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Krüger, Elsa; Lengefeld, Selma von: Über Wahlrecht und Wahlpflicht der deutschen Frau. Weimar, 1918.

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Geschlecht, wie zur Hebung des allgemeinen Volkswohls bemerkbar
gemacht.

Jn Deutschland haben die Anfange des Sozialismus im Jahre
1847 den engen Zusammenhang von Frauen- und Arbeiterfrage
bereits anerkannt. Aber eine bürgerliche Frau ist es gewesen, Luise
Otto Peters, die schon 1848, also vor 70 Jahren, die politische
Mitarbeit der Frau nicht nur für ein Recht, sondern für eine Pflicht
erklärte.

1891 wurde auf dem internationalen sozialdemokratischen Partei-
tag in Brüssel das demokratische Wahlrecht ohne Unterschied des
Geschlechts als Grundsatz angenommen und im selben Jahr auf dem
Erfurter Parteitag dem deutschen sozialdemokratischen Programm ein-
gefügt. 1912 waren in Deutschland schon in 500-600 Wahlkreisen
bezw. Ortsvereinen sozialdemokratische Frauen in den betreffenden
Parteivorständen tätig. Daher kann die Sozialdemokratie bei den
bevorstehenden Wahlen auf eine seit langer Zeit vorbereitete, und
gut geschulte weibliche Wählerschaft rechnen, während die übrigen
Parteien auf diesem Gebiet noch fast alles nachzuholen haben.

Die bürgerliche Frauenbewegung beschäftigt sich in Deutschland
erst seit dem Jahre 1902 eingehender mit dem Frauenstimmrecht,
wenn auch schon viele ihrer Angehörigen diesen Gedanken als einstiges
Ziel von vornherein erkannt hatten. Doch wollten sie den Aufbau
der Frauenrechte und -pflichten von unten anfangen, um schließlich
die politische Betätigung der Frau als Dach auf das Gebäude zu
setzen. Aber während ihrer Arbeit fühlten doch die meisten, daß nur
die Anteilnahme an der Gesetzgebung ihnen erst die Mittel zur
Durchführung ihres Bauplanes in die Hand geben würde. Deshalb
stellte auch der große Bund deutscher Frauenvereine die Forderung
nach dem Frauenstimmrecht in Staat, Gemeinde und Kirche schon
vor Jahren in sein Programm mit ein. Aber schließlich, es ist doch
immer nur ein Teil der Frauen, der in der bürgerlichen und sozial-
demokratischen Frauenbewegung organisiert ist, für die weit größere
Anzahl, die diesen Kreisen nicht angehört - und auch von den
Lohnarbeiterinnen sind sehr viele noch nicht beruflich oder politisch
zusammengeschlossen -, kommt das Frauenstimmrecht als ein ganz
neuer, schwer zu begreifender, mit Scheu zu betrachtender und von
vielen zunächst noch abgelehnter Gedanke. Unter denen, die ihn ab-
lehnen sind sowohl die wertlosesten, die gleichgültigen, die abge-
stumpften Frauen, sowie solche, die dem öffentlichen Leben noch ganz
fern stehen, aber auch viele sehr ernste und nachdenkliche, die durch
ihre Zurückhaltung beweisen, wie gewissenhaft sie die Sache nehmen.
Werden diese letzteren die Jdee selbst erst als Notwendigkeit erkannt
haben, so können sie auf Grund ihrer Gewissenhaftigkeit gerade die
besten Mitarbeiterinnen werden, während die Masse der Unwissenden
und Gleichgültigen am schwersten in Bewegung zu bringen ist.

Die weltgeschichtlichen Ereignisse treiben unsere innerpolitischen
Verhältnisse mit orkanartiger Geschwindigkeit vor sich her, welcher

Geschlecht, wie zur Hebung des allgemeinen Volkswohls bemerkbar
gemacht.

Jn Deutschland haben die Anfange des Sozialismus im Jahre
1847 den engen Zusammenhang von Frauen- und Arbeiterfrage
bereits anerkannt. Aber eine bürgerliche Frau ist es gewesen, Luise
Otto Peters, die schon 1848, also vor 70 Jahren, die politische
Mitarbeit der Frau nicht nur für ein Recht, sondern für eine Pflicht
erklärte.

1891 wurde auf dem internationalen sozialdemokratischen Partei-
tag in Brüssel das demokratische Wahlrecht ohne Unterschied des
Geschlechts als Grundsatz angenommen und im selben Jahr auf dem
Erfurter Parteitag dem deutschen sozialdemokratischen Programm ein-
gefügt. 1912 waren in Deutschland schon in 500-600 Wahlkreisen
bezw. Ortsvereinen sozialdemokratische Frauen in den betreffenden
Parteivorständen tätig. Daher kann die Sozialdemokratie bei den
bevorstehenden Wahlen auf eine seit langer Zeit vorbereitete, und
gut geschulte weibliche Wählerschaft rechnen, während die übrigen
Parteien auf diesem Gebiet noch fast alles nachzuholen haben.

