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Dühring, Eugen: Der Weg zur höheren Berufsbildung der Frauen und die Lehrweise der Universitäten. 2. Aufl. Leipzig, 1885.

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Frauen sittliche Missverhältnisse möglich wären, und dass, wer
diesen nicht vorbeugen könne, sich auch nicht einfallen lassen
solle, an dem herrlichen Männerunterricht moralisch zu mäkeln.
Auf diesen Einwand erwidere ich im Voraus, dass allerdings ja
auch die Schulen für junge Leute männlichen Geschlechts nicht
so ganz frei von Verhältnissen bleiben, die auf einer Sittenver-
irrung zwischen Lehrern und Schülern beruhen; dass aber diese
Verstösse gegen die gesunde Natur eben Abnormitäten sind, die
man zu bekämpfen hat, während im Falle der Verschiedenheit
der Geschlechter die allernormalsten Naturgesetze selbst die ver-
werflichen Störungen verursachen.

Auf die Gefahr hin, von Leuten mit einem engen Horizont
gradezu der moralischen Pedanterie angeschuldigt zu werden,
habe ich das entscheidende Grundverhältniss gekennzeichnet,
welches bei dem männlichen Unterricht junger Mädchen und
zwar ganz besonders dann störend werden muss, wenn ein
Schülerinnpublicum in Frage kommt, welches der heute üb-
lichen Altersstufe um einige Jahre voraus ist. Weibliche Stu-
dirende, das Wort Studirende nach altem Stil als blosse Anhörer
einer trocknen Universitätsvorlesung verstanden, mag man sich
in ihrem Verhältniss zum sogenannten Lehrer hinreichend apa-
thisch denken, um von keiner Seite affective Anregungen zu be-
sorgen, zumal wenn der Professor activ und passiv über alles
Menschliche hinaus und von ihm sozusagen nur das nöthige
Gestell übriggeblieben ist, um die dürren vergilbten Blätter seines
ihm ebenbürtigen Heftes umzuschlagen. An diese aus dem
frischeren Menschenleben ausrangirten Adressen, unter denen sich
vielleicht auch einige Autoritäten finden, mag man sich allenfalls
halten, wenn es gilt, für die Frauen die formelle Brücke auszu-
spähen, auf der sie, ehe ihre eignen Einrichtungen geschaffen
sind, zu den allerersten Berechtigungen und Zeugnissen gelangen
können. Derartige vertrocknete Harmlosigkeiten stellen aber
glücklicherweise nicht das Gesetz der frischen und gesunden
Natur dar und sind am allerwenigsten da zu gewärtigen, wo es
sich um einen lebensvollen, womöglich auf gegenseitigem Ge-
dankenaustausch beruhenden Unterricht höherer und höchster
Art handeln soll. Hier wird grade das Weib für das Weib der
natürlichste Beistand sein, und diese Wahrheit wird gelten, auch
ohne dass man soweit geht, etwa mit Sokrates die wahrhaft

Frauen sittliche Missverhältnisse möglich wären, und dass, wer
diesen nicht vorbeugen könne, sich auch nicht einfallen lassen
solle, an dem herrlichen Männerunterricht moralisch zu mäkeln.
Auf diesen Einwand erwidere ich im Voraus, dass allerdings ja
auch die Schulen für junge Leute männlichen Geschlechts nicht
so ganz frei von Verhältnissen bleiben, die auf einer Sittenver-
irrung zwischen Lehrern und Schülern beruhen; dass aber diese
Verstösse gegen die gesunde Natur eben Abnormitäten sind, die
man zu bekämpfen hat, während im Falle der Verschiedenheit
der Geschlechter die allernormalsten Naturgesetze selbst die ver-
werflichen Störungen verursachen.

