Beitrag zur Theorie der Abel’schen Integrale.
Unter den sogenannten vollständigen elliptischen Integralen der ersten und zweiten
Gattung (den Modular- und elliptischen Quadranten nach Gudermann’s Benennung)
welche zu zwei conjungirten Moduln gehören, findet bekanntlich ein einfacher, zuerst
von Legendre aufgefundener Zusammenhang statt, welcher in den jetzt gebräuch-
lichen Zeichen durch die Gleichung
dargestellt wird. In der vorliegenden Abhandlung beabsichtige ich, für die Abel’schen
Integrale aller Ordnungen eine Reihe analoger Relationen zu entwickeln, welche,
wie ich glaube, nicht bekannt sind. Es findet sich zwar (Crelle’s Journal, Bd.
19, S. 312) eine gelegentliche Bemerkung von Jacobi, eine von ihm aufgefundene
Verallgemeinerung des Legendre’schen Satzes betreffend; allein nach den Andeutungen,
die derselbe a. a. O. giebt, glaube ich annehmen zu dürfen, dass die Relation, welche
er im Sinne hat, mit derjenigen übereinstimme, die später Hädenkamp (Crelle’s
Journal, Bd. 22, S. 184) auf dem von Jacobi angegebenen Wege hergeleitet hat. Die
Resultate indess, zu welchen ich gelangt bin, sind nicht nur von dem Hädenkamp’-
schen verschieden, sondern auch weit einfacher und mit der Legendre’schen Formel
übereinstimmender.
Die von mir entwickelten Relationen sind für die Theorie der Abel’schen Tran-
scendenten von besonderer Bedeutung. Ich beschäftige mich seit längerer Zeit mit
dieser Theorie und namentlich mit der Hauptaufgabe, die von Jacobi eingeführten
umgekehrten Functionen der Abel’schen Integrale erster Gattung wirklich darzustellen.
Es ist mir gelungen, diese Aufgabe vollständig zu lösen, auf einem Wege, welcher
von dem bisher von Göpel u. A. betretenen gänzlich verschieden ist. Ich gehe näm-
lich unmittelbar von den Integral-Gleichungen aus, durch welche jene Functionen
definirt werden, und zeige zunächst, mit Hülfe des Abel’schen Theorems, dass sie
sämmtlich Wurzeln ein und derselben algebraischen Gleichung sind, deren Coefficienten
ich sodann durch eine Anzahl von Hülfsfunctionen ausdrücke, welche den sogenannten
Θ Functionen, auf welche Jacobi die elliptischen Functionen zurückgeführt hat, voll-
kommen analog sind, und gleich diesen durch unendliche, nach einem einfachen Gesetze
gebildete und beständig convergirende Reihen dargestellt werden können. Diese Reihen-
1
Entwickelungen gewinne ich, indem ich für die genannten Hülfsfunctionen mehrere
charakteristische Eigenschaften nachweise, durch welche sie vollständig bestimmt
werden. Dazu aber ist die Kenntniss der Relationen, welche der Gegenstand des ge-
genwärtigen Aufsatzes sind, ein wesentliches Erforderniss. Nun hat zwar der Weg,
den ich bei Behandlung der Abel’schen Transcendenten eingeschlagen, das Eigen-
thümliche, dass man auf ihm selbst in ungesuchter Weise zu jenen Relationen geführt
wird, wie ich sie denn in der That auch so zuerst gefunden habe. Es ist aber
diese Art der Herleitung einigermassen umständlich, indem namentlich die Bestimmung
einiger Constanten Weitläufigkeiten macht. Um so erwünschter war es mir, in einem
von Abel in der Abhandlung: Sur une propriété remarquable d’une classe trés étendue
de fonctions transcendentes (Oeuvres complètes, Tome II, pag. 54) begründeten Theo-
reme, durch welches die bekannten Sätze über die Vertauschung von Parameter und
Argument bei der dritten Gattung der elliptischen Integrale eine sehr bemerkenswerthe
Verallgemeinerung erhalten, die eigentliche Quelle zu entdecken, aus der die in Rede
stehenden Relationen, so wie noch andere weit allgemeinere, auf eben so einfachem
als direktem Wege abgeleitet werden können.