Die bürgerliche Frauenbewegung beschäftigt sich in Deutschland
erst seit dem Jahre 1902 eingehender mit dem Frauenstimmrecht,
wenn auch schon viele ihrer Angehörigen diesen Gedanken als einstiges
Ziel von vornherein erkannt hatten. Doch wollten sie den Aufbau
der Frauenrechte und -pflichten von unten anfangen, um schließlich
die politische Betätigung der Frau als Dach auf das Gebäude zu
setzen. Aber während ihrer Arbeit fühlten doch die meisten, daß nur
die Anteilnahme an der Gesetzgebung ihnen erst die Mittel zur
Durchführung ihres Bauplanes in die Hand geben würde. Deshalb
stellte auch der große Bund deutscher Frauenvereine die Forderung
nach dem Frauenstimmrecht in Staat, Gemeinde und Kirche schon
vor Jahren in sein Programm mit ein. Aber schließlich, es ist doch
immer nur ein Teil der Frauen, der in der bürgerlichen und sozial-
demokratischen Frauenbewegung organisiert ist, für die weit größere
Anzahl, die diesen Kreisen nicht angehört – und auch von den
Lohnarbeiterinnen sind sehr viele noch nicht beruflich oder politisch
zusammengeschlossen –, kommt das Frauenstimmrecht als ein ganz
neuer, schwer zu begreifender, mit Scheu zu betrachtender und von
vielen zunächst noch abgelehnter Gedanke. Unter denen, die ihn ab-
lehnen sind sowohl die wertlosesten, die gleichgültigen, die abge-
stumpften Frauen, sowie solche, die dem öffentlichen Leben noch ganz
fern stehen, aber auch viele sehr ernste und nachdenkliche, die durch
ihre Zurückhaltung beweisen, wie gewissenhaft sie die Sache nehmen.
Werden diese letzteren die Jdee selbst erst als Notwendigkeit erkannt
haben, so können sie auf Grund ihrer Gewissenhaftigkeit gerade die
besten Mitarbeiterinnen werden, während die Masse der Unwissenden
und Gleichgültigen am schwersten in Bewegung zu bringen ist.

Die weltgeschichtlichen Ereignisse treiben unsere innerpolitischen
Verhältnisse mit orkanartiger Geschwindigkeit vor sich her, welcher

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[6/0006] Geschlecht, wie zur Hebung des allgemeinen Volkswohls bemerkbar gemacht. Jn Deutschland haben die Anfange des Sozialismus im Jahre 1847 den engen Zusammenhang von Frauen- und Arbeiterfrage bereits anerkannt. Aber eine bürgerliche Frau ist es gewesen, Luise Otto Peters, die schon 1848, also vor 70 Jahren, die politische Mitarbeit der Frau nicht nur für ein Recht, sondern für eine Pflicht erklärte. 1891 wurde auf dem internationalen sozialdemokratischen Partei- tag in Brüssel das demokratische Wahlrecht ohne Unterschied des Geschlechts als Grundsatz angenommen und im selben Jahr auf dem Erfurter Parteitag dem deutschen sozialdemokratischen Programm ein- gefügt. 1912 waren in Deutschland schon in 500-600 Wahlkreisen bezw. Ortsvereinen sozialdemokratische Frauen in den betreffenden Parteivorständen tätig. Daher kann die Sozialdemokratie bei den bevorstehenden Wahlen auf eine seit langer Zeit vorbereitete, und gut geschulte weibliche Wählerschaft rechnen, während die übrigen Parteien auf diesem Gebiet noch fast alles nachzuholen haben. Die bürgerliche Frauenbewegung beschäftigt sich in Deutschland erst seit dem Jahre 1902 eingehender mit dem Frauenstimmrecht, wenn auch schon viele ihrer Angehörigen diesen Gedanken als einstiges Ziel von vornherein erkannt hatten. Doch wollten sie den Aufbau der Frauenrechte und -pflichten von unten anfangen, um schließlich die politische Betätigung der Frau als Dach auf das Gebäude zu setzen. Aber während ihrer Arbeit fühlten doch die meisten, daß nur die Anteilnahme an der Gesetzgebung ihnen erst die Mittel zur Durchführung ihres Bauplanes in die Hand geben würde. Deshalb stellte auch der große Bund deutscher Frauenvereine die Forderung nach dem Frauenstimmrecht in Staat, Gemeinde und Kirche schon vor Jahren in sein Programm mit ein. Aber schließlich, es ist doch immer nur ein Teil der Frauen, der in der bürgerlichen und sozial- demokratischen Frauenbewegung organisiert ist, für die weit größere Anzahl, die diesen Kreisen nicht angehört – und auch von den Lohnarbeiterinnen sind sehr viele noch nicht beruflich oder politisch zusammengeschlossen –, kommt das Frauenstimmrecht als ein ganz neuer, schwer zu begreifender, mit Scheu zu betrachtender und von vielen zunächst noch abgelehnter Gedanke. Unter denen, die ihn ab- lehnen sind sowohl die wertlosesten, die gleichgültigen, die abge- stumpften Frauen, sowie solche, die dem öffentlichen Leben noch ganz fern stehen, aber auch viele sehr ernste und nachdenkliche, die durch ihre Zurückhaltung beweisen, wie gewissenhaft sie die Sache nehmen. Werden diese letzteren die Jdee selbst erst als Notwendigkeit erkannt haben, so können sie auf Grund ihrer Gewissenhaftigkeit gerade die besten Mitarbeiterinnen werden, während die Masse der Unwissenden und Gleichgültigen am schwersten in Bewegung zu bringen ist. Die weltgeschichtlichen Ereignisse treiben unsere innerpolitischen Verhältnisse mit orkanartiger Geschwindigkeit vor sich her, welcher  

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Anna Pfundt: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-11-24T15:36:09Z)

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Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: gekennzeichnet; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: wie Vorlage; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




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Zitationshilfe: Krüger, Elsa; Lengefeld, Selma von: Über Wahlrecht und Wahlpflicht der deutschen Frau. Weimar, 1918, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/krueger_wahlrecht_1918/6>, abgerufen am 19.04.2024.