Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Blacker, Carola: Einiges über Frauenstimmrecht. In: Frauen-Werke 1/3 (1894), S. 23-24; 1/4 (1894), S. 25-26; 1/5 (1894), S. 39-40; 1/6 (1894), S. 49-50.

Bild:
erste Seite
[Beginn Spaltensatz][irrelevantes Material - 61 Zeilen fehlen]
[Spaltenumbruch][irrelevantes Material - 17 Zeilen fehlen]


Einiges über Frauenstimmrecht.

Die Frauenbewegung beginnt in der That
diese ihre Bezeichnung zu verdienen. Ueberall
regt es sich ; und zwar nicht mehr in der auf-
geregten, die von der sittlichen Weltordnung
festgesetzten Grenzen überspringenden Weise,
wie wir sie aus der ersten Emanzipationszeit
kennen und gegen deren letzte extravagierende
Ueberreste Ethiker, wie Otto von Seixner*)
noch anzukämpfen glauben müssen, - sondern
im Geiste eines ernsten, selbstvergessenden und
zielbewussten Strebens. Wenn sich die deutschen
Frauen bei der Erringung der ihnen nothwen-
digen Existenzbedingungen zur Socialdemokratie
neigen, so ist das beklagenswerth, aber nicht
ganz unbegreiflich. Es ist die Partei, welche
die Sache der Unterdrückten zu der ihren macht.
dort finden sie Verständnis für ihre Bedürfnisse,
dort erwarten sie Hülfe. Je mehr sich aber
in ihnen die Kraft eines edlen Selbstgefühles
entwickelt, um so weniger werden sie sich
auf Parteien stützen.

Welch´ mächtigen Fortschritt hat nicht die
Erziehungsfrage gemacht. Gymnasium- und
Universitätsstudium werden bald keine Aus-
nahmen mehr sein. Es ist zwar nicht wahr-
scheinlich, dass dieselben den Beweis liefern
werden einer vollkommenen Gleichheit der
geistigen Anlagen von Frauen und Männern,
wie John Stuart Mill sie feststellt, noch auch
einer in Inferiorität der Frau, wie Sombroso und
Konsorten sie behaupten. Sie werden aber zeigen,
dass ein weit grösserer Theil der Mädchen, als
man bisher glaubte, das Bedürfnis und die
Fähigkeit für wissenschaftliches Studium und
höhere Berufe besitzen, und es steht zu erwarten,
dass ihre Zahl steigen wird, denn dass mit der
Möglichkeit des Erlangens ein Bedürfnis wächst,
ist eine alte Regel. Getäuschte Erwartungen
werden freilich auch nicht ausbleiben; schweres
Studium wird bei Vielen zu nichts führen. Das

*) Berliner Tägliche Rundschau.
[Beginn Spaltensatz][irrelevantes Material – 61 Zeilen fehlen]
[Spaltenumbruch][irrelevantes Material – 17 Zeilen fehlen]


Einiges über Frauenstimmrecht.

Die Frauenbewegung beginnt in der That
diese ihre Bezeichnung zu verdienen. Ueberall
regt es sich ; und zwar nicht mehr in der auf-
geregten, die von der sittlichen Weltordnung
festgesetzten Grenzen überspringenden Weise,
wie wir sie aus der ersten Emanzipationszeit
kennen und gegen deren letzte extravagierende
Ueberreste Ethiker, wie Otto von Seixner*)
noch anzukämpfen glauben müssen, – sondern
im Geiste eines ernsten, selbstvergessenden und
zielbewussten Strebens. Wenn sich die deutschen
Frauen bei der Erringung der ihnen nothwen-
digen Existenzbedingungen zur Socialdemokratie
neigen, so ist das beklagenswerth, aber nicht
ganz unbegreiflich. Es ist die Partei, welche
die Sache der Unterdrückten zu der ihren macht.
dort finden sie Verständnis für ihre Bedürfnisse,
ߝ dort erwarten sie Hülfe. Je mehr sich aber
in ihnen die Kraft eines edlen Selbstgefühles
entwickelt, um so weniger werden sie sich
auf Parteien stützen.

Welch´ mächtigen Fortschritt hat nicht die
Erziehungsfrage gemacht. Gymnasium- und
Universitätsstudium werden bald keine Aus-
nahmen mehr sein. Es ist zwar nicht wahr-
scheinlich, dass dieselben den Beweis liefern
werden einer vollkommenen Gleichheit der
geistigen Anlagen von Frauen und Männern,
wie John Stuart Mill sie feststellt, noch auch
einer in Inferiorität der Frau, wie Sombroso und
Konsorten sie behaupten. Sie werden aber zeigen,
dass ein weit grösserer Theil der Mädchen, als
man bisher glaubte, das Bedürfnis und die
Fähigkeit für wissenschaftliches Studium und
höhere Berufe besitzen, und es steht zu erwarten,
dass ihre Zahl steigen wird, denn dass mit der
Möglichkeit des Erlangens ein Bedürfnis wächst,
ist eine alte Regel. Getäuschte Erwartungen
werden freilich auch nicht ausbleiben; schweres
Studium wird bei Vielen zu nichts führen. Das

