Johann van Eyck
und
seine Nachfolger .
Erſter Band .
Johann van Eyck
und
seine Nachfolger .
Von
Johanna Schopenhauer .
Beides , ihre Kunſt und ihr Leben war
bei ihnen in ein Werk eines Gußes zu-
ſammengeſchmolzen , und in dieſer innigen ,
ſtärkenden Vereinigung ging ihr Daſeyn
einen deſto feſteren , ſicheren Gang durch
die flüchtige umgebende Welt hindurch .
W. H. Wackenroder .
Erſter Band .
Frankfurt am Main 1822 .
Druck und Verlag von Heinrich Wilmans .
Vorwort .
W as ich bei Abfaſſung nachſtehender Blätter
bezweckte , habe ich in der Einleitung zu den-
ſelben meinen Leſern geſagt , und ſo bleibt mir
nur noch übrig , die Quellen zu nennen , aus
denen ich ſchöpfte .
Die vorzüglichſten derſelben ſind , außer
Karl von Mander 's Werk : Het Leven der
Doorluchtighe Nederlandtsche on hoogduyt-
sche Schilders , noch : Sandrart 's Kunſt-
Akademie , Fuesli 's Künſtler-Lexikon , Des-
campes vies des Peintres flamands , von
Murr 's Kunſt-Journal , und bei der Abfaſ-
ſung von Hemling 's Leben einige der ſehr
reichhaltigen Noten zu dem Kunſt-Romane :
Ursule , Princesse britannique , vom Herrn
von Kevernberg .
Sodann verdanke ich Manches noch , ein-
zelnen , in andern Büchern verſtreuten Bemer-
kungen , die ich nicht alle namentlich aufführen
kann ; ſehr Vieles den gütigen Mittheilungen
kunſtliebender Freunde , vor Allen Herrn Sul-
pize Boiſſer é e und deſſen Hinweiſungen auf
einzelne Aufſätze , welche in dem , das Mor-
genblatt begleitenden Kunſtblatte zu finden ſind ,
und theils Herrn Boiſſer é e , theils Herrn
Doktor Schorn zu Verfaſſern haben .
Uebrigens bin ich mir wohl bewußt , den
reichhaltigen Stoff bei weitem nicht erſchöpft
zu haben . Möge eine geübtere Hand bald die
Feder ergreifen , um das Fehlende zu ergänzen ,
mögen einſtweilen dieſe Blätter mit ſo viel
gutem Willen aufgenommen werden , als ich
ſie ſammlete und gab .
Weimar , im Mai 1821 .
Johanna Schopenhauer .
Jnhalts-Verzeichniß des erſten Bandes .
Vorrede . Seite .
Einleitung 1
Johann und Huber van Eyck 18
Antonello von Meſſina 99
Rogier van Bruͤgge 104
Rogier van der Weyde 106
Hugo van der Goes 110
Hans Hemling , zuweilen auch Memmeling genannt 116
Quyntin Meßis 194
Berent von Bruͤſſel , auch Bernhard von Orlay
genannt 206
Michael Coxis 213
Albrecht Duͤrer 221
Einleitung .
E in ſchöner Tag iſt hell und klar angebrochen , bei
deſſen Licht wir uns , unſre Umgebungen , ja ich
möchte ſagen , das Vaterhaus , nach langer Ver-
blendung wieder erkennen . Die Scheinglorie ,
welche noch vor wenigen Jahrzehnden alles Aus-
ländiſche unſern Augen umſtralte , täuſcht uns täglich
weniger , und der geiſtig untergeordnete Zuſtand , in
den zuerſt eigne Schwäche und fremde Verführung ,
ſpäter Alles verhöhnende Gewalt uns verſetzte , iſt
auf immer überwunden . Wir ſind darum nicht un-
gerecht , wir ehren auch fremdes Verdienſt ; aber
wir fühlen mit frohem Stolze , daß der Deutſche in
Allem was den Menſchen erhebt , in jeder Wiſſen-
1
ſchaft wie in jeder Kunſt , ſich , ohne zu erröthen ,
neben alle gebildete Völker des Erdbodens ſtellen
darf , und es ſchon ſeit Jahrhunderten durfte .
Herzliche , ſonſt weniger deutlich empfundene Liebe
zu deutſcher Art und Kunſt iſt unter uns erwacht ,
mit ihr ein rühmliches Streben Allem nachzuforſchen
was die letzte dunkle undankbare Zeit mit ſich in
Schutt und Trümmer hinabriß .
Dieſes Wiedererwachen zum lebendigen Gefühl
unſres beſſern Daſeyns verdankten wir anfangs nur
wenigen hochherzigen , talentvollen , unterrichteten
Männern , deren Zahl ſich aber täglich vermehrte .
Seit kaum zwanzig Jahren bieten ſie einander überall
in Deutſchland zum rühmlichſten Forſchen die Hand ,
und der glänzendſte Erfolg lohnt ihr ſchönes ernſtes
Streben . Das Niebelungen-Lied entſtieg durch ſie dem
ſtaubbedeckten Dunkel in welches die Barbarei un-
wiſſender Afterbildung es verſenkt hatte , und mit ihm
erſtand eine große Zahl deutſcher Dichter und Min-
neſänger . Vergeſſen und verklungen waren ihre einſt
hochgefeierten preiswürdigen Namen noch vor kurzem ,
nur hie und da von gelehrten Geſchichtsforſchern ge-
kannt. Jezt nennt und preiſet ſie wieder Jung und
Alt jedes Geſchlechts ; ſie ſind uns Allen wieder liebe
Bekannte geworden , Ahnherren , deren Gedächtniß
dankbare Enkel treulich feiern ; und manches ihrer
Lieder geht wieder im fröhlichen Kreiſe der Jugend
von Mund zu Munde , wie einſt in der glänzendſten
Blüthenzeit der ehrwürdigen Sänger .
Mit dem Niebelungen-Liede und den Minne-
ſängern mußten auch die alten Künſtler wieder er-
ſtehen , denn Poeſie und bildende Kunſt gingen ewig
Hand in Hand bei allen Völkern der Erde , weil ihr
Streben und Wirken im Grunde eins iſt , und Ein
Geiſt beide belebt . Die Fackel iſt nun einmal
angezündet , mit welcher wir nach den Schätzen der
Urväter in die düſtre Nacht hinableuchten , welche
ſie ihren Söhnen Jahrhunderte lang verbarg . Jn
Staub und Moder , unter veraltetem zertrümmertem
Kirchengeräthe , in dunkeln Archiven , unter halb
verlöſchten Pergamenten , wie in alten Schlöſſern ,
in Sälen und Kammern , ſeit Jahren nicht dem Lichte
geöffnet , hat ein reges Treiben und Forſchen be-
gonnen , und wer ſucht der findet .
1*
Bald ward es mit frohem Erſtaunen anerkannt ,
daß auch wir , wie die Jtaliäner , uns einer eigen-
thümlichen , urſprünglich deutſchen Kunſtſchule
rühmen dürfen , welche Jahrhunderte lang , von
allen andern ſich unterſcheidend , am Nieder-Rheine
blühte , dort von den byzantiniſchen Feſſeln ſich
losriß , ohne andere Hülfe als die der Natur , kühn ,
feſt und ernſt den Gang zum Gipfel der Voll-
kommenheit wagte , und ihn endlich unter van Eyck ,
Hemling , Schoreel erreichte , wo ſie in ihrer Eigen-
thümlichkeit neben dem Höchſten ſteht , deſſen die
Welt ſich rühmen darf . Dieſe Entdeckung ver-
danken wir vorzüglich den Gebrüdern Boiſſer é e und
ihrem Freunde Bertram , Namen welche jeder
deutſche Kunſtfreund unſrer Zeit kennt , und mit Liebe
und Dankbarkeit ausſpricht . Eine Sammlung , wie
ſie wohl ſchwerlich zum zweitenmal in der Welt zu-
ſammengebracht werden könnte , ward der Lohn ihres
weder Mühe noch Koſten ſcheuenden Forſchens ; eine
Sammlung , deren Anblick ſchon Tauſende wie mich ,
auf die rührendſte Weiſe erfreute . Bei mir mußte
neben dieſer Freude auch der Wunſch rege werden ,
von den alten Meiſtern ſelbſt , welche die altdeutſche
Schule ſtifteten und verherrlichten , etwas zu er-
fahren , da ich mit Vorliebe an dem einfachen Leben
und dem ſchönen ernſten Streben unſrer Vorfahren
hange , und mich gern zurück in jene gemüthreiche
ſinnvolle Zeit verſetze , in der ſie lebten und wirkten .
Die Überzeugung , daß wohl Manche , beſonders
meines Geſchlechts , dies Gefühl mit mir theilen ,
veranlaßte mich in dieſen Blättern ſchmucklos , wahr
und treu aufzuzeichnen , was ich von dem Leben und
den Werken jener Meiſter in Erfahrung bringen
konnte . Doch bleibt mir dabei die Anmaßung fern ,
für gelehrte Kunſtkenner ſchreiben zu wollen , denen
ſowohl die Quellen , aus welchen ich ſchöpfen konnte ,
als die , welche , meiner Jndividualität nach , mir
verſchloſſen bleiben mußten , offen und zugänglicher
ſind als mir . Jch ſchreibe nur für meines Gleichen :
für Frauen , welche , wie ich , die deutſche Kunſt lieb
gewannen , höchſtens für Kunſtfreunde , deren übrige
Verhältniſſe ihnen nicht erlauben der Kunſtgeſchichte
ihres Vaterlandes ein eignes tieferes Studium zu
weihen .
Und ſo möchte es nicht überflüſſig ſeyn , hier
von dem früheren Zuſtand der Kunſt , vor van Eyck ,
einige Worte zu ſagen , ehe wir zu unſerem eigent-
lichen Zwecke weiter vorſchreiten . Jndeſſen kann ich
in dieſer Hinſicht wenig mehr thun als meine Leſer an
das , was uns Goethe in ſeinem erſten Hefte über
Kunſt und Alterthum von dieſem Gegenſtande ſagte ,
wieder erinnern , und zwar zum Theil in ſeinen
eignen Worten ; denn wo wären beſſere zu finden ?
Die ihm eigne Klarheit , Tiefe und Anſchaulichkeit
giebt jenen wenigen Blättern einen ſo unſchätzbaren
Werth , daß Alles was in ſpätern Zeiten über dieſen
Theil der Kunſtgeſchichte geſchrieben und gelehrt
werden kann , nur zum Belege deſſen dienen wird ,
was er mit gewohnter Meiſterſchaft in wenige Seiten
zu faſſen wußte .
Gute Anſtalten aller Art waren durch militäri-
ſches und politiſches Unheil von der Erde vertilgt und
mit dieſen hatte ſich die , wenige Jahrhunderte früher
noch ſo hoch ſtehende Kunſt im wildeſten Kriegs- und
Heeres-Weſen völlig verloren . Die fratzenhaften
Darſtellungen einer Unzahl von Kaiſern und Kaiſer-
lingen auf elenden Kupfer-Münzen jener Zeit legen
ein trauriges Zeugniß davon ab bis an den heu-
tigen Tag . Die Kunſt wäre völlig erloſchen und
das Menſchengeſchlecht hoffnungslos verſunken in
Barbarei , hätte nicht die chriſtliche Kirche ſie in
Schutz genommen und ſie vom gänzlichen Untergange
gerettet , wenn gleich nur als ſchwachen , unter der
Aſche fortglimmenden Funken . Woran der Menſch
glauben , was er lieben ſoll , das muß ſich ihm auch
geſtalten , und ſo wurden die alten , aus ihren
Tempeln vertriebnen Götterbilder , der Triumph
Helleniſcher Kunſt , gar bald durch andre , menſch-
licher gedachte Bilder erſetzt , zu denen die glaubige
betende Menge um ſo hoffnungsreicher den Blick
erhob , je näher ſie ſich in ihrer Beſchränktheit dieſen
Bildern verwandt fühlen konnte , die mit bekannten ,
ſtets treu wiederholten Zügen ihr entgegen traten .
Bei dem Druck der Verworrenheit , welchem
damals die Welt unterlag , ward indeſſen die
Bildung aus dem Weſten vertrieben ; ſie flüchtete
ſich zum glanzerfüllten Oſten , und nur Byzanz blieb
noch ein feſter Siz für die chriſtliche Kirche und die
ihr verwandte Kunſt ; obgleich in dieſer Epoche leider
auch der Orient ein immer traurigeres Anſehen ge-
wann . Die Religion ſelbſt mußte einen diplomatiſch-
pedantiſchen Karackter annehmen , die kirchlichen Feſte
gewannen die Geſtalt von Hof- und Staatsfeſten ,
bei denen Alles einer einmal beſtimmten , etiketten-
artigen , mehr für die Sinne als das Gemüth berech-
neten Regel folgte . Und ſo wie dem Zeremonien-
meiſter bei Hoffeſten über die Befolgung der einmal
für allemal vorgeſchriebnen Äußerlichkeiten zu wachen
auferlegt war , ſo wachte auch die Geiſtlichkeit über
Alles was auf kirchliche Feier Bezug hatte .
Die heiligen Bilder , welche ſie hernach durch
Weihe und Wunder dem einmal beſtehenden Gottes-
dienſte völlig aneigneten , mußten alle auf das ge-
naueſte nach der einmal angenommnen Norm , unter
der Aufſicht und nach der Vorſchrift der Prieſter ver-
fertiget werden . Man ſuchte immerfort die aus den
erſten chriſtlich-kirchlichen Jahrhunderten durch Tra-
dition erhaltnen Geſtalten der Apoſtel und Märtyrer
ſo individuel als möglich beizubehalten ; doch die
Zahl der Heiligen mehrte ſich faſt täglich , und bei
dem immer mehr überhand nehmenden ſtarren mu-
mienhaften Styl ging alle Bedeutſamkeit nach und
nach in einer Art von Familienähnlichkeit verloren ,
ſo daß man endlich anfangen mußte unter oder neben
jedem Bilde den Namen des dargeſtellten Heiligen
zu ſchreiben , damit man nicht Einen ſtatt des
Andern verehrte und Jedem ſein Recht , wie billig ,
bewahrt bliebe .
Wahrſcheinlich aus ägyptiſchen , äthiopiſchen ,
abyſſiniſchen Anläſſen begann man endlich ſogar die
Mutter Gottes mit braungefärbtem Antlitz abzu-
bilden ; bei getrockneten verharzten Muskeln be-
hauptete nur noch die Geſtalt des Gebeins einiger-
maßen ihr Recht , und die Kunſt verſank allgemach
in einen immer mehr verkümmerten Zuſtand .
Strenge , trockne Symmetrie blieb dabei der
einzige wenig erfreuliche Vorzug der byzantiniſchen
Schule , auf dem ſie mit Feſtigkeit beharrte ; jeder
Geſtalt mußte eine zweite , ihr auf das genaueſte
entſprechende entgegen ſtehen , an jede Mitte ein
Hüben und Drüben ſich anſchließen .
Um dieſe Zeit war aus Jtalien alles prak-
tiſche Talent gänzlich verſchwunden ; Alles , was
gebildet werden ſollte , hing von den Griechen ab .
So wurden die Thüren der Kirche St. Paul
auſſerhalb der Mauern im eilften Jahrhundert
zu Konſtantinopel gegoſſen und mit eingegrabnen
Figuren abſcheulich verziert . Griechiſche Maler ,
Muſivarbeiter und Baumeiſter , von Konſtantinopel
geſendet , verbreiteten ſich durch das ganze Land
und bedeckten es mit ihrer traurigen Kunſt , bis
endlich im dreizehnten Jahrhundert das Gefühl
für Wahrheit und Anmuth der Natur wieder er-
wachte . Die Jtaliäner ergriffen ſogleich das
einzige an den Byzantinern gerühmte Verdienſt ,
die ſymmetriſche Kompoſition , den Unterſchied der
Karacktere ; und der Sinn für Form that bei ihnen
um ſo eher ſich wieder ſchnell hervor , da er bei
dieſem , von den herrlichſten Überreſten einer großen
Vorwelt umgebnen Volke nie ganz untergegangen
ſeyn konnte .
Auch an den , von römiſchen Heeren durch-
zognen , von römiſchen Kolonien angebauten und
bevölkerten Ufern des Rheins hatte die byzantiniſche
Malerſchule , in allen ihren Verzweigungen , wie
über den ganzen Weſten , geherrſcht , auch hier ein-
heimiſche Meiſter , Geſellen und Schüler zu all-
gemeinen Kirchenarbeiten gebildet , wie manches
aus jener düſtern Schule ſtammende Bild in Köln
und der Nachbarſchaft noch beweiſet . Jene orien-
taliſche Trockenheit erheiterte ſich auch in dieſen
Gegenden nicht vor dem dreizehnten Jahrhundert .
Nun aber bricht ein freudiges Naturgefühl auch
mit einmal durch , und vielleicht nirgends tritt der
Nationalkarackter , die klimatiſche Einwirkung , ſo
ſchön in der Kunſtgeſchichte hervor , als gerade in
den Rheingegenden .
Es iſt nicht nur gelungne Nachahmung des
einzelnen Wirklichen , es iſt eine behagliche Augen-
luſt , die ſich im Allgemeinen über die ſinnliche
Welt aufthut . Äpfelrunde Knaben und Mädchen-
geſichter , eyförmiges Männer- und Frauen-Antlitz ,
wohlhäbige Greiſe mit fließenden oder gekrauſten
Bärten , das ganze Geſchlecht gut , fromm und heiter
durch einen zarten Pinſel karackteriſtiſch genug dar-
geſtellt. Die Farben ſind heiter , klar , kräftig ,
ohne eigentliche Harmonie , aber auch ohne Buntheit ,
durchaus dem Auge angenehm und gefällig .
Ein ganz goldner Grund , mit eingedruckten
Heiligenſcheinen um das Haupt , worin der Name
des dargeſtellten Heiligen zu leſen , bezeichnet die
Gemälde aus dieſer Zeit . Oft iſt die glänzende
Metallfläche mit wunderlichen , tapetenartigen ,
ebenfalls durch Hülfe eines Stempels eingedrückten
Blumen verziert ; oft bildet ſie , durch braune
Umriſſe und Schattirungen vergoldetes Schnitzwerk
nach , kleine Kapellchen , oder Baldachine , unter
welchen die Heiligenbilder in ruhiger Stellung einzeln
ſtehen . An Perſpektive dachte damals noch Niemand ,
und die zu Ende des Mittelalters auch in Deutſchland
der Malerei weit zuvoreilende Plaſtik ſcheint auf
dieſe Gemälde nicht geringen Einfluß gehabt zu
haben .
Doch weht ein heitrer ſtiller Geiſt über ſie ,
ein unausſprechlich frommer Sinn und ein wahrhaft
heiliger Gottesfrieden . Die Boiſſer é eſche Samm-
lung bewahrt mehrere größere und kleinere Gemälde
aus jener Zeit , welche alle Vorzüge und Mängel
derſelben auf das deutlichſte beurkunden .
Starr und unbeweglich ſtand ſo die Kunſt , wenn
gleich nicht mehr ſo ganz erdrückt von den byzan-
tiniſchen Feſſeln , bis an der Gränze des vierzehnten
und funfzehnten Jahrhunderts in Köln der Schöpfer
des dortigen berühmten Dombildes hervortrat ,
welches Goethe als die Achſe der niederrheiniſchen
Kunſt auszeichnet . Seinen Namen , die Geſchichte
ſeines Daſeyns riß der Strom der Zeit mit ſich
fort , nur wird in alten Urkunden um das Jahr
1380 der kunſtreiche Meiſter Wilhelm von Köln
erwähnt , als einer , deſſen Gleichen nie zuvor ge-
ſehen ward , weil er die Menſchen lebend und
athmend auf ſeinen Tafeln darzuſtellen wußte . Und
da nach einer auf dem Bilde angebrachten Jahr-
zahl die Vollendung deſſelben im Jahr 1410 für
gewiß angenommen wird , da ein Bild von dieſem
Umfang bei dieſer ſorgfältigen Vollendung , nur
in einer Reihe von mehreren Jahren entſtehen
konnte , und das Ganze von großer Übung und
auſſerordentlichem Kunſttalent des Meiſters zeugt ,
ſo ſind alle Gründe vorhanden , es für das Werk
dieſes von ſeinen Zeitgenoſſen über Alle hoch ge-
geprieſenen Meiſters Wilhelm zu halten .
Auf dieſem aus einem Mittelbilde und zweien
Seitentafeln beſtehenden Altar-Gemälde iſt noch
immer keine Ahnung von Perſpektive zu erblicken ;
der reine , Alles abſchließende Goldgrund , der mit
Stempeln gepreßte , mit Farben bunt ausgemalte
Teppich ſind beibehalten , die Figuren des Mittel-
bildes , ſo wie auch die der Seitenbilder beziehen ſich
auf die Mitte mit gewohnter Symmetrie ; die
herkömmliche byzantiniſche Manier herrſcht noch voll-
kommen , aber mit Lieblichkeit und Freiheit beachtet .
Die Anbetung der drei weiſen Könige des Morgen-
landes , welche der helle Stern zur Hütte des neu-
gebornen Heilandes führte , iſt auf der mittlern
Tafel dargeſtellt ; auf einem der beiden Flügel
der heilige Gereon in hellglänzender prächtiger
Rüſtung , ihm folgen die Ritter welche mit ihm
unter dem Kaiſer Maximian für den chriſtlichen
Glauben den Märtyrer-Tod litten ; auf dem
zweiten Flügelbilde , in hoher Schönheit und An-
muth, in fürſtlicher Pracht der Kleidung und Ge-
ſchmeide , führt die brittaniſche Fürſtin Urſula
ihre lieblichen jugendlichen Gefärtinnen an , welche
ebenfalls unter dem nämlichen Kaiſer mit ihr
vor Köln die Märtyrer-Krone errangen . Beide ,
Gereon und Urſula , ſcheinen mit ihrem Gefolge
zu dem hohen Ziele hinzuwallen , vor welchem
die Könige ſchon in Demuth und Andacht die
Kniee beugen . Das Taſchenbuch für Freunde alt-
deutſcher Zeit und Kunſt , vom Jahr 1816 , ent-
hält einen Kupferſtich dieſes köſtlichen Gemäldes ,
der jede genauere Beſchreibung deſſelben überflüſ-
ſig macht .
Mich ſelbſt haben widrige Zufälligkeiten von
einer Reiſe nach Köln ſtets abgehalten , obgleich
ich der Erfüllung des Wunſches dahin zu gelan-
gen zweimal ſehr nahe war . Aber in der Boiſſe-
r é eſchen Sammlung befinden ſich vier Tafeln ,
welche die Beſitzer derſelben aus bedeutenden
Gründen für Arbeiten des nämlichen Meiſters
Wilhelm von Köln halten . Auf zweien derſelben ,
welche augenſcheinlich zu einander gehören , ſtehen
auf goldnem Grunde acht heilige Männer und
Apoſtel , auf jeder vier ; über jedem derſelben
erhebt ſich eine durch ſchwarze Umriſſe und Schraf-
firungen angedeutete kapellenartige Niſche . Auf
den beiden andern Tafeln , welche ebenfalls zu-
ſammen gehören , ſind auf ſchwarzem Grunde , auf
jeder drei Figuren heiliger Männer und Frauen
abgebildet ; dieſe ſtehen nicht mehr ganz auf einer
Linie , einige ſind mehr vor , andere mehr zurück-
geſtellt , die Köpfe nähern ſich mehr in Ton und
Behandlung von Licht und Schatten dem wahren
wirklichen Leben . Die hellen farbigen Gewänder
fallen auf allen vier Tafeln in breiten Falten von
edlem großartigem Styl um die Geſtalten her ,
die trefflich gemalten Köpfe ſind ſo unbeſchreiblich
edel fromm und bedeutend , daß man es kaum
vermag , den Blick von ihnen abzuwenden , und
das Anſchauen dieſer Gemälde gab mir wenigſtens
eine Ahnung von dem , was das Werk ſeyn muß ,
welches von Kennern als der höchſte von dieſem
Meiſter erreichte Gipfel ſeiner Kunſt betrachtet
wird .
Dicht an Wilhelm von Köln ſich anſchließend ,
ja gewiſſermaßen mit ihm gleichzeitig , tritt nun
Johann van Eyck mit Rieſenſchritten hervor , er ,
welchen die ſo mit ihm zugleich lebten für den
Fürſten der Maler ſeiner Zeit einſtimmig erklär-
ten und als ſolchen ſtaunend bewunderten .
2
Johann und Hubert van Eyck .
Maaseyck , ein kleines unbedeutendes Städt-
chen am Ufer der Maas , iſt der Geburtsort dieſer
Brüder ; vielleicht ſogar ein noch kleineres , nur
eine Viertelſtunde weit von jenem Städtchen ge-
legenes Dorf , welches ehemals Eyck hies , nachher
aber bei Entſtehung der Stadt Maaseyck , den
Namen Alden-Eyck erhielt . Der Grund dieſer
Vermuthung liegt darin , daß dieſe Künſtler ,
welche zufolge der Sitte ihrer Zeit den Namen
ihres Geburtsorts annahmen , ſich ſonſt wahrſchein-
lich Johann und Hubert van Maaseyck genannt
haben würden .
Hubert ward im Jahr 1366 geboren , wenig-
ſtens fünf und zwanzig Jahre früher als ſein
Bruder Johann , deſſen Lehrer in der Kunſt er
ward ; denn auch Hubert war ein großer bedeu-
tender Meiſter . Von wem dieſer Unterricht erhielt ,
iſt unbekannt geblieben , wie denn überhaupt dichtes
verwirrendes Dunkel die Geſchichte der Kunſt vor
der Zeit der van Eycks uns verhüllt . Nur der
Name Wilhelms von Köln ſchimmert hell und be-
deutſam hervor , und auch nur dieſer , ohne be-
ſtimmtere Kunde ſeines Lebens auf Erden .
Wer die Eltern Huberts und Johannes van
Eyck waren , davon findet ſich ebenfalls keine Spur ;
vielleicht , ja wahrſcheinlich ſogar , iſt ſchon ihr
Vater ein Maler geweſen ; Geiſt , Talent , reges
Gefühl für das Hohe und Schöne waren wenigſtens
gewiß in ihrem Vaterhauſe einheimiſch , vielleicht
als herrliches , durch eine Reihe längſt vergeſſner
Vorfahren auf dasſelbe herabgekommnes Erbtheil .
Denn zwiſchen beiden Brüdern ſtand auch noch eine
kunſtbegabte Schweſter , als glückliche , zu ihrer
Zeit weit und breit im Lande geprieſene und be-
rühmte Malerin . Dieſe hieß Margareth , und
Karl von Mander , der Gründer altdeutſcher Kunſt-
geſchichte , nennt ſie in ſeiner Biographie der nie-
derländiſchen und hochdeutſchen Künſtler , eine gei-
ſtige Minerva , welche alle Heirathsanträge von
ſich wies , um als freie Jungfrau einzig und allein
der Kunſt zu leben , durch welche ſie ſich allgemeine
Verehrung und Bewunderung erwarb .
2 *
Übrigens können die Eltern dieſer hochbegabten
Geſchwiſter weder zu den niedrigſten Ständen gehört ,
noch in Armuth gelebt haben ; die ſorgfältige Er-
ziehung ihrer Kinder , inſonderheit die des jüngern
Sohnes Johann van Eyck beweiſt , daß ſie nach
Maasgabe ihrer Zeit gewiß eben ſo wohlhabend
als gebildet waren . Dieſer zeigte von früher
Jugend an , neben ſeinem hohen Künſtlertalent auch
ſonſt noch die herrlichſten geiſtigen Kräfte und An-
lagen , die auf das vielſeitigſte ausgebildet wurden .
Bartholomäus Faccius , ſein Zeitgenoſſe , der ſchon
im Jahr 1456 ſein Buch de Viris illustribus ſchrieb ,
welches aber erſt im Jahr 1745 zu Florenz im Druck
erſchien , preiſet ihn beſonders wegen ſeiner großen
Kenntniß der Geometrie , und ſeines fleißigen Stu-
diums der Werke des Plinius und anderer alten
Schriftſteller ; ein Lob , welches ſelbſt eine gelehrte
Erziehung voraus ſezt . Übrigens war Johannes auch
mit der , damals freilich noch in der Wiege liegenden
Chemie wohl bekannt , in der Deſtillirkunſt erfahren ,
und beſchäftigte ſich gern mit Forſchungen in beiden ,
gleich als habe er ſchon früh die großen Vortheile
geahnet , welche er mit ihrer Hülfe einſt für die Ma-
lerei erringen würde . Hohe Klarheit des Geiſtes ,
unglaublich ſchnelles Faſſungsvermögen erleichterten
dieſem ſeltnen Menſchen jedes wiſſenſchaftliche und
künſtleriſche Streben ; ſein verſtändiges Weſen , die
Anmuth , die Güte ſeines Karackters , die anſpruchloſe
edle Zierlichkeit ſeiner Sitten erwarben ihm überall
Achtung und Liebe , wo er auch erſchien , bei Großen
und Kleinen . Hubert , der weit ältere Bruder ,
Anfangs Johannes und auch wohl Margarethens
väterlicher Freund und Lehrer , ward bald der würdige
neidloſe Gehülfe des hochbegabten jüngern Bruders ,
und dieſer hing dafür mit unſäglicher Liebe und
Ehrfurcht an ihm , dem er die Entwickelung ſeiner
Kräfte in ſo hohem Grade verdankte . Mehrere
ſeiner herrlichſten Werke , in denen er die Geſtalt
des geliebten Bruders auf die ehrendſte Weiſe
verewigte , geben uns noch bis auf den heutigen
Tag die ſprechendſten Beweiſe dieſes von Dankbarkeit
und Liebe feſtgeſchlungnen brüderlichen Vereins .
Unter Huberts Leitung , an der Seite ſeiner
Schweſter Margarethe , verlebte Johannes van
Eyck in ſeinem beſcheidnen Geburtsort die Jahre
der Kindheit und die der erſten Jugend . Es mag
wohl ein ſchönes genußreiches Leben geweſen ſeyn ,
welches dieſe Geſchwiſter bei der damaligen einfachen
Sitte des Mittelſtandes , in gemeinſchaftlicher Arbeit
und gemeinſchaftlichem Gelingen mit einander führten ,
bis endlich der die Schwingen immer weiter entfal-
tende Genius des jüngern Bruders eines größeren
Raums bedurfte .
Brügge , dieſe große , jezt ſo tief geſunkne
und verödete Stadt , war damals durch ihren weit
ausgebreiteten Handel glänzend und reich , voll
Wohlleben und Pracht wie keine andere in den
damals ſo blühenden , glücklichen Niederlanden .
Wo jezt in der Todtenſtille der weiten , mit Gras
bewachſnen Straßen der wankende Schritt eines
einſamen Bettlers lange noch nachhallt , wogte im
vierzehnten und funfzehnten Jahrhundert das regſte
Treiben der in Pracht und Üppigkeit lebenden
Reichen und Großen , neben dem unaufhörlichen
Wirken fleißiger , aber nicht mühſeliger , Arbeit der
minder Begüterten . Mit ihren Reichthümern
ſtrömten auch die Bewohner fremder , zum Theil
weit entlegner Länder dort jubelnd zuſammen , wo
jezt trauernde Überbleibſel in ſich verſunkner Palläſte
den Durchreiſenden mit banger Wehmuth erfüllen ,
ihn antreibend ſo ſchnell als möglich aus dieſer
beklemmenden Öde zu flüchten .
Jn einem blühenden Lande ſiedelt auch die
Kunſt neben dem Reichthum gerne ſich an , denn ſie
bedarf ſeiner zum Gedeihen , wie die Pflanze des
Sonnenſcheins ; der Reichthum aber bedarf wieder-
um der Kunſt , um ſich ſeiner ſelbſt würdig zu er-
freuen , und durch ſie erſt zu werden was er ſeyn kann .
Hubert und Johann van Eyck fanden daher mit
Margarethen in dem ohnehin von Maaseyck nicht
eben weit entfernten Brügge einen allen ihrem
Wünſchen und Bedürfen völlig zuſagenden Wohnort ;
ſie ließen ſich dort häuslich nieder und begannen mit
neuem Eifer und Muth ihre Kunſt zu üben . Zuweilen
vereinten beide Brüder ihr Talent in Vollendung
eines und deſſelben Gemäldes , zuweilen malte jeder
für ſich allein . Wirklich bewahrt auch die Biblio-
thek in Brügge noch heute das älteſte Gemälde von
Johann van Eyck , von welchem man mit Sicherheit
weiß , es iſt von ihm . Es ſtellt einen Chriſtuskopf
weit unter Lebensgröße dar , mit des Künſtlers
Namensunterſchrift und der Jahrzahl 1420 bezeich-
net . Übrigens fanden ſich bald nicht nur unter den
Vornehmen und Reichen Kunſtfreunde genug , welche
mit einander um den Beſitz der Werke beider Brüder
wetteiferten , auch fremde und einheimiſche Kauf-
leute ſtrebten darnach , und führten dann die mit
Gold erkauften Tafeln in das Ausland , wo der
Name van Eyck in kurzer Zeit nicht minder ruhmvoll
bekannt ward als daheim .
Von ſo günſtigen Verhältniſſen unterſtüzt ,
regten Johannes urkräftiger Geiſt , ſein hohes
Talent , ſein Muth ſich immer mächtiger in ſeiner
Bruſt ; immer kühner ſprach ſich die Sehnſucht in
ſeinem Jnnern aus , vorwärts zu Höhen zu ſtreben ,
welche noch von Keinem erreicht waren ; immer
deutlicher ward ihm das Gefühl des Unzulänglichen
der ihm zur Ausführung ſeines Wollens zu Gebote
ſtehenden Mittel . Die Welt lag hell und blühend
vor ſeinem klaren Auge , in tauſendfacher Form be-
lebt; an Geſtalt , Kleidung , Ausdruck auf das
mannichfaltigſte von einander unterſchieden , wogten
die Bewohner des Süden und Norden vor der
ſtillen Werkſtatt auf und ab , in welcher ſich der
junge Maler dem ſeiner Zeit eignen kräftigen und
ernſten Fleiße auf das ungeſtörteſte ergab . Er
blickte hinaus in die ſonnenhelle Welt , und fühlte
in ſich Kraft und Muth , feſtzuhalten und nachzubil-
den was dort in ewigem Wechſel ſich bewegte ; er
ſah zurück auf ſeine Tafel , der metalliſche Glanz
des Goldgrundes ſtarrte , beengend , ihm entgegen ;
er wagte es das lange Jahrhunderte hindurch von
ſeinen Vorgängern für unmöglich Geachtete zu un-
ternehmen , den Goldgrund zu verlaſſen , und hatte
mit dieſem Schritte Alles gewonnen . Luft , Waſſer ,
das ganze Pflanzenreich , was nur unſre ſchöne
Erde ſchmückt und bekleidet , Berge , Städte , ferne
Gegenden , zu denen das Auge kaum reicht , hatte
Johann van Eyck mit einemmal für das Gebiet der
Malerei ſich erobert , und der ſchöpferiſche Genius
der Kunſt benuzte , einmal erwacht , Alles wie er
wollte und mußte . Von ihm durchdrungen , lernte
Johann van Eyck die früher erworbenen mathema-
tiſchen Kenntniſſe zur Behandlung der Ferne an-
wenden , und ſeine jezt in freien Räumen ſich be-
wegenden Geſtalten gewannen Wärme , Leben und
Eigenthümlichkeit .
Wunderbare , nie zuvor geahnete Gemälde
entſtanden jezt unter dem ſchöpferiſchen Pinſel Jo-
hanns van Eyck . Wie wunderbar ſie ſeiner Zeit
erſcheinen mußten kann nur der ganz begreifen ,
der Gelegenheit hatte , ſie mit denen ſeiner Vor-
gänger zu vergleichen . Hochgewölbte architektoniſche
Räume , Durchſichten in endlos ſich verlierende
Straßen , enge Felſenthäler , und bis in die blaue
Ferne ſich hin erſtreckende blühende Gegenden , ſtellte
Johann van Eyck von nun an mit vollkommenſter
Sicherheit und möglichſter Naturwahrheit dem Auge
dar , während ſeine nächſten Vorgänger , ſelbſt
Meiſter Wilhelm von Köln auch nicht die kleinſte
Spur einer Ahnung der Möglichkeit zeigen , eine
flache Tafel dem Auge auf dieſe Weiſe bis in die
Unendlichkeit hinaus dehnen zu können . Johannes
einziges Vorbild , wie ſeine Lehrerin , war von nun
an die Natur ; ſie leitete ſeine Fortſchritte auf der
Bahn , welche die , wie durch höhere Offenbarung
ihm gewordene Kenntniß der Linienperſpektive ihm
geöffnet hatte , und Treue gegen ſie wurde ſein
unabläſſiges Bemühen wie ſein höchſtes Verdienſt .
Auf keinem ſeiner bis auf unſre Zeiten ge-
kommnen Gemälde findet ſich eine Spur erkünſtel-
ter , auf Effekt berechneter Beleuchtung ; im klaren
milden Tageslicht , nicht im Sonnenſcheine , ſtehen
die Gegenſtände , hell und deutlich wie ſie in der
Wirklichkeit daſtehen . Scharf bezeichnete dunkle
Schlagſchatten drängen ſich nirgend dem Auge auf ,
nirgend grelle Lichter , oder erzwungne farbige
Reflexe , nichts erſcheint verſchwebelnd oder flach ,
verworren oder undeutlich .
Bei der Kompoſition ſeiner Gemälde dachte
Johann van Eyck ſich die Handlung , welche er
darſtellen wollte , als ginge ſie unmittelbar unter
ſeinen Augen vor ; deshalb iſt es auch uns bei ihrem
Anſchauen als ſtänden wir mitten drinn , als lebten
und regten ſich die Geſtalten vor uns , und um uns
her . Anſpruchlos ſtellt er ſie hin , wie es der
Augenblik fordert , und vergas dabei wohl zuweilen
der Rückſicht auf das einzig lobenswerthe der byzan-
tiniſchen Kunſt , auf die Regel ſymmetriſcher Grup-
pirung . Doch die unglaubliche Naivetät und Wahr-
heit , die unausſprechliche Anmuth und höchſte Ab-
ſichtloſigkeit in der Zuſammenſtellung ſeiner Figuren ,
die Art mit der ſie ſich bewegen , geben ihnen einen
unbeſchreiblichen Reiz , und der aus Allem hervor-
leuchtende reine würdige Sinn erſetzt reichlich
was die ſtrenge Regel ſonſt noch fordern könnte .
Wie weit entfernt Johann van Eyck von jeder der
Natur ſich entfremdenden Künſtelei war , zeigt be-
ſonders die Art wie er das Fleiſch malte ; weder
grüne , noch graue , noch violette Töne herrſchen
vor , es athmet und lebt wie das Leben ſelbſt .
Nichts iſt der Ausführlichkeit zu vergleichen , mit
welcher er Alles vom Größten bis zum Kleinſten
bis in faſt unſichtbare Einzelnheiten zu behandeln
wußte ; Alles iſt Porträt , Alles vollendet wie die
feinſte Miniaturmalerei , kein Gegenſtand auf einer
ſeiner Tafeln , der nicht die genaueſte Unterſuchung
durch die Lupe ertrüge , und dennoch iſt nirgend
eine Spur ängſtlicher Steifheit oder manirirter
Unnatur zu erblicken . Jn ſeinen Gewändern , weit
und faltenreich , nach der damaligen Art , finden
ſich nirgend kleinlich gebrochne oder überflüſſige
Falten , jede derſelben iſt motivirt , durch die
Stellung des Körpers , durch Wurf oder Schwere
des Gewandes ſelbſt . Sammt , Leinen , Wolle
oder Seide erſcheinen in allen ihren Eigenheiten ;
Gold , Perlen und Edelſteine , welche er gerne
anbringt , ſtrahlen in unglaublichem Glanz , ohne
alle Anwendung wirklicher Metalle .
Ohne Spur von Nachahmung der Antike , welche
er nicht kannte , oder des Strebens nach dem ab-
ſtrakten Jdeal , welches dieſem Sohne der Natur
nie in den Sinn kommen konnte , bildete Johannes
van Eyck ſeine Köpfe nur nach ſeinen Zeitgenoſſen
in der ihn umgebenden Welt . Doch Unedles oder
Gemeines ſtand mit dieſem hohen reinen Geiſte in
offenbarem Widerſpruch , es durfte ihm nicht nahen ,
und die ganze Natur zeigte ſich ihrem begünſtigten
Liebling ſtets im verklärten Licht . Daher ſind auch
bei aller nur erdenklicher Wahrheit , ſeine Köpfe
edel und ſchön zu nennen in Form und Ausdruck .
Das Studium nach einem Modell war zu ſeiner
Zeit noch nicht Gebrauch , eben ſo wenig mag es
damals einem Künſtler eingefallen ſeyn für ſeine
Kunſt Anatomie zu ſtudiren ; dieſe Wiſſenſchaft war
ohnehin noch in der Kindheit . Johannes konnte
daher nur nachbilden was er ſah , was ihn umgab :
ſchwer und dicht bekleidete Geſtalten . Dennoch
herrſchen bei ihm Ebenmaß und Anmuth , nirgend
treten in ſeinen Figuren Zwang , unmögliche Stel-
lungen , oder unnatürliche Verrenkungen hervor ;
nur Hände und Füße erſcheinen zuweilen etwas
mager , wenn gleich nie ſo ſehr um ſtörend zu
werden . Die Farben-Pracht ſeiner Gemälde läßt
nicht mit Worten ſich beſchreiben , gegen ſie erbleicht
Paul Veroneſe und aller Glanz der venezianiſchen
Schule , ja die Wirklichkeit ſelbſt . Er malte mit
möglichſter Vermeidung aller Erdfarben , größten-
theils nur mit Lack oder durchſichtigen Saftfarben ,
auf einem ſehr feinen , wahrſcheinlich abgeſchliffnen ,
ganz weißen kreideartigen Grunde . Dieſer ſchim-
mert durch die unkörperlichen Farben durch , und
bringt etwas dem Effekt Ähnliches hervor , den die
Silberfolie hat , welche einige Miniaturmaler ihren
auf Elfenbein ſorgfältig ausgeführten Bildern un-
terzulegen pflegen .
Überhaupt iſt es , wenn man Johann van Eycks
Gemälde lange betrachtet , als ob ein Strahl innern
Lebens hervorbräche , und der Purpur , das Blau
der Gewänder , die Helle des Himmels , das Grün
der Pflanzenwelt , das Gold der Stickereien und
Kleinode , die ſchimmernden Waffen ſtrahlen in über-
irrdiſchem Glanz . Friſch , als kämen ſie heute erſt
von der Staffelei , ſtehen die vier Bilder des hohen
Meiſters , welche die Boiſſer é eſche Sammlung auf-
bewahrt , in neu verjüngter blendender Pracht .
Jhr Glanz übertrifft allen Glauben , ſeit ſie mit
ſchonender Hand von allem Fremden und Ent-
ſtellenden befreit wurden ; von dem trüben Firniß
den die Unwiſſenheit darüber zog und von mehr als
hundertjährigem Staube und Kerzendampf .
Das erſte dieſer vier Gemälde , eine einzelne
Tafel , iſt wahrſcheinlich aus einer frühern Zeit als
die übrigen drei , welche , zuſammengehörend , einen
heiligen Zyklus bilden . Der Meiſter war , als
er dieſes Bild ſchuf , noch nicht ganz zu der Großheit
und Gründlichkeit in der Zeichnung und dem Fal-
tenwurf der Gewänder gelangt , die aus ſeinen
ſpätern Arbeiten hervorleuchten ; Bildung , Ausdruck
und Malerei der Köpfe ſind indeſſen ſchon von der
höchſten Vortreflichkeit . Dies Gemälde iſt auf eine
ſehr rührende und erfreuliche Weiſe als die Apo-
theoſe ſeines verehrten und geliebten brüderlichen
Lehrers anzuſehen , denn der Evangeliſt Lukas ,
wie er zufolge der Legende die Madonna malt , iſt
darauf unter der Geſtalt Huberts van Eyck dar-
geſtellt . Die Figuren dieſer Tafel ſind faſt Lebens-
größe . Die heilige Jungfrau ſizt in einem hohen
Prunkgemache . Jm Hintergrunde , zwiſchen zwei
ſchlanken dunkelblauen Säulen öffnet ſich dem Blick
eine vom heiterſten Himmel überwölbte Landſchaft .