§. 1.
Es sei R (x) eine ganze Function von x; a, b seien irgend zwei Wurzeln der
Gleichung R (x) = 0, und es werde
1.
gesetzt, wo R' (x), R' (y) die ersten Differential-Coefficienten von R (x), R (y) bedeu-
ten, so dass, wie man sich leicht überzeugt, F (x, y) eine ganze Function von x, y
ist. Alsdann gilt als ein besonderer Fall des angeführten Abel’schen Theorems die
folgende Gleichung, in welcher α, β irgend zwei bestimmte Werthe der Veränderlichen
x, y bezeichnen:
2.
Als nothwendige Bedingung des Bestehens dieser Gleichung ist noch hinzuzufü-
gen, dass innerhalb der Grenzen der Integration x — y nicht = 0 werden darf.
Es ist nämlich
,
,
,
also
Es sei nun
und es werde zunächst angenommen, dass die Zahlen a1, a2 . . . . sämmtlich reell
und so geordnet seien, dass
Alsdann hat R (x), wenn x zwischen den Grenzen aμ, aμ + 1 enthalten ist, wo μ
irgend eine der Zahlen 1, 2, …, 2n bedeutet, dasselbe Zeichen wie (—1)μ—1, so
dass man setzen kann
,
wo √[(—1)μ—1 R (x)] den positiven Werth der Quadratwurzel aus der positiven
Grösse (— 1)μ—1 R(x) bezeichnen soll. Liegt x zwischen — ∞ und a1, so hat man
,
und wenn x zwischen a2n+1 und + ∞ enthalten ist
Um nun einem Integral wie eine ganz bestimmte Bedeutung zu ge-
ben, werde für das Folgende festgesetzt, dass bei der Integration von den beiden
Werthen, welche √R (x) hat, immer derjenige in Anwendung kommen soll, den man
erhält, wenn man in den vorstehenden Formeln das obere Zeichen nimmt.
Dies vorausgesetzt setze man in der Gleichung (2) a = aμ, b = aν und nehme
zunächst an, dass ν > μ + 1 aber < 2n + 1 sei, so darf man a = aμ+ 1, β = aν + 1
nehmen, weil in diesem Fall die Differenz x—y innerhalb der Grenzen der Integration
nicht = 0 wird. Die linke Seite wird alsdann = 0, und man erhält demnach
3.
1*
Wenn aber ν = μ + 1, so kann man den Werth des Doppel-Integrals
,
welches durch S bezeichnet werden möge, mit Hülfe der Gleichung (2) nicht di-
rekt auf dieselbe Weise ermitteln; man gelangt jedoch dazu auf folgendem Wege.
Es werde aμ durch a, aμ + 1 durch c, aμ + 2 durch b bezeichnet, so ist
Sodann seien s, t zwei positive Zahlen, so gewählt, dass c — s > a und
c + t < b bleibt, so ist S die Grenze, welcher sich das Doppel-Integral
uähert, wenn s, t unendlich klein werden. Für dieses letztere Integral aber darf man
vermöge der Gleichung (2) setzen
Dieser Ausdruck wandelt sich, wenn x = c—u, y = c + v gesetzt wird, in den folgenden um:
Es mögen jetzt σ, τ zwei bestimmte Werthe von s und t bezeichnen, die nur so
klein anzunehmen sind, dass sich √R (c — s), √R (c + t) für alle Werthe von s, t,
welche nicht grösser als σ, τ sind, durch convergirende Reihen, die nach aufsteigenden
Potenzen dieser Veränderlichen fortschreiten, darstellen lassen. Alsdann hat man
Die Integrale
bleiben für alle Werthe von t, s innerhalb der für diese Veränderlichen bezeichneten
Grenzen endlich; √R(c + t), √R(c—s) nähern sich aber, wenn t, s unendlich klein
werden, der Grenze √R (c) = 0. Daraus folgt, dass die Grenze von S' für t = 0,
s = 0 dieselbe ist wie die, welcher sich die Formel
nähert, wenn s, t unendlich klein werden.
