,z. B. No. 1. 3. 7. und vorzüglich 9 und 11. und am allerſelten-
ſten in wahren Wundern — die vielleicht
ganz wegbleiben koͤnnten.Weshalb ich auch nur ein einziges No. 10.
ausgehoben habe. Einige Träume und Er-
ſcheinungen, die wahrlich mit genauern Zeug-
niſſen hätten belegt ſeyn müſſen, überging
ich. — Ueberdies
traͤgt das Ganze unverkennbare Spuren: daß
es nur fuͤr eine gemiſchte Klaſſe des Volks
und mit einiger Fluͤchtigkeit niedergeſchrieben
worden ſey. Daher ſind einige Anekdoten, —
z. B. von den Moͤrdern des Jbykus, vom
Beſſus, dem die Schwalben ſeinen Vatermord
vorzuwerfen ſchienen, vom Hunde, der die
Moͤrder ſeines Gebieters nach langer Zeit in
Pyrrhus Heer ausfindig machte, u. a. m. —
von allbekannter Art. Daher ſind andre, aus
nicht allzuguten Quellen, aus italieniſchen No-
velliſten vorzuͤglich, genommen. Daher feh-
len faſt uͤberall die noͤthigen Belege, und die
genauern Beſtimmungen von Zeit, Ort und
oft von den Namen ſelbſt. Nicht gerechnet,
daß der einfoͤrmige, ſtets mit Gewisheit vor-
auszuſehende Schlus, — die Verſichrung
nemlich: der Moͤrder oder die Moͤrderin ward
hingerichtet! — unumgaͤnglich bei oͤfterer Wie-
derholung etwas ermuͤdendes bei ſich fuͤhren
muß!
Doch wie es meiſtentheils der Fall bei
denjenigen Schriften iſt, die ein vortreflicher
Schriftſteller fluͤchtig hinwirft, — das Gan-
ze iſt nicht vorzuͤglich, aber einzelne Theile ſind
wenigſtens brauchbar und auszuheben! — ſo
duͤnkt mich, muß man auch dieſe Sammlung
von Kriminal-Anekdoten betrachten. Ver-
ſchiedne dieſer Geſchichten hat Fielding aus
eignem Erfahrungs- oder Ueberlieferungs-
Kreis genommen, und alſo zuerſt erzaͤhlt; an-
dre hat er aus Quellen entlehnt, die man in
dieſer Ruͤckſicht wenig kennt; und noch andre
hat er aus urſpruͤnglicher Weitlaͤuftigkeit gluͤck-
lich zuſammengedraͤngt. — Da nun, meines
Wiſſens, von dieſem Buͤchlein nie eine teutſche
Ueberſezzung erſchienen iſt; da ich ſogar zweifle,
ob es in die vollſtaͤndige Original-Sammlung
aufgenommen worden; — wenigſtens habe ich
es in derjenigen, die 1775 zu London erſchien,
und die alle uͤbrigen gerichtlichen Schriften vom
Fielding enthaͤlt, vergebens geſucht; — ſo
glaub' ich doch meine Zeit nicht ganz unrecht
verwandt, meinen Leſern keinen Stof zu bil-
liger Beſchwerde gegeben zu haben, wenn ich
von jenen drei und dreißig Geſchichten vierzehn,
die mir die merkwuͤrdigſten ſchienen, hier aus-
hebe. An Fieldings Ausdruͤcke hab' ich
mich nicht allemal aͤngſtlich gehalten; That-
ſachen hingegen keine einzige veraͤndert. An-
merkungen konnt' ich einigemal, (zumal bei ita-
lieniſcher und franzoͤſiſcher Juſtiz,) nur mit
Muͤhe, — und zwei oder dreimal auch troz
ſolcher nicht, — ganz zuruͤckhalten.
I.
Viktorine, eine junge adeliche Venetianerin,
war von ihren Eltern gezwungen worden, ei-
nen ſchon betagten Gemal zu ehlichen, und
hielt ſich fuͤr die Langweil und den Verdrus,
den er ihr verurſachte, zuweilen in den Umar-
mungen eines juͤngern Liebhabers, Syponti
mit Namen, ſchadlos. Sie that dies mit
ziemlicher Dreiſtigkeit; um aber noch ungebund-
ner in ihren Ausſchweifungen zu ſeyn, ward ſie
endlich mit ihremBuhler einig, ſich des Gemals
ganz zu entledigen, und Syponti ſezte dieſen,
ſchon an ſich ſchaͤndlichen Vorſaz auf eine Art
ins Werk, wo er noch vierfach ſchaͤndlicher
wurde.
Der gute Alte pflegte alle Abende zum Ver-
gnuͤgen in der Gondel zu fahren. Syponti
lauerte ihm in der ſeinigen auf; ſprang
in jenes Schiff; ſtieß raſch dem Greis ſeinen
Degen in den Leib; toͤdtete eben ſo ſchnell die
beiden Ruderer; warf alle drei Leichname ins
Waſſer; ſchwamm nach ſeiner Gondel zuruͤck;
ſtuͤrzte, nicht minder unvermuthet ſeinen eig-
nen, mitwiſſenden Gondolier uͤber Bord; ver-
zog bis tief in die Nacht hinein auf dem Schif-
fe; landete alsdann; ſchlich zu ſeiner Gebie-
terin, und meldete ihr froh, obſchon mit ſo
vielem Blute belaſtet, den gluͤcklichen Erfolg
ſeiner Schandthat.
Zur Vermeidung alles Verdachts ward
man einig, eine kurze Zeit hindurch ſich nicht
zu ſehn und zu ſprechen. Alles ging im An-
fang erwuͤnſcht. Ganz Venedig glaubte, daß der
arme Alte ertrunken ſey. Aber ohngefaͤhr acht
Tage nachher fanden einige Fiſcher ſeinen Leich-
nam, und man ſah, daß er ermordet worden
ſey. Mancherlei Muthmaßungen entſtanden
deshalb; doch blieb der Moͤrder unverhaftet,
wenn auch nicht unverdaͤchtig. Erſt als der
Bruder des Erſchlagenen nach Venedig kam,
gewann der Handel ein andres Anſehn. Die-
ſem war ſowohl die wenige Liebe, die Vikto-
rine gegen ihren Gatten gehegt, als auch ihr
Verſtaͤndnis mit Syponti ziemlich genau be-
kannt. Durch anſehnliche Geſchenke ſuchte erFe-
licien, Viktorinens vertraute Kammerfrau, zu
gewinnen, und — es gelang ihm. Dieſe, vom
Glanz desGoldes verblendet, verrieth nicht nur
den Liebeshandel ihrer Gebieterin vollſtaͤndig,
ſondern uͤberlieferte ihm auch einen Brief vom
Syponti, in welchem dieſerViktorinen mit ziem-
lich beſtimten Worten an den wichtigen Dienſt,
den er ihr geleiſtet, erinnerte. Die Gerichte,
als dieſes Schreiben ihnen vorgelegt wurde,
ließen ſofort Liebhaber und Geliebte verhaften,
und jedes beſonders einſperren. Syponti,
als er vernahm, daß ſein eigner Brief ihn ins
Gefaͤngnis bringe, glaubte anfangs: Vikto-
rine hab' ihn verrathen; doch da er Mittel
fand ihr zu ſchreiben, und Antwort von ihr
zu erhalten, ſah er aus dieſer lezten: daß Fe-
licie einen Brief untergeſchlagen haben muͤſſe,
und entſchlos ſich das Leben ſeiner Gebieterin
auf Koſten ſeines eignen zu retten. Auf der
Folter geſtand er daher ſogleich ſeinVerbrechen;
erklaͤrte aber Viktorinen bis ans Ende fuͤr
unſchuldig. So ward er hingerichtet, ſie
hingegen der Haft entlaſſen.
Nur alzubald vergaß dieſe Unwuͤrdige ihres
alten Gemahls ſowohl, als ihres jungen Lieb-
habers, und warf ſich dem groͤſten Wuͤſtling
in ganz Venedig, Namens Faßino, in die Ar-
me; heirathete ihn auch, allen vaͤterlichen
Vorſtellungen zuwider. Die Strafe blieb
nicht lange aus. Faßino begann in kurzem
ſeine Gemalin zu mishandeln, und ſich der nie-
drigſten Schwelgerei, den feilſten Dirnen Preis
zu geben. Viktorinens Neigung verkehrte ſich
hierdurch ebenfalls in den bitterſten Haß, und
zu Mordthaten ſchon gewoͤhnt, ſuchte ſie auch
dieſen Gatten ſich vom Halſe zu ſchaffen. Jn
dieſer Abſicht ließ ſie einen Neapolitaniſchen
Apotheker, Auguſtino mit Namen, der eben
damals nach Venedig gekommen war, zu ſich
rufen, und verſprach ihm eine anſehnliche Be-
lohnung, wenn er ihren Mann vergiften wolle.
Doch dieſer, weit entfernt zu einer ſolchen
Y
Schandthat ſich brauchen zu laſſen, ermahnte
ſie ernſtlich von einem ſo ſchwarzen Vorhaben
abzuſtehen. Geruͤhrt ſchien ſie ihm zuzuhoͤ-
ren. Mit Hand und Mund verſprach ſie ihm
zu folgen. Doch einige Tage nachher kaufte
ſie ſich heimlich Arſenik, feſt entſchloſſen, ſol-
ches bei erſter beſter Gelegenheit dem Faßino
beizubringen.
Einſt, als er nach ſeiner gewoͤhnlichen Sitte
von einer Luſtbarkeit ziemlich ſpaͤt nach Hauſe
kam, und eine Schaale Huͤnerbruͤhe begehr-
te, befahl Viktorine ihrer Kammerfrau ſolche
fuͤr ihn zu beſorgen, kaum aber wandte dieſe
den Ruͤcken, ſo ſchuͤttete jene die Haͤlfte des
Arſeniks in die Bruͤhe; die andre Haͤlfte
wußte ſie ſchlau genug in Feliciens Koffer zu
bringen.
Faßino ſtarb; — ſtarb unter Umſtaͤnden,
die offenbar auf Vergiftung ſchließen ließen.
Viktorine und ihre Kammerfrau wurden ſo-
fort verhaftet. Jm Koffer dieſer Leztern fand
man das bewußte Gift. Jhre Schwuͤre gal-
ten nichts gegen den Augenſchein. Sie ward
zum Strange verurtheilt, und Viktorine aber-
mals freigelaſſen. Doppelt vergnuͤgt mochte
jezt dieſe nichtsnuͤzzige ſeyn. Sie hatte un-
geſtraft ihren Gatten ermordet; hatte ſich ne-
benbei an Felicien geraͤcht, die ſie ſeit jener
Verraͤtherei im Herzen zwar entſchieden haßte;
die ſie aber doch beibehielt, damit ſie, im Fall
der Verabſchiedung, nicht ein mehreres von ih-
rem ausſchweifenden Leben entdecken moͤchte.
Der Tag der Hinrichtung ward anberaumt.