Schöne hohe Häuſer von der einen Seite , grüne
Hügel von der andern , weithin lachende blühende
Ferne . Ein köſtlicher Teppich von Goldbrokat mit
grüner Einfaſſung hängt hinter der heiligen Jungfrau
hoch von der Decke herab , und bildet ihren Seſſel
zum Thron der Himmelskönigin um . Sie ſelbſt iſt
reich geſchmückt mit einem weiten violetten Mantel ,
das geſenkte Auge ruht mit unendlicher Liebe und
Anmuth auf dem Kinde an ihrem Buſen ; ihr gegen-
über , in halb knieender Stellung , im rothen Ge-
wande , ein kleines violettes Käpchen auf dem
Haupte , ſcheint Hubert , als Schutzheiliger der
Maler , den Umriß auf der Tafel in ſeiner Hand
mit der Gruppe vor ſich nach der er arbeitete zu
vergleichen . Ehrfurchtsvoll , bewundernd , anbetend
ruht ſein Auge entzückt auf Mutter und Kind
während er mit der andern Hand , zu Verbeſſe-
rungen bereit , den Griffel hält . Seitwärts hinter
dem Maler ſteht die Thüre eines Nebengemachs
offen ; wir blicken ins Freie durch deſſen halb offnes
halb geſchloßnes Fenſter von wirklich durchſichtigem ,
ſtellenweiſe buntgefärbtem Glas .
Das ganze Bild in ſeiner blendenden Farben-
pracht iſt das heiterſte ſo ich je ſah . Man möchte
in das Nebenzimmer hineintreten , dieſes Fenſter
nach Belieben öffnen und ſchließen ; keiner der
ſpätern niederländiſchen Maler hat die Perſpective
3
des Jnnern eines Hauſes mit größerer Wahrheit dar-
zuſtellen vermocht , und die Ausführung , die Wärme ,
die Kraft dieſes wunderbaren Bildes ſtellen es dem
Vollendetſten in der Kunſt gleich .
Die drei andern Gemälde des Johannes van
Eyck in der Boiſſer é eſchen Sammlung ſind aus dem
Zeitpunkt , in welchem ſeine Kunſt den höchſten
Gipfel erreicht hatte und ſchmückten wohl urſprünglich
den der Mutter Gottes geweihten Altar einer Kirche
oder Kapelle . Sie ſtellen auf einem Mittelbilde
und zwei Flügelbildern drei der freudigen Mo-
mente ihres Lebens dar .
Jn häuslicher ſtiller Beſchränktheit öffnet ſich
uns auf dem erſten Seitenbilde das hochgewölbte
ſchmale Zimmer , in welchem Maria aus der Knospe
der Kindheit zur anmuthigſten reinſten Jungfräu-
lichkeit heranblühte . Sie ſelbſt knieet am Betpult
im Vorgrunde , in einem in breiten Falten weit auf
den Boden hinfließenden dunkelbraunen Gewande ,
die Flechten ihres lichthellen Haares wallen aufgelöſt
in kleinen Wellen über die Schultern hin . Lieblicher
und dabei mädchenhafter läßt nichts ſich erdenken als
dieſes ſchöne Oval des ſeitwärts gewendeten Köpf-
chens , als die unbeſchreibliche Unſchuld dieſes vor
der glänzenden Erſcheinung des Engels niederge-
ſchlagnen Blicks . Maria iſt ſo furchtlos in ihrem
Erſtaunen , ſo zutrauungsvoll in ihrer Demuth , als
erkenne ſie einen der holden Geſpielen aus den
ſüßlächelnden Träumen ihrer Kindheit in dem
Jünglinge , der , weißgekleidet , auf mächtigen ,
weißen Pfauenfeder-Schwingen vor ihr leicht über
den Boden hinſchwebt . Der goldne Scepter in
ſeiner Hand bildet ganz ungeſucht ein Kreuz mit dem
Sonnenſtral welcher die bedeutungsvolle Taube zu
dem hohen geöffneten Fenſter im Hintergrunde
hereinträgt , und zwiſchen dem Engel und der
Jungfrau entblüht aus glänzender Vaſe das ſchöne
Symbol höchſter Reinheit , eine ſchneeweiße Lilie
ohne Staubfäden . Die Anordnung des ganzen
Zimmers ſpricht die heitre fromme Häuslichkeit der
jungfräulichen Bewohnerin aus ; die rothen Vor-
hänge des mit einer gleichfalls rothen Decke ge-
ſchmückten Bettes im Hintergrunde ſind zierlich auf-
gebunden und zurückgeſchlagen , ſo daß die gold-
3 *
brokatne Hinterwand deſſelben ſichtbar wird ; neben
dem Bette ſteht ein Seſſel mit einem rothſammtnen
Kiſſen , dieſes iſt noch ein wenig eingedrückt , denn
Maria ſtand eben davon auf um zu beten . Auch
der Betſtuhl , an welchem ſie knieet , iſt mit ſauberm
Schnitzwerk , den Sündenfall der erſten Eltern dar-
ſtellend , geſchmückt .
Das an dieſes erſte Seitengemälde zunächſt
ſich anſchließende Mittelbild zeigt uns die hohe Er-
füllung jener geheimnißvollen göttlichen Verkündi-
gung . Unter den edlen Ruinen eines Tempels ,
welche , jezt zum Stall herabgewürdigt , ein leichtes
Strohdach gegen die Witterung ſchützt , ſitzt die
jungfräuliche Mutter in ihren dunkelblauen weit
und ſchön gefalteten Mantel gehüllt . Der mädchen-
hafte Reiz der Jugend ging in hohe Würde , in
ernſtere Schönheit über , der neugeborne Heiland
ruht ganz in Kindesgeſtalt in ihrem Schooße . Zu
ſeinen Füßen verſammeln ſich die anbetenden Weiſen
des Morgenlandes , in reichen königlichen Pracht-
gewändern und aller Herrlichkeit des Orients . Der
älteſte der Könige , welcher knieend das Händchen
des Kindes küßt , iſt ein treues Portrait Philipp
des Guten , Herzogs von Burgund ; der zweite
etwas jüngere König beut dicht hinter dieſem mit
gebogenem Knie einen goldnen , juwelenreichen
Becher dem Kinde dar ; wahrſcheinlich trägt auch er
die Ähnlichkeit irgend eines Fürſten jener Zeit .
Dieſe beiden Könige ſind in weit über den Boden
hin ſich verbreitenden Mänteln von Goldbrokat und
köſtlichen Stoffen würdig bekleidet . Doch in kurzer ,
rothſammtner , faſt ſarazeniſcher Tracht ſteht der
dritte , der Mauren König , kein Mohr , wie
frühere Maler ihn abbildeten . Stolz , trotzend
beinahe ſteht er da ; etwas ſeitwärts gewendet ,
halb beleidigt , halb verwundert über die anſchei-
nende Ärmlichkeit des Zieles , zu welchem der Stern
ihn führte , und doch ergriffen von der Ahnung des
nahen Gottes in niedrer Geſtalt . Unwillkührlich
lüftet die eine Hand die turbanartige Kopfbeklei-
dung , während die andre nach dem von einem weiß-
gekleideten Pagen dargebotnen Goldgefäße greift .
Aus der ganzen Haltung der edlen hohen Geſtalt
des kaum den Jünglingsjahren entwachſenen Helden
ſpricht ſchon der nächſte Moment , der auch ihn zu
den Füßen des göttlichen Kindes niederbeugen wird .
Dieſer Maurenkönig iſt in Allem das treue , ſehr
ähnliche Porträt Herzogs Karl des Kühnen , wahr-
ſcheinlich ſogar bis auf Waffen , Schmuck und Be-
kleidung , denn wenigſtens erinnerte mich ſein roth-
ſammtner Rock , der in Luzern nebſt anderer ihm ab-
genommenen Krieges-Beute aufbewahrt wird , durch
Farbe und Form auf das lebhafteſte an dieſes Ge-
mälde .
Hinter Karl dem Kühnen ſchließen mehrere Be-
gleiter der Könige ſich an den ſchon erwähnten weiß
gekleideten Edelknaben ; einige nehmen an der
Verehrung , welche ihre Gebieter dem Kinde be-
zeigen , demüthigen Antheil , andre drücken nur
Erſtaunen oder Neugierde aus . Stumpf und ge-
dankenlos ſtarren einige gelbbraune orientaliſche
Geſichter hervor , in der Ferne ſieht man den Zug
mehrerer herannahender Diener . Die Pracht des
juwelenreichen Orients herrſcht in Schmuck , Klei-
dung und in den blitzenden Geſchenken , dabei
eine ganz eigne Lokalität in den ſonderbar fremdar-
tigen Waffen , in der Fußbekleidung , den Kopfbe-
deckungen ; aus Allem leuchtet ein tiefes Studium
der Sitten des Morgenlandes hervor . Einige im
lezten Befreiungskrieg aus den entfernteſten ruſſi-
ſchen Provinzen herbei gezognen Offiziere legten
davon unwillkürlich das Zeugniß ab . Sichtbar
freudig beim Anblick des Bildes erkannten und be-
grüßten ſie die noch immer in ihrem Vaterland
beſtehenden Formen , und wieſen dabei , laut und
fröhlich unter einander ſprechend , bald auf dieſes
bald auf jenes Waffen- oder Kleidungsſtück . Dieſer
Umſtand iſt nicht nur ein ſprechender Beweis für
die Treue ſondern auch für die Trefflichkeit einer
Darſtellung , die ſolche unerfahrne , durchaus an
den Anblick von Kunſtwerken nicht gewöhnte Augen
ſo bis zur Täuſchung entzücken konnte .
Links neben der göttlichen Mutter , mehr nach
dem Vorgrunde zu , ſteht Joſeph , ihr und des
Kindes frommer , ſchützender Freund , mit ehrfurchts-
voll entblößtem Haupte , den ſchwarzen Hut in der
Hand , halb verwundert , halb gedrückt von dem
prachtvollen Beſuche . Aus ſeinen edlen Zügen
ſpricht ſtille vorahnende Wehmuth . Seitwärts am
Gemäuer über dem Bogen einer Thüre , die zu
einem tiefen Gewölbe zu führen ſcheint , ſieht man
nach alter Sitte den Donator des Bildes , einen
ziemlich jungen Mann mit einem Roſenkranz in der
Hand ; die Stadt , die lebensreiche Straße und
ferne Berge ſchließen den Hintergrund .
Auf der zweiten , dem Mittelbilde ſich an-
ſchließenden Seitentafel , iſt des neugebornen Hei-
landes Darſtellung im Tempel abgebildet ; durch
die offenſtehende Thüre des hochgewölbten , mit
Säulen , vielen Fenſtern und in die Tiefe ſich ver-
lierenden Bogengängen geſchmückten Gebäudes blickt
man nach Auſſen in die volkreiche , belebte Straße
und auf grüne Bäume ; im Tempel ſelbſt lehnen
troſtſuchende Kranke und Müde an den entfernten
Säulen . Ernſt und gedankenvoll , den klaren
ruhigen Blick dem Hohenprieſter zugewendet ,
welcher , von der Begeiſterung des Moments er-
griffen , das Kind aus ihren Armen in die ſeine
nimmt , ſteht Maria im Vorgrund am Altar . Die
weiße Stirnbinde der Frauen , der weite blaue
Mantel , verhüllen ſie faſt matronenartig ; das
ſchöne edle Geſicht trägt den Ausdruck der Beſchei-
denheit und des Bewußtſeyns hoher Mutterwürde .
Etwas mehr zurück ſteht Joſeph ihr zur Seite , eine
brennende Kerze in der Hand . Einige andere
Perſonen reihen ſich um den Altar her ; ganz vorne ,
neben der heiligen Jungfrau , ſteht ſchlank und
ſchön ein ſehr junges Mädchen , das Körbchen
mit den Tauben in der Hand ; eine von jenen Ge-
ſtalten , die man , einmal geſehen , nie wieder ver-
gißt . Sie trägt ein grünes , den Körper bis an
die Hüften enge umſchließendes , unten in weite
Falten ſich ausbreitendes Gewand , mit langen
engen Ärmeln ; die blonden zierlichen Zöpfe be-
rühren faſt den Boden , ſie hängen unter einem
ganz durchſichtig feinen Schleier hervor , der , zier-
lich um das ſchöne Haupt gewunden , einen ſehr
reizenden Kopfpuz bildet . Ganz unbekannt mit
dem ernſteren Gange des Lebens , welcher auf der
jungen Mutter ſchon ſchwer zu laſten beginnt , ſchaut
das liebliche Kind zum Bilde heraus , dem Zuſchauer
ins Geſicht , und nimmt mit dem naivſten Ausdruck
unbefangner Unſchuld und nach Außen gewendeter
kindlicher Neugier an der ernſten Feier im Tempel
faſt gar keinen Antheil . Je länger man die ganz
einfache Kompoſition dieſes köſtlichen Bildes an-
ſchaut , je erfreulicher zeigt ſie ſich ; ich möchte
ſagen , daß keines den Blick ſo unabwendbar feſſelt
als dieſes . Zum Schluſſe dieſer Beſchreibung kann
ich nur Göthe's Worte wiederholen :
„ Von den Flechtbreiten auf dem verwitterten ,
„zerbröckelten Ruingeſtein , von den Grashalmen
„die auf dem vermoderten Strohdach wachſen , bis
„zu den goldnen , juwelenreichen Bechergeſchenken ,
„vom Gewand zum Antliz , von der Nähe zur
„Ferne , alles iſt mit gleicher Sorgfalt behandelt ,
„und keine Stelle dieſer Tafeln , die nicht durchs
„Vergrößerungsglas gewänne . “
Herzog Karls des Kühnen Porträt auf dem
Mittelbilde beſtimmt glücklicher Weiſe die Zeit der
Entſtehung dieſes unſchätzbaren Kunſtwerks . Un-
verkennbar ähnlich , ganz den Beinamen verdienend ,
ſteht die jugendliche Heldengeſtalt in einem Alter
von fünf und zwanzig bis ſieben und zwanzig Jahren ,
und da dieſer Fürſt im Jahr 1433 geboren ward ,
ſo muß daher das Bild nothwendig um 1458 oder
1460 in der letzten vollendetſten Zeit Johann
van Eycks gemalt worden ſeyn . War dieſer , wie
Alles uns beſtimmt zu glauben , ungefähr fünf und
zwanzig Jahre jünger als ſein im Jahr 1366 gebor-
ner Bruder , ſo fällt die Vollendung dieſes Meiſter-
werks zwiſchen ſein ſieben und ſechzigſtes und neun
und ſechzigſtes Jahr . Daß der Künſtler ſo ſpät
noch ſo Hohes vermochte , darf uns nicht befremden .
Jn unſern Tagen übereilt das Alter die Jugend ,
in den ſeinigen war es umgekehrt . An Thatkraft ,
Geiſt und Lebensfriſche ſtets junge wenn gleich
hochbejahrte Greiſe waren damals eben ſo wenig
ſelten , als jezt im Frühling des Lebens ſchon
lebensmüde , altkluge , um das Glück ihrer künftigen
Enkel ängſtlich beſorgte Greiſe im Jugendalter .
Überdem war von jeher die Natur den Künſt-
lern , inſonderheit den Malern , hold und günſtig ;
ſie ließ ſie mit ungeſchwächten Sinnen lange leben
auf Erden . Die Kunſtgeſchichte liefert davon un-
zählige Beweiſe , wie man ſelbſt im Verfolg dieſer
Blätter verhältnißmäßig finden wird .
Das Beſtreben , des Johann van Eyck hohes
Verdienſt anſchaulich in ſeinen Werken darzuſtellen ,
ſo gut dieſes in bloßen Worten geſchehen kann , hat
uns indeſſen verleitet der Zeit vorzugreifen ; wir
kehren zurück zu ſeiner Werkſtatt , indem wir den
Faden der Geſchichte ſeines Lebens von Neuem
ergreifen .
Der gränzenloſe Raum , mit Allem , was da-
rinnen blüht , athmet und lebt , war nun von ihm für
das Gebiet der Kunſt errungen , aber ſein raſtlos
thätiger Geiſt erlaubte ihm nicht , hier ſtehen zu
bleiben . Von Neuem quälte ihn das Unzulängliche
der techniſchen Mittel , das Widerſtreben des
todten Stoffes in der Ausführung deſſen was er im
gerechten Vertrauen auf ſich , ſein gebildetes Auge ,
ſeine kunſtgeübte Hand unternehmen zu dürfen ſich
bewußt war . Er ahnete die Möglichkeit einer anderen
Farbenbereitung , und wandte ſowohl Alles was
er von Chemie und Deſtillirkunſt erlernt hatte , als
überhaupt jede Kraft ſeines Geiſtes daran , um
dieſe aufzufinden . Tauſendfältige Verſuche , die
mühſamſten Unterſuchungen der verſchiednen Farben-
ſtoffe , ihrer Zuſammenſetzung , ihrer Bereitung ,
beſchäftigten ihn lange zu dieſem Zweck , ehe er
glaubte am Ziel zu ſeyn .
Endlich erfand er einen größtentheils aus
öligen Subſtanzen zuſammengeſetzten Firniß , mit
welchem er die mit Leimwaſſer oder Eiweiß gemalten
Bilder ganz zulezt überzog ; die größere Dauer-
haftigkeit , die erhöhte Friſche der Farben , der
Glanz , den dieſe neue Erfindung ſeinen Gemälden
mittheilte , erwarb ihnen noch größern Beifall , und
der Ruhm des Johann van Eyck breitete ſich immer
weiter aus .
Ein herrliches Bild war fertig geworden , Jo-
hannes hatte viel Zeit , viel Mühe und Fleiß
daran verwendet . Mit jener unnennbaren Künſt-
lerfreude an einem vollendeten wohlgelungnen Werke
betrachtete er es , während er es nach der von ihm
neu erfundnen Weiſe mit Firniß überzog , und ſtellte
es dann hinaus an die Sonne zum Trocknen , wie
er gewohnt war zu thun . Doch vielleicht brannten
ihre Strahlen dieſesmal zu heiß , vielleicht auch
waren die Breter , aus denen die Tafel beſtand ,
nicht ſorgſam genug zuſammengefügt ; ſie zerſprang ,
und das köſtliche Gemälde lag , zu Trümmern ver-
nichtet , umher .
Unmuthig konnte Johann van Eyck über dieſen
Unfall wohl werden , doch nicht muthlos . So wie
er das Unzuverläſſige und Unzulängliche ſeiner Er-
findung eingeſehen hatte , ſetzte er dieſe bei Seite ,
und unterſuchte von neuem Farben , ölige und
geiſtige Flüſſigkeiten ; er fand , daß Nußöl und
Leinöl am ſchnellſten trocknen , er ſiedete dieſe , ver-
ſetzte ſie mit andern Jngredienzen , und hatte endlich
die Freude einen vollkommen genügenden Firniß
zu beſitzen , der im Schatten trocknete , ohne Zu-
thun der Sonnenhitze .
Der Firniß war nun erfunden , doch jezt be-
ſchäftigte ihn die Bereitung der Farben . Nach
vielen Verſuchen kam er darauf , ſie , ſtatt mit
Leimwaſſer oder Eiweiß , mit Ölen zu bereiten ,
und ſah mit unausſprechlicher Freude in Erfüllung
gehen , was Jahre lang ſeinem ahnungsvollen Geiſte
vorgeſchwebt hatte . Die Farben ließen ſich , mit
Öl bereitet , weit beſſer behandeln und vertreiben ,
ſie gewannen unendlich an Lebhaftigkeit , ihr natür-
licher Glanz machte jeden Firniß überflüſſig , und
die Dauerhaftigkeit der auf dieſe Weiſe gemalten
Tafeln widerſtand dem Waſſer und den heftigſten
Erſchütterungen .
So ward Johann van Eyck , der zuerſt die
Luft- und Linienperſpective entdeckte , jezt auch der
Erfinder der Ölmalerei . Die Zeit in der dieſes
geſchah , wird gewöhnlich um das Jahr 1410 an-
genommen , doch iſt dieß nur eine Vermuthung
ohne beſondern Grund .
Johann van Eyck ſowohl als Hubert hielten
dieſe Erfindung in der Folge fortwährend ſehr
geheim ; keiner ihrer Schüler durfte die Art der
Bereitung der Farben erfahren , die Meiſter arbei-
teten nur bei verſchloßnen Thüren ; niemand betrat
ihre Werkſtatt , aus der von nun an Gemälde her-
vorgingen , welche die Welt in immer neues höheres
Erſtaunen verſetzten ; um ſo mehr , da ſie in tech-
niſcher Hinſicht von allen vorhergeſehenen abwichen ,
und niemand die Art ihres Entſtehens zu begreifen
vermochte .
Wie Johann van Eyck ſeine Farben bereitete ,
mit welchen öligen oder vielleicht auch geiſtigen
Flüſſigkeiten , davon konnte uns jezt , nach beinah
vier Jahrhunderten , keine Spur mehr übrig bleiben .
Gewiß ging auch im Lauf der Zeiten noch manches
andre geheime Verfahren der alten Meiſter , mancher
bedeutende , ihnen bekannt geweſene techniſche
Vortheil ihren Enkeln verloren ; denn auch der
Unkundigſte muß auf den erſten Blick bemerken ,
wie ſehr ihre Gemälde in techniſcher Hinſicht ſich
von der neuern Ölmalerei unterſcheiden . Die
Farbenpracht der Alten hat noch kein ſpäterer Künſtler
völlig erreichen können und eben ſo wenig die
bewundernswerthe Dauer ihrer Farben . Sie glänzen
noch jezt in unveränderter Friſche wie damals da
ſie von der Staffelei kamen , ohne nachgedunkelt zu
ſeyn . Unreines konnte zwar ihre Oberfläche ver-
ſchleiern , jedoch ohne darauf ſo zu haften , daß es
nicht dem ſorgfältigen Bemühen kunſtreicher Hände
hätte gelingen können , den entſtellenden Schleier
wegzuziehen und ſie in ihrer urſprünglichen Pracht
und Reinheit wieder herzuſtellen .
Jm Jahr 1420 , gerade zur Zeit da des
Johann van Eyck Geiſt und Talent am herrlichſten
ſich entfalteten , kam Philipp der Gütige als Herzog
von Burgund und Graf von Flandern zur Regierung .
Abwechſelnd hielt er ſeinen glänzenden Hof in den
einander nah gelegnen Städten , in Gent und in
Brügge , wo der berühmte Name der Brüder van
Eyck bald bis zu ihm dringen mußte . Er lernte
ſie und ihre Werke kennen , und dieſe ſowohl als
ihre Perſönlichkeit erwarben ihnen Achtung und
Wohlwollen des kunſtliebenden Fürſten . Hubert ,
der damals ſchon mit ſtarken Schritten ſich dem
Greiſenalter nahte , erhielt bei näherer Bekannt-
ſchaft jede ehrende Auszeichnung ſeines Herzogs ,
die ein ſo bedeutender Künſtler nur immer verdienen
und erwarten mochte ; doch die Anmuth der Sitten
des noch jugendlichen Johannes gewann das Herz
Philipps des Gütigen , die Offenheit und Milde
ſeines Charackters feſſelten den ihm gleichgeſinnten
Fürſten mit jedem Tage mehr , und die auch ohne
4
Hinſicht auf Kunſt ſeltne wiſſenſchaftliche Bildung
des jungen Malers , ſein durchdringend klarer Ver-
ſtand , die Sicherheit ſeines Urtheils , gewannen
ihm nach und nach das unumſchränkteſte Vertrauen
ſeines fürſtlichen Freundes . Bei jeder Gelegenheit
ſuchte dieſer ihn an ſeine Nähe zu feſſeln , zog ſeine
Geſellſchaft allen andern vor und befragte ihn bei
jedem bedeutenden Unternehmen um ſeine Meinung ,
die er auch oft befolgte . Karl von Mander nennt
bei der Beſchreibung dieſes ſchönen Verhältniſſes
Johann van Eyck Herzogs Philipps heimlichen Rath ;
doch war er dieſes wahrſcheinlich nie dem Namen
nach wenn gleich in der Wirklichkeit .
Der Aufenthalt an dieſem glänzenden Hofe
war für das Kunſttalent des Johann van Eyck von
nicht zu berechnendem unſchäzbarem Werth . Schöne ,
vornehm geſchmückte Frauen , ſtattliche Fürſten mit
ihren geputzten Pagen , in glänzender Waffenrüſtung
ſchimmernde Ritter und würdige Geſtalten bedeu-
tender Staatsmänner umgaben ihn täglich ; er ſah
ſie in den mannichfaltigſten Situationen ſich bewe-
gen , gehen , reden , handeln , und ſeine Phantaſie
faßte Alles auf , um in der heimlichen Werkſtatt eine
neue ſchönere Welt daraus zu ſchaffen . Das aus
allen Ländern , ſelbſt aus dem fernen Orient , her-
beigezogne Perſonal der Dienerſchaft des Fürſten
trug nicht wenig dazu bei dem Hofe ein wunderbar
romantiſches Anſehen zu geben , das man in unſern
Tagen vielleicht theatraliſch nennen möchte . Jeder
mußte die Tracht ſeines Landes treulich beibehalten ,
und daß Johann van Eyck alle dieſe verſchiednen
Koſtume zu benutzeu wußte beweiſen die wohlge-
haltnen orientaliſchen Trachten und Geſtalten auf
ſeiner Abbildung der weiſen Könige des Morgen-
landes . Auch ſeine auffallende Vorliebe für Edel-
ſteine und Kleinodien , ſo wie die geſchmackvolle Art ,
mit der er ſeine Bildungen zwar verſchwenderiſch ,
doch nicht überladen mit dieſen zu ſchmücken wußte ,
rührt wahrſcheinlich aus jener glänzenden Epoche
ſeines Lebens her .
Nicht lange nach Antritt ſeiner Regierung ,
wahrſcheinlich um das Jahr 1424 oder 1425 , for-
derte Herzog Philipp die Brüder van Eyck zu einem
Kunſtwerk auf , deſſen gleichen an Bedeutſamkeit
4 *
und Umfang noch nie geſehen worden war . Er
übertrug ihnen nämlich die Ausführung eines aus
zwölf großen Tafeln beſtehenden Altarblatts in
einer Kapelle der St. Johanniskirche zu Gent , und
Hubert ſowohl als Johann van Eyck ergriffen mit
freudiger Bereitwilligkeit dieſe Gelegenheit , ihrem
fürſtlichen Beſchützer und ſich ſelbſt ein dauerndes
und würdiges Denkmal zu ſtiften . Sie verließen des-
halb ihren ſelbſtgewählten Wohnplatz in Brügge und
zogen nach Gent ; fröhlich begaben ſie ſich dort in
treuer gewohnter Gemeinſchaft an die Arbeit . Doch
Hubert erkrankte und ſtarb , lange vor Vollendung
des Werkes , am achtzehnten September des Jahres
1426 , in einem Alter von ſechzig Jahren . Er ward
in der nämlichen Kirche ehrenvoll begraben zu
deren Schmuck er die letzten Tage ſeines Lebens
verwendet hatte . Ein Monument mit einer Grab-
ſchrift bezeichnete noch gegen das Ende des ſechzehn-
ten Jahrhunderts den Ort , wo dieſer große Meiſter
unſern ſeiner ihm vorangegangnen Schweſter Mar-
garetha beerdigt ward . Auch dieſe hatte in Gent
das Ziel ihres Lebens erreicht , beklagt von den
Kunſtfreunden und feierlich beſungen von den Dich-
tern ihres Landes und ihrer Zeit .
Einſam und verwaiſet ſtand jetzt Johann van
Eyck , doch ſein fürſtlicher Freund und ſeine Kunſt
waren ihm geblieben ; in dieſer vor allem ſuchte er
Troſt und fand ihn auch . Muthig wandte er ſich
mit verdoppeltem Eifer ihr zu und vollendete das
hohe Werk allein das er ſo freudig unter dem
Beiſtand ſeines Bruders begonnen hatte . Fertig
ſtand es da , das Wunder der Welt , zu dem aus
der Nähe und Ferne Alles herbei wallfahrtete . Doch
der Meiſter , der es vollbracht , zog ſtill und be-
ſcheiden ſich wieder nach Brügge in ſeine verödete
Werkſtatt , zu neuen Arbeiten zurück .
Der Gegenſtand jenes allberühmten Altarblat-
tes in Gent iſt aus der Offenbarung Johannis ent-
lehnt , doch deſſen Ausführung umfaßte eine ganze
Welt . Fürſten und Ritter , Weltleute und Geiſt-
liche , Krieger , heilige Pilger , Eremiten , ziehen
in all ihrer Eigenthümlichkeit herbei , um vor dem
Lamme , dieſem Symbol des höchſten Geheimniſſes
der Gottheit , anbetend niederzuſinken ; ja dieſe
ſelbſt erſcheint zu deſſen Verherrlichung , begleitet
von den Heiligen des Himmels und den himmliſchen
Heerſchaaren .
Jn der obern Abtheilung des Gemäldes , über
dem bedeutungsvollen Lamme , iſt Gott Vater ſitzend
abgebildet , das Scepter in der Hand , die päpſtliche
Krone auf dem Haupt , ihm zur Rechten Maria ,
ein Buch auf dem Schooße , zur Linken Johannes
der Täufer ; alle drei lebensgroße Figuren .
Dieſer Theil des urſprünglich aus zwölf Tafeln
beſtehenden Gemäldes befindet ſich in dieſem Augen-
blick wieder in Gent , über dem Altar einer Kapelle in
der Kirche St. Bavon . Das Ganze war noch bis zu
dem traurigen Zeitpunkte beiſammen , da raubſüch-
tige plündernde Feinde die Welt überſtrömten ; ein
Kunſtwerk von dieſer Bedeutung konnte ihrem
Späherblik nicht entgehen , doch gelang es der
Geiſtlichkeit des Domkapitels von St. Bavon , mit
Hülfe einiger vaterländiſch geſinnter Männer , acht
dieſer Tafeln , und zwar nicht ohne Lebensgefahr ,
zu verbergen . Nur vier wurden nach Paris ge-
ſchleppt , von wo ſie im Jahr 1815 wieder zurück-
kehrten. Sechs der früher verborgnen Tafeln
wurden ſeitdem von der Geiſtlichkeit der Kirche St.
Bavon verkauft ; ſie befinden ſich jetzt als Privat-
eigenthum eines Kunſtfreundes in Berlin , das
höchſte Kleinod einer in ihrer Art einzigen unſchäz-
baren Sammlung . Das Schikſal der übrigen iſt
mir unbekannt .
Auf einem der obern Seitengemälde hatte
Johann van Eyck mit unnachahmlicher Kunſt Adam
dargeſtellt , wie dieſer , kämpfend mit innerem
Grauen und Alles hingebender Liebe zu ſeiner jungen
Gattin , die Unheil bringende Frucht betrachtet ,
welche ſie ihm beut . Aus Achtung für die Meinung
des heiligen Auguſtinus und einiger andern Kirchen-
väter hatte der Künſtler ſtatt des Apfels eine
friſche Feige als Veranlaſſung des Sündenfalles
unſrer erſten Eltern dargeſtellt . Dieſe Vorſtellung
bezog ſich auf den Namen der Kapelle in welcher
der Altar ſtand , denn dieſe wurde Adam und Eva
geheißen .
Von dem , was dieſes wundervolle Kunſtwerk
geweſen ſeyn muß , als noch alle zwölf Tafeln in
urſprünglichem Glanz den Altar ſchmückten , davon
geben die ſechs in Berlin befindlichen Seitengemälde
eine höchſt erfreuliche Ahnung . Zwar entſtellt
ſie Staub und Kerzendampf , doch des Johann
van Eyck Glorie ſchimmert durch dieſe Decke ſtrah-
lend hervor . Möge nur ein freundlicher Genius
über dieſe köſtlichen Ueberbleibſel eines unſchäzbaren
Kunſtwerkes ferner walten , damit keine ungeſchikte
oder voreilige Hand es wage ſie zu berühren und
zu zerſtören , indem ſie beſſern will .
Jede dieſer Tafeln ſchien mir etwa drei Ellen
hoch und halb ſo breit ; die Figuren auf den beiden
erſten ſind beinahe Lebens-Größe , die auf den
übrigen weit kleiner .
Auf der erſten Tafel erblikt man die heilige
Cäcilie vor ihrer Orgel ſitzend , von vier ihr Or-
gelſpiel auf verſchiednen Jnſtrumenten begleitenden
Engeln umgeben ; ſie trägt ein weites , mit Herme-
lin aufgeſchlagnes königliches Gewand mit großen
goldnen Blumen auf dunkelem Grunde . Dieſer
erſcheint ſchwarz , iſt aber vermuthlich urſprünglich
dunkelblau oder purpurfarben . Das reiche helle
Haar fließt wellenförmig gelockt über die Schultern
hin , von einer aus Juwelen und Perlen zuſam-
mengeſetzten Stirnbinde oder Kette gehalten . Man
erblikt die hohe Geſtalt faſt ganz von hinten , auch
das ſchöne ernſte Geſicht zeigt ſich nur im abge-
wendeten Profil . Die Engel ſind in reiche Chor-
gewänder von Goldbrokat und hellfarbigen reichen
Stoffen gekleidet , ſie tragen , wie die Heilige ,
köſtliche von Gold und Edelſteinen ſtrahlende
Binden um die Stirne und um das ſchön gelockte
Haar . Der , welcher oben neben der Orgel , halb
von dieſer verdeckt , ſteht , ſpielt die Harfe , ein
andrer im Vorgrunde dicht hinter Cäcilien ſpielt
das Violonzell .
Auf der zweiten Tafel , welche das Gegen-
ſtück der erſten bildet , ſtehen ebenfalls in reichen
Chorgewändern mit juwelenreichen Stirnbinden acht
andre Engel . Der Glanz , die Pracht , die unaus-
ſprechliche naive Anmuth beider Gruppen , ſowohl
der heiligen Cäcilie als beſonders dieſer zweiten ,
laſſen ſich nicht in Worte faſſen . Ganz im Vor-
grunde hält ein Engel das mit künſtlichem Schnitz-
werk verzierte Notenpult in der einen Hand und
gibt mit der andern den Tackt an , um den Geſang
ſeiner hinter ihm gruppirten Brüder zu leiten .
Unerachtet ihrer großen , ſchimmernden Flügel ſind
alle dieſe himmliſchen Sänger doch eigentlich nur
das treue Porträt ſchöner Chorknaben , wie ſie der
Künſtler unzähligemal ſah ; in Ausdruck und Be-
wegung rein menſchlich dargeſtellt , mit unübertroff-
ner Wahrheit und entzückender Naivetät , aber
himmelweit entfernt von jedem Gedanken an
Jdeal . Alle blicken ſehr ernſt in das auf dem
Pulte liegende Notenblatt und ſingen ſo eifrig ,
mit ſo emſiger Anſtrengung , daß man faſt taub
zu ſeyn glaubt , indem man ſie ſieht und nicht
hört . Karl von Manders naive Bemerkung , daß
man jedem von ihnen deutlich anſehen könne , welche
Stimme er ſingt , ob Baß , Tenor oder Sopran ,
muß dabei jedem einfallen . Jch ſah dieſes Ge-
mälde einſt durch die offne Thür des Zimmers ,
welches an das ſtößt wo die Tafeln aufgeſtellt
ſind , in einiger Entfernung ; ein ſcharfer heller Son-
nenſtrahl beleuchtete es , und die Knaben ſtanden
wie herausgetreten aus den Rahmen frei und
lebendig im Zimmer ; ſo täuſchend iſt die Wahrheit
dieſes wunderbaren , bis zu jeder einzelnen Haar-
locke ausgeführten Gemäldes .
„ Justi Judicis “ iſt die Unterſchrift der dritten
Tafel . Jn einem reichen blühenden Thal , zwiſchen
hohen Bergen , deren Gipfel Thürme und feſte
Schlöſſer krönen , ziehen mehrere Ritter zur An-
betung des Lammes hin . Jm Vorgrunde reitet der
Stifter des Gemäldes , Philipp der Gütige , neben
ihm Johann und Hubert van Eyck . Dieſe
Abbildung beſtätigt vollkommen den großen Unter-
ſchied des Alters der Brüder ; Hubert , faſt ſchon
ein Greis , reitet auf einem ſtolzen prächtig ge-
ſchmückten Schimmel , auch er ſelbſt iſt ſtattlich ge-
kleidet und trägt eine vorn aufgeſchlagne und mit
Pelzwerk verbrämte Mütze von ſeltſamer Form auf
dem Haupt ; Johann trägt über einem ſchwarzen
Talar ein rothes Paternoſter , mit einer daran hän-
genden goldnen Medaille , und eine Turbanartige
Kopfbedeckung an der hinten ein Zipfel herabhängt ;
er ſcheint fünf und dreißig bis acht und dreißig Jahre
alt . Die Züge ſeines Geſichts haben nichts aus-
gezeichnetes , ſind aber von mildem edlem Ausdruck
und tragen ganz das Gepräge ſeines Vaterlandes .
Noch ſechs andere Reuter füllen den Hintergrund ,
unter ihnen ein König , die Krone auf dem Haupt ,
den man aber nur im Rücken ſieht .
Auf der vierten Tafel , mit der Unterſchrift
„ Christi milites “ reiten die Krieger Gottes , durch
eine der vorigen ſehr ähnliche Landſchaft , zum
nehmlichen Ziele . Vorauf , auf prächtigen , reich
geſchmückten Zeltern ziehen zwei mit Lorbeerkränzen
gekrönte junge Helden , mit hochflatterndem Panier ,
in ſilberheller von Gold und Edelſteinen ſtrahlender
Rüſtung ; ſieben andere Ritter folgen dieſen , einer
von ihnen trägt einen köſtlichen reichen Helm , die
andern haben zierliche zum Theil mit Pelzwerk ver-
brämte Kopfbekleidungen , die Pferde ſind ſehr ſchön ,
ganz der Natur getreu , die ganze Gruppe iſt von
unausſprechlicher ritterlicher Lebendigkeit und Hoheit .
Die fünfte Tafel hat zur Unterſchrift „ Pegrini
sti . “ Sie hat mehr gelitten als die vorhergehenden ,
und ſcheint an einigen Stellen durch Staub und
Schmutz ſehr verdunkelt . Die Landſchaft ſtellt eine
ſchöne Gegend im üppigſten Glanz des Südens dar ;
Pinien ſchmücken ſie , Cedern und Orangenbäume ,
zwiſchen dieſen tauſend fremdartige bis in die
kleinſten Details ausgeführte Gräſer , Kräuter und
Blumen . Wie Kieſel am Wege leuchten verſtreute
Perlen und farbige Edelſteine aus dem Graſe und
zwiſchen Felsſtücken unter den Füßen der Pilger
hervor . Dieſe ziehen in mannichfaltiger Kleidung
und Geſtalt aus allen Ständen herbei , zum Theil
auch mit Muſchelhut und Stab , mitten unter ihnen
eine edle ausdrucksvolle Greiſengeſtalt mit langem
ehrwürdigen Bart . Ganz im Hintergrunde ſteht
eine ſeltſame lachende Figur , in einer Mönchskutte ,
denn in jener einfachen Zeit glaubte man das Heilige
nicht durch einen gutgemeinten Scherz zu entweihen .
Rieſengroß führt im Vorgrunde der heilige Chriſtoph
die fromme Schaar an , doch ohne die ſchwere Laſt
des göttlichen Kindes auf der Schulter zu tragen .
Die ſechſte Tafel trägt die Unterſchrift „ Hey-
remite sti . “ Durch ein enges Felſenthal von ganz
ſüdlichem Karackter zieht die fromme Schaar der
Einſiedler herbei , zwiſchen Pinien und Orangen-
bäumen ; Kräuter und Blumen , gleich denen auf der
vorigen Tafel , blühen und grünen unter ihren Füßen ,
und auch hier liegen Perlen und farbige Juwelen in
Menge umhergeſtreut . Zwei ſchöne herrliche Greiſe
führen den Zug an , einer von ihnen hält den Roſen-
kranz in der Hand , ihnen folgen die würdigſten
edelſten Geſtalten mit prächtigen langen Bärten ;
doch auch hier miſcht ſich der Scherz dem Ernſt bei ,
denn einige Köpfe von ächt humoriſtiſchem Ausdruck
lauſchen hie und dort einzeln hervor . Magdalena
mit dem Salbengefäß und neben ihr noch eine heilige
Frau beſchließen im Hintergrunde den Zug .
Die Ausführung , beſonders der Haare und
Bärte , ſo wie der ſo naturgetreue Ausdruck jedes
einzelnen Kopfes , iſt höchſt bewundernswerth . Von
allen dieſen Tafeln läßt ſich nur das über die Ge-
mälde des Künſtlers in der Boiſer é eſchen Sammlung
Geſagte wiederholen . Unerachtet der verſchwen-
deriſch überall verbreiteten Pracht der köſtlichen
Stoffe , des Goldes und der Juwelen konnte ich
doch nirgend in dieſen eine Spur wirklichen Metalls
entdecken , nur auf den beiden erſten Tafeln , hinter
der heiligen Cäcilie und hinter dem ſingenden En-
gelchor ſchimmert der Grund von wirklichem Golde ,
wahrſcheinlich um die ſtrahlende Herrlichkeit des
Ganzen noch zu erhöhen .
Da das Hauptgemälde durch dieſe Flügelbilder
gewöhnlich verſchloſſen gehalten ward , ſo iſt auch die
Rückſeite derſelben von des Meiſters Hand zwar
einfacher doch nicht minder würdig geſchmückt . Auf
jeder Tafel ſteht nur eine einzelne Figur ; farblos ,
grau in grau , zeigen dieſe ſich jetzt , vielleicht waren
ſie früher etwas kolorirt , wie einzelne Spuren dem
genau ſie beobachtenden Auge anzuzeigen ſcheinen ,
doch läßt ſich dieſes nicht mit Gewißheit behaupten .
So wie ſie jetzt ſich zeigen , iſt dennoch der hohe
Geiſt des Meiſters in ſolcher Fülle über ſie
ergoſſen daß wahrlich die ganze blendende Pracht
des Jnnern dazu gehört , um dieſe edlen , einfachen ,
alles Farbenzaubers beraubten Geſtalten zu ver-
dunkeln .
Jm ſtillen ſchmalen hochgewölbten Zimmer
knieet die reinſte holdſeeligſte der Jungfrauen auf
der erſten Tafel , vor dem Betpult , und vernimmt
in Demuth die wunderbarſte Verkündigung einer
unbegreiflichen Zukunft . Die heilige Taube ruht
auf ihrem Haupte . Die ganze Darſtellung der in
Huld und Anmuth verklärten Jungfrau , farblos und
verblichen wie ſie iſt , gehört zu dem Vortreflichſten ,
und erinnert unwiderſtehlich an Johann van Eycks
Verkündigung in der Boiſer é eſchen Sammlung ;
ſogar bis auf die Anordnung des Gemachs . Aus
dem großen offnen Fenſter im Hintergrund blickt
man in eine weite , von ſchönen Gebäuden umgebene
Straße hinaus .
Die zwote Tafel zeigt uns , als würdiges Ge-
genſtück zu der erſten , den göttlichen Boten ; eine
blühende Lilie in der Hand ſchwebt der jugendlich
ſchöne Jüngling , von mächtigen Schwingen getragen ,
leicht über den Boden hin . Die Rückſeite der
dritten Tafel ſchmückt die hohe ernſte Geſtalt Jo-
hannes des Täufers , er trägt das Lamm in ſeinen
Armen .
Auf der vierten Tafel bildete Johann van
Eyck nochmals ſeinen Bruder Hubert ab , den
Lehrer ſeiner Jugend , den treuen Gehülfen ſeiner
Arbeit , den Mitgenoſſen ſeines Ruhms . Er ſteht
mit zum Gebet erhobnen Händen ; leider hat das
Bild mehr als die übrigen von der Gewalt der
Zeit gelitten , die Züge des Geſichts ſind nicht
ganz deutlich erhalten , aber ſo wie es iſt , zieht
es durch Adel und Geiſt in Stellung und Form
unwiderſtehlich an . Ein rothes Gewand , bei übriger
Farbloſigkeit , zeichnet dieſes Bild ſonderbar aus .