Nach den oben für √R (x) getroffenen Bestimmungen kann man nun, da c — u
zwischen aμ und aμ + 1, c + v zwischen aμ + 1 und aμ + 2 liegt, setzen
wo F (v) in eine convergirende Reihe entwickelt werden kann, die nur ganze, positive
Potenzen von v enthält, und F (—u) aus F (v) hervorgeht, wenn man — u für v setzt.
√u und √v sind positiv zu nehmen. Alsdann ist
Der zweite Theil auf der rechten Seite dieser Gleichung lässt sich, weil F (t) — F (— u)
durch t + u dividirbar ist, in eine Reihe von Gliedern entwickeln, welche nur po-
sitive Potenzen von s, σ, t enthalten und für t = 0 verschwinden. Eben so findet man
+ eine Reihe von Gliedern, die für
s = 0 verschwinden.
Daraus ergiebt sich denn, dass der Werth von S die Grenze ist, in welcher sich
die Formel
nähert, wenn t, s unendlich klein werden. Diese Formel lässt sich aber, wenn
man bei dem ersten Integrale die Substitution , bei dem andern die Sub-
stitution anwendet, und setzt, umwandeln in
,
welcher Ausdruck für s = 0, t = 0 übergeht in
Es ist demnach ,
oder 4.
§. 2.
Die Doppel-Integrale auf der linken Seite der Gleichungen (3, 4) des vorher-
gehenden §. können, weil F (x, y) in Beziehung auf x sowohl als y eine ganze
Function vom (2n—1)ten Grade ist, dargestellt werden als ein Aggregat von Gliedern,
von denen jedes ein Product zweier Abel’schen Integrale der ersten und zweiten
Gattung ist; die Gleichungen (3, 4) geben also eine Reihe von Relationen unter
solchen Integralen, die man in Erweiterung der Legendre’schen Benennung vollstän-
dige Abel’sche Integrale nennen kann.
Wenn R (x) vom dritten Grade ist, so ist , und es reduci-
ren sich die Gleichungen auf die einzige
1. , oder
2.
Setzt man , so ist
,
und die Gleichung (2) geht, wenn man
,
,
setzt, über in die folgende:
3.
Diese Gleichung ist identisch mit der oben angeführten Legendre’schen. Denn es ist
,
und wenn man setzt, so erhält man
,
und durch dieselbe Substitution
,
mithin , oder
4.
Ich werde jetzt zeigen, dass man den Gleichungen (3, 4) des §. 1 eine ganz
ähnliche Gestalt geben kann, wie der Gleichung (3) dieses §. Zu dem Ende wird es
aber nöthig sein, einige Bemerkungen über die Form, unter welcher nach meiner An-
sicht die Abel’schen Transcendenten zu behandeln sind, voraus zu schicken.
§. 3.
Dem System der Integral-Gleichungen, von welchem man nach Jacobi in der
Theorie des Abel’schen Transcendenten ausgehen muss, kann man immer folgende
Form geben, welche mir die angemessenste zu sein scheint, wenn man die Analogie
dieser Functionen mit den elliptischen so viel als möglich will hervortreten lassen.
Es werde die Function R (x) in zwei Factoren P (x), Q (x) zerfällt, und zwar sei
Ferner werde
gesetzt, wo a, wie überhaupt jeder im Folgenden als Index vorkommende deutsche
Buchstabe, eine der Zahlen 1, 2, 3, …, n bedeutet, und es seien x1, x2, …, xn
n Veränderliche, welche als Functionen eben so vieler veränderlichen Argumente
u1, u2, …, un durch die Gleichungen
1.
definirt werden, in denen sich das Summenzeichen auf den Index a bezieht. Es han-
delt sich darum, die Functionen x1, x2, . . . ., xn durch ihre Argumente in einer für
alle Werthe der letztern gültig bleibenden Form wirklich auszudrücken.
