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Fontane, Theodor: Meine Kinderjahre. Berlin, 1894.

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noch in späteren Lebensjahren, beide Eltern, wie auf den meisten andern Gebieten, so auch auf diesem, sich mehr oder weniger ernsthaft befehden sahen, gewöhnlich unter voraufgehender Feststellung der Rangverhältnisse zwischen einem Großmeister der Universität und einem Cardinal-Erzbischof. Daß wir Kinder dem allem sehr kritisch gegenüber standen, braucht nicht erst versichert zu werden.



Ich fahre nun in meiner eigentlichen Erzählung fort.

Am 27. März 1819 waren meine Eltern in Ruppin eingetroffen, am 30. December selbigen Jahres wurde ich daselbst geboren. Es war für meine Mutter auf Leben und Sterben, weshalb sie, wenn man ihr vorwarf, sie bevorzuge mich, einfach antwortete "er ist mir auch am schwersten geworden." In dieser bevorzugten Stellung blieb ich lange, bis, nach achtzehn Jahren, ein Spätling, meine jüngste Schwester, geboren wurde, bei der ich Pathe war und sie sogar über die Taufe hielt. Das war eine große Ehre für mich, ging aber mit meiner Dethronisirung durch eben diese Schwester Hand in Hand. Als jüngstes Kind rückte sie selbstverständlich sehr bald in die Lieblingsstellung ein.

noch in späteren Lebensjahren, beide Eltern, wie auf den meisten andern Gebieten, so auch auf diesem, sich mehr oder weniger ernsthaft befehden sahen, gewöhnlich unter voraufgehender Feststellung der Rangverhältnisse zwischen einem Großmeister der Universität und einem Cardinal-Erzbischof. Daß wir Kinder dem allem sehr kritisch gegenüber standen, braucht nicht erst versichert zu werden.



Ich fahre nun in meiner eigentlichen Erzählung fort.

Am 27. März 1819 waren meine Eltern in Ruppin eingetroffen, am 30. December selbigen Jahres wurde ich daselbst geboren. Es war für meine Mutter auf Leben und Sterben, weshalb sie, wenn man ihr vorwarf, sie bevorzuge mich, einfach antwortete „er ist mir auch am schwersten geworden.“ In dieser bevorzugten Stellung blieb ich lange, bis, nach achtzehn Jahren, ein Spätling, meine jüngste Schwester, geboren wurde, bei der ich Pathe war und sie sogar über die Taufe hielt. Das war eine große Ehre für mich, ging aber mit meiner Dethronisirung durch eben diese Schwester Hand in Hand. Als jüngstes Kind rückte sie selbstverständlich sehr bald in die Lieblingsstellung ein.

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[22/0030] noch in späteren Lebensjahren, beide Eltern, wie auf den meisten andern Gebieten, so auch auf diesem, sich mehr oder weniger ernsthaft befehden sahen, gewöhnlich unter voraufgehender Feststellung der Rangverhältnisse zwischen einem Großmeister der Universität und einem Cardinal-Erzbischof. Daß wir Kinder dem allem sehr kritisch gegenüber standen, braucht nicht erst versichert zu werden. Ich fahre nun in meiner eigentlichen Erzählung fort. Am 27. März 1819 waren meine Eltern in Ruppin eingetroffen, am 30. December selbigen Jahres wurde ich daselbst geboren. Es war für meine Mutter auf Leben und Sterben, weshalb sie, wenn man ihr vorwarf, sie bevorzuge mich, einfach antwortete „er ist mir auch am schwersten geworden.“ In dieser bevorzugten Stellung blieb ich lange, bis, nach achtzehn Jahren, ein Spätling, meine jüngste Schwester, geboren wurde, bei der ich Pathe war und sie sogar über die Taufe hielt. Das war eine große Ehre für mich, ging aber mit meiner Dethronisirung durch eben diese Schwester Hand in Hand. Als jüngstes Kind rückte sie selbstverständlich sehr bald in die Lieblingsstellung ein.

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Meine Kinderjahre. Berlin, 1894, S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_kinderjahre_1894/30>, abgerufen am 19.04.2024.