Deutscher
Novellenschatz.
Herausgegeben von
Paul Heyse und Hermann Kurz.
Band 16
Berlin
Globus Verlag
G. m. b. H.
1910
Inhalt:
Seite Gemüth und Selbstsucht. Von F. v. W. 1
Mohrenfranzel. Von Hermann Schmid 87
Der Striethast. Von E. v. Dincklage 179
Die Schlangenkönigin. Von Otto Roquette 221
Die Schlangenkönigin.
Von Otto Roquette.
Otto Roquette, am 19. April 1824 zu Krotoschin geboren, besuchte das Gymnasium zu Frankfurt a. O., studirte in Heidelberg, Berlin und Halle Philosophie und Geschichte und promovirte 1851 zu Halle. Nachdem er eine Zeitlang als Lehrer am Blochmann'schen Institut zu Dresden gewirkt, wurde er 1862 als Professor der allgemeinen Geschichte an der Kriegsakademie zu Berlin angestellt, welche Stellung er schon nach Jahresfrist wieder aufgab. Seit einigen Jahren bekleidet er eine Professur der Literaturgeschichte am Polytechnikum in Darmstadt.
Das lyrisch-epische Gedicht „Waldmeisters Brautfahrt“, das im Jahre 1851 erschien, begründete den Ruf des jungen Dichters schnell in den weitesten Kreisen, und das im Jahre 1852 folgende „Liederbuch“ mit seiner heiteren Frische uns Anmut befestigte den ersten Erfolg, während die anderen epischen Dichtungen „Der Tag von Sanct Jacob“ (1852), „Herr Heinrich“ (1854,) „Hans Heidekukuk“, sowie mancherlei Versuche im Drama( die „Dramatischen Dichtungen“ erschienen gesammelt 1867), nicht ganz auf gleicher Höhe mit jenem ersten glücklichen Wurf sich zu halten vermochten. Auch der Künstlerroman „Heinrich Falck“(3 Bde. 1858) vermochte nicht durchgreifend zu wirken, während sich Roquette's kleine novellistische Arbeiten: Erzählungen (1859), Neue Erzählungen (1862), Susanne (1864), Luginsland (1867), eines sehr dankbaren Publicums zu erfreuen hatten.
Wir müssen darauf verzichten, in den kurzen Zügen, hier vergönnt sind, eine Charakteristik dieser Novellen zu geben, die, sämmtlich anregend, mit freier Hand und sinnigem Geist entworfen, einer wahren Dichternatur
entsprungen, aber je nach Stoff und Stimmung von sehr verschiedenen Werthe sind. Mehrfach läßt sich selbst bei den bedeutenderen wahrnehmen, daß der glückliche Griffs des Motivs und der Charaktere in der ersten Hälfte überraschend wirkt, während die Durchführung etwas dagegen absticht. Auch in der von uns mitgetheilten überwiegt der höchst eigenthümliche Reiz des Locals, der phantastisch märchenhafte Beginn der Geschichte das Interesse der späteren Entwicklung. Gleichwohl sind wir, so viel Vorzüge anderer Art auch in andern von Roquette's Novellen uns anzogen, immer wieder zu dieser „Schlangenkönigin“ zurückgekehrt, deren Stimmungsvolle Scenerie wohl auf jeden Leser einen unvergeßlichen Eindruck machen wird.
1. Der alte Herr erzählt. Alljährlich um die Sommerzeit tauchen Erinnerungen in mir auf, Jugenderinnerungen, schön und trübe zugleich, die mich mit unwiderstehlicher Macht gefangen nehmen. Es ist wie eine Märchenwelt, was vor meiner Seele lebendig wird, wie ein uralter Zauberwald der Romantik, der mir seine Wunder erschließt. Hundert Wasserarme durchkreuzen ihn in anmuthigen Windungen, und durch die Blätterkuppeln fällt tanzendes Sonnenlicht auf die leise bewegte Flut. Die weißen Wasserrosen duften zwischen ihren breiten Blättern und wiegen sich nach einer alten Melodie, die aus der Ferne dringt. Aus dem Schilfe nickt die Blumenbinse mit roth blühendem Fächer, und vom Erlenzweige flattert die rankende Winde herab. Blaue Libellen und dunkle Waldschmetterlinge fliegen hinüber und herüber, die Mücken spielen und die goldene Biene summt flüchtig vorbei. Es ist still am hellen Tage,
traumstill, nur die Eine ferne Liederweise weht durch die Luft. Immer leiser und ferner klingt sie, das Wasser hört auf zu fließen, die Blumen bewegen sich nicht mehr, des Falters müde Schwinge sucht eine Blüte, die Mücke zur Ruhe einen Grashalm. Der letzte Ton ist verklungen, und mein Auge sinkt zum Schlummer nieder. Wie ich erwache, schimmert das Mondlicht durch die Zweige. Um mich her plätschert und lacht es im Wasser, ich sehe nackte Kindergestalten in reizenden Bewegungen durch die Wellen spielen. Sind es Elfen, Nixen, Kobolde? Sie haschen nach silbernen Schlangen, werfen sich dieselben zu, daß sie sich um die weißen Arme und Nacken schlingen. Da tönt von Neuem die alte Melodie, aber tiefer, trauriger, ferner. Im Kahne schwebt eine blasse Mädchengestalt heran, die Elfenschaar jauchzt ihr entgegen, und all die silbernen Schlangen schießen in leichtem Sprunge in ihren Kahn. Sie hat die Arme ausgestreckt, aber auf mir liegt ein Bann, ich kann mich nicht regen, und mein Haupt sinkt schwer auf Arme und Knie nieder. Einen Seufzer höre ich noch, ein schluchzendes Weinen, und wie ich mich erhebe, verlieren sich im Nebel die letzten Umrisse meines Zauberwaldes. — —
Mein Vater war ein wohlhabender Kaufmann in Berlin. Sein Haus lag in dem lebhaftesten Theil des alten Berlin und hatte noch die eigenthümliche Einrichtung eines Geschäftshauses früherer Zeiten. Die gewölbten Räume des Erdgeschosses umschlossen große
Waarenlager, ebenso das ganze speicherartige Hinterhaus. In dem obern Stockwerke hatte die Familie Platz, sich auszubreiten. Leider aber sollte die Familie sehr klein bleiben. Meiner Mutter erinnere ich mich nicht mehr, sie starb vor meinem zweiten Jahre. Dagegen knüpfen sich meine liebevollsten Kindheitserinnerungen an ein anderes weibliches Wesen. Ich hatte eine wendische Amme aus dem Spreewalde. Es war eine junge Frau, die ihren Mann noch vor der Geburt ihres ersten Kindes verloren und wieder in Dienste hatte gehn müssen. Da sie sich in dem verödeten Hause sehr anstellig und brauchbar zeigte und ich mich an die treue Kascha wie an eine Mutter gewöhnt hatte, behielt mein Vater sie im Hause und überließ ihr die Wirthschaft mit der Zeit fast ganz. Sie sorgte für mich mit Liebe und Aufopferung und hegte und pflegte mich, denn ich war ein schwächliches Kind. Oft erzählte sie mir mit Sehnsucht von ihrem Knaben, so daß in mir die gleiche Regung erwachte und ich dem Vater anlag, den kleinen Franz aus dem Spreewalde kommen zu lassen. Da ihm meine Vereinsamung längst schmerzlich gewesen sein mochte, so ging er darauf ein und nahm den Knaben in sein Haus auf.
Ich hatte nun einen Spielkameraden und entwickelte mich an und mit ihm schneller. Anfangs zwar sprach er fast nur wendisch, aber bald lernte er das Deutsche geläufig, zumal da seine Mutter es sprach, während ich andererseits durch diesen Verkehr der
wendischen Sprache ziemlich Herr wurde. Wir hatten dieselben Lehrer und lebten auch sonst in jeder Weise wie Brüder.
Mein Vater verheirathete sich wieder. Die Stiefmutter vernachlässigte mich nicht gerade, brachte mir aber doch keine so große Zärtlichkeit entgegen, daß sie mich der treuen Kascha hätte abspänstig machen können. Erst in späteren Jahren, als sie die Hoffnung, Kinder zu bekommen, aufgegeben hatte, entstand ein innigeres Verhältniß zwischen uns, und ich darf nicht ungesagt lassen, daß das schöne und freundschaftliche Entgegenkommen gegen den nun schon heranwachsenden Sohn durchaus von ihr und einem herzlichen Bedürfniß ausging.
Franz und ich hatten dieselben Neigungen und Eigenthümlichkeiten. Wir waren beide mehr innerlich lebende, träumerische Naturen, Poesie und Künste zogen uns über Alles an. Es war im Anfang des Jahrhunderts, Schiller stand in frischestem Andenken, Goethe noch in schönster Blüte. Wir gaben uns der neuen idealen Welt, die diese beiden Genien erschaffen, mit ganzer Seele hin und fanden darin in meiner Stiefmutter eine begeisterte Theilnehmerin. Indessen überkam mich, der ich bis zu meinem achtzehnten Jahre außer Berlin noch nichts gesehen hatte, ein immer heftigeret Drang in die Welt hinaus. Und da mir Franz und Kascha oft und viel von ihrer Heimath erzählt hatten, so wurde der Spreewald das Land meiner
Sehnsucht. Endlich, nachdem die Schülerjahre vorüber waren, gestattete mein Vater mir die Reise in Franzens Begleitung. Vier Wochen lang wohnte ich mit ihm bei seinem Oheim, einem einfachen Bauer, und dieser Aufenthalt, diese Wiesen, Baumdickichte und Wasserarme erschienen meinen Neulingsaugen als das irdische Paradies. Selbst später noch, als ich die Alpen, Italien und Frankreich gesehen hatte, kehrte ich mit alter Liebe gern in den kühlen Spreewald zurück und fand dort immer neue Schönheiten.
Seit dieser ersten Reise aber trennten sich meine und Franzens Lebenswege. Er wollte Schullehrer werden und bezog ein Seminar; ich selbst rüstete mich zur Universität. Mein Vater sah mich nicht gern dahin abreisen; er hätte gewünscht, mich schon jetzt in sein Geschäft aufzunehmen, da es künftig auf mich übergehen sollte. Indessen vermochte er nicht dem Wunsche seines einzigen Kindes zu widerstehen, zumal da die Stiefmutter auf meiner Seite war und ich ihm die Hoffnung keineswegs nahm, nach Vollendung meiner Studien ihm ein thätiger Gehülfe zu sein. Da ich durchaus nicht gezwungen war, mich an ein Fachstudium zu halten, lebte ich auf mehreren Akademieen ganz meinem dichterischen und künstlerischen Hange und durfte, von der Freigebigkeit meines Vaters unterstützt, mir auf Reisen auch die Welt in größeren Kreisen betrachten. In meinem zweiundzwanzigsten Jahre kehrte ich heim und beglückte den Vater durch
den Entschluß, mich von nun an unter seiner Leitung in die Geschäftsthätigkeit einzuarbeiten. Kein halbes Jahr verging, so wurde die Freude und das Glück des Hauses noch erhöht. Ich verlobte mich mit dem liebenswürdigsten und schönsten Mädchen, dem reinsten und gütigsten Wesen, das je die Welt gesehen. Meine Wahl fand den ganzen Beifall der Eltern. In meinem dreiundzwanzigsten Jahre war ich Gatte, im vierundzwanzigsten glücklicher Vater eines Knaben.
Das Glück unseres Hauses hatte keine Grenzen, es gab bei uns nur Freudentage. Die Stiefmutter schien neu aufzuleben, sie liebte mein junges Weib wie ihre Tochter, sie pflegte meinen Knaben mit der ganzen Zärtlichkeit einer Großmutter. Denke ich an jene Zeit zurück, so ist mir, als hätten wir in einem Rausch von Wonne und Seligkeit gelebt. Es waren zwei Jahre, so erfüllt von Glück, daß sie ihren Glanz über ein ganzes, gedehntes Leben ausbreiteten. Ach, es mochte wohl des Glückes zu viel sein!
Noch hatte ich nichts, gar nichts erlebt, was irgend wie mich hätte innerlich tiefer erschüttern können, als mich völlig Unvorbereiteten der furchtbarste Schlag traf. Mein junges, heißgeliebtes Weib starb! Ich glaubte wahnsinnig zu werden vor Schmerz. Mit einem einzigen Sturz war das ganze Gebäude meines Glückes zusammengebrochen, ich wollte auf der verödeten Stätte nicht mehr leben. Und wie ich innerlich zerrüttet und zerrissen war, so begann auch mein Körper zu leiden.
Man schickte mich in die Bäder, auf Reisen. Ich hielt es nicht aus, allein umher zu schweifen, und kehrte schon nach einem halben Jahr zu den kummervollen Räumen zurück, die mein Glück gesehen hatten. Man war liebevoll und nachsichtig gegen mich. Die Stiefmutter ging ganz in Sorge für mein Kind auf, das aufs Schönste gedieh, der Vater verlangte nichts von mir und sann nur darauf, mich zu trösten und zu zerstreuen. Er wußte mich dahin zu bringen, daß ich mich ein wenig mit Zeichnen und Malen beschäftigte, wie ich es sonst wohl getrieben hatte, er vermittelte mir Bekanntschaften mit Künstlern und wurde aus Liebe zu seinem Sohne ein Kunstmäcen. Besonders zog er jüngere Maler ins Haus, damit ich durch ihren Umgang dem Leben wieder gewonnen würde. Ich ließ mit mir anstellen, was man wollte, mein Herz war nicht bei der Kunst, noch bei den Menschen, und in das Innere meiner Brust fiel kein Funken des Trostes. Zu heiß hatte ich geliebt, zu tief war der Riß durch mein ganzes Wesen.
Franz hatte inzwischen eine Stelle als Lehrer erhalten, und zwar in seinem heimatlichen Spreewalde, in dem Dorfe Leipe. Die treue Kascha war ihrem Sohne gefolgt und führte ihm das Hauswesen. Da schrieb er mir, wie er oft gethan hatte, und bat mich zu ihm zu kommen, um bei ihm meinen Kummer zu zerstreuen. Das letztere hoffte ich zwar nicht, doch ging ich auf seinen Vorschlag ein, denn ich war ruhe-
los im Hause, und das bunte Leben, mit dem mein Vater mich umgab, beängstigte mich eher, als daß es mich vergessen gelehrt hätte.
Aber ich sollte nicht allein reisen. — Zu den Künstlern, die in unserem Hause aus und ein gingen, gehörte auch ein junger Maler, den ich nur bei seinem Vornamen Victor nennen will. Er hatte damals noch kein größeres Werk von Bedeutung geschaffen, aber seine reichlichen Skizzen und Studien zeigten ein liebenswürdiges Talent. Mein Vater, der ihm ganz besonders gewogen war, kaufte ganze Mappen voll von seinen kleinen Zeichnungen und zeigte sich ihm als einen freigebigen Gönner. Es war jedoch vielleicht weniger sein Talent, als seine Persönlichkeit, die ihn in unserem Hause so beliebt machte. Victor war von angenehmer Erscheinung, hatte den liebenswürdigsten Umgangston und wußte sich in jeder Gesellschaft zu bewegen. Geistvoll, lebhaft, immer zum Scherzen aufgelegt, schien er den Meinigen vor Allen geeignet, mich aus meinem Hinbrüten herauszureißen. Man sah ihm viel nach. Er war eine derb sinnliche Statur, oft bis zur Frivolität. Es fehlte ihm an Bildung, hauptsächlich an Bildung des Gefühls, er hatte keine Tiefe, leichter Genuß war das Element, in dem er lebte und das ihn an einem ernsteren Streben hinderte. Er wußte mich zu unterhalten und, so sehr er mich oft verstimmte, doch wieder zu fesseln. Ich war damals in einem Zustande, in welchem die Außenwelt wirklich
nur wie Schatten an mir vorüberging; weder eine Verstimmung noch eine Anregung drang durch die Oberfläche meines Wesens. So ließ ich ihn gelten und verhielt mich, trotz seines freundschaftlichen Entgegenkommens, weder annähernd noch ablehnend gegen ihn.
Victor nun war es, der sich erbot, mich in den Spreewald zu begleiten. Ich merkte wohl, daß er im Aufträge meines Vaters handelte, und so wenig mir diesmal seine Gesellschaft erwünscht war, so gab ich den stillen Wünschen der Meinigen doch nach und nahm seine Begleitung an. Der Wagen meines Vaters, vollgepackt mit Vorräthen für Kascha, empfing uns und führte uns zum Halle'schen Thor hinaus. Vierzehn Meilen im Sommerstaube des märkischen Sandes, im glühenden Dunste halb verdorrter Föhrenwälder waren zu überwinden. Doch es kamen die Seen von Neuhof, es kamen frische Wiesen, Dörfer und Städtchen, von Laubwald umgeben, die Ebene wurde immer grüner und lachender. Endlich, es war um die Mittagszeit, langten wir in dem Städtchen Lübbenau, dem Ausgangspunkte des Spreewaldes, an.
2. Ein Sommernachtstraum im Spreewalde. Und nun öffne dich doch noch einmal vor meiner Erinnerung, du kühles Wipfelgezelt, und nimm mich
in dein grünes Labyrinth auf! Leicht und wie vom Winde getragen gleitet der Kahn mitten in das Erlendickicht, das mit schlanken Stämmen aus dem feuchten Grunde aufsteigt. Mit unzähligen schweifenden Wasserarmen und selbstgeschaffenen Kanälen hat die Spree einen Flächenraum von vier Quadratmeilen zu ihrem Eigenthum gemacht und Wald und Wiesen zu einem Inselreich gestaltet. Um den Boden zu entwässern, grub die Hand der Menschen immer neue Kanäle unter den grünen Laubwölbungen, verband die breiteren Wasserstraßen durch schmälere mit einander und zog so ein Netz von Wegen durch den Wald, die den schlanken Kahn zu dem einzigen Verkehrsmittel der Gegend machen.
Es ist ein Waldvenedig, und Alles erinnert hier an die eigenthümlichen Züge der Lagunenstadt. Wie die Bäume am Ufer sich unmittelbar aus dem Wasser emporheben, so zum Theil auch die Häuser. Jedes Gehöft liegt, malerisch von Baumwuchs umgeben, auf seiner eigenen Insel. Wo sich der Sonne ein freier Durchblick bietet, da berankt Weinlaub die Wände, bis hoch zu dem grauen Strohdach hinauf. Bunte Blumen blühen in Fülle in den sorgsam gepflegten Gärtchen, Netze und Fischkasten deuten auf reiche Ausbeute in den Kanälen. Frauen und Mädchen sind vor der Thür geschäftig und zeigen eine noch unbeirrte, farbenprächtige Nationaltracht. Das brennende Roth ihrer Kleider, das Blau und Weiß ihrer Tücher und Hauben
glänzt lachend zwischen dem Grün der Bäume hervor. Spielende Kindergruppen sitzen, eben so bunt gekleidet, auf den Wurzeln der Bäume, oder in den zwischen dem Schilf angebundenen Kähnen. Wer das Haus verlassen will, muß den Nachen besteigen. Wie der Gondolier in Venedig, steht hier der Einzelne aufrecht in seinem schmalen Gefährt und stößt es mit der Ruderstange fort.
Du siehst eine schlanke Mädchengestalt mit rothem Kopstuch über die Wiese kommen; sie scheint zu schweben, denn du bemerkst nicht die Bewegung ihrer Füße. Da wendet sich ihr Weg, und aus einem Kanal tritt sie im Kahne in das breitere Wasser herein und gleitet dir langsam entgegen — ein reizendes Bild im grünen Waldesrahmen! Und neue Dörfer steigert zwischen Erlen und Eichen aus der beschatteten dunkeln Flut auf. Du siehst hoch hinauf geführte Brücken, zwar von der einfachsten Bauart, aber in ihrer Weise doch auch wieder an die mächtige Stadt der Kanäle erinnernd. Vier Stangen stehen in der Mitte und tragen ein paar Bretter, während zu beiden Seiten andere, statt der Stufen nur mit Latten benagelt, zum niedrigen Ufer sich hinab senken. Und während du noch nach dem Grunde dieser luftigen Form des Uebergangs fragst, kommt die Antwort dir schon entgegen geschwommen. Ein Kahn, hoch mit Heu beladen, nähert sich aus der Ferne und bewegt sich unbehindert unter dem leichten Gerüste fort. Es ist still, feierlich still in dem ganzen
Wasser- und Baumrevier. Du hörst kein Geräusch von Pferden und Wagen, nur ab und zu einen Ruderschlag oder den Ruf eines einsamen Vogels. Es giebt hier keinen Acker für Pflug und Egge, es giebt nur Gartenland und Waldwiesen, und jede Ernte führt der Kahn in die Scheuern.
Mir ward leichter ums Herz, als ich nach dem heißen Tage unter den kühlen Wölbungen der Erlen dahin fuhr. War dies doch einst das Paradies meiner Jugend gewesen, wo ich zum erstenmal die goldene Lust der Jünglingsfreiheit gefühlt. Unser Gepäck hatten wir fürs Erste im Gasthofe zu Lübbenau gelassen und sogleich einen Kahn bestiegen. Ich glaubte von früherer Zeit her die Wege genau zu kennen, und so lehnte ich den Führer ab und ruderte meinen Gefährten allein in den Wald hinein. Doch vermied ich den großen Spreearm, welcher direkt nach Leipe, dem Wohnort Franzens, führte. Ich wollte dem Maler zuerst die reizenden Bilder des Dorfes Leede zeigen.
Bald war es erreicht. Victor gerieth außer sich vor Entzücken. Die umrankten, von Blumen umblühten Häuschen und Gehöfte, still, behaglich und lauschig im Grünen, die hoch empor strebenden Bäume, die bunten Gewänder, der Verkehr auf den leichten Kähnen, Alles war ihm neu und unerwartet. Bei jeder Wendung ein anderes Bild, ein neuer Blick in einen Kanal, auf hölzerne Gebäude, wie von Künstlerhand malerisch zusammengestellt, auf Kindergruppen und blonde Mäd-
chengestalten bei der Arbeit in Hof und Garten. Das Auge weiß nicht, wo es hinsehen soll, so reich ist die Mannichfaltigkeit, so einzig die Zusammenstellung und Verschmelzung von Dorf, Wald und Wasser in der Landschaft. Wüßtet ihr nur, was ihr hier lernen könntet, ihr Maler! Ihr müßt den Schnee der Alpen, ihr müßt die Wunder des fernen Südens sehen — nun wohl, ihr müßt, aber ihr verschmäht oder wißt nicht, welch ein Reichthum für euren Griffel hier in nächster Nähe liegt. Ihr braucht nur abzuschreiben, und das Bild ist fertig. Aber freilich, was hundert Meilen weit entfernt liegt, wird immer als das Schönere und Ersehnenswerthere gelten, und der Mensch vergißt, daß er das Gute so nahe hat. Erst wer in der Fremde Großes und Viel gesehen hat, kehrt mit geläutertem Auge zur bescheideneren Heimath zurück. Bildung macht wohlwollend und anerkennend, wie im Leben so in der künstlerischen Naturbetrachtung. Für sie bedarf es nicht des Apparates gewaltiger Erscheinungen. Was aus einfachen Mitteln sich harmonisch zum Ganzen verbindet, gilt ihr eben so viel als das, was die Natur in großen, erhabenen Zügen dichtet. Das Vergleichen ist die beliebteste und doch unglücklichste Kritik des Laien oder gedankenlosen Halbgebildeten. Bringt nur die Reinheit des Gemüthes mit und die unentweihte Genußfähigkeit für das Schöne, und ihr werdet, wenn ihr schon das Große und Er-
habene kennt, auch an der einfachen Anmuth noch eine Fülle der Freude finden.
