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Andreas-Salomé, Lou: Die Erotik. In: Die Gesellschaft. Sammlung sozialpsychologischer Monographien (Hg. Martin Buber), 33. Band. Frankfurt (Main), 1910.

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Entferntestem mit Nächstem, Weltinhalt und Selbstgehalt, Urgrund und Gipfelung.

Auch wo es sich nicht um solche ausnahmsweisern Vorgänge handelt, sondern um unsre Alltagsexistenz, beruht die bloße menschliche Tatsache unsrer Bewußtheit auf einer ähnlichen Unterlage: dem gleichen Zusammenfassenmüssen einer Gegenüberstellung von Welt und Selbst, außen und innen, die darin bereits mitgegeben ist. Die Spannweite dieses Zusammenfassens allein unterscheidet das menschlich Erreichbare von dem des Tieres. Soweit sich das Lebensbewußtsein steigert, tut es gleicherweise dieser Prozeß: entsprechend Tiefergelegenes, Fernwirkenderes umgreifend, und angenähert damit dem von uns im engeren Wortsinn schöpferisch genannten Verhalten. Bis dann ein Gegenüber von so durchschlagender Bedeutung überwunden, bis es zu so fruchtbarer Einheit entladen wird, als würden gewissermaßen noch einmal Weltwerden und Ichgeburt erfahren, durchlebt, - was allein dem von uns Geschaffenen seinen eigenlebenden Kern einsenkt, anstatt bloß abgeleiteten Scheindaseins und Oberflächenwesens.

In demselben Maße nun, als dergleichen geschieht, bemerken wir die idealisierende Tätigkeit in vollem Gange. Der Liebende wie der Schaffende, der im Kinde wie im Geisteswerk Schöpferische, sind kenntlich an ihren naiven, sachlich ganz untaxierbaren Entzückungen. Das erwähnte Gegenüber, um je Bedeutsameres es vertritt um desto mehr, kann sich sichtlich nur infolge einer solchen gegenseitigen Erhöhung auf gemeinsamem Boden finden, nur auf so gesteigertem Niveau seine Ansprüche und Fremdheiten ausgleichen, und die Veranlassung: das erhöhte Lebensgefühl selber, bedingt ein solches Vorgehn auch schon ganz unmittelbar. Es ist, als müßte dadurch eine Art Zuweihung stattfinden, dessen, worin

Entferntestem mit Nächstem, Weltinhalt und Selbstgehalt, Urgrund und Gipfelung.

Auch wo es sich nicht um solche ausnahmsweisern Vorgänge handelt, sondern um unsre Alltagsexistenz, beruht die bloße menschliche Tatsache unsrer Bewußtheit auf einer ähnlichen Unterlage: dem gleichen Zusammenfassenmüssen einer Gegenüberstellung von Welt und Selbst, außen und innen, die darin bereits mitgegeben ist. Die Spannweite dieses Zusammenfassens allein unterscheidet das menschlich Erreichbare von dem des Tieres. Soweit sich das Lebensbewußtsein steigert, tut es gleicherweise dieser Prozeß: entsprechend Tiefergelegenes, Fernwirkenderes umgreifend, und angenähert damit dem von uns im engeren Wortsinn schöpferisch genannten Verhalten. Bis dann ein Gegenüber von so durchschlagender Bedeutung überwunden, bis es zu so fruchtbarer Einheit entladen wird, als würden gewissermaßen noch einmal Weltwerden und Ichgeburt erfahren, durchlebt, – was allein dem von uns Geschaffenen seinen eigenlebenden Kern einsenkt, anstatt bloß abgeleiteten Scheindaseins und Oberflächenwesens.

In demselben Maße nun, als dergleichen geschieht, bemerken wir die idealisierende Tätigkeit in vollem Gange. Der Liebende wie der Schaffende, der im Kinde wie im Geisteswerk Schöpferische, sind kenntlich an ihren naiven, sachlich ganz untaxierbaren Entzückungen. Das erwähnte Gegenüber, um je Bedeutsameres es vertritt um desto mehr, kann sich sichtlich nur infolge einer solchen gegenseitigen Erhöhung auf gemeinsamem Boden finden, nur auf so gesteigertem Niveau seine Ansprüche und Fremdheiten ausgleichen, und die Veranlassung: das erhöhte Lebensgefühl selber, bedingt ein solches Vorgehn auch schon ganz unmittelbar. Es ist, als müßte dadurch eine Art Zuweihung stattfinden, dessen, worin

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[29/0029] Entferntestem mit Nächstem, Weltinhalt und Selbstgehalt, Urgrund und Gipfelung. Auch wo es sich nicht um solche ausnahmsweisern Vorgänge handelt, sondern um unsre Alltagsexistenz, beruht die bloße menschliche Tatsache unsrer Bewußtheit auf einer ähnlichen Unterlage: dem gleichen Zusammenfassenmüssen einer Gegenüberstellung von Welt und Selbst, außen und innen, die darin bereits mitgegeben ist. Die Spannweite dieses Zusammenfassens allein unterscheidet das menschlich Erreichbare von dem des Tieres. Soweit sich das Lebensbewußtsein steigert, tut es gleicherweise dieser Prozeß: entsprechend Tiefergelegenes, Fernwirkenderes umgreifend, und angenähert damit dem von uns im engeren Wortsinn schöpferisch genannten Verhalten. Bis dann ein Gegenüber von so durchschlagender Bedeutung überwunden, bis es zu so fruchtbarer Einheit entladen wird, als würden gewissermaßen noch einmal Weltwerden und Ichgeburt erfahren, durchlebt, – was allein dem von uns Geschaffenen seinen eigenlebenden Kern einsenkt, anstatt bloß abgeleiteten Scheindaseins und Oberflächenwesens. In demselben Maße nun, als dergleichen geschieht, bemerken wir die idealisierende Tätigkeit in vollem Gange. Der Liebende wie der Schaffende, der im Kinde wie im Geisteswerk Schöpferische, sind kenntlich an ihren naiven, sachlich ganz untaxierbaren Entzückungen. Das erwähnte Gegenüber, um je Bedeutsameres es vertritt um desto mehr, kann sich sichtlich nur infolge einer solchen gegenseitigen Erhöhung auf gemeinsamem Boden finden, nur auf so gesteigertem Niveau seine Ansprüche und Fremdheiten ausgleichen, und die Veranlassung: das erhöhte Lebensgefühl selber, bedingt ein solches Vorgehn auch schon ganz unmittelbar. Es ist, als müßte dadurch eine Art Zuweihung stattfinden, dessen, worin

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Zitationshilfe: Andreas-Salomé, Lou: Die Erotik. In: Die Gesellschaft. Sammlung sozialpsychologischer Monographien (Hg. Martin Buber), 33. Band. Frankfurt (Main), 1910, S. 29. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/andreas_erotik_1910/29>, abgerufen am 28.03.2024.