Auf der fünften Tafel ſteht Johannes der
Evangeliſt , mit ſeinem Attribut , dem Kelch , aus
welchem eine Schlange emporſteigt ; auf der ſechſten
endlich erblickt man eine Frau in der Feſt-Tracht
der damaligen Zeit . Auch ſie ſteht in betender
Stellung wie Hubert ; man gibt dieſe , leider
ebenfalls ſehr verblichene Geſtalt , für die Gattin
eines der beiden Brüder van Eyck aus , ich aber
möchte ſie lieber für ihre Schweſter , die zu ihrer
Zeit berühmte jungfräuliche Künſtlerin Margarethe
halten , beſonders da , ſo viel ich weiß , nirgend
der Verheirathung Johannis oder Huberts erwähnt
wird .
5
Hubert ward nach Karl von Manders Ver-
ſicherung in der Johannis-Kirche zu Gent unfern
ſeiner Schweſter Margarethe begraben . Dieß
läßt vermuthen , daß letztere den Brüdern von
Brügge nach Gent gefolgt ſey , vielleicht um ſie
bei der großen Arbeit mit ihrem Talent nach
Kräften zu unterſtützen , denn ſie bedurften wohl
bei dem ihren Schülern verborgnen Geheimniſſe
ihrer Kunſt einer treuen verſchwiegnen Gehülfin .
Margarethe ſtarb bekanntlich vor Huberts Ableben ,
und was kann ungezwungner uns entgegen treten ,
was ſtimmt beſſer mit Johann van Eycks Geiſt
und Gemüth , als die Vermuthung , daß er beiden
ihm durch Geiſt und Talent noch mehr als durch
Bande des Bluts verwandten Geſchwiſtern hier ein
Gedächtniß ſtiften wollte auf dem unter ihren
Augen , mit ihrer Hülfe , begonnenen großen Werke ,
welches er nun allein vollenden mußte .
Nicht nur Himmel und Erde , Leben und
Hoffen des Menſchen , umfaßte dieſes ungeheure
Werk ; unter der Haupttafel deſſelben , auf einer
Art von Fuß oder Geſtell worauf dieſe ruhte , war
auch das Fegefeuer abgebildet , deſſen unglückliche
Bewohner in Furcht , Zittern und peinlicher Quaal
vor dem Namen des Lammes die Kniee beugen .
Doch dieſer Theil des Gemäldes war leider nicht
mit Ölfarben gemalt , und da er ſtets offen ſtand ,
ging die Malerei darauf allmählich durch die bekannte
niederländiſche Reinlichkeitsliebe zu Grunde ; un-
verſtändige Verbeſſerer verſuchten den Schaden
wieder gut zu machen , und ſo war dieſer Theil des
Altarbildes ſchon im ſechzehnten Jahrhundert durch-
aus verdorben , ſo daß nur durch Tradition ſeine
frühere Exiſtenz uns bekannt geworden iſt .
Nie ward ein Kunſtwerk höher geachtet , all-
gemeiner geprieſen , als dieſes Gemälde , vom Mo-
ment an da es vollendet in nie geſehner Pracht den
Altar ſchmückte . Gewöhnlich blieb es verſchloſſen ,
nur an ſeltnen hohen Feſten ward es den Blicken des
Volks Preis gegeben , auſſerdem wurde es nur mäch-
tigen Fürſten gezeigt , oder Reiſenden , welche dieſe
Begünſtigung mit ſchwerem Golde erkauften .
Doch war einmal ein ſolcher feſtlicher Tag an-
gebrochen , an dem die Flügel des Heiligthums ſich
5 *
allen Augen erſchloſſen , dann vermochte auch die
Kapelle , welche es bewahrte , die Menge kaum zu
faſſen , die vom Morgen bis zur Nacht ſich herzu-
drängte . Weit und breit waren dann die Wege um
Gent mit hinzueilenden Wallfahrern bedeckt ; aus
ganz Flandern und Brabant zogen Kunſtfreunde und
Künſtler herbei , und umſchwärmten das Wunder-
bild wie Bienen den Blüthenbaum . Dieſe laute ,
allgemeine Bewunderung ſchwand nicht mit dem
Reize der Neuheit . Jahre folgten Jahren in langen
Reihen und jedes führte die Tage des hohen
Triumphs der Kunſt in erneutem Glanz herbei .
Lukas de Heere , ein geachteter Künſtler und Poet
ſeiner Zeit , weihte hundert Jahre nach Entſtehung
des hohen Meiſterbildes dieſem ein eignes Lobge-
dicht und erlebte die Ehre ſolches an einem
Pfeiler in der Kapelle , dem Altar gegenüber , ge-
heftet zu ſehen , wo Alt und Jung an ſolchen feſt-
lichen Tagen ſich daran erfreuten .
Mancherlei Gefahren drohten dieſem Kunſt-
werke in jener trüben Zeit , als der bilderſtürmende
Fanatismus Kirchen und Klöſter verheerend durch-
zog. Der Verluſt , welchen die Kunſt damals
erlitt , iſt eben ſo wenig zu berechnen als zu
erſetzen , und die Errettung des Einzelnen mitten
im allgemeinen Untergange gränzt oft an Wunder .
Doch nicht nur verblendete Barbaren , auch Philipp
der zweite , König von Spanien , drohte dem ge-
ſchätzteſten Kleinod der Stadt Gent . Er ſtreckte
den eiſernen Arm , der die unglücklichen Niederlande
vernichtend beherrſchte , nach dieſem Wunderbilde
aus , um es nach Spanien zu führen , und kaum
läßt es ſich begreifen , wie allgemeine Bitten und
Vorſtellungen ihn endlich bewegen konnten davon
abzuſtehen . Er begnügte ſich mit einer Kopie
von der Hand des beſonders auch in Spanien
hochberühmten Meiſters Michael Coxies von
Mecheln . Dieſer arbeitete für die damals ſehr be-
trächtliche Summe von viertauſend Gulden mit
unermüdlichem Fleiße zwei Jahre lang daran . Die
Pracht der Farben mag ihm manche unüberwindliche
Schwierigkeit entgegengeſtellt haben ; unter andern
verzweifelte er daran , das Blau des Gewandes
der heiligen Jungfrau erreichen zu können , und
Philipp der zweite verwendete ſich ſelbſt bei dem
großen Tizian für ihn , der ihm von Venedig aus
eine ſehr koſtbare , aus den ungariſchen Gebirgen
kommende Azurfarbe ſchickte . Wahrſcheinlich war
es Ultramarin , deſſen jener Meiſter ſich bekannt-
lich ſehr häufig bediente . Karl von Mander erzählt
als etwas merkwürdiges , daß Michael Coxies
allein zu dem Mantel der heiligen Jungfrau für
zwei und dreißig Dukaten von dieſer Farbe ver-
braucht habe . Die Kopie ward endlich nach unſäg-
licher Arbeit glücklich vollendet und nach Spanien
geſandt , nur hatte der Meiſter es ſich herausge-
nommen , einiges darin zu verändern , zum Beiſpiel
die Stellung der heiligen Cäcilie , die zu ſehr von
hinten geſehen , ihm nicht zierlich genug dünkte .
Jn unſern Zeiten iſt dieſe Arbeit Michael Coxies ,
wahrſcheinlich als Beute irgend eines franzöſiſchen
Generals , wieder nach den Niederlanden gekom-
men , denn ein gelehrter Kunſtfreund aus , jenem
Lande , Herr von Keverberg der ältere , verſichert ,
ſie im Jahre 1817 in Brüſſel geſehen zu haben ,
wo ſie vielleicht noch in dieſem Augenblick ſich befindet .
Doch kehren wir zurück zu der Geſchichte und
zu der ſtillen geheimen Werkſtatt des Meiſters ,
aus welcher während einer langen Reihe von
Jahren , nach Vollendung dieſer ſeiner größten
Arbeit , eine unüberſehbare Anzahl von Gemälden
hervorging , die ihr nur an Umfang , nicht an innerem
Werthe nachſtehen durften .
Jmmer lauter ward die Verkündigung ſeines
Ruhmes , immer geſpannter die Aufmerkſamkeit der
Künſtler , vor allem in Jtalien , um die Bereitung
von Farben zu entdecken , deren große Vortheile
Alle einſahen . Säle und Gallerien der Fürſten
Jtaliens , wo damals auch die Kunſt ſich mächtig
zu regen begann , prangten mit den Werken des
Deutſchen , Johann van Eyck , dort unter dem
Namen Giovanni da Brugge bekannt ; leider hat
uns die Kunſtgeſchichte nur Namen und Beſchrei-
bungen von wenigen dieſer längſt zu Grunde ge-
gangenen Gemälde aufbewahrt . Ein heiliger Hiero-
nymus wird hochgeprieſen , der ſpäter das Eigen-
thum des großen Lorenzo von Medicis ward ; auch
eine Verkündigung , welche Alfons der erſte , König
von Neapel beſaß und die der Beſchreibung nach ,
welche uns Faccius in ſeinem Buche de viris illustri-
bus davon gibt , die größte Ähnlichkeit mit der
erſten Tafel des Altargemäldes in der Boiſſer é e-
ſchen Sammlung gehabt haben muß .
Doch nicht nur der heiligen Geſchichte allein
weihte Johann van Eyck ſein hohes Talent ; er
hatte ja der Kunſt die ganze ſichtbare Welt zu eigen
erworben und achtete es daher nicht ſeiner unwür-
dig auch andere Gegenſtände zu malen , oder die
Geſtalt einzelner Menſchen ihren Freunden und
der Nachwelt zu erhalten . Er malte mehrere Bild-
niſſe ſeiner Zeitgenoſſen nach dem Leben und
ſchmückte dieſe oft mit ſchönen Landſchaften im Hin-
tergrunde . Dieſe kleinern Gemälde von ſeiner
Hand wurden ſpäter zu hohen Preiſen geſucht und
verkauft . Die verwittwete Königin von Ungarn ,
Schweſter Karls des fünften , gab einem Barbier
in Brügge , der ſo glücklich war durch Erbſchaft
oder Zufall ein ſolches Bildchen zu beſitzen , ein
Jahrgeld von hundert Gulden auf Zeitlebens dafür .
Es ſtellte in einem kleinen Raum ein Brautpaar
vor , deſſen Hände die Treue zuſammen gibt .
Faccius gedenkt bewundernd der täuſchenden Per-
ſpective eines von Johann van Eyck dargeſtellten
Bibliothek-Zimmers , und ſetzt hinzu : „ auf
„der äußern Seite derſelben Tafel iſt Baptiſta
„Lommellinus gemalt , dem ſie ( die Bibliothek )
„zugehört hatte , und dem nur die Stimme zu
„fehlen ſcheint und ſein geliebtes Weib , genau
„ſo ſchön abgebildet als ſie war ; zwiſchen beiden
„fällt ein Sonnenſtrahl , wie durch eine Ritze
„herein , den man für wahren Sonenſchein halten
„möchte . “
Vaſari gedenkt der Abbildung eines Badezim-
mers , welche ebenfalls König Alfonſo von Neapel
von Johann van Eyck erhielt , und die ein Wunder
naturgetreuer Darſtellung geweſen ſeyn muß . Wahr-
ſcheinlich iſt es dieſelbe , welche Faccius als das
Eigenthum des Kardinals Octavian folgendermaßen
beſchreibt : „ Du ſiehſt ſchöne Frauen , wie ſie
aus dem Bade ſteigen , und , merklich erröthend ,
ſich mit einem feinen Tuche bedecken ; eine davon
ſtellte er ſo , daß nur Geſicht und Bruſt geſehen
wird , die entgegengeſetzte Seite des Körpers aber
ſich in einem daneben gemalten Spiegel dergeſtalt
zeigt , daß man den Rücken eben ſo ſieht wie die
Bruſt . Auf demſelben Bilde iſt eine Lampe in dem
Badezimmer , als ob ſie brenne ; ein altes Weib
welches zu ſchwitzen ſcheint ; ein Hündchen das vom
Waſſer leckt ; weiterhin ſind Pferde , Menſchen , ſehr
kl ein , Berge , Wälder , Dörfer , Schlöſſer , ſo
künſtlich ausgeführt , daß man meint , es ſey jedes
von dem andern funfzigtauſend Schritte entfernt .
Aber nichts in dieſem Werk iſt bewundernswürdiger
als ein Spiegel , auf derſelben Tafel gemalt ,
worin du Alles , was dort abgebildet iſt , wie in
einem wahren Spiegel ſiehſt . “
Jeder , der nur eines der uns erhaltnen Ge-
mälde Johann van Eycks ſah , wird dieſer Be-
ſchreibung der für die Welt verlornen Glauben bei-
meſſen . Und auf welcher Höhe , in welcher Macht
und Größe muß dann der gewaltige Geiſt eines
Mannes vor uns ſtehen , der während eines einzigen
beſchränkten Menſchenlebens dieſe lebende , ge-
ſtaltenreiche Welt hervorzurufen vermochte !
Der Ruf jeder dieſer Tafeln verbreitete ſich
ſogleich durch die ganze italieniſche Künſtlerwelt , ſo
wie eine derſelben über die Alpen gelangte . Schaa-
renweiſe eilten die Maler zu ihrer Bewunderung
herbei . Sie unterſuchten die Gemälde auf das ge-
naueſte , ſie bemerkten den eignen ſcharfen Geruch
der ölgemiſchten Farben , doch ohne ihn zu erkennen .
Tauſend Verſuche wurden gemacht , es dem großen
Giovanni da Brugge gleich zu thun , keiner gelang ,
bis ein einziger ernſtlich vorwärts ſtrebender Mann ,
Antonello von Meſſina den Entſchluß faßte , dieſem
Geheimniſſe an der Quelle nachzuforſchen .
Ein glücklicher Zufall führte dieſen Künſtler
auf einer Reiſe von Meſſina , ſeiner Vaterſtadt ,
nach Neapel an den Hof Königs Alfons des Erſten .
Dort erblickte er zuerſt eines jener allgeprieſ'nen
Wunderbilder des deutſchen Künſtlers . Es war die
ſchon erwähnte Verkündigung , deren hohe Vollen-
dung ihn ſogleich bewog , jedes andere Unternehmen
aufzugeben , ſein ſchönes ſonnenhelles Vaterland zu
verlaſſen und jenſeits der Alpen den hohen Meiſter
aufzuſuchen , der ſolche Wunder vermochte .
Nicht jugendlicher Enthuſiasmus beſtimmte
den Antonello zu Antretung der weiten Pilgerſchaft
von Neapel nach Flandern , welche damals weit
unbequemer und gefährlicher war als in unſern
Tagen , ſondern vielmehr eine Alles überwindende
Liebe zur Kunſt . Er war ſchon ein ſehr bedeuten-
der Maler in ſeinem Lande und hatte gewiß längſt
das reifere Mannsalter erreicht . Vaſari berichtet
uns von ihm , daß er von Meſſina zuerſt
nach Rom ſich begab , wo er viele Jahre hindurch
mit Zeichnen ſich beſchäftigte . Von dort zog
er nach Palermo , wo er ebenfalls Jahrelang
lebte , bis ſeine Landsleute ihn wieder in ihrer
Mitte zu ſehen wünſchten . Als bedeutender , ge-
achteter Künſtler kehrte er darauf nach Meſſina
zurück , malte dort vieles , und führte , wegen ſeines
Talents und ſeiner übrigen guten lobenswerthen
Eigenſchaften von Allen geachtet , ein zufriedenes
glückliches Künſtlerleben , bis eine Geſchäftsreiſe
ihn nach Neapel brachte , von wo ſein ſtrebender
Geiſt ihn nach Flandern trieb .
Antonello legte die große Reiſe nicht nur glück-
lich zurück , ſondern es gelang ihm ſogar auch im
Hauſe des Johann van Eyck freundlich aufgenom-
men zu werden . Er fand den großen Meiſter
zwar als hochbejahrten Greis , aber noch immer
rüſtig , in gewohnter Thätigkeit und reger Theil-
nahme an Allem , was mit der Kunſt , der er ſein
Leben geweiht hatte , in Berührung ſtand . Anto-
nello führte viele italieniſche Zeichnungen und andre
Kunſtwerke mit ſich , er legte ſie ihm vor , erzählte
ihm von ſeinem ſchönen Vaterlande , von dem Leben
und Wirken der dortigen Künſtler , von der hohen
Achtung in welcher der große Name Giovanni da
Brugge dort bei Fürſten und Malern ſtand , von
der Bewunderung , die Alle ihm zollten , und wie
er den weiten Weg zurückgelegt habe , einzig um
ihn von Angeſicht zu Angeſicht zu ſehen und von
ihm zu lernen .
Des ſüdlichen Fremdlings einnehmendes Weſen ,
ſeine Kenntniſſe , ſeine heiße Alles opfernde Liebe
zur Kunſt , gewannen ihm des ehrwürdigen Greiſes
freundliche Neigung ; er gewöhnte ſich bald , ihn
gleich einem lieben , zu ihm gehörenden Hausge-
noſſen zu betrachten . Johann van Eyck fühlte die
Schwächen des Alters , er wußte ſeine Tage gezählt ,
und hatte vielleicht lange ſchon nach einem würdigen
Erben des Geheimniſſes ſich geſehnt , das er , ſo
lange er lebte , zwar heilig bewahrte , von dem er
aber gewiß nicht wünſchen konnte , es mit ſich ins
Grab zu nehmen . Die beiſpielloſe Treue , mit
welcher der in voller Kraft ſtehende jüngere Mann
der Kunſt ſein Leben geweiht hatte , erfüllte die
alte doch nicht erkaltete Bruſt des Greiſes mit
Liebe und Vertrauen , und Antonello ſah in weit
kürzerer Zeit als er gehofft hatte den Gipfel aller
ſeiner Wünſche erreicht . Johann van Eyck öffnete
ihm die bisher Allen verſchloſſen gebliebne Werk-
ſtatt , theilte ihm den ganzen reichen Schatz ſeiner
Erfahrungen mit , ſo viel Antonello davon zu faſſen
vermochte , und ließ nicht nur unter ſeinen Augen
ihn malen , ſondern erlaubte ihm auch Zeuge
ſeiner eignen wundervollen Arbeiten zu werden .
Rogier von Brügge , ebenfalls ein Schüler Johann
van Eycks , theilte dieſes Glück mit Antonello ,
und dieſer blieb von nun an um ſeinen edlen Lehrer ,
gleich einem vielgeliebten Sohn , in treuer uner-
müdeter Anhänglichkeit , bis der Tod in einem ſehr
hohen Alter die lichthellen aber müden Augen des
hohen Meiſters auf immer ſchloß .
Johann van Eyck ward zu Brügge in der
Kirche St. Donati begraben . Eine Säule mit
einer von Karl von Mander uns erhaltnen lateini-
ſchen Jnſchrift bezeichnete die heilige Stätte wo er
ruht , doch weder dieſe , noch irgend eine andre
ſichre Nachricht beſtimmt uns das Jahr ſeines Todes .
Wahrſcheinlich ſtarb er in den ſiebziger Jahren des
funfzehnten Jahrhunderts , und zwar im fünf oder
ſechs und achtzigſten Jahre ſeines Alters , wenn
er , wie ſo vieles uns zu glauben berechtigt , fünf
und zwanzig Jahre ſpäter als Hubert , um das
Jahr 1391 geboren ward .
Ehe wir uns von Johann van Eycks Leben
und Werken hinweg zu ſeinen Nachfolgern wenden ,
muß ich noch der Darſtellung des jüngſten Gerichts
erwähnen , die ſeit nicht zu berechnender Zeit in
Danzig , meiner Vaterſtadt , ſorgfältig aufbewahrt
ward , bis 1807 franzöſiſche Raubſucht ſich auch
dieſes Kleinods bemächtigte . Deutſche Tapferkeit
gewann es wieder , es ward nebſt den übrigen
wieder eroberten Kunſtſchätzen in Berlin öffentlich
ausgeſtellt und dadurch unter dem Namen des
Danziger Bildes allbekannt . Seitdem haben ſich
ſehr bedeutende Stimmen gegen die alte Tradition
erhoben , welche dieſes vortreffliche Gemälde den
Brüdern van Eyck zuſchrieb . Sie ſind zu bedeu-
tend , als daß ich ihnen entgegen treten möchte ,
und doch vermag ich es eben ſo wenig , ihnen meine
eigne Überzeugung blindlings zu opfern . Deshalb
bleibt mir nichts übrig als , neben der Beſchreibung
dieſes Gemäldes einfach und wahr zu ſagen , was
ich von demſelben weiß , und wie ich es anſehe ,
ohne mir doch dabei eine entſcheidende Stimme an-
zumaßen .
Wann dieſes Bild nach Danzig kam , weiß
man bis jetzt nicht genau zu beſtimmen , doch
ging ſeit undenklicher Zeit die Sage von Mund zu
Mund , daß ein Schiffer es in einem wohl verſchloß-
nen Kaſten auf offnen Meere aufgefiſcht und nach
Danzig gebracht habe , wo er es der damaligen
Marien-Kirche weihte . Letztere wird jetzt die
Pfarr-Kirche genannt und iſt eines der impoſan-
teſten , größten Denkmäler früherer Baukunſt , das
noch kein Menſch ohne Ehrfurcht und Bewunderung
erblickte . Die Sage vergaß ferner nie dabei zu
erwähnen , daß zwei Brüder Namens van Eyck ,
welche man zugleich als die erſten Erfinder der Öl-
malerei bezeichnete , es gemalt hätten , und ſo lebte
dieſer große Name faſt an der äußerſten nordiſchen
Gränze deutſcher Sprache noch immer fort , ſelbſt
unter dem Volk , und war auch mir bekannt und
befreundet von Jugend auf , während ihn die übrige
Welt , wenige Kunſtverſtändige ausgenommen , bei-
nahe gänzlich vergaß .
Jn der Zeit , wo die katholiſche Kirche in
Danzig die herrſchende war , ſchmückte dieſes Bild
vielleicht einen kleinen Seitenaltar , doch gewiß nie
den ſehr großen hohen Hauptaltar der von ihren
Erbauern der heiligen Jungfrau geweihten Kirche ,
weil ſich der Gegenſtand deſſelben , das jüngſte
Gericht , nicht hiezu eignet . Denn man wählte
6
zum Schmucke des Hauptaltars immer ein Kunſt-
werk , das hauptſächlich auf den Heiligen Bezug
hatte , dem zu Ehren die Kirche erbaut war . Und
ſo enthält auch das Jnnere des Hauptaltars dieſer
Kirche eine in Holz geſchnitzte und reich vergoldete ,
faſt koloſſale Abbildung der von der heiligen Drei-
einigkeit umgebenen Mutter Gottes , die aller
Wahrſcheinlichkeit nach noch dieſelbe iſt , von
welcher Kurike in ſeiner Kronick , als im Jahr 1517
von Meiſter Michell überantwortet , ſpricht . Sehr
achtenswerthe Kunſtkenner , welche aber dieſe Kirche
nie ſahen , fühlten ſich durch dieſe in der Kronick
enthaltne Stelle bewogen , das Danziger Bild für
dieſe Tafel zu halten und es deshalb dem Meiſter
Michael Wolgemut zuzuſchreiben . Bötticher aber ,
der bis ins Jahr 1615 bei dieſer Kirche als Kir-
chenvorſteher angeſtellt war , nennt in ſeinem im
Manuſcript vorhandenen hiſtoriſchen Kirchenregiſter
den Verfertiger der Tafel auf dem Hauptaltar einen
Prieſter , Namens Michael , und bemerkt , daß das
Malwerk nebſt dem Vergülden des Altars 3386
Mark gekoſtet habe , und der Kontrackt darüber mit
einem Meiſter Michell geſchloſſen ſey , den Prätorius
in einem andern Werk Michael Schwarz nennt .
Zwei gewaltige große Flügelthüren , ebenfalls mit
geſchnitzten Figuren bedeckt , verſchließen gewöhnlich
das Jnnere dieſes Altars . Wahrſcheinlich waren es
dieſe Figuren , deren Anmalung den Maler beſchäf-
tigte , wie man es noch häufig in alten Kirchen findet ;
jetzt ſind ſie weiß angeſtrichen und vergoldet ; das
Ganze iſt überhaupt als Kunſtwerk wenig erfreulich .
Seit der lutheriſche Glaube in Danzig der
herrſchende wurde und man die kleinen Seitenal-
täre wegnahm , hing das Bild in einem verſchloß-
nen Schrein , an einem der gewaltigen Pfeiler
welche das ſchwindelnd hohe Gewölbe der Pfarr-
kirche tragen . Es war gewöhnlich verſchloſſen , doch
keinesweges verkannt oder vergeſſen , im Gegen-
theil ward wohl nie ein Kunſtwerk höher geachtet
und allgemeiner bewundert , gerade weil es in der
großen Stadt ſo vereinzelt da ſtand . An hohen
Feſten , wenn die Kirche mit ihrem koſtbarſten
Altargeräthe prangte , pflegte auch das Bild aufge-
ſchloſſen zu werden , und dann ſtrömte Alles herbei
6 *
es zu bewundern . Das Gedränge war groß und
die Kirche ward nie leer ſo lange das Bild offen blieb ,
denn das Volk betrachtete es als einen Gegenſtand
der Erbauung , es ſchauderte vor dem Anblick der
Hölle , und gewiß ſind von ſonſt rohen Gemüthern
vor dieſem Bilde manche gute Entſchlüſſe gefaßt
worden , die der ſtrengſte Bußprediger nicht hätte
erwecken können . Übrigens konnte man das Bild
ſich aufſchließen laſſen wann man wollte ; es war die
erſte Merkwürdigkeit , welche jeder Einwohner aus
den gebildeten Ständen ſeinen fremden Gäſten zu
zeigen ſich beſtrebte . Hausgenoſſen und Vorüber-
gehende drängten ſich dann freudig hinzu , ich habe
bei ſolchen Gelegenheiten es als Kind unzähligemal
geſehen und darf wohl ſagen daß vor dieſem
Bilde das erſte Gefühl für die Kunſt in meiner
Seele erwachte . Jtzt ſteht es in einer Seitenkapelle
der Kirche , doch vergehen wenige Tage im Jahr ,
an denen es nicht auf Fremder oder Einheimiſcher
Begehren gezeigt wird . Das Bild ſelbſt beſteht
aus einem Mittelbilde und zwei Flügel-Bildern .
Auf einem großen glänzenden Regenbogen , deſſen
Kreis bis auf einen kleinen Theil unten , wo er den
Horizont berührt , ganz ſichtbar iſt , thront der
Heiland in ernſter Richterſtrenge . Ein glühend
rothes Schwert , die Spitze nach ihm gewendet ,
ſchwebt zur linken Seite dicht an ſeinem Haupt ,
zur rechten eine Lilie . Eine in der Luft ſchwebende
goldne Kugel , in welcher ſich die nächſten Gegen-
ſtände ſpiegeln , dient ihm zum Schemel . Er iſt
mit einem rothen Mantel bekleidet , der auf der
Bruſt durch eine reiche Spange zuſammengehalten
wird , dann von beiden Seiten zurückfällt , ſo daß
der nackte Körper ſichtbar wird , und über dem
Schooß in großem ſchönen Faltenwurf ſich aus-
breitet . Vier Engel in farbigen langen Gewändern
ſchweben über ihm mit den Emblemen ſeines Leidens
für eine ſündige Welt . Dicht hinter dem Regen-
bogen , auf Wolken ſitzend , bilden die zwölf Apoſtel
einen ſich dieſem anſchließenden Kreis , auf jeder
Seite ſechſe ; am Ende dieſes Kreiſes knieet zur
Rechten Maria in betender Stellung , eine Stralen-
glorie um das Haupt , in einen weiten dunkelgrünen
Mantel matronenartig verhüllt ; der Ausdruck ihres
ſchönen Geſichts iſt mütterliche Güte und vorbittende
Milde . Jhr gegenüber , am andern Ende des Kreiſes
knieet Johannes der Täufer , ebenfalls eine Glorie
um das ſehr edle ſchöne Haupt , mit einem eng
anſchließenden Gewande von feinen Fellen bekleidet ,
über welche ein grüner , roth gefütterter Mantel
fällt . Die bis in die kleinſten Einzelheiten vortreff-
lich ausgeführten Hände erſcheinen etwas mager ,
doch warm und lebendig . Unter dieſer Gruppe
ſchweben drei Engel , ebenfalls in langen , die Füße
bedeckenden Gewändern , und laſſen die furchtbare
Poſaune zur Erweckung der Todten ertönen . Alles
dieſes geht in der Luft vor , auf der Erde öffnen
ſich die Gräber und die Todten ſtehen auf .
Ganz dem Anſchauer zugewendet , und rieſen-
groß gegen die faſt um die Hälfte kleineren Aufer-
ſtehenden , ſteht in der Mitte die hohe Heldenge-
ſtalt des Erzengels Michael in prachtvoller goldner
Rüſtung , in welcher ſich von beiden Seiten die
nächſten Umgebungen ſpiegeln , eben wie in der
Kugel auf welcher die Füße des Heilands ruhen .
Die prächtigen großen Flügel des Erzengels ſind aus
ſchimmernden Pfauenfedern zuſammengeſetzt , ein
weiter Mantel , ſcharlachroth mit goldnen Blumen ,
mit Purpur gefüttert , mit einer Doppelreihe von
Perlen und farbigen Edelſteinen eingefaßt , über
der Bruſt durch ein großes juwelenreiches Medaillon
zuſammengehalten , fließet zu beiden Seiten von
ſeinen Schultern bis auf den Boden herab , ſo daß
der ganze Harniſch ſichtbar bleibt ; oben am Halſe
erſcheint das Panzerhemd von goldnem Geſtricke .
Das ernſte , von goldigen Locken umfloßne Haupt
ſchmückt eine ſchmale Binde , aus welcher vorn ein
juwelenreiches Kreuz emporſteigt . Hoch in der
rechten Hand hält der Engel einen langen ſchwarzen
Stab , an deſſen oberm Ende ein reicher kreuzförmi-
ger Griff ſchimmert , in der linken , mit dem Stabe
ſich kreuzend , hält er die furchtbare Waage . Die
rechte Schaale , in welcher ein Seeliger betend knieet ,
ruht am Boden , die linke , mit dem zu leicht Be-
fundenen , fährt hoch in die Höhe ; die Stellung
des faſt herausfallenden Unglücklichen , den ein nahe-
ſtehender Teufel ſchon beim Haar faßt , drückt das
ganze Gefühl ſeines Elends aus . Nichts kann im-
poſanter, höher , größer gedacht werden , als
Michaels edle , glänzende , ſchlanke Geſtalt , als der
richtende Blick ſeines etwas vorgebeugten ernſten
Geſichts . Dennoch iſt gerade dies nicht mit voll-
kommner Freiheit behandelt , die Farbe iſt ſo dünn
aufgetragen , daß bei genauer Betrachtung einige
Veränderungen des mit Bleiſtift gezeichneten Kon-
turs hindurch ſchimmern , als habe dem Maler ein
noch höheres Bild vorgeſchwebt . Auch bei einigen
andern Köpfen entdeckt man ſchwache Spuren ſolcher
ausgelöſchten Konture . Die Gruppen der Erwachen-
den und Erſtandnen zu beiden Seiten des wägenden
Engels ſind zu mannichfaltig um ſie alle zu beſchrei-
ben . Jn der Nähe und Ferne ſteigen die Todten
aus ihren Gräbern , alle drücken das Vorgefühl
ihres nahenden Schickſals aus , ſey es Freude , ſey es
Entſetzen . Auf einem Grabſtein ſteht die Zahl
CCCLXVII , doch wie mir ſcheint von ſpäterer
Hand übermalt , ſo wie auch die Köpfe des Seeligen
in der Waage und des mittelſten der drei Engel
mit der Poſaune ſichtbar aufgemalt ſind .
Dicht hinter dem Erzengel ſtreiten ein Engel
und ein Teufel ſich um den Beſitz einer Seele . Die
unausſprechlichſte Angſt , Schmerz , an Wahnſinn
gränzende Verzweiflung ſpricht zur Linken Michaels
aus den unſeeligen , auf das mannichfaltigſte grup-
pirten , zum Theil dicht zuſammengedrängten Ge-
ſtalten jedes Alters und Geſchlechts . Wunderbar
fantaſtiſche Teufelsfratzen , zum Theil mit ſchönen
Schmetterlingsflügeln , miſchen ſich unter die Ver-
dammten und treiben ſie auf mannichfaltige Weiſe
mit wahrhaft ſataniſcher Freude dem Abgrunde zu .
Selbſt Dantes gewaltige Phantaſie konnte nichts er-
ſinnen was dieſes überträfe . Auf der rechten Seite
hingegen iſt Alles fromme Ruhe und ſeeliges Vorge-
fühl der Himmelsfreuden , das in einigen , beſonders
weiblichen Köpfen ſogar an faſt kindiſch-ſüßlächelnde
Freudigkeit gränzt . Unter einer dicht zuſammen
gedrängten , der Himmelspforte ſich zuwendenden
Gruppe , zeichnet ſich der Kopf eines Negers aus ; in
einer andern , dieſer gegenüber auf der linken Seite ,
wo es auch an tonſurirten Mönchsköpfen nicht fehlt ,
ſteht ein ernſter ſtiller Greis , deſſen Geſicht nur
tiefe Wehmuth , doch weder Schmerz noch Angſt
ausdrückt und der wahrſcheinlich , im Kontraſt mit
jenem getauften Neger , einen der alten tugendhaften
Heiden darſtellt , die , ohne eigentlich verdammt zu
ſeyn , dennoch nach dem Glauben der katholiſchen
Kirche , beſonders dem damaligen , keinen Anſpruch
auf die Seeligkeit des Himmels machen können .
Zwiſchen hohen , dunkeln , zackigen Felſen ;
zu welchen die Flammen des tiefen Abgrundes , von
dem wir im Vorgrunde nur den Eingang erblicken ,
hoch herauflodern , zeigt uns das linke Flügelbild
alles denkbare Entſetzen , alle Verzweiflung , alle
Qual , allen Jammer der linken Seite des Mittel-
bildes , auf das fürchterlichſte geſteigert . Noch
wildere , entſetzlichere Teufel , die aber nie ins
Widerwärtig-Scheußliche ausarten , treiben die
armen Seelen den engen Felſenſteig hinunter ,
zwiſchen Dampf , Flammen und Graus , dem
Abgrund zu . Sie ſtürzen hinten über , ſie fallen
unter einander , über einander , klammern ſich an ,
werden fortgeſchleudert mit entſetzlicher Gewalt .
Die Mannichfaltigkeit der Stellungen aller dieſer
nackten Körper iſt eben ſo unbeſchreiblich , als der
verſchiedene Ausdruck des nämlichen Gefühls in
allen dieſen Köpfen . Dabei ſind die Stellungen
oft in der wunderbarſten Verkürzung , mit einer
Wahrheit gedacht und ausgeführt , die man nur
bewundernd anſtaunen kann .
Der rechte Flügel des Gemäldes zeigt uns ein
prächtiges , mit Säulen geziertes und im gothiſchen
Styl erbautes Portal , durch welches die Seeligen
zur ewigen Freude einziehen . Bildwerke von halb
erhabner Arbeit ſchmücken die Facade und den
Plafond der hochgewölbten Eintritts-Halle . Über
derſelben in einem Giebelfelde iſt auf gleiche Weiſe
die Schöpfung der Eva dargeſtellt ; im Jnnern des
Plafonds Cherubim und Seraphim ; unter dem
Bogen deſſelben , inwendig auf einem Pfeiler ,
Chriſtus als König auf dem Throne ſitzend , zu
ſeinen Füßen das Lamm , rings um ihn die Embleme
der vier Evangeliſten . An zwei großen thurmähnlichen
Pfeilern , zu beiden Seiten der Halle , ſind zehn
Statüen theils ſizender , theils knieender Könige und
heiliger Ordensſtifter angebracht , über ihnen er-
heben ſich zierlich geſchnitzte Baldachine , genau wie
man es an den herrlichſten alten Kirchen ſieht . Alles
dies ſcheint mit ſolcher täuſchenden Wahrheit in
Stein gehauen , und iſt von ſo vollendeter Aus-
führung , daß man ſogar das Geäder des Holzwerks
an der offen ſtehenden Thüre , die Beſchläge der-
ſelben , ja ſogar die einzelnen Nägel erblickt . Hinter
der dieſes Prachtgebäude krönenden Baluſtrade
ſtehen ſingende , muſizirende , jubilirende , Blumen
hinabſtreuende Engel , in reichen Meßgewändern ;
etwas tiefer , auf zweien die Pfeiler umgebenden
Balkonen , auf jedem drei kleine wunderliebliche und
ſchön beſchwingte Engel , ebenfalls in Meßgewän-
dern , welche von Gold und Juwelen ſtrahlen ; drei
von ihnen ſingen aus einem Buche , drei andere
ſpielen die Harfe , die Zither und die Geige . Wolken
umgeben das Gebäude von beiden Seiten , es
ſcheint ſogar auf dieſen zu ruhen , obgleich die letzte
der kriſtall- ähnlichen Stufen , welche zu denſelben
führen , noch die Erde berührt , auf welcher zwiſchen
Kieſeln und Kräutern Diamanten und Rubinen
umhergeſtreut liegen . Acht Geiſtliche haben ſchon
die Stufen erſtiegen , und ziehen , dicht an einander
gedrängt , zur Himmelspforte ein , ſo daß man von
den mehrſten nur die tonſurirten Hinterköpfe erblickt ,
voran prangt einer mit der Tiare , neben dieſer
zeigt ſich ein Kardinalshut . Vier ſehr ſchöne
Engel , in reichen Meßgewändern , mit hohen präch-
tigen Schwingen , bekleiden die Eintretenden mit
geiſtlichen Gewändern , einem der letztern wird eben
die Biſchoffs-Mütze aufgeſetzt . Unten auf der
zweiten Stufe , recht väterlich freundlich und mild ,
ſteht die würdige Geſtalt des heiligen Petrus ; er
hält den großen goldnen Schlüſſel und reicht einem
Greiſe die Hand , welcher die erſte Stufe betritt .
Mehrere Seelige nahen , Männer und Frauen ,
und ein ſehr reich bekleideter Engel , unſern dem
heiligen Petrus , ſteht , bei ihrem Empfange helfend ,
dieſem zur Seite und winkt den Erwählten die
Stufen vollends zu erſteigen .
Mit derſelben Wahrheit , wie auf der linken
Tafel der Jammer der höchſten Verzweiflung , iſt
auf dieſer die Ruhe des Himmels , das freudige
und doch demüthige Erſtaunen beim erſten Gefühl
unausſprechlicher Seeligkeit ausgedrückt . Jeder von
dieſen Köpfen ſcheint Porträt zu ſeyn , alle ſind
ausgeführt wie die feinſte Miniatur , alle leben wie
die Wirklichkeit ſelbſt .
Die vielen nackten Körper ſind in Zeichnung
und Farbe tadellos , doch etwas hager , beſonders
an Armen und Beinen . Man ſieht , daß der
Künſtler nicht Gelegenheit hatte , in dieſer Hinſicht
ſo die Natur zu ſtudiren wie in den Köpfen ,
Händen , Gewändern und allen andern darzuſtellen-
den Gegenſtänden .
Wie auf der Tafel der heiligen Cäcilie und
der ſingenden Engel des Genter Bildes zu Berlin ,
iſt auch auf dieſen der Grund oder die Luft von
wirklichem Golde ; wahrſcheinlich hier wie dort weil
der Glanz des ſich öffnenden Himmels dargeſtellt
werden ſollte , und keine irdiſche Atmoſphäre ,
indem die Erſtehenden und Heiligen ihrer zum
Athmen nicht mehr bedürfen . Alles andre Gold , in
Schmuck , Stickereien und Stoff , wie überhaupt
alles Metall , iſt einzig durch Farben bis zur höchſten
Täuſchung hervorgebracht . Auch die goldne Kugel
unter dem Fuße des Heilandes und die Rüſtung
des Erzengels Michael . Die Art wie ſich in
beiden die äußern Gegenſtände abſpiegeln erinnert
lebhaft an den Spiegel , deſſen Faccius in der Be-
ſchreibung der von Johann van Eyck gemalten Bad-
ſtube erwähnt .
Die Himmelspforte , in allen ihren Theilen ,
in allen ihren Verzierungen , gleicht auf das genaueſte
den architektoniſchen Gegenſtänden , den Tempeln ,
Säulen , und dem erhabnen Schnitzwerk auf den
Gemälden van Eycks in der Boiſſer é eſchen Samm-
lung . So auch die Behandlung der Stickereien ,
der Waffen , des Geſchmeides . Die vor der Him-
melspforte geſtreuten Juwelen und farbigen Edel-
ſteine ſind genau die nämlichen wie die , welche
unter den Füßen der zur Anbetung des Lammes hin-
ziehenden Ritter und Pilger auf den Genter Tafeln
in Berlin hervorſtrahlen .
Die Engel , in ihrer prächtigen Kleidung , ſind
ebenfalls bis in die kleinſten Einzelheiten der Köpfe ,
des Schmuckes , der Goldſtoffe , der Schwingen ,
der ganzen Behandlung der Engel auf den Genter
Bildern auf das vollkommenſte ähnlich ; ja die kleinen
ſingenden und muſicirenden Engelchen auf den Bal-
konen gleichen ſo ſehr den Engelchen auf dem Genter
Bilde , daß man ſie für Miniatur-Porträte der
nämlichen Chorknaben halten könnte , die bei jenen
großen Figuren zum Vorbilde dienten .
Die unbeſchreiblich ſchönen Köpfe der Apoſtel ,
der Mutter Gottes , des heiligen Petrus und Jo-
hannes des Täufers ſind in Farbe , Ausdruck ,
Form , Behandlung der Haare ganz ſo , wie auf
den Tafeln Johann van Eycks in der Boiſſer é eſchen
Sammlung , beſonders erinnert hier Vieles an die
Tafel des heiligen Lukas . So iſt es ferner mit
dem Faltenwurfe der Gewänder , der Behandlung
der verſchiedenartigen Stoffe und des Goldbrokats .
Unter den Köpfen der Seeligen fand ich mehrere ,
die ich auf den Genter Tafeln , unter den Rittern
und Eremiten geſehen zu habe glaube . Die Pracht
der Farben iſt übrigens ganz ſo ſtrahlend wie wir ſie
in allen mir bekannten Gemälden van Eycks be-
wundern müſſen .
Als ich im Frühling des Jahres 1820 nach
einer langen Reihe von Jahren meine Vaterſtadt
wieder beſuchte , eilte ich , ſobald ich es konnte ,
auch dieſes Gemälde wieder zu ſehen . Wenige
Tage vorher hatte ich die Genter Tafeln in Berlin
aufmerkſam betrachtet , im Herbſte des Jahres zuvor
mich in der Boiſſer é eſchen Sammlung an den Mei-
ſterwerken Johann van Eycks aufs neue erfreut ,
und alle dieſe Gemälde ſchwebten noch hell und
deutlich vor meinem innern Auge . Die Ähnlichkeit
des Danziger Bildes mit jenen mir unvergeßlichen ,
beſonders mit denen in Berlin , trat mir im erſten
Moment auf das beſtimmteſte und erfreulichſte ent-
gegen . Die Ueberzeugung , daß dieſes Danziger
Bild unter van Eycks ſchöpferiſchen Händen ent-
ſtand , begründete ſich immer feſter , je öfter und
je länger ich es betrachtete , und ich glaube in
der That daß auch bei Andern jeder Zweifel
ſchwinden würde , ſobald man nur die Genter
Tafeln in Berlin dieſem Bilde gegen über ſtellen
könnte , um ſie mit einander genau zu vergleichen .
Übrigens ſtammen dieſe Tafeln gewiß aus der
7
früheren Zeit der van Eyck , und wurden lange vor
dem Cyklus aus dem Leben der heiligen Jungfrau ,
den die Boiſſer é eſche Sammlung beſitzt , gemalt ;
wahrſcheinlich kurz vor dem großen Altargemälde in
Gent , über welchem Hubert im Jahr 1426 ſtarb .
Kenner mögen entſcheiden , ob ich irre , wenn ich in
Manchem , vor Allem in den Erſtandnen und in den
Teufelsgeſtalten , hin und wieder Huberts Mitwir-
kung ahne . Beſtätigt ſich dies , ſo wäre dieſes
herrliche Gemälde ein Meiſterwerk der vereinten
Kräfte beider Brüder und dadurch für die Ge-
ſchichte der Kunſt von um ſo größerer Bedeutung .
Antonello von Meſſina .
Antonello eilte gleich nach dem Ableben ſeines
großen Lehrers nach Jtalien zurück , und begab ſich
nach Venedig , wo er durch ſeine in den Niederlanden
erlernte Kunſt allgemeine Bewunderung ſich erwarb .
