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Dohm, Hedwig: Erziehung zum Stimmrecht der Frau. Berlin, 1910 (= Schriften des Preußischen Landesvereins für Frauenstimmrecht, Bd. 6).

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Genug, die Knaben erkennen bei dem gemeinschaftlichen
Unterricht die geistige Gleichwertigkeit der Mädchen, bei den
Sports die gleiche Geschmeidigkeit und Ausdauer.

Alle anderen Vorschläge und Jdeen über die Reformierung
der Mädchenschulen verwerfe ich. Vor allem den Reformplan
des früheren Kultusministers Studt.

Die Durchführung seines Systems (wohl zur Abschreckung
der weiblichen Gymnasialbildung erklügelt), würde die Universitäts-
reife der Mädchen um 2 Jahre hinter die der Jünglinge zurück-
schrauben. Eine Beugung der Gerechtigkeit ohne Gleichen.

Der Kultusminister a. D. verlangte, daß "die reformierte
Mädchenschule sich darauf beschränke, auf religiös-sittlicher Grund-
lage - eine allgemeine Grundlage zu geben, die Mädchen zum
Leben in Gottes Wort zu erziehen, sie zu befähigen, durch ihren
Wandel und durch freudige Beteiligung am gottesdienstlichen
Leben der Gemeinde, sowie an christlichen Liebeswerken, die
ihnen im Leben zufallende besondere Aufgabe zu lösen." (Wenn
diese Erziehungsregeln nichts mehr als Phrasen sind, lasse ich
mich hängen.)

Wollte der Herr Minister a. D. mit seinem Reformplan der
Koedukation einen Riegel vorschieben? Höhere Knabenschulen
auf der Basis einer Gottseligkeit, die auf freudige Beteiligung am
gottesdienstlichen Leben der Gemeinde abzielt, wäre wohl kaum
durchführbar.

Als im Abgeordnetenhause über die Erweiterung der
Mädchenschulbildung verhandelt wurde, rief ein entrüsteter Herr:
"Wir dürfen nicht Puppen erziehen, sonst geht das ganze
Gemütsleben unseres Volkes verloren."

Zu meinem Erstaunen haben sich auch fortschrittlich gesinnte
Frauengruppen nur flau und lau (wenn sie nicht gar zustimmten)
gegen jenen ministeriellen Erlaß zur Wehr gesetzt. Und doch ist
diese Frage für die Frauenwelt (auch insbesondere für die Erziehung
zum Stimmrecht) von fundamentaler Bedeutung.

Möglich, daß bei dieser Lauhheit eine Opportunitäts-Politik
mitwirkte, eine Taktik, die sich der Gewährungssprödigkeit der
maßgebenden Behörde anpaßte.

Vielleicht auch beruhte die Bescheidenheit der Frauen auf
einem Gefühl der Dankbarkeit. Dankbar für das bereits Erreichte.

Und in der Tat, wenn ich an meine Jugend zurückdenke,
stehe ich erstaunt, entzückt vor den Errungenschaften der letzten
fünfzig Jahre.

Wehe über das Schulkind meiner Zeit! Noch vor 50 oder
60 Jahren galt das Stillverhalten - äußeres und inneres -
des weiblichen Kindes als etwas von der Natur Gewolltes. Als

Genug, die Knaben erkennen bei dem gemeinschaftlichen
Unterricht die geistige Gleichwertigkeit der Mädchen, bei den
Sports die gleiche Geschmeidigkeit und Ausdauer.

Alle anderen Vorschläge und Jdeen über die Reformierung
der Mädchenschulen verwerfe ich. Vor allem den Reformplan
des früheren Kultusministers Studt.

Die Durchführung seines Systems (wohl zur Abschreckung
der weiblichen Gymnasialbildung erklügelt), würde die Universitäts-
reife der Mädchen um 2 Jahre hinter die der Jünglinge zurück-
schrauben. Eine Beugung der Gerechtigkeit ohne Gleichen.

Der Kultusminister a. D. verlangte, daß „die reformierte
Mädchenschule sich darauf beschränke, auf religiös-sittlicher Grund-
lage – eine allgemeine Grundlage zu geben, die Mädchen zum
Leben in Gottes Wort zu erziehen, sie zu befähigen, durch ihren
Wandel und durch freudige Beteiligung am gottesdienstlichen
Leben der Gemeinde, sowie an christlichen Liebeswerken, die
ihnen im Leben zufallende besondere Aufgabe zu lösen.“ (Wenn
diese Erziehungsregeln nichts mehr als Phrasen sind, lasse ich
mich hängen.)

Wollte der Herr Minister a. D. mit seinem Reformplan der
Koedukation einen Riegel vorschieben? Höhere Knabenschulen
auf der Basis einer Gottseligkeit, die auf freudige Beteiligung am
gottesdienstlichen Leben der Gemeinde abzielt, wäre wohl kaum
durchführbar.