Felicie war bereits auf dem Hingang zum Gal-
gen begriffen; und in eben dem Augenblick
mußte, durch eine ſonderbare Schickung, Au-
guſtino, jener Neapolitaniſche Apotheker, bei
der St. Markus-Bruͤcke landen. Er ſieht
eine große Menge Volks herbeieilen, fragt um
die Urſache dieſes Zuſammenlaufs; und er-
faͤhrt: daß eine Kammerfrau von Viktorinen
gehaͤngt werden ſolle, weil ſie ihren Gebieter
vergiftet habe. Er ſtuzt nicht wenig uͤber dieſe
Y 2
Nachricht. Die eigentliche Beſchaffenheit der
Sache daͤmmert ſofort vor den Augen ſeines
Geiſtes. Er draͤngt ſich zu den Gerichtsper-
ſonen hin, die immer einer ſolchen Hinrich-
tung beizuwohnen pflegen. Er bittet ſie, die-
ſe Strafhandlung nur noch auf einige Minu-
ten zu verſchieben, weil er etwas Wichtiges
ihnen zu entdecken habe. Seine Bitte wird
ihm gewaͤhrt; und nun erzaͤhlt er das Ge-
ſpraͤche, das er mit Viktorinen hielt, als ſie
Gift von ihm fuͤr ihren Gemal begehrte. Daß
eine ſolche Erzaͤhlung den Richtern auffallen
mußte, ergibt ſich von ſelbſt. Man ſchickt ſo-
fort nach Viktorinen. Sie koͤmmt, zuverſicht-
lich genug. Aber kaum erblickt ſie den Apo-
theker, ſo erblaßt ſie und ſinkt ohnmaͤchtig zu
Boden. Man bringt ſie ins Gefaͤngniß, und
in der naͤchſten Stunde auf die Folter. Doch
gleich bei den erſten Verſuchen bekennt ſie nun
alles — ihre Mitwiſſenſchaft um den Mord
ihres erſten Gemals, Faßinos Vergiftung,
und den Plan Felicien ihrer Rache aufzu-
opfern.
Der ganze Gerichtshof ſchauderte bei der
Abſcheulichkeit ſo vielfaͤltiger Verbrechen. Die
Kammerfrau ward ſofort entlaſſen. Ueber
ihre Gebieterin erging das Todes-Urtheil in
moͤglichſter Strenge.
Y 3
II.
Signor Thoniari Vituri, ein Mailaͤndiſcher
Edelmann zu Pavia, hatte eine einzige Toch-
ter, Chriſtine mit Namen; ein Maͤdchen von
ſo unvergleichlicher Schoͤnheit, daß ſie die Au-
gen aller jungen Maͤnner in ihrer Vaterſtadt
auf ſich zog. Vor vielen andern bewarb ſich
Signor Gaſperino um ihre Gunſt. Geburt,
Vermoͤgen, Geſtalt und Herz empfahlen ihn
kraͤftig genug; und eben konnt' er ſich mit der
gegruͤndeteſten Hofnung ihres baldigen Ja-
worts ſchmeicheln, als er den ungluͤcklichenEin-
fall hatte, auch ſeinen vertrauteſten Freund,
Piſani, in dieſem Hauſe aufzufuͤhren. Piſani
war allerdings noch wohlgewachſner und rei-
zender, als Gaſperino. Chriſtine ſah und ſprach
ihn kaum, ſo fuͤhlte ſie Liebe gegen ihn;
durch Blicke, Worte, und bald drauf durch ein
zaͤrtliches Briefchen geſtand ſie ihm ihre Em-
pfindung. Piſani ließ ſolche nicht unerwie-
dert. Ohne Bedenken opferte er ſeinen Freund
einer ſolchen Geliebten auf. Jn wenigen Ta-
gen vernahm ganz Pavia mit Verwundrung,
daß Chriſtine ſeine Gattin geworden ſey.
Gaſperinens gerechterUnwille laͤßt ſich leich-
ter denken, als beſchreiben. Ein Brief, voll
bittrer Vorwuͤrfe wegen gebrochner Freund-
ſchaft, ſchloß ſich mit Piſanis Herausfode-
rung. Sie ſchlugen ſich; Piſani ward er-
ſtochen; Gaſperino floh. Doch da er bei die-
ſem ganzen Handel als ein Mann von Ehre
ſich betragen hatte, erhielt er bald gerichtliche
Verzeihung, und erſchien wieder zu Pavia.
Unwiderſtehlich iſt die Gewalt der Liebe!
Gaſperino, von Chriſtinen ſo unwuͤrdig verra-
then, ſah kaum dieſe gefaͤhrliche Schoͤnheit
wieder, ſo entbrant' er von neuem gegen
dieſelbe. Alle Schuld trug in ſeinen Gedan-
ken Piſani; dieſer hatte verfuͤhrt; Chriſtine
blos gefehlt. Er begann daher abermals
ihr ſeine Aufwartung zu machen; ſie betrach-
tete ihn mit dem lebhafteſten Gefuͤhl von Haß
und Rachbegier; doch um die leztere zu befrie-
Y 4
digen, verbarg ſie ſchlau genug den erſtern.
Unterm Vorwand, daß ſie den Moͤrder ihres
Gemals nicht oͤffentlich beguͤnſtigen duͤrfe, ver-
ſprach ſie ihm in einem Garten, der dicht an
ein Nonnenkloſter ſtieß, eine heimliche, naͤcht-
liche Zuſammenkunft. Der freudetrunkne
Gaſperino unterließ nicht ſich einzufinden.
Auch Chriſtine kam, doch — von zwei Ban-
diten begleitet. Auf ein gegebnes Zeichen ſtuͤrz-
ten beide uͤber den Ungluͤcklichen her. Verge-
bens wehrte er ſich wie ein Loͤwe; von vielfa-
chen Wunden durchbort, ſank er endlich zu
Boden. Da er ſterbend noch einige laute,
tiefgeholte Seufzer ausſtieß, ſtopfte Chriſtine,
aus Furcht, man koͤnne dies in der Nachbar-
ſchaft hoͤren, ihr eignes weiſſes Schnupftuch
ihm in Mund; dann ſchleifte man ſeinen Leich-
nam in die andre Ecke des Gartens und warf
ihn in einen Brunnen.
Wuͤrklich hatten die Nonnen im Kloſter ein
Degengeklirre gehoͤrt, und ſchickten des andern
Morgens nach dem bewußten Ort. Man fand
allda eine Menge vergoßnen Blutes. Alle
Wundaͤrzte der Stadt wurden davon benach-
richtigt. Da Gaſperino allerdings beide Ban-
diten, bevor er geſunken, verwundet hatte;
da ſie zu einem Wundarzt, um ſich verbinden
zu laſſen, ſchickten, und da man gleich drauf
den Gaſperino vermißte, ſo wurden ſie jezt
als ſeine Moͤrder beargwohnt und verhaftet.
Sie leugneten, gaben vor, ſich unter einander
ſelbſt geſchlagen zu haben; kamen zwar beide
auf die Folter, aber uͤberſtanden ſie auch
ohne eine Silbe zu bekennen. Chriſtine, von
dieſem allem benachrichtigt, glaubte ſchon
außer Gefahr zu ſeyn.
Da indeß Gaſperino nirgends ſich blicken
ließ, ſo bezeigte die Obrigkeit viel Sorgfalt
ſeinetwegen, und durch langes Nachſuchen fand
man endlich ſeinen Leichnam in jenem Brunnen.
Gleichwohl blieben ſeine Moͤrder immer noch
unentdeckt; denn die zwei Banditen beharrten
feſt auf ihrem Leugnen. Erſt nach abermali-
ger, genauer Beſichtigung fand man im Mun-
Y 5
de des Entſeelten ein Schnupftuch, und in ei-
nem Zipfel deſſelben Chriſtinens Namen. Mehr
brauchte es nicht, um ſolche zu verhaften, und
auf die Folter zu ſpannen. Sie geſtand ſo-
fort ihr Verbrechen; gab ihre beiden Mitge-
noſſen an, und alle dreie wurden gehaͤngt.
Die Koͤrper der zwei Banditen warf man nach-
her in den Po. Der Leichnam der grauſamen
Chriſtine aber, die zum Morde noch die ſchwaͤr-
zeſte Verraͤtherei gefuͤgt hatte, ward verbrannt,
und ihre Aſche in die Luft verſtreut.
III.
Herr von Laurier, ein ziemlich bemittelter
Juwelier aus Dijon in Bourgogne, kam von
der Frankfurter Meſſe zuruͤck, und hatte in
ſeiner Chatulle ſiebzehn hundert Thaler, die er
aus verkauften Edelſteinen geloͤßt, nebſt eini-
gen andern Sachen, die an Werth ohngefaͤhr
eben ſo viel betragen mochten. Zu Salines
ward er ploͤzlich krank; ſo krank, daß er im
Wirthshauſe liegen bleiben mußte. Seine Rei-
ſegefaͤhrten trennten ſich von ihm mit dem
Wunſche baldiger Beſſerung. Er ſelbſt, da
ſein Fieber immer noch zunahm, ſchickte nach
einem Arzt im Orte. Dieſer, Namens de la
Motte, kam, verſchrieb ihm einige Mittel, und
ſie wirkten ſo erwuͤnſcht, daß der Kranke bald
des Doktors nicht mehr zu beduͤrfen glaubte.
Er entließ ihn daher mit einem kleinen Ge-
ſchenk, und wuͤrde wahrſcheinlich bald, voͤllig
geneſen, ſeine Heimreiſe vollendet haben, haͤtte
nicht ein ungluͤckliches Schickſal es anders mit
ihm gefuͤgt.
Adrian, der Beſizzer des Gaſthofs, hatte
indeß den unſeligen Wahn gefaßt, daß ſein
Gaſt unermeßliche Reichthuͤmer bei ſich fuͤhre;
hatte den noch unſeligern Entſchlus hinzuge-
fuͤgt, ſich deren zu bemaͤchtigen, und den Rei-
ſenden unbemerkt zu ermorden. Er entdeckte
dieſen Vorſaz ſeinem Weibe; ſie ſchauderte zu-
ruͤck, und beſchwur ihren Mann mit Thraͤnen
einen ſo ſchrecklichen Gedanken aufzugeben.
Der Nichtswuͤrdige ſah bald, daß er ſie nicht
zur Theilnahme bereden werde; er ſtelte ſich
daher von ihren Bitten geruͤhrt, von ihren
Gruͤnden uͤberzeugt; unterm Vorwand, daß
ihr Vater gefaͤhrlich krank ſei, wußt' er ſie ei-
nige Meilen weit zu entfernen, und ſchritt
dann ſofort zur Sache. Noch ein anderer
Boͤſewicht, durchs Angebot der halben Beute
gewonnen, war ſein Gehuͤlfe. Des Nachts
uͤberfielen ſie den Juwelier in ſeinem Bette,
erwuͤrgten ihn, und vergruben den Leichnam
auf einer benachbarten Wieſe. Als zehn Ta-
ge drauf die Gaſtwirthin zuruͤckkam, uͤberre-
dete ſie ihr Mann: Herr von Laurier ſei
ſchon ſeit einer Woche friſch und geſund nach
Dijon abgereiſt. Das Pferd des Ermorde-
ten hatte Adrians Mordgehuͤlfe im Wald ge-
fuͤhrt, und geſattelt und gezaͤumt laufen laſ-
ſen. Vielleicht, glaubten ſie, werd' es den
Weg nach Hauſe finden, und die Familie des
Ungluͤcklichen, wenn ſie das Roß ledig ankom-
men ſaͤhen, muthmaßen: ſein Herr, ihr Ver-
wandter, ſei im Walde gepluͤndert und ermor-
det worden.
Schlau genug waren dieſe Maasregeln.
