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Dühring, Eugen: Der Weg zur höheren Berufsbildung der Frauen und die Lehrweise der Universitäten. 2. Aufl. Leipzig, 1885.

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Wenn die Beispiele ersten Ranges, verglichen mit denen
zweiter und dritter Ordnung, nur spärlich oder gar vereinzelt
anzutreffen sind, so entspricht dies nicht etwa blos jener Selten-
heit des Vorzüglichen, die der Männer- und Frauenwelt gemein-
sam ist, sondern es kommt im Bereich des weiblichen Geschlechts
auch noch der hochwichtige Umstand hinzu, dass hier Anregung
und Gelegenheit zum Wissenschaftsbetrieb fast gänzlich gefehlt
haben. Die gesellschaftlichen Einrichtungen beliessen das Weib
ausserhalb der gelehrten Verrichtungen, während innerhalb der
Männerwelt die Industrie der Gelehrtenausbildung ihren allge-
meinen Rohstoff, das Menschenmaterial, fortwährend in bestimmten
Mengen verarbeitete. Bei letzterer Massenproduction mussten sich
ab und zu einzelne besonders gelungene Exemplare ergeben;
denn nach Grundsätzen der Wahrscheinlichkeitsveranschlagung
sind nur bei einer grossen Auswahl regelmässige Aussichten vor-
handen, gelegentlich etwas von Natur Besseres und zugleich in
der wissenschaftlichen Cultur Erfolgreicheres hervorzuziehen. Die
Frauen sind aber nur in rein zufälliger Weise und ganz nebenbei
dazu gelangt, an der Pflege der Wissenschaften theilzunehmen.
Kein Wunder daher, dass sie in der Wissenschaftsgeschichte nur
ausnahmsweise mit eigentlichen Grössen vertreten sind.

In den Zwischen- und Halbwissenschaften, die unter dem
Niveau des strengen Denkens und der Mathematik stehen, haben
sich übrigens in neuster Zeit die weiblichen Betheiligungsfälle
vermehrt, aber nichts weiter bewiesen , als dass auch hier die
gewöhnlichen Auszeichnungen sehr wohl mit den entsprechenden
männlichen gelehrten Existenzen zu concurriren im Stande sind
und dies noch mehr vermögen würden, wenn sie sich nicht durch
den falschen Autoritätsrespect, der in ihnen der Männerliteratur
gegenüber unwillkürlich wirksam ist, beengt und niedergehalten
fänden. Miss Martineau, die Bearbeiterin des berühmten fran-
zösischen Philosophen August Comte, die Schriftstellerin in po-
pulärer Volkswirthschaftslehre und die Urheberin eines Werks
über die neuste Geschichte Englands, kann immerhin als acht-
bares Beispiel für das in den Halb- und Zwischenwissenschaften
regsam gewordene und nicht ohne Erfolg gebliebene Frauen-
streben gelten. Auch die Frau Stuart Mills, des Logikers und
Nationalökonomen, der sich den Fortschritt des weiblichen Ge-
schlechts zur gesellschaftlichen und politischen Selbständigkeit
wohl unter den früheren Autoren am meisten hat angelegen sein

Wenn die Beispiele ersten Ranges, verglichen mit denen
zweiter und dritter Ordnung, nur spärlich oder gar vereinzelt
anzutreffen sind, so entspricht dies nicht etwa blos jener Selten-
heit des Vorzüglichen, die der Männer- und Frauenwelt gemein-
sam ist, sondern es kommt im Bereich des weiblichen Geschlechts
auch noch der hochwichtige Umstand hinzu, dass hier Anregung
und Gelegenheit zum Wissenschaftsbetrieb fast gänzlich gefehlt
haben. Die gesellschaftlichen Einrichtungen beliessen das Weib
ausserhalb der gelehrten Verrichtungen, während innerhalb der
Männerwelt die Industrie der Gelehrtenausbildung ihren allge-
meinen Rohstoff, das Menschenmaterial, fortwährend in bestimmten
Mengen verarbeitete. Bei letzterer Massenproduction mussten sich
ab und zu einzelne besonders gelungene Exemplare ergeben;
denn nach Grundsätzen der Wahrscheinlichkeitsveranschlagung
sind nur bei einer grossen Auswahl regelmässige Aussichten vor-
handen, gelegentlich etwas von Natur Besseres und zugleich in
der wissenschaftlichen Cultur Erfolgreicheres hervorzuziehen. Die
Frauen sind aber nur in rein zufälliger Weise und ganz nebenbei
dazu gelangt, an der Pflege der Wissenschaften theilzunehmen.
Kein Wunder daher, dass sie in der Wissenschaftsgeschichte nur
ausnahmsweise mit eigentlichen Grössen vertreten sind.

