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Dohm, Hedwig: Erziehung zum Stimmrecht der Frau. Berlin, 1910 (= Schriften des Preußischen Landesvereins für Frauenstimmrecht, Bd. 6).

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Die unglücklich verheiratete Frau, die wirtschaftlich selbständig
ist, braucht nicht mehr als die Sklavin eines unentrinnbaren Schicksals
in einer Ehe zu bleiben, die einem Hospital für Jncurable gleicht.
Einen verhängnisvollen Jrrtum (in diesem Fall die Eheschließung)
zu widerrufen, ist ein Gebot der Ehre und der Moral.

Für die abhängige Frau freilich wird selbst die traurigste
Verbindung zu einer unsittlichen Notwendigkeit. Denn existenzlos
ist sie außerhalb der Ehe. Angewiesen auf das Almosen der
Gesellschaft.

Oder meint man: auch in einer unglücklichen Ehe auszu-
harren, seine subjektiven Gefühle zu beherrschen, wäre ein Gebot
der Pflicht, der hohen Pflicht im Dienst einer Jdee, der Jdee der
Ehe? Wie der Soldat im Krieg für die Jdee des Vaterlandes
stirbt, auch wenn ihm der Krieg verhaßt ist.

Leib und Seele opfern für die Menschheit, das tut ein Gott.
Wir armen Allzusterblichen lassen uns ungern an ein Kreuz -
wenn auch nur ein symbolisches - schlagen.

Mir scheint, noch niemals hat es eine Zeit gegeben, so er-
füllt von der Sehnsucht nach einer Versittlichung, einer Jdeali-
sierung der Ehe wie die gegenwärtige.

Dieser tiefen Sehnsucht Weckerin und ihr Sprachrohr ist die
Frauenbewegung geworden. Erfüllung kann oder wird ihr erst
werden, wenn der Frau, als der Mitwirkenden an der Gesetz-
gebung, die Entscheidung über Ehefragen zufällt.



Das Stimmrecht der Frau.

Das Zentrum aller sozialen Rechte, von dem alle anderen
ausstrahlen, ist das Stimmrecht.

Jn einer Zeit, als die Forderung des Stimmrechts für
so absurd galt, als glaube man an eine Spazierfahrt auf den
Mond, trat bereits in England der Premierminister Disraeli für
die politischen Rechte der Frauen ein.

Und noch immer ist dieses Recht nicht zeitgemäß? Noch
immer spricht man der Frau die Fähigkeit ab, es auszuüben?

Ein Forscher fand in einer dunklen Höhle kleine Tiere, die
infolge ihres andauernden Aufenthaltes in der Finsternis blind
geworden waren.

Jahrtausende habt ihr Frauen in Finsternis gelebt. Kein
Wunder wär's, wenn eure geistigen Augen erblindet, euer Wille
erstorben wäre.

Die unglücklich verheiratete Frau, die wirtschaftlich selbständig
ist, braucht nicht mehr als die Sklavin eines unentrinnbaren Schicksals
in einer Ehe zu bleiben, die einem Hospital für Jncurable gleicht.
Einen verhängnisvollen Jrrtum (in diesem Fall die Eheschließung)
zu widerrufen, ist ein Gebot der Ehre und der Moral.

Für die abhängige Frau freilich wird selbst die traurigste
Verbindung zu einer unsittlichen Notwendigkeit. Denn existenzlos
ist sie außerhalb der Ehe. Angewiesen auf das Almosen der
Gesellschaft.

Oder meint man: auch in einer unglücklichen Ehe auszu-
harren, seine subjektiven Gefühle zu beherrschen, wäre ein Gebot
der Pflicht, der hohen Pflicht im Dienst einer Jdee, der Jdee der
Ehe? Wie der Soldat im Krieg für die Jdee des Vaterlandes
stirbt, auch wenn ihm der Krieg verhaßt ist.

Leib und Seele opfern für die Menschheit, das tut ein Gott.
Wir armen Allzusterblichen lassen uns ungern an ein Kreuz –
wenn auch nur ein symbolisches – schlagen.

Mir scheint, noch niemals hat es eine Zeit gegeben, so er-
füllt von der Sehnsucht nach einer Versittlichung, einer Jdeali-
sierung der Ehe wie die gegenwärtige.

