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Ludwig, Julie: Das Gericht im Walde. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 20. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [237]–288. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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sich ihrer ungeschwächten Kräfte zu versichern; sie hob den Kopf und streckte sich zu ihrer vollen Höhe aus, und siehe da! es war noch Alles gut und heil an ihr. Die "leidigen unnützigen" Gedanken hatten ihr noch keinen Schaden gethan -- so konnte sie dem Herrn Justizrath selbst vor das "spitzfindige" Gesicht und unter seine scharfen Brillenaugen treten mit ihrem guten Recht -- so mußte alle Welt vor ihr Respect bekommen, der "patzigste" Knecht pariren und die "schneidigste" Großmagd ihrer Zunge wahren -- und so ging sie getrosten Muthes einem Feinde entgegen, dessen Macht sie jedoch diesmal unterschätzt haben sollte.

Wohl hatte sie schon manchen Sturm erlebt und nicht gezittert. Sie kannte die fernen Jammerlaute wie das nahe Brüllen des entfesselten Naturgeistes, aber etwas Aehnliches, wie heute, hatte sie noch nicht vernommen. War das Ohr erst dem Schweigen erlegen, so erlag es jetzt dem heulenden Brausen, welches durch die Lüfte ging und immer mächtiger anschwellend, den Untergang alles Lebens zu bedeuten schien. Es war der Ausbruch einer lange unterdrückten Wuth, die sich plötzlich Bahn verschafft und die nun Alles zerstörend mit sich nimmt, was sie auf ihrem Wege findet. In ununterbrochenen, immer stärkeren Stößen raste die Windsbraut' durch den Wald; sie warf vor sich nieder, was ihr widerstehen wollte, und mit ihr flog ein Gewirbel von kleinen Zweigen, Blättern, Moos und leichter Erde durch die Luft.

sich ihrer ungeschwächten Kräfte zu versichern; sie hob den Kopf und streckte sich zu ihrer vollen Höhe aus, und siehe da! es war noch Alles gut und heil an ihr. Die „leidigen unnützigen“ Gedanken hatten ihr noch keinen Schaden gethan — so konnte sie dem Herrn Justizrath selbst vor das „spitzfindige“ Gesicht und unter seine scharfen Brillenaugen treten mit ihrem guten Recht — so mußte alle Welt vor ihr Respect bekommen, der „patzigste“ Knecht pariren und die „schneidigste“ Großmagd ihrer Zunge wahren — und so ging sie getrosten Muthes einem Feinde entgegen, dessen Macht sie jedoch diesmal unterschätzt haben sollte.

Wohl hatte sie schon manchen Sturm erlebt und nicht gezittert. Sie kannte die fernen Jammerlaute wie das nahe Brüllen des entfesselten Naturgeistes, aber etwas Aehnliches, wie heute, hatte sie noch nicht vernommen. War das Ohr erst dem Schweigen erlegen, so erlag es jetzt dem heulenden Brausen, welches durch die Lüfte ging und immer mächtiger anschwellend, den Untergang alles Lebens zu bedeuten schien. Es war der Ausbruch einer lange unterdrückten Wuth, die sich plötzlich Bahn verschafft und die nun Alles zerstörend mit sich nimmt, was sie auf ihrem Wege findet. In ununterbrochenen, immer stärkeren Stößen raste die Windsbraut' durch den Wald; sie warf vor sich nieder, was ihr widerstehen wollte, und mit ihr flog ein Gewirbel von kleinen Zweigen, Blättern, Moos und leichter Erde durch die Luft.

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[0031] sich ihrer ungeschwächten Kräfte zu versichern; sie hob den Kopf und streckte sich zu ihrer vollen Höhe aus, und siehe da! es war noch Alles gut und heil an ihr. Die „leidigen unnützigen“ Gedanken hatten ihr noch keinen Schaden gethan — so konnte sie dem Herrn Justizrath selbst vor das „spitzfindige“ Gesicht und unter seine scharfen Brillenaugen treten mit ihrem guten Recht — so mußte alle Welt vor ihr Respect bekommen, der „patzigste“ Knecht pariren und die „schneidigste“ Großmagd ihrer Zunge wahren — und so ging sie getrosten Muthes einem Feinde entgegen, dessen Macht sie jedoch diesmal unterschätzt haben sollte. Wohl hatte sie schon manchen Sturm erlebt und nicht gezittert. Sie kannte die fernen Jammerlaute wie das nahe Brüllen des entfesselten Naturgeistes, aber etwas Aehnliches, wie heute, hatte sie noch nicht vernommen. War das Ohr erst dem Schweigen erlegen, so erlag es jetzt dem heulenden Brausen, welches durch die Lüfte ging und immer mächtiger anschwellend, den Untergang alles Lebens zu bedeuten schien. Es war der Ausbruch einer lange unterdrückten Wuth, die sich plötzlich Bahn verschafft und die nun Alles zerstörend mit sich nimmt, was sie auf ihrem Wege findet. In ununterbrochenen, immer stärkeren Stößen raste die Windsbraut' durch den Wald; sie warf vor sich nieder, was ihr widerstehen wollte, und mit ihr flog ein Gewirbel von kleinen Zweigen, Blättern, Moos und leichter Erde durch die Luft.

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T14:36:23Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T14:36:23Z)

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Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: nein; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




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Zitationshilfe: Ludwig, Julie: Das Gericht im Walde. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 20. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [237]–288. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_gericht_1910/31>, abgerufen am 28.03.2024.