Stunden waren uns im träumerischen Hingleiten vergangen. Wir hatten sie nicht gezählt, ganz dem Eindrücke dieser erquickenden Waldesruhe hingegeben. Selbst Victor war still geworden, lag ausgestreckt im Kahne und ließ die Hand im Wasser spielen, oder nach einer schwimmenden Blume haschen. Immer einsamer wurde es, kein Nachen begegnete uns mehr, die Dämmerung webte schon einen dichten Flor um uns her Es mußte schwül im freien Felde sein, denn wenn wir zuweilen aus den Bäumen heraus und durch eine freiere Lichtung glitten, wehten uns warme Lustwellen entgegen. Schon hob sich über der Wiese die große rothe Mondesscheibe empor, und als wir von Neuem in das Dickicht einfuhren, war tiefe Nacht um uns her.
Ich hatte inzwischen erkennen müssen, daß ich vollkommen verirrt war, und sah voraus, daß, wenn der Zufall uns nicht Hülfe schickte, wir noch Stunden lang, möglicherweise die ganze Nacht mit unserem Kahne umherkreuzen könnten. Mein Begleiter nahm diese Besorgniß indessen mit größerer Ruhe auf, als ich befürchtete. Was thut's? rief er, kann man zu Nacht besser eingewiegt schlafen? Und wenn Elfen und Kobolde erscheinen, uns zu necken, so soll mir die neue Bekanntschaft willkommen sein!
Ein helles Wetterleuchten und fernes Gewitterdröhnen gab eine drohende Antwort auf seine Heraus-
forderung. Und schweigend fuhren wir weiter. Ich überließ mich ganz den Windungen des Wassers. Keine Richtung war mehr zu erkennen. Auf dem Grunde und zwischen den Stämmen dichte Finsterniß, nur oben in den Wipfeln spielte das Mondlicht. Da erblickte ich seitwärts in der Entfernung einen Schimmer. Ein Kanal führte in gerader Linie rechts ab zu einem größeren Wasserbecken, auf dem der volle Mondschein lag. Der Kanal war so eng und seicht, daß ich den Kahn nur mit Mühe zwischen dem hohen Schilf hindurcharbeitete.
Noch hatten wir die lichte Stelle nicht erreicht, als wir lachende, jauchzende Kinderstimmen und lebhaftes Geplätscher im Wasser vernahmen. Wir kommen an ein Ziel! dachte ich, und strengte meine Arme an. Aber noch ehe ich den Ort des lebendigen Geräusches erreicht hatte, erblickte ich, aufrecht stehend und über das Schilf hinaus sehend, ein so überraschendes Bild, daß ich die Ruderstange sinken ließ.
Was giebt's? rief Victor, indem er sich erhob. Ich hieß ihn schweigen und deutete nach dem Wasser. Sein lautes Ha! des Erstaunens wurde von dem Geräusch im Wasser und den hellen Kinderstimmen übertäubt. Ich beschwor ihn, ruhig zu sein und das reizende Bild nicht zu stören. So zwängte ich den Kahn bis in den Schilfkranz des Wasserbeckens, und von Dunkel und Röhricht versteckt, beobachteten wir die lieblichste Scene eines Elfenmärchens.
In der hellen Wasserfläche plätscherte ein Duzend nackter Kindergestalten umher. Ihre Arme und Nacken glänzten im Mondschein, und die Sprühwellen, mit denen sie sich jubelnd bespritzten, schimmerten wie ein Diamantenregen. Und in der Mitte dieses ausgelassenen Chors saß im Kahn eine Mädchengestalt. Das volle Mondlicht fiel auf ihr Gesicht. Sie hatte nur das rothe Kopftuch abgeworfen, und das blonde Haar hing ihr ausgelöst um die Schultern. Eifrig flocht sie an einem Kranze von weißen Seerosen, die die Kinder ihr vom Ufer brachten. Bald näherte sich ihr ein muthwilliger Knabe, aber anstatt ihr die Blume zu reichen, warf er ihr den schweren, nassen Kelch ins Gesicht. Strafend suchte sie ihn mit dem langen Blüthenstengel zu treffen. Aber der lustige Kobold überschlug sich ausweichend im Wasser und riß Andere mit sich herum, daß es bei jauchzendem Schreien eine Weile dauerte, ehe sich Glieder und Gestalten aus dem funkelnden Schaum entwirrten. Dann wieder kam ein Nixlein zum Vorschein — man sah das goldene Haar lang hinter ihr her schwimmen — das führte ein noch kleineres, kaum dreijähriges. Es prustete und geberdete sich ein wenig ängstlich, bald aber lachte es in den schützenden Armen seines Schwesterchens, das neben ihm kauerte, und klatschte mit den kleinen Händen auf das flimmernde Wasser. Es war ein Lachen, Springen und Tanzen, eine Bewegung in dem feuchten Ele-
mente, daß die herumgeworfenen Wellenkreise an unserem versteckten Nachen hoch aufsprangen.
Jetzt setzte das schöne Mädchen im Kahne ihren fertigen Kranz auf und bog sich über, um ihr Bild im Wasser zu betrachten. Aber der Spiegel war durch die Bewegung unterbrochen. Da erhob sie sich und klatschte in die Hände. Plötzlich rief eine Stimme aus dem hüpfenden Chor: Schlangenkönigin! Schlangenkönigin! Und: Schlangenkönigin! tönte es mit Jubel und Händeklatschen aus allen Kehlen. Diese Huldigung schien ihr zu gefallen. Schnell hob sie sich empor, streckte die Arme aus und rief mit lachendem Gesicht:
Schlangenkönig im tiefen Grund, Hab' deine Kinder gepflegt allstund, Hab' sie genährt drei Jahre schon, Sage, was giebst du mir zum Lohn? Sage, wo liegt dein goldner Schatz? Komm herauf und zeig mir bei Platz, Schlangenkönig, herauf! Da leuchtete das Wetter heftiger auf, und näher grollte schon der Donner. Die Schlangenkönigin schien zu erschrecken. Nach Hause! rief sie. Nach Hause! Die kleine, nackte Koboldschaar sprang ans Ufer, das Mädchen ergriff das Ruder und stieß den Kahn um eine schilfige Ecke, und im Nu war das ganze Gebilde unseres Sommernachtstraums zerstoben. Mir erschien es wie die Vision eines goldenen Zeitalters, ein flüchtiges Geschenk der Poesie, voll Unschuld und Liebenswürdig-
keit. Aber die lebhaftere Natur meines Gefährten lehrte mich Wohl an die Wirklichkeit glauben. Er hatte von dem Ganzen nur die Schlangenkönigin ins Auge gefaßt und sah in ihr nicht mehr als eine irdische Schönheit. Ich bat und beschwor ihn, ruhig zu bleiben, ich mußte ihn fest halten, daß er nicht ins Wasser fiel, so bog er sich über, so war er ganz benommen und bezaubert.
Jetzt riß er mir die Stange aus der Hand, um der Erscheinung des reizenden Mädchens schneller zu folgen. Aber unser Kahn war in Röhricht und Schlamm so fest gefahren, daß es, trotz vereinter Anstrengungen, nicht möglich war, ihn von der Stelle zu bringen. Eine Viertelstunde verging, Victor's Ungeduld stieg aufs Höchste, und schon trat ein abgerissenes Wolkenstück vor den Mond, ein finsterer Vorposten des heraufziehenden Gewitters. Endlich mußten wir uns entschließen, ins Wasser zu steigen und unser Fahrzeug aus dem Grund heraus zu ziehen und zu heben. So wurden wir wieder flott, durchschnitten im Fluge den wieder glatten Wasserspiegel und folgten der Richtung, die die Schlangenkönigin mit ihrem Gefolge eingeschlagen hatte. Aber in fernster Ferne verhallte schon das Lachen und Rufen. Mehrere Kanalwindungen durchschnitten sich hier, und wir schwammen rathlos am Kreuzwege. Ein Windstoß fuhr durch die Bäume, machte die Wipfel aufrauschen, das Schilf schwirren und die Wellen ans User klatschen. Das Gewitter war da. —
3. Die Hexenküche. In großen Tropfen prasselte der Regen nieder, und wild und geräuschvoll schüttelte sich der ganze Wald. Finsterniß lag um uns her, und dennoch ruderte ich mit angestrengten Armen, ich wußte nicht wohin. Blitz und Schlag folgten auf einander, der Kahn stand voll Wasser, wir mußten daran denken, ans Ufer zu steigen. Da fuhr im Zickzack ein züngelnder Strahl durch die Lust. Gleich darauf ein Krachen, der Sturz eines Körpers ins Wasser, daß die zurückgepeitschte Flut uns über Kopf und Nacken strömte und der Kahn dem Umschlagen nahe war. Der Blitz hatte den Ast einer Eiche abgerissen, dessen äußerste Zweige sich vor uns in den Kanal warfen. Der Weg war versperrt, wenn noch von einem Wege die Rede sein konnte. Victor hatte in dieser furchtbaren Gewitternacht längst seine Herausforderung an die Kobolde bereut. Ich stieß den Kahn zurück, und während ich mich umsah, gewahrte ich durch das Dunkel einen röthlichen Schein.
Das sind helle Fenster! rief Victor, und mit erneuter Hoffnung schob ich uns am Ufer entlang. In der That näherten wir uns dem Lichte. Ich fühlte mit dem Ruder, daß sich hier wiederum ein Seitenkanal abzweigte. Er war nicht breiter als ein Graben, doch führte er uns nach einiger Zeit wirklich zu einer menschlichen Wohnung. Mit erleichtertem Herzen tapp-
ten wir uns an das vom Regen schlüpfrige Ufer bis zum Hause und pochten. Eine Weibergestalt, die wir nur aus den Umrissen erkannten, öffnete eine Spalte des Fensters und fragte im Tone höchsten Erstaunens, wer noch so spät klopfe. Sie hatte wendisch gesprochen, und so bediente ich mich derselben Sprache, so gut es ging, um ihr in ein paar Worten unsere Lage auseinander zu setzen. Sie wandte sich um und befahl zu öffnen. Wir wurden eingelassen.
Ein rauchgeschwärzter Raum, welcher Küche und Zimmer zugleich vorstellte, empfing uns. Auf dem Herde brannte ein helles Feuer, dessen Wärme uns bis auf die Haut Durchnäßten sehr zu Statten kam. Die Bewohner schienen über unsern Besuch nicht wenig verwundert, lachten aber laut auf, als ich erzählte, ich hätte die Wege allein finden zu können geglaubt. Ich bat, man möchte uns zu Nacht ein Unterkommen gönnen. Die Alte schien keine Lust zu haben, darauf einzugehen, und es blieb unentschieden, was in dieser Nacht aus uns werden sollte. Indessen zogen wir zwei Stühle an den Herd, um unsere Kleider, die wir, bis auf den Rock, freilich auf dem Leibe behalten mußten, zu trocknen. Die Frau ließ sich endlich bereit finden, uns eine Brodsuppe zu kochen, das Einzige, was sie uns noch bieten zu können behauptete. Sie unterhielt sich dabei mit dem anwesenden Manne in einer Sprache, die ich nicht verstand. Wendisch war es nicht, wiewohl ich das slavische Idiom heraus erkannte.
Wir sind hier unter Zigeunern und Kosaken, flüsterte mir Victor zu. Ich gestehe dir, mir ist es hier fast eben so unheimlich, wie draußen in Sturm und Regen. — Die beiden Gestalten, welche sich um uns her bewegten, waren allerdings fremdartig genug anzusehen. Die Alte, mager und hochgewachsen, zeigte in ihrem braunen Gesicht den unverkennbaren Typus des Zigeunervolks. Sie hatte ein rothes Tuch um den Kopf geschlungen, unter dem das graue Haar unordentlich hervorhing. Ueber dem ebenfalls rothen und zerlumpten wollenen Rock trug sie eine Jacke von unbestimmter Farbe. Sie nahm in ihren Worten und Geberden dem Manne gegenüber eine durchaus übergeordnete Stellung ein. Er war viel jünger, vielleicht kaum Dreißig alt, dabei von sehr kleiner Gestalt und an einem Fuße hinkend; das Haar schwarz und lang, die Züge stumpf, doch nicht ohne einen verschmitzten Ausdruck. Von der Oberlippe hing ihm ein langer Schnurrbart herab. Es war ein Kosakengesicht, wie ich deren in den Kriegsjahren, in welche meine Knabenzeit fiel, genug in Berlin gesehen hatte. Die Alte rief ihn bei dem Namen Sardok.
Dieses sonderbare Paar war in der That nicht geeignet, besonderes Vertrauen zu erwecken, eben so wenig als seine Umgebung ein behagliches Aussehen hatte. Von den Wänden des aus Bohlen gebauten Hauses war der Bewurf längst herabgefallen. Man sah die geschwärzten Balken, und an den Nägeln über-
all die wunderlichsten Dinge aufgehängt: unzählige trockene Kräuterbündel in langen Reihen, die ein Gemisch von starken Gerüchen verbreiteten, dazwischen Katzenfelle, an Schnüren aufgereihte Pilze und große und kleine Säckchen mit unbekanntem Inhalt. Es war eine fürchterliche Luft im Zimmer, schwül, dunstig, fast erstickend. Und draußen goß der Regen an die Fenster, strömte es mit immer heftigerem Geräusch durch die Blätter, und Blitz und furchtbares Krachen jagten sich in ununterbrochener Folge.
Wir sprachen wenig mit unsern Wirthen, da sie selbst sich äußerst einsilbig zeigten. Unsere Aussage, daß wir den Schullehrer in Leipe besuchen wollten, schien mit Mißtrauen aufgenommen zu werden. Fremde, noch heutzutage nichts Gewöhnliches in dieser Gegend, mochten dazumal mit um so größerer Verwunderung betrachtet werden, zumal in diesem Hause. — Endlich war unsere Suppe bereit. Die Alte schüttete sie in zwei irdene Teller, und wir setzten uns zu unserem Mahle. Noch aber hatte Victor den Löffel nicht zum Munde geführt, als er mit einem Schrei vom Schemel auffuhr und krampfhaft etwas abzuschütteln suchte. Eine kleine Schlange hing an seinem Arme und wickelte sich um das Handgelenk. Mit Entsetzen riß er sie ab und schleuderte sie von sich. Weg aus dieser Höhle! rief er. Ich bleibe nicht länger. Möchten doch Mäuse, Ratten, alles Ungeziefer der Welt hier sein, ich wollte es nicht achten, nur nicht Schlangen, das Ent-
setzlichste, was es für mich giebt! Komm! Hinaus! — Schon hatte er die Thür in der Hand, als ein Wetterschlag, der ganz in der Nähe getroffen haben mußte, uns sagte, daß es draußen schlimmer sei, als in diesem Raume. Ich überredete ihn, sich zu beruhigen. Jetzt aber stand die Alte mit geballter Faust vor ihm und überschüttete ihn mit einem Strom von Flüchen. Und zwar, zu unserer Ueberraschung, deutsch, denn wir sollten sie verstehen. Du hast mein bestes Thier getödtet! schloß sie; dafür sollst du büßen! — Eilig fuhr sie in die Ecke, fand die Schlange, welche keineswegs todt war, und verbarg ihren Liebling im Busentuche. Der Kosak hinkte indessen zu uns heran und sagte begütigend: Schlange nicht beißen! Keine Furcht haben. Alte Zarna wieder gut sein. Schlechtes Wetter draußen, müssen Herrn hier bleiben. Essen Ihre Suppe, und nicht fürchten! — Ich entschuldigte meinen Freund mit seinem Widerwillen gegen Schlangen, und darauf schien es das Gerathenste, den Platz wieder einzunehmen und Sardok's Aufforderung zu folgen.
Die Alte hatte inzwischen ein wenig Suppe in einen Napf gethan und diesen auf den Fußboden mitten ins Zimmer gesetzt. Schweigend, aber mit grollenden Blicken, saß sie auf der Ofenbank und beobachtete uns. Nach einer Weile begann sie mit einem unangenehmen Lachen: Feiner Herr, das! Fürchtet sich vor einem glatten Thierchen! Haha! Hab' mehr davon, und will ihm eine Freude machen! — Darauf begann sie zischende
und pfeifende Töne vor sich hin zu wispern, und aus allen Ecken des Raums, selbst unter unsern Füßen her, ringelten sich graue, schillernde Schlangen hervor, kleine und größere, einige davon wohl drei Fuß lang. Suchend huschten sie am Boden herum, bis sie den Napf fanden und hastig mit den Köpfen hineinfuhren, um den Inhalt zu leeren. Die Alte sah ihnen, mit Armen und Brust auf die Kniee gelehnt, zu, rief sie in ihrer fremden Sprache liebkosend an, und ihre Augen glänzten von Antheil und Schadenfreude.
Victor war längst wieder aufgesprungen und hielt mich krampfhaft am Arme fest. Er schwieg, war aber in feiner Idiosynkrasie gegen dieses Gethier, von der ich bisher nichts gewußt hatte, halb außer sich gebracht. Ich selbst theilte sie nicht, auch wußte ich von meinem früheren Aufenthalte her, daß diese Wasserschlangen durchaus unschädlich seien. Doch hatte ich deren nie in solcher Anzahl gesehen und fühlte, daß die unbehagliche Scheu vor dieser sich ringelnden, kühlen Brut, der Masse gegenüber, auch bei mir erwachte.
Während Sardok in seinem gebrochenen Deutsch fortwährend versicherte, daß die Thiere uns nichts zu Leide thun würden, trat ich zu der Alten, warf ihr einen Thaler in den Schooß und sagte auf Wendisch: Zarna, befreie uns von deinen Schlangen! Ich glaube, du bist viel besser, als du dich giebst, und kannst auch freundlich sein. Wir haben uns zu dir verirrt, und so laß uns bis morgen früh deine Gäste sein. — Die
Alte nahm das Geldstück hastig in die Hand, sah mich groß an und dann wieder den Thaler. Sie warf ihn auf die Bank, als ob sie am Klange prüfen wollte, ob er nicht falsch sei. Befriedigt steckte sie ihn in die Tasche, und ihr Wesen war plötzlich verändert. — Bist ein braver Junge! rief sie, indem sie mir auf die Schulter klopfte. Mit ein Paar zischelnden Lauten jagte sie die ganze Schlangengesellschaft aus einander, daß sie wieder in alle Ecken verschwanden. Beinahe hätte ich aufgelacht, als ich meinen Gefährten auf den Schemel und dann auf den Tisch springen sah, da er den allgemeinen Aufbruch des Geziefers für einen neuen Angriff ansah. Erleichtert stieg er jetzt herab. Die Alte faßte ihn an der Schulter. Sei ohne Furcht, mein Sohn, sagte sie, ich will dich nicht mehr plagen. Sardok soll euch sein Bett abtreten, da mögt ihr ruhig schlafen.
Das Letztere lehnten wir ab und baten nur, das Feuer auf dem Herd unterhalten zu dürfen. Die Alte verließ uns, Sardok warf sich auf sein Lager, das sich in demselben Zimmer mit uns befand, und bald schlief er. Wir waren in dieser fremden, unheimlichen Umgebung unter uns. Ich legte mich, da ich sehr ermüdet war, auf die Ofenbank, während Victor erklärte, er werde die ganze Nacht nicht schlafen. Aber trotz meiner Mattigkeit wollte der Schlaf nicht kommen. Wenn ich die Augen öffnete, sah ich meinen Gefährten, der zur Beruhigung eine Cigarre angezündet hatte, auf dem
Stuhle am Feuer sitzen. Bei jedem Knistern, und es knisterte wirklich sehr viel im Zimmer, sah er sich scheu um und legte ein neues Scheit auf den Herd. Endlich verschwamm mir sein Bild, und ich schlief ein.
Als ich erwachte, verglommen noch die letzten Kohlen. Es war halb dunkel im Zimmer, aber draußen sah ich hoch durch die Wipfel das Morgengold blitzen. Victor saß noch immer vor dem Herde, aber der Kopf war auf die Brust gesunken; er schlief in einer Stellung, die ihn bei der nächsten Bewegung zu Boden werfen mußte. Ich faßte ihn am Arme. Erschreckt fuhr er vom Schlafe auf. Gott sei Dank! rief er, es ist Morgen! Ich glaube, vor einer Stunde wachte ich noch! Sind auch keine Schlangen mehr da? — Sardok, durch unsere Reden erweckt, erhob sich vom Lager und lachte uns grinsend und halb verschlafen an. Er hinkte zum Herde und erweckte das Feuer durch trockenes Reisig. Zarna trat ein. — Ho! das nenn' ich muntere Jungen! rief sie. Nun sollt ihr was Besseres haben, als gestern, und hernach mag Sardok euch auf den Weg bringen.
Die Aussicht auf ein warmes Frühstück war uns sehr willkommen, denn wir fühlten uns von der ungewohnten Nacht und der Morgenkühle durchschauert. Trotzdem glühten mir die Augen, und wir gingen hinaus, um das Gesicht mit dem Wasser des Grabens anzufrischen. Jetzt erst sahen wir, wo wir uns befanden. Ein wahrer Urwald umgab das schwarze, gebrech-
liche Blockhaus. Die Außenwand desselben war mit wuchernden braunen Schwämmen übersä't, der sumpfige Boden ließ den wilden Schierling in dichten Massen aufschießen, daß seine Blütendolden bis an das Strohdach reichten. Aus hohem wildem Gestrüpp sahen rothe Fingerhutblüten mit langem Halse zum Lichte hinauf. Die Bäume standen so dicht beisammen, daß man den Himmel nicht sehen konnte. Wir waren in ein Waldversteck gerathen, wie man es dunkler und verborgener nicht finden konnte.
