II. Der deutsche Verein für Frauenstimmrecht
von 1902 bis zur Gründung des Weltbundes für
Frauenstimmrecht am 4. Juni 1904.
Die Unmöglichkeit in der Hauptstadt des Reiches oder überhaupt
in Preußen eine Frauenorganisation mit politischen Zielen zu schaffen,
führte die zweite Vorsitzende des Verbandes fortschrittlicher Frauen-
vereine, Dr. jur. Anita Augspurg dazu, einen deutschen Ver-
ein für Frauenstimmrecht mit dem Sitz in Hamburg zu gründen, da
die Hamburgischen Gesetze die Zugehörigkeit von Frauen zu politischen
Vereinen gestatten.
Dr. Augspurg und Frau Cauer waren in Deutschland die ersten
bürgerlichen Vorkämpferinnen für die politische Befreiung der Frau.
Die von Frau Cauer im Jahre 1895 begründete Zeitschrift: „Die
Frauenbewegung“ ist von den ersten Nummern an bis jetzt
unermüdlich für die Forderung des Frauenstimmrechts eingetreten.
So hat die Zeitschrift Pionierdienste getan für den deutschen Verein für
Frauenstimmrecht, der im Anfang des Jahres 1902 ins Leben gerufen
wurde. Außer Dr. Augspurg und Frau Cauer traten dem Vorstande bei:
Lida-Gustava Heymann, Begründerin und Vorsitzende des Vereins
Frauenwohl-Hamburg. Dr. phil. Käthe Schirmacher-Paris, Charlotte
Engel-Reimers-Hamburg und Adelheid von Welczeck-Vegesack bei
Bremen. Der deutsche Verein für Frauenstimmrecht (jetzt Verband für
Frauenstimmrecht) verfolgt den Zweck für die deutschen Frauen die
politische Gleichberechtigung zu erkämpfen und den Frauen die Aus-
übung der politischen Rechte zu sichern, die Frauen derjenigen deutschen
Länder, Gemeinden und Berufsklassen, welche im Besitze politischer
oder sonstiger Stimmrechte sind, zur Ausübung derselben zu veranlassen.
Der deutsche Verein für Frauenstimmrecht schloß sich bei seiner
Gründung dem Verbande fortschrittlicher Frauenvereine und dem Bunde
deutscher Frauenvereine an.
Der Verein trat zum ersten Male in die Oeffentlichkeit in einer Mani-
festationsversammlung in Berlin am 13. Februar 1902. Die Versammlung
erklärte in einer Resolution die Ausübung des Frauenstimmrechts durch
die Frauen vom ethischen und wirtschaftlichen, vom politischen und
sozialen Standpunkt als eine unbedingte Notwendigkeit.
Unmittelbar darauf faßte der Vorstand den Beschluß, eine Audienz
beim Reichskanzler Grafen Bülow nachzusuchen; diese Audienz fand am
20. März 1902 statt. Einladungen zur Teilnahme waren ergangen an die
Bundesvereine, die Vereine des Verbandes fortschrittlicher Frauenver-
eine, die Einzelmitglieder des deutschen Vereines für Frauenstimm-
recht und an repräsentative Einzelpersonen.
Es beteiligten sich an der Audienz 35 Frauen aus allen Teilen des
deutschen Reiches, alle Berufe und Stände waren vertreten. In einer
Vorbesprechung waren die Punkte bestimmt, welche dem Reichskanzler
als die vorläufig dringendsten Wünsche der Frauenwelt vorgetragen wer-
den sollten; diese Punkte wurden in einem Schriftstück niedergelegt,
welches Dr. Augspurg mit einer kurzen Ansprache dem Reichskanzler
überreichte.
Das Schriftstück lautet folgendermaßen:
Die Versammelten bitten im Namen vieler deutscher Frauen um die
Vorlage eines Reichsgesetzes, dahin lautend:
Die vereinsrechtlichen Beschränkungen der Frauen sind im allen
deutschen Bundesstaaten aufgehoben.
Sie bitten ferner um Aufhebung von Ziffer 6 des § 361 R. St. G. B.,
dessen Wirkung ein unerträgliches Ausnahmegesetz für alle deutschen
Frauen bedeutet; sie bitten endlich:
Daß durch Reichsgesetz bestimmt werden möge, daß nach voll-
giltig abgelegter Maturitätsprüfung das weibliche Geschlecht das gleiche
Anrecht auf Immatrikulation an Hochschulen habe wie das männliche;
daß bei der in Aussicht gestellten Reform des Mädchenschulwesens
in Preußen eine Anzahl sachverständiger Frauen zur Mitarbeit herange-
zogen werden;
daß der privaten Initiative bei Reformversuchen für Mädchen-
schulen durch Konzessionsversagung seitens des Kultusministeriums
nicht hindernd in den Weg getreten wird;
daß die Errichtung obligatorischer Fortbildungsschulen für Mädchen
eingeleitet werde (siehe die „Frauenbewegung“ vom 1. April 1902).
In den Jahren 1902 und 1903 veranstaltete der Verein noch mehrere
öffentliche Versammlungen in Berlin, Hamburg, Frankfurt a. M. Insbe-
sondere sind hervorzuheben die Versammlungen in Hamburg und Berlin
bei Gelegenheit der Reichstagswahlen von 1903. In Hamburg referierte
die zweite Vorsitzende des Vereins Lida Gustava Heymann über den
deutschen Reichstag, die bevorstehenden Wahlen und die Beteiligung
der Frauen, in Berlin die erste Vorsitzende Dr. jur. Augspurg über das-
selbe Thema. Vertreter verschiedener politischer Parteien waren an-
wesend und beteiligten sich an der Debatte. Obgleich Dr. Augspurg in
ihrem Schlußwort ausdrücklich betonte, daß der deutsche Verein für
Frauenstimmrecht keiner Partei angeschlossen sei, vielmehr über den
Parteien stehe, so wurde dennoch von seiten der sozialdemokratischen
Presse immer und immer wiederholt, daß der Verein Parteipolitik treibe.
Dieser Vorwurf ist zurückgewiesen. Der Verein nimmt unterschiedslos
alle Frauen auf, gleichviel welches ihre politischen Gesinnungen sein
mögen und läßt seinen Mitgliedern durchaus freie Hand, sich an den-
jenigen politischen Veranstaltungen zu beteiligen, welche ihren Ueber-
zeugungen entsprechen.