Dieser tiefen Sehnsucht Weckerin und ihr Sprachrohr ist die
Frauenbewegung geworden. Erfüllung kann oder wird ihr erst
werden, wenn der Frau, als der Mitwirkenden an der Gesetz-
gebung, die Entscheidung über Ehefragen zufällt.



Das Stimmrecht der Frau.

Das Zentrum aller sozialen Rechte, von dem alle anderen
ausstrahlen, ist das Stimmrecht.

Jn einer Zeit, als die Forderung des Stimmrechts für
so absurd galt, als glaube man an eine Spazierfahrt auf den
Mond, trat bereits in England der Premierminister Disraeli für
die politischen Rechte der Frauen ein.

Und noch immer ist dieses Recht nicht zeitgemäß? Noch
immer spricht man der Frau die Fähigkeit ab, es auszuüben?

Ein Forscher fand in einer dunklen Höhle kleine Tiere, die
infolge ihres andauernden Aufenthaltes in der Finsternis blind
geworden waren.

Jahrtausende habt ihr Frauen in Finsternis gelebt. Kein
Wunder wär's, wenn eure geistigen Augen erblindet, euer Wille
erstorben wäre.

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[16/0017] Die unglücklich verheiratete Frau, die wirtschaftlich selbständig ist, braucht nicht mehr als die Sklavin eines unentrinnbaren Schicksals in einer Ehe zu bleiben, die einem Hospital für Jncurable gleicht. Einen verhängnisvollen Jrrtum (in diesem Fall die Eheschließung) zu widerrufen, ist ein Gebot der Ehre und der Moral. Für die abhängige Frau freilich wird selbst die traurigste Verbindung zu einer unsittlichen Notwendigkeit. Denn existenzlos ist sie außerhalb der Ehe. Angewiesen auf das Almosen der Gesellschaft. Oder meint man: auch in einer unglücklichen Ehe auszu- harren, seine subjektiven Gefühle zu beherrschen, wäre ein Gebot der Pflicht, der hohen Pflicht im Dienst einer Jdee, der Jdee der Ehe? Wie der Soldat im Krieg für die Jdee des Vaterlandes stirbt, auch wenn ihm der Krieg verhaßt ist. Leib und Seele opfern für die Menschheit, das tut ein Gott. Wir armen Allzusterblichen lassen uns ungern an ein Kreuz – wenn auch nur ein symbolisches – schlagen. Mir scheint, noch niemals hat es eine Zeit gegeben, so er- füllt von der Sehnsucht nach einer Versittlichung, einer Jdeali- sierung der Ehe wie die gegenwärtige. Dieser tiefen Sehnsucht Weckerin und ihr Sprachrohr ist die Frauenbewegung geworden. Erfüllung kann oder wird ihr erst werden, wenn der Frau, als der Mitwirkenden an der Gesetz- gebung, die Entscheidung über Ehefragen zufällt. Das Stimmrecht der Frau. Das Zentrum aller sozialen Rechte, von dem alle anderen ausstrahlen, ist das Stimmrecht. Jn einer Zeit, als die Forderung des Stimmrechts für so absurd galt, als glaube man an eine Spazierfahrt auf den Mond, trat bereits in England der Premierminister Disraeli für die politischen Rechte der Frauen ein. Und noch immer ist dieses Recht nicht zeitgemäß? Noch immer spricht man der Frau die Fähigkeit ab, es auszuüben? Ein Forscher fand in einer dunklen Höhle kleine Tiere, die infolge ihres andauernden Aufenthaltes in der Finsternis blind geworden waren. Jahrtausende habt ihr Frauen in Finsternis gelebt. Kein Wunder wär's, wenn eure geistigen Augen erblindet, euer Wille erstorben wäre.

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Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-09-14T13:15:52Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Anna Pfundt: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-09-14T13:15:52Z)

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Zitationshilfe: Dohm, Hedwig: Erziehung zum Stimmrecht der Frau. Berlin, 1910 (= Schriften des Preußischen Landesvereins für Frauenstimmrecht, Bd. 6), S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dohm_erziehung_1910/17>, abgerufen am 24.04.2024.