In den Zwischen- und Halbwissenschaften, die unter dem
Niveau des strengen Denkens und der Mathematik stehen, haben
sich übrigens in neuster Zeit die weiblichen Betheiligungsfälle
vermehrt, aber nichts weiter bewiesen , als dass auch hier die
gewöhnlichen Auszeichnungen sehr wohl mit den entsprechenden
männlichen gelehrten Existenzen zu concurriren im Stande sind
und dies noch mehr vermögen würden, wenn sie sich nicht durch
den falschen Autoritätsrespect, der in ihnen der Männerliteratur
gegenüber unwillkürlich wirksam ist, beengt und niedergehalten
fänden. Miss Martineau, die Bearbeiterin des berühmten fran-
zösischen Philosophen August Comte, die Schriftstellerin in po-
pulärer Volkswirthschaftslehre und die Urheberin eines Werks
über die neuste Geschichte Englands, kann immerhin als acht-
bares Beispiel für das in den Halb- und Zwischenwissenschaften
regsam gewordene und nicht ohne Erfolg gebliebene Frauen-
streben gelten. Auch die Frau Stuart Mills, des Logikers und
Nationalökonomen, der sich den Fortschritt des weiblichen Ge-
schlechts zur gesellschaftlichen und politischen Selbständigkeit
wohl unter den früheren Autoren am meisten hat angelegen sein

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[9/0018] Wenn die Beispiele ersten Ranges, verglichen mit denen zweiter und dritter Ordnung, nur spärlich oder gar vereinzelt anzutreffen sind, so entspricht dies nicht etwa blos jener Selten- heit des Vorzüglichen, die der Männer- und Frauenwelt gemein- sam ist, sondern es kommt im Bereich des weiblichen Geschlechts auch noch der hochwichtige Umstand hinzu, dass hier Anregung und Gelegenheit zum Wissenschaftsbetrieb fast gänzlich gefehlt haben. Die gesellschaftlichen Einrichtungen beliessen das Weib ausserhalb der gelehrten Verrichtungen, während innerhalb der Männerwelt die Industrie der Gelehrtenausbildung ihren allge- meinen Rohstoff, das Menschenmaterial, fortwährend in bestimmten Mengen verarbeitete. Bei letzterer Massenproduction mussten sich ab und zu einzelne besonders gelungene Exemplare ergeben; denn nach Grundsätzen der Wahrscheinlichkeitsveranschlagung sind nur bei einer grossen Auswahl regelmässige Aussichten vor- handen, gelegentlich etwas von Natur Besseres und zugleich in der wissenschaftlichen Cultur Erfolgreicheres hervorzuziehen. Die Frauen sind aber nur in rein zufälliger Weise und ganz nebenbei dazu gelangt, an der Pflege der Wissenschaften theilzunehmen. Kein Wunder daher, dass sie in der Wissenschaftsgeschichte nur ausnahmsweise mit eigentlichen Grössen vertreten sind. In den Zwischen- und Halbwissenschaften, die unter dem Niveau des strengen Denkens und der Mathematik stehen, haben sich übrigens in neuster Zeit die weiblichen Betheiligungsfälle vermehrt, aber nichts weiter bewiesen , als dass auch hier die gewöhnlichen Auszeichnungen sehr wohl mit den entsprechenden männlichen gelehrten Existenzen zu concurriren im Stande sind und dies noch mehr vermögen würden, wenn sie sich nicht durch den falschen Autoritätsrespect, der in ihnen der Männerliteratur gegenüber unwillkürlich wirksam ist, beengt und niedergehalten fänden. Miss Martineau, die Bearbeiterin des berühmten fran- zösischen Philosophen August Comte, die Schriftstellerin in po- pulärer Volkswirthschaftslehre und die Urheberin eines Werks über die neuste Geschichte Englands, kann immerhin als acht- bares Beispiel für das in den Halb- und Zwischenwissenschaften regsam gewordene und nicht ohne Erfolg gebliebene Frauen- streben gelten. Auch die Frau Stuart Mills, des Logikers und Nationalökonomen, der sich den Fortschritt des weiblichen Ge- schlechts zur gesellschaftlichen und politischen Selbständigkeit wohl unter den früheren Autoren am meisten hat angelegen sein

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Zitationshilfe: Dühring, Eugen: Der Weg zur höheren Berufsbildung der Frauen und die Lehrweise der Universitäten. 2. Aufl. Leipzig, 1885, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/duehring_berufsbildung_1885/18>, abgerufen am 25.04.2024.