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Berlin, Rudolf: Eine besondere Art der Wortblindheit (Dyslexie). Wiesbaden, 1887.

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rechten Auges, welche häufig recidivirte und allmählig
zu fast völliger Erblindung desselben führte. Seit Jahren
hat er viel an Kopfweh gelitten, namentlich aber seit
März 1882 und seit dieser Zeit auch an Schwindel. Das
Kopfweh nahm weniger eine Seite, als mit Vorliebe den
ganzen Hinterkopf ein. Es hatte nicht den eigentlichen
Typus der Ciliarneurose, welche Regenbogenhautentzün-
dungen zu begleiten pflegt, während solche doch, nach
den ausgiebigen hinteren Synechien im rechten Auge zu
schliessen, wiederholt vorhanden gewesen sein mussten.
Es war deshalb schwer, festzustellen, welche Bedeutung
diesem subjectiven Symptome zukam und dasselbe blieb
für sich ein diagnostisch kaum verwerthbares Zeichen.
Ebenso war es mit dem Schwindelgefühl, dessen Deutung
noch dadurch um so unsicherer wurde, als man später
eine Perforation des rechten Trommelfells entdeckte, deren
Existenzdauer nicht mehr eruirt werden konnte.

Allein im Vereine mit der Dyslexie glaubte ich jenen
Symptomen doch einen grösseren Werth beilegen zu sollen
und nahm auf Grund meiner früheren Erfahrungen eine
materielle Veränderung des Gehirns an, ohne mir freilich
über die anatomische Natur derselben eine specielle Vor-
stellung machen zu können.

Patient besuchte mich in den ersten 14 Tagen regel-
mässig und ich benutzte wiederholt die Gelegenheit, be-
freundeten Collegen die characteristische Lesestörung zu
demonstriren. Bald aber war dies nicht mehr möglich,
denn es stellte sich auch auf dem linken Auge eine Epis-
cleritis mit diffuser Trübung der Hornhaut ein, welche
das Sehvermögen erheblich beeinträchtigte.

Während der Behandlung dieser Augenerkrankung
verschwand der Kranke aus meiner Sprechstunde. Nach
einem Zeitraum von fast 7 Monaten kehrte er wieder
und ich erfuhr nun durch ihn und seinen Arzt, Herrn
Dr. Faber, den Grund seines Ausbleibens. Er hatte

rechten Auges, welche häufig recidivirte und allmählig
zu fast völliger Erblindung desselben führte. Seit Jahren
hat er viel an Kopfweh gelitten, namentlich aber seit
März 1882 und seit dieser Zeit auch an Schwindel. Das
Kopfweh nahm weniger eine Seite, als mit Vorliebe den
ganzen Hinterkopf ein. Es hatte nicht den eigentlichen
Typus der Ciliarneurose, welche Regenbogenhautentzün-
dungen zu begleiten pflegt, während solche doch, nach
den ausgiebigen hinteren Synechien im rechten Auge zu
schliessen, wiederholt vorhanden gewesen sein mussten.
Es war deshalb schwer, festzustellen, welche Bedeutung
diesem subjectiven Symptome zukam und dasselbe blieb
für sich ein diagnostisch kaum verwerthbares Zeichen.
Ebenso war es mit dem Schwindelgefühl, dessen Deutung
noch dadurch um so unsicherer wurde, als man später
eine Perforation des rechten Trommelfells entdeckte, deren
Existenzdauer nicht mehr eruirt werden konnte.

Allein im Vereine mit der Dyslexie glaubte ich jenen
Symptomen doch einen grösseren Werth beilegen zu sollen
und nahm auf Grund meiner früheren Erfahrungen eine
materielle Veränderung des Gehirns an, ohne mir freilich
über die anatomische Natur derselben eine specielle Vor-
stellung machen zu können.

Patient besuchte mich in den ersten 14 Tagen regel-
mässig und ich benutzte wiederholt die Gelegenheit, be-
freundeten Collegen die characteristische Lesestörung zu
demonstriren. Bald aber war dies nicht mehr möglich,
denn es stellte sich auch auf dem linken Auge eine Epis-
cleritis mit diffuser Trübung der Hornhaut ein, welche
das Sehvermögen erheblich beeinträchtigte.

Während der Behandlung dieser Augenerkrankung
verschwand der Kranke aus meiner Sprechstunde. Nach
einem Zeitraum von fast 7 Monaten kehrte er wieder
und ich erfuhr nun durch ihn und seinen Arzt, Herrn
Dr. Faber, den Grund seines Ausbleibens. Er hatte

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[23/0027] rechten Auges, welche häufig recidivirte und allmählig zu fast völliger Erblindung desselben führte. Seit Jahren hat er viel an Kopfweh gelitten, namentlich aber seit März 1882 und seit dieser Zeit auch an Schwindel. Das Kopfweh nahm weniger eine Seite, als mit Vorliebe den ganzen Hinterkopf ein. Es hatte nicht den eigentlichen Typus der Ciliarneurose, welche Regenbogenhautentzün- dungen zu begleiten pflegt, während solche doch, nach den ausgiebigen hinteren Synechien im rechten Auge zu schliessen, wiederholt vorhanden gewesen sein mussten. Es war deshalb schwer, festzustellen, welche Bedeutung diesem subjectiven Symptome zukam und dasselbe blieb für sich ein diagnostisch kaum verwerthbares Zeichen. Ebenso war es mit dem Schwindelgefühl, dessen Deutung noch dadurch um so unsicherer wurde, als man später eine Perforation des rechten Trommelfells entdeckte, deren Existenzdauer nicht mehr eruirt werden konnte. Allein im Vereine mit der Dyslexie glaubte ich jenen Symptomen doch einen grösseren Werth beilegen zu sollen und nahm auf Grund meiner früheren Erfahrungen eine materielle Veränderung des Gehirns an, ohne mir freilich über die anatomische Natur derselben eine specielle Vor- stellung machen zu können. Patient besuchte mich in den ersten 14 Tagen regel- mässig und ich benutzte wiederholt die Gelegenheit, be- freundeten Collegen die characteristische Lesestörung zu demonstriren. Bald aber war dies nicht mehr möglich, denn es stellte sich auch auf dem linken Auge eine Epis- cleritis mit diffuser Trübung der Hornhaut ein, welche das Sehvermögen erheblich beeinträchtigte. Während der Behandlung dieser Augenerkrankung verschwand der Kranke aus meiner Sprechstunde. Nach einem Zeitraum von fast 7 Monaten kehrte er wieder und ich erfuhr nun durch ihn und seinen Arzt, Herrn Dr. Faber, den Grund seines Ausbleibens. Er hatte

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Zitationshilfe: Berlin, Rudolf: Eine besondere Art der Wortblindheit (Dyslexie). Wiesbaden, 1887, S. 23. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berlin_wortblindheit_1887/27>, abgerufen am 28.03.2024.