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Dohm, Hedwig: Erziehung zum Stimmrecht der Frau. Berlin, 1910 (= Schriften des Preußischen Landesvereins für Frauenstimmrecht, Bd. 6).

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ganz allmählich lieben. Und da geschieht es nicht selten - zum
Staunen der Welt - daß äußerlich reizlose, ja häßliche Mädchen
recht von Herzen geliebt werden; denn hier wurde die Wurzel der
Liebe tief in fruchtbares Erdreich gesenkt.

Aber ach - nun dürfen die lieben jungen Menschen nur
platonisch fühlen, wenn nicht das Standesamt sofort zuspringt.

So muß diese herrliche Zeit brausender, idealistischer Jugend-
lichkeit vollerblühter Seelen- und Körperkräfte dahingehen -
ohne Erben.

Ein uralter, urweiser Herr - Zoroaster - hat schon gesagt,
"daß alle Menschen zum Heiraten verpflichtet sind, sobald sie reif
dazu sind."

Die Gesellschaft teilt diese Meinung nicht.

Die Mütter haben inbetreff ihrer erwachsenen Kinder immer
zweierlei Sorgen: daß sich die Tochter möglichst früh (je jünger,
je größer sind ihre Chancen für eine gute Partie), der Sohn mög-
lichst spät verheirate, es sei denn, daß schon dem Jüngling, ehe
er in Amt und Würden sitzt, ein Goldfischchen zuschwimmt.

Sittlichkeitsfragen pflegen bei den Eltern - dem Sohne
gegenüber - nicht aufzutauchen. Vielleicht wissen sie, daß er
temperamentvoll, stark erotisch veranlagt ist. Sie fragen nicht
nach, ob und wo er Befriedigung für seinen Liebesdrang sucht.
Sie wollen es nicht wissen. Möglicherweise auch scheint es ihnen
in der Ordnung, daß er sich vor der Ehe die Hörner - irgend-
wo - abläuft.

Und doch verschließt sich niemand der Erkenntnis, daß die
Prostitution einer der dunkelsten Punkte in der Geschichte der
Menschheit ist, ein Kainszeichen, das das Antlitz der Welt so
entstellt, verzerrt, daß vor seinem Medusenblick das Herz erschaudere.

Zu einer Entvölkerung der Hörselberg-Souterrains dürften die
frühen Heiraten - wenn auch kein Allheilmittel, so doch immer-
hin ein Heilmittel sein.

Jch weiß, ich weiß - die heutigen Gesellschaftsverhältnisse
in den höheren Ständen gestatten frühe Heiraten nicht. "Am
Golde hängt doch alles."

Jch möchte aber, daß man sich dieser Ehebeschränkung als
eines sozialen Uebelstandes bewußt werde.

Jndessen - auch abgesehen vom Geldpunkt, mißbilligt man
die Jünglingsheiraten. Der Zwanzigjährige hätte die Reife für
eine richtige Auswahl nicht. (Wie? und das zwanzigjährige,
ihm geistig untergeordnete Mädchen hat sie?) Wann ist denn das
männliche Geschlecht reif zur Ehe?

ganz allmählich lieben. Und da geschieht es nicht selten – zum
Staunen der Welt – daß äußerlich reizlose, ja häßliche Mädchen
recht von Herzen geliebt werden; denn hier wurde die Wurzel der
Liebe tief in fruchtbares Erdreich gesenkt.

Aber ach – nun dürfen die lieben jungen Menschen nur
platonisch fühlen, wenn nicht das Standesamt sofort zuspringt.

So muß diese herrliche Zeit brausender, idealistischer Jugend-
lichkeit vollerblühter Seelen- und Körperkräfte dahingehen –
ohne Erben.

Ein uralter, urweiser Herr – Zoroaster – hat schon gesagt,
„daß alle Menschen zum Heiraten verpflichtet sind, sobald sie reif
dazu sind.“

Die Gesellschaft teilt diese Meinung nicht.

Die Mütter haben inbetreff ihrer erwachsenen Kinder immer
zweierlei Sorgen: daß sich die Tochter möglichst früh (je jünger,
je größer sind ihre Chancen für eine gute Partie), der Sohn mög-
lichst spät verheirate, es sei denn, daß schon dem Jüngling, ehe
er in Amt und Würden sitzt, ein Goldfischchen zuschwimmt.

Sittlichkeitsfragen pflegen bei den Eltern – dem Sohne
gegenüber – nicht aufzutauchen. Vielleicht wissen sie, daß er
temperamentvoll, stark erotisch veranlagt ist. Sie fragen nicht
nach, ob und wo er Befriedigung für seinen Liebesdrang sucht.
Sie wollen es nicht wissen. Möglicherweise auch scheint es ihnen
in der Ordnung, daß er sich vor der Ehe die Hörner – irgend-
wo – abläuft.

