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Dühring, Eugen: Der Weg zur höheren Berufsbildung der Frauen und die Lehrweise der Universitäten. 2. Aufl. Leipzig, 1885.

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Schulung und Erziehung einen Platz zu beanspruchen haben;
indessen ist hier nicht ein vollständiger Entwurf, sondern nur
eine solche Auseinandersetzung mit dem Bisherigen in Absicht,
vermöge deren die zu schaffenden weiblichen Bildungseinrich-
tungen eine unterschiedliche Kennzeichnung erfahren.

Nennen wir die weiblichen Anstalten, welche die Gymnasien
und Realschulen durch etwas Besseres ersetzen sollen, kurzweg
höhere Vorschulen, so ist in diesem Ausdruck zugleich angedeutet,
dass der Hinblick auf den einstigen praktischen Beruf auch das
Maass fiir die in diese Vorschulung hineinverwebte allgemeine
Bildung geliefert hat. Die sogenannten Lyceen aber, deren man
eines in Berlin und einige verwandte Gegenstücke in andern
grössern Städten Deutschlands wesentlich als private Unter-
nehmungen in Gang gebracht hat, können nicht im Entferntesten
für etwas gelten, was sich in ein praktisches Berufssystem oder
auch nur in ein rein theoretisch abgestuftes Bildungssystem ein-
fügte. Ich werde hier nur nach dem Berliner Mustergebilde ur-
theilen, welches ich genau genug kenne, und an welchem mir,
wie die vorletzte Nummer dieser Schrift zeigt, der Contrast
zwischen systematischer Initiative und zerfahrener Mengselei von
allerlei in unverbundener Planlosigkeit zusammengewürfelten
Bildungsvorlesungen, bald solchen der niedrigsten Art, bald
solchen mit höheren Ansprüchen, nahe genug getreten ist. Schon
der Name ist irreleitend; in Frankreich weiss man allerdings,
was man für die männliche Jugend unter Lyceen zu verstehen
hat; wir wenigstens denken uns diese französischen Institute
ziemlich zutreffend, wenn wir sie ungefähr als Parallelen unserer
Gymnasien betrachten. Nun ist aber das weibliche Lyceum in
Berlin mit einem Gymnasium oder einer Realschule oder gar mit
dem, was wir höhere Vorschule genannt haben, nicht zu ver-
gleichen. Der Namengeber, ein Aristotelesgelehrter Geheimrath,
mag wohl an das Lykeion des Aristoteles gedacht haben; aber
aus diesem Gesichtspunkt nimmt sich die Bezeichnung sogar noch
linkischer und komischer aus. Den Namen müssen wir also in
jeder Richtung ausser dem Spiele lassen und uns an die Sache
halten, welche in erster Linie eine Vorlesungsanstalt und zwar
zunächst für das Bedürfniss einer Art Bildungszerstreuung be-
deutet hat. Das Schwergewicht des Interesse fiel bei dem theil-
nehmenden Publicum, wie leicht begreiflich, auf solche Fächer wie
Kunstgeschichte und gelegentlich auch auf moderne Literatur, -

Schulung und Erziehung einen Platz zu beanspruchen haben;
indessen ist hier nicht ein vollständiger Entwurf, sondern nur
eine solche Auseinandersetzung mit dem Bisherigen in Absicht,
vermöge deren die zu schaffenden weiblichen Bildungseinrich-
tungen eine unterschiedliche Kennzeichnung erfahren.

