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Berlin, Rudolf: Eine besondere Art der Wortblindheit (Dyslexie). Wiesbaden, 1887.

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sprach auch das Kopfweh, namentlich aber die Sprach-
verlangsamung. Ueber die Form der zu Grunde liegenden
anatomischen Veränderung konnten wir uns natürlich keine
genügende Vorstellung machen, aber wir nahmen an, dass
dieselbe mit der vorausgegangenen Infection im Zusammen-
hang stehe. Hierauf setzten wir auch unsere therapeu-
tischen Hoffnungen und leiteten eine Inunctionscur ein.

Trotzdem dieselbe mit Energie betrieben, durch Jod-
kalium unterbrochen und wiederholt von Neuem auf-
genommen wurde, so hatte sie doch nicht den aller-
geringsten Erfolg. Im Gegentheil; es stellte sich binnen
Kurzem eine vorübergehende linksseitige Mydriasis ein
und nicht lange darauf begannen die unzweideutigsten
Symptome der progressiven Paralyse. Ich unterlasse
es, den weiteren Verlauf der Erkrankung zu schildern,
weil derselbe für die uns hier beschäftigenden Fragen
kein besonderes Interesse bietet; ich will nur bemerken,
dass der Kranke am 20. April 1882, also grade ein Jahr
nach dem Auftreten der ersten Krankheitserscheinungen,
seinen, durch Geruchs-, Gehörs- und Gesichtshalucinationen
auf das Qualvollste gesteigerten Leiden erlegen ist. Ich
selbst habe den unglücklichen Patienten, welchen ich nur
in den ersten Wochen seiner Erkrankung beobachtete,
später nicht wiedergesehen. Auch der Section konnte
ich nicht beiwohnen, weil ich zufällig während dieser Zeit
von Stuttgart abwesend war; dagegen verdanke ich dem
Vorstande des hiesigen Catharinenhospitals, Herrn Dr.
Landenberger die Mittheilung des Sectionsprotocolls,
sowie die Ueberlassung der aufbewahrten Gehirntheile,
welche Herr Professor Ziegler in Tübingen die Güte
hatte, mikroscopisch zu untersuchen. Aus dem Obductions-
protocolle ist folgendes hervorzuheben:

Section 24 Stunden post mortem. Schädeldach be-
trächtlich verdickt, fast nur aus compacter Substanz be-
stehend; an der Innenseite diffuse periostitische Auflage-

sprach auch das Kopfweh, namentlich aber die Sprach-
verlangsamung. Ueber die Form der zu Grunde liegenden
anatomischen Veränderung konnten wir uns natürlich keine
genügende Vorstellung machen, aber wir nahmen an, dass
dieselbe mit der vorausgegangenen Infection im Zusammen-
hang stehe. Hierauf setzten wir auch unsere therapeu-
tischen Hoffnungen und leiteten eine Inunctionscur ein.

Trotzdem dieselbe mit Energie betrieben, durch Jod-
kalium unterbrochen und wiederholt von Neuem auf-
genommen wurde, so hatte sie doch nicht den aller-
geringsten Erfolg. Im Gegentheil; es stellte sich binnen
Kurzem eine vorübergehende linksseitige Mydriasis ein
und nicht lange darauf begannen die unzweideutigsten
Symptome der progressiven Paralyse. Ich unterlasse
es, den weiteren Verlauf der Erkrankung zu schildern,
weil derselbe für die uns hier beschäftigenden Fragen
kein besonderes Interesse bietet; ich will nur bemerken,
dass der Kranke am 20. April 1882, also grade ein Jahr
nach dem Auftreten der ersten Krankheitserscheinungen,
seinen, durch Geruchs-, Gehörs- und Gesichtshalucinationen
auf das Qualvollste gesteigerten Leiden erlegen ist. Ich
selbst habe den unglücklichen Patienten, welchen ich nur
in den ersten Wochen seiner Erkrankung beobachtete,
später nicht wiedergesehen. Auch der Section konnte
ich nicht beiwohnen, weil ich zufällig während dieser Zeit
von Stuttgart abwesend war; dagegen verdanke ich dem
Vorstande des hiesigen Catharinenhospitals, Herrn Dr.
Landenberger die Mittheilung des Sectionsprotocolls,
sowie die Ueberlassung der aufbewahrten Gehirntheile,
welche Herr Professor Ziegler in Tübingen die Güte
hatte, mikroscopisch zu untersuchen. Aus dem Obductions-
protocolle ist folgendes hervorzuheben:

Section 24 Stunden post mortem. Schädeldach be-
trächtlich verdickt, fast nur aus compacter Substanz be-
stehend; an der Innenseite diffuse periostitische Auflage-

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[15/0019] sprach auch das Kopfweh, namentlich aber die Sprach- verlangsamung. Ueber die Form der zu Grunde liegenden anatomischen Veränderung konnten wir uns natürlich keine genügende Vorstellung machen, aber wir nahmen an, dass dieselbe mit der vorausgegangenen Infection im Zusammen- hang stehe. Hierauf setzten wir auch unsere therapeu- tischen Hoffnungen und leiteten eine Inunctionscur ein. Trotzdem dieselbe mit Energie betrieben, durch Jod- kalium unterbrochen und wiederholt von Neuem auf- genommen wurde, so hatte sie doch nicht den aller- geringsten Erfolg. Im Gegentheil; es stellte sich binnen Kurzem eine vorübergehende linksseitige Mydriasis ein und nicht lange darauf begannen die unzweideutigsten Symptome der progressiven Paralyse. Ich unterlasse es, den weiteren Verlauf der Erkrankung zu schildern, weil derselbe für die uns hier beschäftigenden Fragen kein besonderes Interesse bietet; ich will nur bemerken, dass der Kranke am 20. April 1882, also grade ein Jahr nach dem Auftreten der ersten Krankheitserscheinungen, seinen, durch Geruchs-, Gehörs- und Gesichtshalucinationen auf das Qualvollste gesteigerten Leiden erlegen ist. Ich selbst habe den unglücklichen Patienten, welchen ich nur in den ersten Wochen seiner Erkrankung beobachtete, später nicht wiedergesehen. Auch der Section konnte ich nicht beiwohnen, weil ich zufällig während dieser Zeit von Stuttgart abwesend war; dagegen verdanke ich dem Vorstande des hiesigen Catharinenhospitals, Herrn Dr. Landenberger die Mittheilung des Sectionsprotocolls, sowie die Ueberlassung der aufbewahrten Gehirntheile, welche Herr Professor Ziegler in Tübingen die Güte hatte, mikroscopisch zu untersuchen. Aus dem Obductions- protocolle ist folgendes hervorzuheben: Section 24 Stunden post mortem. Schädeldach be- trächtlich verdickt, fast nur aus compacter Substanz be- stehend; an der Innenseite diffuse periostitische Auflage-

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Zitationshilfe: Berlin, Rudolf: Eine besondere Art der Wortblindheit (Dyslexie). Wiesbaden, 1887, S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berlin_wortblindheit_1887/19>, abgerufen am 28.03.2024.