An die Behörden und gesetzgebenden Körperschaften wandte sich
der Verein in seiner ersten Geschäftsperiode mit einer Reihe von
Eingaben; an den Reichstag mit einer Petition betreffs einer den
veränderten Bevölkerungsverhältnissen Rechnung tragenden Neuein-
teilung der Wahlkreise, an den Hamburger Senat Wahlkreiseinteilung
betreffend, an den Bundesrat betreffend Gleichstellung der Frauen
bei den Kaufmannsgerichten, an die Kirchenbehörden der verschiede-
nen Bundesstaaten betreffend das Recht der Selbstverwaltung der
Frauen in kirchlichen Angelegenheiten usw.
Zugleich war der Verein ununterbrochen bemüht das politische
Interesse der Frauen durch Aufrufe und Anschreiben zu wecken und zu
fördern. Unter anderem ergingen Anschreiben mit der Aufforderung die
Frauen zur Ausübung ihrer Wahlrechte bei den Krankenkassen anzu-
regen, zur Beteiligung an den Arbeiten bei den Gemeinde-, Landtags-
und Reichstagswahlen – soweit die Vereinsgesetze das zulassen – usw.
Die Versammlungen in Berlin und Hamburg erfreuten sich stets
eines guten Besuches und regen Interesses von seiten des Publikums, man-
che Provinzvereine zeigten sich aber wie so oft rückständig, die Frage des
Frauenstimmrechts rief sogar dann und wann einen panischen Schrecken
hervor.
Zwar hatte der Bund deutscher Frauenvereine auf seiner General-
versammlung in Wiesbaden im Oktober 1902 auf eine von fortschritt-
licher Seite eingebrachte Interpellation folgende Resolution fast ein-
stimmig angenommen:
„Es ist dringend zu wünschen, daß die Bundesvereine das Verständ-
nis für die Gedanken des Frauenstimmrechts nach Kräften fördern, weil
alle Bestrebungen des Bundes erst durch das Frauenstimmrecht eines
dauernden Erfolges sicher sind.“
Trotzdem ist von seiten der Bundesvereine häufig die Behauptung
aufgestellt worden, daß es ihren sonstigen Bestrebungen schaden würde,
wenn sie öffentlich für das Frauenstimmrecht eintreten würden. Auch
der Einwand, daß die Frauen nicht reif wären zur Ausübung ihrer staats-
bürgerlichen Rechte, ist wunderlicher Weise oft von Frauen selbst er-
hoben worden. Erst allmählich haben sich diese Befürchtungen und Be-
denken verloren, die Ueberzeugung drang durch, daß nur die Erlangung
des Frauenstimmrechts allen anderen Bestrebungen den nötigen Nach-
druck verleihen kann, und daß die politische Reife, wo sie noch nicht
vorhanden ist, am besten durch die Ausübung politischer Rechte erwor-
ben werden dürfte.
III. Die Frauenstimmrechtsbewegung des Aus-
landes und der Weltbund für Frauenstimmrecht.
Wesentlich früher als in Deutschland hat in Amerika und England
die Frauenstimmrechtsbewegung begonnen. Schon am Ende des 18. Jahr-
hunderts wurde den Frauen des Staates New Jersey in Amerika (1790)
das Stimmrecht verliehen, doch soll dies auf einen Zufall zurückzuführen
sein, auch wurde den Frauen dies Recht im Jahre 1807 wieder genommen.
Die eigentliche amerikanische Stimmrechtsbewegung setzt mit dem
Jahre 1848 ein, wo Lucretia Mott und Elizabeth Cady
Stanton in Seneca Falls den ersten Kongreß für Frauen-
rechte einberiefen, den die Welt gesehen hat. Mrs. Stanton hielt eine
Ansprache, in welcher sie mit großer Beredsamkeit die Gründe für die
intellektuelle und politische Gleichberechtigung der Frauen verfocht.
Wenige Jahre darauf trat Susan B. Anthony in die Bewegung, die treue
unermüdliche Vorkämpferin für Freiheit, Wahrheit und Recht. Die
Namen Elizabeth Cady Stanton und Susan B. An-
thony werden für den Befreiungskampf der Frauen der ganzen Welt
unvergeßlich bleiben. Eine geradezu einzigartige Freundschaft hat
diese beiden Frauen, welche sich aufs glücklichste ergänzten, durch ein
Menschenalter verbunden. Während Mrs. Stanton, welche Mutter von
7 Kindern war, in ihren kargen Mußestunden alle wichtigen Schrift-
stücke verfaßte, wie die Eingaben über Mäßigkeit, Bekämpfung der
Sklaverei, Erziehungsfragen usw., reiste Susan Anthony von Ort zu Ort,
keine Entfernung, keine Beschwerde scheuend, um den Gedanken von
der Befreiung der Frau bis in die entlegensten Winkel ihres großen
Vaterlandes zu tragen. Die Erinnerungen an diese langjährige gemein-
same Arbeit sind in einem umfangreichen Werke niedergelegt: The
History of Woman Suffrage, ein herrliches Vermächtnis
für die Nachwelt (The History of Womam Suffrage edited by Susan B.
Anthony and Ida Husted Harper in four Volumes).
Obschon es den beiden treuen Kämpferinnen nicht vergönnt gewesen
ist, den vollen Sieg ihrer Bestrebungen zu sehen, so sind die Erfolge des
Frauenstimmrechts in Amerika immerhin bedeutende. Vier Staaten der
Union gaben den Frauen das volle politische Wahlrecht: Wyoming (1869)
Colorado (1893) Idaho und Utah (1896). In einer Reihe von anderen
Staaten wurde von den gesetzgebenden Körperschaften die Frage des
Frauenstimmrechts zur Erörterung gestellt, so in Maine, Vermont,
Oregon; in letzterem Staate wurde es mit nur geringer Majorität abge-
lehnt.
Viel erfolgreicher war das Vorgehen der Frauen auf dem Gebiete des
Schulwahlrechts; dies wurde nach dem Vorgehen von Kansas (1874)
allmählich in 25 Staaten eingeführt, Frauen sind jetzt in allen Stufen
der Schulverwaltung zu finden als Bezirksinspektoren, Stadt- und Staats-
schulräte usw.