Als im Abgeordnetenhause über die Erweiterung der
Mädchenschulbildung verhandelt wurde, rief ein entrüsteter Herr:
„Wir dürfen nicht Puppen erziehen, sonst geht das ganze
Gemütsleben unseres Volkes verloren.“

Zu meinem Erstaunen haben sich auch fortschrittlich gesinnte
Frauengruppen nur flau und lau (wenn sie nicht gar zustimmten)
gegen jenen ministeriellen Erlaß zur Wehr gesetzt. Und doch ist
diese Frage für die Frauenwelt (auch insbesondere für die Erziehung
zum Stimmrecht) von fundamentaler Bedeutung.

Möglich, daß bei dieser Lauhheit eine Opportunitäts-Politik
mitwirkte, eine Taktik, die sich der Gewährungssprödigkeit der
maßgebenden Behörde anpaßte.

Vielleicht auch beruhte die Bescheidenheit der Frauen auf
einem Gefühl der Dankbarkeit. Dankbar für das bereits Erreichte.

Und in der Tat, wenn ich an meine Jugend zurückdenke,
stehe ich erstaunt, entzückt vor den Errungenschaften der letzten
fünfzig Jahre.

Wehe über das Schulkind meiner Zeit! Noch vor 50 oder
60 Jahren galt das Stillverhalten – äußeres und inneres –
des weiblichen Kindes als etwas von der Natur Gewolltes. Als

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[8/0009] Genug, die Knaben erkennen bei dem gemeinschaftlichen Unterricht die geistige Gleichwertigkeit der Mädchen, bei den Sports die gleiche Geschmeidigkeit und Ausdauer. Alle anderen Vorschläge und Jdeen über die Reformierung der Mädchenschulen verwerfe ich. Vor allem den Reformplan des früheren Kultusministers Studt. Die Durchführung seines Systems (wohl zur Abschreckung der weiblichen Gymnasialbildung erklügelt), würde die Universitäts- reife der Mädchen um 2 Jahre hinter die der Jünglinge zurück- schrauben. Eine Beugung der Gerechtigkeit ohne Gleichen. Der Kultusminister a. D. verlangte, daß „die reformierte Mädchenschule sich darauf beschränke, auf religiös-sittlicher Grund- lage – eine allgemeine Grundlage zu geben, die Mädchen zum Leben in Gottes Wort zu erziehen, sie zu befähigen, durch ihren Wandel und durch freudige Beteiligung am gottesdienstlichen Leben der Gemeinde, sowie an christlichen Liebeswerken, die ihnen im Leben zufallende besondere Aufgabe zu lösen.“ (Wenn diese Erziehungsregeln nichts mehr als Phrasen sind, lasse ich mich hängen.) Wollte der Herr Minister a. D. mit seinem Reformplan der Koedukation einen Riegel vorschieben? Höhere Knabenschulen auf der Basis einer Gottseligkeit, die auf freudige Beteiligung am gottesdienstlichen Leben der Gemeinde abzielt, wäre wohl kaum durchführbar. Als im Abgeordnetenhause über die Erweiterung der Mädchenschulbildung verhandelt wurde, rief ein entrüsteter Herr: „Wir dürfen nicht Puppen erziehen, sonst geht das ganze Gemütsleben unseres Volkes verloren.“ Zu meinem Erstaunen haben sich auch fortschrittlich gesinnte Frauengruppen nur flau und lau (wenn sie nicht gar zustimmten) gegen jenen ministeriellen Erlaß zur Wehr gesetzt. Und doch ist diese Frage für die Frauenwelt (auch insbesondere für die Erziehung zum Stimmrecht) von fundamentaler Bedeutung. Möglich, daß bei dieser Lauhheit eine Opportunitäts-Politik mitwirkte, eine Taktik, die sich der Gewährungssprödigkeit der maßgebenden Behörde anpaßte. Vielleicht auch beruhte die Bescheidenheit der Frauen auf einem Gefühl der Dankbarkeit. Dankbar für das bereits Erreichte. Und in der Tat, wenn ich an meine Jugend zurückdenke, stehe ich erstaunt, entzückt vor den Errungenschaften der letzten fünfzig Jahre. Wehe über das Schulkind meiner Zeit! Noch vor 50 oder 60 Jahren galt das Stillverhalten – äußeres und inneres – des weiblichen Kindes als etwas von der Natur Gewolltes. Als

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Zitationshilfe: Dohm, Hedwig: Erziehung zum Stimmrecht der Frau. Berlin, 1910 (= Schriften des Preußischen Landesvereins für Frauenstimmrecht, Bd. 6), S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dohm_erziehung_1910/9>, abgerufen am 18.04.2024.