Und doch verschließt sich niemand der Erkenntnis, daß die
Prostitution einer der dunkelsten Punkte in der Geschichte der
Menschheit ist, ein Kainszeichen, das das Antlitz der Welt so
entstellt, verzerrt, daß vor seinem Medusenblick das Herz erschaudere.

Zu einer Entvölkerung der Hörselberg-Souterrains dürften die
frühen Heiraten – wenn auch kein Allheilmittel, so doch immer-
hin ein Heilmittel sein.

Jch weiß, ich weiß – die heutigen Gesellschaftsverhältnisse
in den höheren Ständen gestatten frühe Heiraten nicht. „Am
Golde hängt doch alles.“

Jch möchte aber, daß man sich dieser Ehebeschränkung als
eines sozialen Uebelstandes bewußt werde.

Jndessen – auch abgesehen vom Geldpunkt, mißbilligt man
die Jünglingsheiraten. Der Zwanzigjährige hätte die Reife für
eine richtige Auswahl nicht. (Wie? und das zwanzigjährige,
ihm geistig untergeordnete Mädchen hat sie?) Wann ist denn das
männliche Geschlecht reif zur Ehe?

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[13/0014] ganz allmählich lieben. Und da geschieht es nicht selten – zum Staunen der Welt – daß äußerlich reizlose, ja häßliche Mädchen recht von Herzen geliebt werden; denn hier wurde die Wurzel der Liebe tief in fruchtbares Erdreich gesenkt. Aber ach – nun dürfen die lieben jungen Menschen nur platonisch fühlen, wenn nicht das Standesamt sofort zuspringt. So muß diese herrliche Zeit brausender, idealistischer Jugend- lichkeit vollerblühter Seelen- und Körperkräfte dahingehen – ohne Erben. Ein uralter, urweiser Herr – Zoroaster – hat schon gesagt, „daß alle Menschen zum Heiraten verpflichtet sind, sobald sie reif dazu sind.“ Die Gesellschaft teilt diese Meinung nicht. Die Mütter haben inbetreff ihrer erwachsenen Kinder immer zweierlei Sorgen: daß sich die Tochter möglichst früh (je jünger, je größer sind ihre Chancen für eine gute Partie), der Sohn mög- lichst spät verheirate, es sei denn, daß schon dem Jüngling, ehe er in Amt und Würden sitzt, ein Goldfischchen zuschwimmt. Sittlichkeitsfragen pflegen bei den Eltern – dem Sohne gegenüber – nicht aufzutauchen. Vielleicht wissen sie, daß er temperamentvoll, stark erotisch veranlagt ist. Sie fragen nicht nach, ob und wo er Befriedigung für seinen Liebesdrang sucht. Sie wollen es nicht wissen. Möglicherweise auch scheint es ihnen in der Ordnung, daß er sich vor der Ehe die Hörner – irgend- wo – abläuft. Und doch verschließt sich niemand der Erkenntnis, daß die Prostitution einer der dunkelsten Punkte in der Geschichte der Menschheit ist, ein Kainszeichen, das das Antlitz der Welt so entstellt, verzerrt, daß vor seinem Medusenblick das Herz erschaudere. Zu einer Entvölkerung der Hörselberg-Souterrains dürften die frühen Heiraten – wenn auch kein Allheilmittel, so doch immer- hin ein Heilmittel sein. Jch weiß, ich weiß – die heutigen Gesellschaftsverhältnisse in den höheren Ständen gestatten frühe Heiraten nicht. „Am Golde hängt doch alles.“ Jch möchte aber, daß man sich dieser Ehebeschränkung als eines sozialen Uebelstandes bewußt werde. Jndessen – auch abgesehen vom Geldpunkt, mißbilligt man die Jünglingsheiraten. Der Zwanzigjährige hätte die Reife für eine richtige Auswahl nicht. (Wie? und das zwanzigjährige, ihm geistig untergeordnete Mädchen hat sie?) Wann ist denn das männliche Geschlecht reif zur Ehe?

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-09-14T13:15:52Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Anna Pfundt: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-09-14T13:15:52Z)

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Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: wie Vorlage; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja; /p>




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Zitationshilfe: Dohm, Hedwig: Erziehung zum Stimmrecht der Frau. Berlin, 1910 (= Schriften des Preußischen Landesvereins für Frauenstimmrecht, Bd. 6), S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dohm_erziehung_1910/14>, abgerufen am 24.04.2024.