Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Milton, John: Das Verlohrne Paradies. Bd. 1. Übers. v. Justus Friedrich Wilhelm Zachariae. Altona, 1760.

Bild:
<< vorherige Seite
Das verlohrne Paradies.
370Sage, Muse, die dann berühmt gewordenen Namen;
Wer zuerst, wer zuletzt, auf den Ruf des großen Beherrschers,
Da sie auf diesem feurigen Lager vom Schlummer erwachet,
Jeder nach seinem Range zu ihm an den nackenden Strand kam,
Da die Gemeinen das Feld in vermischten Haufen bedeckten?
375Dieses waren die ersten, die lange hernach aus dem Abgrund
Sich herausrissen, ihren Raub auf der Erde zu suchen;
Und zuerst sich erkühnten, zunächst bey dem Sitz des Allmächtgen
Jhre Wohnung zu nehmen; bey seinem heiligen Altar
Jhren schändlichen Altar zu setzen, als Götter verehret
380Von den Nationen umher; die sich wagten, Jehovah,
Der von Sion gedonnert, und zwischen den Cherubim thronte,
Auszuhalten; die ihre Greuel und Götzenaltäre
Oft in sein Heiligthum stellten, und mit verfluchten Gebräuchen
Seines Tempels Gebräuch' und heilige Festtag' entweihten,
385Und oft mit ihrer Finsterniß seine Klarheit beleidigt.
Erst kam Moloch, ein greulicher König [Spaltenumbruch] k), befleckt mit dem Blute
Menschlicher Opfer; mit Thränen der Eltern, die vor dem Getöse
Schallender Pauken und Trommeln das Schreyn der Kinder nicht hörten,
Die zu seinem grimmigen Bilde durchs Feuer hingiengen.
Jhn
k) Moloch war der Abgott der Am-
moniter. Sein Götzenbild war nach
den Rabbinen von Erzt; er saß auf
einem Thron von demselben Me-
tall, und hatte das Haupt von einem
Kalbe, mit einer Königskrone geziert.
Seine Arme waren ausgespreitet, die
elenden Opfer zu empfangen, die dar-
inn verbrannt werden sollten. Jn der
Schrift wird gesagt, daß die Kin-
[Spaltenumbruch] der dem Moloch durchs. Feuer
giengen.
Unser Dichter braucht eben
diesen Ausdruck, woraus zu verstehn
ist, daß man die Kinder diesem Gö-
tzen zu Ehren nicht immer wirklich
verbrannte, sondern sie nur geschwind
durch die Flammen gehn ließ, sie da-
durch zu reinigen, und diesem Götzen
zu heiligen. N.
Das verlohrne Paradies.
370Sage, Muſe, die dann beruͤhmt gewordenen Namen;
Wer zuerſt, wer zuletzt, auf den Ruf des großen Beherrſchers,
Da ſie auf dieſem feurigen Lager vom Schlummer erwachet,
Jeder nach ſeinem Range zu ihm an den nackenden Strand kam,
Da die Gemeinen das Feld in vermiſchten Haufen bedeckten?
375Dieſes waren die erſten, die lange hernach aus dem Abgrund
Sich herausriſſen, ihren Raub auf der Erde zu ſuchen;
Und zuerſt ſich erkuͤhnten, zunaͤchſt bey dem Sitz des Allmaͤchtgen
Jhre Wohnung zu nehmen; bey ſeinem heiligen Altar
Jhren ſchaͤndlichen Altar zu ſetzen, als Goͤtter verehret
380Von den Nationen umher; die ſich wagten, Jehovah,
Der von Sion gedonnert, und zwiſchen den Cherubim thronte,
Auszuhalten; die ihre Greuel und Goͤtzenaltaͤre
Oft in ſein Heiligthum ſtellten, und mit verfluchten Gebraͤuchen
Seines Tempels Gebraͤuch’ und heilige Feſttag’ entweihten,
385Und oft mit ihrer Finſterniß ſeine Klarheit beleidigt.
Erſt kam Moloch, ein greulicher Koͤnig [Spaltenumbruch] k), befleckt mit dem Blute
Menſchlicher Opfer; mit Thraͤnen der Eltern, die vor dem Getoͤſe
Schallender Pauken und Trommeln das Schreyn der Kinder nicht hoͤrten,
Die zu ſeinem grimmigen Bilde durchs Feuer hingiengen.