Viele ſeiner Zeitgenoſſen bemühten ſich auf das an-
gelegentlichſte , das Geheimniß des Giovanni da
Brugge von ihm zu erforſchen ; er widerſtand lange
und nur einem Einzigen gab er ſich zulezt hin . Dieſer
hieß Domenico ; ſein Name iſt jezt faſt verſchollen ,
ſeine Werke hat der Strom der Zeiten fortgeriſſen ,
doch war er in ſeinen Tagen ein hochberühmter
Meiſter der kaum im Entſtehen begriffenen venezia-
niſchen Schule . Wie Antonello das Herz des
Johann van Eyck gewann , ſo wußte Domenico das
Herz Antonellos zu gewinnen und dieſer vertraute
ihm nach Verlauf weniger Monde , aus uneigen-
nütziger Liebe , das Geheimniß , welches er für
keinen andern Preis verkauft haben würde .
Beide Freunde arbeiteten von nun an mit
hoher Freude und Luſt ; ihr Ruhm ward groß im
7 *
Vaterlande , doch Antonello erfreute ſich deſſen nicht
lange , vielleicht nur wenige Jahre . Er erhielt
den ehrenvollen Auftrag , einen großen Saal im
Pallaſt der Signoria von Venedig mit ſeiner neu er-
worbnen Kunſt zu ſchmücken , doch er erkrankte und
ſtarb im neun und vierzigſten Jahr ſeines Alters ,
noch ehe er das große Werk beginnen konnte . Auch
Domenico erfreute ſich nicht lange des mit Hülfe
ſeines Freundes erworbnen Ruhms . Ein Maler ,
Namens Andrea dal Caſtagno , wußte ſein Ver-
trauen in ſo hohem Grade zu erſchleichen , daß er
ſich zulezt bewegen ließ , ihm das von Antonello
von Meſſina erlernte Geheimniß der Ölmalerei mit-
zutheilen . Der Lohn dieſes treuherzigen Vertrauens
war ein gewaltſamer , grauſamer Tod , von der Hand
des meuchelmörderiſchen Buben .
So waren Antonello und Domenico beide in
der Blüthe ihrer Kunſt dem Untergange geweiht ,
doch die Ölmalerei war für alle nachkommenden
Zeiten gerettet ; ſie verbreitete ſich von nun
an durch alle Werkſtätte der Maler in ganz Jtalien ,
wo bald darauf die herrlichen Meiſter aufſtanden ,
deren unſterbliche Werke eine bewundernde Nach-
welt als unerreichbar verehrt .
Von Antonellos Gemälden iſt in Jtalien wenig
der zerſtörenden Gewalt der Zeiten entgangen ;
vielleicht das einzige , welches in den Niederlanden
erhalten ward , befindet ſich in der Sammlung des
Herrn von Rotterdamm , Profeſſors der königlichen
Univerſität zu Gent . Dieſes Gemälde trägt die
Unterſchrift : „ 1477 Antonyllus Messaneus me
pinx . “ , und iſt für die Geſchichte deutſcher Kunſt
von unſchätzbarem Werthe , weil durch die dem
Bilde beigefügte Jahrzahl gewiſſermaßen die Zeit
von Johann van Eycks Tode beſtimmt wird . Es
iſt alle Wahrſcheinlichkeit vorhanden , daß Antonello
dieſes Bild noch in Brügge malte , vielleicht kurz
vor Johann van Eycks Tod ; doch wäre dieſes
auch nicht , ſo iſt doch ſo viel gewiß , daß er ſeinen
großen Lehrer nur wenige Jahre überlebte , da er
ſchon weit über die Jünglingsjahre hinaus war ,
als er nach Brügge kam , dort mehrere Jahre ver-
weilte und im neun und vierzigſten Jahr die Welt
verließ . Antonellos Gemälde ſtellt den Heiland
zwiſchen den beiden mit ihm zugleich gekreuzigten
Verbrechern dar . An einem Baum , zur Rechten
des Kreuzes , an welchem der reuige Verbrecher
hängt , lehnt die Mutter , tief verſunken in laut-
loſem Jammer ; ihr gegenüber ſteht Johannes , an-
betend in Liebe und Demuth . Der Ausdruck der
Geſtalt des todten Chriſtus iſt durchaus edel und
ruhig ; die Verbrecher ſind augenſcheinlich in pein-
licher Quaal verſchieden , der zur Linken in gewalt-
ſamen Zuckungen , die der Künſtler zwar furchtbar
darſtellt , doch ohne in das Gräßliche zu fallen . Jm
Mittelgrunde erblickt man einen Theil der Stadt
Jeruſalem , im Hintergrunde das wild empörte
Meer . Jn der Form und dem durchſichtigen
Schimmer der Wogen wollen aufmerkſame Beobach-
ter den Charackter des mittelländiſchen oder adriati-
ſchen Meers erkennen , auch die warmen Töne der
Luft gehören dem leuchtenden Süden . Antonello
hielt mit Liebe und Treue an den Vorzügen ſeines
ſchönen Vaterlandes , aber alles Techniſche in dieſem
augenſcheinlich in Öl gemalten Bilde gehört unwider-
ſprechlich zur Schule Johann van Eycks , und ſo iſt
dieſes Bild , gleichſam als Vereinigungspunkt der
deutſchen und italieniſchen Schule , von hoher Be-
deutſamkeit .
Rogier van Bruͤgge .
Rogier van Brügge , der zweite ſeiner
Schüler , welchem Johann van Eyck das Geheimniß
der Ölmalerei entdeckte , ward ein großer allgeach-
teter Meiſter ſeiner Zeit . Er malte nach der Art
ſeines hohen Lehrers in Eiweiß , Leimfarben und
Öl ; letztere Art die Farben zu bereiten war von
nun an kein Geheimniß mehr , und verbreitete ſich
bald allgemein in den Niederlanden wie in Jtalien .
Rogier war ein trefflicher Zeichner ; der Ausdruck
und die Anmuth , welche er ſeinen Geſtalten zu
geben wußte , verſchafften ihm die allgemeine Be-
wunderung ſeiner Zeitgenoſſen . Er malte meiſten-
theils ſehr große Gegenſtände in Lebensgröße und
war vermuthlich einer der erſten , die ſich der Lein-
wand , ſtatt hölzerner Tafeln , bei ihren Gemälden
bedienten . Denn die auch in jenen Tagen allge-
waltige Mode brachte große bemalte Decken als
einen ſeltnen Gegenſtand des Luxus auf , mit denen
die Wände großer Säle in Palläſten und in öffent-
lichen Gebäuden geſchmückt wurden , ſtatt der ſonſt
üblich geweſenen teppichartigen Tapeten von man-
cherlei Stoffen . Rogier van Brügge zeichnete ſich
beſonders in dieſer Gattung von Malerei aus , und
viele Stadthäuſer , Kirchen und Privatgebäude in
den Städten der Niederlande prangten noch lange
nach ſeiner Zeit mit koſtbaren Gebilden von ſeiner
kunſtreichen Hand . Das Jahr ſeines Todes iſt un-
bekannt . Karl von Mander erwähnt eines Gerüchts
welches ihn ſogar in der Mitte des ſechzehnten
Jahrhunderts als noch lebend verkündigte , doch
dünkt ihm dieſes ſelbſt zu unwahrſcheinlich , und
er zieht vor , dieſe Sage , nach Art der damaligen
Zeit , auf die unſterbliche Kunſt des Meiſters alle-
goriſch zu deuten .
Rogier van der Weyde .
Descamps , und Fuesli nach ihm , erwähnen
eines Schülers van Eycks unter dem Namen Rogier
van der Weyde oder Rogier Bruxellenſis , deſſen
Geburtsjahr ſie aber wunderlich genug auf das Jahr
1480 beſtimmen , während ſie Johann van Eyck ,
bei dem er nach ihrer Ausſage gelernt haben ſoll ,
ſchon im Jahr 1441 ſterben laſſen . Eine faſt bei-
ſpielloſe Unachtſamkeit , die zugleich die Möglichkeit
des Jrrthums bezeugt , der ſie verleitete , uner-
achtet aller oben ſchon angeführten Beweiſe für eine
weit ſpätere Zeit , das Jahr 1441 als das Sterbe-
jahr Johann van Eycks beſtimmt anzunehmen .
Wahrſcheinlich irrte ſie oder ihre Vorgänger die
Form der alten Zahlen . Die Zahl ſieben ward in
früherer Zeit wie eine umgekehrte römiſche Fünfe
geſchrieben , und 14Λ0 kann in alten vergelbten
und ſtaubbedeckten Manuſkripten von Unkundigen
oder Achtloſen leicht für 1440 ſtatt 1470 angeſehen
worden ſeyn .
Ohne ihn genauer als Johann van Eycks
Schüler zu bezeichnen , erwähnt Karl von Mander
dieſes Rogier van der Weyde , als eines mit hoher
Kunſt reich begabten alten Meiſters aus der letzten
Hälfte des funfzehnten und der erſten des ſechzehn-
ten Jahrhunderts , der viele bedeutſame Gemälde
von reicher Erfindung und bewundernswerthem Aus-
druck in Öl malte . Vier große hiſtoriſche Tafeln
von ſeiner Hand ſchmückten den Gerichtsſaal des
alten prächtigen Rathhauſes zu Brüſſel , welche alle
die ſtrengſte Ausübung unbeugſamer Rechtspflege
bildlich darſtellten . Auf einer derſelben ſah man
einem Vater und ſeinem Sohne , jedem ein Auge
ausreißen , weil einer von ihnen wegen eines Ver-
brechens beide Augen zu verlieren verurtheilt war ,
und dies furchtbare Urtheil nur dadurch gemildert
werden konnte , daß die Gerechtigkeit ſich bewegen
ließ , beide durch innige Liebe Verbundene wie
Eine Perſon anzuſehen . Auf einem andern dieſer
Gemälde mordet ein ſterbend auf dem Krankenbette
hingeſtreckter Vater mit eigner Hand den verbreche-
riſchen Sohn , zur Sühne des Geſetzes . Wie
himmliſch klar und rein erſcheint dagegen Johann
van Eyck , deſſen ewig heitre Phantaſie ſolche Greuel-
bilder nie aufzufaſſen vermochte ! Dennoch erwarben
dieſe Gemälde Rogiers van der Weyde durch
Wahrheit des Ausdrucks allgemeine Bewunderung ,
obgleich Schauer und Entſetzen von ihnen ausging .
Beſonders wurde der gelehrte Lampſonius während
ſeines Aufenthaltes in Brüſſel nicht müde ſie zu
betrachten und zu preiſen . Ein Altarblatt für die
Marienkirche in der Stadt Löwen ward für das
größte Meiſterwerk Rogiers van der Weyde ge-
halten . Es ſtellte die Abnehmung vom Kreuze dar .
Auf zweien an das Kreuz gelehnten Leitern ſtehen
zwei Männer und laſſen den in ein leinenes Tuch
gefaßten todten Chriſtus in die Arme Joſephs von
Arimathia und eines Gehülfen hinabgleiten , während
die heiligen Frauen und Johannes die in Ohn-
macht hingeſunkne Mutter des Heilandes unterſtützen .
So wie Johann van Eycks berühmtes Altar-Ge-
mälde in Gent , ſo erregte auch dieſes die Habſucht
Philipps von Spanien , er ließ es ebenfalls durch
Michael Coxies kopieren , nahm aber diesmal das
Original und ließ den Bürgern von Löwen die
Kopie .
Das Schiff , welches die Gemälde nach Spanien
führen ſollte , ſcheiterte an der ſpaniſchen Küſte ,
und das Bild fiel ins Meer , ward aber wieder ge-
borgen , und war zum Glück ſo gut verwahrt , daß
ihm das Seewaſſer nur wenig hatte ſchaden können .
Ein Umſtand der die Möglichkeit deſſen bezeugt ,
was die Sage von dem Danziger Bilde erzählt .
Rogier van der Weyde ward endlich ſehr reich
durch ſeine Kunſt . Einige ſeiner beſten Gemälde
für die Königin von Spanien wurden mit einem be-
deutenden lebenslänglichen Einkommen belohnt ,
und er erwarb auch ſonſt noch viel von den Großen
ſeiner Zeit , die ſeine Arbeiten fürſtlich bezahlten .
Er wandte ſeinen Reichthum auf die edelſte Weiſe
zur Unterſtützung Armer und Nothleidender an , ward
allgemein geliebt und verehrt bis an ſeinen Tod , und
ſtarb im Herbſt des Jahres 1529 , an einer peſt-
artigen Krankheit , welche damals in den Nieder-
landen wüthete und viele tauſend Menſchen hin-
wegraffte . Man nannte dieſes Uebel zu jener Zeit
die engliſche Krankheit .
Hugo van der Goes .
Johann van Eycks eignes unabläſſiges Vor-
wärtsſtreben auf ſelbſt gebrochner Bahn machte ihn
wahrſcheinlich zur Annahme einer großen Anzahl von
Schülern wenig geneigt . Es ſcheint , als ob nur
ein beſtimmt hervorragendes Talent ihn bewegen
mochte ſich der Mühe des Lehrens zu unterziehen ,
denn auſſer Antonello von Meſſina und Rogier
van Brügge kennen wir mit einiger Gewißheit nur
noch Hugo van der Goes unter dem ehrenvollen
Namen ſeines Schülers .
Nur wenig aus dem Leben dieſes Hugo iſt bis
auf unſre Zeiten gekommen ; man weiß nur , daß
er um das Jahr 1480 die von Johann van Eyck
erlernte Kunſt mit großem Glück und ſeltnem Ge-
lingen in den Niederlanden , beſonders in Gent ,
übte , und ſich als deſſen würdiger Nachfolger Ruhm
und Ehre erwarb . Wahrheit in Zeichnung , Zu-
ſammenſtellung und Ausdruck ſeiner Figuren , Vol-
lendung im Größten wie im Kleinſten , zeichneten
ſeine Arbeiten aus , und erhoben ihn zu einem der
erſten Meiſter ſeiner Zeit und ſeines Vater-
landes .
Seine Lehrerin in der Darſtellung weiblicher
Geſtalten , in welcher nach dem Urtheil der damali-
gen Kunſtkenner es niemand ihm gleich that , war
die heiße innige Liebe zu Jakob Weytens , eines
Bürgers von Gent , ſchöner Tochter . Dieſem ge-
liebten Mädchen zu Ehren umſtralte alle ſeine
Frauenbilder eine nur ihm eigne unbeſchreibliche
Anmuth , neben der züchtigſten Beſcheidenheit in
Stellung und Ausdruck . Ein in Öl auf einer Wand
im Hauſe des Vaters ſeiner Geliebten gemaltes
Bild zeichnete in dieſer Hinſicht beſonders ſich aus .
Es ſtellte die kluge Abigail dar , wie ſie , begleitet
von ihrer weiblichen Hausgenoſſenſchaft , dem hoch-
erzürnten , auf einem ſtolzen Roſſe einher reitenden
König David mit ſanfter Überredung entgegen tritt
und durch weibliche Milde ſeinen ſtrengen Sinn be-
ſiegt . Auf dieſem Bilde prangte auch das nach dem
Leben gemalte ſehr ähnliche Porträt der ſchönen Ge-
liebten des Malers , und der Glückliche empfing
dafür mit ihrer Hand den lang erſehnten Lohn .
Lukas de Heere , welcher Johann van Eycks
Meiſterwerk in Gent beſungen hatte , weihte auch
dieſem Bilde einige nach Art ſeiner Zeit ſinnreiche
Reime , in welchen er die Frauen von Gent auf
Hugos van der Goes Gemälde verweiſt , um An-
muth und Beſcheidenheit zu lernen , und zuletzt be-
hauptet , daß dieſes Meiſters Frauenbilder nur
einen einzigen bei ihrem Geſchlecht ſeltnen Fehler
beſäßen , den , nicht zu ſprechen .
Ein kleines , kaum anderthalb Fuß hohes
Bildchen Hugos van der Goes , in der Jakobs-
kirche zu Gent , ſtellte die heilige Jungfrau mit dem
Kinde in aller ihrer Holdſeligkeit dar , und war
bis auf die kleinſten Blümchen , Kräuter und Kieſel
im Vorgrunde mit unausſprechlich zarter Vollendung
ausgeführt . Ein anderes ſeiner Gemälde im Ma-
rien-Kloſter zu Gent ſtammte aus ſeiner früheſten
Zeit ; der Stoff dazu war aus der Legende der
heiligen Katharina entlehnt , und auch dieſe ſeine
Jugendarbeit erwarb ihm ſchon allgemeine Bewun-
derung . Von allen dieſen Bildern iſt uns leider nur
die Kunde ihres ehemaligen Daſeyns geblieben ,
und überhaupt mögen wohl nur wenige dieſes alten
Meiſters bis auf unſre Tage gekommen ſeyn ; doch
beſitzt die Boiſſer é eſche Sammlung eines oder mehrere
derſelben , von denen mir aber nichts näheres
bekannt iſt .
Herr Hofrath Hirt erwähnt mit großem Lobe
eines Gemäldes von Hugo van der Goes , welches
er in Florenz fand , und deſſen Anſchauen ihn bewog
das erwähnte Danziger Bild mit Beſtimmtheit für
eine Arbeit deſſelben zu erklären . Ohne hierüber
entſcheiden zu wollen , kann dieſe Anſicht eines ſo
berühmten Kunſtkenners wenigſtens als Beleg der
hohen Vortrefflichkeit ſowohl jenes Florentiner Ge-
mäldes , als überhaupt der Arbeiten Hugos van der
Goes dienen , und zugleich die täuſchende Ähnlich-
keit ſeiner Art zu malen mit der ſeines hohen Lehrers
beweiſen . Eines der vorzüglichſten Gemälde Hugos ,
eine Kreuzigung , welche den Altar der Jakobs-
Kirche in Gent noch zu Karl von Manders Zeiten
ſchmückte , ward damals wie durch ein Wunder vom
gänzlichen Untergange gerettet . Lange Zeit war
es gleich einem köſtlichen Kleinod ſehr hoch gehalten ,
8
und ſelbſt die Bilderſtürmer jener Tage hatten nicht
gewagt es zu berühren . Es ſtand ruhig uud ſicher
an heiliger Stätte , bis man zulezt den Entſchluß
faßte , die Kirche alles katholiſchen Schmucks zu
berauben und ſie für irgend eine der proteſtanti-
ſchen Sekten einzurichten , welche damals mit ihren
Predigten das Land durchzogen . Selbſt das Al-
tar-Gemälde durfte dießmal ſeinen Standort nicht
behalten , es ward herabgenommen , und ein
Maler , ein Kunſtverwandter , deſſen Namen Karl
von Mander aus zu großer Schonung verſchweigt ,
gab bei dieſer Gelegenheit den unbegreiflich heilloſen
Rath , die ſchöne Holztafel des köſtlichen Gemäldes
zu benutzen und das Bild mit ſchwarzer Farbe zu
überziehen , um in goldnen Buchſtaben die zehn Ge-
bote darauf zu ſchreiben . Der Frevel ward wirklich
vollbracht , doch zum Glück hatte Hugo gemalt wie
er es von ſeinem Meiſter gelernt hatte ; die Farben
waren ſehr fein und dünne auf einem ſehr feſten ,
glatt abgeſchliffnen Grund aufgetragen , und die
mit fetten Ölen bereitete ſchwarze Farbe vermochte
eben ſo wenig , als das Gold , auf dieſer ſpiegelglat-
ten, von der Zeit noch mehr gehärteten Fläche zu
haften ; das Bild wurde bald darauf von beſſer
Geſinnten mit großer Sorgfalt wieder gereinigt ,
und trat nach kurzer Verfinſterung von neuem hell
und unverſehrt hervor .
8 *
Hans Hemling , zuweilen auch Mem-
meling genannt .
Wohl noch nie reihte ſich der Name des
Jüngers mit beſſerm Rechte an den ſeines ihm vor-
angeſchrittnen Meiſters , als der Name Hans
Hemling an den Namen Johannes van Eyck . Nur
der Zeitfolge nach iſt er der zweite nach jenem ,
ſonſt ſteht er überall dicht neben ihm , ja man
möchte ſagen , zuweilen über ihm , wenn es dem
Talent möglich wäre , ſich höheren Flugs zu erhe-
ben als jener Rieſengeiſt , der erſt den Raum ſich
ſchaffen mußte , in welchem er ſich nachher ſo kühn
und frei bewegte . Wahrheit , Anmuth , pünktliche
Treue bei höchſter Freiheit , tief gefühlter Ausdruck ,
Vollendung im Höchſten wie im Kleinſten bei licht-
heller Klarheit , Poeſie der Erfindung ohne eine
Spur von Phantaſterei oder geſuchtem Weſen , kurz
Alles , was wir bei Johann van Eyck ſtaunend be-
wundern , ſtralt auch aus Hans Hemlings Werken
uns blendend entgegen . Mit allem dieſem vereinte
er noch die aus der byzantiniſchen Zeit ſtammende
höhere Korrektheit der Kompoſition , welche Johann
van Eyck , hingeriſſen vom eignen Schöpfungs-
triebe , nicht immer beachtete .
Hemlings ganzes Weſen war Poeſie , durch
ſie ward jedes ſeiner Gemälde zum lebenhauchen-
den Gedicht , und viele derſelben ſind gemalte Epo-
peen , wie nur die erſten Sänger aller Zeiten ſie
in Worte zu faſſen vermochten . Selten genügte
ihm die Gegenwart des Augenbliks den er darſtellen
wollte , er ſuchte Vergangenheit und Zukunft ihm
anzureihen , und benutzte dazu den damaligen Kunſt-
gebrauch , die nämlichen Geſtalten welche die Haupt-
gruppe eines Gemäldes bilden , nach Maasgabe
der Ferne verkleinert , und in den verſchiedenartig-
ſten Situationen , auf den entferntern Gründen ſeiner
Tafel wieder anzubringen . Ein weites unabſeh-
bares Feld , das er freudig zu benutzen wußte ,
ward ihm hierdurch geöffnet , und viele ſeiner
größern Gemälde wimmeln von ſolchen epiſodenar-
tigen Darſtellungen . Der geläuterte Geſchmack
unſrer Zeit verwirft dieſe damals durchaus übliche
Freiheit der alten Maler , und zwar mit Recht ;
aber gewiß wird keiner im Angeſichte der Schöpfun-
gen Hemlings ſie unbarmherzig zu verdammen ver-
mögen , denn wer wollte dem wahrhaft Schönen
das Recht zu exiſtiren ſtreitig machen , es ſey in der
Wirklichkeit oder in der Kunſt .
Von den Schickſalen , welchen Hans Hemling
während der Laufbahn ſeines Lebens begegnete , iſt
nur wenig Geſchichtliches auf unſre Zeiten gekommen ;
war ja doch ſein Name bis vor wenigen Jahren
unter uns faſt verſchollen ! Doch ſeine Arbeiten ,
deren eine verhältnißmäßig große Anzahl uns erhal-
ten ward , gewähren uns Andeutungen ſeines
Lebens , welche , verglichen mit dem , was wir
beſtimmt von ihm wiſſen , wenigſtens die Haupt-
epochen und merkwürdigſten Begebenheiten deſſelben
mit einiger Sicherheit bezeichnen .
Nach Einiger Behauptung ward Hans Hemling
in dem ohnweit Brügge liegenden Orte Damm
geboren , nach Andern in jener alt berühmten Stadt
ſelbſt ; doch eine vom Herrn von Laßberg zu Ep-
pishauſen , ohnweit Konſtanz , aufgefundne und den
Herren Boiſſer é e mitgetheilte Handſchrift macht es
neuerdings wahrſcheinlich , daß er kein Niederländer
war , ſondern eigentlich aus Konſtanz ſtammte .
Dieſe Handſchrift , eine um das Jahr 1386
geſchriebne Elſaſſer Kronick , ward vor kurzem von
Herrn von Laßberg in Konſtanz gekauft , und er
fand auf den letzten Blättern des Buchs das von
ſpäterer Hand geſchriebne Stammregiſter eines
Hans Hemling nebſt Familienereigniſſen , wie man
dieſe in jener Zeit gewöhnlich in Bibeln oder andern
werthgeachteten Büchern aufzuzeichnen pflegte .
Dieſes Stammregiſter beginnt mit dem Großvater
Rudin Hemling , geboren 1342 , geſtorben 1424 .
Dem folgt der Vater Conrad Hemling , geboren
1394 , geſtorben 1448 , und deſſen Ehefrau ,
Margareth Bruſchin , geſtorben 1448 . Auf dieſen
folgen ſechs Kinder dieſes Ehepaars , unter denen
Hans Hemling der vorletzte , im Jahr 1439 ge-
boren iſt . Die Familienereigniſſe ſind bis in das
Jahr 1490 fortgeſetzt , in welchem der Tod eines
der Geſchwiſter angezeigt iſt , und nach Herrn von
Laßbergs Verſicherung war das Geſchlecht der
Mutter Margareth Bruſchin und das des Gatten
einer der Töchter , Hans Hubſchlin , in der Gegend
von Konſtanz einheimiſch ; letzteres blüht dort ſogar
noch bis auf den heutigen Tag . Die in dieſen Ge-
ſchlechtsnachrichten enthaltnen Zeitbeſtimmungen
paſſen übrigens recht gut zu dem , was wir ſonſt
noch von dem Leben Hemlings wiſſen , ſo auch
der Name . Auf zweien ſeiner in Brügge be-
findlichen Gemälde , von denen weiterhin ausführ-
licher die Rede ſeyn wird , ſchrieb er , opus Jo-
hannis Hemling , anno 1479 , und nicht Hemme-
linck , wie Descamp , mit ſeiner gewohnten franzö-
ſiſchen Flüchtigkeit , es berichtet ; ſein eignes Bild ,
welches er auf einer dieſer Tafeln anbrachte , hat
augenſcheinlich das Anſehen eines höchſtens vierzig
Jahr alten Mannes , was ebenfalls mit dem Ge-
burtsjahr 1439 vollkommen zuſammentrifft . Auſſer
dieſen Familiennachrichten finden ſich in der Kronick
mehrere von dem Verfaſſer derſelben nicht ange-
führte Denkwürdigkeiten der Stadt Konſtanz , von
derſelben Hand , welche jene Nachrichten ſchrieb ,
hinzugefügt , auch eine Aufzählung der Biſchöfe von
Konſtanz , bis auf Heinrich von Hoewen , welcher
von 1439 bis 1475 dieſe Stelle bekleidete .
Ein zweiter Zuſatz kommt in der Kronick bei
Friedrich von Blankenheim vor , mit welchem
Königshoven , der Verfaſſer derſelben , die Reihe
der Strasburger Biſchöfe ſchließt . Dieſer ge-
langte um das Jahr 1393 zum Bisthum Utrecht ,
welchem er bis zum Jahr 1423 vorſtand , und
jener Zuſatz hat hauptſächlich Bezug auf dieſe
Veränderung . Hieraus ſowohl , als dadurch daß
derſelbe in niederländiſcher Sprache geſchrieben iſt ,
geht hervor , daß dieſes Exemplar der Kronick eine
Zeitlang in Utrecht war , und ſo wird es erklärt ,
wie das Buch ſelbſt in die Hände des in den Nie-
derlanden lebenden Malers Hans Hemling kommen
konnte .
So wie jetzt junge Künſtler nach Rom gehen
um ihr Talent auszubilden , ſo wanderten in ältern
Zeiten die Lehrlinge nach den Niederlanden , wo
ſchon im dreizehnten Jahrhundert in Köln und
Maſtricht die berühmteſten Malerſchulen Deutſch-
lands blühten . Jm funfzehnten Jahrhundert zog
der große Ruhm Johann van Eycks alles an ſich ,
um ſo mehr da der Reichthum und die Pracht der
niederländiſchen Städte der Ausübung bildender
Kunſt die günſtigſten Ausſichten boten . Es iſt alſo
um ſo leichter erklärbar , wie Hans Hemling gerade
nach Brügge kam , da deſſen Lehrjahre eben in die
Zeit fielen , in welcher Johann van Eyck die höchſte
Stufe ſeiner Kunſt und ſeines überall verbreiteten
Ruhmes erreicht hatte . Ob Hemling wirklich
des Glücks theilhaftig ward , unter die kleine Zahl
der eigentlichen Schüler des großen Meiſters auf-
genommen zu werden , läßt ſich freilich nicht mit diplo-
matiſcher Gewißheit behaupten , aber daß es mehr
als wahrſcheinlich iſt , davon wird jeder , der Hem-
lings Gemälde mit denen von Johann van Eyck zu
vergleichen Gelegenheit hatte , ſogleich durch den
Augenſchein überzeugt .
Der gelehrte Jacopo Morello , Aufſeher der
Bibliothek St. Marco zu Venedig , gab im Jahr
1800 das Tagebuch eines anonymen Reiſenden aus
dem ſechzehnten Jahrhundert heraus , unter dem
Titel : Notizia d' opere di disegno della prima
meta del Secolo XVI esistenti in Padova , Cre-
mona , Milano , Pavia , Bergamo , Crema e Ve-
nezia . Scritta da un anonimo di quel tempo ,
publicata e illustrata da Jacopo Morello . Dieſer
Reiſende erwähnt mehrerer trefflicher Gemälde
eines ultramontaniſchen Künſtlers , die er in
Padua und Venedig geſehen , und den er Memelino
oder Memelingo nennt . Daß hiermit kein andrer
als Hemling gemeint ſeyn kann , leidet keinen
Zweifel ; denn ſelbſt Karl von Mander nannte ihn
Memmelinck , indem ſein an die niederländiſche
Sprache gewöhntes Ohr , ſowohl den Anfangs-
buchſtaben als den letzten ſeines Namens verwech-
ſelte . Eines dieſer Gemälde , welche der Reiſende
alle näher beſchreibt , trug die Jahrzahl 1470 , ein
anderes , und zwar das Porträt Jſabellens von
Portugal , war ſeiner Ausſage nach mit der Jahrzahl
1450 bezeichnet . Dieſes wäre denn freilich das
älteſte von dieſem Meiſter , das wir kennen , und
ſein Daſeyn wäre ein wichtiger Grund gegen die
ſonſt wahrſcheinliche Vermuthung , welche ſein Ge-
burtsjahr auf 1439 beſtimmt , wenn ſich hier nicht
eine abermalige Verwechſelung des im funfzehnten
Jahrhundert üblichen Zeichens Λ für ſieben , mit
der römiſchen V vermuthen ließe , ſo daß man 1450
ſtatt 1470 las , welche Jahrzahl mit allem Übrigen
was wir von Hemling wiſſen , vollkommen überein-
ſtimmt .
Dieſe Gemälde ſind wahrſcheinlich alle längſt
untergegangen , wenigſtens nicht mehr an den Orten
zu finden , wo jener Reiſende vor mehr als zwei-
hundert Jahren ſie antraf . Doch aus ihrem einſti-
gen nicht zu bezweifelnden Daſeyn , aus den Ähn-
lichkeiten mit den antiken Pferden des Markus-
platzes von Venedig , aus den Abbildungen des
Koliſäums und andrer römiſchen Alterthümer , welche
wir in Hemlings ſpätern Arbeiten antreffen , geht
wenigſtens die höchſte Wahrſcheinlichkeit hervor ,
daß er in ſeiner Jugend Jtalien geſehen habe , wo
freilich damals ſelbſt Raphaels Lehrer , Pietro Peru-
gino , wohl kaum geboren war .
Vielleicht ſtand Hemling mit Antonello in Ver-
bindung , deſſen Bekanntſchaft er in Brügge gemacht
haben mußte , und kehrte nach einem Beſuche bei
ihm wieder nach Brügge zurück , wo er nach längſt
überſtandnen Lehrjahren , zünftig und anſäſſig
war . Wenigſtens ſpricht der Umſtand für dieſe
Vermuthung , daß Morellos anonymer Reiſende
Hemlings Arbeiten nur in Venedig und Padua
antraf , und ſonſt in keiner italieniſchen Stadt .
Die Miniaturmalerei , dieſer jetzt ſo ſehr ver-
nachläſſigte und geſunkene Zweig der Kunſt , ſtand
damals ſo hoch , daß ſelbſt Meiſter wie Hemling ihn
nicht verſchmähen durften ; der anonyme Reiſende
liefert uns einen Beweis davon in der Beſchreibung
eines koſtbaren lateiniſchen Manuſcripts , welches
noch gegenwärtig in Venedig aufbewahrt wird .
So wie wir den prunkvollen Gottesdienſt der katho-
liſchen Kirche überhaupt als den Quell der Erhal-
tung moderner Kunſt anzuſehen haben , ſo verdankte
damals beſonders die Miniaturmalerei unendlich viel
dem Luxus und der Pracht , welche in jenen Zeiten
Fürſten und vornehme Geiſtliche mit ihren Gebet-
büchern trieben . Mehrere bedeutende Meiſter
vereinten ſich gewöhnlich um einige Blätter Perga-
ment durch ihre Kunſt zu einem unſchätzbaren Kleinod
zu erheben , und ein ſolches Buch ging hernach viele
Generationen hindurch , in Fürſtenhäuſern und
Klöſtern als ein köſtlicher Schatz von einem Erben
auf den andern . Eine kurze Geſchichte des Gebet-
buchs , von dem eben die Rede iſt , mag hier zum
Belege davon dienen . Morellos anonymer Reiſende
fand es im Beſitz des Kardinal Grimano , der es
von einem Sicilianer , Meſser Antonio , für die
damals ſehr beträchtliche Summe von fünfhundert
Zechinen erkauft hatte . Bei ſeinem Ableben hinter-
ließ der Kardinal dieſes Buch ſeinem Neffen , Ma-
rino , Patriarchen von Aquileja , doch mit der Be-
dingung , daß es nach deſſen Tode dem Staate
zufallen und in der Schatzkammer aufbewahrt
werden ſolle . Marinos Nachfolger , der Patriarch
Giovanni Grimaldi , erhielt indeſſen von der Sig-
noria die Erlaubniß , es ebenfalls Zeitlebens be-
halten zu dürfen , und übergab es erſt kurz vor
ſeinem Tode dem Staat in einem beſonders dazu
verfertigten , mit Edelſteinen und Gemmen reich
verzierten Käſtchen von Ebenholz . Lange ward
darauf das Buch in der Bibliothek St. Marco mit
großer Sorgfalt bewahrt , doch kam es ſpäter in
den Kirchenſchatz von St. Marco , wo es ſich noch
befindet , aber leider nicht mehr ganz unbeſchä-
digt erhalten . Dennoch weiß Morello ſelbſt noch
jetzt kaum Worte für deſſen Pracht und Herrlichkeit
zu finden .
Dieſes Buch iſt in klein Folio auf dem feinſten
Pergament geſchrieben . Alle große Buchſtaben
deſſelben ſind mehr oder weniger mit Gold und
kleinen Figürchen verziert , alle Ränder der Seiten ,
der Länge nach , mit wunderſchönen Arabesken ,
Blumengewinden , Früchten , Vögeln und ähnlichen
Gegenſtänden . Einzelne Blätter , welche die Ab-
ſchnitte bezeichnen , ſind ganz mit Darſtellungen
aus der Legende der Heiligen in der feinſten Minia-
tur angefüllt , auf andern ſind die zwölf Monate
abgebildet , unter denen der Februar als vorzüglich
ſchön bewundert wird . Landſchaften und Gebäude ,
auch die Geſtalten ſelbſt tragen augenſcheinlich das
Gepräge des Flammändiſchen National-Charackters ,
und der Ausdruck , die Kompoſition , die richtige
Zeichnung der kleinen hiſtoriſchen Gemälde ſind in
dieſem ſehr verjüngten Maaßſtab nur um ſo bewun-
dernswerther . Nach dem Berichte des anonymen
Reiſenden befinden ſich in dieſem Buch einhundert
fünf und zwanzig Miniaturen von Girardo da Guant ,
wahrſcheinlich Gerhard van der Meire , einem mit
Hemling gleichzeitig lebenden vorzüglichen Maler aus
Gent ; ein hundert fünf und zwanzig andre Ge-
mälde ſind von einem Maler , den der Reiſende
Lievino d' Anverſa nennt , mit dem eigentlich wohl
Liever de Witt aus Gent , oder auch Hugo von
Antwerpen gemeint iſt , und mehrere ſind von
Zuan Memelin , Johann Memeling , deren Zahl
aber , wahrſcheinlich wegen einer Undeutlichkeit im
Manuſcript , in Morellos Ausgabe dieſes Tage-
buchs nur mit Punkten ausgedrückt iſt .
Ein anderes , dieſem völlig ähnliches , lateini-
ſches Gebetbuch , von ungefähr einhundert und
ſiebenzig Blätter in Quart , befindet ſich in der
ſchönen und merkwürdigen Gemälde-Sammlung des
Herrn Paſtors Fochem in Köln . Es ward zu Ende
des funfzehnten Jahrhunderts ebenfalls auf Perga-
ment geſchrieben , und ſtammt , wie der Beſitzer
deſſelben mit hoher Wahrſcheinlichkeit vermuthet ,
aus dem Nachlaſſe Katharinens von Medicis , welche
ſich zuletzt in Köln aufhielt . Jn dieſem Buche ſind
nicht nur alle große Anfangsbuchſtaben , ſondern
auch die Zwiſchenräume der abgeſetzten Zeilen auf
das allerzierlichſte mit Gold und Farben ausgemalt ;
den äußern Rand jeder Seite ſchmückt ein vierecki-
ges Feld , ſo lang als die geſchriebne Kolonne und
etwa ein Drittel ſo breit . Jn dieſem Felde ſind
auf mattem Goldgrund in glänzenden Farben
mancherlei Blumen , Vögel , Früchte und Ara-
besken höchſt zierlich gemalt . Die Anfänge der
Kapitel und Gebete ſind mit großen hiſtoriſchen
Gemälden geſchmückt , zu welchen die bibliſche Ge-
ſchichte und die Legenden der Heiligen den Stoff
boten . Reichthum der Erfindung , Wahrheit und
Anmuth der Anordnung , der Behandlung der Ge-
wänder und Landſchaften geben allen dieſen im
Geiſte und Styl Hemlings ausgeführten Miniaturen
einen hohen Werth . Aber die Namen der Meiſter ,
welche mit ihm zu dieſem Werke ſich vereinten ,
ſind eben ſo ſchwer auszumitteln , als es ſich be-
9
ſtimmen läßt , welche Blätter ausſchließend von
ſeiner Hand ſich unter den vielen befinden mögen .
Nur einem dieſer Gemälde , der Krone von allen ,
hat er unverkennbar den Stempel ſeines Genius
aufgedrückt , und zwar einer Darſtellung des Pfingſt-
feſtes . Hände und Gewänder ſind auf dieſem
Bildchen vorzüglich ſchön . Die Köpfchen alle , un-
erachtet des kleinen Raumes , voll Geiſt und Aus-
druck , und einige der Apoſtel gleichen auffallend
denen auf einer Darſtellung des nämlichen Gegen-
ſtandes in der Boiſſer é eſchen Sammlung , welche
jedoch in der Anordnung von dieſer völlig abweicht .
Jn einem altdeutſch verzierten Betſaal mit Kanzel
und Betſtühlen ſieht man auf dieſem Bildchen die
Apoſtel verſammelt . Die Taube ſchwebt mitten
im Saal ; Maria , Johannes , und noch zwei Apo-
ſtel knieen im Vorgrunde vor einem kleinen Pult ,
in einem Betſtuhl zur Seite drei andre Apoſtel ,
und dieſen gegenüber auf der andern Seite noch
einer . Jm Hintergrunde unter der Kanzel ſind
noch zwei Apoſtel , ein dritte r , der ſich verſpätete ,
kommt eben erſt die Treppe herab ; in der geöffneten
Thüre , welche den Blick ins Freie gewährt , ſtehen
noch einige Jünger , und alles dieß iſt in dem be-
ſchränkten Raume eines kleinen Pergament-Blätt-
chens höchſt vollendet , wahr und ausdrucksvoll dar-
geſtellt .
Ob Hemling in Köln ſelbſt zum Schmuck
dieſes ſeltnen Buches beitrug , läßt ſich nicht mit
Gewißheit behaupten , wohl aber geht aus ſeinen
andern Werken hervor , daß er in jener ehrwürdigen
Stadt , der Wiege und dem Sitz altdeutſcher Kunſt ,
ſich lange aufhielt und Wilhelms von Köln Mei-
ſterwerke für ſeine Kunſt fleißig benutzte . Ueber-
haupt muß er geraume Zeit an den Ufern des
Rheines verweilt haben ; die treffenden Abbildun-
gen von Kirchen , Klöſtern und alten Gebäuden
aus Köln , die wir in ſeinen Werken antreffen , be-
weiſen dieß eben ſowohl , als ſeine vielen Landſchaf-
ten , in welchen man die Ufer des Rheins durchaus
wieder erkennt . Auch die Urbilder zu den Geſtal-
ten auf dem großen Werk , in welchem er das
Leben der heiligen Urſula bildlich darſtellte , und
welches in dieſen Blättern ſpäterhin ausführlich
9 *
erwähnt werden ſoll , ſind augenſcheinlich weder
in Jtalien noch in Flandern , wohl aber noch jetzt
an den Ufern des Rheines einheimiſch zu finden .
Hemlings Leben fiel in eine trübe , wilde Zeit ,
voller Streit , Zwietracht und Unheil aller Art , und
auch er konnte ihrer fürchterlichen Einwirkung nicht
entgehen . Wahrſcheinlich zog er , im Gefolge Karls
des Kühnen , als Maler mit in das Feld gegen
die Schweizer . Johannes von Müller gibt uns in
ſeiner Geſchichte der Schweiz eine Beſchreibung der
faſt unglaublichen Pracht und Herrlichkeit der Zu-
rüſtungen jenes Fürſten zu dieſem Kriege , zufolge
welcher der größte Theil ſeines Hofes und ſeine
ganze Dienerſchaft den Herzog damals begleiten
mußte . Gewiß befanden ſich mehrere Maler darunter ,
denn ſie durften in jener Zeit in keiner Hofhaltung
großer Herren fehlen . Und was wäre denn wohl
natürlicher anzunehmen , als daß der prachtliebende
Fürſt den in ſeiner Hauptſtadt anſäßigen , nach dem
Tode Johann van Eycks , größten Meiſter in allen
Oberdeutſchen und Niederdeutſchen Ländern , für
ſeinen Dienſt zu gewinnen wußte ? Vielleicht ſuchte
Hemling , als Krieger gekleidet , nach der Flucht
bei Granſon oder Murten die Heimath wieder
auf , vielleicht that er auch wirklich Kriegsdienſte ,
nachdem er die Niederlage ſeines Fürſten geſehen ,
und floh erſt nach der unglücklichen Schlacht die im
Jahr 1477 am ſechſten Januar bei Nancy geſchlagen
ward , in Noth und Ungemach mitten im härteſten
Winter nach Hauſe . Gewiß iſt es , daß um dieſe
Zeit von Damm aus ein Krieger , krank und ent-
ſtellt , in ärmliche Lumpen gehüllt , durch die Thore
von Brügge hereinwankte und das Mitleid der
Bürger in Anſpruch nahm , die in ihm ihren ehema-
ligen Mitbürger und Zunftgenoſſen erkannten . Sie
führten den Armen in das von dem Stifter zu
ſolchem Behufe errichtete Johannis-Hoſpital . Dort
ward er verpflegt und geheilt ; der Geneſene ergriff
Pinſel und Palette , um das Haus , das ihn aufge-
nommen hatte , zum Beweiſe ſeiner Dankbarkeit
mit ſeiner Arbeit zu ſchmücken , und mit frohem
Erſtaunen erkannte man jetzt in ihm den großen
Hemling wieder .
Bewundernswerthe Gebilde gingen von nun
an in dieſem ſeinem Wohnort unter des Meiſters
ſchöpferiſchen Händen hervor . Viele davon ſind
in der Folge der Zeiten zerſtreut , verloren , unter-
gegangen , doch Vieles ward auch dort erhalten .
