Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Braun, Karl: Die Vagabundenfrage. Berlin, 1883.

Bild:
<< vorherige Seite

lichen Kinder im Verhältniß zu der Zahl der ehelichen ver-
mehren, oder mit anderen Worten den Procentsatz der unehe-
lichen Geburten erhöhen. Je stärker die Beschränkungen des Ver-
ehelichungsrechtes waren, desto größer war die Zahl der unehe-
lichen Kinder im Verhältniß zu den ehelichen. In Mecklenburg,
wo die Beschränkung am größten war, war auch die Zahl der
außerehelichen Geburten am größten. Daß jene veralteten In-
stitutionen auch heute, nachdem sie schon abgeschafft sind,
immer noch unheilvolle Einwirkungen und eine, nur allmählich
schwindende Verschlechterung der sittlichen Haltung des Volks
hinterlassen haben, beweist Ihnen die officielle Statistik des
Deutschen Reichs. Nehmen Sie z. B. das von dem Kaiserlichen
Statistischen Amt herausgegebene "Statistische Jahrbuch für das
Deutsche Reich", neuester, vierter Jahrgang, 1883 zur Hand und
werfen Sie nur einen Blick auf die letzte der demselben bei-
gegebenen graphisch-statistischen Karten, welche die unehelichen
Geburten im Verhältnisse zu der Gesammtzahl der Geburten für
das ganze Deutsche Reich in den Jahren von 1872 bis 1880 dar-
stellt. Da sind diejenigen Kreise, in welchen der Procentsatz
der unehelichen Geburten sechszehn und darüber beträgt, am
dunkelsten schattirt; und diese dunkelsten Schatten finden wir
in Mecklenburger, Württemberger und Bayrischen Kreisen, d. h.
also in denjenigen Ländern, in welchen das "Zwangscölibat für
Unbemittelte" am längsten sein durchaus unberechtigtes Dasein
gefristet.

Alle diese Heirathsbeschränkungen haben nur dahin ge-
wirkt, daß die ehrlichen Väter, welche die Absicht hatten, ihre
Verpflichtungen zu erfüllen, die gar nicht einen ausschweifenden
sexuellen Wandel führten, sondern in einer regelmäßigen mono-
gamen Gemeinschaft lebten, der nur die Sanction des öffentlichen
und kirchlichen Rechtes fehlte, verhindert wurden, sich officiell
als Ehemänner und Väter zu geriren, und daß der Frau die
Rechte eines ehelichen Weibes und der Nachkommenschaft die
Rechte ehelicher Kinder durch ein Gesetz von sinnloser Grausam-
keit vorenthalten wurden.

Die Folge war also, daß vormals die Zahl der unehelichen
Geburten die der ehelichen erreichte, wenn nicht gar überstieg!
Man störte die von der Natur angeordnete Reihenfolge der Dinge;
man machte Kinder, die in einer regelmäßigen Gemeinschaft

lichen Kinder im Verhältniß zu der Zahl der ehelichen ver-
mehren, oder mit anderen Worten den Procentsatz der unehe-
lichen Geburten erhöhen. Je stärker die Beschränkungen des Ver-
ehelichungsrechtes waren, desto größer war die Zahl der unehe-
lichen Kinder im Verhältniß zu den ehelichen. In Mecklenburg,
wo die Beschränkung am größten war, war auch die Zahl der
außerehelichen Geburten am größten. Daß jene veralteten In-
stitutionen auch heute, nachdem sie schon abgeschafft sind,
immer noch unheilvolle Einwirkungen und eine, nur allmählich
schwindende Verschlechterung der sittlichen Haltung des Volks
hinterlassen haben, beweist Ihnen die officielle Statistik des
Deutschen Reichs. Nehmen Sie z. B. das von dem Kaiserlichen
Statistischen Amt herausgegebene «Statistische Jahrbuch für das
Deutsche Reich», neuester, vierter Jahrgang, 1883 zur Hand und
werfen Sie nur einen Blick auf die letzte der demselben bei-
gegebenen graphisch-statistischen Karten, welche die unehelichen
Geburten im Verhältnisse zu der Gesammtzahl der Geburten für
das ganze Deutsche Reich in den Jahren von 1872 bis 1880 dar-
stellt. Da sind diejenigen Kreise, in welchen der Procentsatz
der unehelichen Geburten sechszehn und darüber beträgt, am
dunkelsten schattirt; und diese dunkelsten Schatten finden wir
in Mecklenburger, Württemberger und Bayrischen Kreisen, d. h.
also in denjenigen Ländern, in welchen das «Zwangscölibat für
Unbemittelte» am längsten sein durchaus unberechtigtes Dasein
gefristet.