Jhn
k) Moloch war der Abgott der Am-
moniter. Sein Goͤtzenbild war nach
den Rabbinen von Erzt; er ſaß auf
einem Thron von demſelben Me-
tall, und hatte das Haupt von einem
Kalbe, mit einer Koͤnigskrone geziert.
Seine Arme waren ausgeſpreitet, die
elenden Opfer zu empfangen, die dar-
inn verbrannt werden ſollten. Jn der
Schrift wird geſagt, daß die Kin-
[Spaltenumbruch] der dem Moloch durchs. Feuer
giengen.
Unſer Dichter braucht eben
dieſen Ausdruck, woraus zu verſtehn
iſt, daß man die Kinder dieſem Goͤ-
tzen zu Ehren nicht immer wirklich
verbrannte, ſondern ſie nur geſchwind
durch die Flammen gehn ließ, ſie da-
durch zu reinigen, und dieſem Goͤtzen
zu heiligen. N.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <lg type="poem">
          <pb facs="#f0036" n="22"/>
          <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Das verlohrne Paradies.</hi> </fw><lb/>
          <lg n="14">
            <l><note place="left">370</note>Sage, Mu&#x017F;e, die dann beru&#x0364;hmt gewordenen Namen;</l><lb/>
            <l>Wer zuer&#x017F;t, wer zuletzt, auf den Ruf des großen Beherr&#x017F;chers,</l><lb/>
            <l>Da &#x017F;ie auf die&#x017F;em feurigen Lager vom Schlummer erwachet,</l><lb/>
            <l>Jeder nach &#x017F;einem Range zu ihm an den nackenden Strand kam,</l><lb/>
            <l>Da die Gemeinen das Feld in vermi&#x017F;chten Haufen bedeckten?</l><lb/>
            <l><note place="left">375</note>Die&#x017F;es waren die er&#x017F;ten, die lange hernach aus dem Abgrund</l><lb/>
            <l>Sich herausri&#x017F;&#x017F;en, ihren Raub auf der Erde zu &#x017F;uchen;</l><lb/>
            <l>Und zuer&#x017F;t &#x017F;ich erku&#x0364;hnten, zuna&#x0364;ch&#x017F;t bey dem Sitz des Allma&#x0364;chtgen</l><lb/>
            <l>Jhre Wohnung zu nehmen; bey &#x017F;einem heiligen Altar</l><lb/>
            <l>Jhren &#x017F;cha&#x0364;ndlichen Altar zu &#x017F;etzen, als Go&#x0364;tter verehret</l><lb/>
            <l><note place="left">380</note>Von den Nationen umher; die &#x017F;ich wagten, <hi rendition="#fr">Jehovah,</hi></l><lb/>
            <l>Der von <hi rendition="#fr">Sion</hi> gedonnert, und zwi&#x017F;chen den <hi rendition="#fr">Cherubim</hi> thronte,</l><lb/>
            <l>Auszuhalten; die ihre Greuel und Go&#x0364;tzenalta&#x0364;re</l><lb/>
            <l>Oft in &#x017F;ein Heiligthum &#x017F;tellten, und mit verfluchten Gebra&#x0364;uchen</l><lb/>
            <l>Seines Tempels Gebra&#x0364;uch&#x2019; und heilige Fe&#x017F;ttag&#x2019; entweihten,</l><lb/>
            <l><note place="left">385</note>Und oft mit ihrer Fin&#x017F;terniß &#x017F;eine Klarheit beleidigt.</l><lb/>
            <l>Er&#x017F;t kam <hi rendition="#fr">Moloch,</hi> ein greulicher Ko&#x0364;nig <cb/>
<note place="foot" n="k)">Moloch war der Abgott der Am-<lb/>
moniter. Sein Go&#x0364;tzenbild war nach<lb/>
den Rabbinen von Erzt; er &#x017F;aß auf<lb/>
einem Thron von dem&#x017F;elben Me-<lb/>
tall, und hatte das Haupt von einem<lb/>
Kalbe, mit einer Ko&#x0364;nigskrone geziert.<lb/>
Seine Arme waren ausge&#x017F;preitet, die<lb/>
elenden Opfer zu empfangen, die dar-<lb/>
inn verbrannt werden &#x017F;ollten. Jn der<lb/>
Schrift wird ge&#x017F;agt, daß <hi rendition="#fr">die Kin-<lb/><cb/>