Die Wirkungen auf die Gesetzgebung derjenigen Staaten, in denen
Frauen das Stimmrecht besitzen, sind äußerst segensreiche gewesen.
So wurde in Wyoming, Idaho und Colorado das Schutzalter für Mädchen
auf 18 Jahre erhöht, in Wyoming wurde die Kinderarbeit verboten, in
Colorado eine strengere Durchführung der Kinderschutzgesetze erreicht,
Anstalten für schwachsinnige Kinder wurden errichtet. Verschiedene
Maßnahmen zum besten der öffentlichen Gesundheitspflege, vornehmlich
in den Schulen, sind der Einwirkung der Frauen zu verdanken; Frauen
sorgten für den Schutz der Wälder, Errichtung von öffentlichen Trink-
brunnen, von Rauch verzehrenden Schornsteinen; der Verkauf von
Tabak und Spirituosen an Minderjährige wurde gesetzlich geregelt, das
Hazardspiel verboten.
Die amerikanische Stimmrechtsbewegung hat eine feste Organi-
sation in der National Woman Suffrage Association, (gegründet 1868)
welche in fast allen Staaten Landesvereine (State-Associations) besitzt.
Die derzeitige Vorsitzende ist die Methodistin Predigerin Rev. Annie
Shaw, eine durch seltene Beredsamkeit ausgezeichnete Vorkämpferin
der Frauenrechte.
In England waren die Frauen im Besitze des politischen Wahl-
rechts bis 1832, wo es ihnen durch die Reformakte genommen wurde.
Die englische Frauenstimmrechtsbewegung setzt ziemlich zu derselben
Zeit ein wie die amerikanische; die ersten Artikel über die Befreiung der
Frau erschienen 1851 in der Westminster Review. Die erste Vorkämpfe-
rin war Lydia Ernestine Becker, eine Frau von deutscher Abstammung.
Bahnbrechend für die Bewegung wirkte das Erscheinen von John
Stuart Mills berühmtem Buch „Die Hörigkeit der Frau“. (The sub-
jection of Woman). Der Verfasser war es auch, welcher die erste Vorlage
für das Frauenstimmrecht 1866 vor dem englischen Parlament vertrat.
Im Jahre 1869 fand in London die erste öffentliche Versammlung statt,
in der Millicent Fawcett, (welche noch heute der Bewegung angehört) die
Forderung des Frauenstimmrechts vertrat. In der Diskussion sprachen
12 Parlamentarier.
Fast Jahr für Jahr haben die englischen Frauen Eingaben das Stimm-
recht betreffend an das Parlament gerichtet; bei den Abstimmungen sind
große Minoritäten für das Frauenstimmrecht eingetreten, ja am 3. Fe-
bruar 1897 hat die Mehrheit des englischen Unterhauses in zweiter Lesung
die Einführung des Frauenstimmrechts beschlossen, das Oberhaus
schützte formelle Gründe vor, um nicht in die zweite Lesung einzutreten.
In den 80er Jahren waren die Frauen insofern in die praktische
Politik übergegangen, daß sie sich an den Vorarbeiten für die Wahl-
kampagnen beteiligten. Zugleich bildeten sich drei große parteipoli-
tische Frauenorganisationen Primrose League (konservativ) the Womens
liberal Federation and the Womens liberal Unionists Association. Es
läßt sich nicht verkennen, daß diese Parteibildungen die Wucht der
englischen Stimmrechtsbewegung abgeschwächt haben, die sich erst
neuerdings im Beginn dieses Jahrhunderts zu neuer Tatkraft aufgerafft
hat.
Die Dinge liegen insofern in England günstig, als Frauen seit mehr
als hundert Jahren an der kommunalen Selbstverwaltung des vereinigten
Königreiches beteiligt sind und sich in derselben aufs beste bewährt
haben. Die Frauen sind wahlberechtigt und wählbar zu den Gemeinde-
und Bezirksräten, zu den Armenräten, (von letzteren gab es 1904 unge-
fähr 1000 weibliche), außerdem haben die Frauen das passive Wahlrecht
zu den Stadt- und Grafschaftsräten. Eine Sonderstellung nimmt die
kleine Insel Man ein, die eine von England unabhängige Verwaltung be-
sitzt; dort wurde den Frauen im Jahre 1880 durch eine Wahlreformbill
die volle politische Freiheit verliehen.
Besonders weitgehender Rechte erfreuen sich die Frauen in den
Australischen Kolonien; Neu-Seeland gab den Frauen das volle poli-
tische Stimmrecht im Jahre 1893; jetzt besitzen es sämtliche australische
Gebiete mit einziger Ausnahme von Viktoria. Die Frauen Australiens
machen von ihrem Wahlrecht fleißig Gebrauch und haben bereits eine
Reihe von gesetzgebrischen Maßnahmen zur Besserstellung ihres eigenen
Geschlechtes, wie zur Förderung der Gesamtwohlfahrt durchgesetzt.
Australische Staatsmänner haben sich sehr anerkennend über die günsti-
gen Folgen des Frauenstimmrechts geäußert.Siehe hierzu Heft 1516 der gleichen Sammlung: Revers: Das politische Wahl-
recht der Frau in Australien. .30 Pf. In Neuseeland ist kürz-
lich den Frauen auch das passive Wahlrecht für das Oberhaus, von wel-
chem sie bisher ausgeschlossen waren, verliehen worden; bei der Ab-
stimmung, welche darüber im Unterhause stattfand, stimmte der Pre-
mierminister und zwei Staatsminister für diese Neuerung. (Jus Suf-
fragii vom 15. September 1907).
Eine ziemlich bevorzugte Stellung nehmen auch die Frauen der
skandinavischen Länder ein; die Frauen Schwedens, insbesondere die
Grundbesitzerinnen, haben seit alter Zeit das kommunale Wahlrecht,
ebenso wie die Männer. Im Jahre 1862 wurde dies Wahlrecht auf alle
Frauen ausgedehnt, welche zum mindesten ein Einkommen von 500 Kro-
nen versteuern. Seit 1889 können Frauen zu Mitgliedern der Armen-
kommissionen, sowie des Schulrats gewählt werden. Kürzlich wurde
den Frauen auch das beschränkte politische Wahlrecht verliehen; es
gelten dafür dieselben Bestimmungen wie für das kommunale Wahlrecht.