Zunächst erhält man für dieselben unendliche Reihen, die nach ganzen positiven
Potenzen von u1, u2, . . . ., un fortschreiten, und zwar ist, wenn man durch
(u1, u2, … un)α eine homogene Function des αten Grades von u1, u2 . . . . bezeichnet,
2.
Diese Reihen convergiren zwar nicht beständig, aber doch für alle Werthe von
u1, u2, . . . ., die ihrer absoluten Grösse nach bestimmte Grenzen nicht überschreiten.
Sodann kann man mit Hülfe des Abel’schen Theorems nachweisen, das x1, x2, …xn
Wurzeln ein und derselben Gleichung n ten Grades sind, der man die Form
3.
geben kann, wo p1, p2, … pn eindeutige Functionen von u1, u2, … un sind, die
ganz den Charakter rationaler Functionen besitzen. In Reihen nach Potenzen von
u1, u2 … entwickelt hat pa genau dieselbe Gestalt wie die Reihe auf der rechten Seite
der Gleichung (2), woraus erhellt, dass pa eine ungrade Function von u1, u2 . . . . ist.
Ferner hat man
4.
Für n = 1 ergiebt sich, wenn man x, u, p für x1, u1, p1 schreibt,
woraus
folgt, so dass p = sin am u, oder nach Gudermann’s kürzerer Bezeichnung (Theorie
der Modular-Functionen) p = sn u ist. In Erweiterung dieser letztern Bezeichnung setze ich
pa = sn (u1, u2, …, un)a,
2
so wie ferner
5.
6.
Auf diese Weise sind in die Theorie der Abel’schen Transcendenten (2n + 1) Func-
tionen eingeführt, welche mit den drei elliptischen Functionen sin am u = sn u,
cos am u = cn u, Δ am u = dn u, in welche sie für n = 1 übergehen, eine grosse
Aehnlichkeit haben. So z. B. lässt sich sn (u + v) rational durch sn u, , sn v,
ausdrücken vermittelst der Formel
,
und ähnliche Formeln gelten für en (u + v) und dn (u + v). Für die angegebenen Func-
tionen mehrerer Veränderlichen aber findet man, setzend:
2.
Setzt man in dieser Gleichung b der Reihe nach = 1, 2, …, n, so erhält man
n Gleichungen, vermittelst welcher die n Functionen sn (u1 + v1, u2 + v2, …)a rational
durch sn (u1, u2, …)a, sn (v1, v2, …)a und deren partiellen Differential-Coefficienten,
welche letztere algebraische Functionen jener sind, ausgedrückt werden können. Aehn-
liches gilt für die durch cn, dn bezeichneten Functionen. Bezeichnet man ferner
8. durch Ka, b,
9. durch
und setzt 10. ,
so haben diese 2. n2 bestimmten Integrale Ka, b, K'a, b für die Theorie der Abel’schen
Transcendenten eine ganz ähnliche Bedeutung wie die Grössen K, K' für die ellipti-
schen Functionen. So z. B. findet man, wenn man
11. ωa = m1 Ka, 1 + m2 Ka, 2 + … + mn Ka, n
+ (n1 K'a, 1 + n2 K'a, 2 + … + nn K'a, n) i
setzt, wo m1, n1, m2, n2 . . . . . ganze (positive oder negative) Zahlen bedeuten, für
die Functionen sn, cn, dn die charakteristischen Gleichungen
12.
in welchen Formeln, wenn a = 1 ist, no = 0 zu setzen ist.
Die Functionen sn, cn, dn stehen übrigens in einem einfachen algebraischen Zu-
sammenhange, vermöge dessen je (n + 1) derselben durch die übrigen ausgedrückt
werden können.
