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Dühring, Eugen: Der Weg zur höheren Berufsbildung der Frauen und die Lehrweise der Universitäten. 2. Aufl. Leipzig, 1885.

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Zünfte sind nicht blos geschichtlich, sondern überhaupt un-
berechtigte Gebilde gewesen. Ihr Wesen oder vielmehr Unwesen
war die Ausschliesslichkeit, die Scheu vor der freien Concurrenz,
ja gradezu der familien- und vetterschaftliche Alleinbesitz des
Gewerbes. Letzteres selbst wurde als ein Mittel der monopo-
listischen Ausbeutung des Publicums und demgemäss als eine Art
abgepferchtes Privatrecht angesehen. Das zünftlerische Princip
ist nun in den materiellen Gewerben glücklich überwunden; aber
die mittelalterlichen Zunftgebilde sind gleich emporragenden
Ruinen in den Universitäten noch immer zu schauen. Gelehrte
Zünfte sind aber ihrem Wesen oder vielmehr Unwesen nach noch
schlimmer als diejenigen der gemeinen Handwerke; denn sie
sind nicht blos der Form, sondern auch dem Inhalt nach mittel-
alterlich und haben überdies den Nachtheil, dass die Wissenschaft
von der Unfreiheit weit ärger betroffen wird, als irgend ein ge-
wöhnliches Handwerkserzeugniss. Der Zunftstiefel oder Zunft-
rock mag immerhin an Geschmack und Billigkeit viel zu wün-
schen übriglassen; aber er ist doch wenigstens ein brauchbares
Ding, und nur selten wird die zünftlerische Unfreiheit daran
Schuld sein, wenn er drückt oder gar nicht sitzt. Von einem
zünftlerisch gearbeiteten Tisch lässt sich jedenfalls noch essen
und trinken, auch wenn Meister und Gesellenschaft schon arg
heruntergekommen wären und für den theuersten Preis das un-
beholfenste Möbel producirt hätten. Die zünftlerisch zubereitete
Wissenschaft ist aber oft eine ungeniessbare oder mindestens un-
verdauliche Speise; sie ist mit einer Menge Bestandtheilen ver-
setzt, die dem modernen Magen starke Indigestionen verursachen
müssen, wenn nicht schon zuvor die Zunge ihre Schuldigkeit
gethan und dem schmacklosen Zeug, soweit möglich, den Eingang
verwehrt hat. Ausserdem sind gelehrte Monopole und Aus-
schliesslichkeiten weit schlimmer als materielle; denn die Unfrei-
heit des Unterrichts muss das Erzeugniss weit mehr fälschen, als
die Unfreiheit des Handwerks. Die geistige Corruption, die im
Dunkel der unfreien Autoritätenwirthschaft um sich greift, ist
viel intensiver als die materielle. Die Herabziehung der Wissen-
schaft zu einem blossen Werkzeug der zünftlerischen Nahrungs -
und Versorgungsinteressen ist denn doch noch etwas Anderes, als
die Dienstbarmachung eines gemeinen Gewerbes für diesen, ihm ja
ganz naheliegenden und gewissermaassen auch natürlichen Haupt-
zweck. So sind denn seit dem 12. Jahrhundert die Universitäten

Zünfte sind nicht blos geschichtlich, sondern überhaupt un-
berechtigte Gebilde gewesen. Ihr Wesen oder vielmehr Unwesen
war die Ausschliesslichkeit, die Scheu vor der freien Concurrenz,
ja gradezu der familien- und vetterschaftliche Alleinbesitz des
Gewerbes. Letzteres selbst wurde als ein Mittel der monopo-
listischen Ausbeutung des Publicums und demgemäss als eine Art
abgepferchtes Privatrecht angesehen. Das zünftlerische Princip
ist nun in den materiellen Gewerben glücklich überwunden; aber
die mittelalterlichen Zunftgebilde sind gleich emporragenden
Ruinen in den Universitäten noch immer zu schauen. Gelehrte
Zünfte sind aber ihrem Wesen oder vielmehr Unwesen nach noch
schlimmer als diejenigen der gemeinen Handwerke; denn sie
sind nicht blos der Form, sondern auch dem Inhalt nach mittel-
alterlich und haben überdies den Nachtheil, dass die Wissenschaft
von der Unfreiheit weit ärger betroffen wird, als irgend ein ge-
wöhnliches Handwerkserzeugniss. Der Zunftstiefel oder Zunft-
rock mag immerhin an Geschmack und Billigkeit viel zu wün-
schen übriglassen; aber er ist doch wenigstens ein brauchbares
Ding, und nur selten wird die zünftlerische Unfreiheit daran
Schuld sein, wenn er drückt oder gar nicht sitzt. Von einem
zünftlerisch gearbeiteten Tisch lässt sich jedenfalls noch essen
und trinken, auch wenn Meister und Gesellenschaft schon arg
heruntergekommen wären und für den theuersten Preis das un-
beholfenste Möbel producirt hätten. Die zünftlerisch zubereitete
Wissenschaft ist aber oft eine ungeniessbare oder mindestens un-
verdauliche Speise; sie ist mit einer Menge Bestandtheilen ver-
setzt, die dem modernen Magen starke Indigestionen verursachen
müssen, wenn nicht schon zuvor die Zunge ihre Schuldigkeit
gethan und dem schmacklosen Zeug, soweit möglich, den Eingang
verwehrt hat. Ausserdem sind gelehrte Monopole und Aus-
schliesslichkeiten weit schlimmer als materielle; denn die Unfrei-
heit des Unterrichts muss das Erzeugniss weit mehr fälschen, als
die Unfreiheit des Handwerks. Die geistige Corruption, die im
Dunkel der unfreien Autoritätenwirthschaft um sich greift, ist
viel intensiver als die materielle. Die Herabziehung der Wissen-
schaft zu einem blossen Werkzeug der zünftlerischen Nahrungs -
und Versorgungsinteressen ist denn doch noch etwas Anderes, als
die Dienstbarmachung eines gemeinen Gewerbes für diesen, ihm ja
ganz naheliegenden und gewissermaassen auch natürlichen Haupt-
zweck. So sind denn seit dem 12. Jahrhundert die Universitäten

