Verehrter, berühmter Landsmann und Schulfreund,
Die Augenblicke, die ich hier auf unserm Bahnhof mit Ihnen
verplaudern durfte, waren so kurz und flüchtig, daß ich Ihnen
meine Bewunderung und meine Glückwünsche nicht aussprechen
konnte. Ich hatte gleich nach Empfang Ihrer Karte mich nach Neustre-
litz begeben, weil ich es wenigstens als möglich ansah, daß Sie
dorthin gereist sein möchten, war aber, als ich Sie dort – natürlich vor-
geblich – in den Gasthöfen und, wo ich Sie sonst etwa vermuthen
konnte (bei der Ministerin v.von Bernstorff und Ihrem alten Lehrer
Andres) gesucht, wieder zurückgekehrt, in der bestim̃ten Er-
wartung, Sie gegen 3 Uhr auf dem Bahnhof zu treffen. Dort
hoffte ich, Sie überreden zu können, daß Sie bis zu dem näch-
sten Bahnzuge bei mir bleiben würden, und wollte, wie
mir dies nicht gelingen sollte, Sie wenigstens bis Fürstenberg
begleiten, um doch wenigstens Etwas mehr von Ihnen zu haben.
Doch aus all dem ist Nichts geworden und ich muss mich
mit
mit den wenigen Augenblicken begnügen, die Sie mir haben widmen
können und wollen, und mit der frohen Aussicht, die Sie mir
geben, im nächsten Jahre länger mit Ihnen zusammen zu sein.
Ich hoffe und wünsche, daß Ihnen und Ihrer verehrten
Frau Gemahlin, der ich mich aufs angelegentlichste zu empfehlen
bitte, der Aufenthalt in Karlsbad wohl bekom̃en sei und
weiter bekom̃en werde. Wenn Sie, wie Sie mir gesagt,
Ihre Muße dort auch meiner neugriechischen Gram̃atik ge-
widmet, so will ich nur wünschen, dass dies nähere Ein-
gehen dem so überaus günstigen Vorurtheil, das Sie die-
sem Buche entgegengebracht, nicht allzumal Abbruch gethan
haben möge. Ich brauche Ihnen wohl nicht erst besonders
auszusprechen, dass ich endlich bestrebt sein werde, Alles, was
Sie mir über das Buch – Lobendes und Tadelndes – sagen
köñen, möglichst zu verwerthen. Ist das doch, wie ich Ihnen
sofort bei der Übersendung mit Goethe's Wort ausgespro-
chen, der sichere Gewiñ, den es bringt, wenn man sich
“vor den Wissenden“
stellt. Vielleicht äußern Sie über das
Buch ein Wort öffentlich, das ihm zur wesentlichen Förde-
rung gereichen würde. Ich spreche das so offen und rückhaltslos
aus, weil ich weiß und überzeugt bin, daß Sie jedenfalls das streben
billigen – uund es daher auch gerne fördern würden, die Verbindung
zwischen Griechenland's und Deutschland's Völkern, Sprachen und
Schriftthümern zu mehren, iñiger zu schließen und zu festigen.
Der altphilogogische Zopf aber, wonach man von der heutigen
griechischen Sprache und Litteratur so geringschätzig – ich sage nicht:
urtheilt (deñ das würde eine eingehende Keñtnis voraus-
setzen), aber doch – spricht und sich demgemäß gebart, dieser
altphilologische Zopf, sage ich, ist so dick und so dicht verfilzt, ein
wahrer Weichselzopf, daß die Schere, um ihn abzuschneiden
nur den kräftigsten und sichersten Händen anvertraut wer-
den kañ, die freilich dann auch schwerlich mit einem Schnitt
durchdringen werden; aber die Eiche fällt ja auch nicht auf
den ersten Hieb und der Tropfen höhlt den Stein nicht durch
die ungetüme Kraft, sondern durch die Stetigkeit des Falls.
Jedenfalls ist Keiner so berufen wie Sie und Niemandes
Wort fällt so gewichtig in die Wagschale wie das ihre,
in Deutschland wie in Griechenland den Zweck meines
Buches zu fördern: eine möglichst iñige und feste Verbin-
dung zwischen beiden Völkern und Ländern, – hat doch kaum
je Einer so viel für beide Völker und Länder gethan
wie
wie Sie. Doch darauf darf ich mich nicht näher einlassen, wie ich
nicht statt eines Briefes ein Buch schreiben wollte, und außerdem
hieße dies ja auch, das Überflüssigste thun und Eulen nach
Athen tragen.
Eine Sendung meines „Ergänzungs-Wörterbuches“Sanders, Daniel: Ergänzungs-Wörterbuch der deutschen Sprache. Berlin 1885.[Onlien Verfügbar, DNB, aufgerufen am 06.07.2018](http://d-nb.info/458803006), das
jetzt alle meine Kraft in Anspruch nim̃t, wird – meinem
Auftrage an den Verleger gemäß – Ihnen hoffentlich noch
in Berlin zugegangen sein und eine neue Lieferung
in Karlsbad. Ich bitte um Freundliche An- und Aufnahme
dieser kleinen Gabe, die Sie aber um's Him̃els willen nicht
als ein Gegengeschenk für Ihr “Ilios“Schliemann, Heinrich: Illios, Stadt und Land der Trojaner. Forschungen und Entdeckungen in der Troas und Besonderes auf der Baustelle von Troja. Leipzig 1881.[Onlien Verfügbar, Universität Heidelberg, abgerufen am 06.07.2018](http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/schliemann1881b) ansehen wollen;
deñ wie Goethe sagt:
Mit Göttern
Soll sich nicht messen
Irgend ein Mensch.
Goethe, Johann Wolfgang: Grenzen der Menschheit. 1781.
Und so habe ich deñ, um früher Gesagtes zu wiederholen,
Ihre diomedische Goldrüstung gegen meine eherne entge-
gengenom̃en, stolz darauf, dass auch die Andere
“Schaun, wie ein Freund zu sein aus Jugendzeiten aus rüh-
men“
Mich und meine Arbeiten Ihrem Wohlwollen und
Ihrer Förderung angelegentlich empfehlend bin ich mit
meinem und der Meinigen besten Grüßen und Wünschen für Sie und Ihre
verehrte Frau Gemahlin in bewundernder Verehrung
Ihr ergebenster
Dan.Daniel Sanders
Altstrelitz, dden 7. Aug.August 1881.