Ein Monat verging; niemand ſprach noch
von dieſem Unfall. Nach dieſer Zeit gingen
einige Perſonen aus der Nachbarſchaft bei der
Wieſe vorbei, wo Lauriers Leichnam lag. Sie
erblickten einen Wolf, der vom Walde herein-
gekommen ſeyn muſte, und an einem menſchli-
chen Koͤrper zu freſſen ſchien. Theils in der
Ungewißheit, ob ein Knabe vielleicht vom
Wolf getoͤdtet worden; theils um das Thier
ſelbſt zu erlegen, ſprangen ſie uͤber den Zaun.
Der Wolf entfloh. Es war Lauriers Leich-
nam, den er aus der Erde herausgeſcharrt
hatte. Daß dieſer Koͤrper noch nicht lange
hier liegen konte, ſah man wohl; und da ihn
niemand kante, ſo trug man ihn auf den
Markt, um dort durch oͤffentliche Ausſtellung
vielleicht hinter ſeinen Namen zu kommen.
Wuͤrklich war er kaum dort, ſo ging der Arzt
de la Motte vorbei, und erkannte ihn fuͤr den
Fremden, den er vor Monatsfriſt im Gaſthof
behandelt habe. Auf ſeine Angabe umring-
ten ſofort Gerichtsperſonen das Wirthshaus
und hielten Durchſuchung. Die Wirthin
nebſt allem Geſinde wurde verhaftet. Der
Einzige Schuldige, ihr Mann, entkam dies-
mal noch.
Durch ein Ohngefaͤhr war dieſer Nichts-
nuͤzzige grade bei ſeinem Spiesgeſellen, und
zechte mit ihm, als die Nachricht von dem ge-
fundnen Leichnam und von des Raths ge-
nommnen Maasregeln erſcholl. Sie ergriffen
ſofort die Flucht. Jhre Abſicht war, nur
des Nachts zu fliehen, und des Tags hindurch
ſich im Gebuͤſche zu verſtecken. Sie gingen
wuͤrklich einige Naͤchte hindurch. Aber am
fuͤnften Morgen befanden ſie ſich zu ihrem
großen Erſtaunen wieder am Eingange des
Gebuͤſches ohnweit Salines. Ob auch hier-
bei eine hoͤhere Gerechtigkeit obgewaltet? Oder
ob blos eine natuͤrliche, bei naͤchtlichen Reiſen
nicht ungewoͤhnlicheVerirrung vorgefallen ſei?
Wer kan dies zu entſcheiden wagen! Kurz, von
Anſtrengung und Hunger ermattet konten die
Schuldigen nicht weiter, ſondern warfen ſich im
Schatten eines Baumes nieder, und ſchliefen
ein. Kaum war dies geſchehen, ſo ritten grade
bei dieſem Wege vorbei — der Sohn des Er-
mordeten, und der Arzt de la Motte, der ihn zur
Leiche ſeines Vaters abgeholt hatte. La Motte
erkante ſofort mit neuem Erſtaunen die beiden
Schlafenden; da ſie es aber mit zwei verzwei-
felten Menſchen zu thun gehabt haben wuͤr-
den, ſo wagten ſie nicht dieſelben aufzuwe-
cken und anzugreifen. Erſt als noch einige
Landleute dazu kamen, bemaͤchtigte man ſich
ihrer, und zwar ohne den geringſten Wider-
ſtand. Daß ſie jezt der Haft, und ſpaͤter
dem peinlichen Gericht uͤberliefert wurden,
bedarf wohl nicht erſt der Erwaͤhnung?
IV.
Jm Dorfe Spreazo, funfzehn Meilen von
Breſcia, im Gebiet der Republik Venedig ge-
legen, lebte auf einem kleinen Grundſtuͤck ein
Landmann, Alibius mit Namen, viele Jahre
hindurch mit ſeinem Weibe, Menille, in fried-
lichſter Eintracht. Eine Tochter, Amalia ge-
nannt, war die einzige Frucht ihrer Ehe. Erſt
als Alibius ſelbſt ſchon allmaͤlig zu altern be-
gann, ward er ſeiner, freilich auch nicht mehr
reizenden, Frau uͤberdruͤßig. Haͤusliche Zwi-
ſtigkeiten, immer von ihm zuerſt veranlaßt,
ſchlichen ſich ein. Endlich verließ er Weib
und Kind ganz; und ging nach Breſcia, um
dort ſein Unterkommen zu ſuchen.
Er fand Eintritt im Hauſe eines Mannes
vom Stande; und weil er ſich im Dienſte
deſſelben einige Jahre hindurch mit vielem Ei-
fer betrug, verhalf ihm ſein Gebieter endlich
zur Belohnung ſeiner Treue beim Magiſtrat
Z
dieſer Stadt zu dem kleinen Poſten eines Kanz-
lei-Dieners. Auch hier fuhr er fort, ſich als
ein Mann von Rechtſchaffenheit zu betragen;
erwarb ſich das Zutrauen aller Nachbarn und
Bekannten; und wuͤrde wahrſcheinlich bis an
ſeinen Tod im beßten Rufe verblieben ſeyn,
haͤtte nicht diejenige Leidenſchaft, die ſchon
manchen braven Mann zum Schelmen, und
nur ſelten dieſen Leztern zum redlichen Mann
umformte, — haͤtte Liebe nicht ihm einen
ſchlimmen Poſſen geſpielt.
Alibius hatte ſchon ſeit einiger Zeit Bekannt-
ſchaft mit einer jungen, ſchoͤnen, bemittelten
Wittwe gemacht. Sie gefiel ihm ausnehmend,
und troz des merklichen Unterſchieds ihrer
Jahre hatt' er auch ihr zu gefallen gewußt.
Sie zu heirathen, es koſte auch, was es wol-
le, war ſein feſter Entſchluß; und da ſeine
noch lebende Frau das Haupthindernis bei
dieſem Vorſaz ausmachte, ſo ſuchte er ſich
derſelben auf alle nur moͤgliche Art zu entle-
digen.
Er kaufte ſich in dieſer Abſicht zu Breſcia
eine betraͤchtliche Doſis Gift; ritt dann nach
Spreazo; ſtieg bei ſeiner Frau ab; uͤberhaͤuf-
te ſie mit Freundlichkeiten, und ſchien die vo-
rige Eintracht wieder erneuern zu wollen.
Dieſes gute Weib, die ſchon ſo lange von ih-
rem Manne nichts wußte, freute ſich bei die-
ſer ſcheinbaren Ruͤckkehr von ganzem Herzen,
und da er hier uͤbernachten wollte, trug ſie
ihm zum Abendeſſen auf, was ihre Armuth
vermochte, — Milch und Fruͤchte. Er aß
von dieſen leztern, aber er warf, ſo wie die
geſchaͤftige Alte nur einmal den Ruͤcken wand-
te, einen guten Theil des Gifts in die Milch-
ſchaale; blieb dann die Nacht bei ſeiner Gat-
tin; und eilte des andern Morgens ſehr fruͤh
nach Breſcia zuruͤck. Alle Tage hofte er nun:
daß die Nachricht von Menillens Tode ein-
treffen werde.
Als eine reichliche Woche verfloß, und er zu
ſeiner Verwunderung immer noch nichts er-
fuhr, wiederholt' er ſeinen Beſuch mit dem
Z 2
Vorſaz, auch jene Doſin, wo moͤglich, zu ver-
doppeln. Er fand ſein Weib krank, und ſei-
ne Tochter in Thraͤnen. — „Die Mutter, er-
zaͤhlte ſie ihm, ſey nach dem Genuß derjenigen
Milch, die ſie ihm vorgeſezt, und die er ſtehn
laſſen, toͤdtlich krank geworden.“ — Alibius
ſpielte zum Schein den Betruͤbten; im Herzen
grollte es ihm zwiefach. Nicht nur, weil ſeine
Abſicht vereitelt worden; (denn Menille befand
ſich auf der Beſſerung;) ſondern weil er auch
in dieſer Erzaͤhlung einige Spuren von Verdacht
gegen ſich ſelbſt zu entdecken glaubte. Er liebte
uͤberhaupt Amalien nicht. Sie war waͤhrend
ſeiner Entfernung verheirathet, Mutter von
mehrern Kindern, wieder Wittwe, und in jeder
Ruͤckſicht ein braves Weib geworden. Doch
die Sorgfalt, die ſie fuͤr Menillen hegte, em-
pfahl ſie ſchlecht in Alibius Augen. Er huͤtete
ſich bei ſolchen Umſtaͤnden wohl, nochmaligen
Gebrauch von ſeinem Gifte zu machen. Er
entfernte ſich vielmehr bald; kam aber tief in
der Nacht zum drittenmal wieder, und pochte
halbleiſe an die Hausthiere. Seine Enkelin,
ein Maͤdchen von neun oder zehn Jahren, oͤf-
nete dieſelbe. Er ſtuͤrzte in die Kammer,
wo ſein Weib lag und ſchlief. Mit einem
Stuͤck Holz zerſchmetterte er auf einen Schlag
ihr die Hirnſchaale; ſprengte dann mit ver-
haͤngten Zuͤgeln nach Breſcia, und erſchien
dort, ſchon des andern Morgens um ſechs
Uhr, abſichtlich in einer Amtsverrichtung, da-
mit Niemand ſeine Reiſe muthmaßen koͤnne.
Das Kind, das ihm die Thuͤre eroͤfnet, kannte
ihn wirklich nicht. „Ein Raͤuber ſey mit
Gewalt ins Haus gedrungen, und habe die
Großmutter getoͤdtet!“ das war deſſen ganze
Ausſage vor Gericht.
Als dieſer Mord in Breſca erſcholl, ſtellte
ſich Alibius herzlich betruͤbt bei der Nachricht;
heirathete aber bald darauf jene junge, ſchoͤne
Witwe, die ohne ihr Wiſſen die Veranlaſ-
ſung von dieſem allen war. Er hofte die
Frucht ſeines Frevels nun in ſtolzer Ruhe zu
genießen; aber die raͤchende Hand der allſe-
Z 3
henden Vorſicht ſchwebte bereits uͤber ihn. —
Nur wenige Tage hatte er in ſeinem neuen
Eheſtande verlebt, ſo kam einer von ſeinen
alten Bekannten nach Breſcia, ging in ein
Weinhaus, und erzaͤhlte daſelbſt halbberauſcht:
Alibius und ſeine Tochter Amalia haͤtten zu-
ſammen die alte Menille erſchlagen. Bald
verbreitete ſich dieſes Geruͤcht weiter in der
Stadt, und fand hier und da Glauben. Selbſt
die Obrigkeit, als es ihr kund ward, ließ den
Alibius und auch den Urheber jener Sage vor-
fordern, um beide gegen einander abzuhoͤren.
Alibius leugnete dreiſt; und auch der zweite
verſicherte: Er habe zwar allerdings im
trunknen Muthe dergleichen Reden ausgeſtoſ-
ſen; wiſſe aber nicht den geringſten Grund zu
dieſem Argwohn anzufuͤhren, und bitte, nach
verflognem Rauſch, ſeinen alten Freund herz-
lich um Verzeihung.
Man entließ auf dieſe Erklaͤrung beide.
Da aber unter den Gerichts-Beiſizzern einer
merkte: daß auch ein falſches Geruͤchte nicht
leicht ganz ohne Grund, ſo wenig als ein
Rauch ganz ohne Feuer entſtehe; da uͤberdies
Alibius zwar ſich ſelbſt vertheidigt, in Ruͤckſicht
ſeiner Tochter aber ſehr unbeſtimmt ſich ausge-
druͤckt hatte; ſo beſchlos man, doch noch mit
der Unterſuchung nicht ganz abzubrechen, ſon-
dern auch Amalien zu verhaften. Es geſchah.
