Höchst geehrter Herr Professor.
Meine Aufsätze in Nr. 16. uund 18 der „Gegenwart“ Ihnen zuzusenden habe
ich für überflüssig erachtet, da Ihnen dieselben jedenfalls auch ohnehin
zu Gesicht gekom̃en sein werden. Dagegen erlaube ich mir, Sie auf
No 20 der „Blätter für litterarische Unterhaltung“ aufmerksam zu machen,
da ich nicht weiß, ob Ihnen ohnedies mein Aufsatz bekañt werden
würde. Leider habe ich keinen Abdruck, den ich Ihnen zusenden könnte.
Daß der Unterrichtsminister sich die Mehrheitsbeschlüsse unserer
Versam̃lung nicht angeeignet hat, scheint namentlich unseren Kollege
Duden aus dem Häuschen gebracht zu haben. Seine „Zukunftsortho-
graphie“ wird hoffentlich von Ihrer Seite der verdienten Abfer-
tigung nicht entgehen. Sollte der Mañ wirklich keine Ahnung davon
haben, daß das deutsche Volk in seiner Gesam̃theit eine Berechti-
gung hat, sich nicht durch die Mehrheitsbeschlüsse unserer Versam̃lung
vergewaltigen zu lassen? Sollte er wirklich nicht einsehen, daß selbst
von seinem einseitigen phonetischen Standpunkt aus eine Schreibweise wie
zb. Fals statt Fahls eine Verschlechterung statt eine Verbesserung der
Orthographie ist und daß man sogenañte Erleichterungen für die
Schreibenden doch nim̃ermehr durch Erschwerungen für die Lesenden – sowohl
in Bezug auf die Aussprache wie auf das Verständnis – verkaufen darf?
Über die Art und Weise, womit er die Frage der Rechtschreibung
auf das Gebiet der politischen Parteien hinüberzuschieben sucht, will ich
Nichts sagen. Sie ist gar zu plump.
Ich
Ich hoffe, recht bald wieder von Ihnen zu hören und zu lesen. Wissen
Sie vielleicht Genaueres und Bestim̃teres über die von dem Unterrichts-
minister etwa fernerhin in Aussicht genom̃ene Stellung zu der orthogra-
phischen Frage?
Mich Ihrem freundlichen Wohlwollen aufs angelegentlichste
empfehlend, bin ich
Ihr hochachtungsvoll ergebenster
Dan. Sanders
Altstrelitz d. 13 Mai 1876