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Heymann, Lida Gustava: Frauenstimmrecht und Völkerverständigung. Leipzig, 1919 (= Nach dem Weltkrieg. Schriften zur Neuorientierung der auswärtigen Politik, Bd. 9).

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Vergnügen und Wohltätigkeit, außerhalb dieser Sphäre lag,
durfte sie nichts angehen, das war der ausdrückliche Wunsch
und Wille des Mannes. Daß so erzogene Frauen, denen jede
Kenntnis von dem Zusammenhang der Dinge fehlte, bei dem auf-
steigenden Gespenst der Hungersnot in wahnsinniger Angst und
Sorge, daß ihr Mann und ihre Kinder Not leiden könnten, die
Kaufläden der Großstädte stürmten und in Hast zusammenkauften,
was sie nur bekommen konnten, ohne des Preises zu achten, der
gefordert wurde, kann nicht in Erstaunen setzen*). Wie konnte man
von Frauen etwas anderes erwarten, die man gelehrt hatte,
den Blick nur auf das Nächstliegende, auf ihre Familie, zu richten;
diese zum Mittelpunkt all ihres Denkens, Tuns und Seins zu
machen. Außerdem gilt auch hier, was an anderer Stelle schon
einmal nachgewiesen wurde: die die Läden stürmenden Frauen
waren ein willkommenes Objekt für die sensationslustige Presse
und für diejenigen Tageszeitungen, die immer Raum zur Ver-
fügung stellen, wenn es gilt, Frauen lächerlich zu machen. Das
Vorgehen der Frauen wurde, wie das in solchen Fällen immer
geschieht, aufgebauscht und besprochen, von den vielen Frauen
hörte man jedoch nichts, die sich genügend politische Einsicht ver-
schafft hatten, um von solchem Tun abzumahnen, die erst nach
Jahr und Tag anfingen, ihren Kammern Vorräte zuzuführen, als
sie sich davon überzeugen mußten, daß sie sich im Stande der Not-
wehr befanden gegen behördliche Maßnahmen, die von Männern
ohne jede wirtschaftliche Einsicht erlassen waren und daher völlig
versagten. Selbsthilfe im Jnteresse des Staates, der Familie und
des einzelnen, falls er nicht verhungern wollte, wurde notwendige
Pflicht. Welcher Unterschied ist eigentlich zwischen dem Vorgehen
der getadelten Frauen und dem der Militärbehörden, als diese

*) Uebrigens bleibe hier nicht unerwähnt, daß an der ausgebroche-
nen Lebensmittelpanik eine große Zahl Familienväter mitschuldig waren,
die ebenfalls bei Kriegsbeginn nichts Besseres wußten, als die Parole
auszugeben zur Versorgung ihres Hauswesens mit möglichst vielen Vor-
räten um jeden Preis.

Vergnügen und Wohltätigkeit, außerhalb dieser Sphäre lag,
durfte sie nichts angehen, das war der ausdrückliche Wunsch
und Wille des Mannes. Daß so erzogene Frauen, denen jede
Kenntnis von dem Zusammenhang der Dinge fehlte, bei dem auf-
steigenden Gespenst der Hungersnot in wahnsinniger Angst und
Sorge, daß ihr Mann und ihre Kinder Not leiden könnten, die
Kaufläden der Großstädte stürmten und in Hast zusammenkauften,
was sie nur bekommen konnten, ohne des Preises zu achten, der
gefordert wurde, kann nicht in Erstaunen setzen*). Wie konnte man
von Frauen etwas anderes erwarten, die man gelehrt hatte,
den Blick nur auf das Nächstliegende, auf ihre Familie, zu richten;
diese zum Mittelpunkt all ihres Denkens, Tuns und Seins zu
machen. Außerdem gilt auch hier, was an anderer Stelle schon
einmal nachgewiesen wurde: die die Läden stürmenden Frauen
waren ein willkommenes Objekt für die sensationslustige Presse
und für diejenigen Tageszeitungen, die immer Raum zur Ver-
fügung stellen, wenn es gilt, Frauen lächerlich zu machen. Das
Vorgehen der Frauen wurde, wie das in solchen Fällen immer
geschieht, aufgebauscht und besprochen, von den vielen Frauen
hörte man jedoch nichts, die sich genügend politische Einsicht ver-
schafft hatten, um von solchem Tun abzumahnen, die erst nach
Jahr und Tag anfingen, ihren Kammern Vorräte zuzuführen, als
sie sich davon überzeugen mußten, daß sie sich im Stande der Not-
wehr befanden gegen behördliche Maßnahmen, die von Männern
ohne jede wirtschaftliche Einsicht erlassen waren und daher völlig
versagten. Selbsthilfe im Jnteresse des Staates, der Familie und
des einzelnen, falls er nicht verhungern wollte, wurde notwendige
Pflicht. Welcher Unterschied ist eigentlich zwischen dem Vorgehen
der getadelten Frauen und dem der Militärbehörden, als diese