Sie ward vor Gericht gefuͤhrt und befragt:
Ob ſie an dem Morde ihrer Mutter keinen An-
theil habe? Ganz ſchuldlos in ihrem Gewiſ-
ſen, erſchrack ſie bei einem Vorwurf, der ſo
unerwartet und ſo ungerecht zugleich kam.
Aber grade dieſes Erſchrecken galt fuͤr einen
Anklage-Grund mehr gegen ſie. Man war
grauſam genug, ſie auf die Folter zu werfen;
und ſie uͤberſtand ſolche mit einer Gelaſſenheit
und Standhaftigkeit, wie man nur ſelten ſie
findet.
Jezt haͤtte die Schuldloſe doch wohl ent-
laſſen werden ſollen! Und wuͤrklich wollte
man es thun. Aber — ſchaͤndlich und un-
glaublich beinahe! — jezt trat ihr eigner Va-
Z 4
ter, der ſie ſchon erwaͤhntermaßen haßte, noch
einmal gegen ſie auf; ſagte geradezu: daß er
ſchon lange einen Verdacht wider ſie hege;
und rieth, ſie abermals zu foltern, weil ſie
dann wohl dieWahrheit bekennen wuͤrde. Ohne
Zweifel hofte der graͤslicheBoͤſewicht, ſie wuͤrde
den Schmerzen unterliegen. Auch unterlag ſie
allerdings denſelben, nur nicht ſo wie er dachte.
Denn empoͤrt in ihrem Jnnerſten durch eine
ſo unnatuͤrliche Grauſamkeit, bat ſie, als ſie
das zweitemal auf die Folter gebracht ward,
nur um das Gehoͤr eines Augenblicks; und
erhielt auch daſſelbe. Nunmehr erzaͤhlte ſie
frei heraus: welchen Argwohn ſie ſchon eh-
mals gegen ihren Vater bei jener Milch gefaßt
habe, welche die Mutter bei ſeiner Anweſen-
heit genoſſen, und gleich drauf toͤdtlich krank
geworden ſey. Doch dieſe Ausſage ward
wenig geachtet. Theils ſchien es eine Tuͤcke
zu ſeyn, womit Amalia an ihrem Vater ſich
raͤchen — theils eine Liſt, wodurch ſie ihr
eignes Leben retten wolle. Man war daher im
Begrif mit der Marter fortzufahren.
Aber zum Gluͤck fuͤr die Aermſte war grade
der Apothecker-Burſche zugegen, bei welchem
Alibius das Gift gekauft hatte. Er erinnerte
ſich noch genau des Tages, wo jener zu ſei-
nem Lehrherrn gekommen ſei; verglich ihn in
Gedanken mit Amaliens Ausſage, und fand,
daß die Zeit puͤnktlich eintreffe. Er benach-
richtigte ſofort die Gerichte davon, und
fuͤgte hinzu: daß Alibius auch den Tag vor
Menillens Ermordung ſich abermals mit Ar-
ſenikum verſehen habe. — Allein auch hieraus
machte man noch nicht viel! Alibius bewieß
mit leichter Muͤhe, daß er in ſeiner Wohnung
gewaltig durch Razzen leide, und daß er, um
ſolche zu toͤdten, wuͤrklich ſchon Gift aufgeſtellt
habe. Ueberdies war Menille ja nicht durch Ar-
ſenikum, ſondern offenbar durch einen ge-
waltſamen, ihr Haupt zerſchmetterndenSchlag
umgekommen; und am Tage dieſes Mordes
Z 5
hatte ſich Alibius, dem algemeinen Glauben
nach, zu Breſcia befunden.
Ganz vorzuͤglich hatte der Boͤſewicht auf
dieſen lezten Punkt ſich geſteift. Doch auch
hier ergab ſich jezt ein Umſtand, der bedenklich
zu werden drohte. Beim Ritt in jener Mord-
nacht hatte Alibius — wie ſchon erwaͤhnt
worden, — ſein Roß gewaltig geſpornt, und
das arme Thier hatte ſich, bei dieſer Eil, den
Vorderbug ein wenig verſtaucht. Der Huf-
ſchmid, der ihm nachmals einen Verband auf-
gelegt, war jezt ebenfalls zugegen; gedachte an
dieſen Vorfall, tratt hervor, und zeigte an,
was er wuſte. Noch verzagte Alibius nicht.
Er geſtand den Zufall des Pferdes; aber er be-
hauptete, daſſelbe damals einem jungen Mann
aus Breſcia geliehen zu haben, durch deſſen
alzuwilden raſchen Gallop das Thier ange-
griffen und ſeine eigne Guͤte gemisbraucht
worden ſei.
Glaublich genug war die Ausflucht; doch
fingen dieGerichte nun anArgwohn zu ſchoͤpfen.
Da auch von Spreazo eine Menge Einwohner
erſchienen; da alle der armen Amalie das beſte
Zeugnis ertheilten; vom Alibius aber verſicher-
ten: daß er vordem ſchon Frau und Tochter oft
hart behandelt habe; da entſchlos man ſich
endlich, dieſe Leztre wenigſtens vor der Hand
loszulaſſen, und lieber mit der peinlichen Frage
gegen den Alibius zu verfahren. Auf der
Stelle ward dieſes leztere ins Werk geſezt;
und der Nichtswuͤrdige, der ſo gelaſſen ſein
einziges Kind der Marter uͤberliefern konte,
fuͤhlte nun kaum an ſich ſelbſt die nemlichen
Qualen, als er alles geſtand, und nur in-
ſtaͤndigſt bat: daß man ſeiner jungen Frau
verſchone, weil dieſe bey ſeinen Verbrechen
ganz ſchuldlos und unwiſſend ſei. Man
ſchauderte bei dieſem furchtbaren Beiſpiel
eines wolluͤſtigen Alten, der grauſamer
Gatte, unnatuͤrlicher Vater, uͤberdachter
Moͤrder und ſchaͤndlichſter Heuchler zugleich
geweſen war. Eben trat er in ſein ſechzig-
ſtes Jahr, als er, mit verdienter Strenge,
von unten herauf geraͤdert ward.
V
Ungluͤcklich — in mehr als einem Verſtande
des Worts, — iſt derjenige, der bei Ausfuͤh-
rung ſeiner Rache zu Banditen ſeine Zu-
flucht nimt. Nichts hier uͤber die Ungerech-
tigkeit einer ſolchen Handlung, uͤber die Ge-
wiſſensbiſſe, die ſie verfolgen, uͤber dieSchaͤnd-
lichkeit, die einem ſo feigen Moͤrder brand-
markt! Aber der Weg jener gedungenen Boͤ-
ſewichter fuͤhrt auch gewoͤhnlich, nur bald
fruͤher, bald ſpaͤter, zum Galgen, wo ſie mei-
ſtentheils durch ein oͤffentliches Geſtaͤndniß ih-
rer Frevelthaten die hieſige Strafe und die
dortige Pein zu lindern glauben. Unablaͤſſig
ſieht daher derjenige, der ihnen vertraute, ſein
eignes Gluͤck und Leben in den Haͤnden der
ſchaͤndlichſten Menſchen. Unzaͤliche Beyſpiele
beweiſen dies. Hier ſtehe nur eines von
vielen!
Jn einem Flecken, ohnweit Sens in Bour-
gogne, lebten zwei Bruͤder, Vimorie und Har-
court mit Namen. Beide waren verheirathet,
doch mit Frauen von ſehr verſchiednem Wer-
the. Meſſarine, Vimoriens Gattin, beſaß der
koͤrperlichen Reize nur wenig, des baaren Ver-
moͤgens deſto mehr; Harcourts Gemahlin hin-
gegen hatte kein andres Heirathsgut, als eine
blendende Schoͤnheit. — Leider werden die
Maͤnner dieſer leztern in der Ehe gar bald ge-
wohnt, wo nicht uͤberdruͤßig. Auch Harcourt
bedauerte binnen kurzem, daß er nicht auch ſo
wie ſein Bruder gewaͤhlt habe; ja er haßte ſo-
gar denſelben dieſes Vorzugs halber und ſuch-
te ihn um ſein Vermoͤgen und ſeine Frau, —
doch ſo, daß er ſich desfalls nicht mit der Ge-
rechtigkeit uͤberwuͤrfe! — zu bringen.
Nur alzubald gelang es ihm. Haͤslich von
Seele, doch deſto angenehmer in ſeinem Aeuſ-
ſerlichen, vermocht er durch maͤnnlichen Reiz
und durch die Kunſt der Verfuͤhrung das Herz
ſeiner Schwaͤgerin leicht zu ruͤhren, vermochte
es ſogar, daß ſie den raſchen Entſchlus er-
grif, ihren rechtmaͤßigen Gemal zu verlaſſen,
und ihren gleißenden Liebhaber in ein fremdes
Land zu begleiten. Da ſie den Vimoric als
Witwe geheirathet, und da ſie den ganzen
Beſiz ihres Vermoͤgens ſich vorbehalten, ſo
nahm ſie auch faſt alles mit, was ſie hatte;
uͤbergab es voͤllig Harcourts Willkuͤhr, und
lebte als ſeine angebliche Gattin mit ihm zu
Genua. Vimorie hingegen und Harcourts
Gemalin blieben in ihrer Einſamkeit dahinten,
und genoſſen, troz der Duͤrftigkeit ihrer Um-
ſtaͤnde, eine Seelenruhe, wie ſie jenes treuloſe
Paar in ſeinem verbotnen Umgang nie finden
konnte.
Jndeß ſtarb Maſſerinens Bruder. Vimo-
rie nuͤzte die Abweſenheit ſeines entwichenen
Weibes, und trat eine betraͤchtliche Erbſchaft
an. Harcourt erfuhr es zu Genua. Schon
ging das große Vermoͤgen, das Maßerine ihm
uͤberliefert hatte, almaͤlig zu Ende. Der Un-
erſaͤttliche beſchloß daher ſeinem Bruder auch
dieſe Erbſchaft und das Leben zugleich zu rau-
ben. Den Entwurf dazu vertraute er ſeinem
Kammerdiener, und bot ihm eine anſehnliche
Summe, wenn er ſich der Ausfuͤhrung un-
terziehe. Doch dieſer dachte zu rechtſchaffen,
als in einen ſolchen Handel ſich zu miſchen.
Der ungedultige Harcourt verſteckte ſich daher
in Bauerkleidung; ging in ſeine Heimath zu-
ruͤck, und ſchlich ſo lange um ſeines Bruders
Wohnung herum, bis er ihn einſt in der
Abenddaͤmmerung einige Schritte weit vom
Hauſe luſtwandeln ſah; raſch ſprang er dann
hervor; ſchos ihn mit einer Piſtole darnieder;
beraubte ihn ſogar, damit man deſto eher anf
einen gemeinenStraußenraͤuber rathen moͤchte;
und eilte dann, ſo ſchnell er konte, nach Ge-
nua zuruͤck. Seine Entfernung war aufs be-
ſte verborgen worden. Kein Menſch muth-
maßte dieſe Schandthat. Harcourt konte nun
vollkommen zufrieden ſeyn.