Auſſer dem Bilde der Sibylle Zambeth , welches
der kaum vom Krankenlager Erſtandne mit noch
ſchwacher Hand malte , bewahrt das Johannis-
Hoſpital noch zwei ſeiner größten , herrlichſten
Werke . Das erſte von dieſen iſt eines der mit
der Jahrzahl 1479 bezeichneten und beſteht aus
einem Mittelbilde und zwei Flügeln . Das Haupt-
gemälde ſtellt die heiligen Könige zu den Füßen des
neugebornen Heilandes dar ; die ganze Anordnung
deſſelben erinnert unwiderſtehlich an Meiſter Wil-
helms von Köln berühmte Abbildung dieſes an
lieblichen Kontraſten überreichen Gegenſtandes , den
die alten Meiſter der deutſchen Schule ſo oft und
gern mit vorzüglicher Liebe und unermüdlichem
Fleiße ſich erwählten . Der durch hohes Alter
ehrwürdigſte König küßt , hingeſunken in Demuth
und Andacht , das Füßchen des Kindes ; neben
ihm knieet der zweite König mit ſeinen reichen
Gaben ; der dritte ſteht in bewunderndem Anſchauen
verloren . Einer der Zuſchauer , in einiger Ent-
fernung , mit der Mütze auf dem Haupte , welche
ſonſt die Geneſenden in dieſem Hoſpitale trugen ,
iſt , nach einer in demſelben bis auf unſre Zeiten
bewahrten Tradition , das ſchon erwähnte Porträt
des Malers ſelbſt , ſo wie der neben ihm ſtehende
Hemlings Freund , der Kloſterbruder Florens von
Ryſt , welcher ihm zu dieſem Gemälde die erſte
Veranlaſſung gab .
Auf dem erſten der zu dieſem Bilde gehörenden
Seitengemälde beten Engel den neugebornen
Heiland an ; auf dem zweiten iſt die Darſtellung
deſſelben im Tempel abgebildet ; in hoher Würde
ſteht die göttliche Mutter am Altar , neben ihr die
heilige Anna und der höchſt kräftig und edel gehaltne
Hoheprieſter . Kenner , welche Gelegenheit hatten
die größten Meiſterwerke italiäniſcher Kunſt zu
bewundern , rechnen dennoch dieſe aus fünf Per-
ſonen beſtehende Gruppe zu dem Allervortrefflichſten ,
was je der chriſtlichen Epoche der Kunſt ſeine Ent-
ſtehung verdankte . Auf der Auſſenſeite eines der
Flügelbilder iſt Johannes der Täufer , das Lamm
im Arm , abgebildet . Auf der zweiten eine höchſt
liebliche Veronika ; ſie hält das wunderbare Tuch
mit dem Abdruck des edlen Antlizes des Erlöſers .
Das zweite Gemälde im Johannis-Hoſpital ,
mit der nämlichen Jahrzahl wie das vorige
bezeichnet , iſt eine der größten Kompoſitionen
Hemlings . Es beſteht in fünf Tafeln , von denen
die mittlere die Vermählung der heiligen Katharina
vorſtellt . Die ganze Anordnung der Hauptgruppe
auf dieſer Tafel gehört augenſcheinlich der byzan-
tiniſchen Schule an . Maria mit dem Kinde ſitzt in
der Mitte auf einem von Säulen getragenen Throne ,
deſſen Verzierungen bis an den obern Rand des
Gemäldes emporſteigen . Zwei kleine Engel in
grünen Gewändern tragen ihre Krone . Rechts
dem Throne ſteht die heilige Katharina , neben
dieſer ein Engel in Jünglings-Geſtalt , mit einem
reichen Chorgewande bekleidet , ſo wie auch Johann
van Eyck dieſe Bewohner des Himmels abzubilden
pflegte ; neben dem Engel , ganz im Vorgrunde ,
ſteht Johannes der Täufer . Links neben dem
Throne ſteht ein zweiter Engel , neben dieſem die
heilige Barbara , und ganz vorn Johannes der
Evangeliſt . Reiche Stoffe , Gold , Perlen , Edel-
ſteine ſchmücken in einer nur durch Johann van
Eyck übertroffenen Pracht die Heiligen und Engel auf
dieſem herrlichen Bilde .
Die Säulen am Throne gehen zu beiden
Seiten deſſelben in einer Kolonade aus , deren
offne Zwiſchenräume freie Ausſicht auf eine reiche
Landſchaft gewähren . Jn ſchönen Windungen
ſchlängelt ſich dort der Jordan durch grüne Gefilde ,
ferne Berge begränzen die Gegend , Felſen , Bäume
und ſchöne Gebäude , unter denen das Kolliſäum
bemerkbar wird , verleihen ihr mannigfaltigen
Schmuck . Die nämliche Landſchaft geht auch auf
die Seitengemälde über , welche ſie auf dieſe Weiſe
mit dem Mittelbilde zu einem großen Ganzen ver-
bindet .
Jn dieſer Landſchaft ließ nun Hemling ſeinen
überreichen Geiſt in ungebundner Willkührlichkeit
frei walten . Faſt unzählige , zum Theil ganz
kleine Figuren beleben ſie , deren einzelne bewun-
dernswerthe Gruppen zuſammen ein epiſches Gedicht
bildlich darſtellen . Der Raum zur Rechten des
Throns iſt dem Leben Johannes des Täufers
geweiht , welcher auf dieſer Seite , wie oben
erwähnt ward , im Vorgrund der Hauptgruppe
ſteht .
Ganz oben , faſt am Rande der Mitteltafel , zur
rechten Seite hin , liegt der Heilige im Gebete vor
Gott ; etwas tiefer ſieht man ihn als Prediger in
der Wüſte , vom klarſten Himmelslicht beleuchtet ,
auf einem Felſen ſtehen , und vor ihm mehrere treff-
lich gruppirte Zuhörer . Noch tiefer führt ihn ein
römiſcher Krieger nach der rechten Seitentafel zum
Tode , und nur zwei ſeiner Zuhörer folgen ihm , von
Mitleid bewogen , ein Greis und ein Mann mitt-
lern Alters . Gegen die Mitte des Bildes , immer
noch auf der Mitteltafel , liegt der enthauptete Leich-
nam des Heiligen auf einem brennenden Scheiter-
haufen , und ein Krieger auf einem weißen Pferde
treibt die Männer an , welche das Feuer ſchüren .
Jezt geht die Handlung auf die zur rechten
Hand ſich anſchließende Seitentafel über ; der blu-
tende Körper des Heiligen liegt im Vorgrunde auf
der Erde , und neben ihm ſteht die ſchöne , reich
geſchmückte Tochter des Königs Herodes . Schau-
dernd , erbleichend , mit geſenktem Blick empfängt
ſie das Haupt des Gemordeten , deſſen edle Züge
ſelbſt ſterbend noch den Ausdruck der erhabenſten
Ruhe bewahrten . Mehr ſeitwärts ſieht man die
nämlichen beiden Männer , in Schmerz verſunken ,
welche früher den Heiligen auf dem Wege zum
Tode begleiteten .
Über dieſer Hauptgruppe des Seitengemäldes
erblickt man im Mittelgrunde der Landſchaft den
Pallaſt des Königs Herodes und zwei zu ſolchem
gehörende terraſſenartig ſich übereinander erhebende
Höfe . Verſchiedne aus mehreren Perſonen beſte-
hende Gruppen ſcheinen ſich in dieſen Höfen über
die eben vorgegangne Hinrichtung des Heiligen zu
unterhalten ; ein Kind befindet ſich mitten unter
ihnen , welches von einem Pferde herab derſelben
von dort aus zugeſehen zu haben ſcheint . Auch das
Jnnere des Pallaſtes iſt unſern Blicken aufgethan ;
in einer offnen Halle ſizt Herodes neben ſeiner blut-
dürſtigen Gemalin Herodias an der Tafel , ſeitwärts
ein Chor Muſikanten , nach deren Saitenſpiel die
junge Prinzeſſin ihre Eltern durch anmuthigen Tanz
erfreut .
Die vom Mittelgemälde ausgehende herrliche
Landſchaft ſchließt den Hintergrund und man erblickt
dort nochmals den Heiligen , wie er den Erlöſer
der Welt im Jordan tauft ; die Wolken theilen ſich
über ſeinem Haupt und der ewige Vater blickt
aus der Klarheit ſeiner Himmel auf ihn und den
Sohn herab .
So wie die rechte Seite dieſes Bildes der
Geſchichte Johannes des Täufers geweiht iſt , ſo
iſt es die linke der des Evangeliſten gleiches Namens ,
der auch in der Gruppe des Vorgrundes auf dieſer
Seite voran ſteht . Jene zeigt uns den klaren
Lebensgang eines heiligen frommen Mannes , in
dieſer ſchimmert der geheimnißvolle Glanz höherer
Offenbarung aus dem unbegreiflichen Dunkel der
Apokalypſe myſtiſch hervor .
Jn der Landſchaft auf der Haupttafel , gegen
die Mitte derſelben , erblickt man zur Linken den
Evangeliſten mit zum Gebet gefalteten Händen , in
dem Gefäße voll ſiedenden Öls , in welches er
auf Befehl des Kaiſers Domitian geworfen ward ,
das aber zufolge der Legende , ſtatt ihn zu verletzen ,
ihm wie ein lindes erquickendes Bad dünkte . Fünf
Perſonen , theils Henker , theils Zuſchauer , ſtehen
um ihn her . Höher hinauf erblickt man einen
Biſchof im offnen Portal einer Kirche , wahrſchein-
lich der Evangeliſt ſelbſt ; vor ihm knieet ein Neube-
kehrter , die Taufe erwartend ; tiefer hinunter zieht
ein römiſcher Krieger den Heiligen dem Strom zu ,
wo das Boot ſeiner harrt , das , weil Gewalt ihn
nicht zu tödten vermag , ihn in die Verbannung
auf die wüſte Felſeninſel Pathmos tragen ſoll .
Ganz im Hintergrunde läßt ſich noch ein ſehr kleines
wunderbar- korrekt gezeichnetes Figürchen erken-
nen , und am linken äußerſten Rande dieſer Tafel
iſt das ſchön und kraftvoll gemalte Porträt des
Donators derſelben angebracht .
Die linke Seitentafel führt uns zur Jnſel
Pathmos , wo himmliſche Geſichte den Apoſtel zum
Niederſchreiben der Apokalypſe begeiſtern . Er
ſelbſt , ganz unten im Vorgrunde , erliegt faſt der Ge-
walt des Augenblicks und dem Anſchauen der hohen
Wunder , welche ſeinem entzückten Auge vorſchwe-
ben . Das höchſte Erſtaunen feſſelt die edle , ſchöne
Geſtalt , das Wort erſtarrt auf der Lippe und die
gehobne Hand vermag es nicht , die begonnene Ge-
berde zu vollenden . Wunderbare Lufterſcheinungen ,
Nebel , Wolken , verhüllen auf der rechten Seite
dieſer Tafel die Landſchaft , welche nur dem Mittel-
bilde nahe noch ſichtbar bleibt . Ein geheimniß-
reiches Rund , aus Licht , Glanz und wunderſam
verſchlungenen Regenbogen gebildet , umgibt ein
weiter Kreis aus Engeln , heiligen Flammen , und
noch einem Alles abſchließenden Regenbogen zuſam-
mengeſezt . Der ewige Vater , in der Mitte des
Lichtkreiſes , auf einem aus Säulen erbauten
Throne , hält in der Linken das Scepter ; die
Krone liegt in ſeinem Schoße , auf welchen das
Lamm ſich ſtützt . Die geheimnißvollen Leuchter der
Apokalypſe , mit wunderbar gemalten , in mannig-
faltigen Farben glühenden Flammen ſtehen vor ihm ,
und neben dieſen die bedeutungsreichen , ſechsfach ge-
flügelten, Geſtalten des Menſchen , des Adlers , des
Stiers und des Löwen , lauter myſtiſche Gebilde
der Apokalypſe . Zwölf gekrönte Könige in weißen
Gewändern bilden zu beiden Seiten des Thrones
einen Halbkreis ; die Geſtalt des letzten unter ihnen
ſieht man nur durch die transparenten Farben
des Regenbogens hindurchſchimmern . Noch inner-
halb des Kreiſes , doch am äußerſten Rande ,
ſteht ein Engel vor Gott ; ein zweiter , auſſerhalb
deſſelben , mit lang herabwallenden Locken , im
reichen Meßgewande , opfert vor einem Altar , den
Weihrauchkeſſel ſchwingend . Der himmliſchen Er-
ſcheinung zur Linken , näher dem Hauptgemälde zu ,
tritt nun die Landſchaft wieder hervor . Man
erblickt dort das Meer , von hohen Felſen umgeben ,
deren Bild , ſo wie der Himmel über dem Meere ,
aus der kriſtallhellen Fläche widerſcheint . Er-
ſchrockene Menſchen flüchten hier ängſtlich zu den
Felsklüften , um ſich vor den grauſenhaften Wun-
dern zu verbergen , die an dieſen Ufern hauſen ,
dem Tummelplaz der unerklärlichſten Geſtalten der
Apokalypſe . Der Gekrönte auf dem weißen Roß ,
der den Bogen trägt , das ſchwarze Roß mit ſeinem
Reiter , der die Waage in der Hand hält , der Ge-
harniſchte auf dem rothen Roß , und endlich das
dem flammenden Rachen eines Meerungeheuers ent-
ſprungene fahle Roß , das den Tod in der abſchrek-
kendſten Geſtalt auf ſeinem Rücken trägt , toſen
hier wie fieberhafte Traumgeſtalten . Haltung und
Gewand der kleinen Figürchen , beſonders des
Königs , ſind bewundernswerth , die ſchönen , augen-
ſcheinlich den korinthiſchen zu Venedig nachgebildeten
Pferde athmen und leben . Die ganze wunderbare
Kompoſition vernichtet durch ihre Vollkommenheit
im Einzelnen jeden Tadel , der ſich gegen das Ganze
vielleicht mit Recht erheben könnte . Sankt Jakobs
von Kompoſtella und des heiligen Antonius edle ,
ruhige Geſtalten auf dem einen der zulezt ſich an-
ſchließenden Flügelbilder , ſo wie die ſchönen heiligen
Frauen , Agnes und Klara , auf dem andern , reihen
ſich , gleichſam beruhigend , dem gewaltigen Leben
auf den drei andern Tafeln an , die , mit dieſen
vereint , ein einziges großes Gemälde bilden . Der
ſchöne kräftige Kopf des heiligen Antonius , die
ſanften lieblichen Züge der heiligen Klara , ſo wie
alle Figuren auf dieſen wundervollen Tafeln , vom
größten bis zum kleinſten , tragen das Gepräge der
edelſten Wahrheit und höchſten Vollendung . Figuren
von allen Dimenſionen , ſo klein daß ſie das unge-
waffnete Auge kaum zu entdecken vermag , bis zur
halben Lebensgröße hinauf , können bei der ge-
naueſten Betrachtung durch ein Vergrößerungsglas
nur gewinnen , weil durch daſſelbe die Großheit der
Drapperien , der Ausdruck der Köpfchen in dieſen
oft kaum einen Zoll hohen Figürchen , erſt recht
ſichtbar wird .
Die königliche Akademie zu Brügge bewahrt
die in ihrer hohen Einfachheit höchſt bewunderns-
werthe Abbildung des heiligen Chriſtophs , eines
Gegenſtandes , den Hemling öfters und ſtets mit
großer Liebe behandelte . Geſtützt auf den Baum ,
der dieſem Rieſen-Heiligen bekanntlich zum Stabe
diente , trägt er den Herrn der Welt in Kindes-
geſtalt durch die im Morgenroth glänzenden Wogen
eines breiten von hohen Felſenufern umgebnen
Stroms . Oben auf dem Felſen linker Hand ſteht
10
der den heiligen Chriſtoph gewöhnlich begleitende
Einſiedler mit ſeiner Leuchte , unten ganz im Vor-
grunde auf der einen Seite der heilige Benedict ,
eine raphaeliſche Geſtalt , auf der andern der heilige
Egidius , den durchbohrenden Pfeil im Arm , neben
ihm ſein Reh . Die milde treuherzige Freundlich-
keit im Geſichte des durch die Fluten nur mühſam
unter ſeiner wunderbar ſchweren Laſt fortſchreiten-
den Rieſen , das ſtille Felſenbett des breiten Stroms ,
die Schönheit der beiden jugendlichen Heiligen , die
Wahrheit des Ganzen , gewahren einen unbeſchreib-
lich wohlthuenden Eindruck von Abgeſchiedenheit
und frommer Ruhe . Beide zu dieſem Gemälde ge-
hörende Flügelbilder zeigen die Bildniſſe des Dona-
tors und ſeiner Familie . Den Vater und ſeine
Söhne begleitet als ihr Schutzpatron der heilige
Wilhelm , glänzend gewapnet im prächtigem Harniſch ,
ein Krieger Gottes . Neben der Mutter und ihren
Töchtern ſteht freundlich und anmuthig die heilige
Barbara . Eine wunderſchöne , vom Mittelbilde
ausgehende Landſchaft bildet auch hier den Hinter-
grund , grün und friſch wie die Natur ſelbſt ; die
Gebäude , die Vegetation , die Felſen , alles erin-
nert hier auf das lebhafteſte an die ſchönen Ufer
des Rheins . Johannes der Täufer und der Erz-
engel Michael ſind grau in grau auf der Außenſeite
dieſer Tafeln gemalt , und wegen der edlen Kor-
rektheit der Zeichnung des hohen Meiſters auf
alle Weiſe würdig .
Ein anderes Meiſterwerk Hemlings befindet
ſich unbegreiflicher Weiſe in Brügge ſelbſt in
einem zerſtückelten Zuſtande , indem die Akademie
die beiden zu demſelben gehörenden Seitentafeln
bewahrt , während das Mittelbild im Rathhauſe
aufgeſtellt iſt . Der Gegenſtand deſſelben iſt die
Taufe des Heilands . An dem Chriſtus im Vor-
grunde vermißt man zwar den Ausdruck erhabner
Göttlichkeit , den Hemling auf andern Gemälden
glücklicher aufzufaſſen wußte ; die edle vom Gefühl
ſeines hohen Berufs begeiſterte Geſtalt Johannes
des Täufers iſt weit gelungner , wunderſchön aber
ein ſehr reich bekleideter Engel mit lang herabflie-
ßendem blonden Haar , der während der heiligen
Handlung am Ufer des Jordans die einfachen Ge-
10 *
wänder des Heilands bewacht . Die ſchöne Land-
ſchaft , welche den Hintergrund dieſer Haupttafel
bildet , erſtreckt ſich auch hier , wie wir es bei dieſem
Meiſter öfter finden , durch beide Flügelbilder ,
und Hemling hat auch dieſe zu bewundernswerth
gruppirten , kleinen epiſodenartigen Darſtellungen
benutzt . Links gegen die Hauptgruppe tritt Chriſtus
auf den mit grünen Raſen bedeckten Felſen aus
dem Schatten ſchöner mit Epheu reich umzogner
Bäume hervor . Sinnend lenkt er ſeine Schritte
der Wüſte zu , wo die Stimme ſeines Jugendfreun-
des erſchallt , vier ſeiner Jünger folgen ihm in ehr-
furchtsvoller Entfernung . Rechts auf der näm-
lichen Tafel verkündet Johannes der Täufer , als
Prediger in der Wüſte , auf einem moosbedeckten
Felſenſtück ſitzend , die Ankunft des Herrn . Neun-
zehn Zuhörer jedes Geſchlechts und Alters ſammeln
ſich um ihn und den Felſen , noch vier andere nahen
zwiſchen den Bäumen . Alle dieſe verſchiednen
kleinen Figürchen ſind mit unnennbarer Mannichfal-
tigkeit , mit Wahrheit und Ausdruck gedacht , zu-
ſammengeſtellt und ausgeführt .
Die Fortſetzung der ſchönen reichen Landſchaft
des Mittelbildes füllt den Hintergrund der beiden
zu dieſem Gemälde gehörenden Flügelbilder , welche
man leider , wie ſchon erwähnt ward , in einem ganz
andern Lokal aufſuchen muß . Auf dem erſten der-
ſelben knieet der Donator und erhebt die ſchön ge-
formten Hände zum frommen Gebet . Er trägt
ein ſchwarzſamtnes mit Pelzwerk aufgeſchlagnes
Kleid und ſchönes braunes Haar umgibt die angeneh-
men Züge des biedern Geſichts ; keiner der berühm-
teſten ſpätern Niederländer hat in Anmuth und
Wahrheit dieſes ſo vollendete , und dabei ſo lebendige
Porträt übertroffen . Neben dem Betenden ſteht
deſſen Schutzheiliger , der Evangeliſt Johannes ,
himmliſche Güte in dem ſchönen geiſtreichen Geſicht .
Sein weißer Mantel fällt von der Rechten zur
Linken in herrlichen Falten über das graue Gewand ,
ſein Haar fließt in ſchönen Locken ihm über die
Schultern hin . Ganz im Hintergrunde der Land-
ſchaft ſieht man noch ein ganz kleines Figürchen dem
Prediger in der Wüſte auf dem Mittelbilde zueilen .
Auf dem zweiten Flügelbilde knieet im Vor-
grunde die Gattin jenes Mannes , eine ſchöne Frau
mittlern Alters ; ſie betet aus einem Buche , welches
mit täuſchender Wahrheit aus der Tafel hervortritt .
Vier ganz junge Mädchen , ihre Töchter , ſind im
lieblichen Kreiſe um ſie verſammlet , andächtig betend
wie ſie , in kindlicher Einfalt . Eliſabeth , die
Schutzheilige der frommen Gruppe , blickt freundlich
auf ſie hin , eine Krone ſchmückt das Haupt der
Heiligen ; eine zweite ruht auf dem Buche , welches
ſie in der Hand trägt .
Beide Flügelbilder drehen ſich auf Angeln ,
und die Rückſeite derſelben bietet eine vielleicht noch
anziehendere Darſtellung . Durch die großen Bogen
einer offnen Halle blickt man auf der erſten Tafel
in den einen Halbkreis bildenden Hof eines mit
Säulen geſchmückten Pallaſtes , über welchen noch
höhere Gebäude zu den Wolken emporſteigen . Jn
der Halle knieet eine Frau neben einem ganz jungen
Mädchen , doch ſcheinen beide durch das Anſchauen
irgend eines äußern Gegenſtandes vom Gebete ab-
gezogen . Das Kind beſonders iſt ſichtbar zerſtreut ,
und in ſeinem Gemüth gleichſam wider Willen nach
Außen gewendet . Hinter den Betenden ſteht ihre
Schutzheilige , Magdalena , in der Hand das Sal-
bengefäß , einen Turban , und eine Stirnbinde von
Perlen zum Kopfſchmuck . Jhr ſchönes Geſicht zeigt
eine Ähnlichkeit mit Raphaels heiliger Cäcilie , die
ohne den geſenkten Blick der Magdalena noch
auffallender erſcheinen würde . Das Gegenſtück
zu dieſer Tafel zeigt uns in der heiligen Jung-
frau die himmliſche Erſcheinung , welche dort die
Aufmerkſamkeit der Mutter und ihrer Tochter ſo
unwiderſtehlich rege macht . Die heilige Jungfrau
Maria ſitzt neben einem Bette mit grünen Vor-
hängen , ſie trägt ein rothes Gewand , über welches
die langen blonden aufgelöſ'ten Flechten in kleinen
Wellen reich und ſeiden herabfließen , und hält ,
recht mütterlich ſorgſam , das liebliche Kind auf
ihrem Schooße beim rechten Ärmchen feſt , während
dieſes mit der linken Hand den Betenden auf der
andern Tafel eine Traube entgegen reicht . Hemling
ſelbſt hat nichts Anmuthigeres und Vollendeteres
gemalt , als dieſen allerliebſten Gegenſtand , die
holde jungfräuliche Mutter und dieſes Kind mit dem
Köpfchen voll reicher Locken und dem lebendige n
Ausdruck himmliſcher Güte .
Jn der St. Salvaters-Kirche zu Brügge befin-
det ſich ein Gemälde Hemlings , deſſen grauſen-
hafter Gegenſtand mit den meiſten ſeiner bekannten
Werke , beſonders mit dem oben beſchriebnen , ge-
waltſam kontraſtirt . Gewiß war er nicht des
Meiſters freie Wahl , und die Art , wie er den
widerwärtigen Stoff mildernd zu behandeln wußte ,
iſt ein neuer Beweis der ihm inwohnenden Poeſie ,
welche auch dem Empörendſten eine verſchönerte
Seite abzugewinnen wußte . Das Gemälde ſtellt
die Marter des heiligen Hippolyt uns vor Augen .
Zufolge der Legende war dieſer Heilige ein römi-
ſcher Krieger , der zur Zeit des Kaiſers Valerian
ſich zum Chriſtenthum bekehrte und von dieſem
furchtbaren Verfolger deſſelben verurtheilt ward ,
lebendig von Pferden zerriſſen zu werden . Hemling
hat zart und ſchonend nur die Vorbereitung zur
Vollziehung dieſes grauſamen Urtheils gewählt , und
dieſe bot ihm , abgeſehen von dem Gedanken an
den zunächſtfolgenden Augenblick , eine Fülle ſchöner
maleriſcher Kontraſte , in den wild ſchnaubenden
Pferden , ihren noch wilderen Treibern , und dem
Heiligen , der , noch unverletzt , in frommer Be-
geiſterung und ruhiger Erwartung , mit Armen und
Beinen an die wilden Roſſe gefeſſelt , da liegt .
Auch bei dieſen , ſo wie bei denen auf der Viſion
des Evangeliſten Johannes , ſcheinen die vene-
tianiſchen antiken Roſſe dem Meiſter vorgeſchwebt
zu haben . An dem alten Rahmen dieſes Gemäldes
befindet ſich abermals die Jahrzahl 1479 .
Eines der alleranziehendſten Werke Hemlings
iſt ein kleines , nur aus zwei Tafeln beſtehendes
Bildchen im Verſammlungsſaal der zur Beſorgung
der Hoſpitäler beſtellten Kommiſſion . Die erſte
dieſer Tafeln zeigt uns die heilige Jungfrau , von
den blonden Wellen ihres über die Schulter hinab-
rollenden Haares umfloſſen , in all ihrer holdſeligen
Anmuth und Herrlichkeit . Reich geſchmückt , mit
Gold , Perlen und Edelſteinen , einen rothen
Mantel über ein glänzend blaues Gewand , reicht
ſie freundlich dem Kinde auf ihrem Schooß einen
Apfel . Dieſes ſitzt auf einem Kiſſen von Goldbrokat
mit grünen Blumen , ein Stoff , den Hemling vor-
zugsweiſe oft wählte .
Das Gegenſtück zu dieſer Tafel , welches
zugleich als Deckel dient ſie zu verſchließen , zeigt
uns den frommen Stifter dieſes Bildes in knieender
Anbetung , einen Juncker von Neuenhoven , der
hier , wie eine Jnſchrift auf dem Bilde uns ſagt ,
im Jahr 1487 in ſeinem drei und zwanzigſten Jahre
abgebildet ward . Obgleich man dieſe bleiche jugend-
liche Geſtalt durchaus nicht ſchön nennen kann , ſo
iſt es doch unmöglich , ſie ohne die innigſte Theil-
nahme zu betrachten . Alles an ihr ſpricht zum
Herzen , dieſe ſtille Trauer in Haltung und Ge-
berde , dieſes erbleichende ſichtbare Hinſchwinden
in eben erblühter Jugend . Die unausſprechliche
Milde eines frommen Gemüths leuchtet aus den
braunen frommen Augen , aus Haltung und Geberde ;
man möchte ihm helfen , ihn tröſten , aber man
fühlt zugleich , daß dieſem in Sehnſucht und
Glauben vergehenden Jünglinge der Troſt nur aus
höhern Regionen zufließen konnte .
Das lezte der Meiſterwerke Hans Hemlings ,
welche die Stadt Brügge bewahrt , iſt der berühmte
Reliquienkaſten der heiligen Urſula , im Beſitz der
Nonnen des Johannis-Hoſpitals . Dieſen Kaſten ,
in Form einer kleinen Kirche , ( einer ſogenannten
Baſilika ) ſchmücken vierzehn größere und kleinere
Miniaturgemälde des großen Meiſters , alle in Bezug
auf die Geſchichte der Heiligen , deren Überreſte er
aufzubewahren beſtimmt ward . Den Beſitzerinnen
deſſelben wurde ſchon öfter in frühern Zeiten ein
ähnlicher von gediegnem Silber für dieſes Kunſtwerk
geboten , welches die berühmteſten Maler und Kunſt-
kenner ſtets als ein unübertroffnes Kunſtwerk bewun-
dernd betrachteten .
Als im Jahr 1794 die Franzoſen Kirchen und
Klöſter der Niederlande plünderten , verdankten die
Nonnen deſſen Erhaltung nur ihrer Einfalt , welche
ein glücklicher Zufall zu ihren Gunſten wendete .
Descamps Beſchreibung der Niederlande , als
Führer zu den niederländiſchen Kunſtwerken , in der
Hand , ermangelten die franzöſiſchen Kommiſſarien
nicht , auch in das ſtille Heiligthum der frommen
Schweſtern zu ſtürmen . La Châsse riefen ſie , la
Châsse célèbre , und die armen verſchüchterten
Nonnen verſicherten lange umſonſt , daß ſie gar
nicht einmal wüßten , was man fordere ; die unver-
kennbare Wahrheit , welche in ihrer Angſt ſelbſt
Beſtätigung fand , trug indeſſen endlich den Sieg
davon ; die Plünderer glaubten ſich von Descamps
irre geleitet und zogen mit leeren Händen ab .
Nur erſt nach geraumer Zeit erfuhren die Nonnen ,
daß mit dieſer geforderten Châsse nichts mehr und
nichts minder gemeint geweſen ſey , als das Kleinod
ihres Hauſes , der Reliquienkaſten der heiligen Ur-
ſula , den ſie in ihrem Flandriſchen Patois la Ryve
zu nennen gewohnt waren , ein Wort , für das ſie
den richtigen franzöſiſchen Ausdruck bis dahin nie
gehört hatten .
Die Legende der Märtyrer und Heiligen kennt
beinahe keinen an heitern maleriſchen Motifen reich-
haltigern Stoff , als die Sage von der ſchönen hel-
denmüthigen Urſula und ihren Gefährtinnen , welche
Hemling hier zu einer Reihefolge von Darſtellungen
ſehr glücklich zu benutzen wußte . Urſula war , wie
die Legende erzählt , die Tochter eines Königs , der
zu Anfang des dritten Jahrhunderts eines der
ſieben Reiche beherrſchte , in welche damals das jezt
in ſeiner Einheit ſo mächtige England ſich zertheilte .
Er ſowohl als ſeine Gemalin , obgleich von Heiden
umgeben , hatten ſchon früher zum Chriſtenthum ſich
bekannt und erzogen auch ihre Tochter in dieſem
ſie beglückenden Glauben . Fromm und gläubig
wuchs die Prinzeſſin heran , bis in ihrem ſechzehnten
Jahre ihre ſich immer herrlicher entfaltende Schön-
heit die Aufmerkſamkeit der benachbarten heidniſchen
Könige auf ſich zog und Heirathsanträge ſie von
allen Seiten zu verfolgen begannen . Dem frommen
Kinde ſchauderte vor einer Verbindung , die ſie in
Übung ihrer Religionspflichten ſtören konnte ; ängſt-
lich um Rettung flehend wandte ſie ſich zu Gott ,
und eine himmliſche Erſcheinung ward ihr zum Troſt .
Dieſe forderte ſie auf , in weit entfernte Länder
zu ziehen , und dort in frommer Ergebung die Ent-
wickelung ihres Schickſals zu erwarten . Urſula war
mit Freuden bereit , dem ernſten Rufe unbedingt
Folge zu leiſten , und ihre frommen Eltern , weit
entfernt , ihr irgend ein Hinderniß in den Weg zu
legen , machten ſogleich alle Anſtalten zur Erfüllung
des göttlichen Befehls . Bäume wurden gefällt ,
Schiffe daraus erbaut , und ein Aufruf erging an
die edelſten Jungfrauen des Landes , um ſie zur
Begleitung der Tochter ihres Königs während der
gefahrvollen Reiſe einzuladen . Jhrer fanden ſich
eilftauſend aus den angeſehenſten Geſchlechtern ein ,
alle jung und lieblich wie der Mai , und nicht nur
wie die Prinzeſſin ſelbſt , vom glühendſten Verlangen
beſeelt Gott zu dienen , ſondern auch bereit in ſeinem
Dienſt mit ihr die Märtyrer-Krone zu erringen .
Der fromme Eifer der Jungfrauen erweckte
ähnliches Empfinden in der Bruſt der männlichen
Jugend . Ritter und Knappen , alle im Frühling
des Lebens , zogen von allen Seiten herbei , ge-
lobten , heilig und rein ihr Leben und ihre Waffen
einzig dem Himmel zu weihen , und gewannen damit
die Erlaubniß , die Königstochter und ihre Jung-
frauen auf der langen Reiſe begleiten und beſchützen
zu dürfen .
Die Flotte war nun bereit , auf welcher die
Blüthe des Landes unter frommen Liedern ſich ein-
ſchiffte; ſie überließ ſich ohne eigenmächtiges Lenken
dem Hauche des Himmels , gelangte ſo zuerſt an
die holländiſche Küſte , und ſchwamm dann weiter
den Rhein herauf bis Köln , dem damaligen römiſchen
Agrippinum . Alexander Severus herrſchte damals
mit mildem Sinn gegen die Chriſten , und die
fromme Schaar fand deshalb in dieſer römiſchen
Kolonie eine ſo freundliche Aufnahme , daß ſie ſich
am Ziele geglaubt hätte , wenn nicht ein zweites
Traumgeſicht die Prinzeſſin nach Rom zu den Füßen
des heiligen Vaters gerufen hätte . Die Ritter und
Jungfrauen ſchifften ſich dem zu Folge abermals
ein , und landeten bei Baſel , von wo ſie den weiten
beſchwerlichen Weg über die Alpen zu Fuße an-
traten .
Freudig empfing ſie in Rom der Nachfolger
Petri , — Ciriakus nennt ihn die Legende , — und
verkündete ihnen bald nach ihrer Ankunft , daß auch
ihn eine unmittelbar vom Himmel geſandte Offen-
barung berufen habe , der frommen Schaar ſich an-
zuſchließen , und ſie zurück an den Rhein zu begleiten ,
wo ihrer Aller die Märtyrer-Krone zum Lohne ihrer
Frömmigkeit harre . Abermals machten ſich Alle auf
den Weg , den heiligen Vater in ihrer Mitte . Die
Alpen wurden wieder erſtiegen , Baſel erreicht , wo
ihre Schiffe ſie erwarteten . Sie ſchifften ſich ein ,
ſie erreichten Köln wieder , doch Alexander Severus
war indeſſen durch den Meuchelmörder Maximian
gefallen , dieſer herrſchte jezt , und eilte , von
ſeinen barbariſchen Horden begleitet , der Chriſten-
ſchaar mit Tiegerwuth entgegen . Unter den Keulen-
ſchlägen , den Schwertern , den Pfeilen der Heiden ,
auf dem Felde von Köln oder auch in den kalten
Wellen des Rheins ſtarben Alle freudig unter Abſin-
gung heiliger Pſalmen den ſelbſt erwählten Tod für
den Glauben ; die Ritter , die Jungfrauen , ja der
heilige Vater ſelbſt ; die ſchöne Königstochter durch-
bohrte ein Pfeil von Maximian ſelbſt geſendet .
So erzählt die Legende , deren glänzendſte
Momente Hemling mit ächt poetiſchem Sinn ergriff ,
um ſie mit geübter Hand auf dem der Heldin derſel-
ben geweihten Heiligthume in vierzehn Gemälden
darzuſtellen . Sechs der größern ſind , oben bogen-
artig abgerundet , auf den beiden langen Seiten des
kirchenförmigen Reliquienkaſtens angebracht , auf
jeder Seite drei ; zwei ähnliche an beiden Giebel-
enden deſſelben , und den oben dachförmig ſchräg
zuſammenlaufenden Deckel ſchmücken ſechs Medail-
lons , auf jeder Seite ein größeres zwiſchen zwei
kleinen . Das erſte der Gemälde in der Geſchichts-
folge , eines von denen an der langen Seite des
Kaſtens , zeigt uns Köln an den Ufern des Rheines ,
mit ſeinem Dom und ſeinen vielen Thürmen ; ein
Theil des ſchon ausgeſchifften Gefolges nebſt vielen
edlen Frauen und Bürgern erwarten am Ufer die
Königstochter , welche eben herrlich geſchmückt den
Kahn verlaſſen will . Eine ihrer Jungfrauen trägt
ihr ein Schmuckkäſtchen vor , zwei andre halten die
im Nachen ſich ausbreitende Schleppe ihres Herme-
lin-Mantels . Alles iſt Leben und friſche jugendliche
Heiterkeit .
Eines der beiden Giebelbilder ſchließt ſich hier
der Legende an . Es zeigt uns die Prinzeſſin in
ihrem ſtillen Zimmer zu Köln bei nächtlicher Weile .
Neben ihr knieet eine ihrer Jungfrauen , das Geſicht
11
mit beiden Händen verbergend ; Urſula ſelbſt , halb
aufgerichtet auf ihrem Lager , heftet den begeiſterten
Blick auf die himmliſche Erſcheinung , welche ihr
durch das weit geöffnete Fenſter ihres Gemachs
entgegen ſtrahlt . Sie ſteht in den Wolken den
heiligen Vater , ihre Jungfrauen , ihre Ritter im
himmliſchen Glanz , eine unabſehbare Schaar ver-
klärter Heiliger , und unter allen dieſen ihre eigne
Geſtalt in einer Alle überſtrahlenden Glorie , genau
ſo , wie die katholiſche Kirche ſie noch heute als Heilige
verehrt , mit dem Pfeil in der Hand . Ein anderes
Seitengemälde zeigt uns die fromme Schaar , wie
ſie bei Baſel anlandet . Überall herrſcht das frohe ,
rege Gefühl des Ausſchiffens , des Ankommens ,
des Weitergehens . Einige Jungfrauen und Ritter
ſtehen ſchon gelandet am Ufer , andere gehen eben
zum Thore der Stadt ein , noch andere erblickt man
bereits jenſeit derſelben , der Alpenkette zueilend ,
welche den fernen Horizont begränzt . Hochaufge-
richtet ſteht die edle Geſtalt der Fürſtin Urſula im
Nachen , ſie ſcheint das Ausſchiffen mit ihren Blicken
zu leiten , während ſowohl in ihrem als in zwei be-
nachbarten Schiffen ihre Gefährtinnen , ruhig da
ſitzend , den Ausgang erwarten .
Das nächſte Gemälde , eines der vorzüglichſten ,
zeigt uns die jugendliche Pilgerſchaar in Rom an-
gelangt . Urſula nebſt einigen ihrer Jungfrauen
knieen in Demuth hingeſunken an den Stufen des
Tempels , auf welchen der heilige Vater mit ſeinem
geiſtlichen Gefolge herabſteigt , um ſie würdig und
freundlich zu begrüßen .
Auf dem fünften Bilde iſt der weite Weg über
die Alpen zum zweitenmal wieder zurück gelegt .
Wir finden Urſula und ihr Gefolge abermals vor
Baſel , im Begriffe ſich zur Reiſe nach Köln einzu-
ſchiffen . Der heilige Vater hat ſchon im Nachen
ſeinen Platz zwiſchen zween ſeiner Kardinäle einge-
nommen , und im anmuthigſten Kontraſt mit den
ehrwürdigen Greiſen-Geſtalten ſitzt ihnen gegen-
über die Prinzeſſin zwiſchen zwo ihrer lieblichſten
Geſpielinnen . Unabſehbare Schaaren von Rittern
und Jungfrauen kommen noch jenſeits der Stadt
von den Alpen herab und ziehen dem Rheine zu ,
wo mehrere Schiffe ihrer warten .
11 *
Das ſechste Bild zeigt uns den Untergang
alles dieſes jungen , frohen und frommen Lebens .
Ritter und Jungfrauen , auf das mannichfaltigſte
gruppirt , in unendlicher Abwechſelung der Stellun-
gen , fallen , wie Blumen vor der vernichtenden
Senſe , unter den blutigen Waffen heidniſcher Bar-
baren . Hier will ein Ritter die Jungfrauen ver-
theidigen , dort ſinkt eine von einem Pfeil im Arm
getroffen , eine andere verbirgt das Geſicht , um
den Tod nicht zu ſehen , dem ſie doch nicht zu ent-
gehen wünſcht , andere erwarten oder empfangen
ihn in ſtiller Ergebung .
Auf dem ſiebenten Bilde endlich , dem letzten
der Seitengemälde , erblicken wir die Königstochter
in Maximians Zelt ; hoch und furchtlos wie ein Held ,
ſchön und fromm wie ein Engel ſteht ſie da . Das
rieſenartige Ungeheuer Maximian ſpannt den Bogen ,
der Pfeil ſucht ſein Ziel , aber wir ſehen ihn nicht
fliegen , wir ſehen die Heldin nicht ſinken . Hemling
wollte uns den Anblick des Untergangs der frommen
königlichen Jungfrau erſparen , und begnügte ſich ,
nur die nächſte Nähe des ſchmerzlich ſchönen Augen-
blicks anzudeuten .
Auf dem zweiten Giebelfelde erblicken wir
Urſula , wie die katholiſche Kirche ſie als Schutz-
heilige der Kindheit und der reinſten Unſchuld noch
jetzt verehrt . Jn himmliſcher Schönheit und hoher
Anmuth ſteht ſie da und breitet den Königsmantel
weit über ihre Jungfrauen aus , die vertrauensvoll
zu beiden Seiten ſich ihr anſchmiegen . Jn jedem
der vier kleinen Medaillons auf dem dachförmigen
Deckel des Reliquienkaſtens iſt ein wunderlieblicher
Engel abgebildet , der mit Saitenſpiel das Lob der
Heiligen feiert , deren Apotheoſe eines der größern
Medaillons darſtellt . Auf goldnem Stuhl im Licht-
gewande thronend ſehen wir die Verklärte . Die
Taube ſchwebt über ihr , und der ewige Vater
nebſt dem göttlichen Sohn drücken die Krone des
Märterthums ihr auf das lichtumſtralte Haupt .
Das zweite dieſer Medaillons zeigt uns die
Königin des Himmels , Maria , mit dem Kinde im
Arm , welches einen Apfel und eine Blume den zu
ihren Füßen knieenden Urſulinernonnen hinreicht .
Jedes dieſer Gemälde , im Ganzen wie in den
Einzelheiten , vereint in verhältnißmäßig ſehr kleinem
Raume die unbeſchreiblichſte Anmuth , die vollen-
detſte Ausführung , mit unübertroffner Wahrheit ;
und der Reichthum der Erfindung in allen dieſen
mannigfaltigen faſt unzählbaren Gruppen übertrifft
allen Glauben .
Auſſer dieſen Gemälden Hemlings in Brügge ,
bewahrte uns ein günſtiges Geſchick noch manches
ſeiner unſchätzbaren Werke in andern Städten . So
beſitzt Herr von Bettendorf in Aachen in ſeiner
reichhaltigen Sammlung deren zwei , welchen die
frühe Zeit ihrer Entſtehung ein um ſo höheres Jn-
tereſſe gibt , da wir in ihnen des Meiſters Begin-
nen auf ſeiner ſpäterhin ſo glorreich vollendeten
Bahn deutlich erkennen . Die erſte dieſer Tafeln
zeigt uns in einer von Hemlings köſtlichſten Land-
ſchaften den Propheten Elias , einen kräftigen
ſchönen Alten mit langem ehrwürdigen Bart . Jn
tiefem Schlummer verſunken ahnet er jetzt nicht die
Gegenwart des weißbekleideten ſchön gelockten
Engels , der neben ihn das zu ſeiner Erhaltung
nöthige Brod hinlegt . Weiterhin , in einem ent-
fernteren Grunde der Landſchaft und durch die
Ferne verkleinert , erblicken wir den Propheten
erwacht und den fernen Gebirgen zuwandernd .
Die Feier des Oſterlamms in einer iſraelitiſchen
Familie iſt der Gegenſtand des zweiten der oben
erwähnten Gemälde . An dem gedeckten Tiſche , auf
welchem nach dem jüdiſchen Geſetze neben dem Oſter-
lamm auch Brod , grüne Blätter , und einige Becher
ſich befinden , ſteht der in orientaliſcher Tracht vor-
nehm und prächtig gekleidete iſraelitiſche Hausvater ,
im Begriff das Oſterlamm zu zerlegen . Neben
ihm ein nicht minder reich geſchmückter Greis mit
langem ehrwürdigen Barte . Ein jüngerer Jſraelit ,
ebenfalls in reicher feſtlicher Kleidung , ſteht neben
dieſem , den Reiſeſtab in den Händen , nach dem
Ritus der Juden bei dieſem zum Andenken der
Auswanderung aus Egypten geſtifteten feierlichen
Mahl , welches ſtehend und gleichſam reiſefertig ge-
noſſen werden muß . Zwo Frauen ſtehen noch auf
der andern Seite neben dem Hausvater ; beiden
ſteht ein hinter ihnen ſtehender Mann über die
Schultern weg , und ein die Aufwartung bei der
Tafel beſorgender Knabe tritt zur halb geöffneten
Thüre hinein , durch welche man hinaus ins Freie
blickt .