*) Berliner Tägliche Rundschau.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0001" n="23"/>
      <cb type="start"/>
      <gap reason="insignificant" unit="lines" quantity="61"/><lb/>
      <cb/>
      <gap reason="insignificant" unit="lines" quantity="17"/><lb/>
      <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
      <div xml:id="part01" type="jArticle" n="1">
        <head>Einiges über Frauenstimmrecht.</head><lb/>
        <p> Die Frauenbewegung beginnt in der That<lb/>
diese ihre Bezeichnung zu verdienen. Ueberall<lb/>
regt es sich ; und zwar nicht mehr in der auf-<lb/>
geregten, die von der sittlichen Weltordnung<lb/>
festgesetzten Grenzen überspringenden Weise,<lb/>
wie wir sie aus der ersten Emanzipationszeit<lb/>
kennen und gegen deren letzte extravagierende<lb/>
Ueberreste Ethiker, wie Otto von Seixner<note place="foot" n="*)"> Berliner Tägliche Rundschau.</note><lb/>
noch anzukämpfen glauben müssen, &#x2013; sondern<lb/>
im Geiste eines ernsten, selbstvergessenden und<lb/>
zielbewussten Strebens. Wenn sich die deutschen<lb/>
Frauen bei der Erringung der ihnen nothwen-<lb/>
digen Existenzbedingungen zur Socialdemokratie<lb/>
neigen, so ist das beklagenswerth, aber nicht<lb/>
ganz unbegreiflich. Es ist die Partei, welche<lb/>
die Sache der Unterdrückten zu der ihren macht.<lb/>
dort finden sie Verständnis für ihre Bedürfnisse,<lb/>
&#x07DD; dort erwarten sie Hülfe. Je mehr sich aber<lb/>
in ihnen die Kraft eines edlen Selbstgefühles<lb/>
entwickelt, um so weniger werden sie sich<lb/>
auf Parteien stützen.</p><lb/>
        <p> Welch´ mächtigen Fortschritt hat nicht die<lb/>
Erziehungsfrage gemacht. Gymnasium- und<lb/>
Universitätsstudium werden bald keine Aus-<lb/>
nahmen mehr sein. Es ist zwar nicht wahr-<lb/>
scheinlich, dass dieselben den Beweis liefern<lb/>
werden einer vollkommenen Gleichheit der<lb/>
geistigen Anlagen von Frauen und Männern,<lb/>
wie John Stuart Mill sie feststellt, noch auch<lb/>
einer in Inferiorität der Frau, wie Sombroso und<lb/>
Konsorten sie behaupten. Sie werden aber zeigen,<lb/>
dass ein weit grösserer Theil der Mädchen, als<lb/>
man bisher glaubte, das Bedürfnis und die<lb/>
Fähigkeit für wissenschaftliches Studium und<lb/>
höhere Berufe besitzen, und es steht zu erwarten,<lb/>
dass ihre Zahl steigen wird, denn dass mit der<lb/>
Möglichkeit des Erlangens ein Bedürfnis wächst,<lb/>
ist eine alte Regel. Getäuschte Erwartungen<lb/>
werden freilich auch nicht ausbleiben; schweres<lb/>
Studium wird bei Vielen zu nichts führen. Das<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[23/0001] _____________________________________________________________ _________________ Einiges über Frauenstimmrecht. Die Frauenbewegung beginnt in der That diese ihre Bezeichnung zu verdienen. Ueberall regt es sich ; und zwar nicht mehr in der auf- geregten, die von der sittlichen Weltordnung festgesetzten Grenzen überspringenden Weise, wie wir sie aus der ersten Emanzipationszeit kennen und gegen deren letzte extravagierende Ueberreste Ethiker, wie Otto von Seixner *) noch anzukämpfen glauben müssen, – sondern im Geiste eines ernsten, selbstvergessenden und zielbewussten Strebens. Wenn sich die deutschen Frauen bei der Erringung der ihnen nothwen- digen Existenzbedingungen zur Socialdemokratie neigen, so ist das beklagenswerth, aber nicht ganz unbegreiflich. Es ist die Partei, welche die Sache der Unterdrückten zu der ihren macht. dort finden sie Verständnis für ihre Bedürfnisse, ߝ dort erwarten sie Hülfe. Je mehr sich aber in ihnen die Kraft eines edlen Selbstgefühles entwickelt, um so weniger werden sie sich auf Parteien stützen. Welch´ mächtigen Fortschritt hat nicht die Erziehungsfrage gemacht. Gymnasium- und Universitätsstudium werden bald keine Aus- nahmen mehr sein. Es ist zwar nicht wahr- scheinlich, dass dieselben den Beweis liefern werden einer vollkommenen Gleichheit der geistigen Anlagen von Frauen und Männern, wie John Stuart Mill sie feststellt, noch auch einer in Inferiorität der Frau, wie Sombroso und Konsorten sie behaupten. Sie werden aber zeigen, dass ein weit grösserer Theil der Mädchen, als man bisher glaubte, das Bedürfnis und die Fähigkeit für wissenschaftliches Studium und höhere Berufe besitzen, und es steht zu erwarten, dass ihre Zahl steigen wird, denn dass mit der Möglichkeit des Erlangens ein Bedürfnis wächst, ist eine alte Regel. Getäuschte Erwartungen werden freilich auch nicht ausbleiben; schweres Studium wird bei Vielen zu nichts führen. Das *) Berliner Tägliche Rundschau.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T15:42:42Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Anna Pfundt: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T15:42:42Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: wie Vorlage; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/blacker_frauenstimmrecht_1894
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/blacker_frauenstimmrecht_1894/1
Zitationshilfe: Blacker, Carola: Einiges über Frauenstimmrecht. In: Frauen-Werke 1/3 (1894), S. 23-24; 1/4 (1894), S. 25-26; 1/5 (1894), S. 39-40; 1/6 (1894), S. 49-50, hier S. 23. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/blacker_frauenstimmrecht_1894/1>, abgerufen am 29.03.2024.