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Fontane, Theodor: Meine Kinderjahre. Berlin, 1894.

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in die zwanziger Jahre dieses Jahrhunderts, Louis de Fontanes, seinerzeit Großmeister der Universität und Unterrichtsminister, der, unter Napoleon, bei den verschiedensten feierlichen Gelegenheiten, immer die großen Casualreden gehalten hatte, ein sehr kluger, sehr feiner, sehr vornehmer Herr, dessen Familie, wie man in allen Büchern nachlesen konnte, wirklich im südlichen Frankreich, wenn auch nicht zwischen Toulouse und Montpellier zu Hause war. Dieser wurde nun ohne Weiteres als Vetter erklärt, wobei der Umstand, daß er sich mit einem "s" schrieb, als besondrer und ausschlaggebender Beweis der Familienzugehörigkeit angesehn wurde. Unsre Familie wußte nämlich aus Tradition, daß auch mein Großvater, der Cabinetssekretair der Königin, sich, bis etwa zu Beginn des Jahrhunderts, "Fontanes" geschrieben und dann erst, aus unaufgeklärtem Grunde, das "s" weggelassen habe. Diese Tradition wurde durch allerhand Schriftstücke bestätigt, mein Vater aber ging weiter und nahm, weil es ihm so paßte, den durch die Schriftstücke geführten Beweis des Nebensächlichen zugleich als Beweis für die Hauptsache, mit andern Worten, die bewiesene Namensvetterschaft als bewiesene Blutsverwandtschaft. Was übrigens als ein glänzender Coup gelten konnte. Denn hätten wir

in die zwanziger Jahre dieses Jahrhunderts, Louis de Fontanes, seinerzeit Großmeister der Universität und Unterrichtsminister, der, unter Napoleon, bei den verschiedensten feierlichen Gelegenheiten, immer die großen Casualreden gehalten hatte, ein sehr kluger, sehr feiner, sehr vornehmer Herr, dessen Familie, wie man in allen Büchern nachlesen konnte, wirklich im südlichen Frankreich, wenn auch nicht zwischen Toulouse und Montpellier zu Hause war. Dieser wurde nun ohne Weiteres als Vetter erklärt, wobei der Umstand, daß er sich mit einem „s“ schrieb, als besondrer und ausschlaggebender Beweis der Familienzugehörigkeit angesehn wurde. Unsre Familie wußte nämlich aus Tradition, daß auch mein Großvater, der Cabinetssekretair der Königin, sich, bis etwa zu Beginn des Jahrhunderts, „Fontanes“ geschrieben und dann erst, aus unaufgeklärtem Grunde, das „s“ weggelassen habe. Diese Tradition wurde durch allerhand Schriftstücke bestätigt, mein Vater aber ging weiter und nahm, weil es ihm so paßte, den durch die Schriftstücke geführten Beweis des Nebensächlichen zugleich als Beweis für die Hauptsache, mit andern Worten, die bewiesene Namensvetterschaft als bewiesene Blutsverwandtschaft. Was übrigens als ein glänzender Coup gelten konnte. Denn hätten wir

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[19/0027] in die zwanziger Jahre dieses Jahrhunderts, Louis de Fontanes, seinerzeit Großmeister der Universität und Unterrichtsminister, der, unter Napoleon, bei den verschiedensten feierlichen Gelegenheiten, immer die großen Casualreden gehalten hatte, ein sehr kluger, sehr feiner, sehr vornehmer Herr, dessen Familie, wie man in allen Büchern nachlesen konnte, wirklich im südlichen Frankreich, wenn auch nicht zwischen Toulouse und Montpellier zu Hause war. Dieser wurde nun ohne Weiteres als Vetter erklärt, wobei der Umstand, daß er sich mit einem „s“ schrieb, als besondrer und ausschlaggebender Beweis der Familienzugehörigkeit angesehn wurde. Unsre Familie wußte nämlich aus Tradition, daß auch mein Großvater, der Cabinetssekretair der Königin, sich, bis etwa zu Beginn des Jahrhunderts, „Fontanes“ geschrieben und dann erst, aus unaufgeklärtem Grunde, das „s“ weggelassen habe. Diese Tradition wurde durch allerhand Schriftstücke bestätigt, mein Vater aber ging weiter und nahm, weil es ihm so paßte, den durch die Schriftstücke geführten Beweis des Nebensächlichen zugleich als Beweis für die Hauptsache, mit andern Worten, die bewiesene Namensvetterschaft als bewiesene Blutsverwandtschaft. Was übrigens als ein glänzender Coup gelten konnte. Denn hätten wir

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Meine Kinderjahre. Berlin, 1894, S. 19. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_kinderjahre_1894/27>, abgerufen am 25.04.2024.