Was nun ferner die Abel’schen Integrale der zweiten Gattung anlangt, so las-
sen sich dieselben durch n neue Functionen der Argumente u1, u2, … ausdrücken, von
denen ich die ate durch J (u1, u2, …, un)a bezeichne und auf folgende Weise defi-
nire. Man denke sich x1, x2, … vermittelst der Gleichung (3) durch u1, u2 . . . .
ausgedrückt und setze
13. ,Anm. In dieser und in einigen folgenden Formeln habe ich mir erlaubt, die allgemein
eingeführte Bezeichnung für ein bestimmtes Integral in einem Sinne zu gebrau-
chen, in welchem sie auch dann noch anwendbar bleibt, wenn die Function unter
dem Integral-Zeichen an einer der Grenzen der Integration oder an beiden un-
endlich wird. Es sei nämlich F (x) eine Function von x, die für alle Werthe
dieser Veränderlichen innerhalb eines gegebenen Intervalls, dessen Grenzen
a, b sind, endlich bleibt, und es lasse sich dieselbe für alle Werthe von x in
der Nähe von a durch eine Reihe von der Form
S A (x — a)m,
so wie für die Werthe von x in der Nähe von b durch eine Reihe
S B (x — b)n
darstellen. Sind nun α, β zwei bestimmte Werthe von x innerhalb des gegebenen
mit der Bestimmung, dass x und √R (x) bei jeder einzelnen Integration dieselben
Werthe durchlaufen wie in den Gleichungen (1). Auf diese Weise erklärt ist J(u1, u2, …)a
eine für alle Werthe der Argumente u1, u2 .... völlig bestimmte, eindeutige Function.
Drückt man dx1, dx2… durch du1, du2 … aus, so ergiebt sich (14) für J (u1, u2,…, un)a
der Ausdruck
,
wo für b der Werth a auszuschliessen ist. Durch diese Gleichung ist J (u1, u2, …)a
vollständig bestimmt, wenn noch hinzugefügt wird, dass in der Entwickelung dieser
Function nach fallenden Potenzen von ua kein von u1, u2, … un unabhängiges Glied
vorkommen darf. Für den Fall der elliptischen Functionen hat man
,
während man gewöhnlich die elliptischen Integrale zweiter Gattung auf die Function
zurückführt, was keinen wesentlichen Unterschied macht. Für die Abel-
schen Integrale zweiter Gattung haben aber die hier gewählten Formen den Vorzug,
dass sich viele Formeln einfacher gestalten, als es der Fall sein würde, wenn man,
was ohne Schwierigkeit angeht, Functionen von u1, u2, einführte, welche dem ange-
führten elliptischen Integral conform sind.
Intervalls, der erste in der Nähe von a, der andere in der Nähe von b angenom-
men, so kann man, wenn unter den Exponenten m, n keiner = — 1 ist (auf
welchen Fall ich mich hier beschränke), setzen
,
wo C einen von α, β unabhängigen Werth hat. Wenn die Exponenten m + 1,
n + 1 sämmtlich positiv sind, so ist
Weil aber C auch dann noch einen bestimmten endlichen Werth hat, wenn ei-
nige der Exponenten m + 1, n + 1 negativ sind, so scheint es mir gestattet und
angemessen zu sein, die Formel allgemein als das constante Glied in der
Entwickelung von nach Potenzen von (α—a) und (β—b) zu definiren.
In diesem Sinne ist im Verlauf der Abhandlung die Bezeichnung überall aufzufassen.
Man bezeichne nun
15.
und
16. ,
so erhält man 2 . n2 bestimmte Integrale Ja,b, J'a,b, welche man in Erweiterung der
Legendre’schen Benennung vollständige Abel’sche JntegraleIntegrale zweiter Gattung nennen
kann, und die in der Theorie der Abel’schen Transcendenten dieselbe Bedeutung ha-
ben wie die Grössen
K — E, E'
auf welche sie sich für n = 1 reduciren, für die elliptischen Functionen. Während z. B.