Nennen wir die weiblichen Anstalten, welche die Gymnasien
und Realschulen durch etwas Besseres ersetzen sollen, kurzweg
höhere Vorschulen, so ist in diesem Ausdruck zugleich angedeutet,
dass der Hinblick auf den einstigen praktischen Beruf auch das
Maass fiir die in diese Vorschulung hineinverwebte allgemeine
Bildung geliefert hat. Die sogenannten Lyceen aber, deren man
eines in Berlin und einige verwandte Gegenstücke in andern
grössern Städten Deutschlands wesentlich als private Unter-
nehmungen in Gang gebracht hat, können nicht im Entferntesten
für etwas gelten, was sich in ein praktisches Berufssystem oder
auch nur in ein rein theoretisch abgestuftes Bildungssystem ein-
fügte. Ich werde hier nur nach dem Berliner Mustergebilde ur-
theilen, welches ich genau genug kenne, und an welchem mir,
wie die vorletzte Nummer dieser Schrift zeigt, der Contrast
zwischen systematischer Initiative und zerfahrener Mengselei von
allerlei in unverbundener Planlosigkeit zusammengewürfelten
Bildungsvorlesungen, bald solchen der niedrigsten Art, bald
solchen mit höheren Ansprüchen, nahe genug getreten ist. Schon
der Name ist irreleitend; in Frankreich weiss man allerdings,
was man für die männliche Jugend unter Lyceen zu verstehen
hat; wir wenigstens denken uns diese französischen Institute
ziemlich zutreffend, wenn wir sie ungefähr als Parallelen unserer
Gymnasien betrachten. Nun ist aber das weibliche Lyceum in
Berlin mit einem Gymnasium oder einer Realschule oder gar mit
dem, was wir höhere Vorschule genannt haben, nicht zu ver-
gleichen. Der Namengeber, ein Aristotelesgelehrter Geheimrath,
mag wohl an das Lykeion des Aristoteles gedacht haben; aber
aus diesem Gesichtspunkt nimmt sich die Bezeichnung sogar noch
linkischer und komischer aus. Den Namen müssen wir also in
jeder Richtung ausser dem Spiele lassen und uns an die Sache
halten, welche in erster Linie eine Vorlesungsanstalt und zwar
zunächst für das Bedürfniss einer Art Bildungszerstreuung be-
deutet hat. Das Schwergewicht des Interesse fiel bei dem theil-
nehmenden Publicum, wie leicht begreiflich, auf solche Fächer wie
Kunstgeschichte und gelegentlich auch auf moderne Literatur, –

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[30/0039] Schulung und Erziehung einen Platz zu beanspruchen haben; indessen ist hier nicht ein vollständiger Entwurf, sondern nur eine solche Auseinandersetzung mit dem Bisherigen in Absicht, vermöge deren die zu schaffenden weiblichen Bildungseinrich- tungen eine unterschiedliche Kennzeichnung erfahren. Nennen wir die weiblichen Anstalten, welche die Gymnasien und Realschulen durch etwas Besseres ersetzen sollen, kurzweg höhere Vorschulen, so ist in diesem Ausdruck zugleich angedeutet, dass der Hinblick auf den einstigen praktischen Beruf auch das Maass fiir die in diese Vorschulung hineinverwebte allgemeine Bildung geliefert hat. Die sogenannten Lyceen aber, deren man eines in Berlin und einige verwandte Gegenstücke in andern grössern Städten Deutschlands wesentlich als private Unter- nehmungen in Gang gebracht hat, können nicht im Entferntesten für etwas gelten, was sich in ein praktisches Berufssystem oder auch nur in ein rein theoretisch abgestuftes Bildungssystem ein- fügte. Ich werde hier nur nach dem Berliner Mustergebilde ur- theilen, welches ich genau genug kenne, und an welchem mir, wie die vorletzte Nummer dieser Schrift zeigt, der Contrast zwischen systematischer Initiative und zerfahrener Mengselei von allerlei in unverbundener Planlosigkeit zusammengewürfelten Bildungsvorlesungen, bald solchen der niedrigsten Art, bald solchen mit höheren Ansprüchen, nahe genug getreten ist. Schon der Name ist irreleitend; in Frankreich weiss man allerdings, was man für die männliche Jugend unter Lyceen zu verstehen hat; wir wenigstens denken uns diese französischen Institute ziemlich zutreffend, wenn wir sie ungefähr als Parallelen unserer Gymnasien betrachten. Nun ist aber das weibliche Lyceum in Berlin mit einem Gymnasium oder einer Realschule oder gar mit dem, was wir höhere Vorschule genannt haben, nicht zu ver- gleichen. Der Namengeber, ein Aristotelesgelehrter Geheimrath, mag wohl an das Lykeion des Aristoteles gedacht haben; aber aus diesem Gesichtspunkt nimmt sich die Bezeichnung sogar noch linkischer und komischer aus. Den Namen müssen wir also in jeder Richtung ausser dem Spiele lassen und uns an die Sache halten, welche in erster Linie eine Vorlesungsanstalt und zwar zunächst für das Bedürfniss einer Art Bildungszerstreuung be- deutet hat. Das Schwergewicht des Interesse fiel bei dem theil- nehmenden Publicum, wie leicht begreiflich, auf solche Fächer wie Kunstgeschichte und gelegentlich auch auf moderne Literatur, –

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Zitationshilfe: Dühring, Eugen: Der Weg zur höheren Berufsbildung der Frauen und die Lehrweise der Universitäten. 2. Aufl. Leipzig, 1885, S. 30. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/duehring_berufsbildung_1885/39>, abgerufen am 16.04.2024.