In Norwegen erlangten die Frauen 1889 Anteil an der Schulverwal-
tung, Frauen können das Amt eines Schulinspektors bekleiden, 1890 und
1892 beschäftigte sich das Parlament mit der Frage des Frauenstimm-
rechts, 1901 erhielten die Frauen, welche das 25. Lebensjahr vollendet
haben und ein steuerbares Einkommen von durchschnittlich 400 Mark
besitzen, das aktive und passive kommunale Wahlrecht, 1907 das poli-
tische Wahlrecht unter denselben Bedingungen.
Die dänischen Frauen haben sich wiederholt mit Eingaben um Ge-
währung des Gemeindewahlrechts an die gesetzgebenden Körperschaften
gewendet; die zweite Kammer „Folksthing“ hat siebenmal den betreffen-
den Anträgen zugestimmt, doch ist die erste Kammer „Landsthing“
diesen Beschlüssen nicht beigetreten.
In Island erhielten die unverheirateten Frauen 1882 das Stimmrecht
für kommunale Wahlen, 1886 für die Wahl der Geistlichen.
Ueber den Sieg des Frauenstimmrechts in Finnland wird an anderer
Stelle berichtet werden.
Vergleichsweise war die Stimmrechtsbewegung in den Ländern
romanischer Sprache, sowie in Oesterreich, der Schweiz, Holland und
Rußland bisher noch wenig entwickelt. In Belgien haben die Frauen
seit 1893 die Zulassung zur städtischen Armenpflege erlangt. In Frank-
reich besteht erst seit kurzem ein Frauenstimmrechtsverein: Le Suffrage
des Femmes. In der Schweiz haben sich neuerdings Stimmrechtsvereine
in Genf und Lausanne gebildet. In Holland wurde 1890 anläßlich der
Bewegung zur Einführung des allgemeinen Wahlrechts eine Agitation
für das Frauenstimmrecht begonnen, welche anfänglich nur geringe Er-
folge zeitigte. Neuerdings ist die Bewegung durch die rührige Tätigkeit
des Frauenstimmrechtsvereins stark in Fluß gekommen. Gelegentlich
der Revision der Verfassung ist im Oktober 1907 eine Regierungsvorlage
erschienen, welche das aktive und passive Frauenwahlrecht in Aussicht
stellt.
Die Initiative zur Gründung eines Weltbundes für Frauenstimmrecht
ist von Amerika ausgegangen. In der 34. JahresvsamermlungJahresversammlung des ameri-
kanischen National-Verbandes für Frauenstimmrecht ergingen Einladungen
zu einer internationalen Frauenstimmrechtskonferenz an die Frauenorgani-
sationen von 14 Ländern, verbunden mit der Aufforderung, einen Bericht
über die Lage und die Rechte der Frauen in diesen Ländern zu geben.
Diese Konferenz fand im Februar 1902 in Washington statt. Vertreten
waren von Amerika außer den Vereinigten Staaten: Kanada, Mexiko,
Süd-Amerika, von Europa: Belgien, Holland, Frankreich, England,
Dänemark, Norwegen, Schweden, Deutschland, die Schweiz, Italien, die
Türkei. Australien war ebenfalls vertreten. Von China, Japan und Per-
sien wurden Berichte verlesen.
Der deutsche Verein für Frauenstimmrecht war in Washington
nicht vertreten (ein Begrüßungsschreiben des deutschen Vereins für
Frauenstimmrecht hatte sich durch Zufall verspätet und konnte deshalb
nicht verlesen worden) doch wurde seiner zweimal Erwähnung getan,
einmal in einem Anschreiben, welches der Vorstand des Verbandes fort-
schrittlicher Frauenvereine an den amerikanischen Nationalbund ge-
richtet hatte, ferner in dem von der Vorsitzenden des Bundes deutscher
Frauenvereine Frau Marie Stritt verfaßten Bericht über Deutschland,
welcher von Frl. Antonie Stolle verlesen wurde.
Die Absicht der Gründung eines Weltbundes für Frauenstimmrecht
kam nicht zur Ausführung, wurde vielmehr auf das Jahr 1904 verschoben,
wo die Tagung des Internationalen Frauenrates in Berlin bevorstand.
Es wurde ein Internationales Frauenstimmrechts-Komitee gebildet, in
welchem Amerika durch Susan Anthony und Mrs. Carrie Chapman Catt
vertreten war. Wenige Monate darauf wurde auf Grund eines Ueberein-
kommens mit der Präsidentin des Komitees Susan Anthony, von den
Mitgliedern des deutschen Vereins für Frauenstimmrecht die Wahl der
Vertreterinnen für Deutschland vollzogen; es wurden gewählt: Dr. Augs-
purg, Frau Cauer, Lida-Gustava Heymann. Auf Wunsch der amerika-
nischen Frauen übernahm Dr. Augspurg den Posten einer Vizepräsiden-
tin des Internationalen Frauenstimmrechtskomitees.
Die zweite Internationale Stimmrechtskonferenz wurde am 3. Juni
1904 im Hotel Prinz Albrecht in Berlin unter dem Vorsitze von Susan
Anthony eröffnet. Folgende Länder waren durch Delegierte vertreten:
Vereinigte Staaten von Amerika, Deutschland, England, Holland, Däne-
mark, Schweden, Norwegen, die Schweiz, Ungarn, Neuseeland.
Die Delegierten von Deutschland waren: Dr. Augspurg, Frau Cauer,
Lida-Gustava Heymann, Dr. Käthe Schirmacher, Adelheid von Wel-
czeck, Martha Zietz.