Herr von Liewersberg in Köln beſitzt in ſeiner
Sammlung acht alte auf Goldgrund gemalte Dar-
ſtellungen der Leidensgeſchichte Chriſti , aus der
niederrheiniſchen an Wilhelm von Köln ſich anſchlie-
ßenden Zeit , in welcher der ſtarre ſteinerne Styl
der byzantiniſchen Schule vor dem warmen Hauch
ächten Lebens ſich aufzulöſen begann . Aus einigen
dieſer Tafeln geht nun Hemlings frühere Bildung
nach den Muſtern dieſer Schule auf das deut-
lichſte hervor . Vor allen aus einem , welches die
Gefangennehmung Chriſti darſtellt . Judas ſteht
etwas hinter ſeinem Herrn , als wolle er ſelbſt im
Momente , da er den verrätheriſchen Kuß ihm gibt ,
ſich noch vor deſſen Augen verbergen . Ein Gerichts-
diener ergreift den Heiland bei der Bruſt , ein andrer
faßt ſein Gewand um ihn fortzuziehen , während
Petrus über Malchus das Schwert ſchwingt . Alles
dieſes geht im Vorgrunde ziemlich auf einer Linie
vor ; hinter derſelben erblickt man das empörte , mit
Schwertern und Stöcken bewaffnete Volk . Eine
gleiche Anordnung des nämlichen Gegenſtandes ,
nur freier und mit größrer Wahrheit behandelt ,
finden wir auf einem Gemälde Hemlings beibehalten ,
welches , aus ſeiner früheren Zeit ſtammend , ſich jetzt
ebenfalls in Köln in der Sammlung des Herrn
Paſtors Fochem befindet . Freilich ſind Hemlings
Geſtalten edler , lebendiger , grandioſer , das Ko-
lorit wahrer und kräftiger , Schatten und Licht aus-
geſprochner und beſſer verſchmolzen , als bei dem
alten niederrheiniſchen Maler , doch die Kompoſition
iſt augenſcheinlich jener nachgebildet .
Jn Löwen , wo Hemling ſpäterhin höchſt wahr-
ſcheinlich längere Zeit lebte , befindet ſich noch eine
aus mehreren Abtheilungen beſtehende Reihefolge
ſeiner Gemälde . Die Anordnung des mittelſten
Bildes , einer Darſtellung der Einſetzung des Abend-
mahls , gehört wieder urſprünglich einem jener acht
Gemälde des Herrn Liewersberg in Köln . Chriſtus
ſitzt an der Mitte der Tafel , ihm zu beiden Seiten
zwei Apoſtel , gegen ihm über noch zwei , und drei
an den beiden ſchmalen Ecken des Tiſches . Jn der
obern Abtheilung über dieſer iſt der Märtyrer-Tod
des heiligen Erasmus dargeſtellt , ein Gegenſtand ,
den der Meiſter wahrſcheinlich eben ſo wenig als
den des Todes des heiligen Hippolit freiwillig
wählte ; doch wußte er dieſe Aufgabe ebenfalls mit
nicht minderem Gelingen zu löſen . Die untere Ab-
theilung iſt wieder dreifach zertheilt . Jn der Mitte
ſind die Jünger von Emaus abgebildet , zu beiden
Seiten , betend auf den Knieen , die Familie des
Donators .
Dieſe Gemälde hängen ſo hoch , daß es ſchwer
wird , ſie von unten deutlich genug zu erkennen , um
in alle ihre Einzelheiten einzugehen ; doch der Di-
rektor der Zeichen-Akademie in Löwen , Herr Gnets ,
hat es ſich möglich gemacht , ſie in der Nähe
zu ſehen . Nach ſeinem Urtheile iſt die Zeichnung
ſehr lobenswerth und in Allem der Natur
getreu ; die Köpfe ausdrucksvoll , der des Judas
beſonders charakteriſtiſch , der edle Kopf des Heilands
höchſt vollendet , und wahrhaft göttlich zu nennen .
Das Kolorit iſt friſch , angenehm , und der Natur
gemäß , die Schatten ſind klar und verſchmolzen ;
die Ausführung gleicht in allen Einzelheiten der
feinſten Miniatur , und nirgend zeigt ſich eine Spur
ängſtlicher Kleinlichkeit oder manirirten Weſens .
Dieſes Urtheil gilt nicht nur von dieſen , ſon-
dern von allen Werken Hemlings , nur die Jünger
von Emaus , in dieſer Reihefolge von Gemälden ,
machen hierin eine Ausnahme . Dieſe ſind ſchwach ,
und tragen keine Spur ſeiner gewohnten Meiſter-
ſchaft . Wahrſcheinlich wurden ſie von Hemling nur
angelegt , und er mußte vielleicht bei ſeiner ſchnellen
Abreiſe von Löwen nach Spanien das Bild unvollen-
det laſſen , welches dann einem andern Künſtler zur
Vollendung übergeben ward .
Freilich läßt es ſich nicht mit Gewißheit behaup-
ten , daß Hemling in einem ſchon ziemlich hohen
Alter nach Spanien gereiſet ſey , und dort das Ende
ſeiner Tage gefunden habe , doch ſind viele Gründe
vorhanden , die es als höchſt wahrſcheinlich anſehen
laſſen , und ich kenne keinen einzigen , der dieſe
Wahrſcheinlichkeit widerlegte . Den bedeutendſten
Beweis für Hemlings Aufenthalt in Spanien gewährt
uns Don Alonzo Ponz , Sekretär des Königs und
der Akademie von Sanct Ferdinand , in ſeiner
Viage de Espano , en quo se da noticia de les
cosas mus apréciables y dignas de saberse gue
hay en ella . Von dieſer Reiſebeſchreibung erſchien
zu Madrid in den Jahren 1776 bis 1794 eine zweite
Ausgabe in Octav in achtzehn Bänden mit Kupfer-
ſtichen .
Don Alonzo Ponz ſpricht in dieſem Werke mit
ziemlicher Ausführlichkeit von dem Karthäuſer-Kloſter
Miraflores nahe bei Burgos . Zu dieſem Kloſter
lieferte , zufolge ſeiner Erzählung , ein deutſcher Bau-
meiſter im Jahre 1454 den Plan , und erhielt dafür
3350 Maravedis . Dieſer Baumeiſter hies Johann
von Köln , und war mit dem Biſchof von Karthagena ,
Don Alonzo , bei deſſen Rückkehr vom Baſeler
Konzilium nach Spanien gekommen . Jhm folgte
Garcias Fernandez de Matienzo als Baumeiſter ,
und dieſem Simon , der Sohn Johanns von Köln .
Jn dem Chor dieſer Karthauſe fand Don
Alonzo Ponz einige ſehr alte Gemälde an einem
Altar , deren hohe Vortrefflichkeit ſeine ganze Auf-
merkſamkeit rege machte . Sie ſtellten Epochen
aus dem Leben Johannes des Täufers dar ,
welches Hemling , wie bekannt , oft und mit aus-
gezeichneter Liebe behandelte , wahrſcheinlich weil
er dieſen ſeinen Namensheiligen beſonders ver-
ehrte . Don Alonzo Ponz fühlte ſich durch den
edlen Ausdruck der Geſtalten , die hohe Vollendung
jeder Einzelheit , und die ſeltne Pracht der noch
ganz friſch erhaltnen Farben dieſer Gemälde höchlich
angezogen . Er bemühte ſich um Nachricht von dem
Meiſter , der in früher Zeit ſo Hohes vermochte ,
und fand bald was er ſuchte in dem Archive des
Kloſters Miraflores .
Ein Maler , Juan Flamenco , ( Johann der Fla-
mänder ) , heißt es darin , hat dieſe Gemälde im
Jahr 1496 begonnen , und im Jahr 1499 vollen-
det . Er erhielt dafür , auſſer den dazu nöthigen
Holztafeln , die ihm vom Kloſter geliefert wurden ,
noch 26735 Maravedis für ſich und ſeine Ge-
hülfen .
Nun aber iſt auſſer Hans Hemling in jener
Zeit kein niederländiſcher Maler bekannt , der die
Lobſprüche verdienen konnte , welche Don Alonzo
Ponz jenen Gemälden in Miraflores gibt ; der Vor-
namen des Meiſters , die Wahl des Gegenſtandes ,
die Eigenſchaften welche vorzugsweiſe an jenen
Tafeln gerühmt werden , Alles dient dazu , uns in
der Vermuthung zu beſtärken , daß Hemling ſie
wirklich malte . Vielleicht haben ſelbſt die eben
erwähnten deutſchen Baumeiſter , Johann , oder
deſſen Sohn Simon von Köln , Hemling früher ge-
kannt und ſeinen Ruf nach Spanien veranlaßt .
Auch iſt es ſehr denkbar , daß der junge Philipp
von Spanien bei ſeiner Huldigung als Herzog von
Brabant , welche in Löwen ſelbſt im Jahr 1494 vor
ſich ging , den berühmten Hemling dort kennen
lernte und ihn mit ſich nach Spanien führte , einem
Lande , wo auch ſpäterhin die Meiſter ſeiner Schule
in hohen Ehren gehalten wurden .
Gewiß hatte der um das Jahr 1439 ge-
borne Hemling ſchon ein bedeutendes Alter erreicht ,
als er die Reiſe nach Spanien unternahm , um
dort im Jahr 1499 vielleicht ſein letztes Werk in
der Karthauſe von Miraflores zu vollenden . Seine
Rückkehr in die Heimath iſt nicht denkbar , und
wahrſcheinlich fand ſeine Aſche unter den Pinien
von Miraflores ihre Ruheſtätte , neben den Gräbern
der ſtummen Brüder , deren ewigem Schweigen
geweihten Wohnſitz er ſchmückte . Auch ſeine Ge-
mälde exiſtiren ſchwerlich noch in Miraflores ; Plün-
derung , Feuer und Schwert haben ſeit Don Alonzo
Ponz Reiſe oft dort gewüthet , man weiß gewiß ,
daß ein franzöſiſcher General im letzten Kriege den
Befehl gab , das Kloſter anzuzünden , und wenn
gleich die feſten alten Mauern vielleicht damals
widerſtanden , wie vernichtend mögen nicht dennoch
die letzten innern Unruhen in ihren Ruinen ge-
waltet haben .
Bis jetzt war in dieſen Blättern von Ge-
mälden Hemlings die Rede , welche theils die
Niederlande , theils ſüdlichere Gegenden be-
wahren , doch auch die Boiſſer é eſche Sammlung
beſitzt eilf Tafeln dieſes hohen Meiſters , deren An-
blick Jedem die Wahrheit alles deſſen verbürgt , was
zum Lobe der übrigen geſagt werden kann .
Zwei Flügelbilder in dieſer Sammlung , zu
denen das Mittelbild fehlt , bildeten mit dieſem
wahrſcheinlich einen auf das Abendmahl Bezug haben-
den Zyklus . Auf dem erſten derſelben erblicken
wir den Patriarchen Abraham , ſtolz und kühn tritt
er an der Spitze ſeines Haushalts dem Könige Mel-
chiſedeck entgegen ; Kinder und Kindeskinder , ein
unabſehbarer Zug , bilden zu Roß und Wagen ſein
Gefolge , einer ſeiner Söhne , reich gewapnet , ſteht
neben ihm . Abraham , noch in kräftigem Mannes-
alter , mit braunem Haar und ſchönem Bart , in
reicher kriegeriſcher Tracht , berührt nur mit der
Hand den helmartigen Kopfſchmuck , um den König
zu begrüßen , der , glänzend in orientaliſcher Pracht ,
vor dem frommen Helden das Knie beugt , indem
er ihm zum Pfande freundlicher Geſinnungen Brod
und Wein entgegen bringt . Die zweite Tafel zeigt
uns den die Jſraeliten vom Hungertode errettenden
Manna-Regen , doch ſcheint der Meiſter mit poeti-
ſchem Geiſt dieſes Wunder mehr ſymboliſch ergriffen
zu haben ; denn nirgend auf dieſem Bilde iſt eine
Spur von einer durch wirklichen Mangel erzeugten
Begier zu erblicken , nirgend drängt und ſtößt ſich
das ſammelnde Volk , wie man wohl ſonſt es auf
Darſtellungen dieſes Wunders zu ſehen gewohnt
iſt . Die Überzeugung , ſichtbar unter dem unmittel-
baren Schutz des Königs der Könige zu ſtehen , ver-
drängt für den Moment das Gefühl irdiſchen Be-
dürfens . Sehnen und Fürchten , Unmuth und Sorge
ſind verſchwunden und frommes Vertrauen erwärmt
jedes früher troſtlos verzweifelnde Herz . Darum
gleicht das Ganze eher einer religiöſen Feier als
dem Abhelfen einer drückenden Noth , denn der An-
blick des Wunders allein erhebt ſchon dieſe Menſchen
über ſich ſelbſt und über das Leben auf Erden . Flam-
mend bricht die Morgenröthe auf dieſer Tafel über
der glühend heißen Wüſte hervor , in einem , jeden
ſonſt nur denkbaren Farbeneffect übertreffenden
Glanz ; und doch erbleicht dieſer Glanz vor dem
Gluten-Meer , aus welchem auf dieſem nämlichen
Bilde Jehova ſtralend vom Himmel auf ſein Volk
herabblickt . Der Effect des Lichts iſt blendend
im beſtimmteſten Sinne des Worts , und ich
zweifle ob je ein Maler etwas Ähnliches her-
vorbrachte . Der Hintergrund der ſüdlichen Land-
12
ſchaft erhebt ſich terraſſenartig und überall in der
Ferne treten die Jſraeliten aus Höhlen und Ge-
büſchen hervor , die ihnen bei nächtlicher Zeit ein
Obdach gewährten . Jn feierlicher Stille ſammlen
einige den Segen des Himmels , andre vergeſſen
in frommem Gebet der Gabe , um dem Geber zu
danken , deſſen Glorie ſie umſtralt . Vier das
Manna ſammelnde Figuren im Vorgrunde künden
ſich durch Tracht , Anſtand und Geſtalt als Fürſten
des Volkes an . Die eine von ihnen , eine reich
gekleidete Frau von ſehr edlem Anſehen , ſteht hoch
und ſchön zur linken Hand des Gemäldes ; ſie trägt
ein rothes goldgeſticktes Gewand , darüber einen
durchſichtigen Flor , auf dem Haupt einen weißen
Turban , deſſen Ende ſchleierartig herabfällt , und
unter dem Kinn durchgehend wieder an den Turban
befeſtigt iſt . Ein neben dieſer Frau ſtehendes Kind
hebt bittend die Händchen zu ihr auf , doch ſie ,
von der Feierlichkeit des Moments ergriffen , ſcheint
ihm Schweigen zu gebieten . Ein ſehr edler ſchöner
Mann , in reichem orientaliſchen Schmuck , ſammelt
neben ihr , tief zur Erde gebückt , das Himmels-
brod; neben ihm ſteht eine andre ſehr anmuthige
weibliche Figur , mit einem geſchmackvoll geordneten
turbanartigen Kopfputz . Jn einiger Entfernung im
Mittelgrunde zeigt ſich eine dieſer ähnlichen Gruppe ,
welcher ſich die ganz kleinen Figuren im Hinter-
grunde anſchließen .
Ein großes Gemälde Hemlings in dieſer Samm-
lung , eine ſeiner Epopeen , vielleicht die reichhal-
tigſte welche er je malte , pflegen die Beſitzer gerne
nur nach und nach theilweiſe den Kunſtfreunden zu
zeigen , und ſelbſt ſo iſt es ſchwer , jede der vielen
mannichfaltigen Gruppen auf dieſer Tafel vollkom-
men aufzufaſſen , obgleich alles klar und folgerecht
neben einander ſteht , nirgend Verworrenheit das
Auge blendet .
Dieſes Bild für ſich allein bildet eigentlich
eine ganze Gallerie , welcher man viele Tage weihen
möchte . Es iſt eine wahre Fundgrube für Maler ,
welche um Stoff und Kompoſition zu ihren Gemäl-
den verlegen ſind , denn aus jeder dieſer Gruppen
könnten eben ſo viele Meiſterwerke entſtehen , ohne
etwas anderes als den Maasſtab derſelben zu ver-
12 *
ändern. Man ſagt daß funfzehnhundert verſchie-
dene Geſtalten auf dieſer Tafel ſich entdecken laſſen ,
der Augenſchein bekräftigt die Möglichkeit der
Behauptung , doch wer vermöchte hier nachzu-
zählen !
Dieſes Bild iſt kaum eine Landſchaft zu nennen ,
es iſt die treuſte Abbildung des Lebens und der
Welt , ihrer Herrlichkeit und Pracht , ihrer Mühe
und Arbeit . Dem ungewaffneten Auge kaum ſicht-
bar ſtehen die weiſen Könige des Morgenlandes
im fernſten Hintergrunde , jeder auf ſeinem Berge ,
den wunderbaren Stern beobachtend . Sie ziehen
herab , ſie kommen näher und näher zu Lande , auf
Strömen , wir ſehen ihren ganzen Weg , ihr ganzes
reiches Gefolge . Auf dem Kalvariberg ſehen wir ſie ,
wie auch die Legende es erzählt , alle drei , wenn
auch auf verſchiednen Wegen angelangt , im nämlichen
Moment zuſammen treffen . Sie erkennen einander ,
ſie erblicken Jeruſalem zu ihren Füßen liegen , und
eilen nun vereint weiter . Wir ſehen ſie auf
Brücken über breite Ströme ziehen , wir ſehen ſie
bei Herodes einkehren , der ihnen den Weg nach
Bethlehem bezeichnet . Dazwiſchen geht das Leben
der Bewohner des Landes , welches ſie durchziehen ,
immerfort den gewohnten Gang ; die Leute ſäen ,
erndten und tragen das Korn zur Mühle . Wan-
derer beleben die Straßen , Hirten und ihre Heerden
die Felder ; wir ſehen Städte , Dörfer , Ströme ,
Palläſte , in einer in Frühlings-Reiz grünenden
und blühenden Gegend . Jm Vorgrunde endlich
erblicken wir die Könige am Ziel , ſeitwärts eine
unbeſchreiblich reizende Gruppe von Hirten , denen
Engel das Heil der Welt verkünden . Dann erblicken
wir die heilige Familie auf der Flucht nach Egypten ,
wir ſehen die Krieger des Herodes , welche von
den Landleuten , denen ſie begegnen , den Weg der
Flüchtigen zu erforſchen ſuchen ; es folgt der Kin-
dermord zu Bethlehem , und ſo nach und nach alle
Hauptepochen des Lebens und Leidens Chriſti bis
zu dem Momente , wo er vor den Augen der anbe-
tenden Jünger von einem Hügel aufwärts zum
Vater ſchwebt . Nun folgt die bei Gelegenheit des
in Herrn Paſtor Fochems Sammlung befindlichen
Manuſkripts erwähnte Ausgießung des heiligen
Geiſtes über die um die Mutter ihres Herrn ver-
ſammelten Jünger , und ſeitwärts zur rechten Hand
mehrere Hauptzüge aus dem Leben derſelben , wie
die Legende unter dem Namen ihrer ſieben Freuden
und ſieben Schmerzen ſie auf unſre Zeiten brachte ;
zuletzt ihr frommer ſchöner Tod , in der Mitte der
Jünger ihres göttlichen Sohnes . Man müßte dieſem
Bilde ein eignes Buch weihen , um jede ſeiner zahl-
reichen und mannichfaltigen Darſtellungen gehörig
zu würdigen und zu beſchreiben . Alle dieſe viele
hundert , oft kaum einen Zoll hohe Figürchen be-
wegen ſich , gruppiren ſich , in unbeſchreiblicher
Wahrheit , keinem fehlt es an Ebenmaas und Aus-
druck , alle , bis in die kleinſten Einzelheiten , der
Gewänder , der Haare , ſind ausgeführt wie die
feinſte Miniatur . Nichts iſt bunt , verworren oder
kleinlich und das Ganze dieſes wunderbaren Bildes
reine Harmonie und unausſprechliche Wahrheit .
Minder umfaſſend , aber nicht minder erfreu-
lich , iſt ein aus drei Tafeln beſtehendes kleines Altar-
gemälde Hemlings in dieſer Sammlung , deſſen
Hauptfiguren höchſtens eine Elle hoch ſind . Das
Mittelbild zeigt uns ebenfalls die drei Könige zu
den Füßen des göttlichen Kindes . Die Mutter ſitzt
in der Vorhalle eines verfallnen edlen Gebäudes ,
von Tauben umflattert , von Blumen und duftigen
Kräutern in ſüdlicher Fülle umblüht ; vor ihr die
würdigen bärtigen Geſtalten der in Demuth anbeten-
den Weiſen des Morgenlandes . Doch ſo ſehr dieſes
ſchöne Gemälde , allein geſehen , Jeden entzücken
müßte , ſo wird deſſen Zauber dennoch von der
höheren unausſprechlichen Schönheit der beiden zu
demſelben gehörenden Flügelbilder übertroffen .
Johannes der Täufer , eine ſehr edle , leicht
mit Fellen bekleidete Geſtalt , ſteht auf dem erſten
derſelben , das weiche ſchneeweiße Lamm im Arm ,
ernſt vorwärts blickend , am Rande eines hell und
klar durch üppig wachſende Blumen und Kräuter
hinrieſelnden Felsbaches . Man hört das Plätſchern
der kleinen kriſtallhellen Wellen , man ſieht auf dem
ſandigen Grund die Fiſchchen zwiſchen bunten Kieſeln
ſpielen . Eine ſchöne Lilie ſproßt neben dem Heili-
gen aus dem Graſe auf , und überhaupt trägt jede
Pflanze , jede Blume des Vorgrundes den eigen-
thümlichen Charackter . Kein Zug dieſes köſtlichen
Gemäldes , der nicht voll zarter und ernſter Andeu-
tungen einer nahen , die Welt beglückenden Zukunft
wäre . Das ahnende Erwarten derſelben ſpricht
ſich vor Allem in dem ſchönen , edlen , ausdrucks-
vollen Kopf des Heiligen aus , doch auch allem
Übrigen lieh hier der begeiſterte Künſtler eine
jedem Volke verſtändliche Sprache .
Noch iſt die Sonne nicht aufgegangen , noch
fehlt ihr belebendes Licht , aber die ganze herrliche ,
reich blühende Gegend ſchwimmt im roſigen Schim-
mer einer Morgenröthe , die den ſchönſten heiterſten
Tag verſpricht ; neben dem Heiligen auf einem Fel-
ſenſtück ſitzt ein Eisvogel , der Verkündiger guter
Zeit . Jm Bache , dicht am Ufer , eilt eine ſchöne
kleine Schlange hinter einer Eidechſe her ; in vielen
Gegenden iſt dieſes kleine Thier als Vorläufer der
Schlangen allbekannt , und wenn man , von den
ſchädlichen Eigenſchaften einiger Schlangen abge-
ſehen , ſich erinnert , daß auch im alten Teſtament
Chriſtus durch die erhöhte eherne Schlange vorge-
bildet ward , deren Anblick Sterbende geſund machte ,
und daß Johannes ſein Verkünder iſt , ſo erſcheint
dieſe ganz natürlich herbeigeführte Allegorie ſo ſinn-
reich , als eine des Alterthums . Und dieſes Bild
gewährt deren noch viele .
Auf dem zweiten Flügelbilde , dem herrlichſten
unter dieſen dreien , ward das klare Bächlein der
vorigen Tafel zum breiten reißenden Strom , der ,
aus dem Hintergrunde zwiſchen hohen Felſenufern
daher ſtrömend , und im Vorgrunde zu beiden Seiten
von noch gewaltigern Felſen begränzt , den größten
Theil des Raumes ausfüllt . Der fromme Rieſe
Sanct Chriſtophorus ſchreitet faſt mitten in den
ſchäumenden Wogen mühſam fort ; im purpurrothen
aufgeſchürzten Gewande , auf ſeinen mächtigen Stab
gelehnt , blickt er nach dem wunderſamen Kinde auf
ſeiner Schulter um , deſſen unbegreifliche Schwere ihn
beinahe niederdrückt . Sanct Chriſtoph iſt keines
jener aufgedunſenen Wolkenbilder , wie ſie die aller-
neuſte Kunſt uns zuweilen zeigt , er iſt ein wirklicher
Rieſe , mächtig und ſtark , und Jeder ſieht deutlich ,
daß keine natürliche Laſt ſolcher Art dieſen kräftigen
Sehnen und Muskeln zu ſchwer werden konnte .
Der Ausdruck freundlicher Verwunderung in dem
frommen treuherzigen Geſicht des Rieſen iſt höchſt
anziehend ; doch wahrhaft göttlich groß , bei aller
kindlichen Anmuth , iſt der junge , etwa drei Jahr
alte Chriſtus . Das lichte Köpfchen von himmliſcher
Glorie umfloſſen , hebt er die erhobne Rechte gen
Himmel , indem er die ernſten Worte ausſpricht : —
„ du trägſt den Herrn der Welt . “ — Oben auf dem
hohen Felſenufer ſteht eine Einſiedelei , der ſie be-
wohnende Eremit vernahm das Geräuſch auf dem
Waſſer , er eilte hinaus und ſteht über die Felſen-
wand gebogen , ſein ſchwaches Lämpchen hinaushal-
tend . Aber im nämlichen Moment ſteigt die Sonne
in ſiegender Pracht aus dem unabſehbaren Wellen-
bette . Der Strom wird zum Lichtmeer , und die
erfreute Welt , ſtralend im Glanze des Himmels ,
bedarf nicht mehr des künſtlichen ſchwachen Lichts
des in der Dämmerung Wohnenden .
Kein Miniaturbild , kein berühmtes Kabinets-
ſtück der fleißigſten niederländiſchen Meiſter ſpäterer
Zeit , kann bis in die kleinſten Einzelheiten zarter
und vollendeter ſeyn als dieſe unbeſchreiblich herr-
lichen Bilder bei möglichſter Großheit der Zeichnung
und des Ausdrucks , und bei der blendendſten Farben-
pracht es ſind . Sie ſind ein Juweel , ein Kleinod ,
deſſen Glanz man geſehen haben muß um daran zu
glauben .
Auſſer dieſen ſechs Gemälden Hemlings beſitzt
die Boiſſer é eſche Sammlung von dieſem Meiſter noch
eine Auferſtehung Chriſti , drei Fuß fünf Zoll hoch ,
einen Evangeliſten Johannes von derſelben Größe ,
und , grau in grau gemalt , eine heilige Katharina
und eine heilige Barbara . Jedes derſelben iſt ſeiner
würdig , doch eile ich an ihnen vorüber zu dem gött-
lichſten erhabenſten Chriſtuskopf , der je einem
Sterblichen vorgeſchwebt hat und von ihm darge-
ſtellt wurde .
Minder jugendlich aufgefaßt , könnte er für
einen Gott Vater gelten , doch den Ausdruck deſſel-
ben , dieſen innigen Verein göttlicher Hoheit und
unendlichen Erbarmens der ewigen Liebe ſprechen
Worte nicht aus . Ehrfurchtsvolle Schauer ergreifen
Jeden vor dieſem wunderbaren Bilde ; Unedles oder
Gemeines in ſeiner Nähe nur zu denken , muß un-
möglich ſeyn , denn die wunderklaren leuchtenden
Augen blicken uns in die tiefſten Tiefen der Seele ,
mit faſt ſtrafendem Ernſt . Die höchſte Schönheit
des zum vollkommenſten Mann herangereiften Jüng-
lings tritt hier uns entgegen , obgleich wir dabei die
Unmöglichkeit fühlen , dieſer Geſtalt irgend im
Leben zu begegnen , denn ſie iſt die eines jugend-
lichen Gottes , für menſchliche Leiden und Freuden ,
ſelbſt für menſchliche Tugend zu erhaben .
Wie dieſes wunderbare Bild gemalt iſt , bleibt
ein Räthſel ; je länger man es betrachtet , je leben-
diger wird es ; man lobt ja das Waſſer eines Dia-
manten , ich möchte dieſen Ausdruck borgen , indem
ich von den Augen dieſes Chriſtus ſpreche ; nie ,
ſelbſt nicht in der Natur , meine ich ähnliches ge-
ſehen zu haben .
Übrigens gleicht dieſer Chriſtuskopf auf das
genauſte dem hundert und fünfzig Jahre nach
Chriſto bereits in der Kirche angenommenen
Typus deſſelben . Das Bild über welches der
Papſt noch alljährlich in Rom die Weihe ausſpricht ,
ſo wie alle alten Chriſtusbilder der neugriechiſchen
Schule tragen dieſelben Züge , ja ſelbſt das dunkle
furchtbare Haupt auf dem Schweißtuch jener heili-
gen Veronika , welche Goethe uns als den höchſten
Gipfel byzantiniſcher Kunſt im erſten Heft ſeines
Werks über Kunſt und Alterthum ſo anſchaulich dar-
ſtellt . Jch habe dieſe beiden Gemälde mit einander
lange und aufmerkſam verglichen , und es läßt ſich
nicht wegleugnen , jenes meduſenartige braune
Haupt , in aller ſeiner wunderſamen Verzogenheit ,
zeigt dennoch die höchſte Ähnlichkeit mit dieſer
ſchönen Geſtalt in der höchſten Blüthe jugendlicher
Kraft .
Die Traditionen von der eigentlichen Geſtalt
des Heilands ſind vielfältig und auf mannichfache
Weiſe bis auf unſre Tage gekommen . Die merk-
würdigſten derſelben hat Johann Reiske , Rector
zu Wolfenbüttel , im Jahr 16 8 5 geſammelt , und
ihnen unter dem Titel de ima inibus Jesu Christi
ein gelehrtes und gründliches Werk gewidmet .
Einige dieſer Beſchreibungen ſcheinen mit ſo ächt
phyſiognomiſchem Sinn und mit ſo individuellen
Zügen aufgefaßt , ſie ſtammen aus ſo grauer , den
Tagen Chriſti naher Vorzeit , ſie tragen ſo ganz
den Stempel einfacher Wahrheitsliebe , daß es
beinahe unmöglich wird , ihnen in der Hauptſache
allen Glauben zu verſagen , wenn gleich ſich Gründe
finden , die es mehr als zweifelhaft machen , daß
zum Beiſpiel folgender Brief gerade vom Conſul
Lentulus geſchrieben ſey , welcher fünf und zwanzig
Jahre nach Chriſti Geburt lebte , und ihn perſönlich
gekannt haben konnte . Jch laſſe dieſen Brief um
ſo lieber hier folgen , als er die Hauptzüge des
Hemlingſchen Chriſtuskopfes weit beſſer beſchreibt
als ich es vermöchte .
Brief des Conſul Lentulus .
Es hat ſich bei uns hervorgethan und lebt
noch ein Menſch von vielen Tugenden , den man
Jeſus nennt , welcher von vielen Leuten ein Prophet
der Wahrheit , von ſeinen Jüngern aber Sohn
Gottes genannt wird . Dieſer erwecket die Todten
und heilet die Kranken . Er iſt anſehnlich , lang
von Wuchs und von ſolchem Anſehen , daß ihn
Jedermann liebet und fürchtet . Er hat bräunliche
Haare , wie die Farbe einer reifen Haſelnuß , oben
glatt und dunkel , doch unten zu etwas kraus und
heller um die Schultern , auf dem Haupte getheilt ,
nach Art der Nazaräer ; eine freie Stirn und mun-
teres Angeſicht , ohne Runzeln und Flecken , mit
einer mäßigen Röthe geziert ; Naſe und Mund ſind
ohne Tadel , ſein voller Bart , dem Haupthaare
ähnlich , iſt nicht lang und in der Mitte geſpalten .
Er iſt aufrichtigen und beſtändigen Geſichts , von
großen klaren Augen , entſetzlich wenn er beſtraft ,
liebreich und ſanftmüthig wenn er ermahnt , fröhlich ,
doch mit einem anſtändigen Ernſt ; man hat ihn
niemals lachen geſehn , wohl aber zum öftern weinen ;
er ſpricht wenig , aber Alles mit Anſehn ; ſeine Ge-
ſtalt iſt vortrefflich vor allen Menſchenkindern .
Auf höchſt überraſchende Weiſe fand ich in
Berlin , in der nämlichen reichen Sammlung welche
auch die unſchätzbaren Seitentafeln des Genter
Gemäldes von van Eyck beſitzt , den deutlichſten
Beweis , daß Hemling durch jene alte Beſchreibun-
gen geleitet , ſeinen wunderbaren Chriſtus malte .
Für dieſen Beweis nämlich mußte ich einen Chriſtus-
kopf anſehen , den ich dort fand mit folgender Unter-
ſchrift . Johes de eyk me fecit et apleivit anno
1438 . 31. Jannary AΛE . IXH. XAN. Primus
et Novissimo .
Dieſer Kopf , der auch ohne die Unterſchrift
für eines der Meiſterwerke Johann van Eycks gelten
müßte , ſchien mir jenem von Hemling ſo durchaus
ähnlich , daß ich ihn für den nämlichen gehalten
hätte , ohne die Kruſte von Kerzendampf und
Staub , welcher ihn noch verdunkelt , da hingegen
der , welchen die Herren Boiſſer é e beſitzen , von
allen jenen Unbilden befreit , in blendender Friſche
der Farben ſtralt , als käme er eben von der
Staffelei . Wahrſcheinlich würde ſich mancher Unter-
ſchied zwiſchen beiden Gemälden entdecken laſſen ,
wäre es möglich ſie neben einander zu ſtellen , doch
ſo dünkte mir die Ähnlichkeit täuſchend , nur daß
mir das Berliner Gemälde bei genauer Betrachtung
minder groß vorkam als das der Boiſſer é eſchen
Sammlung . Jedes dieſer Gemälde iſt zu vortreff-
lich, zu ſichtlich und unwiderleglich von Meiſter-
hand , als daß man eines für die Kopie des andern
halten könnte , und ſo iſt denn nur denkbar , daß
das nämliche Jdeal , aus alten Traditionen und
Bildern geſchöpft , beide große Meiſter zu höchſt
ähnlicher Darſtellung ihres göttlichen Gegenſtandes
begeiſterte .
13
Quyntin Meßis .
Kein freundlicher Stern leuchtete der Geburt
und der Kindheit des armen Quyntin ; Dunkelheit
und Armuth empfingen ihn , als er um das Jahr
1450 zu Antwerpen ins Leben trat . Sein Vater ,
ein armer Handwerker , ſtarb , da Quyntin als un-
mündiges Kind dieſen Verluſt noch nicht zu empfinden
vermochte , und ſeine Mutter erzog ihn unter
Kummer , Mangel und Sorgen , bis er kräftig genug
ſchien , um bei einem Handwerker die Lehrjahre
antreten zu können . Sie brachte ihn in dieſer Abſicht
zu einem Schmied , wahrſcheinlich weil auch ſein
Vater dieſes Gewerbe betrieben hatte ; dort wuchs
er vollends heran , bei ſchwerer Arbeit und grober
Koſt , theilte , ſobald er es vermochte , den ſauer
erworbnen kärglichen Lohn mit ſeiner Mutter , die
mit ihm Haus hielt , und die er herzlich liebte und
ehrte , und führte ſo ein dunkles , kümmerliches Leben ,
bis in ſein zwanzigſtes Jahr .
Die ſchwere Arbeit am Ambos mochte dem
von der Natur einer höhern Beſtimmung geweihten
Jüngling wenig zuſagen ; das mühevolle Leben , die
gewaltige körperliche Anſtrengung , zu welcher kind-
liche Liebe ihn trieb , griffen ihn heftig an , ſeine
Kräfte erlagen und er fiel in eine tödtliche Krank-
heit . Lange lag er ſchwer und gefährlich krank in der
ärmlichen Hütte ſeiner troſtloſen Mutter , die nun ,
da ſie ihrer einzigen Stütze beraubt war , nicht mehr
wußte , wie ſie für ſich und ihren Sohn nur das Noth-
dürftigſte herbeiſchaffen ſollte , ſo daß Beide Mangel
und Noth litten . Jugend und eine unverdorbne
Natur halfen ihm zwar endlich die Todesgefahr
überwinden , doch mußte er noch Mondenlang das
Bette hüten , und der Anblick ſeiner darbenden
Mutter , das Gefühl ihr noch lange nicht helfen zu
können , quälten ihn unabläſſig , mehr als Krankheit
oder Schmerz , und brachten ihn faſt zur Verzweif-
lung . Freunde , Verwandte , Bekannte , die ſeinem
Schmerzenslager mitleidig nahten , bat er unab-
läſſig , ihm einen Erwerbsquell anzuweiſen , den
er in ſeiner gegenwärtigen Lage zur Erleichterung
häuslicher Noth ergreifen könne , doch niemand wußte
Rath .
13 *
Es war eben um die luſtige Faſtnachtszeit , und
mancherlei Gebräuche und Luſtbarkeiten waren in
jenen Tagen , beſonders bei den unteren Ständen ,
im Schwange , von denen unſre verfeinerte Sitte
nichts mehr weiß . So war es denn auch damals
in den niederländiſchen Städten Gebrauch , daß in
dieſer Zeit allgemeiner Fröhlichkeit die Armen und
Schwachen , welche in den Hoſpitälern verpflegt
wurden , in den Straßen von Haus zu Haus zogen ,
eine große aus Holz geſchnitzte und mit bunten
Lappen behangene Puppe mit ſich herumführten ,
und den Kindern buntbemalte Bilderchen ſchenkten ,
von deren Eltern ſie dafür mit mancherlei Gaben
wieder erfreut wurden . Dieſe Bildchen , deren
man zur Vertheilung eine ſehr große Anzahl be-
durfte , beſtanden aus illuminirten Holzſchnitten ,
und glücklicher Weiſe kam endlich einer von Quyntins
Freunden auf den Einfall , ihm zum Anmalen dieſer
Holzſchnitte , als zu einem Erwerbszweige zu
rathen , dem auch wohl ein Kranker vorſtehen könne .
Um zu begreifen , wie Quyntins Freund gerade auf
dieſen , dem Handwerk des Hufſchmieds ſo entgegen-
geſetzten Gedanken verfallen konnte , müſſen wir
wohl annehmen , daß Quyntin ohnehin ſchon in ge-
ſunden Tagen ſich und ſeine Freunde durch rohe
Kunſtverſuche zu ergötzen pflegte , eine Vorausſez-
zung , die überdem ſehr natürlich ſcheint , da ange-
bornes Kunſttalent , auch bei dem ſchwerſten Druck
der Äußerlichkeiten , ſich immer ans Licht drängt ,
gleich dem auf harten Felſengrund gefallnen Samen-
korn , das im Frühlingsthaue wenigſtens Keime
treibt , wenn gleich ſpäterhin kein günſtiger Boden
die ſchwachen Wurzeln der edlen Pflanze in Schutz
nimmt .
Der ſchwache , kaum geneſende Jüngling folgte
dankbar des Freundes wohlgemeintem Rathe , und
die leichte Arbeit gelang ihm über ſein Erwarten
und Hoffen . Seine Fertigkeit in ihr wuchs mit
jedem Tage , die Bildchen geriethen zuſehends immer
beſſer , ſie gewannen immer ausgebreitetern Abſatz ,
und Noth und Sorge waren bald aus ſeinem kleinen
Haushalte verbannt . Beſſre Pflege und Ruhe des
Gemüths beförderten mächtig ſeine gänzliche Her-
ſtellung , ſo daß er nach einiger Zeit wieder völlig
zu Kräften gelangte . Doch während dem waren
auch die fröhlichen Faſchingstage vorübergezogen ,
man bedurfte der Bildchen vor der Hand nicht
weiter , und Quyntin mußte ſich wieder , wenn
gleich mit ſchwerem Herzen , dem Amboſe zuwenden ,
und der weit liebern Beſchäftigung entſagen , zu
der bittre Noth ihn geführt hatte .
Er lebte und hämmerte nun wieder eine Weile
ſo fort , im dumpfbeklemmenden ſehnſüchtigen Ge-
fühl , das ſo oft den Frühling talentreicher Jüng-
linge umdüſtert , die ohne Mittel und Wege dazu
zu entdecken , dennoch den Trieb zum Höheren
dringend in ſich empfinden . Doch endlich ging ein
heller Stern ſeinem Leben auf , der ihm wirklich
der rechten Bahn zuleuchtete .
Dieſer Stern ſtralte in dem Auge eines ſehr
ſchönen Mädchens , und dem armen Schmiedejungen
gerade ins Herz . Das hübſche Kind war nicht von
ſo hohem Stande , daß Quyntin ſich ihr nicht hätte
nahen dürfen , es ſchien ihm auch ſogar , als ob er
nicht ungern würde geſehen werden , wenn nur
nicht ſeine ſchmutzige Arbeitsjacke , ſeine vom Führen
des Hammers gehärteten Hände , ſein von Kohlen-
ſtaub geſchwärtztes Geſicht , das in niederländiſcher
Reinlichkeit erzogne Mädchen zurückgeſchreckt hätten ,
dem es obendrein an Freiern und Verehrern nicht
mangelte . Der arme Quyntin wußte ſeiner Noth
vollends kein Ende , als ein artiger geputzter Geſell ,
ein Maler ſeines Handwerks , ſich ernſtlich um das
Mädchen bewarb . Er war der Verzweiflung nahe ,
als eine Äußerung der Jungfrau , die er durch die
dritte Hand vernahm , ihn plözlich wieder ermu-
thigte : „ Wäre doch jener der Hufſchmied , und
Quyntin der Maler , “ hatte ſie geſagt , und dieß
war ihm genug . Er ließ den Ambos ſtehen , warf
den Hammer weg , und ſich ganz der Kunſt in die
Arme , zu der ſchon längſt ſein innerer Genius ihn
gezogen hatte .
Mit dem Eifer der Jugend , von heißer Liebe
getrieben , durch ſchnelles ſeltnes Gelingen begeiſtert ,
arbeitete er nun Tag und Nacht , und , wie behaup-
tet wird , ohne die Leitung eines Meiſters zu Hülfe
zu nehmen ; was ihm wahrſcheinlich weder ſeine
Armuth noch der Wunſch , die Geliebte ſeines
Herzens bald heimzuführen , erlaubten . Denn
nach dem Gebrauche damaliger Zeit , in der auch
die Kunſt zunftmäßig betrieben ward , hätte er
nicht nur ein Lehrgeld zahlen , ſondern ſich auch auf
mehrere Jahre bei einem Lehrherrn verdingen
müſſen , die er zu opfern nicht Willens war .
Durch fleißiges Studium der Natur und der
vielen herrlichen Werke großer Meiſter , welche
ſeine , zu jener Zeit lebensreiche und prachtvolle
Vaterſtadt Antwerpen ſchmückten , machte er in
kurzer Zeit die bewundernswürdigſten Fortſchritte in
der Kunſt , und ward um ſo eher berühmt , da
Jedermann auch durch die ſchnelle Entwickelung
ſeines Talents , und die wunderbare Umwandlung
eines Hufſchmieds in einen Maler in das größte
Erſtaunen verſetzt ward . Sein ſchönes Mädchen
belohnte ihn , wie billig , mit ihrer Hand , er führte
mit ihr unter ſeinen Landsleuten ein langes glück-
liches Leben in Ehre und Wohlhabenheit , und auf
allen ſeinen Gemälden , wo es nur irgend der Ge-
genſtand erlaubte , lächelt uns noch immer , nach
mehr als dreihundert Jahren , ihr freundliches an-
muthiges Köpfchen entgegen , denn er liebte ſie
immerfort mit unwandelbarer Treue . Auch die
Tonkunſt verſchönerte ſein Leben ; er übte ſie mit
großem Gelingen , und war deshalb unter ſeinen
Landsleuten ebenfalls bekannt und geliebt . Er
ſtarb 1529 im neun und ſiebzigſten Jahre ſeines
Alters . Wie hoch ſeine Vaterſtadt ihn ehrte , be-
weiſ't ſein in Stein gehauenes Profil , an der
Außenſeite der Marienkirche zu Antwerpen , mit
der Umſchrift des bekannten Verſes „ Connubialis
Amor etc . “
Jn der Ausübung ſeiner Kunſt war Quyntin
Meßis kein blinder Nachahmer des ſchon Vorgefund-
nen . Sein kräftiges beharrliches Gemüth bahnte
ſich einen eignen Weg und ſeine Gebilde tragen
den Stempel einer ihm ganz angehörenden Origina-
lität , die nicht ohne Anmuth iſt . Er verſchmähte
die zierliche und ausgeführte Vollendung der Meiſter
ſeiner Zeit , vermuthlich weil ſeine durch ſchwere
Arbeit in der Jugend minder gefügig gewordne
Hand ihm nicht erlaubte , es ihnen hierin gleich zu
thun ; dafür aber erfand er ſich eine eigenthümliche
Art , auf den Effekt hin zu arbeiten , die vor ihm
Niemand weder kannte noch übte . Sein Kolorit iſt
warm und kräftig , obgleich es ſich mit van Eycks
und Hemlings Farbenglut nicht meſſen kann . Mit
feſtem herzhaften Pinſel ſtellte er was er wollte auf
die Tafel hin ; in einiger Entfernung geſehen , er-
ſchienen ſeine Gemälde ſogar ſehr fleißig gearbeitet ,
wenn gleich etwas trocken und ſcharf gezeichnet .
