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Dühring, Eugen: Der Weg zur höheren Berufsbildung der Frauen und die Lehrweise der Universitäten. 2. Aufl. Leipzig, 1885.

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wirksame Belehrung in einer Art geistigen Geburtshülfe zur Ent-
bindung der eignen Gedanken des Lernenden suchen zu wollen.

Das Lehrerthum männlichen Geschlechts, welches sich vor-
wiegend im Besitz der Lehrstellen an sogenannten höhern Töchter-
schulen befindet, weiss nicht genug von seiner eignen Ueber-
legenheit zu rühmen. Die weiblichen Lehrkräfte sind ihm nur
Existenzen zweiter oder, sagen wir lieber gleich, dritter Classe;
denn zwischen der didaktischen und pädagogischen Grösse der
Männchen und derjenigen der Weibchen muss natürlich noch
eine unausgefüllte Kluft bestehen und eine Nummer offengelassen
werden. Diese Eitelkeit ist nun unter allen Umständen übel an-
gebracht und könnte in ihrer Hohlheit leicht aufgedeckt werden,
wenn man sich die Mühe nähme, die Kenntnisse und die Lehr-
virtuosität der fraglichen männlichen Unterrichtsfunctionäre nach
absolutem Maass zu veranschlagen. Indessen mag, wie die Dinge
sich heut stellen, allerdings relativ ein Unterschied bestehen, der
darauf beruht, dass die Ausbildung in den Schulen für weibliche
Lehrerinnen unzureichender ist, als die mannichfaltigen Gelegen-
heiten, die für die Zurichtung männlicher Lehrkräfte vorhanden
sind. Es sind hienach ungleichartige Vorbildungsfrüchte, die mit-
einander concurriren, und man muss sich noch wundern, dass
Angesichts dieser Benachtheiligung überhaupt von weiblicher
Seite noch einige Concurrenz möglich bleibt. Sieht man sich die
Bildung derjenigen weiblichen Lehrerinnen an, die ihre Kennt-
nisse und ihre Einschulung beispielsweise solchen Anstalten, wie
dem Berliner Seminar, zu verdanken und die entsprechende Prü-
fung gehörig bestanden haben, so ist dieser höchste Gipfel, zu
dem bis jetzt die Frauen im Lehrfach gelangen, allerdings in
einem sehr bescheidenen Niveau verblieben. Das Wachsthum des
Bäumchens ist sorgsam bemessen, und überdies eine natürliche
Erhebung in grader Linie noch durch das niederziehende Ge-
wicht von allerlei Verbildungsmaterial unmöglich gemacht. Die
Quälerei ist gross und das Ergebniss klein; aber wie sollte es
auch anders sein in Zuständen, in denen man die weiblichen
Lehrkräfte nachher oft in so herrlich verkehrter Weise vernutzt,
indem man sie, wie dies beispielsweise die Stadt Berlin aus dem
Grunde verstanden hat, die sonst für so zart ausgegebenen
Anlagen in einer recht groben Hantirung, nämlich an wohlgefüllten
Knabenclassen zu bethätigen nöthigt. Der Staat und die Ge-
meinden sind freilich mit den Elementarschulen in arger Ver-

wirksame Belehrung in einer Art geistigen Geburtshülfe zur Ent-
bindung der eignen Gedanken des Lernenden suchen zu wollen.