Dr. Augspurg begrüßte die Versammlung, und gab eine Uebersicht
über die Entwicklung der Stimmrechtsbewegung in Deutschland seit der
kurzen Zeit ihres Bestehens; waren auch damals die Erfolge noch geringe,
so war dennoch bereits eine Schar von Frauen vorhanden, welche mit
tiefem Verständnis und echter Begeisterung im Kampfe um ihre staats-
bürgerlichen Rechte standen. Susan Anthony erwiderte mit warmen
Worten und gab einen kurzen Rückblick auf ihre Lebensarbeit. Die
geistige Frische, die unermüdliche Ausdauer, mit welcher die greise
Führerin die Verhandlungen leitete, werden allen, welche den Vorzug
hatten an der Konferenz teilzunehmen, ebenso unvergeßlich bleiben,
wie die herzgewinnende Freundlichkeit der greisen Frau. Ihr zur Seite
stand Mrs. Chapman Catt; sie überbrachte die Grüße der Schwestern
jenseits des Ozeans und überreichte gleichsam als Symbol, einen Hammer
aus den edlen Hölzern von Wyoming und dort gewonnenem Silber ge-
fertigt. (Wyoming war der erste Staat der Welt, der den Frauen das
Stimmrecht verliehen hatte; der Hammer ist für Amerika das Zeichen
für die Leitung anstatt der Glocke.)
Die Verhandlungen wurden in englischer, das Protokoll in englischer
und deutscher Sprache geführt: Dr. phil. Käthe Schirmacher verwaltete
das Amt als Dolmetscher mit seltener Gewandtheit. Zur Beratung kam
zunächst das von dem internationalen Komitee entworfene Programm
welches mit kleinen Abänderungen zur Annahme gelangte und folgender-
maßen lautet:
1. Männer und Frauen werden als gleichermaßen freie und selbst-
ständige Glieder der menschlichen Gesellschaft geboren, gleich begabt mit
Verstand und Fähigkeiten und gleich befugt zur ungehinderten Ausübung
ihrer persönlichen Freiheit und Rechte.
2. Die natürlichen Beziehungen zwischen den Geschlechtern bestehen
in gegenseitiger Abhängigkeit und gemeinsamer Arbeit; jedwede Be-
schränkung der Freiheit eines Geschlechts schädigt ganz unvermeidlich
auch das andere und damit die ganze Menschheit.
3. Alle Gesetze, Sitten und Gebräuche, die, in welchem Lande es
auch sei, darauf hinzielen, der Frau eine abhängige Stellung zu geben,
ihre Erziehung zu beschränken, die Entwicklung ihrer natürlichen Gaben
zu hemmen, ihre Persönlichkeit unterzuordnen, haben, auf falschen Grund-
sätzen beruhend, in der modernen Welt ein gekünsteltes und ungerechtes
Verhältnis zwischen den Geschlechtern geschaffen.
4. Selbstbestimmung in Haus und Staat ist das unveräußerliche
Recht jedes normalen erwachsenen Menschen und der Ausschluß der
Frauen von diesem Recht hat ihnen gegenüber zu sozialen, rechtlichen
und wirtschaftlichen Ungerechtigkeiten geführt und gleichfalls dazu bei-
getragen, die ökonomischen Notstände der ganzen Welt zu verschärfen.
5. Jede Regierung, die ihren weiblichen Bürgern Steuern auferlegt
und Gesetze vorschreibt, ohne ihnen dasselbe Recht der Mitbestimmung
zu gewähren, das die männlichen Bürger besitzen, übt einen Mißbrauch
der Gewalt, der mit einer gerechten Regierung unvereinbar ist.
6. Das Stimmrecht ist das einzige Mittel zur Wahrung jener per-
sönlichen Rechte auf Leben und Freiheit, wie sie die Amerikanische Un-
abhängigkeitserklärung als unveräußerlich hingestellt hat und wie sie
von allen modernen Verfassungen anerkannt werden. Darum müssen in
Ländern mit konstitutioneller Regierungsform den Frauen alle poli-
tischen Rechte und Privilegien verliehen werden.
Nachdem auch die von dem Komitee vorgelegten Satzungen ange-
nommen waren, vollzog sich am Nachmittage des 4. Juni die Gründung
des Weltbundes für Frauenstimmrecht. „Die Frauenbewegung“ vom
15. Juni 1904 sagt darüber: „Es war ein ergreifender Moment, als die
Beitrittserklärung der verschiedenen Länder erfolgte und nach stattge-
fundener Wahl des Vorstandes Miss Susan B. Anthony, die 84 jährige
Greisin, nun auf das Werk ihres Lebens blicken konnte – den Zusammen-
schluß der Frauen aus den verschiedenen Ländern durch ihren unent-
wegten und mutigen Kampf erreicht zu haben. Wer diesen Moment mit
erlebt hat, wird ihn nicht vergessen. Aufrecht stehend inmitten ihrer
Gesinnungsgenossinnen, auf dem ehrwürdigen Gesichte eine tiefe Be-
wegung, mit wenigen Worten, welche von innerer Ergriffenheit zeugten,
für die brausenden Ovationen dankend, – was mochte durch die Seele
dieser Frau gehen, die einst mit Steinen geworfen worden und nun, man
kann wohl sagen, ein Weltall zu ihren Füßen sah.“ …
Susan Anthony lehnte es wegen ihres hohen Alters ab den Vorsitz
zu übernehmen und wurde zur Ehrenpräsidentin, Mrs. Chapman Catt
einstimmig zur Vorsitzenden gewählt; Dr. jur. Augspurg wurde zur zwei-
ten, Mrs. Fawcett-England zur dritten Vorsitzenden gewählt, zu sonstigen
Vorstandsmitgliedern Mrs. Foster Avery-Vereinigte Staaten, Dr. phil. Käthe
Schirmacher-Paris, Frl. Naber-Holland, Miß Rodger Canliffe-England.
Folgende Länder schlossen sich dem Weltbunde an:
Vereinigte Staaten von Amerika, Deutschland, England, Holland,
Schweden, Norwegen, Viktoria (Australien).
Somit war der feste Grund gelegt für eine einheitliche Entwicklung
der Frauenstimmrechtsbewegung der ganzen Welt.