Der warme Ton , die anſcheinende Ausführlichkeit
geben ihnen einen ganz eignen Reiz , doch in der
Nähe ſchwindet der Zauber , den ihnen die Ferne
verlieh , und man findet ſie im Vergleich eher etwas
rauh und hart .
Eines ſeiner vorzüglichſten Gemälde , vielleicht
das beſte unter allen , eine Abnahme vom Kreuz ,
befand ſich zu Karl von Manders Zeiten in der
Marien-Kirche zu Antwerpen . Den todt daliegen-
den Chriſtus hat er , wie man glaubt , nach der
Natur gemalt ; der Ausdruck des Schmerzes der
Mutter , der heiligen Frauen , und der übrigen
Umſtehenden , ſo wie auch die Behandlung der
Farben , wird als ſehr vortrefflich geprieſen . Die
eine der Seitentafeln ſtellte den heiligen Johannes ,
die zweite die Tochter Herodes im Tanze dar , und
obgleich das Ganze ebenfalls auf den Effekt gemalt
war , ſo erregte es doch wegen ſeiner übrigen Treff-
lichkeit nicht nur allgemeine Bewunderung , ſondern
ward auch von Kennern ſehr hoch gehalten . Dieſes
Gemälde gehörte urſprünglich der Tiſchlergilde zu
Antwerpen , für die Quyntin Meßis es gemalt hatte .
König Philipp der zweite von Spanien ſtrebte eifrig
nach deſſen Beſitz ; die Denous mögen damals doch
noch nicht ganz üblich geweſen ſeyn , denn er begnügte
ſich , große Summen dafür zu bieten , ohne daß
jedoch die Tiſchlerzunft ſich dazu bewegen ließ , das
Kunſtwerk dafür hinzugeben . Neue Gefahren
drohten dem Meiſterwerke bald darauf , als die
Bilderſtürmer vernichtend herumzogen , doch es
ward ſorgfältig verborgen und gerettet , wo ſo
vieles zu Grunde ging . Endlich im Jahr 1577 ,
zwangen die Umſtände die Beſitzer es an die Stadt
Antwerpen ſelbſt zu verkaufen , welche ihm den
Ehrenplatz in der Marien-Kirche einräumte . Sie
erhielten die damals beträchtliche Summe von
funfzehnhundert Gulden dafür , die ſie zum Ankauf
eines Zunfthauſes verwendeten , deſſen ſie nöthig
bedurften .
Die Boiſſer é eſche Sammlung beſitzt ebenfalls
ein ſehr vorzügliches-figurenreiches Gemälde dieſes
Meiſters , deſſen Gegenſtand mir indeſſen nicht
mehr gegenwärtig genug iſt um es hier näher zu
beſchreiben . Auch habe ich in andern Sammlungen
manche ſeiner Arbeiten getroffen , alle von fröhlichem
heiterm Eindruck , doch mögen ſie im Ganzen jetzt
ſelten ſeyn .
Johann Meßis , Quyntins Sohn , war zu-
gleich deſſen Schüler , und galt zu ſeiner Zeit für
einen über die Mittelmäßigkeit ſich erhebenden
Maler , ohne bei weitem den Ruhm ſeines Vaters
zu erreichen . Jedoch machte er ſich deſſen Art zu
malen ſo zu eigen , daß manche ſeiner Arbeiten für
die ſeines Vaters gehalten wurden , und vielleicht
es noch werden . Die Gallerie in Schleisheim beſaß
von dieſem Johann Meßis eine Abbildung des Evan-
geliſten Matthäus in halber Figur , die ſich wahr-
ſcheinlich jetzt in der Münchner Gallerie befindet .
Eins ſeiner gelungenſten Werke war eine Wechsler-
ſtube , in welcher nach damaliger Art , Gold gewogen
und gezählt wird . Dieſes Bild malte er für einen
Kunſtliebhaber in Amſterdam , und ich glaube es zu
Berlin in der oft ſchon erwähnten Sammlung geſehn
zu haben , wo man es uns als ein Werk ſeines
Vaters zeigte . Auch befanden ſich zu Antwerpen
mehrere gute Arbeiten dieſes Meiſters , die jetzt
wohl größtentheils zerſtreut ſind .
Barent von Bruͤſſel , auch Bernhard
von Oelay genannt .
Weit freundlicher als dem armen Quyntin
Meßis lächelte das Glück der Geburt dieſem Meiſter ,
der ſchon in früher Jugend nach Rom kam , wo er
unter die Zahl von Raphaels Schülern aufgenom-
men ward . So vom Schickſal begünſtigt , bildete
er ſein angebornes und ausgezeichnetes Talent auf
das aller vielſeitigſte aus ; er malte in Öl , mit
Waſſerfarben , auf Glas , alles mit gleichem Ge-
lingen , und kehrte endlich als vollendeter Meiſter
nach Brabant zurück , wo Kaiſer Karl der fünfte ihn
unter die Zahl ſeiner Hofmaler aufnahm . Beſon-
ders erwarb er ſich die Gunſt dieſes Fürſten durch
mehrere große Jagdſtücke , nach welchen der Kaiſer
in den kunſtreichen Fabricken von Brüſſel koſtbare
und prächtige Tapeten weben lies . Die Gegend
und die Holzungen um Brüſſel waren in dieſen Ge-
mälden auf das treuſte kopirt , ſo daß Karl der
fünfte den Schauplatz ſeiner ehemaligen Luſt in ihnen
wieder erkennen konnte ; auch war deſſen Bildniß
und das der Fürſtinnen und Fürſten ſeines Hauſes ,
die bei den Jagdfeſten gegenwartig geweſen , in
dieſen Gemälden vollkommen ähnlich dargeſtellt .
Aus dem Dienſte Karls des fünften trat Bern-
hard von Oelay in den der Stadthalterin der
Niederlande , Margaretha von Parma , Kaiſer
Karls natürlichen Tochter . Auch dieſe Fürſtin zeich-
nete nach dem Beiſpiel ihres Vaters den Künſtler
auf das ehrenvollſte aus und belohnte alle ſeine
Arbeiten mit königlicher Freigebigkeit , ſo daß er
ſich nicht nur Ehre ſondern auch ein bedeutendes
Vermögen erwarb . Für dieſe Fürſtin , ſo wie
früher für ihren Vater , malte er außer vielen
andern bedeutenden Werken auch noch mehrere große
Vorbilder , Kartons oder Patronen zu gewirkten
Tapeten , damals ein Hauptgegenſtand des Luxus
in den Palläſten der Großen . Sechszehn von dieſen
wurden faſt hundert Jahren nach ihrem Entſtehen
im Haag wieder ans Licht gebracht ; auf jedem der-
ſelben ſah man eine Fürſtin oder einen Fürſt aus
dem Naſſauiſchen Hauſe zu Pferde abgebildet , und
alle waren von ſo ſeltner Vortrefflichkeit , daß der
damalige Statthalter der Niederlande , Moritz von
Naſſau , ſich bewogen fühlte , ſie durch den in Delft
wohnenden Maler , Hans Jordaen von Antwerpen ,
kopiren zu laſſen .
Dieſer Meiſter war damals hoch berühmt , nicht
nur wegen ſeiner Kunſt , ſondern auch wegen ſeiner
ſeltnen Fertigkeit und der wenigen Zeit , deren er
zur Vollendung eines Gemäldes bedurfte . Jn
Jtalien , wo er ſich lange aufhielt , pflegten ſeine
Kunſtgenoſſen deshalb zu ſagen : er ſchöpfe ſeine
Figuren mit dem Löffel aus den Farbentöpfen
heraus , und von dieſem Scherz trug er auch ſpäter-
hin in ſeiner Heimath den Namen Potlepel ( Topf-
löffel ) davon .
Neben den Arbeiten für den Hof , ſchmückte
Bernhard von Oelay auch viele Kirchen und öffent-
liche Gebäude in den Niederlanden mit großen Ge-
mälden von bedeutendem Werth . Eines der be-
rühmteſten und ſchönſten derſelben befand ſich in der
Kapelle der Allmoſenpfleger zu Antwerpen ; es ſtellte
das jüngſte Gericht vor . Die Tafel , auf welche
er dieſes Bild malte , ließ er vorher ganz übergol-
den, wodurch ſeine Farben an Glanz und Durch-
ſichtigkeit unendlich gewannen , beſonders in den
Luftparthieen , in welchen der goldne Grund ſichtbar
hervorſchimmerte ; wahrſcheinlich um , wie auf dem
Danziger Gemälde , die überirdiſche Atmoſphäre des
geöffneten Himmels anzudeuten . Descamp gibt
dieſes Gemälde für eine große gemalte Fenſterſcheibe
aus , weil er wahrſcheinlich mit gewohnter Flüchtig-
keit ſich nicht die Mühe nahm , Karl von Manders
Beſchreibung deſſelben recht zu verſtehen , und
Fuesli ließ ſich dadurch verleiten , es in ſeinem Künſt-
ler-Lexikon ebenfalls als ſolche anzuführen . Dieſes
zu widerlegen bedarf es kaum mehr als der Be-
merkung daß eine ſtark mit Gold belegte Fenſter-
ſcheibe unmöglich durchſichtig bleiben kann , was doch
ein Haupterforderniß der alten Glasmalerei war .
Übrigens war Bernhard von Oelay , wie ſchon
früher erwähnt ward , auch in dieſer , ſeinem Zeit-
alter eigenthümlichen Kunſt ein großer Meiſter , und
viele Kirchen in Brüſſel prangten mit ſolchen ſchim-
mernden Werken von ſeiner Hand .
Für die der Malerzunft eigene Kapelle zu
14
Mecheln malte Bernhard von Oelay eine ſehr ge-
prießne Darſtellung der heiligen Jungfrau mit dem
Kinde ; vor ihr iſt der heilige Lukas im Begriffe , die
himmliſche Erſcheinung auf ſeiner Tafel nachzuzeich-
nen . Die Seitenbilder dieſes Altargemäldes waren
von Michael Coxcis , von dem in den nächſt folgen-
den Blättern ausführlicher geſprochen werden wird .
Jn unſern Zeiten ſind Bernhard von Oelays
Gemälde ſehr ſelten geworden , doch beſitzt die
Boiſſer é eſche Sammlung eines derſelben , deſſen
ſeltne Vortrefflichkeit in der Ausführung , geiſt-
reiche Kompoſition und hohe Naturwahrheit in Aus-
druck und Form , den Werth dieſes alten Meiſters
auf das anſchaulichſte beurkunden . Es ſtellt den
heiligen Norbertus vor , der im Anfange des
zwölften Jahrhunderts Biſchof von Magdeburg
wurde und kurz vorher nach Antwerpen gerufen
ward , um mit einem damals berühmten Ketzer
über Glaubensartickel zu disputiren und ihn wo
möglich der Wahrheit zuzuwenden .
Der heilige Biſchof ſteht in dieſem Gemälde
auf der nicht ſehr hohen Kanzel einer ſchönen , mit
mehreren Zuhörern belebten Kirche . Eindringende
Beredſamkeit , feſte Überzeugung , und ernſtes Hin-
ſtreben zum Zweck ſind der Ausdruck ſeines edlen
Geſichts und ſeiner zwar warmen doch gemäßig-
ten Rednergeberde . Er ſcheint eben ein ſehr ein-
dringendes Argument vorgebracht zu haben , und
beobachtet den Eindruck deſſelben auf ſeinen ihm
rechts gegenüber ſtehenden Gegner . Mit dem
Ausdrucke innern Kampfes , halb erfreut , halb
betrübt , achtet dieſer mit geſpannter Aufmerkſam-
keit auf die Worte des Redners , während ſeine um
ihn verſammelten Angehörigen , von einer Art innerer
Beklommenheit ergriffen , den Ausgang erwarten .
Neben dem Ketzer hat der Maler ſein eignes Bild
unter den Zuhörern angebracht , an deſſen Ähnlich-
keit mit bekannten Abbildungen des Meiſters die
Beſitzer zuerſt dieſes Gemälde für eine ſeiner Ar-
beiten erkannten . Unter der Kanzel ſitzt eine ſehr
ſchöne Frau mit ihrer kaum der Kindheit ent-
wachſenen Tochter ; das junge Mädchen fühlt ſich
mit jugendlicher Schwärmerei von der eindringenden
Rede ergriffen , während die Mutter mit dem
14 *
Ernſte der Erfahrung und dem ruhigen Abwarten
des reiferen Alters nur ſtill ſinnend dem Vortrage
des Heiligen aufmerkſam zu folgen ſcheint . Das
ganze Gemälde iſt nicht groß , doch das Leben ,
der Ausdruck in dieſen kleinen Figuren , ſo wie auch
die ganze Anordnung unübertrefflich . Bernhard
von Oelay erreichte , wie faſt alle Maler ſeiner
Zeit , ein bedeutendes Alter . Er ſtarb , ſiebenzig
Jahre alt , im Jahr 1560 .
Michael Coxcis .
Dieſem Meiſter ward , wie in Johann van
Eycks Leben früher erwähnt iſt , die Ehre , das
berühmte Altarbild in Gent für König Philipp von
Spanien zu kopiren . Jm Jahr 1497 zu Mecheln
geboren , zeigte er ſchon in früher Jugend die aus-
geſprochenſten Anlagen für ſeine Kunſt , welche er
als Schüler Bernhards von Oelay durch den rühm-
lichſten Fleiß auszubilden ſtrebte . Mit unermüde-
tem Eifer wendete er alle ſeine Zeit auf die Befol-
gung der Lehren ſeines Meiſters , kannte kein andres
Vergnügen als das Gelingen ſeines Strebens , und
verlebte ſo ſeine Jugend in Mäßigkeit und Arbeit ,
ohne ſich von ſeines Gleichen zu der Verderbtheit
der Sitten hinreiſſen zu laſſen , die in den Nieder-
landen gerade in ſeinen Jugendtagen nur zu all-
gemein herrſchend wurde .
Nach vollendeten Lehrjahren zog er , wie früher
auch ſein Lehrer gethan hatte , nach Rom , wo er
geraume Zeit verweilte , und unermüdet der
Kunſt lebte . Er zeichnete und malte viel nach
Raphael und andern großen italiäniſchen Meiſtern ,
nahm Rath und Lehre an , und ward bald auch durch
Übertragung bedeutender Arbeiten ehrenvoll ausge-
zeichnet . So malte er unter andern in der alten
Peterskirche zu Rom eine Auferſtehung Chriſti al
Fresco auf der Mauer ; auch die Kirche St. Maria
della pace und andere prangten mit ſeinen
Werken .
An der Hand einer italiäniſchen Gattin kehrte
Michael Coxcis endlich wieder in die Heimath zurück .
Dieſe war eine eben ſo verſtändige als geiſtreiche
Frau , welche durch ihr ſittliches Betragen ſich und
ihm allgemeine Achtung erwarb . Sie hielt ſowohl
durch Theilnahme an ſeinen Kunſtwerken als durch
Bitten und Ermahnungen zu ſtetem Fleiße ihn an ,
und veranlaßte dadurch nach und nach die Erwer-
bung eines bedeutenden Vermögens . Nachdem ſie
mehrere Jahre glücklich mit ihm verlebt hatte , ſtarb
ſie , und Michael Coxcis wählte bald darauf unter
ſeinen Landsmänninnen eine zweite Gattin , doch
von minder ausgezeichneten Eigenſchaften . Dieſe
zweite Ehe blieb kinderlos , aus der erſten aber
hatte Michael einen Sohn , Namens Raphael ,
den er für die Kunſt bildete .
Dieſer ward zwar ein ganz guter Maler , doch
gewiß kein Raphael , wozu der Vater ihn doch in der
Taufe beſtimmt zu haben ſcheint . Wenige ſeiner
Werke ſind auf die Nachwelt gekommen , dennoch
erhielt er ſpäterhin eine Art von Berühmtheit durch
ſeinen Schüler Caspar de Crayes , welcher zu An-
fang des ſiebzehnten Jahrhunderts unter die damals
vorzüglichſten in Flandern lebenden Maler gezählt
ward .
Das erſte Gemälde , wodurch Michael Coxcis
nach ſeiner Rückkunft aus Jtalien ſich berühmt
machte , war ein großes Altarbild , ein gekreuzigter
Chriſtus , im Schloß Halſenberg , wenige Meilen
von Brüſſel , zu welchem alle Kunſtverſtändige und
Künſtler aus Brüſſel hinzogen , um es mit freudiger
Bewunderung zu betrachten . Eine Darſtellung des
Todes der heiligen Jungfrau , auf dem Altar der
Kirche St. Gallus in Brüſſel , war ebenfalls ein
herrliches allbewundertes Werk unſers Meiſters ,
doch leider kam dieſes , ſo wie auch das vorer-
wähnte, ſpäterhin während der niederländiſchen
Unruhen in die Hände eines gewiſſen Thomas
Werry , eines Kunſthändlers , der in jener traurigen
Zeit die allgemein herrſchende Raubſucht und Un-
ordnung benutzte , um dieſe und viele andere herr-
lichen Kunſtwerke umſonſt oder für ein Spottgeld
zu erhalten , und ſie dann nach Spanien führte ,
wo man ſie mit Gold aufwog . Unzählbare Kunſt-
werke wurden damals auf dieſe Weiſe den unglück-
lichen Niederlanden entführt , auch die beiden Sei-
tengemälde , welche Michael Coxcis zu Bernhard
von Oelays Abbildung des Evangeliſten Lukas und
der heiligen Jungfrau in der Kapelle der Malergilde
zu Mecheln gemalt hatte , und die zu den beſten
ſeiner Arbeiten gezählt wurden .
Während eines ſehr langen glücklichen Le-
bens gingen viele größere und kleinere Gemälde
aus der Werkſtatt des fleißigen Meiſters hervor .
So hatte er unter andern für die Marien-Kirche in
Antwerpen einen heiligen Sebaſtian von ſeltner
Schönheit gemalt , und eine Einſetzung des heiligen
Abendmahls , welche den Altar der Kirche St. Gallus
in Brüſſel ſchmückte . Überall ſtrebte man nach
dem Beſitz ſeiner Werke , doch wollten Kunſtver-
ſtändige ſeiner Zeit ſeinen früheren Arbeiten vor
den ſpäter entſtandnen in mancher Hinſicht den Vor-
zug geben . Er ſelbſt hatte die innigſte Freude an
ſeiner Kunſt , und bewahrte mehrere ſeiner Lieblings-
Arbeiten , die er um keinen Preiß wegzugeben ent-
ſchloſſen war , in dreien Pallaſt- ähnlichen Häuſern ,
welche in Mecheln ſein Eigenthum waren , und
einen Theil ſeiner großen wohlerworbnen Reich-
thümer ausmachten .
Mit leichtem feinen Pinſel wußte Michael
Coxcis ſeinen Geſtalten etwas höchſt gefälliges und
heitres zu verleihen , und obgleich man das kräftige
naturgetreue Kolorit ſeiner großen Vorgänger wohl
zuweilen vermiſſen könnte , ſo iſt es doch unmöglich ,
dem Zauber ſeiner leicht aufgetragnen hellen ſchönen
Farben zu widerſtehen . Wie unbeſchreiblich reizend
er ſeine weiblichen Geſtalten darzuſtellen , wie
köſtlich er ſie zu ſchmücken wußte , beweiſen zwei
Gemälde in der Boiſſer é eſchen Sammlung . Jedes
von dieſen enthält nur eine einzige Figur ; das eine
die Abbildung der heiligen Katharina , das andere
die der heiligen Barbara , beide fürſtlich geſchmückt ,
mit Juwelen , Gold , Perlen und hellfarbigen glän-
zenden Gewändern . Nichts kann lieblicher ſeyn
als dieſe beiden jugendlichen Köpfchen , beſonders
das der heiligen Barbara ; ein zarter durchſichtiger ,
leicht geſchlungner Schleier bildet ihren höchſt ge-
fälligen Kopfputz . Eigne Erfindung bei der Darſtel-
lung bedeutender Momente in ſeinen größern Kom-
poſitionen war indeſſen nicht die glänzendſte Seite
dieſes ſonſt ſo trefflichen Meiſters . Oft bei der
Zuſammenſtellung ſeiner Gruppen in Verlegenheit ,
half er ſich mit ſeinen aus Jtalien gebrachten
Studien , mit Erinnerungen aus den Werken ſeiner
dortigen berühmteſten Kunſtgenoſſen . Deshalb war
er höchſt unzufrieden als Hieronymus Cock eine
Sammlung Kupferſtiche nach Raphaels Werken her-
ausgab , weil dadurch offenbar wurde , wie ſehr er
dieſe , beſonders bei ſeiner Darſtellung der ſterben-
den Maria , benutzt hatte .
Bei ſeinem großen Reichthum ward Michael
Coxcis dennoch nicht läſſig im Erwerb und ver-
ſchmähte ihn ſelbſt im Kleinen nicht . So hatte er
eine ihm eigne Art , eine weiße Wand von oben
bis unten mit allerlei artigen Verzierungen zu be-
decken , die er ſehr behende mit der Kohle hin zu
zeichnen wußte , und ließ ſich durch kleine ihm ange-
nehme Geſchenke leicht dazu bewegen .
Den Mangel an innerer , Alles belebenden
Poeſie , der aus ſeiner Verlegenheit bei der Kompo-
ſition größerer Gemälde hervorgeht , erſetzte bei
ihm , wie bei ſo vielen ſonſt geiſtreichen Mannern ,
ein leichtes ſchnelles Auffaſſungs-Vermögen , und
eine große Fertigkeit , zwei ganz entgegengeſetzte
Gegenſtände mit einander zu vergleichen . Sein
heitrer Umgang ward deshalb von Vielen geſucht ,
doch auch von Vielen gefürchtet , denn er verletzte
oft die , welche ihm nahten , durch ſcharfe beißende
Reden und witzige Einfälle , die niemand ſchonten .
Dieß erfuhr unter andern ein junger Maler , der ,
ſchwer beladen mit Zeichnungen und andern Kunſt-
werken , aus Jtalien zurückkehrte , und die einhei-
miſchen Kunſtverwandten und Freunde einlud , ſie
anzuſehen . Als er nun bei Vorzeigung ſeiner Schätze
mehrmals über die Schwere der getragenen Laſt
klagte , und wie wund ſie ihm auf dem langen Wege
den Rücken gedrückt habe , wandte ſich Michael
Coxcis plötzlich mit der Frage an ihn : Warum er
ſie nicht lieber und bequemer im Buſen mit ſich
getragen habe ? Der junge Menſch erklärte ihm mit
großer Naivetät : wie das Paket dazu viel zu groß
geweſen ſey . So äuſſerlich hatte es der Meiſter
freilich nicht gemeint , wie die Anweſenden zur Be-
ſchämung des jungen Malers leicht einſahen .
Michael Coxcis erreichte in ununterbrochener
Thätigkeit , in Glück und Wohlleben , die äußerſte
Gränze des menſchlichen Lebens . Als geſunder
rüſtiger Greis arbeitete er noch im fünf und neunzig-
ſten Jahre an einem Gemälde im Stadthauſe zu
Antwerpen , hatte aber das Unglück um dieſe Zeit
eine Treppe herunterzufallen , und ſtarb an den
Folgen davon im Jahr 1592 .
Albrecht Duͤrer .
Ein günſtiges Geſchick bewahrte uns recht an-
ziehende Notizen über die Eltern und die Jugend
des großen edlen Meiſters , von ſeiner eignen Hand
niedergeſchrieben , und ich freue mich um ſo mehr ,
mit ſeinen eignen Worten dieſe ſeinem Andenken
gewidmeten Blätter beginnen zu können , da er ſelbſt
in ihrer rührenden treuherzigen Einfalt gleichſam
wie lebend vor uns ſteht , fromm und gut , einfach ,
Gott ergeben und arbeitſam , wie er es war und
blieb , bis an ſein Ende .
„ Jch Albrecht Dürer , der jüngere , hab zu-
„ſammengetragen aus meines Vaters Schriften ,
„von wannen er geweſen ſey , wie er herkommen
„und blieben , und geendet ſeliglich , Gott ſey ihme
„und uns gnädig , Amen . “
Anno 1524 .
„ Albrecht Dürer der ältere iſt aus ſeinem Ge-
„ſchlecht geboren im Königreich zu Hungarn , nicht
„fern von einem Städtlein , genannt Jula , acht
„Meilen Wegs weit unter Wardein , aus einem
„Dörflein , zunächſt dabei gelegen , mit Namen
„Eytas , und ſein Geſchlecht hat ſich genähret der
„Ochſen und Pferde , aber meines Vaters Vater
„iſt genannt geweſt Antoni Dürer , iſt Knabenweis
„in das obgedachte Städtlein kommen zu einem
„Goldſchmidt , und hat das Handwerk bei ihm ge-
„lernet . Darnach hat er ſich verheirathet mit
„einer Jungfrauen mit Namen Eliſabeth , mit der
„hat er eine Tochter , Catharina und drei Söhne
„geboren , den erſten Sohn , Albrecht Dürer , der
„iſt mein lieber Vater geweſt , der iſt auch ein
„Goldſchmidt worden , ein künſtlicher reiner
„Mann . Darnach iſt Albrecht Dürer , mein lieber
„Vater , in Teutſchland kommen , lang in Nieder-
„land geweſt , bei den großen Künſtlern , und auf
„die lezt her gen Nürnberg kommen , als man ge-
„zehlet hat nach Chriſti Geburt 1455 Jahr , an
„S . Loyen Tag , und auf denſelben Tag hatte
„Philipp Birkheimer Hochzeit auf der Veſten , und
„war ein großer Tanz unter der großen Linden ;
„darnach hat mein lieber Vater , Albrecht Dürer ,
„dem alten Jeronymus Heller , der mein Ahnherr
„geweſen iſt , gedient eine lange Zeit , bis daß
„man nach Chriſti Geburt gezehlet hat 1467
„Jahr , da hat ihm mein Ahnherr ſeine Tochter
„geben , eine hübſche gerade Jungfrau , Barbara ,
„1 5 Jahr alt , und hat mit ihr Hochzeit gehabt
„acht Tage vor Viti . Auch iſt zu wiſſen , daß
„meine Ahnfrau , meiner Mutter Mutter , iſt des
„Oellingers Tochter von Weiſſenburg geweſt , hat
„geheiſſen Kunigund , und mein lieber Vater hat
„mit ſeinem Gemahl , meiner lieben Mutter , dieſe
„nachfolgende Kinder gezeugt , das ſetz ich , wie er
„das in ſein Buch geſchrieben hat , von Wort zu
„Wort . “
Hiernächſt folgen die vom alten Dürer aufge-
zeichneten Familien-Nachrichten , Geburts-Tage ,
Namen und Pathen zweier Kinder , dann fährt er
weiter fort den Geburts-Tag unſers Albrecht Dürer
anzuzeigen .
„ Jtem nach Chriſti Geburt 1471 Jahr in
„der ſechſten Stunde , an S. Prudentien-Tag ,
„an einem Freytag in der Creuzwochen , gebahr
„mir meine Hausfrau meinen andern Sohn , zu
„dem war Gevatter Antoni Koburger , und nannt
„ihn Albrecht nach mir . “
Nun folgen wiederum Namen , Pathen und
Geburts-Tag von noch funfzehn Geſchwiſtern , auf
die nämliche Weiſe von dem Vater Albrecht Dürers
treulich niedergeſchrieben , ein langes Namen-Re-
giſter , nach deſſen Beendigung Albrecht Dürer der
Sohn wieder die Feder ergreift .
„ Nun ſind dieſe meine Geſchwiſterigt , meines
„lieben Vaters Kinder , alle geſtorben , etliche in
„der Jugend , die andern , ſo ſie erwachſen , allein
„leben wir drei Brüder noch , ſo lang Gott will ,
„nämlich ich Albrecht , und mein Bruder Andreas ,
„desgleichen mein Bruder Hanns des Namens ,
„meines Vaters Kinder . “
„ Jtem dieſer Albrecht Dürer , der ältere , hat
„ſein Leben mit groſſer Müh , und ſchwerer harter
„Arbeit zugebracht , und von nichten anders
„Nahrung gehabt , denn was er vor ſich , ſein Weib
„und Kind mit ſeiner Hand gewonnen hat , darum
„hat er gar wenig gehabt . Er hat auch mancherlei
„Betrübung , Anfechtung und Widerwärtigkeit
„gehabt . Er hat auch von männiglich , die ihn
„gekannt haben , ein gut Lob gehabt , denn er hielt
„ein erbar Chriſtlich Leben , war ein gedultig Mann
„und ſanftmüthig , gegen jedermann friedſam , und
„er war feſt dankbar gegen Gott . Er hat ſich auch
„nicht viel weltlicher Freud ' gebraucht , er war auch
„weniger Wort , hat nicht viel Geſellſchaft , und
„ward ein Gottesfürchtiger Mann . “
„ Dieſer mein lieber Vater hat großen Fleiß
„auf ſeine Kinder , die auf die Ehr Gottes zu
„ziehen , denn ſein höchſt Begehren war , daß er
„ſeine Kinder mit Zucht wohl aufbrächt , damit ſie
„vor Gott und den Menſchen angenehm würden ,
„darum war ſein täglich Sprach zu uns , daß wir Gott
„lieb ſolten haben und treulich gegen unſerm
„Nächſten handeln , und ſonderlich hatte mein Vater
„an mir ein Gefallen , da er ſahe daß ich fleißig in
„der Übung zu lernen war . Darum lies mich mein
„Vater in die Schule gehen , und da ich ſchreiben
„und leſen gelernt , nahm er mich wieder aus der
„Schul , und lernet mich das Goldſchmid-Werk ,
„und da ich nun ſäuberlich arbeiten konnt , trug
15
„mich mein Luſt mehr zu der Malerei denn zu dem
„Goldſchmid-Werk . Das hielt ich meinem Vater
„für , aber er war nicht wohl zufrieden , denn ihm
„reuet die verlorne Zeit , die er mit Goldſchmid-
„Lehr hatte zugebracht , doch lies er mirs nach , und
„da man zählet nach Chriſti Geburt 1486 an S.
„Andreas-Tag verſprach mich mein Vater in die
„Lehr-Jahr zu Michael Wolgemut , drei Jahr
„lang ihm zu dienen . Jn der Zeit verliehe mir
„Gott Fleiß , daß ich wohl lernete , aber viel von
„ſeinen Knechten leiden muſte . Und da ich ausge-
„dient hat , ſchickt mich mein Vater hinweg , und
„blieb vier Jahre auſſen , bis daß mich mein Vater
„wieder fordert . Und als ich im 1490 Jahr
„hinweg zog nach Oſtern , darnach kam ich wieder
„als man zählt 1494 nach Pfingſten . Und als ich
„anheims kommen war , handelt Hans Frey mit
„meinem Vater , und gab mir ſeine Tochter , mit
„namen Jungfrau Agnes , und gab mir zu ihr 200
„Gulden , und hielt die Hochzeit , die war am
„Montag , vor Margarethe im 1494 Jahr . Dar-
„nach begab ſich aus Zufall daß mein Vater krank
„ward an der Ruhr , alſo , daß ihm die niemand
„ſtellen möcht . Und da er den Tod vor ſeinen
„Augen ſahe , gab er ſich willig drein , mit großer
„Geduld , und befahl mir meine Mutter und befahl
„uns göttlich zu leben . “
Jn dieſem treuherzig- einfachen Ton fährt
Albrecht Dürer noch eine Weile in ſeinen Familien-
Nachrichten fort , berichtet nähere Umſtände von dem
ſeeligen Hinſcheiden ſeines frommen Vaters , erwähnt
einiger Todesfälle in ſeiner Verwandſchaft , und
erzählt zuletzt , wie er ſeine alte arme Mutter zwei
Jahre nach dem Tode ſeines Vaters zu ſich ins
Haus genommen , und ſie treulich gepflegt habe ,
beſonders in ihrer letzten langwierigen Krankheit ,
da ſie ein ganzes Jahr das Bette hüten mußte ,
bis auch ſie ſanft und ſelig entſchlief .
Albrecht Dürer hatte , da er in ſeinem ſechzehn-
ten Jahre die Werkſtatt ſeines Vaters mit der
Meiſters Michael Wolgemuts vertauſchte , ſich
ſchon große Geſchicklichkeit erworben in den damals
unter den Goldſchmieden üblichen künſtlichen Arbei-
ten , wie wir ſie noch jetzt an denen mit getriebnen
15 *
Figuren gezierten Bechern und anderem köſtlichen
Silbergeräthe der Vorzeit in Kunſtkabinetten bewun-
dern . Er hatte , zur großen Freude ſeines Vaters ,
und zur Bewunderung aller Verwandten und Be-
kannten , ſchon die ſieben Fälle des Leidens Chriſti
in getriebner Silberarbeit ſehr ſchön und künſtlich
ausgeführt , ſo daß es dem Vater allerdings leid
ſeyn mußte , den hoffnungsvollen Sohn von der
ſo wohl betretnen Bahn abgehen zu ſehen , und gewiß
gehörte ſehr dringendes Bitten ſeines Lieblings dazu ,
um ſeine Einſtimmung zu dieſem bedenklichen Schritt
zu erhalten . Doch ergab er ſich endlich , und trat
mit ſeinem alten Freunde , dem berühmten Meiſter
Martin Schön zu Kolmar , dem er am liebſten ſeinen
Sohn anvertrauen mochte , deshalb in ſchriftliche
Unterhandlungen ; doch dieſer ſtarb vor Vollendung
derſelben , und ſo entſchloß der alte Dürer ſich ,
ſeinen Albrecht dem damals berühmteſten Maler in
Nürnberg , Michael Wolgemut , zu übergeben ,
wahrſcheinlich um ſo lieber , da er ihn auf dieſe
Weiſe unter ſeinen Augen behielt .
Auf der Wanderſchaft , die Albrecht Dürer
nach vollendeten Lehrjahren antrat , beſuchte er die
berühmteſten , damals lebenden Maler , nicht nur
in Deutſchland , ſondern auch in den Niederlanden ,
lernte von ihnen mit dem Fleiß , der bis ans Ende
ſeiner Tage ihn auszeichnete , und ſtudirte mit beſon-
derer Vorliebe die Werke Martin Schöns und Jſraels
von Mecheln .
Nach vier Jahren kehrte er heim , ausgebildet
an Leib und Geiſt , fromm , rein und gut , wie er
vom väterlichen Hauſe ausgegangen war . Seine
Probezeichnung , die er nach der Heimkehr in
Nürnberg mit der Feder zeichnete , um nach dama-
ligem Gebrauch unter die Meiſter aufgenommen zu
werden , erhielt wegen ihrer ſeltnen und vollendeten
Ausführung von allen Kunſtverſtändigen großes Lob ,
und erregte allgemeine Bewunderung , beſonders
in Hinſicht auf die den Hintergrund bildende Land-
ſchaft . Dieſe Zeichnung ſtellte einen Orpheus dar ,
dem , freilich proſaiſch genug , von den wüthenden
Bachantinnen mit Knitteln übel mitgeſpielt wird .
Leider iſt die Wahl dieſes Motifs als eine ſehr un-
glückliche Vorbedeutung auf ſeine bald darauf ge-
ſchloßne Ehe mit Agnes Frey anzuſehen , deren
Vater , Hans Frey , ſich durch eben dieſe Zeichnung
bewogen fühlte , ihm ſeine Tochter zuzuführen , da
er ſie bei einem jungen Künſtler , der ſo zu beginnen
wußte , für wohl verſorgt achtete . Das bösartige ,
geizige , zankſüchtige Weſen dieſer Frau vergällte
Albrecht Dürers ganzes Leben und führte zuletzt
das frühe Ende ſeiner Tage herbei .
Wenn wir den Zeitraum von ein und vierzig
Jahren , vom erſten Tage an , da Albrecht Dürer
der Kunſt ſich widmete , bis an ſeinen Tod , mit der
Menge der uns von ihm erhaltnen Kunſtwerke
vergleichen , und dabei bedenken , wie Vieles noch
im Lauf von dreihundert Jahren für uns verloren
gehen mußte , ſo wird der Fleiß des edlen Meiſters
nicht minder unſre Bewunderung erregen , als die
Kunſtwerke ſelbſt , deren ſeltne Vortrefflichkeit den
hohen Genius beurkunden , der , vom Glück beſſer
begünſtigt , und ohne die traurige Beſchränkung der
Umgebungen , in denen er leben mußte , wahrſchein-
lich neben Raphael und Johann van Eyck zu den
höchſten Höhen der Kunſt ſich erhoben hätte .
Schon in der erſten Hälfte des ſiebenzehnten
Jahrhunderts , kaum hundert Jahre nach Albrecht
Dürers Tod , war es ſehr ſchwer , alle noch vor-
handnen Blätter zuſammen zu bringen , die er in
Holz geſchnitten , in Kupfer geſtochen , einige ſogar
in Eiſen geäzt , oder in Zinn mit der Nadel geriſſen
hatte , denn er verſuchte ſich gern und ohne zu ermü-
den in Allem wodurch er ſeine Kunſt zu vervoll-
kommnen hoffte . Seiner damals noch vorhandnen
Holzſchnitte zählt Sandrart dreihundert und zwölfe ,
ohne Kaiſer Maximilians große Ehrenpforte und die
vier Triumphzüge zum Theurdank ; von Kupferſtichen
gibt er einhundert und ſechſe als ihm bekannt an .
Und wie viele Handzeichnungen bereichern nicht noch
die Mappen der Kunſtfreunde , wie viele Kruzifixe ,
Heiligen-Bilder und ähnliche Werke von Albrecht
Dürer aus Holz und Elfenbein meiſterhaft gebildet ,
werden nicht noch , gleich Heiligthümern , in und
auſſer Deutſchland in reichen Sammlungen aufbe-
wahrt ! Seine , zum Theil großen , figurenreichen
Gemälde ſind noch der Stolz vieler Gallerien und
Privat-Sammlungen , bei uns wie im Auslande ;
gewiß fand eine nicht minder große Anzahl derſelben
im Laufe der Zeiten ihren Untergang , und wahr-
ſcheinlich liegt auch noch manches unerkannt , in
Staub und Dunkel verborgen .
Auſſer der Übung ſeiner Kunſt beſchäftigte er
ſich auch mit der Feder , und erwarb ſich als Schrift-
ſteller ebenfalls Achtung und Ehre , ſo daß ſeine
Werke in franzöſiſchen , lateiniſchen und italiäniſchen
Überſetzungen auch im Auslande gar bald bekannt
wurden . Er ſchrieb mehrere Werke über Geometrie ,
Perſpective , Proportion des menſchlichen Körpers ,
ſogar über einen ſeiner Kunſt ganz fremden Gegen-
ſtand , über Fortifikation ; welche Schrift 1527
unter dem Titel : „ Etliche Underricht , zu Befeſti-
gung der Stätt , Schloß und Flecken , “ im Druck
erſchien , nebſt einer Zueignung an den römiſchen
König Ferdinand . Seine vier Bücher von der Bild-
und Maler-Kunſt wurden von Paulo Galluci aus
dem lateiniſchen ins italiäniſche überſetzt , und um
ein fünftes Buch vermehrt . Dieſe Überſetzung ward
im Jahr 1594 zu Venedig in Folio-Format
gedruckt .
Wie hoch Albrecht Dürers Kunſtwerke auch in
Jtalien geſchätzt wurden , wo damals mit ihm gleich-
zeitig Michael Angelo und Raphael Alles überſtral-
ten , beweiſet des , gewiß gegen die Deutſchen
nicht unpartheiiſchen Vaſari eignes Bekenntniß , daß
der berühmte Kupferſtecher Marc Antonio ſechs und
dreiſig von Albrecht Dürer in Holz geſchnittne kleine
Paſſionsſtücke ſogar mit deſſen bekannten Namens-
zeichen nachahmte , und ſie als deſſen Arbeit ver-
kaufte . Albrecht Dürer verklagte ihn deshalb , und
brachte es dahin , daß er auf Befehl der Signoria
wenigſtens das Zeichen in den Holzſtöcken weglöſchen
mußte .
Albrecht Dürer war im Umgange mit Freunden
und Bekannten einer der liebenswürdigſten Men-
ſchen ; noch jetzt gewinnt in ſeinem Bilde ſein edles ,
frommes , von langen , lichten , ſanft gekräuſelten
Haaren umfloßnes Antlitz alle Herzen , und zeigt von
der Milde und Reinheit des Geiſtes , der einſt dieſe
Züge belebte . Er war der Stolz ſeiner Vaterſtadt ,
die ihn zum Beweiſe ihrer Achtung zum Mitglied
des großen Raths erwählte . Alle ſeine Mitbürger
vom größten zum kleinſten liebten ihn , die geiſtreich-
ſten Männer ſeiner Zeit ſuchten ſeine Bekanntſchaft ,
ſeine Nähe , und Kaiſer und Könige zeichneten ihn
ehrenvoll aus . Der König von England und viele
Fürſten und Große belohnten freigiebig den Fleiß ,
den er auf ihre Bildniſſe verwendet hatte , vor
Allem aber hielt Kaiſer Maximilian ihn in hohen
Ehren , ernannte ihn mit einem Jahrgelde von ein-
hundert Gulden zu ſeinem Hofmaler , und belohnte
überdem auch reichlich jede ſeiner Arbeiten in dieſem
ſeinem Dienſt , in welchem nach Maximilians Ab-
leben auch Kaiſer Karl der fünfte ihn beſtätigte .
Als Albrecht Dürer einſt in Kaiſer Maximilians
Gegenwart auf einer Mauer etwas hinzeichnen
wollte , wankte die Leiter , auf welcher der Meiſter
ſtand , und der Kaiſer hieß einem ſeiner naheſtehen-
den Edelleute die Leiter zu halten . Dieſer aber
zog ſich etwas zurück , und winkte einem in der Ent-
fernung ſtehenden Diener , an ſeiner Stelle dieſen
Dienſt zu verrichten , den er unter ſeiner Würde
hielt . Der Kaiſer ward dieß gewahr , und ſtellte
ſogleich den Edelmann deshalb zur Rede , und als
dieſer einige auf ſeinen Rang Bezug habende
Gründe vorbrachte , erzürnte ſich der Kaiſer noch
mehr , — „ Albert iſt wohl mehr als ein Edelmann
wegen Fürtrefflichkeit ſeiner Kunſt , “ — ſprach er ,
— „ denn ich wohl aus einem Bauern einen Edel-
mann , aber nicht gleich von einem Edelmann einen
Künſtler machen kann . “ — Auch gab er von Stunde
an dem Albrecht Dürer ein adliches Wappen , drei
ſilberne Schilde im blauen Felde , für ſich und ſeine
Zunft .
Mehr aber als alle Ehrenbezeugungen , die
ihm entgegen kamen , tröſtete Albrecht Dürer die
treue Anhänglichkeit ihm herzlich ergebner Freunde ,
bei ſeinem , wirklich ſehr ſchweren häuslichen Unge-
mach , an der Seite der unerträglichen Frau , mit der
er in kinderloſer Ehe leben mußte . Mehrere durch
Herz und Geiſt ſich auszeichnende Männer ſchloſſen
im traulichſten Verein ſich ihm an , und ſuchten jede
Noth und Sorge ihm wenigſtens zu erleichtern .