der dem Moloch durchs. Feuer<lb/>
giengen.</hi> Un&#x017F;er Dichter braucht eben<lb/>
die&#x017F;en Ausdruck, woraus zu ver&#x017F;tehn<lb/>
i&#x017F;t, daß man die Kinder die&#x017F;em Go&#x0364;-<lb/>
tzen zu Ehren nicht immer wirklich<lb/>
verbrannte, &#x017F;ondern &#x017F;ie nur ge&#x017F;chwind<lb/>
durch die Flammen gehn ließ, &#x017F;ie da-<lb/>
durch zu reinigen, und die&#x017F;em Go&#x0364;tzen<lb/>
zu heiligen. <hi rendition="#fr">N.</hi></note>, befleckt mit dem Blute</l><lb/>
            <l>Men&#x017F;chlicher Opfer; mit Thra&#x0364;nen der Eltern, die vor dem Geto&#x0364;&#x017F;e</l><lb/>
            <l>Schallender Pauken und Trommeln das Schreyn der Kinder nicht ho&#x0364;rten,</l><lb/>
            <l>Die zu &#x017F;einem grimmigen Bilde durchs Feuer hingiengen.</l><lb/>
            <fw place="bottom" type="catch">Jhn</fw><lb/>
          </lg>
        </lg>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[22/0036] Das verlohrne Paradies. Sage, Muſe, die dann beruͤhmt gewordenen Namen; Wer zuerſt, wer zuletzt, auf den Ruf des großen Beherrſchers, Da ſie auf dieſem feurigen Lager vom Schlummer erwachet, Jeder nach ſeinem Range zu ihm an den nackenden Strand kam, Da die Gemeinen das Feld in vermiſchten Haufen bedeckten? Dieſes waren die erſten, die lange hernach aus dem Abgrund Sich herausriſſen, ihren Raub auf der Erde zu ſuchen; Und zuerſt ſich erkuͤhnten, zunaͤchſt bey dem Sitz des Allmaͤchtgen Jhre Wohnung zu nehmen; bey ſeinem heiligen Altar Jhren ſchaͤndlichen Altar zu ſetzen, als Goͤtter verehret Von den Nationen umher; die ſich wagten, Jehovah, Der von Sion gedonnert, und zwiſchen den Cherubim thronte, Auszuhalten; die ihre Greuel und Goͤtzenaltaͤre Oft in ſein Heiligthum ſtellten, und mit verfluchten Gebraͤuchen Seines Tempels Gebraͤuch’ und heilige Feſttag’ entweihten, Und oft mit ihrer Finſterniß ſeine Klarheit beleidigt. Erſt kam Moloch, ein greulicher Koͤnig k), befleckt mit dem Blute Menſchlicher Opfer; mit Thraͤnen der Eltern, die vor dem Getoͤſe Schallender Pauken und Trommeln das Schreyn der Kinder nicht hoͤrten, Die zu ſeinem grimmigen Bilde durchs Feuer hingiengen. Jhn k) Moloch war der Abgott der Am- moniter. Sein Goͤtzenbild war nach den Rabbinen von Erzt; er ſaß auf einem Thron von demſelben Me- tall, und hatte das Haupt von einem Kalbe, mit einer Koͤnigskrone geziert. Seine Arme waren ausgeſpreitet, die elenden Opfer zu empfangen, die dar- inn verbrannt werden ſollten. Jn der Schrift wird geſagt, daß die Kin- der dem Moloch durchs. Feuer giengen. Unſer Dichter braucht eben dieſen Ausdruck, woraus zu verſtehn iſt, daß man die Kinder dieſem Goͤ- tzen zu Ehren nicht immer wirklich verbrannte, ſondern ſie nur geſchwind durch die Flammen gehn ließ, ſie da- durch zu reinigen, und dieſem Goͤtzen zu heiligen. N.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/milton_paradies01_1760
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/milton_paradies01_1760/36
Zitationshilfe: Milton, John: Das Verlohrne Paradies. Bd. 1. Übers. v. Justus Friedrich Wilhelm Zachariae. Altona, 1760, S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/milton_paradies01_1760/36>, abgerufen am 25.04.2024.