Verschiedene Vorstandsmitglieder übernahmen die Propaganda in
denjenigen Ländern, welche noch keine oder nur geringe Anfänge einer
Stimmrechtsbewegung hatten. Größer als es die Tatkraft einzelner ver-
mocht hätte, gestaltete sich der Einfluß der politischen Ereignisse auf
die Frauenstimmrechtsbewegung, so daß bei der dritten Konferenz des
Weltbundes, die vom 7.-11. August 1906 in Kopenhagen stattfand,
wesentliche Fortschritte zu verzeichnen waren. Außer Kanada und
Dänemark, welche sich inzwischen schon dem Weltbunde angeschlossen
hatten, traten in Kopenhagen Rußland, Ungarn und Italien bei. So
waren im ganzen 12 Nationen durch Delegierte vertreten:
Vereinigte Staaten von Amerika, Australien, Kanada, Dänemark,
Deutschland (vertreten durch die beiden Vorsitzenden Dr. jur. Anita
Augspurg und Lida-Gustava Heymann und die Schriftführerin Adelheid
von Welczeck.) England, Italien, Holland, Norwegen, Schweden, Ruß-
land, Ungarn (inzwischen ist auch Finnland dem Weltbunde
beigetreten).
In Rußland trat inmitten der blutigen Wirren der Revolution eine
Bewegung für die Befreiung der Frau zu Tage, welche sich schon lange
im Geheimen vorbereitet hatte. Im Frühjahr 1905 wurde in Moskau ein
Frauenverband für Frauenstimmrecht gegründet. Die Berichte der
russischen Führerinnen, welche unter außerordentlichen Schwierigkeiten
und Gefahren ihre Organisation ins Leben gerufen hatten, erregten in
Kopenhagen lebhafte Teilnahme. Die große allgemeine Wahl-
rechtsbewegung pflanzte sich von Rußland nach Oesterreich und Ungarn
fort; hier galt es Rechte zu erkämpfen für beide Geschlechter, so gingen
die Frauen gemeinsam mit den Männern vor.
In Wien, Prag und Brünn fanden große Frauenversammlungen statt,
eine Eingabe wurde an das Ministerium und das Abgeordnetenhaus ge-
richtet. Allein die Engigkeit des österreichischen Vereinsgesetzes, wel-
ches wie in Preußen, den Frauen die Zugehörigkeit zu politischen Vereinen
verbietet, hemmte den weiteren Fortschritt der Bewegung; während die
Männer das allgemeine Wahlrecht erhielten, blieben die Frauen unbe-
rücksichtigt.
Mit besonderer Tatkraft gingen die ungarischen Frauen vor; der
Verein für Fraueninteressen trat energisch für die Forderung des Frauen-
stimmrechts ein, gewann viele Anhänger und wußte einflußreiche Poli-
tiker für die Frage des Frauenstimmrechts zu interessieren.
Einen vollen Erfolg errangen die Frauen in Finnland; dort waren
sie infolge der jahrhundertelangen Zugehörigkeit zu Schweden, bereits
lange im Besitze des kommunalen Stimmrechts, außerdem war durch die
gemeinsame Erziehung der Geschlechter Verständnis und Teilnahme
für die Fragen des öffentlichen Lebens unter den finnischen Frauen in
reichem Maß vorhanden; sie gingen Schulter an Schulter mit den Männern
in den Befreiungskampf von dem russischen Joch. So wurde den Frauen
Finnlands zugleich mit den Männern im Juni 1906 das allgemeine Wahl-
recht verliehen. Die Freude darüber, daß zum ersten Male Frauen in
Europa in den Vollbesitz ihrer staatsbürgerlichen Rechte gelangten, gab
dem Kongreß in Kopenhagen eine besondere Weihe. Leider war es der
treuen Vorkämpferin Susan Anthony nicht mehr vergönnt diesen Sieg
der Gerechtigkeit mit zu erleben; wenige Monate vorher war sie aus die-
sem Leben geschieden, ihr letzter Gedanke galt der heiligen Sache, für
die sie alles eingesetzt; Reverend Anna Shaw, der es vergönnt gewesen
die letzten Worte der Sterbenden zu vernehmen, überbrachte Segnungen
und Grüße der Dahingeschiedenen bei der einfachen aber ergreifenden
Gedenkfeier.
Es würde zu weit führen hier auf die schier unerschöpfliche Fülle
der Berichte einzugehen, welche den Fortschritt der Stimmrechtsbe-
wegung in allen Ländern schilderten. Von den geschäftlichen Ver-
handlungen der Konferenz sei nur erwähnt, daß die Gründung eines be-
sonderen internationalen Organs für den Weltbund im Mittelpunkt
stand; ein solches erscheint nunmehr in englischer Sprache (Jus Suffragii
published by the International SuffrageAlliance Editor Martina Kramers
92 Kruiskade Rotterdam). in Rotterdam unter der Leitung von
Martina Kramers, Schriftführerin des Weltbundes, welche an Stelle von
Frl. Naber inzwischen dem Vorstande kooptiert war.
Es wurde ferner die Herausgabe eines Handbuchs für das Frauen-
stimmrecht beschlossen, welches eine übersichtliche Zusammenstellung
alles dessen bringen wird, was bisher erreicht wurde und was überhaupt
auf diesem Gebiete geschehen ist. Mrs. Rachel Foster Avery und Mar-
tina Kramers wurden mit dieser Arbeit betraut.
So wurde durch die Kopenhagener Tagung das Band der Zusammen-
gehörigkeit, welches die für ihre politischen Rechte kämpfenden Frauen
der ganzen Welt umschließt, aufs neue gestärkt und gefestigt.
IV. Die Entwicklung und Neuorganisation des
deutschen Verbandes für Frauenstimmrecht im
Oktober 1907.
Die Gründung des Weltbundes hat die Veranlassung zur Umwand-
lung des deutschen Vereins für Frauenstimmrecht in einen Verband
gleichen Namens gegeben. Die Satzungen des Weltbundes haben zur
Voraussetzung, daß die Stimmrechtsbewegung eines Landes durch einen
Nationalverband vertreten ist, dem sich Einzelvereine als Zweige orga-
nisch angliedern. Es war vorauszusehen, daß sich mit dem Wachsen
der Bewegung in denjenigen deutschen Staaten, in welchen das Vereins-
gesetz es zuläßt, Stimmrechtsvereine bilden würden, für deren Anschluß
an den Weltbund der Nationalverband von vornherein der Mittler wer-
den sollte. So entstand am 1. Oktober 1904 auf einer außerordent-
lichen Generalversammlung in Hamburg der deutsche Verband
für Frauenstimmrecht; im unmittelbaren Anschluß daran
konstituierte sich als erster Zweigverein der Verein für Frauenstimm-
recht-Hamburg. Einen Monat später, im November 1904, gründete
Martha Zietz den Verein für Frauenstimmrecht-Bremen. Das Jahr 1905
brachte eine stetige Entwicklung in stiller emsiger Arbeit. Größere
Gruppen hatten sich allmählich in einer Reihe von Städten gebildet, so
in Berlin, Frankfurt a. M., München, Danzig, Hannover u. a. Durch
das Vereinsgesetz an einem eigentlichen Zusammenschluß verhindert,
versuchten diese Gruppen durch Einrichtung von Diskussionsabenden
ihre Mitglieder zu vereinigen und politisch zu schulen; auch größere
öffentliche Propaganda-Versammlungen fanden wiederholt statt. Der
Vorstand versandte einen Arbeitsplan, um für Beteiligung der Frauen
an den Krankenkassen zu wirken. Dieser Anregung wurde mehrfach
durch Vereine und Einzelpersonen Folge gegeben.