,
und daher, wenn m, n ganze Zahlen sind,
J (u + 2m K + 2n K' i) = J (u) + 2m (K — E) + 2n E' i
ist, so erhält man, wenn man setzt,
17.
18.
Nach diesen vorläufigen Auseinandersetzungen, deren nähere Begründung einer
ausführlichen Bearbeitung der Abel’schen Transcendenten vorbehalten bleiben muss,
werde ich nun nachweisen, dass die Gleichungen (3, 4) des §. 1. eine Reihe ein-
facher Relationen unter den 4 . n2 Grössen Ka, b, K'a, b, Ja, b, J'a, b enthalten.
3
§. 4.
Es seien a, b, c, d irgend vier Wurzeln der Gleichung R (x) = 0, und es werde
durch U
durch T
bezeichnet. Substituirt man für Fa (x), Fa (y) die in §. 3. gegebenen Ausdrücke, so
erhält man zunächst
und daraus, indem man
durch V bezeichnet,
.
Es ist aber, nach bekannten Sätzen über die Zerlegung der Brüche
Entwickelt man beide Seiten dieser Gleichung nach fallenden Potenzen von t und
setzt die beiden Coefficienten von t—1 einander gleich, so ergiebt sich
Setzt man daher , wo dann R (x) = P2 (x) . N (x) wird, so ist
, und daher
Dieser Ausdruck für U lässt sich (s. §. 1 im Anfange) umgestalten in den folgenden:
Es ist aber
,
und daher, wenn man setzt,
Bezeichnen nun α, β zwei bestimmte Werthe von x in dem Intervall a, b, und
zwar der erste in der Nähe von a, der andere in der Nähe von b gelegen, und eben-
so γ, δ zwei Werthe von y in dem Intervall c, d, der erste in der Nähe von c, der
andere in der Nähe von d gelegen, so ergiebt sich aus der vorstehenden Gleichung
mit Beachtung der im §. 1 bewiesenen Gleichung
,
Denkt man sich jetzt beide Seiten dieser Gleichung nach Potenzen von α — a,
β—b, γ—c, δ—d entwickelt, so ist das constante Glied auf der linken Seite die oben
durch T bezeichnete Grösse; auf der rechten Seite aber findet sich als constantes
Glied das Doppel-Integral
Mithin
Nimmt man nun a = a2b — 1, b = a2b, c = a2c — 1, d = a2c, so erhält man aus
der vorstehenden Gleichung (nach §. 1, Gl. 3)
2. Wenn in einer Formel, wie hier, mehrere deutsche Buchstaben a, b, c … vorkom-
men, welche, wie schon oben bemerkt worden ist, hier ausschliesslich ganze Zahlen,
aus der Reihe 1, 2, 3, …, n genommen, bezeichnen sollen, so bezieht sich das
Summenzeichen auf denjenigen von ihnen, der unter dem Σ ausdrücklich ange-
zeigt ist, und der dann sämmtliche in der angegebenen Reihe enthaltenen Wer-
the durchlaufen muss, während jeder andere einen stehenden Werth hat. Sind
unter dem Summenzeichen mehrere Buchstaben bezeichnet, so muss jeder dersel-
ben, unabhängig von den übrigen, dieselben Werthe durchlaufen.
Nimmt man a = a2b, b = a2b+1, c = a2c, d = a2c + 1, so ergiebt sich
3. .
Setzt man in dieser Gleichung m für b, n für c und summirt von m = b bis
m = n, und von n = c bis n = n, so findet man
4.
Nimmt man ferner a = a2 b — 1, b = a2 b, c = a2b, d = a2 b + 1, so findet sich (nach
§. 1, Gl. 4)
5. ,
und für a = a2 b — 2, b = a2 b — 1, c = a2 b — 1, d = a2b
6. , oder
7.
Nimmt man endlich a = a2 b — 1, b = a2 a, c = a2c, d = a2 c + 1, und es ist ent-
weder c > b oder c < b — 1, so giebt die Gleichung (3) des §. 1
8.