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[39/0048] Zünfte sind nicht blos geschichtlich, sondern überhaupt un- berechtigte Gebilde gewesen. Ihr Wesen oder vielmehr Unwesen war die Ausschliesslichkeit, die Scheu vor der freien Concurrenz, ja gradezu der familien- und vetterschaftliche Alleinbesitz des Gewerbes. Letzteres selbst wurde als ein Mittel der monopo- listischen Ausbeutung des Publicums und demgemäss als eine Art abgepferchtes Privatrecht angesehen. Das zünftlerische Princip ist nun in den materiellen Gewerben glücklich überwunden; aber die mittelalterlichen Zunftgebilde sind gleich emporragenden Ruinen in den Universitäten noch immer zu schauen. Gelehrte Zünfte sind aber ihrem Wesen oder vielmehr Unwesen nach noch schlimmer als diejenigen der gemeinen Handwerke; denn sie sind nicht blos der Form, sondern auch dem Inhalt nach mittel- alterlich und haben überdies den Nachtheil, dass die Wissenschaft von der Unfreiheit weit ärger betroffen wird, als irgend ein ge- wöhnliches Handwerkserzeugniss. Der Zunftstiefel oder Zunft- rock mag immerhin an Geschmack und Billigkeit viel zu wün- schen übriglassen; aber er ist doch wenigstens ein brauchbares Ding, und nur selten wird die zünftlerische Unfreiheit daran Schuld sein, wenn er drückt oder gar nicht sitzt. Von einem zünftlerisch gearbeiteten Tisch lässt sich jedenfalls noch essen und trinken, auch wenn Meister und Gesellenschaft schon arg heruntergekommen wären und für den theuersten Preis das un- beholfenste Möbel producirt hätten. Die zünftlerisch zubereitete Wissenschaft ist aber oft eine ungeniessbare oder mindestens un- verdauliche Speise; sie ist mit einer Menge Bestandtheilen ver- setzt, die dem modernen Magen starke Indigestionen verursachen müssen, wenn nicht schon zuvor die Zunge ihre Schuldigkeit gethan und dem schmacklosen Zeug, soweit möglich, den Eingang verwehrt hat. Ausserdem sind gelehrte Monopole und Aus- schliesslichkeiten weit schlimmer als materielle; denn die Unfrei- heit des Unterrichts muss das Erzeugniss weit mehr fälschen, als die Unfreiheit des Handwerks. Die geistige Corruption, die im Dunkel der unfreien Autoritätenwirthschaft um sich greift, ist viel intensiver als die materielle. Die Herabziehung der Wissen- schaft zu einem blossen Werkzeug der zünftlerischen Nahrungs - und Versorgungsinteressen ist denn doch noch etwas Anderes, als die Dienstbarmachung eines gemeinen Gewerbes für diesen, ihm ja ganz naheliegenden und gewissermaassen auch natürlichen Haupt- zweck. So sind denn seit dem 12. Jahrhundert die Universitäten

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Zitationshilfe: Dühring, Eugen: Der Weg zur höheren Berufsbildung der Frauen und die Lehrweise der Universitäten. 2. Aufl. Leipzig, 1885, S. 39. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/duehring_berufsbildung_1885/48>, abgerufen am 23.04.2024.