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Milton, John: Das Verlohrne Paradies. Bd. 1. Übers. v. Justus Friedrich Wilhelm Zachariae. Altona, 1760.

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Erster Gesang.
Tiefe Betrübniß, mit standhaftem Haß, und verhärtetem Stolze
Untermischt: Und so weit, als die Blicke der Engel nur dringen,
Uebersieht er auf einmal die wüste traurige Gegend,
Unermeßlich; ein schrecklicher Kerker, rund um ihn her flammend,
60Wie ein feuriger Ofen; doch schoß kein Licht von den Flammen,
Sondern vielmehr eine sichtbare Finsterniß [Spaltenumbruch] n), welche nur diente,
Lange Prospekte voll Jammer, und Regionen voll Kummer
Zu entdecken, und traurige Schatten, in welchen die Ruhe,
Und der Friede nie wohnt; die nie die Hoffnung besuchet,
65Die sonst alles besucht; wo nichts als Qualen ohn' Ende
Unaufhörlich quälen, und eine feurige Sündfluth,
Die mit immerbrennendem Schwefel, der niemals verzehrt wird,
Sich unterhält. Und dies war der Ort, den die göttliche Rache
Diesen Rebellen bereitet, hier wies sie ihnen den Kerker
70Jn der äußersten Finsterniß an, und ihr trauriges Erbtheil,

Drey-
n) Dieses ist ein starker, kühner Aus-
druck, womit Milton, wie es scheint,
eine dicke Dämmerung bezeichnen wollen.
Die Finsterniß ist eigentlich zu reden un-
sichtbar. Aber wo nur eine bloße Däm-
merung ist, da bleibt noch so viel Licht
übrig, daß man Gegenstände erkennen,
obgleich nicht genau unterscheiden kann.
Pearce.
Seneka gebraucht einen gleichen Aus-
druck von der Grotte des Pausilyppus
im 57. Brief. Nihil illo carcere lon-
gius, nihil illis faucibus obscurius,
quae nobis praestant, non vt per tene-
bras
videamus, sed vt ipsas.
Es giebt
nicht leicht ein längeres Gewölbe, noch
Schlünde, die dunkler sind; sie machen,
[Spaltenumbruch] daß wir nicht durch die Finsterniß,
sondern die Finsterniß selbst sehn.
Antonio de Solis ist auf eben den Ge-
danken gerathen, wenn er in seiner vor-
trefflichen Geschichte der Eroberung von
Mexico von dem Orte redet, in welchem
Motezuma seine Götter zu fragen pfleg-
te. Es war ein weites, dunkles,
unterirdisches Gewölbe,
(sagt er,)
welches einige traurige Kerzen nur
eben so viel erleuchteten, daß man
die Finsterniß sehn konnte.
Auch
Euripides drückt sich auf eben diese poe-
tische Art aus. Bac. 510.
-- [fremdsprachliches Material - 1 Zeile fehlt],
-- Daß er die Finsterniß sehn könnte.
Newton.

Erſter Geſang.
Tiefe Betruͤbniß, mit ſtandhaftem Haß, und verhaͤrtetem Stolze
Untermiſcht: Und ſo weit, als die Blicke der Engel nur dringen,
Ueberſieht er auf einmal die wuͤſte traurige Gegend,
Unermeßlich; ein ſchrecklicher Kerker, rund um ihn her flammend,
60Wie ein feuriger Ofen; doch ſchoß kein Licht von den Flammen,
Sondern vielmehr eine ſichtbare Finſterniß [Spaltenumbruch] n), welche nur diente,
Lange Proſpekte voll Jammer, und Regionen voll Kummer
Zu entdecken, und traurige Schatten, in welchen die Ruhe,
Und der Friede nie wohnt; die nie die Hoffnung beſuchet,
65Die ſonſt alles beſucht; wo nichts als Qualen ohn’ Ende
Unaufhoͤrlich quaͤlen, und eine feurige Suͤndfluth,
Die mit immerbrennendem Schwefel, der niemals verzehrt wird,
Sich unterhaͤlt. Und dies war der Ort, den die goͤttliche Rache
Dieſen Rebellen bereitet, hier wies ſie ihnen den Kerker
70Jn der aͤußerſten Finſterniß an, und ihr trauriges Erbtheil,

