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Langemann, Ludwig: Das Frauenstimmrecht und seine Bekämpfung. Berlin, [1913] (= Schriften des Deutschen Bundes zur Bekämpfung der Frauenemanzipation, Bd. 4).

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gab diesen Brief der Öffentlichkeit, um ihr Vaterland England
vor dem Schicksale Neuseelands zu bewahren, und wir Deutschen
hätten wohl allen Grund, aus solchen ernsten Warnungen unsere
Lehren zu ziehen. Aber dieses doch gewiß nicht uninteressante
Schreiben ist von der deutschen Presse sorgfältig totgeschwiegen;
einige Zeitungen, denen ich es zusandte, haben es mir unbenutzt
zurückgegeben.

Etwas größere Beachtung haben späterhin die in der Lon-
doner Zeitschrift "Nineteenth Century and After" von Mrs.
Edith Sellers veröffentlichten Beobachtungen aus Finnland ge-
funden. Ueber die Erkundigungen, die sie bei Männern und
Frauen Finnlands eingezogen hat, bemerkt sie folgendes:

"Nach dem Urteil dieser Männer und Frauen aus Stadt
und Land und aus den verschiedenen Kreisen des Volkes hat,
seitdem das Frauenstimmrecht in Kraft getreten, ein recht großer
Teil der in den Städten Finnlands wohnenden Frauen viel von
dem eingebüßt, was man natürliches Gefühl für Vernunft und
Billigkeit nennen könnte. Sie sind jetzt so hitzig auf ihre Rechte
versessen, daß sie gar zu leicht vergessen, daß andere Leute auch
Rechte und daß sie selbst auch Pflichten haben. Sie haben auch
an innerem Gleichgewicht verloren; die Politik ist ihr ein und
alles, und sie haben für keinen anderen Gedanken Raum, abge-
sehen etwa von der Frauenbewegung. Glücklich scheinen sie sich
nur noch in der Volksversammlung zu fühlen, wenn sie politischen
Erörterungen lauschen oder, noch besser, sie selbst vortragen
können. Keine politische Frage ist so verwickelt, daß sie nicht im
Handumdrehen mit ihr fertig würden; sie finden im Augenblick
Lösungen für Fragen, über die Staatsmänner jahrelang umsonst
nachgedacht haben. Bei der geringsten Herausforderung unter-
nehmen sie Vortragsreisen durch das Land.

Sie haben viel mehr Lust dazu, draußen in der Welt als im
Hause zu wirken; das häusliche Leben hat tatsächlich alle An-
ziehungskraft für sie verloren. Lieber arbeiten sie den ganzen
Tag auf einem Bureau, als daß sie ein paar Stunden darauf ver-
wenden, ihr eigenes Haus in Ordnung zu bringen. Einige von
ihnen gehen so weit, zu behaupten, daß es sich für sie als Voll-
bürgerinnen besser zieme, Eisenbahnfahrkarten auszugeben als
ihrer Kinder zu warten. Denn Kinder gelten in diesen Kreisen
heutigentags nicht viel; vielmehr gewinnt die Ansicht schnell an
Boden, sobald die Kinder geboren seien, liege es dem Staate und
nicht den Müttern ob, sich um sie zu kümmern. Es gibt keine
Arbeit außer dem Hause, die sie nicht, selbst für Hungerlohn oder
ganz umsonst, zu übernehmen bereit sind. Sie gönnen sich tat-

gab diesen Brief der Öffentlichkeit, um ihr Vaterland England
vor dem Schicksale Neuseelands zu bewahren, und wir Deutschen
hätten wohl allen Grund, aus solchen ernsten Warnungen unsere
Lehren zu ziehen. Aber dieses doch gewiß nicht uninteressante
Schreiben ist von der deutschen Presse sorgfältig totgeschwiegen;
einige Zeitungen, denen ich es zusandte, haben es mir unbenutzt
zurückgegeben.

Etwas größere Beachtung haben späterhin die in der Lon-
doner Zeitschrift „Nineteenth Century and After“ von Mrs.
Edith Sellers veröffentlichten Beobachtungen aus Finnland ge-
funden. Ueber die Erkundigungen, die sie bei Männern und
Frauen Finnlands eingezogen hat, bemerkt sie folgendes:

„Nach dem Urteil dieser Männer und Frauen aus Stadt
und Land und aus den verschiedenen Kreisen des Volkes hat,
seitdem das Frauenstimmrecht in Kraft getreten, ein recht großer
Teil der in den Städten Finnlands wohnenden Frauen viel von
dem eingebüßt, was man natürliches Gefühl für Vernunft und
Billigkeit nennen könnte. Sie sind jetzt so hitzig auf ihre Rechte
versessen, daß sie gar zu leicht vergessen, daß andere Leute auch
Rechte und daß sie selbst auch Pflichten haben. Sie haben auch
an innerem Gleichgewicht verloren; die Politik ist ihr ein und
alles, und sie haben für keinen anderen Gedanken Raum, abge-
sehen etwa von der Frauenbewegung. Glücklich scheinen sie sich
nur noch in der Volksversammlung zu fühlen, wenn sie politischen
Erörterungen lauschen oder, noch besser, sie selbst vortragen
können. Keine politische Frage ist so verwickelt, daß sie nicht im
Handumdrehen mit ihr fertig würden; sie finden im Augenblick
Lösungen für Fragen, über die Staatsmänner jahrelang umsonst
nachgedacht haben. Bei der geringsten Herausforderung unter-
nehmen sie Vortragsreisen durch das Land.