Sardok schaufelte inzwischen das Wasser aus unserem Kahn und legte eine zerlumpte wollene Decke über die Bretter. Bald darauf rief uns Zarna zum Frühstück. Eine Mehlsuppe dampfte uns entgegen, nebst gesottenen Eiern; frischer Speck und schwarzes Brod lagen dabei. Es galt einige Ueberwindung, denn das Geschirr, der Tisch und die Wirthin selbst sahen keineswegs sauber aus. Diesmal berichtigte Victor die Zeche. Sie war über Erwarten reichlich, und die Alte schien sehr zufrieden. Sie begleitete uns bis an den Kahn. Wenn die Leute hören werden, rief sie, daß ihr bei der alten Zarna wart — die werden Augen machen und euch von mir erzählen! Was mach' ich mir daraus? Können doch nicht ohne mich leben! Wenn ich euch dienen kann, seht euch nur um nach mir. Der da — sie sah mich von der Seite an — der da ist blaß und hat was Schweres auf dem Herzen! Aber du hast rothe Backen, wandte sie sich an Victor, und
magst was Schönes gern. Kannst meine Hülfe wohl noch brauchen.
Sie klopfte ihm zudringlich auf die Schultern und lachte in sich hinein. Wir trieben Sardok zur Eile an, denn ihre Vertraulichkeit erschien uns Beiden noch unheimlicher als ihre Feindschaft. Als wir endlich aus dem engen Graben in einen breiten, schön gewundenen Kanal einfuhren, den blauen Himmel über uns sahen und die Strahlen der Morgensonne spürten, da erst fühlten wir uns erleichtert und begannen die Abenteuer der Nacht durchzusprechen.
4. Die Kindtaufe. Die flüchtige Erscheinung des schönen Mädchens im Kahne, die uns zu Nacht so spurlos entschwunden war, trat bald in den Vordergrund unseres Gespräches. Ich neckte Victor, indem ich meinte, daß sie nur in ihrer Qualität als „Schlangenkönigin“ habe Eindruck auf ihn machen können. Er stutzte. Jetzt, da er eine nähere Bekanntschaft mit wirklichen Schlangen, den ihm widerwärtigsten Geschöpfen, gemacht hatte, fiel der Titel, den die Kinder dem Mädchen gegeben hatten, sowie ihre Herausforderung an den Schlangenkönig ihm schwerer aufs Herz. Ich ließ ihn seine Vermuthungen über alte Zigeunerinnen, Schlangen und schöne Spreemäd-
chen anstellen und beobachtete inzwischen unsern Kahnführer. Victor saß mit dem Rücken gegen ihn, während ich dem Kosaken das Gesicht zuwendete. Und so bemerkte ich denn, daß er aufmerksam auf unser Gespräch geworden war. So oft der Name Schlangenkönigin genannt wurde, lag sein Blick lauernd auf Victor, ja ich glaubte einen immer wachsenden Ingrimm in demselben zu lesen. Es war unverkennbar, daß auch Sardok seine Vermuthungen anstellte und einen Grund zum Argwohn gegen uns zu haben glaubte. Es hätte nahe gelegen, ihn nach der Schlangenkönigin zu fragen, indessen suchte ich das Gespräch auf andere Dinge zu bringen, da mir Victors Interesse als ein eingebildetes erschien. Ich kannte seine Leichtfertigkeit und wünschte ihm Unannehmlichkeiten zu ersparen.
Zwei Stunden hatten wir zurückgelegt, der Wald war lichter geworden, und schon fuhren wir durch einen Verbindungskanal zwischen Wiesen dem eigentlichen Flußbett der Spree entgegen. Ich habe zu sagen vergessen, daß wir nicht nach Leipe, sondern nach Lübbenau zurück steuerten. Es war Sonntag, und da Leipe keine Kirche hat und die ganze Gemeinde die Predigt in Lübbenau besucht, so sah ich voraus, daß wir auch den Schullehrer daselbst eher finden würden, als in seinem Wohnorte. Schon hörten wir die Glocken läuten. Feierlich klangen sie durch die weite Stille. Der Thau hing an dem üppigen Graswuchs der Wiesen, der Wald verschwamm in der Entfernung im blauen
Morgendufte. Nähere Baumgruppen hoben sich in saftigster Frische hervor, oder zeichneten sich, vor die Sonne tretend, in dunkeln Umrissen ab.
Da erscholl ein hellstimmiger Chorgesang. Es war ein religiöses Lied mit innig schöner Melodie. Und als wir aus den hohen Grasufern des Verbindungskanals jetzt in den Fluß einbogen, kam uns auf unzähligen Kähnen die Kirchenwallfahrt der Gemeinde entgegengeschwommen. Voran der Lehrer mit den singenden Schulkindern; dann in größeren Kähnen alte Frauen, Männer und Kinder; Gruppen von jungen Mädchen, die sich zusammen gethan hatten, geführt von einem schlanken Burschen, der, stolz im Fahrzeug aufrecht stehend, den Nachen dahin gleiten ließ. Kleine schmale Kähnchen umkreisten sie im Wetteifer, oder machten das Gefolge der größeren. Bald war es eine kühne, geputzte Dirne, die allein auf ihrer Nußschale daher schwamm, bald ein Bursche, der von Nachen zu Nacken schoß und den Mädchen lustige Worte zurief. Sie schlugen die Augen auf das Gesangbuch nieder, denn sie waren ja auf der Kirchfahrt. Unabsehbar schien der Zug in seiner mannichfaltigen Farbenpracht. Die weißen Haubenkrausen der Frauen, die sich breit und gesteift von den Schläfen herab um das Kinn zogen, die bunten Kopftücher, die rothen, grünen und blauen Röcke, die hundert Gestalten in ihren verschiedenen Stellungen, die der Wasserspiegel wiedergab, das Alles wob sich mit der morgenhellen Landschaft zu
einem wunderbar schönen Bilde zusammen. Und dazu tönte Glockenklang und der Chorgesang der Kinder mit ihrem Lehrer.
Ich hatte Franz sogleich erkannt und ließ auf ihn zusteuern. Die Begrüßung war herzlich, aber kurz, denn er befand sich in seiner Amtsthätigkeit. Nachdem er mir gesagt, daß er mich schon erwartet habe und mein Freund ihm gleich willkommen sei, wandte er sich flüsternd näher zu meinem Ohr. Um Alles in der Welt! rief er, wie kommt ihr zu diesem Kahnführer? Macht, daß ihr von ihm loskommt, oder fahrt an unserem Zuge vorüber. Er ist der Gemeinde ein Aergerniß! Auf Wiedersehn nach der Kirche!
Seine Befremdung konnte mir, nach dem, was ich selbst zu Nacht von Sardok's Umgebung gesehen, nicht auffallend sein. Aber von ihm loszukommen, war jetzt nicht möglich. Ich befahl dem Kosacken daher, in einiger Entfernung an dem Zuge vorüberzufahren, denn verbergen konnten wir uns eben so wenig. Victor, der mein Vorhaben nicht begriff, widersprach heftig, mußte sich jedoch meiner Anordnung fügen. Wir hatten den Vortheil, so den Zug um so besser übersehen zu können, leider aber bemerkte ich, daß Franzens Aussage gegründet sei, denn wir waren der Gegenstand beobachtender und, wie es schien, mißbilligender Blicke.
Schon hatten wir die letzten Kähne erreicht, als sich noch ein kleinerer Zug dem großen anschloß. Es war eine zusammengehörige Gesellschaft, ein Taufzug.
In dem Hauptkahn saß eine Frau, den Täufling auf den Knieen, umgeben von den Pathen. Plötzlich fuhr Victor auf mit den Worten: Da ist sie, da! — Ehe ich noch der Richtung seiner Augen folgte, ließ ich meine Blicke zufällig über unsern Führer streifen. Ich bemerkte in Sardok's Zügen eine Verzerrung der Wuth, die mich mit Schreck erfüllte, und sah, wie er darauf das Mädchen, auf welches Victor wies, mit den Augen zu verzehren schien. Auch ich erkannte in ihr die Schlangenkönigin des gestrigen Abends. Aber ihre Erscheinung war heut eine andere. Sie trug sich ganz in Schwarz, den Rock von feiner Wolle, Schürze, Kopf- und Busentuch von Seidenstoff. Die blendend weißen kurzen Aermel sahen unter den langen Fransen ihres schön gefalteten Brusttuches hervor, und ein Theil ihres blonden Haars kam an den Schläfen zum Vorschein. Diese Tracht war nicht Trauer — denn die Farbe der Leidtragenden ist durchaus weiß — sondern freie Wahl, Geschmackssache der Dorfaristokratie im Spreewalde (auch wieder ein Anklang an die Sitte der Lagunenstadt). Das einzige Farbige, was das Mädchen als Schmuck an sich trug, war ein Strauß von künstlichen Blumen und Flittergold, der Pathenstrauß, mit einer langen, bunten Bandschleife. Neugierig richtete sie ihre großen, blauen Augen auf uns und unsern Führer, ließ sie aber mit dem Ausdruck des Unwillens auf ihren Strauß sinken. Eben solche und noch verächtlichere Blicke wurden uns von den übrigen
Personen zu Theil, und es mußte wohl fest stehen, daß wir uns im Spreewald in der ungünstigsten Weise einführten.
Victor schien nichts davon zu merken. Sie ist wiedergefunden! rief er. Laß sie uns nicht aus den Augen verlieren. Er war unglücklich und ärgerlich, daß ich darauf bestand, weiter zu fahren, bis von dem Zuge nichts mehr zu sehen wäre, um dann langsam nach Lübbenau zu rudern. Er nannte mich einen unbegreiflichen Pedanten, und es würde einen ernstlicheren Streit gegeben haben, wenn ich nicht hartnäckig geschwiegen hätte.
Schweigend landeten wir an der Stadt. Victor eilte, ohne ein weiteres Wort an mich, nach der Kirche, ich aber zog es vor, mich im Gasthofe, wo unser Gepäck lag, erst umzukleiden, denn meine Kleider waren vom gestrigen Regen noch feucht. Als ich Sardok seinen Führerlohn gab, trat er näher zu mir und sagte: Herr ist guter Herr, aber der Andere — er brach ab, ballte die Faust und blickte zurück nach der Richtung, welche Victor genommen hatte. Ich suchte den Kosaken zu begütigen und fragte, was er gegen meinen Gefährten habe? Er sah mich mit zweifelhaften Blicken an, schüttelte der. Kopf und ging davon. Mir schwante nichts Gutes, eine Stimme sagte mir, daß ich durch die Gesellschaft Victor's noch Unannehmlichkeiten würde zu bestehen haben. Hatte die Reise doch abenteuerlich genug begonnen, freilich ohne seine Schuld, aber er
konnte daran Schuld sein, daß sie sich noch abenteuerlicher gestaltete.
Schnell wechselte ich meinen Anzug und begab mich in die Kirche. — Die wendische Predigt näherte sich schon ihrem Ende. Ich blieb im Hintergründe der Kirche stehen, erblickte aber nach einiger Zeit Victor ganz in der Nähe des Altars, dem schönen Mädchen gegenüber. Sie saß, nach wendischer Sitte, auf der Seite der Frauen, alle Männer nahmen die gegenüber liegende ein. Nach Beendigung des Gottesdienstes wurde die Taufe verrichtet. Das Mädchen hielt den Täufling. Und nachdem auch dieser Act vorüber war, kam Franz auf mich zu und reichte mir die Hand. Hier an heiliger Stätte sahen wir uns Auge in Auge; es war viel zwischen uns zu sagen, denn er hatte mich zuletzt als glücklichen Menschen im Besitz des geliebtesten Weibes gesehen. Sein stummer Händedruck vertrat fürs Erste die Worte des Antheils, bewegte mich aber aufs Tiefste.
Arm in Arm verließen wir die Kirche und gingen die Straße entlang, um kurze Zeit allein zu sein. Er wußte den rechten Ton der Herzlichkeit zu treffen, der mir im Innersten wohl that. Und da er verstand, daß ich nicht hierher gekommen sei, um meinem Schmerze nachzuhängen, wußte er das Gespräch bald in ein anderes Geleis zu lenken. Ich erzählte ihm von unserer nächtlichen Irrfahrt und dem unheimlichen Nachtquartier.
Ihr seid da an einen üblen Ort gerathen! sagte
er. Die Alte lebt seit langen Jahren hier, es ist eine verlaufene Zigeunerin, weiß Gott, in welcher Weise sie den Weg zu uns gefunden hat. Sie steht sehr im Verrufe, und doch wollen die Leute ihrer nicht entbehren. Sie nennen sie eine Hexe, die den bösen Blick habe und Unheil unter den Menschen stifte. Aber dabei ist sie der begehrteste Thierarzt in der ganzen Gegend. Sie soll stehlen, gleich Allen ihrer Nation, dennoch scheut man sich, ihr irgend einen Diebstahl bestimmt vorzuwerfen. Ein boshaftes Geschöpf ist sie jedenfalls. Dazu kommt, daß man sie wie den Kosaken für Heiden hält — unsere Kirchen besuchen sie wenigstens nicht — die mit dem Teufel in Verbindung stehen. Vor etwa zehn Jahren, als die Russen im Lande waren, verschwand die Alte plötzlich. Nach einiger Zeit kam sie wieder und brachte ihren Gefährten, der damals noch ein junges Blut von achtzehn Jahren war, mit. Es ist ein wirklicher Donischer Kosak. Er war verwundet worden, versprengt irgendwo liegen geblieben, sie curirte ihn, und aus Dankbarkeit oder Indolenz folgte er ihr. Sie hält ihn halb als ihren Sohn, halb als einen Knecht. Merkwürdigerweise stellte sich nun heraus, daß er sich mit unsern Wenden sehr wohl verständigen konnte. Das slavische Idiom seiner Sprache traf hier auf eine ungeahnte Verwandtschaft. Trotzdem hat ihn die Verbindung mit der Alten ebenfalls zu einer unheimlichen Person gemacht. Ich selbst halte ihn für ein gutmüthiges Geschöpf, das
man nur nicht reizen muß. Aber leider kann unsere Jugend das Spotten über seine burleske Erscheinung nicht lassen, worauf dann seine heimtückische Rache nicht ausbleibt. Und kurzum, er hat das Unglück, in einer Gegend, die nicht seine Heimath ist, eben so gefürchtet als verspottet zu werden.
Als ich meinem Freunde von unserem Sommernachtstraum erzählte, sagte er lachend: Wie dichterisch läßt sich alle Prosa auffassen, wenn man sie mit poetischem Auge betrachtet! Das Mädchen besitzt eine zahme Schlange, die, wie du weißt, hier nichts Seltenes sind. Und, daß ich's nur gestehe, der Titel Schlangenkönigin rührt von mir her. Ich nannte sie einst im Scherz so, und bald wurde der Name allgemein. Und das Elfentreiben ihres Gefolges war weiter nichts — du wirst mir verzeihen, lieber Freund — als ein genußreiches Badefest ihrer Schwesterkinder, an die sich die Freundschaft angeschlossen hatte. Wie nahe wart ihr übrigens in diesem Augenblick einem besseren Nachtquartier! Hundert Schritt davon liegen drei stattliche Gehöfte, deren eins Mariens Schwager gehört. Bei ihm ist sie seit einiger Zeit zum Besuch. — Aber bei der Erwähnung ihres Schwagers fällt mir ein, daß wir ins Wirthshaus zurückkehren müssen. Ich bin als Gast zu seiner Kindtaufe geladen. Wenn es mir möglich ist, verschaffe ich dir und deinem Reisegefährten auch noch eine Einladung, indem ich euch als meine Freunde einführe. Doch kann ich es nicht versprechen,
denn man ist im Spreewald nicht sehr zuvorkommend, und überdieß wird man euch wegen der Begleitung des Kosaken vielleicht scheel ansehen. Indessen ist es günstig, daß du dich wendisch auszudrücken weißt.
Als wir ni das Wirthshaus traten, sahen wir Victor, umgeben von einem Kreise von Männern, die über seine Possen ni lautem Gelächter waren. Er erzählte von unserem Nachtquartier bei der Alten, machte sie und besonders den Kosaken lächerlich und wußte der spreewäldischen Eitelkeit zu schmeicheln, indem er sich über den abscheulichen Zufall beklagte, der ihn in dieser köstlichen Gegend in so ein Hexennest habe gerathen lassen. So hatte er in schlauer Weise Franz vorgearbeitet, und durch seine Vermittlung wurden wir nun zur Theilnahme an dem Feste eingeladen.
Man ging förmlich zu Tische, und das Mahl wurde mit großer Opulenz aufgetragen. Die Braten folgten einander, an Fischen fehlte es nicht, und besonderes Gewicht legte man auf die großen Hechte, den Stolz der Spreewaldfischerei. Es wurde nicht nur Wein, sondern auch Champagner getrunken.
Ich hatte meinen Platz neben dem Taufvater, dem reichen Bauer Koal. Mit Genugthuung sah er über den Tisch. Er wollte zeigen, daß ihn dieser Zuwachs der Familie, obgleich heut sein achtes Kind getauft worden war, in keiner Weise drücke, daß sein Besitzstand gestatte, jedes Familienfest mit Aufwand zu begehen. Er sprach, wie die meisten Bewohner des
Spreewaldes, auch das Deutsche geläufig, aber meine Kenntniß der wendischen Sprache machte ihn um so vertraulicher und gesprächiger gegen mich.
Uns gegenüber saß seine Schwägerin Marie, die Schlangenkönigin, und zwar zwischen Franz und Victor. Sie war in der That ein schönes Mädchen, von eher blasser als frischer Farbe, wie alle Töchter dieser Gegend, die Wangen nur leise geröthet; die blauen Augen groß und eben so ausdrucksvoll als lebhaft; zuweilen ruhig ernst, bald aber wieder muthwillig und schalkhaft. Sie wußte sich überraschend gut auszudrücken. Von ihrem Schwager erfuhr ich, daß sie elternlos sei und für gewöhnlich bei ihrem Bruder lebe. Dieser Bruder hatte, als Sohn des wohlhabenden Dorfschulzen, studirt und war jetzt Pfarrer in seinem Heimathorte Burg, dem größten Dorfe des Spreewaldes. Durch das Leben in seinem Hause und mit ihm hatte Mariens Bildung die eines gewöhnlichen Landmädchens weit überschritten. Sie kleidete sich zwar in die Nationaltracht ihrer Gegend, sie zeigte sich, so weit ich ihre Unterhaltung hören konnte, durchaus natürlich und naiv, aber in ihrem Wesen lag eine angeborene Vornehmheit, die sie von allen übrigen unterschied. Der Schwager schien sehr eingenommen von ihr zu sein, er rühmte ihre guten Eigenschaften, schloß aber doch: Die ist nicht wie meine Frau! Einen gemeinen Bauer nimmt sie nicht, sie will höher hinaus!
Während er sprach, beobachtete ich Marien. Se,
sah mich nicht an, sondern hörte Franzen aufmerksam zu. Plötzlich rief sie: Gott im Himmel! Ein Wittwer — und noch so jung! — Ihre Blicke begegneten den meinigen. Sie erröthete und schlug die Augen nieder. Victor nahm sie darauf in Anspruch, und seine Unterhaltung machte sie vielfach lachen.
So vergingen die Stunden, und die Gesellschaft war durch Wein und Vergnügen sehr lärmend geworden. Es ging zum Aufbruch. Man vertheilte sich unter großem Geräusch und Lachen in die Kähne. Victor hatte, ohne zu fragen, Marien gegenüber Platz genommen. Ihr Schwager sah ihn erstaunt an und setzte sich an ihre Seite. Franz rief mich in ein kleines, schmales Kähnchen, in welchem er selbst das Ruder führte. Wir blieben zur Seite des Koal'schen Gefährtes. Um uns herum kreisten und schossen die Nachen, hier wurde gesungen, dort gelacht. Die Heimkehr war noch von der Festfreude erfüllt Auch Koal, der über die auffallende Art, in der Victor Marien den Hof machte, etwas verdrießlich geworden schien, kam bald wieder in Stimmung, denn von allen Seiten rief man ihm vergnügt zu und meinte, so eine Taufe sei lange nicht da gewesen.
Victor pflückte eine Wasserrose und fragte Marien: Ist diese schöne Blume nicht dem Schlangenkönig geweiht? — Wie so? entgegnete sie. Das hab' ich nicht gehört. — Aber es giebt doch eine Sage vom Schlangnikönig hier? fragte er weiter. Erzählen Sie! —
O die ist kurz zu erzählen! sagte Marie lachend. Wer die Schlangen recht hegt und pflegt, den läßt der Schlangenkönig einen großen Schatz finden, und Alles, was er will, muß ihm nach Wunsch gehen. — Und wenn es ein Mädchen ist, fuhr Victor fort, dann macht sie der Schlangenkönig vermuthlich zu seiner Königin? — Das steht nicht geschrieben, meinte sie. Wenn ihr gelingt, was sie will, dann hat sie die Wahl und braucht keinen Schlangenkönig mehr.
Das sind dumme Geschichten, die so die Leute glauben! warf Koal ein. Es ist etliche Jahre her, da fand Einer hier in der Gegend beim Graben ein langes Stück goldenen Draht. Es war in Ringel gewunden, wie eine Schlange. Er fuhr damit in die Stadt, und es wurde für ächtes Gold erkannt. Hernach kam das Ding nach Berlin, und die Gelehrten haben ausgesagt, es sei ein königliches Armband von Jahrhunderten her, da die Wenden noch Heiden waren. Der Mann aber hat ein gutes Stück Geld dafür gelös't. Und nun sagen die Leute, das sei auch ein Geschenk des Schlangenkönigs gewesen, weil er die Schlangen in seinem Hause gefüttert habe.
Aber das ist ja eine ganz entsetzliche Sitte! rief Victor. Wie kann man Schlangen in seinem Hause dulden? — Marie sah ihn schalkhaft an. O! sagte sie. Sie mögen Schlangen nicht leiden? — Gott bewahre mich! Aber was gilt's, ich habe zu Nacht, wenn nicht den König, so doch die Schlangenkönigin
gesehen. Sie trug einen Kranz von solchen Blumen, wie ich hier eine in der Hand halte, und um sie her tanzten lustige Kobolde im Wasser.