Drey-
n) Dieſes iſt ein ſtarker, kuͤhner Aus-
druck, womit Milton, wie es ſcheint,
eine dicke Daͤmmerung bezeichnen wollen.
Die Finſterniß iſt eigentlich zu reden un-
ſichtbar. Aber wo nur eine bloße Daͤm-
merung iſt, da bleibt noch ſo viel Licht
uͤbrig, daß man Gegenſtaͤnde erkennen,
obgleich nicht genau unterſcheiden kann.
Pearce.
Seneka gebraucht einen gleichen Aus-
druck von der Grotte des Pauſilyppus
im 57. Brief. Nihil illo carcere lon-
gius, nihil illis faucibus obſcurius,
quae nobis praeſtant, non vt per tene-
bras
videamus, ſed vt ipſas.
Es giebt
nicht leicht ein laͤngeres Gewoͤlbe, noch
Schluͤnde, die dunkler ſind; ſie machen,
[Spaltenumbruch] daß wir nicht durch die Finſterniß,
ſondern die Finſterniß ſelbſt ſehn.
Antonio de Solis iſt auf eben den Ge-
danken gerathen, wenn er in ſeiner vor-
trefflichen Geſchichte der Eroberung von
Mexico von dem Orte redet, in welchem
Motezuma ſeine Goͤtter zu fragen pfleg-
te. Es war ein weites, dunkles,
unterirdiſches Gewölbe,
(ſagt er,)
welches einige traurige Kerzen nur
eben ſo viel erleuchteten, daß man
die Finſterniß ſehn konnte.
Auch
Euripides druͤckt ſich auf eben dieſe poe-
tiſche Art aus. Bac. 510.
[fremdsprachliches Material – 1 Zeile fehlt],
— Daß er die Finſterniß ſehn koͤnnte.
Newton.
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[7/0021] Erſter Geſang. Tiefe Betruͤbniß, mit ſtandhaftem Haß, und verhaͤrtetem Stolze Untermiſcht: Und ſo weit, als die Blicke der Engel nur dringen, Ueberſieht er auf einmal die wuͤſte traurige Gegend, Unermeßlich; ein ſchrecklicher Kerker, rund um ihn her flammend, Wie ein feuriger Ofen; doch ſchoß kein Licht von den Flammen, Sondern vielmehr eine ſichtbare Finſterniß n), welche nur diente, Lange Proſpekte voll Jammer, und Regionen voll Kummer Zu entdecken, und traurige Schatten, in welchen die Ruhe, Und der Friede nie wohnt; die nie die Hoffnung beſuchet, Die ſonſt alles beſucht; wo nichts als Qualen ohn’ Ende Unaufhoͤrlich quaͤlen, und eine feurige Suͤndfluth, Die mit immerbrennendem Schwefel, der niemals verzehrt wird, Sich unterhaͤlt. Und dies war der Ort, den die goͤttliche Rache Dieſen Rebellen bereitet, hier wies ſie ihnen den Kerker Jn der aͤußerſten Finſterniß an, und ihr trauriges Erbtheil, Drey- n) Dieſes iſt ein ſtarker, kuͤhner Aus- druck, womit Milton, wie es ſcheint, eine dicke Daͤmmerung bezeichnen wollen. Die Finſterniß iſt eigentlich zu reden un- ſichtbar. Aber wo nur eine bloße Daͤm- merung iſt, da bleibt noch ſo viel Licht uͤbrig, daß man Gegenſtaͤnde erkennen, obgleich nicht genau unterſcheiden kann. Pearce. Seneka gebraucht einen gleichen Aus- druck von der Grotte des Pauſilyppus im 57. Brief. Nihil illo carcere lon- gius, nihil illis faucibus obſcurius, quae nobis praeſtant, non vt per tene- bras videamus, ſed vt ipſas. Es giebt nicht leicht ein laͤngeres Gewoͤlbe, noch Schluͤnde, die dunkler ſind; ſie machen, daß wir nicht durch die Finſterniß, ſondern die Finſterniß ſelbſt ſehn. Antonio de Solis iſt auf eben den Ge- danken gerathen, wenn er in ſeiner vor- trefflichen Geſchichte der Eroberung von Mexico von dem Orte redet, in welchem Motezuma ſeine Goͤtter zu fragen pfleg- te. Es war ein weites, dunkles, unterirdiſches Gewölbe, (ſagt er,) welches einige traurige Kerzen nur eben ſo viel erleuchteten, daß man die Finſterniß ſehn konnte. Auch Euripides druͤckt ſich auf eben dieſe poe- tiſche Art aus. Bac. 510. — _, — Daß er die Finſterniß ſehn koͤnnte. Newton.

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Zitationshilfe: Milton, John: Das Verlohrne Paradies. Bd. 1. Übers. v. Justus Friedrich Wilhelm Zachariae. Altona, 1760, S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/milton_paradies01_1760/21>, abgerufen am 25.04.2024.