Die Frage des kirchlichen Frauenstimmrechts erfuhr eine besondere
Förderung durch die eifrige Tätigkeit des Vorstandsmitgliedes Frl.
Martha Zietz. Im Herbst 1903 richtete Frl. Zietz im Namen des Vor-
standes ein Anschreiben an die hervorragendsten Vertreter der
theologischen Fakultäten beider Konfessionen mit der Anfrage, ob sich
aus den Reden Jesu ein direktes Verbot der vollen Gleichberechtigung
von Mann und Weib ableiten lasse und ob in den Verfassungen der christ-
lichen Urgemeinden eine Spur eines Unterschiedes in den Rechten männ-
licher und weiblicher Gemeindemitglieder nachweisbar sei.
Ferner erging an eine Anzahl von Geistlichen, die im praktischen
Leben stehen, die Anfrage:
ob sie kirchliches Frauenstimmrecht vereinbar mit der christlichen
Ethik halten und
ob sie persönlich dasselbe für die Wiederbelebung des kirchlichen
Interesses für wünschenswert halten.
Die Umfrage ist von 78 protestantischen Professoren der Theologie
und protestantischen Geistlichen, von 2 katholischen Professoren und
einem katholischen Geistlichen beantwortet worden. Fast sämtliche
Antworten lauteten günstig und zustimmend, nur eine verschwindende
Minderheit äußerte sich ablehnend. Im großen und ganzen bedeutet
das Urteil dieser Männer eine wesentliche Wandlung zu Gunsten der
Frau. Die gesammelten Antworten wurden vom Vorstande in Form
einer Broschüre herausgegeben: „Wie urteilen Theologen über das kirch-
liche Stimmrecht der Frauen.?“
Im Sommer 1905 bildete sich innerhalb des Verbandes eine Kom-
mission für das kirchliche Frauenstimmrecht unter dem Vorsitz von Frl.
Martha Zietz. Die Kommission, welcher auch mehrere Geistliche als
Beirat angehören, hat durch ihre Propagandatätigkeit das Interesse für
die Frage des kirchlichen Frauenstimmrechts in weitere Kreise getragen.
Durch einen Antrag der Kommission veranlaßt, wurden Frauen in die
Vorstände mehrerer kirchlicher Vereine gewählt.
Die erste Generalversammlung des Verbandes fand am
5. Oktober 1905 in Berlin statt (die Generalversammlung in Hamburg
1903 war vom deutschen Verein für Frauenstimmrecht einberufen).
Den Hauptvortrag hielt die 2. Vorsitzende des Verbandes Lida-Gustava
Heymann über die Wichtigkeit der Beteiligung von Frauen an den Land-
tags- und Kommunalwahlen. Dieser Vortrag war von großer Bedeutung
dadurch, daß die Referentin auf Grund eigenster Erfahrung darlegen
konnte, wie trotz der hemmenden Vereinsgesetze eine politische Be-
tätigung der Frauen wohl möglich ist. Es hatte sich nämlich bei Ge-
legenheit der Bayrischen Landtagswahlen im Sommer 1905 eine Anzahl
von Frauen auf Veranlassung der beiden Vorsitzenden an den Vorarbei-
ten zu den Wahlen durch Listenschreiben, Verteilung von Wahlzetteln,
Flugblättern usw. eifrig beteiligt. Dies Vorgehen ist gewissermaßen
vorbildlich geworden, indem sich Frauen in ähnlicher Weise wiederholt
bei städtischen Wahlen, insbesondere aber bei den Reichstagswahlen
1907 beteiligt haben.
Die Gründung eines Frauenstimmrechtsfonds, zu welchem Mit-
glieder und Freunde beisteuerten, versetzte den Vorstand in die Lage
eine stärkere Propaganda in die Wege zu leiten. Die beiden Vorsitzenden
und die Schriftführerin unternahmen wiederholt größere Vortragsreisen,
welche dem Verbande viele neue Mitglieder zuführten und eine Reihe
von Neugründungen von Vereinen und Ortsgruppen zur Folge hatten.
Im März 1906 wurde von Dr. Augspurg der mitteldeutsche
Verein für Frauenstimmrecht mit dem Sitz in Leipzig gegründet.
Im Mai wurde nach einer Reihe von Vorträgen in den badischen
Städten, von der Schriftführerin Adelheid von Welczeck der badische
Verein für Frauenstimmrecht mit dem Sitz in Mannheim ge-
gründet. Im November erfolgte in Stuttgart nach einem Vortrag
der ersten Vorsitzenden die Gründung des württembergischen
Vereins für Frauenstimmrecht mit dem Sitz in Stuttgart.
Anfang des Jahres 1907 unternahm die 2. Vorsitzende eine ausgedehnte
Propagandareise, welche sie durch Württemberg, Baden, die Rhein-
provinz, Posen und Ostpreußen führte; in mehreren Städten wurden
Ortsgruppen gegründet. Im Mai wurde von der 2, Vorsitzenden ein
Verein für Frauenstimmrecht in Worms gegründet (im Novem-
ber wurden von der Schriftführerin Vereine für Frauenstimmrecht in
Mainz und Darmstadt gegründet, welche sich mit dem Wormser Verein
zu einem Hessischen Landesverein für Frauenstimmrecht zusammen-
geschlossen haben).