Marie richtete ihre Augen groß und erstaunt auf ihn. Dann wendete sie sich schnell nach mir um und fragte in ernstem Tone: Der Herr war zu Nacht bei der alten Hexe wohl ganz krank vor Furcht, daß er solche Träume hatte? — Ihr Ernst war sehr komisch und bewirkte, daß wir Alle zu lachen anfingen. Sie selbst aber wurde von diesem Augenblick an schweigsam, bis wir nach Leipe kamen. Victor drang darauf, die Familie bis zur Lindenkaupe, dem Wohnort Koal's, zu begleiten, musste aber gute Miene zu unserer Weigerung machen und stieg in unsern Kahn herüber. Wir gaben Koal das Versprechen, ihn bald zu besuchen, und unsere Kähne trennten sich. Jene steuerten dem Walde entgegen, wir aber fuhren in die Kanäle des malerisch gelegenen Dorfes Leipe ein.
5. Kascha. Die alte Kascha, die treue Pflegerin meiner Kindheit, sah uns ans Ufer steigen und lief mit entgegen. In ihrer Freude fiel sie mir um den Hals, erschrak aber über ihre Freiheit und bat mich um Verzeihung. Dann stürzten ihr die Thränen aus den Augen, denn
auch sie hatte mich zuletzt als den glücklichen Gatten gesehen. Franz führte uns in sein Schulhaus ein. Aber so sehr er auch strebte, mich von den wieder erwachenden Gedanken des Kummers abzuziehen, seine Mutter arbeitete ihm entgegen. Sie konnte nicht ruhen, mich über die ganze Leidenszeit auszufragen, über meinen jungen Knaben, meine Familie, und so wurde durch ihren gutmüthigen Antheil die kaum geschlossene Schmerzenswunde heut lebhafter wieder geöffnet. Victor fühlte sich sehr unbehaglich dabei. Er versuchte durch ein Paar scherzhafte Wendungen unsere Unterhaltung gewaltsam in eine andere Bahn zu bringen, doch mißlang es ihm, und er erntete nur strafende Blicke von Kascha. Franz wußte ihn endlich in ein besonderes Gespräch zu ziehen und überließ mich seiner Mutter. Sie forderte mich auf, mit ihr das für mich bereitete Zimmer zu mustern, ob auch Alles darin nach meiner Bequemlichkeit sei. Ich sprach ihr meine Zufriedenheit mit der Einrichtung aus, so sehr sie sich auch beklagte, daß nicht Alles so sein könne, als ich es zu Hause gewohnt sei.
Plötzlich setzte sie sich nieder. Ernstchen, begann sie, Das mit dem Franz haben Sie auch wohl schon gemerkt? (Sie nannte mich bald du und Ernstchen, bald Sie und Herr Ernst.) — Ich fragte verwundert, was sie meine? — Na, Sie waren ja heut den ganzen Tag mit ihm und den Leuten bei— Ich verstand noch immer nicht. Sie hatte, wie ich wohl merlte, ein Geheimniß auf der Seele,
von dem sie wünschte, daß ich es erriethe. Mögen Sie die Marie leiden? fuhr sie endlich heraus. — Die Schlangenkönigin? fragte ich. — Ach, Ernstchen, gehen Sie doch mit dem häßlichen Namen! Aber freilich haben ihn die Kinder im Dorfe schon gelernt, und wo sie hinkommt, da heißt es: Schlangenkönigin! Gott erbarme sich, ich muß dabei immer an die alte Hexe in der schwarzen Kaupe denken! Aber das Mädchen weiß sich was darauf und ist, seit sie den Namen hat, nur noch stolzer geworden. — Mir dämmerte eine Ahnung auf. Meinst du, Mutter Kascha, begann ich, daß Franz —
Sie unterbrach mich mit einem hastigen Zeichen des Schweigens, sah sich wie erschrocken um, nickte aber mit Lebhaftigkeit. Dann rückte sie näher zu mir. Das Eis war gebrochen, sie mußte sich mittheilen. — Der Franz soll gar nicht wissen, begann sie in halb flüsterndem Tone, daß wir Zwei davon reden. Aber siehst du, Ernst, dich hat mir der liebe Gott recht geschickt, daß ich mal drüber sprechen kann, denn du verstehst es und kannst vielleicht helfen. Denn mein armer Franz ist gar nicht glücklich, und du weißt, was das sagen will.
Von Neuem rannen ihre Thränen, und ich mußte sie bitten, sich zu trösten und mir zu erzählen, was zu erzählen sei. — Na, rief sie, der Franz hat die Marie gar zu gern, und es ist keine Frage, daß er sie heirathen mochte, aber die stolze Creatur will nicht. — Ein schmerzliches Gefühl ging durch meine Brust. Ich
kannte meinen Freund und konnte ermessen, wie tief ein solches Geschick ihn berühren mochte. — Hat Marie ihn förmlich abgewiesen? fragte ich. — Das weiß ich eben nicht, rief Kascha eifrig. Mit mir spricht er ja darüber nicht, und wenn ich nur mal von Weitem anfange, so merkt er's gleich und redet andere Dinge. Denn er ist klug, Sie wissen es ja selbst, Herr Ernst, aus der Zeit, wo Sie zusammen lernten. Aber ich bin seine Mutter, und mir entgeht es nicht, daß es mit ihm schlecht aussieht. Und es ist einzig und allein von wegen des Mädchens. Denn seine Stelle bei der Schule ist ihm lieb, da klagt er nicht, und wenn auch sein Gehalt nur klein ist, so hat ihn doch die Erbschaft von meinem Bruder, auf die wir gar nicht rechneten, über alle Sorgen hinaus gebracht.
Ich suchte mir, während sie sprach, Mariens und Franzens Benehmen gegen einander am vergangenen Tage zu vergegenwärtigen, konnte aber keinen Zug finden, der auf ein gestörtes Verhältniß Beider hätte schließen lassen. Im Gegentheil, ich hatte überhaupt nicht einmal auf ein Verhältniß geschlossen. Sie saßen bei Tisch neben einander, sprachen harmlos, sie schien ihm voll Achtung zuzuhören, es war nichts von einer tieferen Beziehung zwischen ihnen zu erkennen. Ich sprach diese Bedenken halb tröstend gegen Kascha aus.
Das kann Alles sein, wandte sie ein, denn mein Franz ist auch stolz und wird sich vor Leuten nichts merken lassen! Aber so ein Stolz kann wie ein Gift
sein, das frißt im Stillen um sich und richtet alles Gute zu Grunde. Besser er redete einmal frei heraus, daß er Alles vom Herzen herunterbekäme, dann könnte man ihm helfen, oder, wenn's nicht ginge, mit ihm weinen! Und siehst du, Ernstchen, ich bin's nicht allein, die darum weiß, die Leute reden genug davon. Es vergeht kein Sonntag, daß er nicht in der Lindenkaupe vorspräche. Die Koal's hätten auch gar nichts gegen die Heirath einzuwenden. Letzt so kommt der Koal bei mir vor, und ist gar höflich und freundlich, und sprach mir fortwährend, was mein Sohn rechtschaffen und brav wäre. Mir lachte das Herz im Leibe, denn ich dachte, es wäre so gut wie richtig, und sagte ihm, daß, wenn mein Sohn einmal heirathen wollte, die Frau auch nicht in ein leeres Nest käme, besonders seit der Erbschaft. Er verstand auch Alles gar wohl und gab mir die Hand und sagte, wir wollten gute Freunde sein. Aber darüber ist ein halbes Jahr vergangen, und wir sind noch auf demselben Flecke. Denn die Marie will gar zu hoch hinaus, und dadurch macht sie Andere elend und wird sich selbst zu Grunde richten. Da sieht und lernt sie im Pfarrhause zu Burg bei ihrem Bruder Allerlei, was ihr den Kopf verdreht. Ein hübsches Mädchen ist sie, und da kommen Gäste aus der Stadt und Umgebung und thun schön mit ihr. Und weil sie sagen, unsere Dorftracht stünde ihr gar zu gut, so kleidet sie sich wie die andern Spreewaldmädchen, sonst hätte sie längst Stadtkleider angezogen.
Von den Dorfleuten will sie doch nicht viel wissen. Und siehst du, Ernstchen, da ist besonders der Candidat im Pfarrhause, der Hauslehrer! Der kann auch mal Pfarrer werden, und da denkt sie sich's besser, Frau Pfarrerin zu sein, als Schullehrersfrau. Ach, und sie verdreht Allen die Köpfe, Vornehmen und Geringen, und wenn sie glauben, sie möchte sie gern, dann lacht sie sie aus, die abscheuliche Person!
Kascha's Entrüstung war in vollem Zuge. Ich ergriff ihren Arm, um mir das Wort zu erobern. — Demnach bist du selbst also gegen eine solche Heirath, Mutter Kascha? sagte ich. Du kannst Franzens Liebe nicht billigen? — Kascha faltete die Hände und entgegnete mit einem Aufblick nach oben: Gott weiß, daß ich nur meinen Sohn glücklich sehen will! Es hat sich schon Manche geändert, die als Mädchen ein querköpfiges Ding war, wenn nur der rechte Mann kam. Und ich kann auch der Marie nicht von Herzen gram sein. Sie ist immer gut und vergnügt mit mir und hat mich schon ein paarmal besucht. Einmal war der Franz nicht zu Hause, und ich stand in seiner Stube. Da guckt sie durch die Thür und war ganz verwundert über die Menge Bücher, die der Franz hat, und sagte, das sei ja gerade so wie bei ihrem Bruder, und mein Sohn müsse noch viel gelehrter sein, als sie gedacht hatte! Aber ich konnte sie nicht bis in die Mitte der Stube bringen, sie sah sich immer furchtsam um, ob er nicht käme.
O, rief ich, wer weiß, ob Franzens Hoffnungen verloren sind, als du dir einbildest, Mutter Kascha! — In der That merkte ich bald, daß auch sie dieselben nicht nur nicht aufgegeben, sondern zu ihrer Erfüllung ganz besonders auf meine Hülfe gerechnet hatte. Sie gestand mir sogar, daß die Idee, mich nach dem Spreewald einzuladen, von ihr ausgegangen sei, damit eine Situation, unter der ihr Sohn schon lange leide, möglicherweise ins Klare gebracht werde.
Aber fang es nur langsam an, Ernstchen, schärfte sie mir ein. Und daß er nicht merkt, daß ich dir davon gesagt habe! Ich versprach ihr alle Behutsamkeit und jede mögliche Hülfe, und sie dankte mir mit wiederholten Händedrücken, als ob ich schon etwas gethan hätte. Sie beeilte sich darauf, noch ein Bett für den zweiten nicht vermutheten Gast aufzuschlagen, während ich in den Garten ging, denn ein Blick durch die Hofthür zeigte mir ein reizendes landschaftliches Bild. Das Dorf Leipe gleicht in seiner Bauart dem oben beschriebenen Leede. Wald, Wasser, Gehöfte und Gärten vereinen sich, um die Blicke überall mannichfach zu beschäftigen, nur daß Leipe nicht so vollkommen im Baumgewirr versteckt liegt, die Kanäle breiter, die Inseln größer sind. Das Ganze liegt ausgebreiteter, luftiger, freier da, die Gärten sind blumiger, Fischerleben und Landwirthschaft treten sichtbarer der Sonne entgegen. Franzens Schulmeisterhaus war, wie alle Spreewaldhäuser, von Bohlen erbaut, ein Blockhaus, nur die Fugen mit
Lehm verstopft. Aber immerhin groß und stattlich lag es unter dem breiten Strohdach da und konnte an Ordnung und Sauberkeit als ein Muster aufgestellt werden. Wie im Innern, so im Hofe und im Garten. Für den letzteren hatte Franz eine besondere Vorliebe, er pflegte ihn selbst und erzog eine Menge der schönsten Blumen. Die Reben waren sorgsam am Spalier aufgebunden, und breitblättrige Schlingpflanzen spannen sich bis zum Giebel hinauf.
Es war ein warmer Sommerabend. Ich setzte mich auf die Bank an einem anmuthigen, von Bäumen beschatteten Plätzchen, um ein wenig einsam zu sein. Immer deutlicher wurde es mir, daß Victor's Mitreise nicht nur ohne Nutzen für mich sei, sondern daß er mich sogar in meinen hiesigen Verhältnissen nur stören würde. Jetzt wäre eine Stunde gewesen, wo nach mancherlei Gespräch Franzens Herz sich mir vielleicht geöffnet hätte, und nun mußte der Reisegefährte ihn fesseln und mir entziehen. Eine Weile hatte ich gesessen, als plötzlich eine lange Gestalt vor mir auftauchte und sich langsam dem erhellten Fenster entgegen bewegte, um mit ausgerecktem Halse durch dasselbe ins Zimmer zu spähen. Ich erschrak und sprang auf. Durch das Geräusch schien die Gestalt mein, der ich im Finstern gesessen hatte, erst gewahr zu werden. Auch sie machte eine Bewegung, und als ich mich rasch ihr näherte, sprang sie zur Seite und war verschwunden, wie sie aufgetaucht war. Einen Ruder-
schlag glaubte ich noch in der Nähe zu hören, zu sehen aber vermochte ich nichts mehr. Eine Minute darauf schalt ich mich selbst. In meiner krankhaften Reizbarkeit, die durch kummervolle Gedanken eben neu geweckt war, hatte ich mich, so dachte ich, durch etwas ganz Gewöhnliches aufschrecken lassen, oder gar war das Ganze nur ein Spiel meiner Einbildung gewesen.
Ich hörte Kascha's rufende Stimme und ging ins Zimmer. Sie schalt mich fast, daß ich so lange im Freien gewesen sei, denn sie wollte mich noch immer wie den einst kränklichen Knaben, den sie so treu bemuttert hatte, behandeln. Bald trieb sie uns zum Schlafengehen, und wirklich waren wir Beide, Victor und ich, ermüdet genug und hatten von der gestrigen abenteuerlichen Nacht noch unser Theil Schlaf nachzuholen. — —
Ich erwachte von einem wunderlichen Summen und Lärmen. Es war hoher Tag, ein Blick durch die Scheiben zeigte mir, daß das Leben sich schon lange um mich her regte. Der ganze Kanal unter meinem Fenster wimmelte von kleinen Kähnen, in welchen die Schulkinder sich dem Hause entgegen drängten. Das Gesumme drang von der andern Seite des Hauses her, wo die Schulstube lag, die schon wie ein Bienenkorb gefüllt schien. Ich rief Victor an, um ihn zu wecken. Das Bett war leer; ich mußte sehr fest geschlafen haben, daß ich sein Aufstehen nicht gemerkt hatte. Rasch warf ich mich in die Kleider, um Franz noch zu
begrüßen, ehe die Lehrstunden ihn mir entzogen. Nur die letzten Augenblicke hatte er für mich noch übrig, dann ging er seiner Amtsverrichtung nach. Victor war nach dem gemeinsamen Frühstück mit Franz schon zu einem Ausfluge davongegangen. So brachte mir Kascha den Kaffee und setzte sich zur Gesellschaft zu mir. Ich fragte sie, ob Victor nicht hinterlassen habe, wohin er gefahren sei, oder wie er es sonst mit Kommen und Gehen hier zu halten denke?
Ach, rief Kascha, der Herr hätte auch bleiben können, wo er war! Verzeihen Sie, Herr Ernst, er ist Ihr Freund, aber ich fürchte, der Mensch thut nicht gut bei uns. — Erst jetzt wußte ich mir eine gewisse Befangenheit, die ich heut an Kascha wahrgenommen, zu erklären. Was ist mit ihm? fragte ich, in Erwartung irgend einer Thorheit meines Gefährten. — Ach, Ernstchen, rief Kascha, der hat auch ein Auge aus das Mädchen, auf die Marie! Eine geschlagene Stunde hat er beim Frühstück nur von ihr gesprochen und sie Schlangenkönigin genannt und Reden geführt wie ein Unkluger. Ich habe eine Todesangst ausgestanden, und dem Franz sah ich's an, daß ihm nicht wohl dabei zu Muthe war. Zu guter Letzt ließ er sich vom Franz gar den Weg nach der Lindenkaupe ganz genau beschreiben. Siehst du, er hat nicht gesagt, daß er hin wolle, aber sicher ist er schon zu den Koal's gefahren!
Auch in mir stieg ein heftiger Unwille gegen Victor
auf, denn es lag mir am Tage, daß er bereits beschlossen hatte, einen bestimmten Zweck zu verfolgen. War mir schon gestern sein Spielen mit einer halben Neigung unangenehm gewesen, so hielt ich es heut, da ich von Franzens Liebe gehört hatte, für meine Pflicht, meinem leichtfertigen Reisegefährten entgegenzuarbeiten. Was ich dabei zu thun hätte, wußte ich mir freilich selbst noch nicht zu sagen. Das Nöthigste schien mir, Victor nicht allein mit Marien zu lassen, sondern ihm meine unwillkommene Gesellschaft bei ihr aufzudrängen. Kascha wurde sichtlich beruhigt, als ich ihr die Absicht aussprach, ebenfalls nach der Lindenkaupe zu fahren. Ich beschleunigte mein Frühstück, sprang in den Kahn und steuerte dem Walde entgegen.
6. Die Lindenkaupe. Eine Kaupe wird im Spreewald ein Gehöft genannt, welches sich inmitten von feuchtem Wiesenmoor auf einer Dafe festen Dammlandes angesiedelt hat. Diese Kaupen, durch den ganzen Wald zerstreut und immer zu einem näher oder ferner liegenden Dorfe gehörig, erheben sich mit ihrem Grunde ein wenig über das tiefe Wiesenland und bilden in ihrer Nettigkeit und prangenden Wohlhabenheit einen neuen Anziehungspunkt für das landschaftliche Auge. Die
von Kanälen eingeschlossene Insel umfaßt ein größeres Stück Land, in dessen schwerem, dunklem Bodem mancherlei Garten-Erzeugnisse für den Markt gezogen werden. Die Besitzer der Kaupen sind reiche Bauern, sie bilden die bäuerliche Aristokratie des Spreewaldes. Zu den größten dieser isolirten Ansiedlungen gehört die Lindenkaupe, bestehend aus drei stattlichen Gehöften, welche nachbarlich bei einander liegen. Sie trägt ihren Namen von einer Anzahl prachtvoller Linden, die ihre breiten Aeste über die Strohdächer ausstrecken.
Der Weg dahin war nicht zu verfehlen, ich brauchte nur den Windungen eines schönen, breiten Wasserarmes zu folgen. So fuhr ich unter der grungewölbten Kuppel mächtig aufstrebender Erlen und Eichen hin, und nach einer Stunde erkannte ich Gebäude zwischen den Baumstämmen. Es war Koal's Gehöft. Das Wohnhaus stand mit seiner Front dem Kanal zugewendet, vor der Thür eine Reihe alter Linden. Schattige Kühle um das Haus her, die Wiesen und Gärten aber im glänzenden Sonnenschein. Die Ufer des Kanals wurden durch eine jener hoch hinauf geführten Brücken verbunden. Das leichte aus Stangen erbaute Gerüst war so luftig, daß ich es auf seinem Hintergründe von Waldesgrün kaum unterscheiden konnte. Eine Frauengestalt im scharlachenen Rocke, die hinüber schritt, schien mir durch die Luft zu schweben. — Am Ufer saß eine Schaar spielender Kinder, in lachende Farben gekleidet. Sie blickten neugierig den Fremdling an, welcher her-
beiruderte und seinen Kahn in der Reihe der angebundenen Fahrzeuge ebenfalls befestigte. Sie antworteten weder auf meine deutschen noch wendischen Fragen nach den Hausbewohnern, sondern versteckten verlegen oder schalkhaft die Gesichter. Diese jetzt wortkarge und lautlose Gruppe gehörte zu der Koboldschaar, die neulich so laut im Wasser ihr Wesen getrieben hatte. Ich erkannte die kleine Nixe mit dem langen goldenen Haar und ihrem kleinen Brüderchen sogleich wieder. Von ihr erhielt ich endlich auch die Auskunft, daß der Vater auf dem Felde, die Mutter aber im Hause sei.
Ich ging hinein. Die Hausfrau begrüßte mich freundlich, wies mich aber, da sie mit ihrem jüngsten Kinde beschäftigt war, in den Garten, wo ich ihre Schwester Marie finden sollte. — Der Garten, etwas wild und sich selbst überlassen, wie dergleichen bäuerliche Anlagen zu sein pflegen, schloß sich unmittelbar an das Haus. Noch stand ich auf der Schwelle der Hinterthür, als ich schon ein Gespräch vernahm und Mariens und Victor's Stimmen erkannte. Noch mehr aber überraschte es mich, daß die Unterhaltung — mich betraf. Ich gestehe, daß mich eine höchst unwürdige Regung überkam, nämlich die, zu lauschen. Zwar war ich mir bewußt, nicht recht zu thun, aber eine plötzlich erwachende Neugier bannte mich in meine gedeckte Stellung fest. Um die Thür herum zog sich eine mit Bohnen berankte Laube. Hier setzte ich mich auf eine Bank. Durch die Ranken hindurch sah ich das
Paar, ohne von ihnen bemerkt zu werden. Sie saßen mit dem Rücken gegen die Wand des Hauses; Marie hatte eine Näharbeit in den Händen.
Das ist Unrecht! lief Marie im Gespräch. Wollen Sie Böses von ihrem Freunde reden? — Böses? entgegnete Victor. Ich bin ihm sehr zugethan und meine nur, er sollte sich mehr fassen. Seine Frau ist ja fast seit einem Jahre todt.
Seit einem Jahre! Sie würden sich schneller trösten? — Vielleicht eben so wenig wie er, aber ich würde dem Leben sein Recht einräumen. — Ja, das heißt was Rechtes! daraus sieht man nur, daß Sie Niemand von Herzen lieben können. — Ob ich lieben könne? Das käme doch auf die Probe an.
Marie lachte. Die weiß ich Ihnen voraus zu sagen! rief sie. — Wie so? — Wer so schöne Lehren geben kann, sich zu fassen und dem Leben sein Recht einzuräumen, hat die Probe schon abgelegt. Da ist Ihr Freund anders! War seine Frau sehr schön? Sie galt dafür. Aber die Schönheit unserer Damen in der Stadt ist in meinen Augen nicht gar zu preiswürdig. Wahre Anmuth und Frische findet man nur auf dem Lande. Ich weiß zum Beispiel Jemand — Welchen Namen hatte die Frau Ihres Freundes? unterbrach ihn Marie.
Victor schien ungeduldig zu werden. Aber lassen wir doch die Todten ruhen! rief er. Was haben Sie für ein Interesse an der Verstorbenen? — Ich preise
sie noch im Tode glücklich, so von ihrem Manne betrauert zu werden. Und soll man nicht Antheil nehmen, wenn man von so einem Schicksal hört? — Nun ja, es ist beklagenswerth. Aber was ist das? Victor sprang plötzlich auf und nahm aus dem Gebüsch einen halb verwelkten Kranz hervor.
