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Breitscheid, Tony: Die Notwendigkeit der Forderung des allgemeinen, gleichen, direkten, geheimen Wahlrechts (= Schriften des Preußischen Landesvereins für Frauenstimmrecht, Bd. 4). Berlin, 1909.

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haupt eine Macht werden, so muß sie sich auf die
Schichten stützen, die das Stimmrecht am drin-
gendsten nötig haben, und das sind die berufs-
tätigen Frauen
. Ohne sie kann die Stimmrechtsbewegung
nichts ausrichten, sie muß diese Frauen politisch interessieren und
organisieren; und sie werden auch zur Organisation kommen, wenn
ihnen in unablässiger Arbeit vor Augen geführt wird, welchen Nutzen
ihnen das Frauenstimmrecht -gleiches Stimmrecht für
alle Frauen
- bringt.

Aber weiter wird argumentiert: wenn nicht das Dreiklassenwahl-
recht, so solltet ihr wenigstens das Pluralwahlrecht fordern.
Das hat doch die meisten Aussichten zur Zeit in Preußen. Auch
diesem Verlangen können wir nicht entsprechen. Es ist möglich, daß
wenn in absehbarer Zeit überhaupt eine Wahlrechtsreform kommt,
ein Pluralwahlsystem dem Abgeordnetenhause vorgeschlagen wird.
Aber wir hoffen, daß das preußische Volk in seiner Gesamtheit sich
dann endlich zu einem energischen zähen Widerstand aufraffen wird
und daß in dem Kampf, der dann zwischen Reaktion und Fortschritt
geführt werden muß, die Frauen auf Seiten derer zu finden sind,
die für das Recht des Volkes und damit auch für das Recht
der Frauen
streiten. Es ist ihre Pflicht in diesem Kampf gegen
die dauernde Bevormundung des Volkes auszuharren, bis der volle
Sieg errungen ist und nicht etwa sich mit einem faulen Frieden genügen zu
lassen. Mit Scheinerfolgen kann das Volk nichts anfangen. Das
Pluralwahlrecht bedeutet keine Verbesserung des bestehenden Zustandes,
und für die Frauen - falls es auf diese ausgedehnt werden sollte,
würde es eine besondere Schädigung bedeuten. Machen wir uns
doch klar, wem die verdoppelte oder verdreifachte Stimme zugute
käme. Die Zahl der Stimmen soll bei fast allen Vorschlägen, die
in neuester Zeit aufgetaucht sind, abgestuft werden nach Alter, Besitz
und Bildung. Die Abstufung nach dem Alter würde vor allem die
Fabrikarbeiter und -arbeiterinnen, sowie die Bergarbeiter schwer schädigen.
Sie sind im allgemeinen durch die schwere Arbeit viel früher auf-
gebraucht als die Gutsituierten, die in größerer Ruhe arbeiten können,
eine kürzere Arbeitszeit und eine wesentlich bessere körperliche Ver-
pflegung haben. Es würden also im Verhältnis viel weniger Männer
und Frauen der arbeitenden Klasse das Alter erreichen, in dem den
Wählern eine zweite Stimme zugestanden werden soll.

Eine weitere Stimme soll der erhalten, dessen Steuerleistung eine
bestimmte Höhe erreicht. Wir haben schon bei der Betrachtung der

haupt eine Macht werden, so muß sie sich auf die
Schichten stützen, die das Stimmrecht am drin-
gendsten nötig haben, und das sind die berufs-
tätigen Frauen
. Ohne sie kann die Stimmrechtsbewegung
nichts ausrichten, sie muß diese Frauen politisch interessieren und
organisieren; und sie werden auch zur Organisation kommen, wenn
ihnen in unablässiger Arbeit vor Augen geführt wird, welchen Nutzen
ihnen das Frauenstimmrecht –gleiches Stimmrecht für
alle Frauen
– bringt.