Dennoch hatte er noch eine Hinderniß zu
uͤberſteigen. Maßerine, die ihn immer noch
blindlings liebte, wolte ihm gern oͤffentlich ih-
re Hand, und mit ſolcher das ihr wieder zu-
gefallne Vermoͤgen uͤberliefern. Um dieſes
durchſezzen zu koͤnnen, muſte Harcourt ſich
erſt ſeines Weibes entledigt haben. Der meu-
chelmoͤrderiſche Boͤſewicht trug kein Bedenken
den Vorſchlag anzunehmen. Ein Markt-
ſchreier und Halb-Arzt, Tiroli mit Namen,
ward durch eine anſehnliche Summe Geldes
beſtochen; ging nach Sens; wußte ſich bei
Harcourts Frau Eintritt und Zutrauen auf
ſeine Kunſt zu verſchaffen, und raͤumte ſie durch
ein ſchleichendes Gift aus dem Wege. —
Kaum vernahm jenes laſterhafte Paar die
Nachricht ihres Todes, ſo kehrten beide nach
Sens zuruͤck, ehlichten ſich und genoſſen einige
Jahre hindurch die Fruͤchte ihres Laſters in
Ruhe.
Doch indeß trieb Tiroli auf mancherlei Art
ſein Unweſen fort; und da er endlich, eines
Straußenraubes halber, in die Haͤnde der Ge-
rechtigkeit fiel, ſo geſtand er unter andern
A a
Schandthaten auch, gleichſam als Zugabe be-
trachtet: daß er auf Maßerinens und Har-
courts Bitte die Gemalin des Leztern vergiftet
habe. Noch haͤtte man vielleicht darauf nicht,
wie man ſolte, geachtet. Doch ſonderbar ge-
nug muſte grade damals auch jener Kammer-
diener erkranken, deſſen Rechtſchaffenheit Har-
court vergebens auf die Probe geſtellt hatte,
und auch dieſer erzaͤlte in der Fieber-Hizze
jenen Antrag, der ihm zu Vimories Ermordung
gemacht worden ſei. Auf dieſe doppelte An-
klage, von noch andern Umſtaͤnden begleitet,
wurde unſer Ehpaar ploͤzlich in ſeiner ſchoͤn-
ſten Sicherheit verhaftet; geſtand auf der Fol-
ter alles; und ward wenige Tage drauf, von
Niemanden bedauert, zum Tode geſchleift.
VI.
Jm Winter des Jahrs 1611 fiel zu Kon-
ſtantinopel — was in dieſen warmen Laͤndern
aͤußerſt ſelten iſt! — ein ziemlich tiefer Schnee.
Einige Bedienten des engliſchen Geſandten,
Ritter Glovers, warfen ſich bei dieſer Gele-
genheit mit Schneeballen; verſchiedne Tuͤrken
ſahen dieſem Scherz-Gefechte zu; aber leider
ward es am Ende nur alzu ernſtlich. Denn
einen vorbeigehenden Janitſcharen traf ein,
vielleicht zu hart gedruͤckter Ball ſo heftig ins
Auge, daß er nicht nur dieſes einbuͤßte, ſon-
dern daß auch der Brand hinzuſchlug, und der
Ungluͤckliche ein fremdes Spiel mit ſeinem Le-
ben bezalen muſte.
Dieſer Vorfall machte unter ſeinen Ge-
faͤhrten gewaltigen Lermen. Der Janitſcharen-
Aga ſelbſt beſchwerte ſich beim Grosvezier,
und dieſer forderte vom Ambaſſadeur die Aus-
lieferung des Thaͤters. Vergebens erwieder-
A a 2
te der Geſandte: daß ja der Wurf offenbar
nicht in feindlicher Abſicht geſchehen, ſondern
nur durch ein Ohngefaͤhr ſchaͤdlich geworden
ſei. Der Vezier blieb unerbittlich. Ja, als
der Geſandte erklaͤrte: daß er durchaus nicht
wiſſe, welcher unter ſeinen Bedienten den un-
gluͤcklichen Ball geworfen habe, ruͤſtete ſich
alles zu einem ernſtlichen Sturm des Poͤbels
aufs engliſche Geſandten-Haus; ſo daß Glo-
ver endlich verſprechen muſte, alle ſeine Haus-
genoſſen vortreten zu laſſen, und den Schuldi-
gen, wenn er erkant werde, auszuliefern.
Kaum war die Dienerſchaft vorgetreten, ſo
fielen fuͤnf Tuͤrken, die jener erſtern Szene zu-
geſehen hatten, zu gleicher Zeit uͤber einen ge-
wiſſen Simon Dibbins her, der vor kurzem
erſt von Kandia nach Konſtantinopel gekommen
war; und ſie ſowohl, als auch noch andre
Janitſcharen beſchwuren einmuͤthig: daß er
der Thaͤter ſei. Von neuem that der Ambaſſa-
deur jezt Vorſtellung. Er wuſte ganz gewiß,
daß dieſer Dibbins unſchuldig und damals
ſogar nicht zugegen geweſen ſei. Er fuͤhrte
dies zum Beweis fuͤr ihn an; und erbot ſich
auch eine anſehnliche Summe fuͤr ſeine Be-
freiung herzugeben. Nichts half! Jene Gruͤn-
de wurden als ein blos erdichteter Vorwand
betrachtet, und das Loͤſegeld ſchlug man aus.
Der Geſandte, wolte er anders nicht das Le-
ben von mehrern Menſchen in Gefahr ſezzen,
mußte ſich endlich entſchließen, einen ſeiner
Ueberzeugung nach ganz Unſchuldigen aufzu-
opfern.
Dies ſchmerzte ihn gewaltig. Noch den
Morgen vor der Hinrichtung ſchickte er ſeinen
Sekretair zu dem Gefangnen, um ſich gleich-
ſam mit der Nothwendigkeit gegen ihn zu ent-
ſchuldigen. Dieſer fand ſeinen Landsmann
des Todes gewiß, nnd doch ſehr gelaſſen.
Noch mehr! Dibbins trug es ihm ſogar auf,
den Geſandten ſeinetwegen zu beruhigen. —
„Jch ſterbe,“ ſprach er, „zwar unſchuldig in
„dieſem Punkt, doch nicht ſchuldlos. Jch ha-
„be, was ich nun geſtehen will, in England
A a 3
„einen Mord begangen; habe deshalb aus
„meinem Vaterland entweichen muͤſſen; bin
„deshalb nach Kandia geflohen! Daß ich hier
„nun fuͤr einen andern angeſehen werde, daß
„ſo viele, die ich nie beleidigte, einmuͤthig mei-
„nen Tod begehren, — darinnen ſeh' ich nichts
„anders, als eine Spur verdienter goͤttlicher
„Vergeltung; und ich ſterbe gern!“
Wenige Stunden nachher ward er wuͤrklich
vor der Thuͤre des Geſandten aufgeknuͤpft;
und dieſer war es allerdings nun zufrieden,
daß mit dem Tode eines eingeſtandnen Moͤr-
ders das Leben eines ganz unwillkuͤhrlichen
Todtſchlaͤgers erkauft werde.
VII.
Signor Albemane, ein vornehmer junger
Mailaͤnder, verliebte ſich in eine,gleichfals jun-
ge Dame, Klara mit Namen; warb um ſie,
erhielt die Einwilligung ihrer Eltern, konte
aber ihre eigne nicht erhalten; denn ſie hatte
ſchon Wort und Herz an einen gewiſſen Graf
Barentano verſchenkt. Albemane wußte die-
ſes; aber, durchgluͤht vom Wunſch ihres Be-
ſizzes, beſchloß er ihren beguͤnſtigten Neben-
buhler umbringen zu laſſen; dingte hierzu zwei
der entſchloſſenſten Banditen, jeden mit hun-
dert Dukateu; und war vorſichtig genug, am
Tage der That, einige Meilen weit von Mai-
land zu verreiſen, ſo daß er wuͤrklich bei die-
ſem Morde ganz verdachtlos blieb.
Nachdem Klara einige Monate lang dem
Andenken ihres Barentano manche bittre
Thraͤne gewidmet hatte, milderte ſich endlich
ihr Schmerz, und ſie reichte dann Albemanen
A a 4
wuͤrklich ihre Hand. Er ſah ſich im vollſten
Genuß ſeines ſo heiß gewuͤnſchten, durch Fre-
vel erkauften Gluͤcks. Doch eben dieſer Ge-
nuß kuͤhlte, wie gewoͤhnlich, die Leidenſchaft
ſelbſt ab. Der junge Schwaͤrmer ward der
Liebkoſungen ſeiner nun im Ernſt fuͤr ihn zaͤrt-
lich geſinten Gemalin bald ſatt; und begann
andern ſchwelgeriſchen Luͤſten nachzuhaͤngen.
Jnzwiſchen hatte Pedro, einer von jenen
Banditen, den Suͤndenlohn der hundert Du-
katen laͤngſt wieder verpraßt, und war bei
Gelegenheit eines Straßenraubs der Obrigkeit
in die Haͤnde gefallen. Aus ſeinem Gefaͤng-
nis ſchrieb er an Albemanen, bat um Rettung,
und drohte zugleich, ihn als Mordbeſteller
anzugeben, wofern er ihn nicht jezt von dem
ſchon zugeſprochnen Strange befreie. Albe-
mane beantwortete dieſen Brief ſehr herablaſ-
ſend; verſprach dem Gefangnen ſeine Huͤlfe,
und ließ ihm des andern Tags durch ſeinen
Kammerdiener melden: die Begnadigung ſei
ſchon unterzeichnet. Doch dieſe Freundlich-
keit und dieſe Bothſchaft waren nur eine
Kriegsliſt, um Pedros Mund ſo lange zu
ſchließen, bis er das Gift getrunken habe,
welches der Kammerdiener in einer Flaſche
Wein ihm zuſtecken ſollte. Des Morgens,
als die Hinrichtung vor ſich gehen ſollte, fand
man den Verbrecher todt auf der Streu. Alle
glaubten, er habe ſich ſelbſt vergiftet, um ei-
nem ſchmaͤhlichern Tode vorzubeugen. Auf
Albemanen rieth wieder Niemand.
Kaum ein paar Tage darauf erhielt er auch
vom zweiten Banditen, Leonardo, der ſich zu
Pavia befand, einen Brief mit der Bitte:
Jhm eine Summe von funfzig Dukaten, wo-
mit er ſich aus großer Verlegenheit zu ziehen
gedenke, zu verehren, oder wenigſtens vorzu-
ſtrecken. Albemane nahm auf dieſes Begehren
keine Ruͤckſicht. Leonardo ſchrieb daher aber-
mals, und drohte ſogar, jenen Mord des Ba-
rentano anzugeben, wenn er die begehrte
Summe nicht ſobald als moͤglich erhalte. Denn
es gelte ihm (ſo waren ſeine Worte) in dieſer
A a 5
Bedraͤngnis gleichviel, am Galgen oder Hun-
gers zu ſterben.