Ein Kranz, weiter nichts! sagte Marie mit leichtem Erröthen, indem sie die Augen fest auf ihre Arbeit richtete. Haben Sie ihn gewunden, Marie? — Warum? Dann behalte ich ihn zum Andenken. — Das staubige, verwelkte Zeug! Was wollen Sie damit?
Und wenn ich Sie nun zuerst in einem solchen Kranze gesehen hätte?
Nun gut, Sie haben mich gesehen, ich habe es mir gestern schon gedacht. Mich wundert nur, daß ich und die Kinder Sie nicht bemerkten. — Wir waren gut versteckt und hielten uns ruhig, um zu beobachten, wie die reizende Scene sich entwickeln würde. Wie schön, wie wunderschön war die Schlangenkönigin!
Wirklich? Ein schalkhaftes Lächeln ging durch Mariens Züge. Sie ließ die Arbeit ruhen und steckte die rechte Hand in die Tasche. — Das schöne blonde Haar, das jetzt unter dem Kopftuche versteckt ist, fiel so malerisch um die Schultern. O nehmen Sie das Tuch einmal ab! Darf ich —? — Sie sind nicht gescheidt! rief Marie, seine Hand abwehrend, ohne daß jedoch ihr verschmitztes Lächeln einem Ausdruck des Unwillens gewichen wäre.
So mißgünstig zu sein! Seinen Reichthum so karg zu verstecken! Wer die Schlangenkönigin in all ihrer Herrlichkeit gesehen hat, ist bezaubert und wird immer den Einen Anblick zurück wünschen. Ja, als sie die blendenden Arme ausstreckte und nach dem Schlangenkönig rief, da hatte ich zu ihren Füßen stürzen und rufen mögen: Ich bin nur dein Sclave, aber nimm mich in deinen Arm, und du machst mich zum König!
Aber Sie ließen es bleiben, Sie wären dabei ins Wasser gefallen! lachte Marie. — Ich brannte vor Sehnsucht, aber Ernst hielt mich am Arme fest und beschwor mich, ruhig zu sein. — That er das? O das war recht! — Nein, das war ganz abscheulich! Aber in dieser Stunde wird mich Niemand hindern — auch die Schlangenkönigin selber nicht — diese kleine Hand zu ergreifen und zu küssen!
Marie hinderte es nicht, daß er ihre Linke streichelte und an die Lippen drückte. Als er aber, kühner geworden, ihren Arm aufstreifen wollte, riß sie die rechte Hand plötzlich aus der Tasche und warf ihm mit rascher Bewegung etwas ins Gesicht. Es war eine kleine, silbergraue Schlange. Victor fuhr mit Entsetzen auf und sprang zur Seite, Marie aber schlug in höhnischer Freude ein helles Gelächter auf und lief davon.
In diesem Augenblick vernahm ich in der Nähe noch ein anderes Lachen, heiser und gellend. Ich wandte mich um und sah Sardok's Gesicht durch das
Gebüsch blicken und schnell wieder verschwinden. Zugleich aber mußte ich mich in meinem Versteck ertappt sehen, denn Marie, welche ihren Lauf nach der Hausthür genommen hatte, stand vor mir. Sie prallte zurück vor Schreck, eine dunkle Nöthe übergoß ihr Gesicht. Ich hatte mich erhoben, um mir den Anschein zu geben, als träte ich eben erst in den Garten, und sprach eine Begrüßung aus. Aber die Worte stockten mir auf der Zunge bei der plötzlichen Veränderung, die ich in Mariens Zügen wahrnahm. Wie ein Schmerz zuckte es durch ihr Antlitz, die Thränen stürzten ihr aus den Augen. Sie schlug die Schürze vor das Gesicht und eilte davon, durch den Hof und um das Haus herum. Befremdet über diese Erscheinung folgte ich ihr ein Paar Schritte. Victor kam auf mich zu.
Sie sind ohne Zweifel schon eine Weile hier, sagte er kalt. Ich hörte Ihr unzeitiges Lachen. — Fühlte ich mich auch in Betreff meines Lauschens schuldbewußt, so mißfiel mir doch Victor's Ton. Sie haben mein Lachen nicht oft genug gehört, sagte ich, um es unterscheiden zu können, hätten aber doch bemerken sollen, daß es nicht meine Stimme war, und daß der Ton von einer andern Seite kam. Die Scene hatte also noch einen zweiten Beobachter.
Victor zuckte ungläubig die Achseln. Wenn Sie hier auf der Lauer gelegen, fuhr er wegwerfend fort, so haben Sie wenigstens über Ihre eigene Person sehr viel Vortheilhaftes gehört. — Es thut mir leid, irgend
etwas gehört zu haben, sagte ich, und ich gebe Ihnen das Versprechen, Sie völlig unbehindert zu lassen, wenn Sie mir dagegen versprechen —
Ich verspreche nichts! unterbrach er mich. Verträge, wo sie am Orte sind! Sie schleichen mir nach, belauern mich auf meinen Wegen, und so muß ich glauben, daß Sie ein gleiches Interesse leitet. Möglicherweise spielen Sie nur den Geknickten und Schmerzbeladenen, um sich interessanter zu machen. Aber glauben Sie nicht, daß ich so leicht und freiwillig Weiche. Ich werde mein Glück versuchen, trotz eines Nebenbuhlers!
Diese Wendung kam mir überraschend. Ich war überzeugt, daß er selbst nicht an meine Nebenbuhlerschaft glaubte, sondern sich nur durch eine ärgerliche Beschuldigung an mir rächen wollte. Mit anscheinender Gelassenheit setzte er sich auf die Bank und zündete eine Cigarre an.
Victor, ich begreife Sie nicht! entgegnete ich, indem ich ihm gegenüber Platz nahm. Sie kennen mich und meine Gemüthsstimmung einigermaßen, und es kann Ihnen mit der thörichten Vermuthung, als wollte ich Ihnen auf Ihren heimlichen Wegen den Rang ablaufen, unmöglich Ernst sein. — Auffallend bleibt es doch, daß Sie mir auf diesen Wegen nachspüren und den Horcher spielen! — Das ist doch sehr erklärlich. Wir reisen zusammen in diese Gegend, zu einem gemeinschaftlichen Besuche, und ich konnte gar nicht vor-
aussehen, daß wir hier verschiedene Wege einschlagen würden. Sie aber trennen den Ihrigen sofort von dem meinen, um in der Stille einen Roman anzuspinnen! Victor, es ist zu Ihrem eigenen Besten, wenn ich Sie warne, mit den hiesigen Verhältnissen nicht zu spielen. Was Sie in Berlin vielleicht ungestraft thun dürften, könnte Ihnen, als einem Fremden, hier die größten Unannehmlichkeiten bereiten.
Victor lächelte höhnisch. Ich danke Ihnen für dir väterliche Ermahnung, sagte er. Doch bitte ich, sparen Sie dergleichen für Ihren Knaben, wenn er anfängt, seine eigenen Wege zu zehen. Inzwischen bewahren Sie Ihre eigene Romanrolle, und seien Sie ohne Sorge um die meinige.
Dieser Ton verdroß mich immer mehr. Ich war jung und konnte einer Erregung auch nicht leicht gebieten. Mit unverhehltem Spott rief ich daher: Nun, der Ausgang der ersten Scene hat mir gezeigt, daß die Schlangenkönigin Waffen hat, sich zu schützen. Dabei zeigte ich auf die Schwelle, über welche Mariens kleine Schlange sich eben in das Haus hinein ringelte. Victor sprang auf und schien die Laube verlassen zu wollen. Plötzlich aber blieb er stehen und sagte mit veränderter Stimme: Ernst, es thut mir leid, daß wir uns trennen müssen.
Wollen Sie nach Berlin zurückreisen? — Ich glaube nicht. Nur das Haus Ihres Freundes, des Schullehrers, kann ich nicht mehr mit Ihnen theilen.
Das Mißverständniß zwischen uns würde von Tag zu Tage nur wachsen. Ob Sie nun eine gleiche Neigung zu dem Mädchen hier haben oder nicht — nun gut, ich kann mich irren, jedenfalls aber sind Sie gesonnen, meinen Weg dabei zu kreuzen. Was ich jedoch diesmal empfinde, ist tiefer, als Sie glauben, und Sie treffen bei mir auf einen Widerstand, der um so leidenschaftlicher werden könnte, je mehr er herausgefordert würde. Ich bin Ihnen von Herzen zugethan, also wenn Sie nicht innerlich bei der Sache betheiligt sind, so thun Sie nichts, was uns aus Freunden zu Feinden machen müßte.
Dieses Einlenken stimmte mich versöhnlich. Ich hatte ein gutes Wort auf der Zunge, denn ich fühlte, daß auch ich den hübschen Burschen lieb hatte. Schon aber hatte er sich umgewendet und war mit raschen Schritten davongegangen. So blieb ich sitzen. Der letzte Austritt machte mich nur noch bedenklicher. Zwar glaubte ich erkannt zu haben, daß Marie nur ein übermüthiges Spiel mit Victor trieb, von einer Neigung zu ihm schien sie mir entfernt genug; aber für meinen armen Franz sah ich die Sache nur verschlimmert. Ich kannte Victor's Hartnäckigkeit und Kühnheit, wenn eine flüchtige Leidenschaft ihn ergriffen hatte. Und würde Marie der Anmuth seiner Erscheinung, verbunden mit den Reizen seiner Schmeichelei, zu widerstehen wissen? Eine Menge Plane kreuzten sich in meinen Gedanken, wie ich dem Uebel steuern könnte. Franzens Neigung an Victor
zu verrathen, würde nichts gebessert haben; aber auch im besten Falle durfte ich es nicht, zumal mir Franz selbst noch kein Vertrauen darüber geschenkt hatte. Am gerathensten schien es mir, mit Marien selbst zu sprechen und sie in Betreff Franzens zu sondiren.
Ich ging durch den Garten, um ihr wo möglich zu begegnen. Da hörte ich mich angerufen. Koal, der mit einigen Knechten bei der Arbeit beschäftigt war, begrüßte mich. Ich blieb bei ihm stehen, da er sich in seiner Thätigkeit nicht stören ließ. Trotzdem war er gesprächig und gab mir auf meine Fragen allerlei Auskunft über seine Landwirthschaft. Er erzählte mir, daß er das Jahr wohl sechzig Schock Sellerie und Meerrettig (die Haupterzeugnisse des Spreewaldes) und eben so viel Fässer Gurken auf den Dresdener und Berliner Markt schicke. Da er sah, daß ich mich dafür interessirte, und durch mein wendisches Radebrechen eine vortheilhafte Meinung von mir bekommen hatte, zeigte er mir, wie die Erzeugnisse seines Bodens verpackt und in die Kähne geladen wurden. Ich mußte ihm auch in die Ställe folgen, um sein Vieh in Augenschein zu nehmen. Ich wußte aus früherer Zeit, daß das Vieh im Spreewald von seiner Geburt an im Stalle gefüttert wird, da das von Kanälen zerschnittene Terrain ein Hinaustreiben unmöglich macht. Ich sah einen Auftritt mit an, wie ein Rind auf seinen ersten Weg ins Freie geführt wurde; es war zugleich sein Todesgang, da es an einen Schlächter in Lübbenau
verkauft werden sollte. Zwei Knechte brachten es durch eine Schlinge um seine Füße zum Fallen. Schnell ward es gebunden und mit wuchtigen Armen in den Kahn geworfen. —
Einige Stunden waren vergangen, ohne daß ich Marien erblicken konnte. Ich mußte an die Rückfahrt nach Leipe denken, damit Kascha und Franz nicht mit dem Mittagessen auf mich zu warten hätten. Ich langte noch zu rechter Zeit im Schulhause an. Franz kam mir entgegen. Lieber Freund, rief er, es ist sicher deine Veranstaltung, daß wir fortan unter uns bleiben sollen; aber wird dein Reisegefährte die Sache auch nicht übel nehmen?
Ich verstand ihn nicht. Er reichte mir einen mit Bleistift geschriebenen Zettel von Victor's Hand. Er schrieb in durchaus liebenswürdiger Weise, Franz möge ihm gestatten, daß er für die nächsten Tage sich tiefer im Walde einquartiere, da er dort viel zeichnen wolle. Er bat, dem Boten seine Reisetasche mitzugeben, und versprach recht bald zu kommen, um sich persönlich zu entschuldigen. Ich ließ Franz in diesem Irrthum über den wahren Sachverhalt und war fürs Erste froh, daß die Mißhelligkeit in die Form eines guten Einvernehmens gebannt bleiben sollte.
7. Zarna. Ich habe jetzt von einer inzwischen vorgefallenen Unterredung zu erzählen, die ich freilich nicht mit angehört, aber später bis ins Kleinste von Victor selbst erfuhr. Sie gehört nur zu nothwendig in die Verwicklung unserer Abenteuer und muß hier eine Stelle finden.
Victor war nach dem Gespräch mit mir um das Haus herum gegangen, um Marien aufzusuchen. Er forschte vergeblich nach ihr. Die Kinder wiesen ihn auf das benachbarte Gehöft, und so ging er spähend von Hof zu Hof. Als er eben um eine Ecke bog, trat hinter einer gewaltigen Heumiete Zarna, die Zigeunerin, hervor und winkte ihm geheimnißvoll. Er trat zu ihr.
Ich weiß, was du suchst, sagte sie in flüsterndem ' Tone. — Was geht's dich an? rief Victor barsch. — O, mein Söhnchen, vielleicht mehr, als du glaubst! Ich kann dir helfen. — Ich bedarf deiner Hülfe nicht! — Bah, bah! Nur nicht gleich böse! Du denkst, ein hübscher Junge hat an sich selbst genug, um bei einem Mädchen sein Glück zu machen? Ich sage dir, hier richtest du nichts aus, wenn du nicht meinen Rath annimmst. Ich mein' es gut mit dir. Wollte dich gestern Abend schon sprechen im Garten des Schulmeisters, mußte aber davon, weil der traurige Mensch nur den Weg trat. Hat er dir nichts erzählt?
Wer? Ich versteh' dich nicht. — Nun, der Andere, der mit dir ist und bei mir war. Sagte er nichts? — Ich hab' ihn heut noch nicht gesprochen. Aber was willst du von mir? — Sag' dir ja, ich ich will dir hier verschaffen, was du suchst. — Was hast du für ein Antheil daran? Laß mich, ich habe nichts mit dir gemein. — Doch, mein schönes Herrchen, doch! Dein Glück ist mein Vortheil. Und wenn du meinen Rath nicht annimmst, so ziehst du hier mit langer Nase ab. Ich kann dir nützlich sein, ich kann dich aber auch aus dem Hause jagen, daß du das Wiederkommen sein lässest. — Wie das? fragte Victor mit wegwerfender Gleichgültigkeit. — Ho, ich mache da drinnen Wohnung für ein paar Dutzend von meinen lieben glatten Thierchen! So wie du die Schwelle betrittst, hast du sie auf dem Halse.
Diese Aussicht flößte Victor Schauder ein. Die Alte merkte es und lachte vergnügt, aber unhörbar. Hast dich ja schon von dem kleinen grauen Schlänglein erschrecken lassen! fuhr Zarna fort. Wenn du willst, geb' ich dir ein Mittel, daß das Ding crepirt und nie wieder eine Schlange ins Haus kommt. — Und worin besteht dein Vortheil dabei? — Ich kann dir's sagen, denn von dir brauch' ich nichts zu fürchten. Ich habe Macht über die Schlangen, sie gehorchen mir. Wem das gelingt, der ist bestimmt, daß er einen Schatz findet, so groß, so groß! Aber nicht allein den Schatz — doch von dem Andern brauchst du nicht zu wissen.
Und meine Zeichen sagen mir, daß ich ihn finden muß, mir ist er bestimmt. Nur ein Hinderniß droht mir noch. Ich hab' lange gesucht, was es wäre; nun weiß ich's, da drinnen steckt's, in dem Hause. Das Mädchen hat auch Macht über das Gethier! Jetzt spielt sie nur mit Einer Schlange, wer aber das kann, vermag auch mehr herbei zu ziehen. Die Macht muß sie verlieren!
Unsinn! Was geht das mich an? — Du sollst mir helfen. Ich gebe dir ein Pulver. Davon streust du im ganzen Hause umher — — Warum thust du das nicht selbst? — Ich darf's nicht, ein Anderer muß es thun, wenn's fruchten soll. Im ganzen Hause streust du davon herum und in des Mädchens Schlafkammer einen Kreis davon um das Bett. So kommt nie wieder eine Schlange hinein. Und damit du dein Werk ausführen könnest, verschaffe ich dir Wohnung hier. — — In Koal's Hause? — Bei dem? Nein, der nimmt dich nicht auf, aber neben an der Hansjürge thut's. Ich kenne seine Großmutter, die muß thun, was ich will, und er hört auf ihre Rede. Mit der werd' ich sprechen. Hernach gehst du zum Hansjürgen und fragst ihn, ob du Quartier bei ihm nehmen könntest. Er wird Ja sagen. So bleibst du in der Nähe und kannst zu jeder Stunde in des Koal Hause sein. Das Uebrige ist deine Sache. Wenn das Mädchen ihre Schlange nicht mehr hat, so brauchst du nichts mehr zu fürchten, und ein schmuckes Herrchen, wie du bist, braucht weiter kein Zaubermittel.
Mit dem lauernden Blick eines Raubthieres, das, seiner Beute gewiß, sich an den letzten Zuckungen des Opfers weidet, betrachtete Zarna den jungen Mann. Victor empfand ein Grauen vor der Alten, die Unwürdigkeit eines Bündnisses mit ihr schreckte ihn, und dennoch fühlte er sich verlockt und fast gefangen. Plötzlich ermannte er sich. Weg! rief er, ich mag deine Hülfe nicht! Er verließ sie. Sie sah ihm mit dämonischem Blicke nach, als wollte sie ihn zurückbannen, und frohlockte, als er schon nach einigen Schritten stehen blieb. Er sah, wie sie, sich schnell hinter einem Strauch verbergend, mit ausgestrecktem Arme nach einer Richtung wies und ihm winkte. Langsam kam er heran. Sie ergriff seine Hand und zog ihn hinter das Gebüsch. Da! rief sie, da! Entweder sie oder meine hübschen Schlangen!
Victor blickte über die Wiese hinweg. Marie stand auf der hohen, leichten Brücke. Sie hatte die Arme auf das Geländer gelehnt und sah hinab in den Kanal. Er riß sich von der Alten los, aber dennoch hatte die Vermittlerin des Bösen gesiegt. Es sei! rief er. Verschaff mir dort die Wohnung.
So warte hier auf mich, sagte Zarna; in einer Viertelstunde bin ich wieder da.
Sie ging mit raschen Schritten weg. Victor warf sich ins Gras neben dem Erlengebüsch. Er war unwillig auf sich selbst und fluchte innerlich der Zigeunerin, er lag in heftigem Kampfe mit seinen Wünschen
und seinem besseren Gefühl. Er hatte Lust aufzuspringen und die Alte nicht abzuwarten, es zog ihn nach der Brücke hin, wo Marie noch immer unbeweglich stand und in das tiefe Wasser hinab sah. Eine Weile blieb sie noch unbewegt, dann erhob sie sich. Und während sie von der Brücke herab schritt, schien sie plötzlich einen Gegenstand am Ufer ins Auge zu fassen. Rasch eilte sie hinunter, hob etwas vom Boden auf und steckte es in die Tasche. Dann kehrte sie ins Haus zurück. Es ist ihre Schlange! dachte Victor. Sie glaubt ihre Waffe wieder gefunden zu haben!
Gleich darauf fühlte er seine Schulter berührt. Er sprang auf, die Alte stand vor ihm. Es ist in Ordnung, sagte sie. Ich hab's mit des Hansjürgen Großmutter abgemacht, du brauchst nur dem Manne ein gut Wort zu geben, so räumt er dir eine Stube ein. Was siehst du so finster aus? Frisch und lustig, mein Söhnchen! Es wird Alles gut gehen. Da, nimm das Pulver und thu damit, wie ich dir gesagt habe!
Sie reichte ihm eine hölzerne Büchse. Er zögerte sie anzunehmen, steckte sie aber endlich mit einer Bewegung des Unwillens ein. Zarna beobachtete ihn wohl. Nimm's gut in Acht, sagte sie, und sei weise! Dann brauchst du keine Schlangen mehr zu fürchten und hast dein Schätzchen sicher. Aber ich sage dir, wenn du in acht Tagen das Pulver nicht gestreut hast, so räch' ich mich an dir, und das Mädchen wird nimmermehr dein!
Die Alte schritt davon und verschwand im Gebüsch. Victor fühlte sich erleichtert. Er dachte nicht daran, den Hokuspokus mit dem Pulver anzustellen, sondern beschloß, es zu gelegener Stunde in den Kanal zu werfen. Indessen begab er sich auf das benachbarte Gehöft und erlangte, nach einigem Hin- und Widerreden mit dem Manne, eine Wohnung.
8. Aus zwei Räthseln ein drittes. Von diesem Vorgänge hatten wir freilich keine Ahnung, als wir Victor's Zettel lasen, wohl aber konnte ich mir denken, daß er sich in Mariens Nähe niedergelassen habe. Dieselbe Vermuthung hegte Franz, da mein Gefährte am Morgen auch ihm gegenüber gar kein Hehl aus seinem Interesse für das Mädchen gemacht hatte. Doch sprach Franz sich in keiner Weise darüber aus. Unsere Stimmung blieb inzwischen etwas gedrückt und beeinträchtigt, trotzdem daß wir unter uns waren. Franz schien mich nicht zum Vertrauten machen zu wollen, und ich selbst durfte einen so zarten Punkt nicht berühren, ehe er mir nicht ein Recht dazu gab. Kascha sah bald mich, bald ihren Sohn mit besorgten Blicken an, und so saßen wir bei Tische und sprachen von den entlegensten Dingen.
Endlich gegen Abend, als wir im Garten auf und
nieder schritten, suchte ich, nach mancherlei Umwegen des Gesprächs, die Sache zu berühren, die uns Beiden auf dem Herzen lag. Ich rückte mit der Frage heraus, ob er sich nicht zu verheirathen denke? Er suchte auszuweichen, aber ich hatte meinen Angriff einmal begonnen und wollte ihn fortsetzen. Ich sagte, ich wüßte wohl eine Partie für ihn, und nannte ihm Marien. Er wurde immer befangener.
Es ist mir überraschend, sagte er, wie gerade du mir das Mädchen vorschlagen kannst. — Wie so? fragte ich.
