Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Fontane, Theodor: Meine Kinderjahre. Berlin, 1894.

Bild:
<< vorherige Seite

Temperament, nicht etwa auf ihren Religionseifer. Von diesem hatte sie keine Spur, war vielmehr eminent ein Kind der Aufklärungszeit, in der sie geboren, trotzdem sie, weil sie das Genferthum für vornehmer hielt, mit einem gewissen Nachdruck versicherte: "wir sind reformirt."

Gascogne und Cevennen lagen für meine Eltern, als sie geboren wurden, schon um mehr als hundert Jahre zurück, aber die Beziehungen zu Frankreich hatten Beide, wenn nicht in ihrem Herzen, so doch in ihrer Phantasie, nie ganz aufgegeben. Sie repräsentirten noch den unverfälschten Colonistenstolz. Weil sie aber stark empfinden mochten, daß mit ihren nachweisbaren Ahnen, die bei den Fontane's als Zinngießer, potiers d'etain, bei den Labrys als Strumpfwirker, faiseurs de bas, feststanden, nicht viel Staat zu machen sei, so ließen sie die amtlich geführte, kolonistische Stammtafel fallen und suchten statt dessen, auf gut Glück, nach vornehmen französischen Vetterschaften, also nach einem wirklichen oder eingebildeten Familienanhang, der, in der alten Heimath zurückgeblieben, sich mittlerweile zu Ruhm und Ansehn emporgearbeitet hatte.

Mein Vater hatte es darin leichter als meine Mutter, weil er wenigstens innerhalb seines Namens bleiben konnte. Zu Paris lebte nämlich, bis

Temperament, nicht etwa auf ihren Religionseifer. Von diesem hatte sie keine Spur, war vielmehr eminent ein Kind der Aufklärungszeit, in der sie geboren, trotzdem sie, weil sie das Genferthum für vornehmer hielt, mit einem gewissen Nachdruck versicherte: „wir sind reformirt.“

Gascogne und Cevennen lagen für meine Eltern, als sie geboren wurden, schon um mehr als hundert Jahre zurück, aber die Beziehungen zu Frankreich hatten Beide, wenn nicht in ihrem Herzen, so doch in ihrer Phantasie, nie ganz aufgegeben. Sie repräsentirten noch den unverfälschten Colonistenstolz. Weil sie aber stark empfinden mochten, daß mit ihren nachweisbaren Ahnen, die bei den Fontane’s als Zinngießer, potiers d’etain, bei den Labrys als Strumpfwirker, faiseurs de bas, feststanden, nicht viel Staat zu machen sei, so ließen sie die amtlich geführte, kolonistische Stammtafel fallen und suchten statt dessen, auf gut Glück, nach vornehmen französischen Vetterschaften, also nach einem wirklichen oder eingebildeten Familienanhang, der, in der alten Heimath zurückgeblieben, sich mittlerweile zu Ruhm und Ansehn emporgearbeitet hatte.

Mein Vater hatte es darin leichter als meine Mutter, weil er wenigstens innerhalb seines Namens bleiben konnte. Zu Paris lebte nämlich, bis

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0026" n="18"/>
Temperament, nicht etwa auf ihren Religionseifer. Von diesem hatte sie keine Spur, war vielmehr eminent ein Kind der Aufklärungszeit, in der sie geboren, trotzdem sie, weil sie das Genferthum für vornehmer hielt, mit einem gewissen Nachdruck versicherte: &#x201E;wir sind reformirt.&#x201C;</p>
        <p>Gascogne und Cevennen lagen für meine Eltern, als sie geboren wurden, schon um mehr als hundert Jahre zurück, aber die Beziehungen zu Frankreich hatten Beide, wenn nicht in ihrem Herzen, so doch in ihrer Phantasie, nie ganz aufgegeben. Sie repräsentirten noch den unverfälschten Colonistenstolz. Weil sie aber stark empfinden mochten, daß mit ihren nachweisbaren Ahnen, die bei den Fontane&#x2019;s als Zinngießer, <hi rendition="#aq">potiers d&#x2019;etain</hi>, bei den Labrys als Strumpfwirker, <hi rendition="#aq">faiseurs de bas</hi>, feststanden, nicht viel Staat zu machen sei, so ließen sie die amtlich geführte, kolonistische Stammtafel fallen und suchten statt dessen, auf gut Glück, nach vornehmen französischen Vetterschaften, also nach einem wirklichen oder eingebildeten Familienanhang, der, in der alten Heimath zurückgeblieben, sich mittlerweile zu Ruhm und Ansehn emporgearbeitet hatte.</p>
        <p>Mein Vater hatte es darin leichter als meine Mutter, weil er wenigstens innerhalb seines Namens bleiben konnte. Zu Paris lebte nämlich, bis
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[18/0026] Temperament, nicht etwa auf ihren Religionseifer. Von diesem hatte sie keine Spur, war vielmehr eminent ein Kind der Aufklärungszeit, in der sie geboren, trotzdem sie, weil sie das Genferthum für vornehmer hielt, mit einem gewissen Nachdruck versicherte: „wir sind reformirt.“ Gascogne und Cevennen lagen für meine Eltern, als sie geboren wurden, schon um mehr als hundert Jahre zurück, aber die Beziehungen zu Frankreich hatten Beide, wenn nicht in ihrem Herzen, so doch in ihrer Phantasie, nie ganz aufgegeben. Sie repräsentirten noch den unverfälschten Colonistenstolz. Weil sie aber stark empfinden mochten, daß mit ihren nachweisbaren Ahnen, die bei den Fontane’s als Zinngießer, potiers d’etain, bei den Labrys als Strumpfwirker, faiseurs de bas, feststanden, nicht viel Staat zu machen sei, so ließen sie die amtlich geführte, kolonistische Stammtafel fallen und suchten statt dessen, auf gut Glück, nach vornehmen französischen Vetterschaften, also nach einem wirklichen oder eingebildeten Familienanhang, der, in der alten Heimath zurückgeblieben, sich mittlerweile zu Ruhm und Ansehn emporgearbeitet hatte. Mein Vater hatte es darin leichter als meine Mutter, weil er wenigstens innerhalb seines Namens bleiben konnte. Zu Paris lebte nämlich, bis

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2013-01-21T13:30:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Digitale Drucke der Uni Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-01-21T13:30:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2013-01-21T13:30:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Als Grundlage dienen die Wikisource:Editionsrichtlinien.
  • Worttrennungen am Zeilenende werden ignoriert. Das Wort wird noch auf der gleichen Seite vervollständigt.
  • Die Transkription folgt im Übrigen dem Original.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_kinderjahre_1894
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_kinderjahre_1894/26
Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Meine Kinderjahre. Berlin, 1894, S. 18. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_kinderjahre_1894/26>, abgerufen am 20.04.2024.