*) Uebrigens bleibe hier nicht unerwähnt, daß an der ausgebroche-
nen Lebensmittelpanik eine große Zahl Familienväter mitschuldig waren,
die ebenfalls bei Kriegsbeginn nichts Besseres wußten, als die Parole
auszugeben zur Versorgung ihres Hauswesens mit möglichst vielen Vor-
räten um jeden Preis.
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[23/0022] Vergnügen und Wohltätigkeit, außerhalb dieser Sphäre lag, durfte sie nichts angehen, das war der ausdrückliche Wunsch und Wille des Mannes. Daß so erzogene Frauen, denen jede Kenntnis von dem Zusammenhang der Dinge fehlte, bei dem auf- steigenden Gespenst der Hungersnot in wahnsinniger Angst und Sorge, daß ihr Mann und ihre Kinder Not leiden könnten, die Kaufläden der Großstädte stürmten und in Hast zusammenkauften, was sie nur bekommen konnten, ohne des Preises zu achten, der gefordert wurde, kann nicht in Erstaunen setzen *). Wie konnte man von Frauen etwas anderes erwarten, die man gelehrt hatte, den Blick nur auf das Nächstliegende, auf ihre Familie, zu richten; diese zum Mittelpunkt all ihres Denkens, Tuns und Seins zu machen. Außerdem gilt auch hier, was an anderer Stelle schon einmal nachgewiesen wurde: die die Läden stürmenden Frauen waren ein willkommenes Objekt für die sensationslustige Presse und für diejenigen Tageszeitungen, die immer Raum zur Ver- fügung stellen, wenn es gilt, Frauen lächerlich zu machen. Das Vorgehen der Frauen wurde, wie das in solchen Fällen immer geschieht, aufgebauscht und besprochen, von den vielen Frauen hörte man jedoch nichts, die sich genügend politische Einsicht ver- schafft hatten, um von solchem Tun abzumahnen, die erst nach Jahr und Tag anfingen, ihren Kammern Vorräte zuzuführen, als sie sich davon überzeugen mußten, daß sie sich im Stande der Not- wehr befanden gegen behördliche Maßnahmen, die von Männern ohne jede wirtschaftliche Einsicht erlassen waren und daher völlig versagten. Selbsthilfe im Jnteresse des Staates, der Familie und des einzelnen, falls er nicht verhungern wollte, wurde notwendige Pflicht. Welcher Unterschied ist eigentlich zwischen dem Vorgehen der getadelten Frauen und dem der Militärbehörden, als diese *) Uebrigens bleibe hier nicht unerwähnt, daß an der ausgebroche- nen Lebensmittelpanik eine große Zahl Familienväter mitschuldig waren, die ebenfalls bei Kriegsbeginn nichts Besseres wußten, als die Parole auszugeben zur Versorgung ihres Hauswesens mit möglichst vielen Vor- räten um jeden Preis.

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Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-10-19T08:47:15Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
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Zitationshilfe: Heymann, Lida Gustava: Frauenstimmrecht und Völkerverständigung. Leipzig, 1919 (= Nach dem Weltkrieg. Schriften zur Neuorientierung der auswärtigen Politik, Bd. 9), S. 23. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heymann_voelkerverstaendigung_1919/22>, abgerufen am 25.04.2024.