Dieſer zweite Brief kam in Albemanens
Abweſenheit; ward von deſſen Kammerdiener
in Empfang genommen, und auf ſeines Herrn
Tiſch gelegt, damit er gleich bei der Ankunft
ihn finde. Da aber Albemane, nach damaliger
Sitte vornehmer Perſonen, auch einen Narren
in ſeinen Dienſten hatte, ſo traf ſichs, daß
dieſer Narr den Brief fruͤher erblickte, ihn
nahm, damit im Hof ging, und ausrief:
So eben hab' er ein Schreiben vom lieben
Gott erhalten. Die Frau vom Hauſe hoͤrte
dies, nahm dem Narren das noch verſiegelte
Papier ab, und da ſie ſah, daß die Aufſchrift
an ihren Gemal gerichtet ſey, ſteckte ſie ſolches
in die Taſche, um es bei ſeiner Heimkehr ihm
ſelbſt einzuhaͤndigen. Doch aͤußerſt unwillig
geberdete ſich der Narr dabei; unaufhoͤrlich
ſchrie er: „dieſer Brief komme grade vom Him-
mel her, und ſei an ihn ſelbſt, nicht an ſeinen
Herrn gerichtet.“ — Das Sonderbare in
dieſen Worten, die Hartnaͤckigkeit des Narren,
und ſein oͤfteres Wiederholen des Ausrufs,
fiel endlich ſeiner Gebieterin auf. Eine weib-
liche Neugier wandelte Klaren an; ſie erbrach
jenes Schreiben und las in ihm — das
ſchreckliche Geheimnis: daß ihr Gemal ein
Moͤrder, — ein Moͤrder ihres Geliebten ſey.
Ganz verſteinert wußte ſie eine lange Weile
ſelbſt nicht: welche Wahl ſie zu treffen habe?
Ob ſie den Meuchelmord ihres Geliebten ver-
ſchweigen, oder die Anklaͤgerin ihres Gatten
werden ſolle? Doch da die Mitwiſſenſchaft
um eine ſolche Frevelthat ihr die Seelenruh
auf immer zu rauben drohte; und da ihr in
jenen Worten des Stocknarrn ein hoͤhrer Wink
zu liegen ſchien, ſo glaubte ſie endlich durch
ihr Gewiſſen verbunden zu ſeyn, dieſen Brief
der Obrigkeit nebſt der Anzeige, wie ſie dazu ge-
kommen ſey, auszuhaͤndigen. — Dies geſchah;
Albemane ward ſofort verhaftet, Leonardo
von Pavia herbeigeholt. Der Leztere, als man
ſeinen Brief ihm vorlegte, ſtuzte, erblaßte, be-
kannte ſofort alles. Albemane wollte laͤugnen;
aber jene Ausſage und die gedrohte Folter
zwangen ihn bald zum Geſtaͤndnis. Er war
nichtswuͤrdig genug, nun auch den Kam-
merdiener anzugeben, deſſen er ſich zu Pedros
Vergiftung bedient hatte; und als ſie alle drei
zum Tode verurtheilt wurden, ſtieß er noch
mit ſeinem lezten Odem Fluͤche gegen ſeine
Gattin, ſeinen Narren und Leonarden aus.
VIII.
Lauriette R**, ein junges, ſchoͤnes Maͤdchen
zu Avignon, konnte, inſofern ſie reizend, wohl-
erzogen und die Erbin eines anſehnlichen Ver-
moͤgens war, Anſpruch auf eine der vortheil-
hafteſten Heirathen in der Provinz machen.
Aber ihr Herz war verdorben; ihre Sitten
waren zuͤgellos; ohne Wahl und Maas ver-
ſchwendete ſie ihre Gunſtbezeugungen. Unter
ihren Liebhabern zeichnete ſich vorzuͤglich ein
gewiſſer Graf von Poligni aus, ein junger
Mann, der allerdings viel Liebenswuͤrdigkeit
beſaß. Eines Abends, als er von ihr ging,
ward er meuchlings ermordet. Der groͤßte
Verdacht dieſer That fiel auf einen gewiſſen
Herrn von Belville, der fruͤher Lauriettens
beguͤnſtigter Anbeter geweſen, und vom Po-
ligni verdraͤngt worden war.
Hinlaͤngliche Beweiſe, Belvillen oͤffentlich
anzuklagen, fehlten; doch Lauriette im Herzen
uͤberzeugt, daß er um ihren Liebling ſie gebracht
habe, war ſich und dieſen Leztern zu raͤchen
entſchloſſen. Unter der freundlichſten Larve
verbarg ſie ihren feindlichen Plan. Ein Bil-
let von ihr lud ihn zum Beſuch ein. Mit al-
ler Waͤrme eines Verliebten nahm er dieſes
Anerbieten auf. Der Empfang war zaͤrtlich.
Doch ſie ſowohl, als auch Lucette, ihre Kam-
merfrau, hatten ſich mit Piſtolen bewaffnet.
Als Belville, nach den erſten Umarmungen, nur
einen Augenblick ans Fenſter, den Ruͤcken ge-
gen die Thuͤre gekehrt, trat, nuͤzten ſie ſofort
dieſe Gelegenheit. Ein Schluß von hinten
ſtuͤrzte ihn zu Boden. Er blieb alsbald todt,
doch begnuͤgten ſie ſich nicht damit, ſondern
durchbohrten noch ſeinen Leichnam mit man-
nichfachen Dolchſtichen. Dann trugen ſie ge-
meinſchaftlich den todten Koͤrper in Keller,
und vergruben ihn unter einen Holzſtoß.
Des andern Tags erkundigte man ſich nach
Belvillen. Er war nirgends zu finden. Sein Be-
dienter verſicherte: ihn bis an LauriettensWoh-
nung begleitet, und daß er zu ihr hinein gehe,
geſehn zu habn. Man befragte ſie deshalb.
Sie erwiederte: daß Belville allerdings zum
Beſuch gekommen, aber gar nicht lange geblie-
ben ſey; was nachher mit ihm geworden waͤre,
wiſſe ſie nicht. — Dieſe Antwort gnuͤgte den
Gerichten keineswegs. Man glaubte Grund
genug zu haben, Laurietten auf die Folter zu
werfen;Wahrlich abſcheulich genug, daß man das
glaubte! Woher Laurietten (wenn nicht an-
dre Umſtände obwalteten) die Schuldigkeit
oblag, für Belvillen zu haften, läßt ſich
ſchwer begreifen. ſie geſtand keine Silbe. Lucette,
die indeß beſorgte, daß ihre Gebieterin beich-
ten und ſie als Mitſchuldige angeben wuͤrde,
entfloh heimlich aus der Stadt, und erſaͤufte
ſich in dem See, der zwiſchen Avignon und
Orange liegt. Jhre Flucht vermehrte den Arg-
wohn gegen Laurietten. Sie ward zum zwei-
tenmale gefoltert, und blieb bei ihrer erſten
Standhaftigkeit. Endlich ſprach man ſie frey,
M.
und ſie feierte dieſe Anerkennung ihrer Unſchuld
mit einem froͤhlichen feſtlichen Male. Dennoch
blieb ihre Frevelthat nicht lange unentdeckt und
unbeſtraft.
Jhre Ausgaben uͤberſtiegen ihre Einnahme
bei weiten. Bald war der anſehnlichſte Theil
ihrer Erbſchaft verpraßt. Das Haus, wo ſie
wohnte, eines der praͤchtigſten in ganz Avig-
non, gehoͤrte ihr nicht eigenthuͤmlich. Schon
ſeit drei Jahren war ſie dem Beſizzer deſſelben,
einem Herrn von Richecourt, den Miethzins
ſchuldig geblieben. Nachdem er oft genug ſie
vergebens um Bezalung gemahnt hatte, nahm
er zur gerichtlichen Huͤlfe ſeine Zuflucht. Nicht
nur ihr Hausgeraͤthe, ſondern auch ihre Wei-
ne und die Holzvorraͤthe im Keller wurden in
Beſchlag genommen und verkauft. Jndem
man bei dieſen leztern einen kleinen Schutt-
haufen wegraͤumte, ward man einige Spuren
von Blute gewahr, grub weiter und fand Bel-
villens Leichnam noch unvermodert. Man
trug ihn ſofort zu Laurietten. Beim Anblick
deſſelben ſank ſie ohnmaͤchtig zur Erde. Zu
laut und zu ſtark ſprach nun alles gegen ſie.
Jhr Verbrechen ließ ſich laͤnger nicht laͤugnen;
ſie ſelbſt bequemte ſich nun zum Geſtaͤndniß.
Die Richter verurtheilten ſie, vor der Thuͤre
desjenigen Hauſes, wo ſie gewohnt und ge-
ſuͤndigt hatte, aufgeknuͤpft zu werden. —
Daß man dann ihren Leichnam, und Lucet-
tens todten, in die Stadt zuruͤckgeſchleiften
Koͤrper verbrannte, und die Aſche in die Luft
verſtreute, gehoͤrt zu den zweckloſen Ueblich-
keiten ehmaliger Gerichtspflege.
B b
IX.
Ein Kaufmann zu London hegte gegen einen
ſeiner Nachbarn einen ſo bittern, unbeſchraͤnk-
ten Haß, daß er endlich unter mancherlei, ſeine
Bosheit und Grauſamkeit noch erſchwerenden
Umſtaͤnden, einen Meuchelmord an ihm beging.
Da er nun, wie ſehr natuͤrlich, vor Unterſu-
chung der Gerechtigkeit ſich ſcheute, ſo entfloh
er nach Frankreich und lebte alda verſchiedne
Jahre. Seine Einkuͤnfte waren betraͤchtlich;
haͤusliches Beduͤrfnis draͤngte ihn keineswegs;
aber die Stimmung ſeiner Seele war aͤußerſt
traurig. Tag und Nacht ſtand der Schatten
des Ermordeten vor ſeinen Augen. Um dieſem
Schreckbild zu entgehen, durchreiſte er Teutſch-
land und Jtalien. Doch ſeine Reiſen nuͤzten
ihn nichts. Jener Schatten begleitete ihn
uͤber die Alpen und uͤber den Rhein.
Nach zwanzig Jahren eines unſtaͤten, kum-
mervollen Lebens entſchloß ſich der Ungluͤck-
liche nach England zuruͤck zu kehren. Hier
hoft' er abermals die Ruhe wieder zu finden,
die ihm ſeit der Entfernung aus dem Vater-
lande fremd geworden war. Zeit und Rei-
ſen, ſchmeichelte er ſich, wuͤrden ſeine Geſichts-
zuͤge veraͤndert und unkenntlich gemacht haben.
Jm Winkel einer Provinz, fern von der
Hauptſtadt, unter fremden angenomnen Na-
men, wollte er den Ueberreſt ſeiner Tage ver-
leben. Sein Plan war weislich genug uͤber-
dacht; aber doch ſchien ihn dadurch das Ver-
haͤngnis nur zum Empfang einer laͤngſt ver-
dienten Strafe zu berufen.
So wie er in London ausſteigt, und bei dem
Hauſe des Kaufmanns, den er vordem getoͤd-
tet, vorbeigeht, hoͤrt er hinter ſich eine Stim-
me erſchallen: „Haltet ihn! Haltet ihn! das
iſt er!“ Sofort ergreift er aus allen Kraͤften
die Flucht. Eine Menge Volks ſtuͤrzt hinter
ihm her. Binnen wenigen Minuten ſieht er ſich
umringt und ergriffen. Erſchreckt durch dieſen
Vorfall, und durch dieſen Haufen ſeiner Ver-
folger, bekennt er ſofort: „Ja, ja! er ſey
B b 2
ſchuldig!“ Kaum hoͤrt der Poͤbel dieſes Ge-
ſtaͤndnis, ſo ſezzen ſich einige davon in Be-
reitſchaft ihn ins Waſſer zu werfen; nur be-
gehrt man: daß er zuvor das Geſtohlne wie-
der ausliefre. Er weiß nicht, was er hierauf
antworten ſoll. Er betheuert, daß er freilich
ſeinen Nachbar (den er mit Namen nennt) er-
mordet haͤtte; aber er verſichert zugleich, ihn
nie beraubt zu haben. — Jezt klaͤrt es ſich
erſt auf, daß bei der ganzen Geſchichte ein
Jrrthum obwalte. Jenes Rufen und Ver-
folgen hatte einem Beutelſchneider gegolten,
der in dieſem Hauſe grade damals auf einem
Diebſtahl ertappt worden war. Er hatte ſich
gerettet, indem man dieſem nur nachſezte.
