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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 2, St. 2. Berlin, 1784.

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Magazin
zur
Erfahrungsseelenkunde.

Zweiten Bandes zweites Stück.

Zur
Seelenkrankheitskunde.

I. Sonderbare Aeußerungen des Wahnwitzes, in einem Briefe aus Rußland an Herrn Buchhändler W** in Berlin.*)

Hoch- und Wohledler Herr!

Ob wohl bishero an medicinischen Büchern kein Mangel gewesen, so werde ich doch keine Todsünde begehen, zu Nutzen des ganzen mensch-

*) Wenn man von irgend einer Tollheit sagen kann, daß Methode darinn sey, so gilt dieß von derjenigen, welche in diesem Briefe herrscht, worin Herr W**, eine medicinische Schrift in Verlag zu nehmen, ersucht wird. Antithesen, witzige Wendungen, geheimnißvolle Winke, alles kömmt zusammen, den Unsinn zu verstecken, daß man ihn oft beim ersten Anschein nicht merkt, und glauben sollte, es liege, wer weiß was für geheime Weißheit darunter verborgen. Jndes kömmt alles, was der Verfasser, der vermuthlich ein verunglückter Arzt ist, in Rücksicht auf die Arzneikunst, gedruckt, gelesen, und empfunden haben mag, hier in sonderbarem Gemisch untereinander. Er wird bald pathetisch, bald geheimnißvoll, bald witzig, bald ärgerlich, nachdem irgend einer seiner herrschenden Gedanken sich vordrängt. Vermuthlich war es ein nicht ganz schlechter Kopf, dessen Eifer beim Nachgrübeln eben seine Kräfte überstieg, und der vielleicht unter andern Umständen brauchbar geworden wäre. Wenigstens scheinen noch hier und da einige schimmernde Reste unter den Trümmern seines zerrütteten Verstandes hervorzublicken. M.

Magazin
zur
Erfahrungsseelenkunde.

Zweiten Bandes zweites Stuͤck.

Zur
Seelenkrankheitskunde.

I. Sonderbare Aeußerungen des Wahnwitzes, in einem Briefe aus Rußland an Herrn Buchhaͤndler W** in Berlin.*)

Hoch- und Wohledler Herr!

Ob wohl bishero an medicinischen Buͤchern kein Mangel gewesen, so werde ich doch keine Todsuͤnde begehen, zu Nutzen des ganzen mensch-

*) Wenn man von irgend einer Tollheit sagen kann, daß Methode darinn sey, so gilt dieß von derjenigen, welche in diesem Briefe herrscht, worin Herr W**, eine medicinische Schrift in Verlag zu nehmen, ersucht wird. Antithesen, witzige Wendungen, geheimnißvolle Winke, alles koͤmmt zusammen, den Unsinn zu verstecken, daß man ihn oft beim ersten Anschein nicht merkt, und glauben sollte, es liege, wer weiß was fuͤr geheime Weißheit darunter verborgen. Jndes koͤmmt alles, was der Verfasser, der vermuthlich ein verungluͤckter Arzt ist, in Ruͤcksicht auf die Arzneikunst, gedruckt, gelesen, und empfunden haben mag, hier in sonderbarem Gemisch untereinander. Er wird bald pathetisch, bald geheimnißvoll, bald witzig, bald aͤrgerlich, nachdem irgend einer seiner herrschenden Gedanken sich vordraͤngt. Vermuthlich war es ein nicht ganz schlechter Kopf, dessen Eifer beim Nachgruͤbeln eben seine Kraͤfte uͤberstieg, und der vielleicht unter andern Umstaͤnden brauchbar geworden waͤre. Wenigstens scheinen noch hier und da einige schimmernde Reste unter den Truͤmmern seines zerruͤtteten Verstandes hervorzublicken. M.
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Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2015-06-09T11:00:00Z)
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  • Zu Moritz’ Zeit war es üblich, bei mehrzeiligen Zitaten vor jeder Zeile Anführungsstriche zu setzen. Diese wiederholten Anführungsstriche des Originals werden stillschweigend getilgt.
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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 2, St. 2. Berlin, 1784, S. [1]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0202_1784/1>, abgerufen am 29.03.2024.