Alle diese Heirathsbeschränkungen haben nur dahin ge-
wirkt, daß die ehrlichen Väter, welche die Absicht hatten, ihre
Verpflichtungen zu erfüllen, die gar nicht einen ausschweifenden
sexuellen Wandel führten, sondern in einer regelmäßigen mono-
gamen Gemeinschaft lebten, der nur die Sanction des öffentlichen
und kirchlichen Rechtes fehlte, verhindert wurden, sich officiell
als Ehemänner und Väter zu geriren, und daß der Frau die
Rechte eines ehelichen Weibes und der Nachkommenschaft die
Rechte ehelicher Kinder durch ein Gesetz von sinnloser Grausam-
keit vorenthalten wurden.

Die Folge war also, daß vormals die Zahl der unehelichen
Geburten die der ehelichen erreichte, wenn nicht gar überstieg!
Man störte die von der Natur angeordnete Reihenfolge der Dinge;
man machte Kinder, die in einer regelmäßigen Gemeinschaft

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0026" n="24"/>
lichen Kinder im Verhältniß zu der Zahl der ehelichen ver-<lb/>
mehren, oder mit anderen Worten den Procentsatz der unehe-<lb/>
lichen Geburten erhöhen. Je stärker die Beschränkungen des Ver-<lb/>
ehelichungsrechtes waren, desto größer war die Zahl der unehe-<lb/>
lichen Kinder im Verhältniß zu den ehelichen. In Mecklenburg,<lb/>
wo die Beschränkung am größten war, war auch die Zahl der<lb/>
außerehelichen Geburten am größten. Daß jene veralteten In-<lb/>
stitutionen auch heute, nachdem sie schon abgeschafft sind,<lb/>
immer noch unheilvolle Einwirkungen und eine, nur allmählich<lb/>
schwindende Verschlechterung der sittlichen Haltung des Volks<lb/>
hinterlassen haben, beweist Ihnen die officielle Statistik des<lb/>
Deutschen Reichs. Nehmen Sie z. B. das von dem Kaiserlichen<lb/>
Statistischen Amt herausgegebene «Statistische Jahrbuch für das<lb/>
Deutsche Reich», neuester, vierter Jahrgang, 1883 zur Hand und<lb/>
werfen Sie nur einen Blick auf die letzte der demselben bei-<lb/>
gegebenen graphisch-statistischen Karten, welche die unehelichen<lb/>
Geburten im Verhältnisse zu der Gesammtzahl der Geburten für<lb/>
das ganze Deutsche Reich in den Jahren von 1872 bis 1880 dar-<lb/>
stellt. Da sind diejenigen Kreise, in welchen der Procentsatz<lb/>
der unehelichen Geburten sechszehn und darüber beträgt, am<lb/>
dunkelsten schattirt; und diese dunkelsten Schatten finden wir<lb/>
in Mecklenburger, Württemberger und Bayrischen Kreisen, d. h.<lb/>
also in denjenigen Ländern, in welchen das «Zwangscölibat für<lb/>
Unbemittelte» am längsten sein durchaus unberechtigtes Dasein<lb/>
gefristet.</p><lb/>
        <p>Alle diese Heirathsbeschränkungen haben nur dahin ge-<lb/>
wirkt, daß die ehrlichen Väter, welche die Absicht hatten, ihre<lb/>
Verpflichtungen zu erfüllen, die gar nicht einen ausschweifenden<lb/>
sexuellen Wandel führten, sondern in einer regelmäßigen mono-<lb/>
gamen Gemeinschaft lebten, der nur die Sanction des öffentlichen<lb/>
und kirchlichen Rechtes fehlte, verhindert wurden, sich officiell<lb/>
als Ehemänner und Väter zu geriren, und daß der Frau die<lb/>
Rechte eines ehelichen Weibes und der Nachkommenschaft die<lb/>