Voll Verwundrung blickte man ſich nun wech-
ſelſeitig an. Sogar den Angehaltnen wieder
loszulaſſen, hatten mehrere von der Menge
Luſt.
Doch in eben dieſem Augenblick erinnerten
ſich ein Paar von den Umſtehenden an den
Namen jenes getoͤdteten Kaufmanns und an
den gegen ihn veruͤbten Mord. Man brach-
te daher den Verhafteten zu einer Gerichtsper-
ſon, und er wiederholte daſelbſt ſein voriges
Geſtaͤndnis. Bald drauf ward er zum Strange
verurtheilt; und noch wenige Minuten vor
ſeinem Tode betheuerte er, dieſe zwanzig Jah-
re hindurch, ſeit jenem veruͤbten Morde, nicht
einen ruhigen Tag, nicht eine frohe Stunde
nur, gekannt zu haben.
B b 3
X.
Ein Geiſtlicher in Nord-England — wahr-
ſcheinlich in der Grafſchaft Lankaſter, — ward
einſt, als er auf die Kanzel kam, und ſeine Bi-
bel aufſchlug, in ſolcher ein Blaͤttgen Papier
gewahr, welches er beim erſten Blick fuͤr einen
kirchlichen Aufgebots-Zettul hielt, worauf er
aber beim genauern Anſchauen folgende Wor-
te las:
„Johann P* und Jakob D* haben einen
Reiſenden, der bei ihnen einkehrte, Namens
R** gepluͤndert, ermordet, und ſeinen
Leichnam im naͤchſten Waͤldchen an dem und
dem Orte verſcharrt.“
Voll Erſtaunen rief der Pfarrer ſofort ſeinen
Schulmeiſter, und fragte ihn: Ob er wohl
ein Billet ihm in die Bibel gelegt habe? Dieſer
verneinte es, und der Prediger wollte nicht
weiter darnach fragen; denn die Namen der
angeblichen Moͤrder auf dieſem Zettul waren
grade die Namen des — Schulmeiſters ſelbſt
und des Kuͤſters. Beim Herausgehn aus der
Kirche begab er ſich zu einem Friedensrichter;
ſagte ihm, was er gefunden und geleſen habe;
zeigte auch das Papier ſelbſt vor. Aber wie
ſtaunte er von neuem, als dieſes — ein voll-
kommen weiſſer Zettul war. Der Friedens-
richter behandelte den Pfarrer als einen
Schwaͤrmer und Thoren; ſchmaͤlte ihn weid-
lich aus, und ſchickte ihn wieder nach Hauſe.
Aber einige Stunden ſpaͤter kam er von
neuem wieder; betheuerte, daß bei jenem Le-
ſen keine Schwaͤrmerey und eben ſo wenig ein
vorhergegangener Argwohn obgewaltet; kurz,
ſprach mit einer ſolchen Ueberzeugung, daß
der Richter endlich in die Verhaftung des
Schulmeiſters willigte.Mit welchem Rechte, mag ich nicht entſchei-
den. — Ein Geſicht dieſer Art, auch mit
der innigſten Ueberzeugung von einem einzel-
nen, noch ſo glaubwürdigen Mann angezeigt,
verdient vor Gerichte doch wohl ohne Zwei-
fel, Anhörung aufs höchſte, und dann — Sie wurden beide
B b 4
beſonders befragt; leugneten beide den Mord,
widerſprachen ſich aber gleichwohl ſtark in ih-
rer Ausſage. Der Kuͤſter, der zugleich einen
Gaſtſchank unterhielt, geſtand: daß der er-
waͤhnte Reiſende bei ihm eingekehrt, uͤbernach-
tet, und des andern Morgens wieder wegge-
reiſet ſey; der Schulmeiſter hingegen verſicher-
te, alle ſeine Abende ſchon ſeit geraumer Zeit
beim Kuͤſter zugebracht, und doch nichts von
dieſem Reiſenden geſehn oder gehoͤrt zu ha-
ben. Man ſchritt nunmehr zu einer Haus-
unterſuchung. Sowohl beim Kuͤſter, als
beim Schulmeiſter, fand man mehrere Gold-
ſtuͤcke und verſchiedne Kaufmanns-Waaren.
Doch beim Verhoͤre deshalb wußten beide
davon ſo genaue Rechenſchaft zu geben, daß
der Richter ſich damit befriedigen mußte.
Endlich erinnerte ſich der Geiſtliche — und
ſtaunte nicht eher darauf gefallen zu ſeyn! —
Abweiſung! Selbſt das nachmalige Eintref-
fen entſchuldigt die vorhergegangne Ungeſez-
lichkeit nicht.
M.
daß jener wunderbare Zettul ja auch den Ort
angegeben habe, wo der Leichnam verſcharrt
worden ſey. Man begab ſich dorthin; fand
wuͤrklich vor kurzem erſt aufgewuͤhlte Erde;
grub nach, und traf gluͤcklich den Koͤrper des
Ermordeten an. Als man dieſen dem Kuͤſter
vorlegte, da erſchrack er; bekannte alles; gab
den Schulmeiſter als Mitgenoſſen ſeiner Fre-
velthat an; und erlitt bald drauf mit ihm zu-
gleich die verdiente Todesſtrafe.
B b 5
XI.
Jn Frankreich hatte ein Mann von Stande
verſchiedne Offiziere von der Beſazzung zum
Mittagsmale geladen. Unter ihnen war auch
der Vater desjenigen jungen, glaubwuͤrdigen
Mannes, der Fieldingen dieſe, und die nach-
ſtehende Geſchichte erzaͤlte. — Schon eine
Weile war die Geſellſchaft beiſammen; doch
indem man ſich eben zur Tafel ſezzen wollte,
hob einer dieſer Offiziere von ohngefaͤhr die
Augen auf, erſchrack und rief: „Gott im
„Himmel, ich bin verloren! Schafft ſie weg
„— weg von mir! Jch kann ihren Anblick
„nicht aushalten!“ — Mit dieſen Worten
warf er ſeinen Stuhl um, und fiel ſelbſt zur
Erde. Ein allgemeines Getuͤmmel erhob ſich;
man bracht' ihn wieder auf ſeinen Seſſel; man
kam ihm ſo ſchnell und ſo gut als immer moͤg-
lich zu Huͤlfe; aber indem er noch einmal ſein
Geſicht gegen die vorige Seite des Zimmers
richtete, rief er wiederum: „Ha, immer noch
„da? Fort aus meinen Augen! Oder ich
„will lieber alles geſtehn; will mich der Stra-
„fe unterwerfen, die ich verdient habe!“ —
Man glaubte, er ſprech' in einer Fieber-Hizze;
der Herr vom Hauſe ließ ihn auf ein Bett im
andern Zimmer bringen, und ſchickte nach ei-
nem Wundarzt, der ihm die Ader ſchlagen ſollte.
Sehr natuͤrlich war durch dieſen Vorfall
die ganze Tafel etwas geſtoͤrt worden, und
man ſprach, auch nach des Offiziers Ent-
fernung, uͤber die muthmasliche Urſache ſei-
ner Krankheit. Eine Perſon in der Geſell-
ſchaft hatte bemerkt, daß die Anfaͤlle des
Kranken geſtiegen waͤren, ſo oft er ein ge-
wiſſes Portrait an der Wand des Zimmers
betrachtet habe; und ſie fragte daher: Wen
dieſes Bildnis vorſtelle? Man antwortete
ihr: Es ſey das Bildnis einer Dame, die
vor ohngefaͤhr zwei Jahren, einige Meilen
von hier, auf ihrem Landſiz von Meuchel-
moͤrdern uͤberfallen, gepluͤndert und getoͤdtet
worden waͤre. Der Reſt ihres Hausgeraͤths
ſey in eine oͤffentliche Verſteigerung gekommen,
und da dieſes Bild von der Hand eines ge-
ſchickten Kuͤnſtlers ſtamme, habe man es ge-
kauft und aufgehaͤngt. — Der Hausherr aber
fragte die Offiziers nun gegenſeitig: Wer ei-
gentlich dieſer krankgewordne Herr ſey? denn
blos weil er zu ihrem Regimente gehoͤre, hab'
er aus Achtung fuͤr die Uebrigen ihn geladen,
ohne ihn jemals vorher zu kennen.“ — Alle
erwiederten: daß auch ſie nicht eigentlich wuͤß-
ten, wer und woher er ſey? denn erſt ſeit
kurzem hab' er ſich bei ihrem Regiment einge-
kauft, ohne ſonſt eine Empfehlung fuͤr ſich,
oder einen Tadel gegen ſich zu haben.
Waͤhrend dieſes Geſpraͤchs kam der Wund-
arzt an, um dem Kranken zur Ader zu laſſen.
Einige von der Geſellſchaft begleiteten ihn zum
Bette deſſelben. Er war wieder bei voͤlliger
Beſinnung; aber in ſeinen Blicken war doch
immer noch eine gewiſſe Aengſtlichkeit zu ſpuͤ-
ren. Als man ihn um die Urſach fragte, war
ſeine ganze Antwort: daß er ſchon mehrmals
dergleichen Anfaͤlle gehabt; und ſo oft der
Chirurgus ſich ihm nahte, ſtieg ſeine Verlegen-
heit ſichtlich. — Alle dieſe Umſtaͤnde fielen dem
Herrn vom Hauſe auf. Er winkte dem Wund-
arzt, fuͤhrt' ihn ins Nebenzimmer, und fragte
ihn: Ob er vielleicht dieſen Herrn kenne? —
Der Wundarzt erwiederte: Er glaube, nein!
weil er ihn in Offizirs Uniform finde; denn
ſonſt hab' er allerdings einmal einen Landſtrei-
cher gekannt, der dieſem Fremden ſehr geaͤhnelt
habe. — Der Hausherr bat ihn, doch wieder
zum Kranken zu gehn, und ihn geradezu unterm
Namen jenes Landſtreichers anzureden. Man
koͤnne ja ſehen, was es fuͤr eine Wuͤrkung
mache. Jm Fall eines Jrthums werde man
mit einer kleinen Bitte um Verzeihung leicht
durchkommen. Auch ſteh' er fuͤr die Folgen.
Der Wundarzt war willig hierzu; ging
hinein, nahm den Offizier bei der Hand, und
ſagte in einem zuverſichtlichen Tone: „Aber,
Bernard, wie befindeſt du dich denn eigentlich?
Warlich in dem Aufzuge haͤtt' ich dich doch
nicht wieder zu treffen verhoft!“ Bei dieſen
Worten erblaßte jener von neuen. „Jch ſeh's,
rief er, ich bin verrathen! Ja, ja! ich will
alles bekennen!“ Die Geſellſchaft ward nun
herbeigerufen. Er geſtand laut, daß er der-
jenige ſey, den der Wundarzt in ihm erkannt
habe — ein Landſtreicher, ein Raͤuber, ein
Moͤrder ſogar! Durch Beihuͤlfe eines treulo-
ſen Bedienten habe er ſich vor zwei Jahren
ins Haus derjenigen Dame, deren Bildnis
ihn an der Tafel ſo erſchreckt, heimlich ein-
geſchlichen, habe ſie mit jenem Boͤſewicht erſt
beraubt und dann ermordet; habe dann eben
ſo raſch ſeinen Spiesgeſellen auch umgebracht,
und den Leichnam deſſelben imKeller verſcharrt,
damit man glauben ſolle: dieſer habe die That
gethan, und dann die Flucht ergriffen. Jm
Schreibeſchrank dieſer Dame waͤren unter an-
dern fuͤnfhundert Louisd'ors befindlich gewe-
ſen; mit ihnen hab' er ſich eine Stelle in der
Armee gekauft. Die Juwelen hingegen und
das Silberzeug, das er damals erbeutet, hab'
er, aus Furcht verrathen zu werden, bisher
noch in der Erde vergraben.