Sie haben viel mehr Lust dazu, draußen in der Welt als im
Hause zu wirken; das häusliche Leben hat tatsächlich alle An-
ziehungskraft für sie verloren. Lieber arbeiten sie den ganzen
Tag auf einem Bureau, als daß sie ein paar Stunden darauf ver-
wenden, ihr eigenes Haus in Ordnung zu bringen. Einige von
ihnen gehen so weit, zu behaupten, daß es sich für sie als Voll-
bürgerinnen besser zieme, Eisenbahnfahrkarten auszugeben als
ihrer Kinder zu warten. Denn Kinder gelten in diesen Kreisen
heutigentags nicht viel; vielmehr gewinnt die Ansicht schnell an
Boden, sobald die Kinder geboren seien, liege es dem Staate und
nicht den Müttern ob, sich um sie zu kümmern. Es gibt keine
Arbeit außer dem Hause, die sie nicht, selbst für Hungerlohn oder
ganz umsonst, zu übernehmen bereit sind. Sie gönnen sich tat-

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[21/0021] gab diesen Brief der Öffentlichkeit, um ihr Vaterland England vor dem Schicksale Neuseelands zu bewahren, und wir Deutschen hätten wohl allen Grund, aus solchen ernsten Warnungen unsere Lehren zu ziehen. Aber dieses doch gewiß nicht uninteressante Schreiben ist von der deutschen Presse sorgfältig totgeschwiegen; einige Zeitungen, denen ich es zusandte, haben es mir unbenutzt zurückgegeben. Etwas größere Beachtung haben späterhin die in der Lon- doner Zeitschrift „Nineteenth Century and After“ von Mrs. Edith Sellers veröffentlichten Beobachtungen aus Finnland ge- funden. Ueber die Erkundigungen, die sie bei Männern und Frauen Finnlands eingezogen hat, bemerkt sie folgendes: „Nach dem Urteil dieser Männer und Frauen aus Stadt und Land und aus den verschiedenen Kreisen des Volkes hat, seitdem das Frauenstimmrecht in Kraft getreten, ein recht großer Teil der in den Städten Finnlands wohnenden Frauen viel von dem eingebüßt, was man natürliches Gefühl für Vernunft und Billigkeit nennen könnte. Sie sind jetzt so hitzig auf ihre Rechte versessen, daß sie gar zu leicht vergessen, daß andere Leute auch Rechte und daß sie selbst auch Pflichten haben. Sie haben auch an innerem Gleichgewicht verloren; die Politik ist ihr ein und alles, und sie haben für keinen anderen Gedanken Raum, abge- sehen etwa von der Frauenbewegung. Glücklich scheinen sie sich nur noch in der Volksversammlung zu fühlen, wenn sie politischen Erörterungen lauschen oder, noch besser, sie selbst vortragen können. Keine politische Frage ist so verwickelt, daß sie nicht im Handumdrehen mit ihr fertig würden; sie finden im Augenblick Lösungen für Fragen, über die Staatsmänner jahrelang umsonst nachgedacht haben. Bei der geringsten Herausforderung unter- nehmen sie Vortragsreisen durch das Land. Sie haben viel mehr Lust dazu, draußen in der Welt als im Hause zu wirken; das häusliche Leben hat tatsächlich alle An- ziehungskraft für sie verloren. Lieber arbeiten sie den ganzen Tag auf einem Bureau, als daß sie ein paar Stunden darauf ver- wenden, ihr eigenes Haus in Ordnung zu bringen. Einige von ihnen gehen so weit, zu behaupten, daß es sich für sie als Voll- bürgerinnen besser zieme, Eisenbahnfahrkarten auszugeben als ihrer Kinder zu warten. Denn Kinder gelten in diesen Kreisen heutigentags nicht viel; vielmehr gewinnt die Ansicht schnell an Boden, sobald die Kinder geboren seien, liege es dem Staate und nicht den Müttern ob, sich um sie zu kümmern. Es gibt keine Arbeit außer dem Hause, die sie nicht, selbst für Hungerlohn oder ganz umsonst, zu übernehmen bereit sind. Sie gönnen sich tat-  

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Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning: Bereitstellung der Texttranskription. (2018-02-05T14:39:49Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Anna Pfundt: Bearbeitung der digitalen Edition. (2018-02-05T14:39:49Z)

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Zitationshilfe: Langemann, Ludwig: Das Frauenstimmrecht und seine Bekämpfung. Berlin, [1913] (= Schriften des Deutschen Bundes zur Bekämpfung der Frauenemanzipation, Bd. 4), S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/langemann_frauenstimmrecht_1913/21>, abgerufen am 28.03.2024.