Er sah mich groß an. Ernst, begann er nach einer Pause bewegt, du weißt vielleicht selbst nicht, was du thust. — Ich weiß es, lieber Freund! Laß uns nicht so lange bei der Einleitung stehen bleiben. Du liebst Marien. — Das ist vorbei — aber woher willst du es wissen? Glaube mir, es ist vorbei, ich habe Alles aufgegeben. — Und warum? Hast du sichere Beweise, daß deine Neigung nicht erwidert wird? Oder sind es Zweifel an dem Charakter des Mädchens? — Ernst, ich bitte dich, lassen wir dies Gespräch! — Nein, nein! Ich will Gewißheit haben, wie es um dich steht! Es lastet etwas auf deiner Seele, und ich trage kein Bedenken, daß es dieses Verhältniß ist. Sprich dich aus, ich bin dein Freund und darf Vertrauen verlangen. — Ich sage dir, es ist aus! Ich liebte sie einst — ich glaubte sie zu lieben bis — bis vor Kurzem, jetzt aber darf ich es nicht
mehr. — Du darfst nicht? Franz, du entgehst mir nicht. Fürchtest du Victor? Glaubst du, daß er dir die Neigung Mariens so schnell entwendet habe?
Entwendet? Weißt du denn, ob ich sie je besessen? Aber auch wenn das wäre — von ihm droht keine Gefahr. Sie lacht mit ihm, nimmt seine Schmeicheleien hin, wie sie das zu thun pflegt, aber sie liebt ihn nicht. — Wenn du das weißt, so weißt du auch mehr. Soll ein Freund es nicht erfahren, der dir gern mit Rath und That beistehen möchte?
Franz schwieg geraume Zeit. Dann ergriff er meine Hand und sagte: Ernst, wenn ich mich aussprechen dürfte, wärest du der Erste, dem ich mein ganzes Vertrauen schenkte. Aber das Schicksal will, daß ich es nicht soll. Ein unzeitiges Wort, und ich richte vielleicht eine unselige Verwirrung an. Laß mich daher schweigen! Du bleibst mehrere Wochen bei mir, in dieser Zeit muß sich Viel entwickeln. Dir wird, auch ohne daß ich rede, Vieles klar werden. Und endlich wird auch ein Tag kommen, wo ich dir ein offenes Bekenntniß ablegen darf. Bis dahin, bitte ich dich, ehre mein Schweigen und laß uns dies Thema vermeiden. Ich muß dir fürs Erste jede Erklärung verweigern.
Eine lange Pause folgte diesen Worten, wir schritten wortlos neben einander hin. Franz hatte sich mit solcher Bestimmtheit ausgesprochen, daß ich nicht weiter in ihn dringen durfte. Aber dennoch
konnten mich seine räthselhaften Gründe keineswegs befriedigen. Im Gegentheil, ich war ungehalten, im Stillen verdrießlich über ihn. Da haben wir wieder einmal so ein Gemüth, dachte ich, das sich selbst und Andere quält, aus Rücksichten, die ihm nichts nützen und die der Andere nicht empfindet, ja, wenn er sie kennte, nicht einmal anerkennen würde! So ein Träumer ist die unglücklichste Natur. Er sieht nie den Gegenständen ins Auge, er blickt geflissentlich darüber hinaus. Anstatt kühn zu wagen, wartet er ab, ob die Sache nicht von selbst an ihn heran käme, und darüber verliert er Hoffnung und Glück.
Ich fühlte in mir selbst ein Theil von diesem Wesen, darum konnte ich es verstehen und beurtheilen. Aber ich hatte es immer zu bekämpfen gesucht, und das Leben war mir behülflich gewesen, mich in eine praktischere Richtung zu leiten.
Es vergingen einige Tage. Victor kam, entschuldigte sich bei Franz wegen seiner so schnellen Umquartierung, und da ich inzwischen nicht auf der Lindenkaupe gewesen war, so mochte sich seine Furcht vor meiner Nebenbuhlerschaft wohl gelegt haben, und er zeigte sich sehr heiter und liebenswürdig. Indessen war unser Verhältniß doch gestört, und alle Drei kamen wir zu keinem Behagen mit einander.
Eines Tages fuhr ich, während Franz seine Nachmittagsschule hielt, allein in den Wald hinein. Ich pflegte ab und zu etwas zu zeichnen — wahrscheinlich
betrieb ich dies fleißiger, als der Maler — und so suchte ich mir eine entlegene Stelle, an die Franz mich einige Tage vorher geführt hatte. Nach einer Stunde eifriger Geschäftigkeit an meinem Skizzenbuche wollte ich heimkehren. Aber bald lockte mich hier, bald dort ein reizender Durchblick in einen Seitenkanal, und so überließ ich mich meiner Laune, in der Hoffnung, auf einem Umwege wieder nach Leihe zu gelangen, denn die Richtung glaubte ich mir genügend eingeprägt zu haben. Eine solche Kühnheit bleibt jedoch nicht ungestraft in einer Gegend, wo selbst der Eingeborene in den hundert sich kreuzenden Kanälen nicht immer seines Weges sicher ist. Und so sah ich mich denn, nachdem die Dämmerung schon eingebrochen war, noch einmal mit meinem Kahne verirrt. Ich mußte mich auf ein neues unbequemes Abenteuer der Nacht vorbereiten, ich schalt meine Unbesonnenheit, und vor Allem beunruhigte es mich, Franz und seine Mutter in Sorge um mich zu wissen. Zwar konnte ich meinen Kahn bald aus dem Dickicht des Waldes heraus ins Freie bringen, fand mich nun aber zwischen unabsehbaren Wiesen, nur von leichtem Gebüsch unterbrochen, und in der Richtung, die der Wasserweg nahm, fürchtete ich in eine von meinem Ziel völlig entlegene Gegend zu kommen. Ich schwankte, was zu thun sei, ob ich diesen Arm verfolgen, oder in den Wald zurück steuern sollte? Das Erstere schien mir vorzuziehen. Hier im Freien war es heller, der Abendhimmel lag
in grüngoldenem Krystall über mir, und um Mitternacht mußte der Mond kommen.
Während ich dies überlegte, vernahm ich hinter mir Ruderschläge. Ich horchte auf und fuhr langsamer. Da war Hülfe. Eine Frauengestalt bog im Kahne langsam um die Uferwindung. Ich ließ sie heran kommen, um nach dem Wege nach Leipe zu fragen. Aber kaum hatte ich die Lippen geöffnet, als sie erschrocken ausrief: Herr Ernst! Wie kommen Sie hierher? — Es war Marie. Sie ließ die Ruderstange fallen und schien fast das Gleichgewicht zu verlieren.
Nun, das ist die angenehmste Führerin, die mir werden konnte! rief ich überrascht. Hoffentlich kennen Sie den Weg besser als ich. Ich half ihr wieder zu ihrem Ruder, erzählte, wie ich hierher gekommen sei, und sprach meine Verwunderung aus, sie auf diesem einsamen Wege zu finden.
O, sagte Marie, ich hatte nur ein Geschäft drinnen — eine Bestellung. Wir sind gewohnt, Stunden lang umher zu fahren, ohne einem Menschen auf unserem Wege zu begegnen. Auch Sie sind gar sehr ins Weite gerathen, Herr Ernst. Ich will Sie bis zu einem Kreuzwege begleiten, hernach können Sie nicht mehr fehlen.
Marie schien mir in ihrem Wesen befangener als sonst, doch schob ich es auf die Situation, indem sie mit einem fremden Manne bei hereinsinkender Nacht dahin fahren mußte. Ich entschuldigte mich, ihre Hülfe
in Anspruch nehmen zu müssen, so sehr sie auch versicherte, daß sie es gern thäte. Aufrecht stehend in unsern Kähnen glitten wir neben einander hin. Ich mußte geraume Zeit die Unterhaltung allein führen, meine Führerin wollte nur wenig dazu beitragen. Aber immerhin ließ sich leicht anknüpfen, denn Marie war kein gewöhnliches Bauernmädchen. Durch ihren Bruder, den Pfarrer in Burg, war ihr geistiger Horizont genug erweitert worden, daß sie ein allgemeines Gespräch verfolgen konnte, ohne daß sie jedoch als „gebildet“ hätte bezeichnet werden können. Ich verfehlte nicht, sobald es sich schickte, die Unterhaltung auf Franz zu bringen, und sagte viel Gutes über ihn.
Ja, so ist es auch, nahm sie das Wort. Es giebt keine böse Zunge, die dem Herrn Lehrer etwas nachzureden wagte. Auch mein Bruder hält große Stücke auf ihn und sagte noch kürzlich, er schätze ihn so hoch, daß er ihn in seiner Nähe in Burg haben möchte. Da sind die Stellen auch noch besser. Das wäre gewiß auch für Alle gut. Mein Bruder hätte immer einen so klugen und gescheidten Mann um sich, und ich liebe seine Mutter sehr. Sie ist eine so brave Frau und hat mir schon Manches erzählt —
Marie brach plötzlich ab. Was hat sie Ihnen erzählt? fragte ich unbefangen. — O von der Zeit — da sie in Ihrem Hause war. — Also kannten Sie mich schon, ehe ich hieher kam? — Nein, das nicht. Es ist
erst — erst vor ein paar Tagen sprach sie davon. Marie schien verwirrt.
Es war eine schöne Zeit, sagte ich, und Franz und ich lebten als glückliche Knaben und Jünglinge. Das glaub' ich! rief sie lebhaft. Aber ich begreife nicht, wie er hat zurück und in die Einsamkeit gehen können! Was hat er hier? Ach, ich denke mir, wenn man einmal die große Welt draußen gesehen hat, kann man hier bei uns nicht mehr froh werden! Hier ist Alles eng und klein.
Aber Sie selbst sehnen sich doch nicht von hier weg? unterbrach ich sie. — Warum nicht? rief sie. Wenn mein Bruder mir erzählt von der Zeit, wo er studirte, und was er Alles erlebte, dann geht mir das Herz auf. Ich möchte hinaus, ich möchte auch etwas erleben! Und wenn ich an seinen Bücherschrank gerathe und einmal ins Lesen komme, dann wird mir's überall zu eng. Muß es da nicht wunderschön sein, wo all Das gedacht und erlebt wird? Was giebt es da zu sehen und zu hören! Es muß ja eine ganze Welt voll Freude und Glück sein! In Berlin möchte ich wohnen, da kann es nur glückliche Menschen geben!
Dieses Bekenntniß befremdete mich sehr, aber noch mehr der Eifer, in den das Mädchen gerathen war. Liebe Marie, entgegnete ich, es giebt auch da tiefe Betrübniß und schwereres Unglück, als Sie sich träumen lassen.
Ja, ja! sagte sie nach einer Weile mit bewegter
Stimme. Ich habe davon gehört. Ach, wie beklage ich die arme junge Frau, daß sie so früh aus der Welt gehen mußte! — Das ist ein sonderbares Mitleid, Marie! Ist der Zurückbleibende nicht mehr zu beklagen?
Ja, mit dem kann man wohl Mitleid haben, aber er lebt doch, er kann wieder glücklich werden. Leben ist Alles! Aber gar nicht mehr sein, wenn man doch gewesen ist, und noch dazu glücklich gewesen bist, nein, das ist schrecklich! Ich möchte nicht jung sterben. —
Das begreife ich wohl. Doch glauben Sie mir, es giebt Lebenslagen, wo man, trotz aller Jugend, fertig zu sein glaubt mit der Welt, und nur im Tode Ruhe sieht.
Das soll aber nicht sein! rief Marie, deren anfängliche Befangenheit einer lebhaften Bewegung gewichen war. Der Schmerz mag noch so schwer auf dem Menschen lasten, er darf sich doch nicht niederdrücken lassen. Er soll hoffen, wieder glücklich zu werden, und er muß es, denn um glücklich zu sein, ist der Mensch da. So lange man lebt, hat man ein Recht auf so viel Glück, als man ertragen kann.
Ich erstaunte. Aber Marie, sagte ich, diese Ansicht haben Sie wohl nicht durch ihren Bruder, den Pfarrer, empfangen. — O nein, sprach sie. Der ist zwar sehr glücklich, redet und predigt aber doch oft genug, daß der Mensch zum Dulden geboren sei. Ich glaub' ihm Vieles, aber Das nicht. Wozu wäre alles
Schöne und Herrliche auf der Welt, wenn man es nicht genießen sollte? Die Welt gehört allen Menschen, und es steht Jedem zu, sich sein Theil Glück darin auszusuchen. — Und was nennen Sie denn Glück? fragte ich.
Sie zögerte. Endlich sagte sie: Und was nannte Ihre arme verstorbene junge Frau Glück? — O das war nicht Viel! Sie lebte nur in ihrer Liebe, die war ihr Alles. Reichthum und äußeres Behagen, alle Vortheile des Lebens hätte sie hingegeben, wenn das Schicksal es gefordert hätte, und wäre zufrieden mit mir in einer Hütte und bei trockenem Brod gewesen.
Und das soll Wenig sein? Sie hatte ihr Theil Glück in vollem Maße, und es ist schrecklich, daß sie es dahingeben mußte! — Nun, um solch ein Glück zu erlangen, braucht man sich nicht in die Ferne zu sehnen. Sie werden doch nicht glauben, daß Sie Ihr Theil nur außerhalb Ihrer heimischen Grenzen erlangen können? — Sie schwieg einige Augenblicke, dann sagte sie mit bestimmtem Tone: Ja, das weiß ich ganz gewiß!
Das sonderbare Mädchen setzte mich in immer größere Verwunderung. War dieser Ausspruch nur das Zeugniß einer kindisch überschwänglichen Phantasie, oder zeigte er an, daß ihr Herz schon gefesselt sei? Mt Rücksicht auf diese letztere Frage brach ich das Gespräch ab, es schien mir unbescheiden, hier weiter dringen zu wollen. Aber das sah ich Wohl, mein armer Franz hatte wenig oder nichts zu hoffen. Indessen achtete und schätzte sie ihn, und ich beschloß, wenigstens das
Meinige zu thun, ihn in ihren Augen immer höher zu stellen. So brachte ich nach mancherlei Umschweifen die Rede wieder auf ihn. Ich sprach davon, daß auch mich die Einsamkeit, in der er lebe, etwas besorgt mache.
Er wird immer ernster, fuhr ich fort, und über seine Jahre hinaus gesetzt und sogar in sich gekehrt. Ich hoffe, es gelingt künftig einmal einer jungen Frau, ihn wieder jugendlich heiter und froh zu machen.
Das glaub' ich nicht, sagte Marie. — Und warum nicht? — Weil er zu sehr glaubt, das Leben sei ein Jammerthal, und jede Freude kommt ihm vor wie ein Diebstahl, auf den gleich eine Strafe folgen muß. Träfe ihn oder einen Andern ein wahres Unglück, ja, da, glaub' ich, wäre er wie ein Felsen, auf den man bauen könnte. Da würde er sich wie zu Hause Vorkommen, wo er Bescheid weiß, und seine Frau würde die beste Stütze an ihm haben. Aber sie müßte dann auch von gleicher Art sein, wie er. Wäre sie das nicht, so würde er all ihren Frohsinn verkennen und ganz allein unglücklich sein. Und vielleicht erführe sie's nicht einmal, wie es um ihn stünde, denn sie mit unglücklich zu machen, dazu ist er auch wieder zu gut. Und so wird er vor lauter Güte niemals etwas vom Leben haben.
Ich glaubte meinen Ohren nicht zu trauen. Dieses Mädchen entwarf mir ein Bild meines Freundes, worin ich, trotz aller Uebertreibung, die Grundzüge doch als nur zu richtig erkennen mußte. Aehnliches hatte
ich selbst schon über ihn gedacht. Was mich aber geradezu bestürzt machte, war der Eifer, zu welchem sie sich gesteigert hatte. Ich konnte gar nicht zweifeln, daß ihr meine Absicht nicht entgangen sei, und daß sie wie zu ihrer eigenen Vertheidigung gesprochen habe. Indessen schien ihre Verlegenheit und die Ueberraschung über sich selbst auch nicht geringer als die meinige.
Ehe ich noch ein Wort hervorbrachte, fuhr sie hastig, aber mit bebender Stimme fort: Ach Gott! Verzeihen Sie nur, er ist ja Ihr Freund! Wer einen solchen Freund hat — ich will nichts, gar nichts gesagt haben! Hier gehen die Wege auseinander. Da auf dem großen Kanal kommen Sie in ein paar Minuten nach Leipe.
Ohne ein weiteres Wort des Abschieds wendete sie ihren Kahn und verschwand im Finstern. Ich rief ihr noch meinen Dank für die Führung und ein: Gute Nacht, Marie! nach, erhielt aber keine Antwort. Die hellen Fenster des Dorfes schimmerten mir schon entgegen. Ich hatte nur kurze Zeit, meinen Gedanken nachzuhängen, da ich auf meinen Weg Acht geben mußte, um mein Fahrzeug zwischen all den angebundenen Nachen vor den Häusern durchzubringen.
Franz und seine Mutter waren allerdings etwas in Sorge um mich gewesen, hatten sich aber schließlich mit dem Gedanken getröstet, ich sei auf der Lindenkaupe geblieben. Den Augen der guten Alten sah ich es jedoch an, daß inzwischen etwas vorgefallen sein müsse,
worüber sie mit mir reden wollte. Sobald ich meinen Thee, den sie mir schnell bereitete, genommen hatte, erklärte ich daher, müde zu sein, um mich auf mein Zimmer zurückziehen zu können. Und in der That brauchte ich nicht zu heucheln, denn ein mehrstündiges Rudern hatte mich etwas erschöpft. Kascha's Plan scheiterte jedoch, denn Franz begleitete mich auf mein Zimmer.
Das ist für dich angekommen, sagte er, indem er nach dem Tische wies. Dort stand ein schöner großer Blumenstrauß, daneben lag ein kleines gesticktes Notizbuch. Ich griff freudig nach dem letzteren, da es mir schon seit mehreren Tagen fehlte und ich es für verloren gegeben hatte. Es war die letzte kleine Arbeit, das letzte Geschenk meiner verstorbenen Frau. Wo habt ihr es wieder gefunden? fragte ich freudig. — Die Marie hat es gebracht, sagte Franz; du wirst es wohl auf der Lindenkaupe verloren haben.
Die Marie? Sie war hier? — Allerdings, gegen Abend, in der Dämmerstunde. Ich saß in meiner Stube, das Fenster stand offen. Da sah ich sie kommen. Sie spähte herein, und da sie mich der Dunkelheit wegen nicht sehen konnte und sich unbeobachtet glauben mochte, legte sie Strauß und Buch in das offene Fenster. Es war nur ein Augenblick, gleich darauf verschwand sie.
Franz! entgegnete ich, es war dein Fenster, in das sie den Strauß legte. — Es war das einzige
offene. — Nun, dann mag der Strauß für uns Beide sein! rief ich so unbefangen als möglich. Wir wollen ihn in dein Zimmer stellen, hier, wo ich schlafe, würde mich der starke Blumenduft stören.
Franz nahm den Strauß und sagte mir gute Nacht. Kaum hatte er die Thür seiner Stube geschlossen, als ich leise Tritte und gleich darauf ein Pochen an der meinigen vernahm. Das mußte Kascha sein. Richtig. Behutsam öffnete sie und fragte, ob sie noch eintreten dürfe. Komm nur, Kascha, sagte ich, du hast mir dein Herz wieder auszuschütten, also rede!
Ein rascher Blick nach dem Tische zeigte ihr, daß die Blumen fehlten. Hat er sie doch mitgenommen? rief sie mit höchst vergnügtem Gesicht. Natürlich sind sie für ihn, ich sagte es ihm gleich, aber er wurde ordentlich böse und stellte sie hier herein.
Sage mir nur, Kascha, war es denn wirklich die Marie? — Versteht sich; ich habe sie ja gesprochen. Aber daß sie schon am Fenster gewesen war, wußte ich nicht. Kurz, ich stehe im Garten bei meinen Bohnen, da sehe ich was vorbeischleichen. Sogleich erkenn' ich auch das Mädchen und rufe ihr zu: Marie, wohin so eilig? Bleib doch hier, mein Kind! — Ich ging ihr schnell nach, und da stand sie feuerroth im Gesicht, weil ich sie ertappt hatte. Na, dacht' ich, du willst erst gar nicht fragen, warum sie hier ist, und sagte: Das ist schön, daß du mich einmal besuchst. Komm in den Garten, mein Sohn ist nicht zu Hause. Sie machte Umstände,
aber endlich kam sie doch, und wir setzten uns da hinten in die versteckte Laube, wo uns Niemand sehen oder hören konnte. Sie erzählte von deinem Herrn Victor und sagte, sie könne den Menschen gar nicht ausstehen, worin ich ihr ganz Recht gab. Hernach kam sie auch auf dich zu sprechen, und da mußte ich ihr erzählen, daß es gar kein Ende nahm: von eurem Hause in Berlin, von deiner verstorbenen Frau, und von der Zeit, da der Franz und ich bei euch lebten. Ich erzählte gern davon, und sie hörte zu, wie in der Kirche. Endlich stand sie auf, und ich fragte sie, ob ich den Franz nicht ein bischen von ihr grüßen sollte? Da wurde sie wieder feuerroth, gab mir nur die Hand und lief davon. Ach, es ist ein gar zu liebes Mädchen!
Hast du ihr früher schon öfter von uns und unserem Hause erzählt? fragte ich. — Nein, niemals. Es machte sich nicht so, heute zuerst. Aber siehst du, wie ich nachher ins Haus gehe, ist der Franz schon wieder da. Weißt du, wer eben hier war? frage ich. Ja, ich weiß, die Marie, sagte er. Die Sachen stehen schon drüben bei Ernst. Ich war verwundert. Nun, das Uebrige weißt du. Aber ist es nicht wahr, daß sie den Strauß ganz allein für den Franz gebracht hat? — Versteht sich, Mutter Kascha. Laß uns morgen früh weiter darüber reden. Gute Nacht!
In die wunderlichsten Gedanken versenkt, zog ich den Stift aus meinem Notizbüchlein und schlug es ohne eine eigentliche Absicht auf. Da fielen meine Augen
auf einige Zeilen, von einer fremden Hand geschrieben. Eine zwar nicht sehr gewandte, aber saubere Schrift. Ueberrascht las ich folgende Verse:
Meine Sehnsucht kann nicht schweigen, Und ich frage Nacht und Tag: Will sich denn kein Weg mir zeigen, Wie zu dir ich kommen mag? Nimm hinweg des Herzens Gram, Meiner Seele Bräutigam! Es war eine Strophe aus einem alten, ich glaube Herrnhutischen Gesangbuche. Die Schulkinder sangen das Lied, ich kannte es, es hatte eine wehmüthige, in ihrer Einfachheit ergreifende Melodie. Aber warum standen diese Verse hier? War ihr ursprünglich religiöser Sinn hier weltlich zu verstehen?