Aber weiter wird argumentiert: wenn nicht das Dreiklassenwahl-
recht, so solltet ihr wenigstens das Pluralwahlrecht fordern.
Das hat doch die meisten Aussichten zur Zeit in Preußen. Auch
diesem Verlangen können wir nicht entsprechen. Es ist möglich, daß
wenn in absehbarer Zeit überhaupt eine Wahlrechtsreform kommt,
ein Pluralwahlsystem dem Abgeordnetenhause vorgeschlagen wird.
Aber wir hoffen, daß das preußische Volk in seiner Gesamtheit sich
dann endlich zu einem energischen zähen Widerstand aufraffen wird
und daß in dem Kampf, der dann zwischen Reaktion und Fortschritt
geführt werden muß, die Frauen auf Seiten derer zu finden sind,
die für das Recht des Volkes und damit auch für das Recht
der Frauen
streiten. Es ist ihre Pflicht in diesem Kampf gegen
die dauernde Bevormundung des Volkes auszuharren, bis der volle
Sieg errungen ist und nicht etwa sich mit einem faulen Frieden genügen zu
lassen. Mit Scheinerfolgen kann das Volk nichts anfangen. Das
Pluralwahlrecht bedeutet keine Verbesserung des bestehenden Zustandes,
und für die Frauen – falls es auf diese ausgedehnt werden sollte,
würde es eine besondere Schädigung bedeuten. Machen wir uns
doch klar, wem die verdoppelte oder verdreifachte Stimme zugute
käme. Die Zahl der Stimmen soll bei fast allen Vorschlägen, die
in neuester Zeit aufgetaucht sind, abgestuft werden nach Alter, Besitz
und Bildung. Die Abstufung nach dem Alter würde vor allem die
Fabrikarbeiter und -arbeiterinnen, sowie die Bergarbeiter schwer schädigen.
Sie sind im allgemeinen durch die schwere Arbeit viel früher auf-
gebraucht als die Gutsituierten, die in größerer Ruhe arbeiten können,
eine kürzere Arbeitszeit und eine wesentlich bessere körperliche Ver-
pflegung haben. Es würden also im Verhältnis viel weniger Männer
und Frauen der arbeitenden Klasse das Alter erreichen, in dem den
Wählern eine zweite Stimme zugestanden werden soll.

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[8/0010] haupt eine Macht werden, so muß sie sich auf die Schichten stützen, die das Stimmrecht am drin- gendsten nötig haben, und das sind die berufs- tätigen Frauen. Ohne sie kann die Stimmrechtsbewegung nichts ausrichten, sie muß diese Frauen politisch interessieren und organisieren; und sie werden auch zur Organisation kommen, wenn ihnen in unablässiger Arbeit vor Augen geführt wird, welchen Nutzen ihnen das Frauenstimmrecht –gleiches Stimmrecht für alle Frauen– bringt. Aber weiter wird argumentiert: wenn nicht das Dreiklassenwahl- recht, so solltet ihr wenigstens das Pluralwahlrecht fordern. Das hat doch die meisten Aussichten zur Zeit in Preußen. Auch diesem Verlangen können wir nicht entsprechen. Es ist möglich, daß wenn in absehbarer Zeit überhaupt eine Wahlrechtsreform kommt, ein Pluralwahlsystem dem Abgeordnetenhause vorgeschlagen wird. Aber wir hoffen, daß das preußische Volk in seiner Gesamtheit sich dann endlich zu einem energischen zähen Widerstand aufraffen wird und daß in dem Kampf, der dann zwischen Reaktion und Fortschritt geführt werden muß, die Frauen auf Seiten derer zu finden sind, die für das Recht des Volkes und damit auch für das Recht der Frauen streiten. Es ist ihre Pflicht in diesem Kampf gegen die dauernde Bevormundung des Volkes auszuharren, bis der volle Sieg errungen ist und nicht etwa sich mit einem faulen Frieden genügen zu lassen. Mit Scheinerfolgen kann das Volk nichts anfangen. Das Pluralwahlrecht bedeutet keine Verbesserung des bestehenden Zustandes, und für die Frauen – falls es auf diese ausgedehnt werden sollte, würde es eine besondere Schädigung bedeuten. Machen wir uns doch klar, wem die verdoppelte oder verdreifachte Stimme zugute käme. Die Zahl der Stimmen soll bei fast allen Vorschlägen, die in neuester Zeit aufgetaucht sind, abgestuft werden nach Alter, Besitz und Bildung. Die Abstufung nach dem Alter würde vor allem die Fabrikarbeiter und -arbeiterinnen, sowie die Bergarbeiter schwer schädigen. Sie sind im allgemeinen durch die schwere Arbeit viel früher auf- gebraucht als die Gutsituierten, die in größerer Ruhe arbeiten können, eine kürzere Arbeitszeit und eine wesentlich bessere körperliche Ver- pflegung haben. Es würden also im Verhältnis viel weniger Männer und Frauen der arbeitenden Klasse das Alter erreichen, in dem den Wählern eine zweite Stimme zugestanden werden soll. Eine weitere Stimme soll der erhalten, dessen Steuerleistung eine bestimmte Höhe erreicht. Wir haben schon bei der Betrachtung der

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-10-19T09:11:18Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Anna Pfundt: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-10-19T09:11:18Z)

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Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: wie Vorlage; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




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Zitationshilfe: Breitscheid, Tony: Die Notwendigkeit der Forderung des allgemeinen, gleichen, direkten, geheimen Wahlrechts (= Schriften des Preußischen Landesvereins für Frauenstimmrecht, Bd. 4). Berlin, 1909, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/breitscheid_notwendigkeit_1909/10>, abgerufen am 28.03.2024.