Auf die Gefahr hin, von Leuten mit einem engen Horizont
gradezu der moralischen Pedanterie angeschuldigt zu werden,
habe ich das entscheidende Grundverhältniss gekennzeichnet,
welches bei dem männlichen Unterricht junger Mädchen und
zwar ganz besonders dann störend werden muss, wenn ein
Schülerinnpublicum in Frage kommt, welches der heute üb-
lichen Altersstufe um einige Jahre voraus ist. Weibliche Stu-
dirende, das Wort Studirende nach altem Stil als blosse Anhörer
einer trocknen Universitätsvorlesung verstanden, mag man sich
in ihrem Verhältniss zum sogenannten Lehrer hinreichend apa-
thisch denken, um von keiner Seite affective Anregungen zu be-
sorgen, zumal wenn der Professor activ und passiv über alles
Menschliche hinaus und von ihm sozusagen nur das nöthige
Gestell übriggeblieben ist, um die dürren vergilbten Blätter seines
ihm ebenbürtigen Heftes umzuschlagen. An diese aus dem
frischeren Menschenleben ausrangirten Adressen, unter denen sich
vielleicht auch einige Autoritäten finden, mag man sich allenfalls
halten, wenn es gilt, für die Frauen die formelle Brücke auszu-
spähen, auf der sie, ehe ihre eignen Einrichtungen geschaffen
sind, zu den allerersten Berechtigungen und Zeugnissen gelangen
können. Derartige vertrocknete Harmlosigkeiten stellen aber
glücklicherweise nicht das Gesetz der frischen und gesunden
Natur dar und sind am allerwenigsten da zu gewärtigen, wo es
sich um einen lebensvollen, womöglich auf gegenseitigem Ge-
dankenaustausch beruhenden Unterricht höherer und höchster
Art handeln soll. Hier wird grade das Weib für das Weib der
natürlichste Beistand sein, und diese Wahrheit wird gelten, auch
ohne dass man soweit geht, etwa mit Sokrates die wahrhaft

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[24/0033] Frauen sittliche Missverhältnisse möglich wären, und dass, wer diesen nicht vorbeugen könne, sich auch nicht einfallen lassen solle, an dem herrlichen Männerunterricht moralisch zu mäkeln. Auf diesen Einwand erwidere ich im Voraus, dass allerdings ja auch die Schulen für junge Leute männlichen Geschlechts nicht so ganz frei von Verhältnissen bleiben, die auf einer Sittenver- irrung zwischen Lehrern und Schülern beruhen; dass aber diese Verstösse gegen die gesunde Natur eben Abnormitäten sind, die man zu bekämpfen hat, während im Falle der Verschiedenheit der Geschlechter die allernormalsten Naturgesetze selbst die ver- werflichen Störungen verursachen. Auf die Gefahr hin, von Leuten mit einem engen Horizont gradezu der moralischen Pedanterie angeschuldigt zu werden, habe ich das entscheidende Grundverhältniss gekennzeichnet, welches bei dem männlichen Unterricht junger Mädchen und zwar ganz besonders dann störend werden muss, wenn ein Schülerinnpublicum in Frage kommt, welches der heute üb- lichen Altersstufe um einige Jahre voraus ist. Weibliche Stu- dirende, das Wort Studirende nach altem Stil als blosse Anhörer einer trocknen Universitätsvorlesung verstanden, mag man sich in ihrem Verhältniss zum sogenannten Lehrer hinreichend apa- thisch denken, um von keiner Seite affective Anregungen zu be- sorgen, zumal wenn der Professor activ und passiv über alles Menschliche hinaus und von ihm sozusagen nur das nöthige Gestell übriggeblieben ist, um die dürren vergilbten Blätter seines ihm ebenbürtigen Heftes umzuschlagen. An diese aus dem frischeren Menschenleben ausrangirten Adressen, unter denen sich vielleicht auch einige Autoritäten finden, mag man sich allenfalls halten, wenn es gilt, für die Frauen die formelle Brücke auszu- spähen, auf der sie, ehe ihre eignen Einrichtungen geschaffen sind, zu den allerersten Berechtigungen und Zeugnissen gelangen können. Derartige vertrocknete Harmlosigkeiten stellen aber glücklicherweise nicht das Gesetz der frischen und gesunden Natur dar und sind am allerwenigsten da zu gewärtigen, wo es sich um einen lebensvollen, womöglich auf gegenseitigem Ge- dankenaustausch beruhenden Unterricht höherer und höchster Art handeln soll. Hier wird grade das Weib für das Weib der natürlichste Beistand sein, und diese Wahrheit wird gelten, auch ohne dass man soweit geht, etwa mit Sokrates die wahrhaft

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Zitationshilfe: Dühring, Eugen: Der Weg zur höheren Berufsbildung der Frauen und die Lehrweise der Universitäten. 2. Aufl. Leipzig, 1885, S. 24. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/duehring_berufsbildung_1885/33>, abgerufen am 25.04.2024.