Was sollte ich davon denken? Hatte das Marie geschrieben? Ich suchte mir ihr Wesen gegen mich aus der heutigen Fahrt zu vergegenwärtigen, vor allem ihre Ueberraschung, ihren Schreck, ihre Befangenheit, als sie mir so unvermuthet begegnete. Warum hatte sie mir nicht offen gesagt, daß sie in Leipe gewesen, um mir das gefundene Büchlein zu bringen? Mußte ich nicht annehmen, daß sie, um mir auf dem gewöhnlichen Fahrwasser nicht zu begegnen, jenen bedeutenden Umweg gemacht habe? Und dann ihre räthselhaften Aeußerungen! Und Franzens ebenso räthselhaftes Benehmen! Im Innersten erschrocken sprang ich auf, denn alle Räthsel schienen mir gelöst. Aber die Lösung war mir
ebenso räthselhaft und unbegreiflich. Marie liebte mich! Mich — war es denn möglich? Konnte sie so blind sein, daß sie dasselbe Wesen, welches sie in Franz tadelte, in mir nicht zum Theil ebenfalls erkannte?
Ich versank in ein Chaos von widerstreitenden Gedanken. Was sollte ich thun? Es ist ein großes, vielleicht das größte Glück des Lebens, geliebt zu werden. Ich war noch sehr jung, hatte eben erst mein fünfundzwanzigstes Jahr zurückgelegt. Und so gestehe ich, daß sich mitten im Wachen ein Traum über mich senkte, der mir auch das letzte Räthsel in beseligende Wahrheit auflös'te. Ich war wieder glücklich, liebte und wurde geliebt, mein Leben war nicht mehr einsam, es hatte wieder einen Inhalt. Ich führte die Freude in Marien's Gestalt in mein Haus, zu meiner Familch zurück — —
Da riß der trügerische, goldene Nebel meines Traums auseinander, ich sah die Wirklichkeit wieder. Verräther! Pflichtvergessener! tönte es durch meine Brust, und mein Gewissen strafte mich durch das bitterste Schuldbewußtsein. Eitelkeit nannte ich es, aus so ungenügenden Anzeichen herzuleiten, daß ich geliebt würde. Abscheulich war es, mich in einen Liebestraum einzuwiegen, da ich meines Freundes Liebe zu Marien kannte. Als Abtrünnigkeit und Leichtfertigkeit mußte ich es erkennen, an einen Ersatz des Glückes zu denken, das mir vor kaum einem Jahre mit meinem theuren Weibe gestorben war. Ihr schönes Bild stand plötzlich
lebhaft vor meiner Seele, verzeihend und zugleich mächtig genug, um jeden fremden Eindruck wieder zu verwischen. Ich durfte Marien nicht täuschen. Hatte sie wirklich eine Neigung zu mir gefaßt, so mußte ich diese bekämpfen und mich ihr entziehen, damit meine Gegenwart die hereinbrechende Verwirrung nicht noch vergrößere.
9. Das Fest in Burg. Am andern Morgen erhob ich mich bei Zeiten, um mit Franz, dessen Schulstunden schon um sieben Uhr begannen, zu sprechen. Er empfing mich gut und freundlich, wie immer. Sobald das Frühstück beendet war, nahm ich ihn unter den Arm und führte ihn in den Garten.
Es muß klar zwischen uns werden, lieber Freund! sagte ich. Dieses Mißverhältniß, dieses scheue Umgehen der Dinge, die uns innerlich lebhaft genug beschäftigen, soll aufhören. Du liebst Marien — unterbrich mich nicht! — und erst in der vergangenen Nacht ist es mir aufgegangen, warum du dich vor mir versteckst. Ich bin's, der deinen Hoffnungen auf sie gefährlich zu werden droht, — so wähnst du. Allein ich gebe dir mein Ehrenwort, daß ich Marien nicht liebe, noch auch jemals etwas gethan habe, ihre Neigung zu gewinnen.
Das glaub ich dir ohne feierliche Versicherung, entgegnete Franz. Aber du wirst mir nicht so leicht ausreden, daß sie eine ernsthafte Neigung zu dir gefaßt habe. — Das deutetest du mir schon neulich an, da ich zuerst mit dir über sie sprach. Damals verstand ich dich nicht. Woraus schließest du nun diese Neigung? Du hast mich seit jener Taufe am ersten Tage meines Hierseins nicht mit ihr zusammen gesehen.
Schon damals, als ich neben ihr und du uns gegenüber saßest, betraf ihr Gespräch nur dich. Der erste Anblick und Eindruck schien über ihr Herz entschieden zu haben. Ich merkte es aus ihren Worten, ihren Mienen, aus ihrem ganzen Wesen. — Franz! Sind das alle deine Beweise?
Keineswegs. Sie war einige Tage darauf bei ihrem Bruder, dem Pfarrer in Burg, und hat ihm eine so enthusiastische Schilderung von dir entworfen, daß dieser mir neulich schrieb und es mir zur Pflicht machte, ihm meinen Gast zuzuführen. Sie kannte dich kaum, Alles, was sie zu deinen Gunsten sagte, konnte daher nur die Liebe ihr eingeben. Und dazu das gestrige Ereigniß! Ich habe dir noch nicht Alles gesagt. Sie drückte einen Kuß auf das Büchlein, ehe sie es neben den Strauß in das Fenster legte.
Franzens Stimme bebte. Es mochte ihn einen schweren Kampf kosten, während er selbst Marien liebte, mir ihre Liebe zu beweisen.
Nun gut, lieber Freund, entgegnete ich. Da ich
nicht die Absicht habe, das Mädchen zu täuschen, oder mit ihrer Neigung — wenn diese denn doch vorhanden — ein gefährliches Spiel zu treiben, so bleibt mir nichts übrig, als noch heut nach Hause zu reisen.
Franz ergriff meine Hand und sah mich halb bestürzt an. Nein, Ernst! rief er, du wirst nicht abreisen! Das würde Aufsehen erregen! — Könnten nicht ernste Geschäfte mich in Wirklichkeit nach Berlin rufen? — Aber noch ist das nicht der Fall, und deine Abreise würde hier nichts ändern. Bleib' wenigstens noch einige Tage. Ich muß dich dem Pfarrer in Burg zuführen. Es wird dich nicht gereuen, du sollst eine vortreffliche Bekanntschaft machen.
Nach mancherlei Hin- und Widerreden ließ ich mich endlich bestimmen, noch ein paar Tage zu bleiben. Ich beschloß sogar, noch einmal mit Marien zu sprechen. Mit aller Schonung und Milde wollte ich sie überzeugen, daß sie ihr Herz bezwingen müsse, wenn dasselbe wirklich zu meinen Gunsten sprach. Freilich war damit noch nicht viel für Franz gewonnen. Doch hoffte ich ihn durch erneuertes Aussprechen meiner Freundschaft und unbedingten Achtung auch für sie zum Gegenstände eines erhöhten Interesse zu machen. Wagte ich auch nicht gar viel für meinen Freund zu hoffen, so schien es mir doch eine unerläßliche Pflicht, daß ich, der, wenn auch unbewußt, die vielleicht glücklich angesponnenen Fäden in Verwirrung gebracht,
nun für ihn einträte, um ein günstiges Resultat noch zu ermöglichen.
Franz war, nach unserem Gespräch am Morgen, den Tag über sichtlich in anderer Stimmung. Er zeigte sich freier und offener und sprach sich nun ganz unverhüllt gegen mich aus. Er liebte, ja er hoffte noch. Der Besuch in Burg sollLe schon Tags darauf, als an einem Sonntage, stattfinden. Franz war zu einer Hochzeit dorthin eingeladen, und ich versprach, ihn zu begleiten.
Das Dorf Burg ist nicht nur das größte des Spreewaldes, es zählt sogar mit zu den größten Dörfern überhaupt. Seine viertausend Einwohner bewohnen mit ihren weitgedehnten Gehöften und Gärten den Flächenraum einer mittleren Provinzialstadt. Daraus ergeben sich denn mancherlei städtische Erscheinungen. Handwerker verschiedener Art sind unter der zahlreichen Bevölkerung nöthig geworden, und allerhand Bedürfnisse, bei welchen der Bauer sonst die Stadt zu Hülfe nehmen muß, kann das Gewerbe im Dorfe selbst befriedigen. Obwohl zum Spreewalde gehörig, zeigt Burg doch nicht mehr den eigentlichen Waldtypus dieser Gegend. Das Netz von Kanälen hat aufgehört, und nur einige Wasserarme umschlingen oder durchschneiden den großen Bodencomplex von Wiesen und Ackerland. Wir kamen, da Franz seiner Berufsgeschäfte halber erst Nachmittags hatte aufbrechen können, etwas spät zum Feste. Musik schmetterte uns aus dem Hochzeit-
hause entgegen, man tanzte bereits. Vor der Thür, unter einigen schönen Bäumen, saßen Männer und Frauen bei Kaffee, Wein und Bier. Auch geschmückte, vom Tanze erhitzte Paare suchten das Freie und standen in Gruppen umher. Die Mädchen lachten und jubelten, wenn ausgelassene Burschen einander mit derben Scherzen verfolgten und herumjagten. Als wir uns dem Hause näherten, trat uns aus dem Kreise der älteren Leute der Brautvater zugleich mit dem Pfarrer entgegen. Dieser nahm mich nach der Begrüßung sogleich in Beschlag. Es war ein noch junger Mann, dessen Wesen mir vom ersten Augenblick an sehr wohl gefiel. Er kam mir wie einem alten Bekannten mit Herzlichkeit entgegen, und auch mir war's, als hätte ich längst mit ihm verkehrt. Die Schranken der Fremdheit und die Formen der Höflichkeit, welche einer neuen Bekanntschaft oft so hinderlich sind, fielen gleich zwischen uns nieder.
Aber kaum hatten wir uns in ein Gespräch eingelassen, als Marie mit glühenden Wangen aus dem Hause stürzte. Hinter ihr her kam Victor, mit dem sie getanzt hatte. Der letztere begrüßte uns lebhaft, ja mit ausgelassener Freude. Marie sprach kaum ein paar Worte. Ihr Wesen war unstet, halb froh, halb verlegen, sie schlug die Augen nieder, wenn die seinigen sie trafen. Der Pfarrer strich ihr die Wangen.
Marie, sagte er, jetzt wird eine Weile ausgeruht, du bist erhitzt. Bis ich mit unserem Gast zurückkehre,
tanzest du mir keinen Schritt! Nehmen Sie den Wildfang ein wenig in die Schule, wandte er sich scherzend an Franz. Lesen Sie ihr den Text über ihr leidenschaftliches Tanzen.
Er winkte mir, um mir das Dorf und sein Pfarrhaus zu zeigen. Marie, Franz und Victor blieben vor der Thür sitzen. Wir sprachen auf unserem Gange dies und jenes. Endlich kamen wir auch auf Marien. Nehmen Sie mein Vertrauen, das fast wie Zudringlichkeit aussieht, von der besten Seite, sagte der Pfarrer. Mir ist, als dürfte ich über Alles mit Ihnen reden, und sicher sind Sie durch Ihren Freund, den Lehrer, in Manches eingeweiht, das uns Allen am Herzen liegt. — Ich versicherte ihn der gleichen Gesinnung und bekannte, daß mir nichts erwünschter sei, als ein vollkommen freimüthiges Gespräch mit ihm.
Nun, dann verhehle ich nicht, begann er, daß mir das Mädchen viel Sorge macht. Sie strebt mit aller Gewalt aus dem beschränkten Kreise heraus, auf den sie doch angewiesen bleibt. Zum Theil liegt das in der nicht günstigen Stellung, die sie einnimmt. Die ältere Schwester hat mit bescheidenem Sinne einen Bauer geheirathet, mich selbst haben die Studien in eine bürgerliche Stellung gebracht. Marie steht zwischen uns und gehört im Grunde weder dem einen noch dem andern Kreise an. Sie lebt für gewöhnlich in meinem Hause. Da lernt sie denn allerhand städtische Sitten und Gewohnheiten. Sie ist ein hübsches und liebens-
würdiges Mädchen, und so wird sie von Freunden und Bekannten, die bei mir vorsprechen, sehr verzogen. Sie ist eitel und hochmüthig geworden. Dazu kommt, daß sie heimlich in meinen Büchern umher gestöbert und Manches gelesen hat, was ich ihr verboten haben würde. Endlich noch hat sie das Bewußtsein, ein, nach hiesigen Begriffen, reiches Mädchen zu sein, das sich etwas herausnehmen darf. Sie hat, trotz ihrer Jugend, schon oft Gelegenheit gehabt, sich zu verheirathen. Aber sie spielt mit ihren Freiern, um sie endlich zu verlachen.
Während der Pfarrer so sprach, schlich eine Gestalt um die Ecke eines Hauses. Es war Sardok. Er schien überrascht, uns zu sehen, hinkte dann aber grinsend und höchst unterwürfig grüßend an uns vorüber.
Ist der Unglücksmensch auch hier? sagte der Pfarrer etwas verstimmt. Sie kennen ihn, ich habe von Ihrem Abenteuer gehört. Werden Sie mir nun glauben, was ich Ihnen erzähle? Auch mit diesem häßlichen Subject, das sonst von allen Bewohnern dieser Gegend gemieden wird, hat Marie ein tollkühnes Spiel begonnen. Es belustigte sie, ihn durch thörichte Schmeicheleien zu verhöhnen; vielleicht that sie es auch aus Uebermuth, um dem allgemeinen Widerwillen gegen ihn zu trotzen. Kurz, der Mensch hat ihre spöttische Herausforderung für Ernst genommen und eine unselige Leidenschaft für sie — ich weiß es — erfüllt ihn jetzt. Sie lacht ihn natürlich aus, aber die Sache ist ihr zugleich sehr unbequem geworden, da er sie überall umschleicht.
Ich verschwieg dem Pfarrer nicht, daß ich dergleichen schon gemerkt hätte, noch ehe ich zu Mariens Bekanntschaft gelangt wäre.
Und nun ein Wort in der größten Offenheit, fuhr er fort, das Sie mir verzeihen werden. Sie haben einen Freund mit aus Berlin gebracht, der sich auf der Lindenkaupe neben meinem Schwager Koal eingemiethet hat. Mir sind bereits verdrießliche Gerüchte zu Ohren gekommen. Es ist nun wohl nicht glaublich, daß der junge Mann entschieden als Freier bei Marien auftrete. Halten Sie es für nöthig, daß ich meine Schwester in mein Haus zurückrufe?
Thun Sie es, sagte ich. Es wird unter allen Umständen gut sein. — So soll es geschehen. Sie gleich heute hier zu behalten, möchte Aufsehen erregen; doch mag Sie es heute noch erfahren, damit sie sich rüste, morgen heim zu kehren.
Vertrauen um Vertrauen! begann ich darauf. Hat mein Freund Franz sich je'mals gegen Sie ausgesprochen? — Ausgesprochen nicht, doch weiß ich, daß auch er um Marien wirbt, und er ist wohl überzeugt, daß ich nichts lieber sähe, als eine Verbindung zwischen ihm und ihr.
Wir sprachen weiter darüber. Der Pfarrer wollte nicht zweifeln, daß Beide, trotz der Verschiedenheit ihrer Naturen, für einander passend wären, und sprach die Hoffnung aus, Marie werde sich schließlich doch noch für Franz gewinnen lassen. — —
Als wir vor dem Hochzeitshause wieder anlangten, empfing uns eine sonderbare Scene. Wir hörten Victor's Stimme. Da ist unser göttlicher Steuermann! rief er lachend. Nur näher, du Adonis, reizendster aller Jünglinge!
Der Angeredete war Sardok. Er stand in der Nähe des Tisches, verlegen und doch verschmitzt lächelnd, und drehte seine Mütze in den Händen. Victor nahm ein Glas Wein. Komm, fuhr er fort, bringe durch diesen Trunk der Schlangenkönigin deine Huldigung!
Sardok schlug die Augen auf und sagte grinsend: Sie soll's mir selbst geben! Allgemeines Gelächter folgte. Marie weigerte sich, halb ärgerlich, halb lachend. Da trat Victor vor sie. Schönste der Königinnen, sagte er, erfüllen Sie die Bitte jenes armen Knaben!
Marie nahm das Glas aus seinen Händen und reichte es mit rascher Bewegung dem Kosaken. Sardok griff hastig darnach und trank es aus. Seine Augen blitzten von einem unheimlichen Feuer.
Kannst du uns ein Lied singen? fragte Victor. Sardok schüttelte den Kopf. — Aber tanzen? Heda, Sardok, mach' es uns vor, wie man in deiner Heimath tanzt!
Dieser Vorschlag erregte schallenden Jubel, zumal da der Verhöhnte eine linkische Bewegung machte, die sein Hinken hervortreten ließ. Der Pfarrer und ich traten zu Victor, mit der Bitte, das unpassende Spiel zu beenden. Schon aber hatte bei dem allgemeinen
Gelächter Sardok's Gesicht einen veränderten Ausdruck angenommen. Mit wüthenden Blicken schoß er aus Victor zu. Er hielt ihm eine hölzerne Büchse, die er rasch aus der Brusttasche zog, vors Gesicht und flüsterte in halb unterdrücktem Grimm: Hab's aufgefischt aus dem Wasser. Alte Zarna mir Alles erzählt! Oh, Sardok jetzt wissen, was thun!
Schnell versteckte er die Büchse wieder, schlüpfte um die Bäume und verschwand hinter dem Hause. Ich hatte die Worte des Kosaken gehört und fragte verwundert, was sie zu bedeuten hätten? Victor aber, obgleich sichtlich verstimmt, lachte gezwungen und behauptete, den Unsinn selbst nicht zu verstehen. Er forderte Marien zum Tanzen auf, sie aber schlug es ab und tanzte heute nicht mehr. Er selbst ging bald darauf ins Haus, wo er sich mit andern Tänzerinnen herum drehte.
Da wir bereits an den Ausbruch dachten, forderte der Pfarrer seine Schwester auf, ihn noch einen Augenblick in seine Wohnung zu begleiten. Nicht lange darauf erschien sie wieder, aber mit höher gerötheten Wangen. Wir nahmen Abschied von den Gastgebern. Victor war mitten im Gedränge des Tanzes, wir fühlten keine Verpflichtung, ihn abzurufen, Koal schien sogar daran gelegen zu sein, ohne seine Begleitung nach Hause zu fahren. Wir hatten eine kleine Strecke zu gehen, um zu unsern Kähnen zu gelangen. Ich war mit Marien ein Stück voraus, Franz und Koal folgten.
Ich habe Ihnen noch zu danken, Marie, begann ich. Sie ahnten vielleicht, welche Freude Sie mir durch das Zurückbringen des kleinen Buches machten. Und da Sie mir eine Ueberraschung bereiten wollten, legten Sie es heimlich in das Fenster — nicht wahr? Was Sie hinein geschrieben, soll mir ein werthes Andenken sein.
Marie läugnete nicht, sie ging mit niedergeschlagenen Augen neben mir her. — Und was denken Sie von mir? fragte sie gedrückt. — Ich denke viel Gutes von Ihnen, Marie. Nur glaub' ich, daß Sie ein wenig zu schnell Ihren augenblicklichen Eingebungen folgen. Sie wagen zu viel für ein Mädchen —
Das können Sie sagen? unterbrach sie mich in vorwurfsvollem Tone, ohne die Augen aufzuschlagen. — Ja, ich, Marie! Sie sind mir werth, darum muß ich aufrichtig gegen Sie sein. Sie sind ungerecht gegen Alles, was Ihre Umgebungen Ihnen bieten, und schätzen es nur, insofern es Ihnen zu leichtem Genuß oder zum Gegenstände Ihres jugendlichen Uebermuthes dient. Nur das Fremde hat wahren Reiz für Sie, und dadurch wird Ihnen noch manche Gefahr bereitet sein.
Ich weiß nur Eine Gefahr, sagte sie aufgeregt: Daß Sie mich hassen. — Das wird nie geschehen, Marie! Ich nehme den herzlichsten Antheil an Ihnen und wünsche Ihnen jedes Glück. — Sie schüttelte den Kopf. — Mißtrauen Sie mir? fuhr ich fort. — Nein!
— Aber — ? — Ich weiß, daß es kein Glück für mich giebt. — Wie heftig Sie wieder sind, Marie! Denken Sie an Ihre eigenen Worte! Der Mensch soll seinen Schmerz bekämpfen und dennoch hoffen, glücklich zu werden. Ein Glück giebt es überall, wenn wir es nur erkennen wollen! Sagten Sie nicht so, oder ähnlich?
Sie schüttelte von neuem den Kopf: Das ist nun doch anders! — Koal und Franz unterbrachen das Gespräch. Wir standen am Ufer, und bestiegen die Kähne. Koal hatte in seinem schmalen Gefährt nur Platz für Marie, Franz ruderte mich. So fuhren wir neben einander hin.
10. Kämpfe. Marie verhielt sich schweigend auf der Fahrt. Es war dunkel, ich konnte ihre Gesichtszüge nicht erkennen. Die Finsterniß nahm bald zu, und ein Gewitter schien im Anzuge. Doch zögerte es sich hin, bis wir in die Nähe der Lindenkaupe kamen. Hier fielen die ersten Tropfen, und Koal lud uns ein, den Regen in seinem Hause abzuwarten. Wir gingen hinein. Eine Stunde saßen wir beisammen, Koal hatte sich mit Franz in ein angelegentliches Gespräch über spreewäldische Verhältnisse verwickelt, Marie war nicht im Zimmer. Mir schien
die Luft drinnen gar zu schwül und drückend, ich ging hinaus, um zu sehen, ob wir die Rückfahrt Wohl antreten könnten. Der Himmel klärte sich bereits, ich glaubte ein paar Sterne zu erblicken. Um einen größeren Himmelsraum beobachten zu können, ging ich bis auf die hohe Brücke. Mir kam es vor, als schliche Jemand hinter mir her, doch nachdem ich mich umgesehen, glaubte ich mich getäuscht zu haben. Das Wetter war in der That vorüber, nur von den Bäumen schüttelte der Wind noch den Regen. Mitten auf der Brücke stehend betrachtete ich die Sterne, wie sie sich unter mir im Wasser spiegelten. Das leichte Gerüst kam mir heut höher als jemals vor, ich glaubte in eine unendliche Tiefe zu sehen.
