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Andreas-Salomé, Lou: Die Erotik. In: Die Gesellschaft. Sammlung sozialpsychologischer Monographien (Hg. Martin Buber), 33. Band. Frankfurt (Main), 1910.

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beide Parteien zum Bündnis zueinandertreten, so daß sie, geeint, dazustehn scheinen, wie auf "heiligem Grund". Als wäre, was wir "Idealisieren" nennen, sozusagen ein primärster Schöpfungsakt der Geschöpfe, etwas von ihrer allerersten selbständigen Wiederholung, Fortsetzung allen Lebens, - und auch daher nur so früh, sogar im körperlichen Paarungstrieb schon, vorauswirkend mit den ersten Spuren von Hirntätigkeit überhaupt. Und als entstiege um deswillen daraus der große Jubelrausch des Daseins, wie Vogel jubelstimmen am Morgen, wenn die Sonne aufgehn will über einem neuen Schöpfungstag, - denn keine drei Dinge weiter auf Erden gibt es, die so tief miteinander zu tun hätten wie diese drei: Schaffen, Anbetung und Freude.

Tastet man sich an das Dunkel der menschlichen Ursprünge heran und der Menschheit Vorzeit, dann stößt man als auf die letzten erkennbaren Punkte auf religiöse Äußerungen. Das, worin ihr soeben erwachtes Bewußtsein, plötzlich einer Außenwelt gegenübergestellt, sich mit dieser zusammenschließt, ist immer in irgend einer Form der Gott. Er ist es, der die Einheit von neuem gewährleistet, aus der sich dann die unterschiedlichen Bestrebungen der beginnenden Kultur erst ergeben können. Das Bewußtwerden an sich aber ist, gegenüber der mangelhaft geweckten bloß-tierischen Selbstbesinnung, eine dermaßen hohe Lebenssteigerung, daß man begreift, wie es aus allen, sich damit plötzlich auftuenden Nöten und Hilflosigkeiten, dennoch als erste menschliche Urschöpfung eine gotthafte hob. Denn das bedeutet nichts Geringeres, als daß die entscheidende Waffe im Lebenskampf nicht mehr lediglich die rein stoffliche der vielfach an Kraft so überlegenen Tierheit war, sondern ein Phantasieakt. Nicht zwar als entwaffnende Unterschätzung

beide Parteien zum Bündnis zueinandertreten, so daß sie, geeint, dazustehn scheinen, wie auf „heiligem Grund“. Als wäre, was wir „Idealisieren“ nennen, sozusagen ein primärster Schöpfungsakt der Geschöpfe, etwas von ihrer allerersten selbständigen Wiederholung, Fortsetzung allen Lebens, – und auch daher nur so früh, sogar im körperlichen Paarungstrieb schon, vorauswirkend mit den ersten Spuren von Hirntätigkeit überhaupt. Und als entstiege um deswillen daraus der große Jubelrausch des Daseins, wie Vogel jubelstimmen am Morgen, wenn die Sonne aufgehn will über einem neuen Schöpfungstag, – denn keine drei Dinge weiter auf Erden gibt es, die so tief miteinander zu tun hätten wie diese drei: Schaffen, Anbetung und Freude.

Tastet man sich an das Dunkel der menschlichen Ursprünge heran und der Menschheit Vorzeit, dann stößt man als auf die letzten erkennbaren Punkte auf religiöse Äußerungen. Das, worin ihr soeben erwachtes Bewußtsein, plötzlich einer Außenwelt gegenübergestellt, sich mit dieser zusammenschließt, ist immer in irgend einer Form der Gott. Er ist es, der die Einheit von neuem gewährleistet, aus der sich dann die unterschiedlichen Bestrebungen der beginnenden Kultur erst ergeben können. Das Bewußtwerden an sich aber ist, gegenüber der mangelhaft geweckten bloß-tierischen Selbstbesinnung, eine dermaßen hohe Lebenssteigerung, daß man begreift, wie es aus allen, sich damit plötzlich auftuenden Nöten und Hilflosigkeiten, dennoch als erste menschliche Urschöpfung eine gotthafte hob. Denn das bedeutet nichts Geringeres, als daß die entscheidende Waffe im Lebenskampf nicht mehr lediglich die rein stoffliche der vielfach an Kraft so überlegenen Tierheit war, sondern ein Phantasieakt. Nicht zwar als entwaffnende Unterschätzung

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[30/0030] beide Parteien zum Bündnis zueinandertreten, so daß sie, geeint, dazustehn scheinen, wie auf „heiligem Grund“. Als wäre, was wir „Idealisieren“ nennen, sozusagen ein primärster Schöpfungsakt der Geschöpfe, etwas von ihrer allerersten selbständigen Wiederholung, Fortsetzung allen Lebens, – und auch daher nur so früh, sogar im körperlichen Paarungstrieb schon, vorauswirkend mit den ersten Spuren von Hirntätigkeit überhaupt. Und als entstiege um deswillen daraus der große Jubelrausch des Daseins, wie Vogel jubelstimmen am Morgen, wenn die Sonne aufgehn will über einem neuen Schöpfungstag, – denn keine drei Dinge weiter auf Erden gibt es, die so tief miteinander zu tun hätten wie diese drei: Schaffen, Anbetung und Freude. Tastet man sich an das Dunkel der menschlichen Ursprünge heran und der Menschheit Vorzeit, dann stößt man als auf die letzten erkennbaren Punkte auf religiöse Äußerungen. Das, worin ihr soeben erwachtes Bewußtsein, plötzlich einer Außenwelt gegenübergestellt, sich mit dieser zusammenschließt, ist immer in irgend einer Form der Gott. Er ist es, der die Einheit von neuem gewährleistet, aus der sich dann die unterschiedlichen Bestrebungen der beginnenden Kultur erst ergeben können. Das Bewußtwerden an sich aber ist, gegenüber der mangelhaft geweckten bloß-tierischen Selbstbesinnung, eine dermaßen hohe Lebenssteigerung, daß man begreift, wie es aus allen, sich damit plötzlich auftuenden Nöten und Hilflosigkeiten, dennoch als erste menschliche Urschöpfung eine gotthafte hob. Denn das bedeutet nichts Geringeres, als daß die entscheidende Waffe im Lebenskampf nicht mehr lediglich die rein stoffliche der vielfach an Kraft so überlegenen Tierheit war, sondern ein Phantasieakt. Nicht zwar als entwaffnende Unterschätzung

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Zitationshilfe: Andreas-Salomé, Lou: Die Erotik. In: Die Gesellschaft. Sammlung sozialpsychologischer Monographien (Hg. Martin Buber), 33. Band. Frankfurt (Main), 1910, S. 30. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/andreas_erotik_1910/30>, abgerufen am 28.03.2024.