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Dühring, Eugen: Der Weg zur höheren Berufsbildung der Frauen und die Lehrweise der Universitäten. 2. Aufl. Leipzig, 1885.

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üben, wo doch die Sache selbst die ungenirteste Mittheilung aller
auf die Gesundheit von Körper und Gemüth bezüglichen That-
sachen erfordert. Grade wer nicht zu den Verehrern des con-
ventionellen und in so vielen Punkten durchaus abseits gerathenen
Anstandes gehört, wird den wirklichen Naturgesetzen, wie sie
sich in den Veredelungen einer echten Cultur auszuprägen haben,
volle Rechnung tragen. Man findet es noch vielfach ungeheuer-
lich und gefährlich, dass Studirende beider Geschlechter zusam-
men denselben Vortrag anhören; aber eben dieselben Profes-
sörchen oder sonstigen Jünger des sich seltsam widersprechenden
Geistes alter Vorurtheile stellen sich lächelnd an, wenn man in
der Behandlung der Frauen aller Altersstufen durch Aerzte, die
ebenfalls allerlei Varianten der Altersentwicklung angehören, eine
lästige Unzuträglichkeit sieht. Der Rath, den Mephisto-Goethe
dem angehenden Studirenden zu Gunsten der vortrefflichen
Chancen der Medicin gab, dürfte zwar für alle Zeit die Quelle
von der er ausging, gekennzeichnet, aber doch auch ebenso eine
wohlbeobachtete Wahrheit enthalten haben und einen unver-
äusserlichen Zug der ärztlichen Praxis bilden, für den sich frei-
lich die grössere oder geringere Ausdehnung nicht statistisch fest-
gestellt findet. Dieser edle Rath bestand bekanntlich darin, die
Angelegenheiten der Gesundheit getrost dem Lauf der Dinge
anheimzugeben, da sich ja doch nichts machen lasse, und zu der
Frivolität der Wissenschaft oder vielmehr Unwissenheit die Fri-
volität des Lebens durch Benutzung der Annährungen an die
Weiber bei jeder günstigen Gelegenheit hinzuzufügen. Denkt
man auch überdies an die mannichfaltige Rolle der ärztlichen
Hauspriester, so wird man es nur um so mehr in der Ordnung
finden, dass die medicinischen Beichtväter der weiblichen Be-
völkerung doch wenigstens mit Beichtmüttern vertauscht werden,
wenn es auch überhaupt von einem modern freien Standpunkt
aus gar nicht angeht, eine Art ärztlicher Seelsorge, also irgend
ein Anstreifen der durchsichtig und klar sein sollenden Heil-
praxis an das alte, dem Kindheitsstadium der Völker angehörige
Heilpriesterthum zu gestatten. Eben um die Aerzte zu nöthigen,
aus dem Nebelreich, in welchem die Autorität ihres verschleierten
Wissens oder Wissenwollens so schön gedeiht, an das Licht her-
vorzutreten, müssen ihnen Concurrentinnen beigegeben werden,
die wenigstens in einem Hauptpunkte keine Veranlassung zu
Mystificationen haben.

üben, wo doch die Sache selbst die ungenirteste Mittheilung aller
auf die Gesundheit von Körper und Gemüth bezüglichen That-
sachen erfordert. Grade wer nicht zu den Verehrern des con-
ventionellen und in so vielen Punkten durchaus abseits gerathenen
Anstandes gehört, wird den wirklichen Naturgesetzen, wie sie
sich in den Veredelungen einer echten Cultur auszuprägen haben,
volle Rechnung tragen. Man findet es noch vielfach ungeheuer-
lich und gefährlich, dass Studirende beider Geschlechter zusam-
men denselben Vortrag anhören; aber eben dieselben Profes-
sörchen oder sonstigen Jünger des sich seltsam widersprechenden
Geistes alter Vorurtheile stellen sich lächelnd an, wenn man in
der Behandlung der Frauen aller Altersstufen durch Aerzte, die
ebenfalls allerlei Varianten der Altersentwicklung angehören, eine
lästige Unzuträglichkeit sieht. Der Rath, den Mephisto–Goethe
dem angehenden Studirenden zu Gunsten der vortrefflichen
Chancen der Medicin gab, dürfte zwar für alle Zeit die Quelle
von der er ausging, gekennzeichnet, aber doch auch ebenso eine
wohlbeobachtete Wahrheit enthalten haben und einen unver-
äusserlichen Zug der ärztlichen Praxis bilden, für den sich frei-
lich die grössere oder geringere Ausdehnung nicht statistisch fest-
gestellt findet. Dieser edle Rath bestand bekanntlich darin, die
Angelegenheiten der Gesundheit getrost dem Lauf der Dinge
anheimzugeben, da sich ja doch nichts machen lasse, und zu der
Frivolität der Wissenschaft oder vielmehr Unwissenheit die Fri-
volität des Lebens durch Benutzung der Annährungen an die
Weiber bei jeder günstigen Gelegenheit hinzuzufügen. Denkt
man auch überdies an die mannichfaltige Rolle der ärztlichen
Hauspriester, so wird man es nur um so mehr in der Ordnung
finden, dass die medicinischen Beichtväter der weiblichen Be-
völkerung doch wenigstens mit Beichtmüttern vertauscht werden,
wenn es auch überhaupt von einem modern freien Standpunkt
aus gar nicht angeht, eine Art ärztlicher Seelsorge, also irgend
ein Anstreifen der durchsichtig und klar sein sollenden Heil-
praxis an das alte, dem Kindheitsstadium der Völker angehörige
Heilpriesterthum zu gestatten. Eben um die Aerzte zu nöthigen,
aus dem Nebelreich, in welchem die Autorität ihres verschleierten
Wissens oder Wissenwollens so schön gedeiht, an das Licht her-
vorzutreten, müssen ihnen Concurrentinnen beigegeben werden,
die wenigstens in einem Hauptpunkte keine Veranlassung zu
Mystificationen haben.