Das Lehrerthum männlichen Geschlechts, welches sich vor-
wiegend im Besitz der Lehrstellen an sogenannten höhern Töchter-
schulen befindet, weiss nicht genug von seiner eignen Ueber-
legenheit zu rühmen. Die weiblichen Lehrkräfte sind ihm nur
Existenzen zweiter oder, sagen wir lieber gleich, dritter Classe;
denn zwischen der didaktischen und pädagogischen Grösse der
Männchen und derjenigen der Weibchen muss natürlich noch
eine unausgefüllte Kluft bestehen und eine Nummer offengelassen
werden. Diese Eitelkeit ist nun unter allen Umständen übel an-
gebracht und könnte in ihrer Hohlheit leicht aufgedeckt werden,
wenn man sich die Mühe nähme, die Kenntnisse und die Lehr-
virtuosität der fraglichen männlichen Unterrichtsfunctionäre nach
absolutem Maass zu veranschlagen. Indessen mag, wie die Dinge
sich heut stellen, allerdings relativ ein Unterschied bestehen, der
darauf beruht, dass die Ausbildung in den Schulen für weibliche
Lehrerinnen unzureichender ist, als die mannichfaltigen Gelegen-
heiten, die für die Zurichtung männlicher Lehrkräfte vorhanden
sind. Es sind hienach ungleichartige Vorbildungsfrüchte, die mit-
einander concurriren, und man muss sich noch wundern, dass
Angesichts dieser Benachtheiligung überhaupt von weiblicher
Seite noch einige Concurrenz möglich bleibt. Sieht man sich die
Bildung derjenigen weiblichen Lehrerinnen an, die ihre Kennt-
nisse und ihre Einschulung beispielsweise solchen Anstalten, wie
dem Berliner Seminar, zu verdanken und die entsprechende Prü-
fung gehörig bestanden haben, so ist dieser höchste Gipfel, zu
dem bis jetzt die Frauen im Lehrfach gelangen, allerdings in
einem sehr bescheidenen Niveau verblieben. Das Wachsthum des
Bäumchens ist sorgsam bemessen, und überdies eine natürliche
Erhebung in grader Linie noch durch das niederziehende Ge-
wicht von allerlei Verbildungsmaterial unmöglich gemacht. Die
Quälerei ist gross und das Ergebniss klein; aber wie sollte es
auch anders sein in Zuständen, in denen man die weiblichen
Lehrkräfte nachher oft in so herrlich verkehrter Weise vernutzt,
indem man sie, wie dies beispielsweise die Stadt Berlin aus dem
Grunde verstanden hat, die sonst für so zart ausgegebenen
Anlagen in einer recht groben Hantirung, nämlich an wohlgefüllten
Knabenclassen zu bethätigen nöthigt. Der Staat und die Ge-
meinden sind freilich mit den Elementarschulen in arger Ver-

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[25/0034] wirksame Belehrung in einer Art geistigen Geburtshülfe zur Ent- bindung der eignen Gedanken des Lernenden suchen zu wollen. Das Lehrerthum männlichen Geschlechts, welches sich vor- wiegend im Besitz der Lehrstellen an sogenannten höhern Töchter- schulen befindet, weiss nicht genug von seiner eignen Ueber- legenheit zu rühmen. Die weiblichen Lehrkräfte sind ihm nur Existenzen zweiter oder, sagen wir lieber gleich, dritter Classe; denn zwischen der didaktischen und pädagogischen Grösse der Männchen und derjenigen der Weibchen muss natürlich noch eine unausgefüllte Kluft bestehen und eine Nummer offengelassen werden. Diese Eitelkeit ist nun unter allen Umständen übel an- gebracht und könnte in ihrer Hohlheit leicht aufgedeckt werden, wenn man sich die Mühe nähme, die Kenntnisse und die Lehr- virtuosität der fraglichen männlichen Unterrichtsfunctionäre nach absolutem Maass zu veranschlagen. Indessen mag, wie die Dinge sich heut stellen, allerdings relativ ein Unterschied bestehen, der darauf beruht, dass die Ausbildung in den Schulen für weibliche Lehrerinnen unzureichender ist, als die mannichfaltigen Gelegen- heiten, die für die Zurichtung männlicher Lehrkräfte vorhanden sind. Es sind hienach ungleichartige Vorbildungsfrüchte, die mit- einander concurriren, und man muss sich noch wundern, dass Angesichts dieser Benachtheiligung überhaupt von weiblicher Seite noch einige Concurrenz möglich bleibt. Sieht man sich die Bildung derjenigen weiblichen Lehrerinnen an, die ihre Kennt- nisse und ihre Einschulung beispielsweise solchen Anstalten, wie dem Berliner Seminar, zu verdanken und die entsprechende Prü- fung gehörig bestanden haben, so ist dieser höchste Gipfel, zu dem bis jetzt die Frauen im Lehrfach gelangen, allerdings in einem sehr bescheidenen Niveau verblieben. Das Wachsthum des Bäumchens ist sorgsam bemessen, und überdies eine natürliche Erhebung in grader Linie noch durch das niederziehende Ge- wicht von allerlei Verbildungsmaterial unmöglich gemacht. Die Quälerei ist gross und das Ergebniss klein; aber wie sollte es auch anders sein in Zuständen, in denen man die weiblichen Lehrkräfte nachher oft in so herrlich verkehrter Weise vernutzt, indem man sie, wie dies beispielsweise die Stadt Berlin aus dem Grunde verstanden hat, die sonst für so zart ausgegebenen Anlagen in einer recht groben Hantirung, nämlich an wohlgefüllten Knabenclassen zu bethätigen nöthigt. Der Staat und die Ge- meinden sind freilich mit den Elementarschulen in arger Ver-

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Zitationshilfe: Dühring, Eugen: Der Weg zur höheren Berufsbildung der Frauen und die Lehrweise der Universitäten. 2. Aufl. Leipzig, 1885, S. 25. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/duehring_berufsbildung_1885/34>, abgerufen am 24.04.2024.