Der Sächsische Verein für Frauenstimmrecht, welcher außerhalb
des Verbandes im Februar 1906 von Frau Marie Stritt in Dresden gegrün-
det wurde, hat sich nach der Neuorganisation des Verbandes demselben
angeschlossen.
Daß in weiteren Kreisen der deutschen Frauenwelt ein starkes
politisches Interesse besteht, ist bei Gelegenheit der letzten Reichs-
tagswahlen unzweideutig zu Tage getreten. Unmittelbar nach der Auf-
lösung des Reichstags am 13. Dezember 1906 erging an die Zweigvereine,
Ortsgruppen und Einzelmitglieder ein Anschreiben des Vorstandes mit
der Aufforderung sich an den Vorarbeiten für die Reichstagswahlen zu
beteiligen. Dieser Aufforderung wurde vielfach Folge geleistet, insbe-
sondere in Süddeutschland war die Anteilnahme der Mitglieder eine sehr
rege. In München, Stuttgart, Konstanz, Mannheim, Worms arbeiteten
viele Frauen in den Wahlbureaus, besuchten die Wahlversammlungen
und interpellierten die Kandidaten schriftlich und mündlich über ihre
Stellungnahme zum Frauenstimmrecht.
In Frankfurt a. M. bildete sich ein Frauenwahlkomitee, welches die
Mitarbeit der Frauen in systematischer Weise leitete.
Während sich in Frankfurt mehrere Kandidaten als Freunde des
Frauenstimmrechts bekannt hatten, lagen die Verhältnisse in Nord- und
Mitteldeutschland bedeutend weniger günstig; vielfach erhielten die
Mitglieder auf ihre Anfragen an die Kandidaten über ihre Stellungnahme
zum Frauenstimmrecht keine oder ablehnende Antwort. So mußten
sich die Mitglieder vielfach darauf beschränken durch Besuch der Wahl-
versammlungen zu den politischen Fragen Stellung zu nehmen. Immer-
hin haben sich die Mitglieder in einer Anzahl von Städten aktiv an den
Wahlarbeiten beteiligt, so in Danzig, Königsberg, Bromberg, Görlitz,
Bunzlau, Hannover, Hamburg, Köln u.a.
Die Mehrzahl dieser Frauen ist für liberale Kandidaten eingetreten,
einige auch für sozialdemokratische Kandidaten.
Der Vorstand des deutschen Verbandes hat an die verschiedenen
politischen Parteien wiederholt das Gesuch gerichtet, das Frauenstimm-
recht in ihr Parteiprogramm aufzunehmen, bisher ohne Erfolg, obgleich
einzelne Abgeordnete sich, wie bereits erwähnt, durchaus zu gunsten des
Frauenstimmrechts geäußert haben. So bleibt nach wie vor die so-
zialdemokratische Partei die einzige, die programm-
mäßig das Frauenstimmrecht vertritt.
Jedenfalls unterliegt es keinem Zweifel, daß die öffentliche Meinung
in bezug auf das Frauenstimmrecht in einer günstigen Wandlung be-
griffen ist. Die Generalversammlung des deutschen Verbandes in Frank-
furt im September dieses Jahres hat das auf das Schlagendste bewiesen.
Die Teilnahme des Publikums an den Verhandlungen war eine ausser-
ordentlich rege; von besonderem Interesse war das Referat der zweiten
Vorsitzenden Lida-Gustava Heymann über das allgemeine, direkte und
geheime Wahlrecht; die Vortragende wies den oft erhobenen Vorwurf
der Verband sei für ein beschränktes Wahlrecht eingetreten, mit aller
Entschiedenheit zurück; auch die Mitglieder erklärten sich in der Debatte
durchaus für das allgemeine und gleiche Wahlrecht – diese Forderung
wurde als Programmpunkt in die Satzungen des Verbandes aufgenom-
men (der Verband besitzt jetzt ein eigenes Organ in der Zeitschrift für
Frauenstimmrecht, herausgegeben von Dr. Augspurg.)Verlag W. u. S. Loewenthal, Berlin, Grünstr. 4.
Bedeutungsvoll waren die Verhandlungen über Neuorganisation
des Verbandes, welche sich durch die fortschreitende Entwicklung der
Zweigvereine als notwendig erwiesen hatte. Da die Zweigvereine vom
Verbande aus gegründet wurden, so hatten sie zunächst dessen Satzungen
als die ihrigen angenommen, auch waren sie in der Kassenführung von
der Hauptkasse abhängig. Der Wunsch der Zweigvereine nach größerer
Selbständigkeit gab dem Vorstande Veranlassung einen Satzungsentwurf
vorzulegen, welcher zur Annahme gelangte und den Vereinen völlige
Bewegungsfreiheit gewährt; sie werden fortan eigene Satzungen haben
(dieselben dürfen mit den Satzungen des Verbandes nicht in Wider-
spruch stehen) eigene Kassenführung und die selbständige Vertretung
der Bewegung in den ihnen zugehörigen Gebieten. Als Grundlage der
Organisation ist die Einteilung nach Bundesstaaten des Deutschen Reiches
gedacht; die in einem Bundesstaat vorhandenen Ortsvereine schließen
sich zu Landesvereinen zusammen. In denjenigen Staaten, in welchen
das Vereinsgesetz die Gründung von Stimmrechtsvereinen nicht zuläßt,
wird die Organisation durch die Wahl von Vertrauenspersonen geregelt.
Somit ist die feste Grundlage geschaffen für eine Bewegung, welche
wie kaum eine andere berufen erscheint, das Kulturleben unseres Staates
zu beeinflussen. Die deutsche Frau, welche bisher in unermüdlicher
Arbeit und strenger Pflichterfüllung wesentlich zum Gedeihen unseres
Volkes beigetragen hat, beginnt sich darauf zu besinnen, daß sie, die dem
Staate seine Bürger schenkt, auch ihrerseits Bürgerrechte zu
fordern hat. Die deutsche Frau erhebt ihre Stimme, weil sie fühlt, daß
sie ein Recht hat gehört zu werden, wo über die Geschicke ihres Vater-
landes, über das Wohl und Wehe ihres eigenen Geschlechtes und das
ihrer Kinder entschieden wird; und sie wird nicht verstummen bis ihr
dies Recht zu teil wird!