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[13/0022] üben, wo doch die Sache selbst die ungenirteste Mittheilung aller auf die Gesundheit von Körper und Gemüth bezüglichen That- sachen erfordert. Grade wer nicht zu den Verehrern des con- ventionellen und in so vielen Punkten durchaus abseits gerathenen Anstandes gehört, wird den wirklichen Naturgesetzen, wie sie sich in den Veredelungen einer echten Cultur auszuprägen haben, volle Rechnung tragen. Man findet es noch vielfach ungeheuer- lich und gefährlich, dass Studirende beider Geschlechter zusam- men denselben Vortrag anhören; aber eben dieselben Profes- sörchen oder sonstigen Jünger des sich seltsam widersprechenden Geistes alter Vorurtheile stellen sich lächelnd an, wenn man in der Behandlung der Frauen aller Altersstufen durch Aerzte, die ebenfalls allerlei Varianten der Altersentwicklung angehören, eine lästige Unzuträglichkeit sieht. Der Rath, den Mephisto–Goethe dem angehenden Studirenden zu Gunsten der vortrefflichen Chancen der Medicin gab, dürfte zwar für alle Zeit die Quelle von der er ausging, gekennzeichnet, aber doch auch ebenso eine wohlbeobachtete Wahrheit enthalten haben und einen unver- äusserlichen Zug der ärztlichen Praxis bilden, für den sich frei- lich die grössere oder geringere Ausdehnung nicht statistisch fest- gestellt findet. Dieser edle Rath bestand bekanntlich darin, die Angelegenheiten der Gesundheit getrost dem Lauf der Dinge anheimzugeben, da sich ja doch nichts machen lasse, und zu der Frivolität der Wissenschaft oder vielmehr Unwissenheit die Fri- volität des Lebens durch Benutzung der Annährungen an die Weiber bei jeder günstigen Gelegenheit hinzuzufügen. Denkt man auch überdies an die mannichfaltige Rolle der ärztlichen Hauspriester, so wird man es nur um so mehr in der Ordnung finden, dass die medicinischen Beichtväter der weiblichen Be- völkerung doch wenigstens mit Beichtmüttern vertauscht werden, wenn es auch überhaupt von einem modern freien Standpunkt aus gar nicht angeht, eine Art ärztlicher Seelsorge, also irgend ein Anstreifen der durchsichtig und klar sein sollenden Heil- praxis an das alte, dem Kindheitsstadium der Völker angehörige Heilpriesterthum zu gestatten. Eben um die Aerzte zu nöthigen, aus dem Nebelreich, in welchem die Autorität ihres verschleierten Wissens oder Wissenwollens so schön gedeiht, an das Licht her- vorzutreten, müssen ihnen Concurrentinnen beigegeben werden, die wenigstens in einem Hauptpunkte keine Veranlassung zu Mystificationen haben.

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Zitationshilfe: Dühring, Eugen: Der Weg zur höheren Berufsbildung der Frauen und die Lehrweise der Universitäten. 2. Aufl. Leipzig, 1885, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/duehring_berufsbildung_1885/22>, abgerufen am 28.03.2024.