Da sprang plötzlich Jemand an mich heran, krallte sich wie eine Katze im Rücken an mich fest, und im nächsten Augenblick fühlte ich einen Messerstich in der Schulter. Ein leiser Ruf des Schrecks entfuhr mir, der Angreifer ließ von mir ab, ich aber packte ihn und rief: Wer bist du? Er zuckte zusammen und schrie auf: Dich nicht, dich nicht, den Andern! — Ich erkannte Sardok. Er wollte sich losreißen, ich aber hielt ihn nur fester umklammert. Es folgten einige Minuten des heftigsten Ringens, dann ein Krach — die Geländerstange der Brücke, an die wir uns gedrängt hatten, war gebrochen, und wir stürzten Beide in die Tiefe des Kanals. Einen furchtbaren Schrei vernahm ich noch aus
Sardok's Munde, gleich darauf arbeitete ich mit nur halber Besinnung in dem kalten Elemente umher.
Für einen Erwachsenen war die Gefahr des Ertrinkens hier nicht groß. Gleichwohl machte es der schlammige Boden, die Menge von Sumpfgewächsen, in die der Sturz mich hineingetragen hatte, immerhin schwierig genug, wieder über Wasser zu gelangen. Als ich endlich einen Kahn erreicht hatte, und an diesem dem Ufer zu strebte, hörte ich bereits Stimmen nach mir rufen und sah Gestalten mit Laternen aus dem Hause eilen. Sardok's Schrei mochte sie herbeigelockt haben. Franz sprang in den Kahn, reichte mir die Hand und half mir ans Land. — Suchet nach Sardok! rief ich. Er ist mit mir von der Brücke gestürzt!
Das Erstaunen und der Schreck waren allgemein. Sämmtliche Bewohner der beiden benachbarten Gehöfte rannten durcheinander und bestürmten mich mit Fragen. Gieb mir deinen Arm! flüsterte ich Franz zu. Sardok hat einen Angriff auf mich gemacht, ich bin verwundet.
Aber noch eine andere Person hatte diese Worte gehört. Marie stieß einen leisen Schrei aus, bückte sich auf meine Hand nieder, und ich fühlte heiße Tropfen über dieselbe rieseln. Schluchzend folgte sie uns.
Ich zog rasch andere Kleider an, die einer von Koal's Knechten hergab. Man wollte mich zu Bette bringen, ich lehnte es ab. Das Wichtigste erschien mir die Untersuchung meiner Wunde. Während nach dem
Arzt geschickt wurde, legte irgend eine alte Großmutter, ich weiß nicht mehr wessen, einen Nothverband an. Dann wurde mir Thee gebracht, und es fanden sich mehr Menschen zur Hülfsleistung, als nöthig waren. Man nöthigte mir eine wollene Decke auf, und in diese eingehüllt mußte ich mich ans Feuer setzen. Wie ist's mit dem Sardok? fragte ich Koal, der eben ins Zimmer trat. Habt ihr ihn gefunden? — Ja, der ist todt! entgegnete er. Wahrscheinlich ist er mit dem Kopf auf einen Kahn gefallen und hat das Genick gebrochen.
Die Stube hatte sich mit Menschen gefüllt, die neugierig um mich her standen, denn es war nicht geheim geblieben, daß ich von den Kosaken verwundet worden sei. Wissen sie, Herr, fragte Einer der Anwesenden: der Stick von dem Hallunken war nicht auf sie abgesehen. Er hat einem Anderen gegolten, den er hier vermuthete.
Diese Ansicht fand allgemeine Bestätigung. Ich bat die anwesenden Nachbarn, mich allein zu lassen, indem ich erklärte, daß ich mich angegriffen fühlte. In Wahrheit jedoch schmerzte die Wunde nur wenig, und ich hatte die Ueberzeugung, sie würde nicht gefährlich sein. Ja, ich hoffte sogar in einer Stunde mit Franz nach Leipe zurück zu fahren, um der Familie Koal keine Störung zu bereiten. Der Thee hatte mich erwärmt, ich befand mich in keiner Weise übel.
Indessen lag eine schwere Stimmung auf uns Allen. Das Bewußtsein, einen Mordanfalle mit genauer Noth
entgangen zu sein, und der Gedanke an den Todten, der draußen lag, bewegten mich tief. Er hatte, wenn auch nicht mich, doch einen Menschen tödten wollen, und war seiner eigenen Leidenschaft zum Opfer gefallen. Franz fühlte den Ernst dieser Stunde in gleicher Weise. Ich bat ihn, nachzusehen, ob die Belebungsversuche an Sardok sich nicht noch günstig gestalten wollten. Er ging. Draußen war ein Gehen, Kommen und Reden, Alles, was am Sonntag Abend an der Lindenkaupe vorüber fuhr, stieg aus, um das Schreckliche zu besprechen. Einer nach dem Andern von den Hausgenossen verließ das Zimmer, und so glaubte ich, endlich allein zu sein. Da vernahm ich aus einer dunklen Ecke ein halb ersticktes Schluchzen. Ich wendete mich um und fragte, wer da sei. Marie wankte herbei und sank zu meinen Füßen nieder.
Ich bin an Allem Schuld! stammelte sie unter heißen Thränen. Um meinetwillen wollte er Sie morden! Gott — Gott! Ich hab's verbrochen und möchte sterben vor Scham und Schmerz!
Ich bat sie, aufzustehen und ruhig zu sein, aber vergebens. Sie sank mit dem Kopf an mein Knie und schien aufgelös't in Thränen. Da wurde die Thür aufgerissen und Victor trat hastig ein. Ernst! rief er, was ist geschehen? Sie sind verwundet!
Plötzlich fuhr Marie auf und stellte sich mit zornflammenden Augen zwischen uns. Weg mit dir! rief sie Victor entgegen. Um deinetwillen, Schändlicher,
ist das Unglück geschehen! Dir hatte der Mörder den Streich zugedacht, diesen besten Menschen hat er getroffen! Victor bebte zurück und sank vor Schreck und Erstaunen auf einen Schemel.
Du wirst wissen, warum der Bösewicht dich haßte! fuhr sie in höchster Aufregung fort. Und auch ich weiß genug. Ich hab's mit angesehen, wie du dich hinter die Zigeunerin stecktest! Auf der Brücke stand ich und sah über die Wiese, wie ihr euch besprachet. O, es mußte etwas Schmachvolles sein! Von dem Augenblick haßte ich dich, und wenn ich auch lachte, ich hoffte deine Schande noch vor Aller Augen an den Tag zu bringen. Ja, ich hasse dich noch, und wenn ich wüßte, daß meine Schlange giftig wäre, ich wollte sie dir entgegen werfen, daß sie dich in dein falsches Herz stäche!
Marie! unterbrach ich sie, Fassung! Sie sind außer sich! — Aber das leidenschaftliche Mädchen warf sich von Neuem neben mich auf die Kniee und rief: Nein! ich will mich nicht fassen! Ich will's einmal von der Seele herunter haben, was mich wie ein Alp drückt! Alle hab' ich verlacht und verspottet! Um deinetwillen muß ich nun büßen! Dich lieb' ich, von der ersten Stunde an, als ich dich gesehen, und nun muß ich sterben vor Herzeleid, weil du mich verachtest! Zertritt mich, verfluche mich, denn ich verdien' es!
Ich sprang auf und hob sie vom Boden, denn jeden Augenblick konnte die Thür sich öffnen und dem Auftritt einen neuen Zuschauer zuführen. Marie, sagte ich
so mild als möglich, Sie sollen mir theuer sein, wie eine Schwester, Sie sollen den besten Freund an mir haben! Nur bezwingen Sie jetzt diese unbändige Leidenschaft!
Sie lag weinend an meiner Brust und schlang, die Arme um meinen Nacken. Ich ließ sie einen Augenblick gewähren und drückte einen Kuß auf ihre Stirn. Inzwischen bemerkte ich, wie Victor, der Marien mit immer wachsendem Erstaunen zugehört hatte, sich plötzlich erhob, die Thür leise verriegelte und sich, abgewandt, von uns, ans Feuer stellte. Ich drängte Marien leise von mir weg und ließ die Erschöpfte niedersitzen. Wenn Sie mich nicht betrüben wollen, sagte ich, so gebieten Sie jetzt Ihrem Schmerz. Wir sprechen uns wieder! — Dann schob ich den Riegel von der Thür und trat zu Victor. Ich sah in sein Gesicht, es war leichenblaß. Er ergriff meine Hand. — Ernst! sagte er, wenn Sie in mein Herz sehen könnten! Es ist an Einer Scene leidenschaftlicher Reue genug — aber, bei Gott, ich, möchte zu Ihren Füßen stürzen und weinen, wie jenes Mädchen!
Ich bat ihn, ruhig zu sein, und nöthigte ihn auf den Stuhl neben mich. Fürchten Sie nichts mehr von mir! fuhr er im Tone tiefster Zerknirschung fort. Die Ereignisse dieser Stunde lasten so furchtbar auf mir, daß sie mein ganzes Wesen vernichten. Aber sie bannen mich auch für immer in Ihre Nähe, selbst wenn ich Ihre Achtung niemals wieder gewinnen könnte.
Was Sie heut um meinetwillen erduldet haben, ist für mich eine Schuld, die nur ein ganzes Leben voll Ergebenheit abtragen kann.
Franz trat ins Zimmer und bestätigte die Nachricht von Sardok's Tode. Auch die übrigen Hausgenossen sammelten sich wieder. Es wurde berathschlagt, wo ich zu Nacht bleiben sollte. Victor schlug mir seine Stube im Nachbarhause vor. Ich erklärte indessen mit Entschiedenheit, nach Leipe zurückfahren zu wollen. So wurde denn dem Wundarzt ein Bote entgegengeschickt, um seinen Weg eben dahin zu lenken. Ich reichte zum Abschied Allen die Hand. Marie drückte sie an die Lippen und eilte davon. Victor ließ es sich nicht nehmen, mich nach Leipe zu begleiten, und so, in einem größeren Kahne, in Decken, Mäntel und Kissen, mehr als mir nöthig schien, verpackt, fuhr ich mit ihm und Franz ab.
Ueber Kascha's Bestürzung bei unserer Ankunft will ich schweigen. Ich war denn doch erschöpfter, als ich es wahr haben wollte, und lag bereits in einem heftigen Fieber, als der Arzt um Mitternacht eintraf. Er erklärte die Wunde für ganz ungefährlich, sagte mir aber noch ein paar starke Fiebertage voraus. Diese ließen auch nicht auf sich warten. Victor war nicht von meiner Seite zu bringen; erging ganz in meiner Pflege auf, ja es trat darin förmlich eine Eifersucht zwischen ihm und Kascha ein. Gegen Franz sprach er sich in diesen Tagen ebenfalls aus, und Beide waren
bald verständigt. An Besuchen und Anfragen wegen meiner fehlte es nicht, denn der Fall hatte in der ganzen Gegend Aufsehen gemacht. Doch wurde nur der Pfarrer aus Burg vorgelassen. Er erzählte mir, daß Marie wieder in seinem Hause sei. Daß er eine neue Entdeckung über ihre Gemüthsstimmung gemacht habe, entnahm ich seinem Gespräch wohl, indessen ließen wir einen so zarten Punkt unberührt. — Ferner hörte ich, daß man schon am Morgen nach meinem Unfall eine Untersuchung in der schwarzen Kaupe angestellt habe; aber die Zigeunerin war verschwunden. Sie ist, so viel ich weiß, in jener Gegend nicht mehr gesehen worden.
Nach einigen Tagen fühlte ich mich wieder kräftig. Da kam ein Brief von meiner Stiefmutter an. Er brachte betrübende Nachricht. Ein Schlaganfall hatte meinen Vater betroffen, ich wurde schleunigst zurückgerufen. Da war nicht zu zögern. Ich nahm Abschied von Franz und Kascha. Schon nach einer Stunde fuhr ich, von Victor begleitet, nach Lübbenau, um zu Nacht mit der Post nach Berlin zurückzukehren.
11. Schluß. Ich kann an jene Zeit nicht zurückdenken, ohne daß eine tiefe Wehmuth mich ergreift. Seit dem Tode
meiner Gattin schienen schmerzliche Ereignisse auf lange bei mir heimisch werden zu wollen. Marien bin ich nicht wieder begegnet. In Thränen sah ich sie in jener Nacht entfliehen, und so ist ihr Bild vor meinen Augen geblieben über ein halbes Menschenalter hinaus. Doch ich will versuchen, das, was Jahr um Jahr brachte, in gedrängter Erzählung zusammen zu fassen.
Als ich damals nach Berlin zurückkehrte, kam ich nur noch zurecht, meinen Vater in meinen Armen sterben zu sehen. Ich hatte von nun an keine Zeit mehr, meinem Hange, wie bisher, nachzuleben. Eine weit verzweigte Geschäftstätigkeit, in die ich mich erst hineinarbeiten mußte, nahm alle meine geistigen und physischen Kräfte in Anspruch. Das Leben forderte jetzt eine strenge, geregelte Arbeit von mir, und sie war mir willkommen, ja sie war mir Bedürfniß.
Oft zwar, sehr oft dachte ich an Marien. Ein tiefes Mitleid erfüllte mich und ein schmerzliches Gefühl, ihr das nicht erwidern zu können, was ihr Herz mir entgegen gebracht hatte. Denn jetzt, da ich mich wieder in den alten Räumen meines Hauses befand, wachte die Erinnerung an mein geliebtes Weib um so mächtiger wieder in mir auf, sprach mir aus den Augen meines Knaben, aus Allem, was mich umgab, und wollte keinem andern Bilde eine gleiche Berechtigung gestatten. Doch glaubte ich nicht, so ohne versöhnenden Abschied von Marien scheiden zu dürfen. Ich schrieb ihr, was man unter solchen Umständen schreiben kann,
wovon ich aber doch hoffte, daß es sie beruhigen werde, Trost, Worte der Freundschaft und Versicherungen des herzlichsten Antheils. Eine Antwort erhielt ich niemals.
So verging ein Jahr, da kam mir eine Nachricht, die ich als Antwort auf meinen Brief betrachten konnte. Franz schrieb mir, daß Marie sich entschlossen habe, seine Frau zu werden. Ich war sehr erfreut darüber, aber der Einladung zu seiner Hochzeit, die bald darauf stattfand, mochte ich doch nicht nachkommen.
Marie hatte als Frau nicht mehr jenes ungestüm übermüthige Wesen, worin sie sich als Mädchen gefallen. Ein erschütterndes Ereigniß war durch ihr Leben gegangen, sie hatte erfahren müssen, daß der Mensch sein Glück nicht mit Gewalt an sich reißen könne. Sie fühlte sich nicht unglücklich an Franzens Seite, aber ob sie das Glück, welches ihr anstatt des ersehnten zu Theil geworden, richtig zu schätzen verstand, darüber hab' ich nie etwas erfahren. Sie lebten die kurze Zeit, die sie verbunden waren, still und ruhig mit einander; die Menschen konnten sie für glückliche Gatten halten.
Ich sage die kurze Zeit — denn nur ein Jahr war ihnen beschieden. Marie ward Mutter eines Töchterchens und starb bei der Geburt desselben. Kurz vor ihrem Tode, den sie voraus gesagt haben soll, rief sie Franz zu sich, küßte ihn zärtlicher als jemals und sagte, sie wisse erst jetzt, daß sie den edelsten und besten Mann gehabt habe.
So war sie denn dahin gegangen, die schöne Schlangenkönigin, sie, die sich mit allen Fibern an das Leben geklammert hatte! Ihr Tod ergriff mich tief. Aber auch Victor fühlte sich von dieser Nachricht schmerzlich betroffen, denn seine Neigung zu ihr war nicht an der Oberfläche seines Wesens vorüber gegangen. Von ihm sei hier gesagt, daß auch er eine ernste Wandlung durchlebte. Er nahm fortan das Leben ernster, ja wir wurden in der Folge Freunde im besten Sinne.
In eine kurze Spanne Zeit hatte sich die traurige Geschichte der Schlangenkönigin zusammen gedrängt. Aber die Geschichte hat ein um so froheres Nachspiel. Es ist lang, ich will es um so kürzer erzählen.
Im Sommer nach Mariens Tode reis'te ich zum Erstenmal wieder nach dem Spreewalde. Franz war noch stiller und in sich zurückgezogener geworden, doch herrschte die alte Herzlichkeit zwischen uns. Von nun an reis'te ich in jedem Jahr auf einige Zeit, und wenn ich mir auch nur ein paar Tage abmüßigen konnte, zu ihm, und so wurde auch meine Bekanntschaft mit dem Pfarrer in Burg zu einem immer freundschaftlicheren Verhältniß. Auch meinen Sohn nahm ich mit der Zeit zu diesen Ausflügen mit.
Er war etwa acht Jahre alt, als ich einen Entschluß faßte, der in seinen Folgen segensreich für uns Alle werden sollte. Die Verwöhnung, in welcher der Knabe als einziger Sohn des Hauses lebte, und die
vorzüglich von der übertriebenen Nachsicht und Zärtlichkeit meiner Stiefmutter ausging, erschien mir mit der Zeit eben so unerträglich als gefährlich. Und so beschloß ich, ihn dem Pfarrer für einige Zeit zur Erziehung zu übergeben.
Sechs Jahre lang blieb mein Sohn im Pfarrhause zu Burg, gedieh an Körper und Geist aufs Beste, und so wurde das Dorf und der Spreewald zu seiner zweiten Heimath, an der er mit der größten Liebe hing. Auch als ich ihn später zu mir zurücknahm, zugleich mit den ältesten Söhnen des Pfarrers, die fortan in meinem Hause blieben, um sich zur Universität vorzubereiten, behielt er diese Anhänglichkeit, zumal sie von seinen Schulfreunden getheilt wurde. Ja sie wuchs nur mit der Zeit, so daß alle seine Ferienreisen, in den Schülerjahren und noch in der Studentenzeit, nach diesem Einen Ziele hingingen.
Er war zwanzig und etliche Jahre alt geworden, hatte seine Studien vollendet und rüstete sich, da er Naturforscher werden wollte, zu einer großen Reise zu wissenschaftlichen Zwecken. Aber es stand bei ihm fest, daß er vorher einen Ausflug nach dem Spreewalde machen müsse. Ich hatte längst gemerkt, daß von dorther noch ein ganz besonderer Magnet auf ihn wirke, eine Beobachtung, die mich mit stiller Freude erfüllte. Es war vielleicht für eine Reihe von Jahren der letzte Besuch meines Sohnes in Burg, er bat und drang daher in mich, ihn zu begleiten. Das war mir freilich
nicht möglich, doch versprach ich, wenn es anginge, nachzukommen und die Freunde dort wenigstens einen Tag über zu sehen. So fuhr er denn allein ab, trotz einer Februarkälte, die jeden Ausflug aufs Land unmöglich zu machen schien. Vierzehn Tage darauf konnte ich mich auf kurze Zeit von meinen Geschäften losmachen und folgte ihm.
Ueber allen Wiesen, Kanälen und Wasserarmen des Spreewaldes lag eine gleichmäßige, spiegelblanke Eisdecke. Da bedurfte es, um von Ort zu Ort zu kommen, keines Stunden langen Umweges mehr. Anstatt des Kahns waren Pikschlitten und Eisschuh zum Verkehrsmittel der ganzen Gegend geworden. Quer über die Fläche weg, durch gelichteten Wald an Kaupen vorüber, fliegt der geflügelte Fuß, und sein Ziel, das der Sommer ihm drei Stunden weit verrückt, ist in einer halben erreicht.
Ich nahm in Lübbenau einen Stuhlschlitten nebst Führer, der mich zuerst nach Leipe bringen sollte. Nur eine kurze Strecke waren wir gefahren, als ich eine Schaar Schlittschuhläufer in der Entfernung erblickte. Sie waren in die Wintertracht der spreewäldischen Bauern gekleidet: weite Beinkleider und Röcke von weißer Leinwand, mit Wolle gefüttert, Pelzmützen von Fischotter und hohe Stiefeln bis über die Kniee.
Bald unterschied ich unter dieser immerhin malerischen Tracht bekannte Gestalten. Dem Zuge voran saus'te ein frischer Bursche mit gerötheten Wangen und
flatterndem Haar. Er schob einen Schlitten vor sich her, in dem ein Mädchen saß, das reizendste Geschöpf, das man sehen konnte, blond, blauäugig, die Bescheidenheit und Anmuth selbst. Doch trug sie städtische Kleider und war in ihr Mäntelchen gut eingehüllt. Ich kannte sie seit lange, und kurz — es war Franzens Tochter, wie ihre Mutter Marie, genannt. Ihr Führer war mein Sohn Georg, das Gefolge bestand aus den Söhnen und Töchtern des Pfarrers und einigen Gespielen der Kinder.
Ein lautes, jauchzendes Hurrah des Willkommens erscholl, als sie sich mir näherten; Alle kannten mich von Alters her. Georg brachte mit kunstgerechter Schwenkung den Schlitten seiner Dame neben den meinigen, und das schöne Mädchen umarmte in unbefangener Kindlichkeit ihren „Onkel,“ wie sie mich nannte. Georg's Augen leuchteten, als er sie mir brachte, er schien seinen Vater um den Kuß zu beneiden.
Onkel Franz ist in Burg bei dem Vater, rief einer von den Söhnen des Pfarrers, wir brauchen nicht mehr nach Leipe zu fahren. Der Sprecher ließ es sich nicht nehmen, meinen Schlitten, anstatt des Führers, zu schieben, und fort ging es über die Eisebene, unter Geschrei, Necken, Jubel und Lachen.
Es folgte ein glücklicher Tag im Pfarrhause. Jugend und Frohsinn waren in Fülle beisammen und rissen die Alten unwiderstehlich mit fort. Zwischen
Georg und der kleinen Marie war ein Necken, Flüstern und Lachen ohn' Ende. Jetzt ein heftiger Zank, ein Schmollen, dann wieder zarteste Rücksicht und jungfräuliche Verschämtheit und von Neuem lächerlicher und lachender Zwist und Umherjagen, daß die Kleine vor dem unbändigen Jungen entfloh und sich hinter ihren alten Onkel rettete. Sie waren als Kinder gleich Geschwistern zusammen aufgewachsen, selbst ihre junge Liebe wollte sich noch kindisch austoben. Denn daß sie einander liebten, darüber waren die Väter längst einig und sahen in ihrer Vereinigung die schönste Versöhnung alter schmerzlicher Erinnerungen. Und alle Hoffnungen wurden erfüllt. Noch vergingen einige Jahre, dann aber führte Georg Marien zum Altare, und wir waren Alle Ein Haus und Eine Familie.