Setzt man in dieser Gleichung m für c und summirt von m = c bis m = n, so erhält
man, wenn c von b verschieden ist,
9.
Denn wenn b > a ist, so ist jedes Glied, das bei der Summation in Betracht kommt,
nach (9) = 0; wenn aber b < a ist, so sind nur diejenigen Glieder nicht = 0, welche
man für m = b — 1 und m = b erhält; deren Summe aber ist in Folge der Gleichun-
gen (5, 6, 7) ebenfalls = 0.
Setzt man in der Gleichung (9) c = b + 1 und addirt alsdann zu ihr die Gleichung
(5), und bemerkt, dass ist, so
erhält man
10.
§. 5.
Die Gleichungen (2, 4, 9, 10) des vorhergehenden §., welche hier noch einmal
zusammengestellt werden mögen:
1. ,
2. ,
3. ,
4. ,
enthalten eine Reihe von (2n2 — n) Relationen unter den 4n2 Grössen Ka, b, Ja, b,
K'a, b, J'a, b . Die erste Gleichung nämlich, deren linke Seite identisch = 0 wird,
wenn man c = b nimmt, und nur ihr Zeichen wechselt, wenn diese beiden Indices
unter einander vertauscht werden, giebt Relationen; eben so viele die
zweite; die dritte aber giebt deren n (n — 1), und die vierte n, alle zusammen also
enthalten Relationen.
4
Ich werde jetzt aus diesen Relationen noch einige andere herleiten, welche bei
den in der Einleitung angedeuteten Reihen-Entwickelungen der Abel’schen Transcen-
denten gebraucht werden.
Es bezeichne G die Determinante des Systems
K1 , 1 K1 , 2 . . . . K1 , n
K2 , 1 K2 , 2 . . . . K2 , n
. . . . . . . . . . . . .
K n , 1 K n , 2 . . . . K n , n,
und den Coefficienten von Ka, b in dem Ausdrucke von G, so ist, wenn
5.
gesetzt wird,
6. ,
7. .
Nun hat man (Gl. 1)
also
Summirt man auf beiden Seiten in Bezug auf die einzelnen Indices in der Ord-
nung, in welcher sie unter dem Summenzeichen geschrieben stehen, so erhält man
mit Hülfe der Gleichung (7)
8.
Setzt man daher
9. , so ist
10. Fa, b = Fc, b
Multiplicirt man die Formel Gc, n Ja, n durch Kc, b und summirt dann in Bezug auf
c, n, so findet man mit Hülfe der Gleichungen (9, 6)
11.
Ferner ist (Gl. 3, 4)
daher
Aber ,
also 12.
Endlich ist (Gl. 2)
,
und daher, wenn man J'c, a und J'c, b vermittelst der Formel (12) ausdrückt, indem
man das einemal c, a, m für a, b, c und das anderemal c, b, m für a, b, c schreibt,
und bemerkt, dass
ist, weil man auf der rechten Seite dieser Gleichung m und c mit einander vertauschen
und dann wieder Fm, c für Fc, m setzen darf,
13.
Diese Gleichung ist besonders bemerkenswerth, weil in ihr nur Abel’sche Integrale
der ersten Gattung vorkommen.
Bezeichnet man den Ausdruck auf der linken Seite dieser Gleichung durch Ha, b,
wo denn
14. Ha, b = Hb, a
ist, so erhält man noch
15.
Durch die hier entwickelten Formeln wird übrigens auch der Beweis gelie-
fert, dass die (2n2 — n) Gleichungen (1, 2, 3, 4) unabhängig von einander sind,
d. h. dass keine von ihnen eine Folge der übrigen ist. Dies wird der Fall sein, wenn
sich sämmtliche in denselben vorkommende 4n2 Grössen durch (2n2 + n) andere, will-
kührlich angenommene, ausdrücken lassen.