Unter dieſen befand ſich Doctor Johann Aegidius
A y rer , ein warmer Freund der Kunſt , dem Albrecht
Dürer ſeine Freundlichkeit und manche ihm erzeigte
Gefälligkeit dadurch belohnte , daß er ihm bei Anle-
gung und Ordnung ſeiner bedeutenden Sammlungen
kräftig beiſtand . Doch der eigentliche , bis an ſeinen
Tod ihm ergebne Freund ſeines Herzens war der
geiſtreiche und gelehrte Nürnberger Rathsherr Bili-
bald Pirkheimer . Dieſer beſaß ſein ganzes Vertrauen ,
und half ihm auch aus mancher beklemmenden Noth ;
denn unerachtet aller ſeiner Arbeit war dennoch im
Hauſe des durchaus uneigennützigen Meiſters nie
Überfluß , wohl aber zuweilen Sorge und Mangel zu
finden . Jm vertrauten Umgange mit dieſem ſeinem
Freunde , war es auch wohl , daß Albrecht Dürer auf
Luthers damals hervortretende Erſcheinung zuerſt auf-
merkſam wurde . Beide laſen alle damals von dieſem
erſcheinende Schriften , welche ganz Deutſchland in
Bewegung ſetzten , theilten einander ihre Bemer-
kungen mit , und gelangten mit einander zu einer
Überzeugung , die beider durch Übermuth des
Pfaffenthums aufgeregtes Gemüth der neuen Lehre
endlich zuwendete ; Pirkheimer ergab ſich ihr mit der
Überlegung des Weiſen , der Jedes von allen
Seiten betrachtet ehe er es für gut erkennt , und
kam ſpäterhin in mancher Hinſicht auf andre Gedan-
ken , wie aus einem von ihm bald nach Albrecht
Dürers Tode geſchriebnen merkwürdigen Briefe
hervorgeht , aber Albrechts Künſtler-Natur ergriff
mit feuriger Begeiſterung , was ſeinem hellen Auge
im ſtralenden Glanz der Wahrheit erſchienen war ,
ohne ſich je wieder davon abwenden zu laſſen .
Jm Jahr 1506 unternahm Albrecht Dürer
eine Kunſtreiſe nach Venedig . Er ward dort von
Vielen freundlich empfangen , und führte mehrere
Kunſtaufträge , die er erhielt , ehrenvoll aus . Wie
fröhlich er , fern von ſeinem häuslichen Elend , unter
einem ſchönen Himmel ſeyn konnte , beweiſ't eine
Reihe Briefe , welche er an ſeinen Freund Pirk-
heimer von Venedig aus ſchrieb , deren mitunter zu
derb luſtiger Ton aber freilich nicht mehr in unſere
Zeit paſſen will . Zur beſſern Darſtellung ſeiner
Lage , ſowohl daheim als in ſeinem damaligen
Aufenthalt , hebe ich nur ein paar Stellen aus dieſen
Briefen aus .
„ Wollt Gott daß ich euch großen Dienſt könnt ,
„denn das wollt ich mit Freuden ausrichten , denn
„ich erkenn daß Jhr mir viel thut , und ich bitt
„euch habt Mitleiden mit meiner Schuld , ich ge-
„denk daran öfter denn Jhr . Alsbald Gott mit
„heim hilft ſo will ich euch erbarlich zahlen mit
„großem Dank , weil ich hab den Teutſchen zu
„malen ein Tafel , davon geben ſie mir 110 Gulden
„rheiniſch . Darauf geht mit fünf Gulden Koſtung .
„Die werd ich noch in acht Tagen verfertigen mit
„weißen ( gründen ) und ſchaben , ſo will ich ſie
„von Stund anheben zu malen , wenn ſie mag , ſo
„Gott will , ein Monat nach Oſtern auf dem Altar
„ſtehn . Das Geld hoff ich , wenn Gott will , all
„zu erſparen , wenn ich gedenk ich dürf der Mutter
„noch dem Weib alsbald kein Geld ſchicken u. ſ. w. “
„ Venedig an der heil. drei Könige Tag im
„Jahr 1506 . “
Die in dieſem Briefe erwähnte Tafel war ein
heiliger Bartholomäus , für den damaligen Verein
deutſcher Kaufleute in Venedig , und ſchmückte einen
Altar in der dem deutſchen Hauſe zunächſt liegen-
den Kirche . Mit großer Mühe kam Kaiſer Rudolph
ſpäterhin zum Beſitz dieſes Gemäldes , indem er ſich
erbot , jede Summe , welche die Kirche nur immer
dafür fordern möchte , zu zahlen . Auf das ſorg-
fältigſte eingepackt , ward es hierauf nach des Kaiſers
eigner Veranſtaltung durch vier ſtarke Männer auf
den Schultern von Venedig bis Prag getragen ,
damit das koſtbare Gemälde nicht durch das Rütteln
eines Wagens unterwegs Schaden litte .
Jn einem andern Briefe ſchreibt Albrecht Dürer
an Bilibald Pirkheimer :
„ Jch wollt daß Jhr hie zu Venedig wärt . Es
„ſind ſo viel artiger Geſellen unter den Welſchen ,
„die ſich je länger je mehr zu mir geſellen , daß es
„einem am Herzen ſanft ſollt . Denn vernünftig
„gelehrt gut Lautenſchleger , Pfeiffer , verſtändig
„im Gemäle , und viel edles Gemüth , rechte
„Tugends von Leuten , und thun mir viel Ehr und
„Freundſchaft . Dagegen find Jhr auch der untreu-
„ſten verlogen diebiſch Böſewichter da , Jch glaub
„daß ſie auf Erdreich nit ſo leben , und wenns
„einer nit wüßt , ſo gedächt er es wären die artig-
„ſten Leut die auf Erdreich wären . Jch muß ihn
„ſelbſt lachen , wenn ſie mit mir reden , ſie wiſſen
„daß man ſolch Boßheit von ihnen weiß , aber ſie
„fragen nie darnach . Jch hab viele guter Freund
„unter den Welſchen , die mich warnen , daß ich
„mit ihren Malern nicht eß und trink , auch ſind mir
„ihrer viel feind , und machen ( kopiren ) mein Ding
„in Kirchen ab , und wo ſie es mögen bekommen ;
„noch ſchelten ſie es , und ſagen es ſey nit antikiſch
„Art , dazu ſey es nit gut ; aber Sambellinus
„( Gian Bellino , auf venetianiſch Zan Belin , Ti-
„zians großer Lehrer ) der hat mich vor viel Gen-
„tilomen faſt ſehr gelobt . Er wollt gern etwas
„von mir haben und iſt ſelber zu mir gekommen und
„hat mich gebeten , er wolls wohl zahlen . Und
„ſagen mir die Leut alle , wie es ſo ein frommer
„Mann ſey , daß ich ihm gleich günſtig bin . Er iſt
„ſehr alt und iſt noch der Beſte im Gemäle u. ſ. w.
„Geben zu Venedig neun Uhr in die Nacht , am
„Samſtag nach Lichtmeß im 1506 Jahr . “
Von Venedig aus machte Albrecht Dürer eine
Ausflucht nach Bologna ; „ Um Kunſt willen , “
ſchreibt er , „ in heimlicher Perſpektive , die mich
„einer lernen will , da werd ich ungefehr in acht
„oder zehn Tagen auf ſeyn gen Venedig wieder zu
„reiten , darnach will ich mit dem nächſten Boten
„kommen . O wie wird mich nach der Sonne
„frieren ! hier bin ich ein Herr , daheim ein Schma-
„rotzer . “
Jn Bologna ward er von den dortigen Malern
wie zuvor in Venedig ehrenvoll empfangen , und
langte wahrſcheinlich erſt im Spätherbſt deſſelben
Jahres wieder in Nürnberg an , wo er in ununter-
brochnem Fleiß das gewohnte Leben von neuem
begann . Lange gefühlte Liebe und Bewunderung ,
noch erhöht durch die unſterblichen Werke Raphaels ,
welche ihm wahrſcheinlich in Venedig und Bologna
zu Geſichte gekommen , trieben ihn jetzt unwiderſteh-
lich , dieſem hohen Meiſter zu ſchreiben und ihm
ſein eignes Bildniß zu überſenden ; eine Zeichnung ,
die er höchſt kunſtreich , ohne alles aufgeſetzte Licht ,
mit täuſchender Wahrheit ausgeführt . Beides
langte glücklich in Rom an , und Raphael erkannte
mit Freuden den ihm verwandten Genius , deſſen
Ruhm gewiß ſchon früher bis zu ihm gedrungen war .
Er nahm das Schreiben wie die Gabe dankbar
16
und freundlich auf , und erwiederte beides , mit
einem liebevollen Briefe und mit Zeichnungen von
ſeiner Hand zum Gegengeſchenke .
Jnniges Verlangen , die großen Meiſter der
Niederlande und ihre Werke zu ſehen , bewog
Albrecht Dürer vierzehn Jahre ſpäter nochmals ſeine
Heimath zu verlaſſen und das Land zum zweiten-
male zu beſuchen , wo er früher muthig und ſorglos
den Weg zum Ziele begonnen . Jetzt war das
freilich viel anders , ſein Weib begleitete ihn mit
ihrer Magd Suſanne , und ſo ging Alles viel ſchwer-
fälliger als damals , da dem fröhlichen , lehrbegierigen
Jüngling Welt und Kunſt im Morgenroth des
Lebens entgegen lächelten .
Von dieſer ſeiner Reiſe iſt der größte Theil
ſeines ſehr ſorgfältig geführten Tagebuchs bis auf
unſre Zeit gekommen , aus welchem ich hier die mir
am merkwürdigſten ſcheinenden Stellen dem Leſer
mittheile , da das Ganze , bei aller ſeiner naiven
Anmuth und herzlichen Einfachheit doch wohl zu
viel Raum erfordern möchte . Herr von Murr
hat es im ſiebenten Theil des Journals zur Kunſt-
geſchichte und zur allgemeinen Litteratur , welches er
im Jahr 1779 zu Nürnberg herausgab , abdrucken
laſſen .
Anno 1520 .
„ Am Pfingſttag nach Kiliani hab ich Albrecht
„Dürer auf mein Verkoſt und Ausgeben mich mit
„meinem Weib von Nürnberg hinweg in das Nie-
„derland gemacht , und da wir deſſelben Tags aus-
„zogen durch Erlang , da behaußten wir zu Nachts
„zu Baiersdorf , und verzehrten daſelbſt drei Batzen
„minder ſechs Pfennig u. ſ. w. “
„ Darnach fuhren wir gen Antorff ( Antwerpen ) ,
„da kam ich in die Herberg , zum Jobſt Plankfeld ,
„und denſelben Abend lud mich der Fugger Factor
„mit Namen Bernhard Stecher , gab uns ein köſt-
„lich Mal . Aber mein Weib aß in der Herberg ,
„und dem Fuhrmann hab ich für unſer drei Per-
„ſonen zu führen gegeben drei Fl. an Gold . “
„ Am Sonntag war auch Sanct Oswaldtag ,
„da luden mich die Maler auf ihr Stuben , mit
„meinem Weib und Magd , und hatten alleding
„mit Silbergeſchirr , und andern köſtlichen Gezier
16 *
„und überköſtlich Eſſen . Es waren auch ihre Weiber
„alle da , und da ich zu Tiſche geführt ward , da
„ſtund das Volk auf beiden Seiten , als führe man
„einen großen Herrn . Es waren auch unter ihnen
„gar trefflich Perſonen , von Mannen , die ſich all
„mit tiefen Neigen auf das allerdemüthigſt gegen
„mir erzeigten , und ſie ſagten ſie wollten alles das
„thun , als viel möglich , was ſie wüßten das mir
„lieb wäre . Und als ich alſo ſaß , da kam der
„Herren von Antorff Rathsboth mit zweien Knech-
„ten , und ſchenket mir von der Herren von Antorff
„wegen vier Kannen Wein , und ließen mir ſagen ,
„ich ſolle hiemit von ihnen verehret ſeyn , und ihren
„guten Willen haben . Deß ſagte ich ihnen unter-
„thänigen Dank , und erbot meine unterthänige
„Dienſt . Darnach kam Meiſter Peter , der Stadt
„Zimmermann , und ſchenket mir zwei Kannen
„Wein , mit Erbietung ſeinen willigen Dienſt . Alſo
„da wir lang fröhlich bei einander waren , und ſpat
„in die Nacht , da belaithen ſie uns mit Windlich-
„tern gar ehrlich heim , und baten mich ich ſoll ihren
„guten Willen haben , und annehmen , und ſollt
„machen was ich wollt , darzu wollten ſie mir
„allbehülflich ſeyn . Alſo dankte ich ihnen , und
„legte mich ſchlafen . “
„ Auch bin ich geweſt in Meiſter Quintines
„( Quintin Meßis ) Haus . Aber ich bin geweſen
„auf ihren großen drei Schießplätzen , ich hab geſſen
„ein köſtlich Mal , mit dem Staber . Aber ein
„ander mal mit dem Factor von Portugall , den
„hab ich mit der Kohlen konterfeit , mehr hab ich
„meinen Wirth konterfeit , item Jobſt Plankfeld ,
„der hat mir geſchenkt ein Zinken weiß Korallen . “
„ Jtem Sebaldt Fiſcher hat mir zu Antorff ab-
„kauft ſechzehn kleiner Paſſion pro 4 fl. , mehr 32
„Bücher pro 8 fl. , mehr 6 geſtochne Paſſion pro
„3 fl. , mehr 20 halbe Bogen aller Gattung gleich
„durch einander pro 1 fl . Jtem meinem Wirth hab
„ich zu kaufen geben auf ein Tüchlein ein gemalt
„Marienbild um 2 fl. rheiniſch u. ſ. w. “
„ Jtem am Sonntag nach Bartolomäi bin ich
„von Antorff mit Herr Tomaſin gen Mecheln ge-
„fahren , da lagen wir über Nacht , da lud ich
„Meiſter Konrad und ein Maler mit ihm , zu Nacht-
„eſſen, und dieſer Meiſter Konrad iſt der gut
„Schnitzer , der dienet Frau Margareth des Kaiſer
„Maximilians Tochter , desgleichen ich kein geſehen
„hab . Von Mecheln fuhren wir durch das Städt-
„lein Wilßwart , und kamen am Montag gen
„Brüſſel zu Mittag u. ſ. w. “
„ Jch hab geſehen zu Brüſſel im Rathhaus in
„der gulden Kammer , die vier gemalten Materien
„die der groß Meiſter Rudiger ( Rogier van der
„Weyde ) gemacht hat . “
„ Auch hab ich geſehen die Ding die man dem
„König auß dem neuen gulden Land ( Mexico ) hat
„gebracht , eine ganz guldene Sonnen , einer ganzer
„Klafter breit , desgleichen ein ganz ſilberner Mond ,
„auch alſo groß , desgleichen von allerlei ihrer
„Waffen , Harniſch , Geſchütz , und allerlei wunder-
„barlicher Ding zu menſchlichen Brauch , das da
„viel ſchöner zu ſehen iſt als Wunderding . Dieſe
„Ding ſind alle köſtlich geweſen daß man ſie beſchäzt
„hundert tauſend Gulden werth . Und ich hab aber
„all mein Lebtag nichts geſehen das mein Herz alſo
„erfreut hat , als dieſe Ding . Denn ich hab darin
„geſehen wunderliche künſtliche Ding , und hab mich
„verwundert der ſubtilen Jngenio der Menſchen in
„fremden Landen . “
„ Jtem Madonna Margarethe ( die Statthal-
„terin ) die hat zu Brüſſel nach mir geſchickt , und
„mir zugeſagt ſie woll meine Beförderin ſeyn gegen
„König Karl , und hat ſich ſonderlich ganz tugend-
„lich gegen mich erzeigt . Hab ihr mein geſtochnen
„Paſſion geſchenkt , desgleichen ein ſolchen ihrem
„Pfenning-Meiſter mit Namen Jan Marini , und
„hab ihn auch mit den Kohlen konterfeit . Jtem
„als ich bin geweſt in des von Naſſau Haus , da
„hab ich geſehn das gut Gemähl in der Kapellen
„das Meiſter Hugo ( Hugo van der Goes ) gemacht
„hat . “
„ Jtem Meiſter Bernhardt ( Bernhard von
„Oelay ) hat mich geladen , der Maler , und hat
„ein ſolch köſtlich Mahl zugericht , das ich nit
„glaub daß erzeugt ſei mit zehn Gulden . Dazu
„haben ſich von ihm ſelbs geladen mir gut Geſell-
„ſchaften zu leiſten , der Frau Margareth Schatz-
„meiſter den ich konterfeit hab , und des Königs
„Hofmeiſter mit Namen der Meteni , und der Stadt
„Schatzmeiſter mit Namen von Pusfladis , dem
„ſchenket ich ein Paſſion in Kupfer geſtochen , und
„er hat mir wieder geſchenkt eine ſchwarze ſpaniſche
„Taſchen drei Gulden werth . Und Erasmo Rot-
„terdammo hab ich auch ein Paſſion geſchenkt in
„Kupfer geſtochen , der iſt des Bonifius Sekre-
„tarius . “
„ Jtem hab Meiſter Bernhardt ( von Oelay )
„der Frau Margareth Maler mit der Kohlen konter-
„feit . Jch habe den Erasmum Roterodam noch
„einmal konterfeit . Jch hab dem Lorenz Starken
„geſchenkt ein ſitzenden Hieronymum und die Me-
„lancholey , und hab mein Wirthin Gevatterin kon-
„terfeit . Jtem ſechs Perſon haben mir nichts geben
„die ich zu Brüſſel hab konterfeit . Jch hab aus-
„geben für zwei Püffelhörner drei Stüber , ein
„Stüber für zween Eulenſpiegel . “
( Ein jetzt faſt
unbezahlbares Blatt von Lukas von Leyden . )
„ Alſo bin ich am Sonntag nach S. Gilgentag
„mit Herr Tomaſin gen Mecheln gefahren , und hab
„Urlaub von Herrn Hans Ebner genommen , und
„er hat vor die Zehrung , ſolang ich bei ihm geweßt ,
„nichts wollen nehmen , ſieben Tag , von des Hans
„Geuders wegen . Ein Stüber hab ich des Wirths
„Knecht zuletzt geben . Jch hab mit der Frau
„von Neukirchen zu Nacht geſſen , und bin von
„Mecheln früh am Montag gen Antorff gefahren ,
„und ich aß früh mit Portugales , der ſchenket mir
„drei Porgolana ( Majolika Schalen ) und der Ru-
„derigo ſchenket mir etlich Federn , Calekutiſch ( in-
„dianiſch ) Ding . “
„ Jtem des Raphaels von Urbins Ding iſt nach
„ſein Todt alles verzogen , aber ſeiner Discipuln
„einer mit Namen Thomas Polonier , ein guter
„Maler , der hat mich begehrt zu ſehen , ſo iſt er
„zu mir kommen , und hat mir ein gulden Ring ge-
„ſchenkt , antica , gar mit ein guten geſchnitten
„Stein , iſt fünf Gulden werth , aber mir hat man
„zwiefach Geld dafür wollen geben . “
Die Sprache des Tagebuchs iſt von hier an
durch Herrn von Murr etwas moderniſirt .
„ Verehrte Frau Margareten , Karl des fünf-
„ten Schweſter , ein Exemplar aller meiner Kupfer-
„ſtiche und Holzſchnitte . Verfertigte ihr zwo Zeich-
„nungen auf Pergament , und für ihren Leibarzt
„einen Riß zu einem Hauſe . “
„ Dem Thomas Polonius alle meine Werke
„gegeben , die nach Rom geſchickt wurden um dafür
„Raphaeliſche Sachen zu bekommen . Polonius
„verfertigt mein Bildniß um es mit nach Rom zu
„nehmen . “
„ Am Donnerſtag nach Michaelis fuhr ich nach
„Aachen . Am 23. October ſah ich die Krönung
„Kaiſer Karls . Am Freytag vor Simon und Juda
„verließ ich Aachen und kam nach Löwen ; am Sonn-
„tag nach Köln , wo ich ein Tractat Doctor Luthers
„um fünf Weißpfennige kaufte , und gab ich ein
„Weißpfennig für die Condemnation Lutheri des
„frommen Mannes . Jn Brüſſel , Aachen und
„Köln hatte ich frei Quartier bei den drei Nürnber-
„giſchen Herren Krongeſandten , Leonhard Groland ,
„Hans Ebner und Nikolaus Haller . Jn Köln ſah
„ich am Sonntage nach Allerheiligen Kaiſer Karls
„Fürſtentanz und Banquet ( darnach machte er eine
„Zeichnung die in Holz geſchnitten iſt ) . Am Mon-
„tag nach Martini erhielt ich von Kaiſer Karln die
„Beſtätigung als kaiſerlicher Hofmaler . “
„ An unſer Frauen Abend reiſete ich nach See-
„land . Sebaſtian Jmhof lieh mir fünf Gulden .
„Wir mußten die erſte Nacht vor Anker liegen .
„Samſtag konterfeite ich ein Mädchen in ihrer
„Tracht . Kam nach Mittelburg , ſah in der Abtei
„Johann's de Mabuſe große Tafel ; iſt beſſer ge-
„malt als gezeichnet . “
„ Kam am Freytag nach Lucia wieder nach Ant-
„werpen zu Jobſt Plankfeld . “
Anno 1521 .
„ Am Samſtag nach Oſtern mit Hans Lieber
„von Ulm und Jan Plos , einem guten Maler von
„Brügge gebürtig , nach Brügge gefahren . “
„ Sah in Kaiſers Hauſe Rüdigers ( Rogiers
„van Brügge ) gemalte Kapelle , und Gemälde von
„einem großen alten Meiſter ( wahrſcheinlich Hem-
„ling ) . Bei St. Jakob köſtliche Gemälde von
„Rüdiger und Hugo ( van der Goes ) den großen
„Meiſtern . Sah das Marienbild von Alabaſter
„zu unſrer Frauen , das Michael Angelo gemacht
„hat . Sah alle gute Gemälde des Johannes ( van
„Eyck ) und anderer in der Kirchen , und in der
„Malerkapelle . Gaben mir ein großes Banquet
„auf ihrer Stube zu Nacht , und beſchenkten mich .
„Jakob und Peter Moſtaert , die Rathsherren
„ſchenkten mir zwölf Kannen Wein , und die ganze
„Geſellſchaft von ſechzig Perſonen begleiteten mich
„mit Windlichtern heim . “
„ Kam nach Gent . Der Dechant von den
„Malern und die vorderſten empfingen mich herrlich
„und aßen mit mir zu Nacht . Am Mitwoche frühe
„führten ſie mich auf den hohen St. Johannisthurm .
„Sahe des Johannes Tafel ( van Eycks berühmtes
„Gemälde ) das iſt ein überköſtlich , hochverſtändig
„Gemäld , und ſonderlich die Eva , Maria , und
„Gott der Vater ſind faſt ( ſehr ) gut . “
„ Sah die Löwen , und zeichnete einen mit
„dem Steffte . Die Maler mit ihrem Dechant haben
„mich nicht verlaſſen , haben zu Morgens und Nachts
„mit mir geſſen und alle Ding bezahlet . Fuhr am
„Dienſtag frühe wieder nach Antwerpen .
Folgendes iſt wieder ganz unverändert im Styl
Albrecht Dürers . Der ganze Aufſatz aber ſo
rührend und herzergreifend , daß ich mich nur mit
Mühe entſchließen konnte , ihn , als doch nicht ganz
hieher gehörig , nur theilweiſe mitzutheilen .
„ Jtem am Freytag nach Pfingſten im 1521
„Jahr kam mir Mähr gen Antorff , daß man Martin
„Luther ſo verrätherlich gefangen hätt , denn da
„ihm des Kaiſers Karols Herold mit dem kaiſer-
„lichen Geleit war zugeben , dem war er vertrauet ,
„aber ſo bald ihn der Herold bracht bei Eiſenach in
„ein unfreundlich Ort , ſagt er dörfte ſein nit mehr ,
„und ritt von ihm . Alsbald waren zehn Pferd da ,
„die führten verrätherlich den verkauften frommen ,
„mit dem heiligen Geiſt erleuchteten Mann hinweg ,
„der da war ein Nachfolger des wahren chriſt-
„lichen Glaubens , und lebt er noch oder haben
„ſie ihn gemördert , das ich nit weiß , ſo hat er
„das gelitten um der chriſtlichen Wahrheit willen ,
„und um daß er geſtraft hat das unchriſtliche
„Papſtthum . “ — — —
„ Und ſonderlich iſt mir noch das ſchwereſt ,
„daß uns Gott vielleicht noch unter ihrer falſchen
„blinden Lehr will laſſen bleiben , die doch die
„Menſchen , die ſie Vater nennen , erdicht und auf-
„geſetzt haben , dadurch uns das köſtlich Wort an
„viel Enden fälſchlich ausgelegt wird , oder gar nit
„fürgehalten . “
„ Darum ſehe ein jeglicher , der da Martinus
„Luther Lehre lieſt , wie ſein Lehr ſo klar durchſich-
„tig iſt , ſo er das heilige Evangelium führt .
„Darum ſind ſie in großen Ehren zu halten , und
„nit zu verbrennen , es wäre denn daß man ſein
„Widerpart , die allezeit die Wahrheit widerfech-
„ten , ins Feuer würf mit allen ihren Opinionen ,
„die da aus Menſchen Götter machen wollen . Aber
„doch iſts gut , daß man wieder neuer lutheriſcher
„Bücher Druck hatt . O Gott iſt Luther todt , wer
„wird uns hinfür das heilig Evangelium ſo klar für-
„tragen ? Ach Gott , was hätt er uns noch in zehn
„oder zwanzig Jahren ſchreiben mögen ! O ihr alle
„fromme Chriſtenmenſchen , helft mir fleiſſig be-
„weinen dieſen gottgeiſtigen Menſchen , und Gott
„bitten daß er uns einen andern erleuchten Mann
„ſende . O Erasme Roterodame wo wilt du blei-
„ben? ſieh , was vermag die ungerechte Tirannei
„der weltlichen Gewalt , der Macht der Finſterniß ?
„Hör du Ritter Chriſti , reuth hervor neben dem
„Herrn Chriſtum , beſchütz die Wahrheit , erlang
„der Märtirer Kron , du biſt doch ſonſt ein alt
„Menniken ( Männchen ) . Jch hab von dir gehört ,
„daß du dir ſelbſt noch zwei Jahr zugeben haſt ,
„die du noch t ügeſt etwas zu thun , dieſelben leg
„wohl an , dem Evangelium und dem wahren chriſt-
„lichen Glauben zu gut . — — — O Erasme
„halt dich hin , daß ſich Gott dein rühme , wie vom
„David geſchrieben ſteht , denn du magſts thun ,
„und fürwahr du magſt den Goliath fällen . “
Nach dieſer Erleichterung ſeines frommen ,
ſorgenerfüllten Herzens führt Albrecht Dürer nach
gewohnter Weiſe ſein Tagebuch weiter fort .
„ Jtem am achten Tag nach Corpus Chriſti
„bin ich gen Mecheln mit den Meinen zu Frau
„Margareth gefahren . Bin zur Herberg geweßt
„zum golden Haupt , bei Meiſter Heinrich , Maler ,
„da haben mich zu Gaſt geladen in meiner Herberg
„die Maler und Bildhauer , haben mir große Ehre
„gethan in ihrer Verſammlung . “
„ War bei Frau Margareth , ließ ihr meinen
„Kaiſer ſehen , und wollt ihr denſelben verehren ,
„ſie nahm ihn aber durchaus nit an . Am Freytage
„zeigte ſie mir alle ihre ſchöne Sachen , darunter
„ſahe ich bei vierzig kleine Täfelein von Ölfarben ,
„ſo ſchön , daß ich dergleichen nie geſehen hab . Bat
„Frau Margareth um Meiſter Jakobs ( Jakob Cor-
„nelis , Schorrels Lehrer ) Büchlein , ſie ſagte aber
„ſie hätte es ihrem Maler ( Bernhard von Oelay )
„zugeſagt . Sah auch eine ſchöne Bibliothek . “
„ Bin am Samſtag von Mecheln gen Antorff
„kommen . Mich hat zu Gaſt geladen Meiſter Lucas ,
„der in Kupfer ſticht , iſt ein klein Männlein und bür-
„tig von Leyden aus Holland , der war zu Antorff . “
„ Den Bernhard Stecher und ſein Weib konter-
„feit , und Meiſter Lucas mit dem Stefft . “
„ Jch hab in allem meinem Machen , Zehrun-
„gen , Verkaufen , und anderer Handlung Nachtheil
„gehabt in Niederland , in all meinen Sachen , gegen
„großen und niedern Ständen , und ſonderlich hat
„mir Frau Margareth für das ich ihr geſchenkt und
„gemacht hab , nichts geben . “
„ Alexander Jmhoff lieh mir hundert Gold-
„gulden , an unſrer Frauen Abend als ſie über das
„Gebirg geht , 1521 , darum hab ich ihm geben
„mein verſiegelte Handſchrift , daß er mir die zu
„Nürnberg antworten laß , ſo will ich ihm die
„wieder zu Dank zahlen . “
„ An unſrer Frauen Heimſuchung , da ich gleich
„weg von Antorff wollte , da ſchicket der König von
„Dännemark zu mir ( Chriſtian der zweite ) , daß
„ich eilend zu ihm käm , und ihn konterfeiet , das
„thät ich mit der Kohlen , und ich konterfeiet auch
„ſein Diener Antony , und ich mußt mit dem König
„eſſen , erzeugt ſich gnädiglich gegen mich . “
„ Am Tage nach unſrer Frauen Heimſuchung
„nach Brüſſel gefahren auf dem Schiff des Königs
„von Dännemark , dem ich die beſten Stücke meines
„Kunſtdrucks verehrte . “
„ Jtem hab geſehen wie das Volk zu Antorff
„ſich ſehr verwundert hat , da ſie den König von
„Dännemark ſahen , daß er ſo ein mannlich ſchön
17
„Mann war , und nur ſelb dritt durch ſeiner Feinde
„Land kommen . Jch hab auch geſehen , wie ihm
„der Kaiſer von Brüſſel entgegen geritten , und ihn
„empfangen , ehrlich mit großem Prange . Dannach
„hab ich geſehen das ehrlich köſtlich Bankett , das
„ihm der Kaiſer und Frau Margareth gehalten hat
„am andern Tag . “
„ Jtem am Sonntag vor Margaretha hielt der
„König von Dännemark ein groß Bankett dem
„Kaiſer , Frau Margarethen und Königin von
„Spanien ; und lud mich , und ich aß auch darauf .
„Jch hab zwölf Stüber für des Königs Futteral
„geben , und ich hab den König von Ölfarben kon-
„terfeit , und er hat mir dreißig Gulden geſchenkt . “
„ Jtem am Freitag frühe von morgens bin ich
„von Brüſſel ausgefahren , fuhren am Sonntag
„frühe gen Ach. u. ſ. w. “
Jch habe mir beim Abſchreiben dieſer Stellen
aus Albrecht Dürers Tagebuch nur einige Verän-
derung der Orthographie erlaubt , die mir des leich-
tern Verſtehens wegen nothwendig dünkte . Nicht
nur des Verfaſſers wegen , ſondern auch als merk-
würdiges Bild des bürgerlichen Lebens jener Zeit ,
müſſen jene Blätter Aufmerkſamkeit und Theilnahme
erregen . Wir ſchelten die Sitten jener Tage roh
und ungebildet , ſie waren es auch in vieler Hinſicht ,
und doch ſpricht die regſte Theilnahme an allem
Großen und Schönen aus der Art wie Fürſten ,
Edelleute und Bürger die beſcheidne anſpruchsloſe
Erſcheinung des großen Meiſters überall aufnahmen ,
und ihm ſelbſt ſogar fürſtliche Ehre erzeigten .
Wie gern er lebte , welche wahrhaft kindliche
Freude er an allem hatte , was Gutes und Schönes
ihm widerfuhr , geht aus dem Ganzen noch viel
deutlicher hervor , als dieſer Auszug es darſtellen
kann . Mit großer Gemüthlichkeit führt er viele ,
größtentheils ihm zu Ehren gegebne Bankette , auch
einige Maskenzüge an ; auch kommen mit unter
einige im Spiel gewonnene oder verlorne Gulden
und Stüber vor , denn über Einnahme und Ausgabe
hielt er ſehr ordentlich Rechnung . Dennoch war
er gern freigebig , wie alle heitre Naturen ; faſt
verſchwenderiſch theilte er überall ſeine Kunſtwerke
nach allen Seiten aus , doch heißt es auch einmal :
„Jch machte viel Sachen , den Leuten zu gefallen ,
aber das wenigſt ward mir bezahlt . “ Da ſeine
grämliche Frau ſich gleich häuslich in Antwerpen nie-
derlies , Waſchzuber , Blasbalg und Schüſſelnapf
ſich kaufte , für ſich und ihre Magd ſelbſt kochte und
wuſch , und ihn nach der damaligen Sitte wenig
auſſerhalb dem Hauſe zu Gaſtmälern und Feſten
begleitete , ſo behielt er Freiheit und fröhlichen
Muth ; machte auch all die kleinen Reiſen von Ant-
werpen aus , ohne ihre läſtige Begleitung . Ge-
ſchenke an Wein , Konfituren , und koſtbarem Sei-
denzeuge , die ſie ſeinetwegen erhielt , und die er
alle ſorgfältig in ſeinem Tagebuch aufzeichnete ,
mochten ſie auch wohl bei guter Laune erhalten ; doch
mochten auch kleine häusliche Unglücksfälle zuweilen
ſie wieder verſtimmen , als zum Beiſpiel , daß ihr
einmal auf dem Markt zu Antwerpen ihre Geldtaſche
abgeſchnitten ward .
Zu Hauſe , nach vollbrachter Reiſe ging freilich
das ängſtliche Treiben des häuslichen Unfriedens
wieder an , ja es nahm dermaßen zu , daß es an
dem Leben Dürers nagte , und nach und nach ſeine
Geſundheit zerſtörte . Ein heitrer Strahl brach in-
deſſen doch noch in das Dunkel ſeiner Tage , als
Melanchton , im Jahr 1526 zum drittenmal , wegen
der Einweihung des Gymnaſiums von St. Ägidien ,
Nürnberg beſuchte . Bei ſeinem Freunde Pirkheimer
lernte Albrecht Dürer den Mann kennen , der ſchon
um Luthers willen ihm theuer ſeyn mußte , und ver-
lebte dort mit ihm manche herzerhebende Stunde ,
in troſtreichen frommen Geſprächen und gegenſeitiger
erfreulicher Mittheilung ihrer Gedanken .
Zwei Jahre ſpäter , im Jahr 1528 , am 6.
April , in der Charwoche , im ſieben und funfzigſten
Jahre ſeines Alters , entſchwang ſich ſein entfeſſelter
Geiſt , und ein metallner Sarkophag mit einer lateini-
ſchen Jnſchrift bezeichnete die Stelle , wo man auf
dem Kirchhof der St. Johanniskirche ſeine ſterbliche
Hülle zur Ruhe brachte .
Von ſeinem Leben in der lezten Zeit und
ſeinem Tode , wie auch von ſeinem Verhältniß zu
ſeinen Freunden , gibt Bilibald Pirkheimer im An-
fange des ſchon erwähnten merkwürdigen Briefes
ein zu rührendes und treues Bild , als daß man
nicht gern einer bis auf die Orthographie getreuen
Abſchrift dieſer Stelle hier den Raum gönnen ſollte .
Der Brief ſelbſt iſt an Johann Tſcherte , Kaiſer
Karls Bau- und Brückenmeiſter in Wien gerichtet ,
und vollſtändig im zehnten Theil des ſchon erwähn-
ten Journals des Herrn von Murr , nach Pirkheimers
eigner Handſchrift , abgedruckt .
„ Mein freundlich willig Dienſt ſind euch bevor ,
„mein lieber Herr Tzerte , mir hat unſer Freund
„Herr Jorg Hartmann ein Schreiben durch euch an
„ihn gethan angezeigt , in welchem ihr mein nit
„allein im Guten gedenkt , ſondern meßt mir auch
„mehr Lobs und Ehre zu , denn ich mich ſelbſt
„würdig erkenn . Will aber ſolchen guten Willen
„unſer beider in Gott verſtorbnen Freund Albrecht
„Dürer zurechnen ; denn dieweil ihr denſelben um
„ſeiner Kunſt und Tugend willen geliebt , ſind euch
„ohne Zweifel auch die ſo ihn geliebt haben auch
„lieb . Solchem will ich euer Lob , und gar nit
„meiner Schicklichkeit zumeſſen . “
„ Jch hab warlich an Albrechten der beſten
„Freund einen , ſo ich auf Erdreich gehabt hab ver-
„loren, und dauert mich nichts höher , als daß er
„eines ſo hartſeligen Todes geſtorben iſt , welchem
„ich nach dem Verhängniß Gottes niemand denn
„ſeiner Hausfrauen zuſagen kann , die ihm ſein
„Herz eingenagen , und dermaß gepeiniget hat ,
„daß er ſich deſto ſchneller von hinnen gemacht hat ,
„denn er war ausgedorrt wie ein Schaub , durft
„niendert keinen guten Muth mehr ſuchen , oder zu den
„Leuten gehn . Alſo hat das böſe Weib ſein Sorg ,
„das ihn doch wahrlich nit Noth gethan hat . Zu
„dem hat ſie ihm Tag und Nacht zu der Arbeit
„härtiglich gedrungen , allein darum daß er Geld
„verdient und ihr das ließ , ſo er ſtarb . Denn ſie
„allweg verderben hat wollen , wie ſie dann noch
„thuet , unangeſehen daß ihr Albrecht bis in die
„ſechs tauſend Gulden Werth gelaſſen hat . Aber
„da iſt kein Genügen , und in Summa iſt ſie allein
„ſeines Todes ein Urſach . “
„ Jch hab ſie ſelbſt oft für ihr argwöhnig ſträf-
„lich Weſen gebeten und ſie gewarnet , auch ihr vor-
„hergeſagt , was das Ende hievon ſeyn wird , aber
„damit hab ich nit anders denn Undank erlangt . “
„ Dann wer dieſem Mann wohlgewollt und um
„ihn geweßt , dem iſt ſie feind worden , das wahr-
„lich den Albrecht mit dem Höchſten bekümmert ,
„und ihn unter die Erden bracht hat . “
„ Jch hab ihr ſeit ſeines Todes nie geſehen , ſie
„auch nit zu mir wollen laſſen , wiewohl ich ihr
„dennoch in viel Sachen hülflich geweßt bin , aber
„da iſt kein Vertrauen . Wer ihr Widerpart hält ,
„und nit aller Sach Recht gibt , der iſt ihr verdächt-
„lich , dem wird ſie auch alsbald feind , darum ſie
„mir lieber weit von mir denn um mich iſt . “
„ Es ſind ja ſie und ihr Schweſter nit Bübinn ,
„ſondern wie ich nit zweifel , der Ehren fromm und
„ganz gottsfürchtig Frauen . Es ſollt aber einer
„lieber ein Bübinn , die ſich ſonſt freundlich hielt ,
„haben , denn ſolch nagend , argwöhnig , und
„keifend fromm Frauen , bei der er weder Tag noch
„Nacht Ruhe oder Fried haben könnt . Aber wie
„dem , wir müſſen die Sach Gott befehlen , der
„woll dem frommen Albrecht gnädig und barmherzig
„ſeyn , denn er hat wie ein frommer Biedermann
„gelebt , ſo iſt er auch ganz chriſtenlich und ſeeliglich
„verſtorben , darum ſeines Heils nit zu fürchten
„iſt . Gott verleih uns ſein Gnad , daß wir ihm zu
„ſeiner Zeit ſeeliglich nachfolgen . “
Von Albrecht Dürers vielen uns noch erhaltnen
Gemälden , will ich nur eines der allervortrefflich-
ſten anführen . Die Boiſſer é eſche Sammlung be-
wahrt dieſes herrliche Bild , es zeigt deutlich ſowohl
alle Vorzüge der Schöpfungen Albrecht Dürers ,
wie das , was ihnen zur höchſten Vollkommenheit
noch abgeht .
Das Bild ſtellt die Abnahme des Leichnams
Chriſti vom Kreuze dar . Wie wahr , wie ſchön ,
und doch mit wie großer Verſchiedenheit iſt der
Ausdruck des nämlichen Schmerzes in den Köpfen
und Stellungen der umſtehenden Freunde des Er-
blaßten , in dem vor Allen von ihm geliebten Jünger
Johannes , in den heiligen Frauen , die innig und
treu ihn verehrten ! Wahrhaft erhaben und herzer-
greifend iſt die gottergebne Frömmigkeit der Mutter ,
mitten im tiefſten Seelenleiden ausgedrückt . Die
18
Wahrheit des Kolorits , der Gewänder , der Zeich-
nung , iſt bewundernswerth , es iſt ein köſtliches
Gemälde , das man zu betrachten nicht ermüdet ,
an dem man immer neue Vorzüge entdeckt , aber es
iſt ein Gemälde . Schoreel , Hemling , vor Allen Jo-
hann van Eyck ſtellen uns mitten in ihre Schöpfun-
gen , ihre Gebilde ſind die Wirklichkeit ſelbſt ,
die Albrecht Dürer uns nur mit großem Fleiß nach-
gebildet zeigt ; ihm mangelt die Jugendfriſche , die
unausſprechlich ſeelenvolle Heiterkeit , der Strahl
des Lebens , der bei den alten Meiſtern recht aus
dem Jnnern hervorbricht . Vor ihren Tafeln ver-
gißt man oft über dem Werke den Meiſter , hier
muß man ſtets , wenn gleich bewundernd , ſeiner
gedenken . Dieſe ſchwarzen ſcharfen Umriſſe , die
er ſowohl im Kontur der Köpfe , als in den Falten
der Gewänder unvermalt ſtehen lies , ſo meiſterhaft ,
mit ſo feſter Hand ſie auch gezeichnet ſind , kennt
die Natur eben ſo wenig als ihre obengenannten
treuſten Nachfolger ſie kannten . Auch Albrecht
Dürers Farben , bei aller ihrer Schönheit , erblei-
chen vor der brennenden Pracht ſeiner Vorfahren ,
und bei manchem ſeiner Werke ſpüren wir recht
ſchmerzlich die beengende Lebensluft , in welcher
dieſer , von der Natur ſo hochbegabte Meiſter
unter dem Keifen ſeines bößartigen Weibes wie zur
Frohne arbeiten mußte ; er , der ſich in andern Ver-
hältniſſen frei , edel und leicht im Gebiete der
Kunſt gewiß noch weit höheren Flugs erhoben
hätte .
Höchſt bewundernswerth iſt indeſſen die Feſtig-
keit , mit der Albrecht Dürer in Zeichnung und An-
ordnung ſeiner Geſtalten an der Natur hielt . Sind
dieſe gleich nicht immer edel und ſchön zu nennen ,
ſo ſind ſie dennoch ſtets von unübertrefflicher Wahr-
heit . Dieſes iſt um ſo höher zu achten , da ſeine
Zeit , obſchon noch immer überreich an trefflichen
Meiſtern , dennoch ſchon begann , ſich jener Manier
zuzuwenden , welche den Schein der Dinge ſtatt des
Weſens ergreift , durch blendende Licht-Reflexe ,
durch tiefe Schlagſchatten , wo die Natur keine
kennt , und durch tauſend ähnliche Künſteleien , das
Auge zu feſſeln , und ihre innere Armſeligkeit zu
verbergen ſucht . Sehr bald nach ihm führte dieſe
neue , großentheils durch falſchverſtandnes Studium
der italiäniſchen Meiſter und der Antike entſtandne
Manier , der bald niemand mehr widerſtrebte , die
ächte deutſche Kunſt unaufhaltſam dem Unter-
gange zu .
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— 34 — 19 lies : „ dunkelblauen “ ſtatt dunkel-
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— 92 — 19 lies : „ demſelben “ ſtatt denſelben
— 135 — 7 fehlt ſinnentſtellend , hinter „ ſte-
hende “ ein Komma .
— 170 — 15 lies : „ Geets “ ſtatt Gnets .
— 202 — 7 lies : „ erſcheinen “ ſtatt erſchienen .
— 207 — 1 Barent von Bruͤſſel , auch Bern-
hard von Oelay genannt , muß
durchweg , wo letzterer Name im
Buche vorkommt , „ Bernhard
von Orlay “ heißen .
— 207 — 18 lies : „ Jahre “ ſtatt Jahren .
— 225 — 5 lies : „ faſt “ ſtatt feſt .