Rechte ehelicher Kinder durch ein Gesetz von sinnloser Grausam-<lb/>
keit vorenthalten wurden.</p><lb/>
        <p>Die Folge war also, daß vormals die Zahl der unehelichen<lb/>
Geburten die der ehelichen erreichte, wenn nicht gar überstieg!<lb/>
Man störte die von der Natur angeordnete Reihenfolge der Dinge;<lb/>
man machte Kinder, die in einer regelmäßigen Gemeinschaft<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[24/0026] lichen Kinder im Verhältniß zu der Zahl der ehelichen ver- mehren, oder mit anderen Worten den Procentsatz der unehe- lichen Geburten erhöhen. Je stärker die Beschränkungen des Ver- ehelichungsrechtes waren, desto größer war die Zahl der unehe- lichen Kinder im Verhältniß zu den ehelichen. In Mecklenburg, wo die Beschränkung am größten war, war auch die Zahl der außerehelichen Geburten am größten. Daß jene veralteten In- stitutionen auch heute, nachdem sie schon abgeschafft sind, immer noch unheilvolle Einwirkungen und eine, nur allmählich schwindende Verschlechterung der sittlichen Haltung des Volks hinterlassen haben, beweist Ihnen die officielle Statistik des Deutschen Reichs. Nehmen Sie z. B. das von dem Kaiserlichen Statistischen Amt herausgegebene «Statistische Jahrbuch für das Deutsche Reich», neuester, vierter Jahrgang, 1883 zur Hand und werfen Sie nur einen Blick auf die letzte der demselben bei- gegebenen graphisch-statistischen Karten, welche die unehelichen Geburten im Verhältnisse zu der Gesammtzahl der Geburten für das ganze Deutsche Reich in den Jahren von 1872 bis 1880 dar- stellt. Da sind diejenigen Kreise, in welchen der Procentsatz der unehelichen Geburten sechszehn und darüber beträgt, am dunkelsten schattirt; und diese dunkelsten Schatten finden wir in Mecklenburger, Württemberger und Bayrischen Kreisen, d. h. also in denjenigen Ländern, in welchen das «Zwangscölibat für Unbemittelte» am längsten sein durchaus unberechtigtes Dasein gefristet. Alle diese Heirathsbeschränkungen haben nur dahin ge- wirkt, daß die ehrlichen Väter, welche die Absicht hatten, ihre Verpflichtungen zu erfüllen, die gar nicht einen ausschweifenden sexuellen Wandel führten, sondern in einer regelmäßigen mono- gamen Gemeinschaft lebten, der nur die Sanction des öffentlichen und kirchlichen Rechtes fehlte, verhindert wurden, sich officiell als Ehemänner und Väter zu geriren, und daß der Frau die Rechte eines ehelichen Weibes und der Nachkommenschaft die Rechte ehelicher Kinder durch ein Gesetz von sinnloser Grausam- keit vorenthalten wurden. Die Folge war also, daß vormals die Zahl der unehelichen Geburten die der ehelichen erreichte, wenn nicht gar überstieg! Man störte die von der Natur angeordnete Reihenfolge der Dinge; man machte Kinder, die in einer regelmäßigen Gemeinschaft

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/braun_vagabundenfrage_1883
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/braun_vagabundenfrage_1883/26
Zitationshilfe: Braun, Karl: Die Vagabundenfrage. Berlin, 1883, S. 24. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/braun_vagabundenfrage_1883/26>, abgerufen am 29.03.2024.