Nimmt man nun aber die n2 Grössen Ka, b willkührlich, die durch Fa, b, Ha, b
bezeichneten aber so an, dass den Bedingungs-Gleichungen (10, 14) Genüge geschieht,
und drückt dann durch diese Grössen, deren Anzahl (2n2 + n) ist, vermittelst der
Formeln (11, 12, 15) Ja, b, J'a, b, K'a, b aus, und substituirt die so erhaltenen Ausdrücke
4*
derselben in die Gleichungen (1, 2, 3, 4), so überzeugt man sich mit Hülfe der Re-
lationen (6, 7) leicht, dass in jeder dieser Gleichungen die linke Seite identisch = 0
wird.
Es ist bei den vorstehenden Entwickelungen ausdrücklich angenommen worden,
dass die Wurzeln der Gleichung R (x) = 0, a1, a2, …, a2n+1 sämmtlich reell und
ihrer Grösse nach geordnet seien. Gleichwohl behalten die gewonnenen Resultate
unverändert und ohne Ausnahme ihre Gültigkeit, wenn auch diese Bedingungen nicht
erfüllt sind; es bedarf alsdann nur einer geeigneten Modification der in §. 1 getroffe-
nen Bestimmungen hinsichtlich der Festsetzung desjenigen Werthes von √R(x), der
bei jeder einzelnen Integration genommen werden muss. Ich kann jedoch, des be-
schränkten Raumes wegen, in nähere Erörterungen über diesen Gegenstand nicht ein-
gehen. Ebenso muss ich es mir versagen, über den in der Einleitung erwähnten
Gebrauch der entwickelten Relationen auch nur andeutungsweise etwas Näheres anzu-
geben. Ich begnüge mich schliesslich — besonders um darauf hinzuweisen, dass
auch die zuletzt gegebenen Entwickelungen nicht ohne Bedeutung sind — den allge-
meinen Ausdruck der Hülfsfunctionen hinzustellen, auf welche die Abel’schen Transcen-
denten zurückgeführt werden können.
Es seien t1, t2, …, tn unbeschränkt veränderliche Grössen; μ1, μ2, … μn,
ν1, ν2, …, νn ganze Zahlen, von denen jede entweder = 0, oder = 1 zu nehmen
ist; α1, α2, … αn, veränderliche ganze Zahlen, deren jede unabhängig von den übrigen
jeden zwischen den Grenzen — ∞ und + ∞ enthaltenen Werth annehmen kann; man
bezeichne ferner πHa, b durch ϑa, b, durch ηa, b, und bilde die unendliche Reihe
,
wo sich das Summenzeichen Σ auf a, b S aber auf α1, α2 . . . . bezieht. Be-
zeichnet man die durch diese Reihe dargestellte Function von t1, t2, . . . . durch
H1 (t1, t2, . . . ., tn), so hat dieselbe je nach den verschiedenen Werthen, die
man den Zahlen μa, νa geben kann, 4n verschiedene Formen, welche den Jacobi’schen
Λ Functionen, in welche sie für n = 1 übergehen, durchaus analog sind. Führt man
nun statt t1, t2, … die Argumente u1, u2, … ein, indem man
ta = η1,a u1 + η2,a u2 + . . . . + ηn,a un
setzt, so erhält man die erwähnten Hülfsfunctionen von u1, u2, … un, durch welche
die von mir eingeführten Functionen sn (u1, u2, …)a, cn (u1, u2, …)a, dn (u1, u2, …),
und noch mehrere andere, mit diesen im Zusammenhange stehende, ausgedrückt wer-
den können und zwar eine jede als ein Quotient zweier derselben. Das Nähere
hierüber gedenke ich in der erforderlichen Ausführlichkeit in einem grössern Werke
zu geben, welches ausser allgemeinen Untersuchungen über die Integrale algebraischer
Functionen insbesondere die Grundzüge einer umfassenden Theorie der Abel’schen
Transcendenten enthalten soll.
Braunsberg, 17. Juli 1849.
Karl Weierstrass.