Er gab den Ort an, wo dieſes geſchehen ſeyn
ſollte. Man ſchickte ſofort Leute dorthin, und
fand alles noch unverſehrt. Auch die Gebeine
des ermordeten Bedienten wurden angetroffen
und ausgegraben. Der Verbrecher aber ward
nunmehr ins Gefaͤngnis gebracht, genauer
verhoͤrt, und als ſeine Strafwuͤrdigkeit auch
nicht dem geringſten Zweifel mehr unterlag,
zum Rade verdamt.
XII.
Jn einer Stadt des noͤrdlichen Frankreichs
fand man eines Morgens einen jungen Mann
vom Stande in ſeinem eignen Zimmer aufs
grauſamſte ermordet. Die Obrigkeit des Orts
ſtellte zur Entdeckung des Moͤrders die ſorg-
faͤltigſten Nachſuchungen an. Alles verge-
bens! Eine geraume Zeit verlief. Niemand
gedachte mehr an den Ermordeten.
Doch ſieben Jahre nach dieſer Frevelthat
durchlief auf einmal die ganze Stadt ein Ge-
ruͤcht: Herr von S**, ein angeblicher Buſen-
freund des Ermordeten, habe dieſe Schand-
that begangen. Den ganzen Tag ſprach man
uͤberall, und als ſei es ausgemacht, davon. Wo-
her die Erzaͤlung komme, wuſte niemand; aber
viele wunderten ſich ſogar, daß die verdaͤchtige
Perſon noch nicht verhaftet werde. Wuͤrklich
hatten die Gerichte auch davon gehoͤrt; doch
einen Mann von Stande und unbeſcholtnem
Rufe auf eine ſo ſchwankende, unbezeugte Re-
de einziehn zu laſſen, trugen ſie, (wie billig!)
Bedenken; und am andern Morgen dachte
ſchon wieder kein Menſch daran.
Des andern Jahrs, an eben demſelben Ta-
ge, erneut ſich ploͤzlich die Sage wieder, und
verſtaͤrkt ſich noch mit dem Zuſazze: Herr von
S** ſei bereits verhaftet; habe vor Gericht
alles geſtanden, und einen Ort in ſeinem Gar-
ten angezeigt, wo man den Hirſchfaͤnger, mit
welchem er das Herz ſeines Freundes durch-
ſtoßen, und einige Kleidungsſtuͤcke, vom Blut
des Erſchlagnen befleckt, vergraben finden wer-
de. — Der Poͤbel umringt ſofort ſchaarenweis
das Haus des angeblichen Thaͤters und ver-
langt in den Garten hineingelaſſen zu werden.
Erſchrocken uͤber dieſes Getuͤmmel faͤhrt Herr
von S** mit dem Kopfe zum Fenſter hinaus.
Man laͤrmt, man ſchimpft, man wirft mit
Steinen nach ihm. Er glaubte im Ernſt als
derjenige, der er wuͤrklich war, entdeckt worden
zu ſeyn; eilt durch eine Hintertreppe hinab;
C c
ſattelt ſelbſt ſein beſtes Pferd, und ſprengt da-
mit im ſchnellſten Gallop der nicht alzuweit
entfernten franzoͤſiſchen Grenze zu.
Die Stadt-Gerichte, die am beſten wuſten,
daß an keine Verhaftung gedacht worden, und
daß mithin auch jenes Geſtaͤndnis eine Fabel
ſei, ſchickten indeß einige Stadtſoldaten ab,
mit dem Befehl: den Poͤbel zu zerſtreuen, und
Haus und Perſon des Herrn von S** vor
aller Thaͤtlichkeit zu ſichern; als ſie aber gleich
drauf vernahmen: daß S** bereits mit aller
moͤglichen Eil die Flucht ergriffen habe, da
ſtuzten ſie ſelbſt uͤber das Sonderbare dieſes
Zufalls. Der Urheber des ganzen Geruͤchts
ließ ſich durchaus nicht ausfindig machen.
Eine hoͤhre Kraft ſchien hier im Spiele zu
ſeyn, um den Urheber jenes grauſamen Meu-
chelmords ans Licht zu bringen. Man ließ
aufs Gerathewohl im Garten nachgraben; und
ſiehe da, alles traf buchſtaͤblich mit der all-
gemeinen Sage uͤberein. Ja, um das Son-
derbare noch ſonderbarer zu machen, das
Blut auf den Kleidern ſchien dieſe acht Jahre
hindurch noch ganz friſch geblieben zu ſeyn.
Jezt ſchickte man ſofort Haͤſcher nach, den
Entflohnen zu verfolgen. Anſehnlich genug
war der Vorſprung, den er — haͤtte gewin-
nen koͤnnen. Doch kaum zwei Meilen von der
Stadt erhaſchte man ihn bereits. Sein Pferd
war mit ihm geſtuͤrzt; er ſelbſt hatte ſich eine
Huͤfte ausgefallen. Man brachte ihn zuruͤck.
Er geſtand ſofort alles; und ward dafuͤr, wie
natuͤrlich, im Verfolg oͤffentlich hingerichtet.
C c 2
XIII.
Ein Jrrlaͤnder, und zwar ein Mann von
anſehnlichem Stande,Derjenige, der Fieldingen dieſe Anekdote
erzälte, verſicherte: Sein eigner Grosva-
ter ſei Richter des Verklagten geweſen. Aber
weil die Familie dieſes Leztern zu den Erſten
Familien im Königreiche gehörte, verſchwieg
er den Namen deſſelben. hatte ſeinen Freund
im Zweikampf erlegt; und muſte deshalb vor
Gericht ſich ſtellen. Er vertheidigte ſich un-
erſchrocken, und alle Umſtaͤnde waren ſo guͤn-
ſtig fuͤr ihn, daß er am Ende des vorſaͤzlichen
Mordes quitt geſprochen, und ihm nach Lan-
des-Gebrauch ein Buch, um den Reinigungs-
eid zu leiſten, dargeboten wurde. Aber in-
dem er darauf blickte, trat er erſchrocken zu-
ruͤck, nahm es zwar; konte jedoch fuͤr Beſtuͤr-
zung kein Wort herleſen. — Man fragte ihn
um die Urſach ſeiner Betretung; und er ant-
wortete: „Er wundre ſich allerdings, daß
„man ſo mit ihm umgehe. Die Buchſtaben
„dieſer Schrift waͤren ja uͤber und uͤber voll
„Blut!“
Einige Perſonen, die neben ihm ſtanden,
warfen nun ſofort ihre Blicke auf dieſes Blatt;
aber ſie ſahen auch nicht die geringſte Spur
von Blute; im Gegentheil war die Schrift
rein, groß und leſerlich. Sie ſagten ihm dies;
ſeine Beſtuͤrzung nahm zu; er blickte noch ein-
mal hin; ſeufzte tief, und rief aus: „Jch
Ungluͤcklicher, nun ſeh' ich, daß die goͤttliche
Rache mich verfolgt; daß ſeine Langmuth
mich nicht laͤnger ertragen will! Zwar bin ich
in Ruͤckſicht meines Freundes wuͤrklich ſchuld-
los. Jch toͤdtete ihn wider Willen; indem ich
mich blos zu vertheidigen ſuchte. Doch hab' ich
leider die Todesſtrafe nur alzuwohl verdient.
Denn vor fuͤnf Jahren ſchon hab ich heimlich
meinen eignen Vater getoͤdtet.“
Das Schrecken der Richter bei dieſem ganz
unerwarteten Geſtaͤndnis laͤßt ſich ermeſſen.
Sie gaben dem Selbſt-Anklaͤger Zeit zu be-
denken, was er ſage. Doch dieſer blieb auf
C c 3
ſeiner Rede; erzaͤlte umſtaͤndlich, auf welche
liſtige Art er Vater-Moͤrder geworden ſei;
und erkante noch nachher, als das Todes-
Urtheil uͤber ihn geſprochen ward, mit reumuͤ-
thiger Ergebung die ſonderbaren Wege der
goͤttlichen Gerechtigkeit.Sonderbar genug iſt dieſer Vorfall; doch
daß man eine Art von Wunder in ihm ſu-
chen müſte, glaub' ich keineswegs, und wahr-
ſcheinlich hat es auch Fielding nicht geglaubt.
Wer nur einigermaßen mit den großen Wür-
kungen der Jdeen-Aſſociation und einer ein-
mal erregten Einbildungskraft bekant iſt, er-
klärt ſich Vorfälle dieſer Gattung — wiewohl
ſie allerdings merkwürdig bleiben! — doch gar
leicht. Man laſſe in der Seele des Verbre-
chers, indem das Buch zum Schwur ihm dar-
gereicht wird, den in ſeiner Lage ſehr natür-
lichenGedanken aufſteigen: „An dieſem Blu-
„te biſt du zwar rein! Aber möchteſt du es
„doch auch ſo am Blute deines Vaters ſeyn!“
ſo iſt das Schrecknis, welches ihn verblendete,
vielleicht ſchon da; iſt ein Geſchöpf ſeiner eig-
nen Seele; und iſt würkſam genug, ſeinen bis-
her verſchloßnen Mund zum Geſtändnis zu
öfnen.
XIV.
Welche unendlich kleine Kleinigkeit oft hin-
reiche, ſelbſt ſtoͤrrigen Verbrechern ihr Geſtaͤnd-
nis zu entwinden, zumal wenn ihre eigne Ein-
bildungskraft gegen ſie auftritt, davon fuͤhrt
Fielding noch ein Beiſpiel auf, das zu ſeinen
Zeiten vorfiel.
Katharina Hayes ward angeklagt und uͤber-
wieſen ihren Ehmann umgebracht zu haben;
ward deshalb den Geſezzen nach zum Feuer
verurtheilt. Sie bewieß anfaͤnglich in ihrem
Verhoͤr aͤußerſt viel Kuͤhnheit und Dreiſtig-
keit; leugnete auch alles friſchweg. Doch
indem die Zeugen abgehoͤrt wurden, brachte
man vor die Schranken unter andern ein Kleid,
das ihr Mann getragen, und womit ſie einem
ihrer Nachbarn ein Geſchenk gemacht hatte.
Dieſes Kleid, auf eine Stange mit einem
Queerholz aufgehaͤngt, glich gewiſſermaßen
dem Koͤrper eines Menſchen, dem der Kopf ab-
C c 4
geſchlagen worden, weil man freilich oben
nichts als den Rand ſehen konte; daß die
Aehnlichkeit jedoch nicht groß ſeyn konte, er-
giebt ſich von ſelbſt. Als man aber daſſelbe
(und vielleicht ein wenig unerwartet,) vor die
Gefangne hinſtellte, ward ſie ſo betreten hier-
uͤber, daß ſie ohnmaͤchtig hinſank, und beim
Wieder-Erwachen mit keinem Worte mehr ihr
Verbrechen ableugnete.