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Moser, Friedrich Carl von: Politische Wahrheiten. Bd. 1. Zürich, 1796.

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kann: Je länger je mehr hat und kann der Herr
beydes; und zur Entschädigung erhält dagegen
das Volk Press- und Fressfreiheit, das dann
beydes vor das Menschengeschlecht, wie sichs
allmälig artet, immer noch Surrogat vor den
verrauchten Geist der Gesetze ist.


Montesquieu sagt: Die Menschen sind, wie
ihr Clima; man müsste solchemnach sagen: Die
Regenten sind, wie die Verfassungen, in denen
sie gebohren und erzogen werden; daraus wür-
de folgen, dass alle orientalische Kayser Tyran-
nen und alle Könige in Engelland Heilige wä-
ren; dass in der Christenheit, deren erster Re-
ligionsgrundsatz Liebe und Verträglichkeit ist,
eitel Friede herrsche, und dagegen die [Y]ncas
und Otaheiter in ewiger Fehde leben müssten.

Die Geschichte aller Zeiten und Völker, aller
Religions- und Regierungsverfassungen, bewährt
aber, dass, dieses mannigfaltigen Unterschieds
ohngeachtet, in einem und eben demselben
Reich gute und böse Regenten gewesen. Das
nemliche Jahrhundert, das Neronen, Caligula's
und Domitiane hatte, brachte auch einen Ti-
tus, Vespasian und Marc Aurel hervor; und,
seines catholischen Prädicats ohngeachtet,

kann: Je länger je mehr hat und kann der Herr
beydes; und zur Entschädigung erhält dagegen
das Volk Preſs- und Freſsfreiheit, das dann
beydes vor das Menschengeschlecht, wie sichs
allmälig artet, immer noch Surrogat vor den
verrauchten Geist der Gesetze ist.


Montesquieu sagt: Die Menschen sind, wie
ihr Clima; man müſste solchemnach sagen: Die
Regenten sind, wie die Verfassungen, in denen
sie gebohren und erzogen werden; daraus wür-
de folgen, daſs alle orientalische Kayser Tyran-
nen und alle Könige in Engelland Heilige wä-
ren; daſs in der Christenheit, deren erster Re-
ligionsgrundsatz Liebe und Verträglichkeit ist,
eitel Friede herrsche, und dagegen die [Y]ncas
und Otaheiter in ewiger Fehde leben müſsten.

Die Geschichte aller Zeiten und Völker, aller
Religions- und Regierungsverfassungen, bewährt
aber, daſs, dieses mannigfaltigen Unterschieds
ohngeachtet, in einem und eben demselben
Reich gute und böse Regenten gewesen. Das
nemliche Jahrhundert, das Neronen, Caligula’s
und Domitiane hatte, brachte auch einen Ti-
tus, Vespasian und Marc Aurel hervor; und,
seines catholischen Prädicats ohngeachtet,

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[27/0033] kann: Je länger je mehr hat und kann der Herr beydes; und zur Entschädigung erhält dagegen das Volk Preſs- und Freſsfreiheit, das dann beydes vor das Menschengeschlecht, wie sichs allmälig artet, immer noch Surrogat vor den verrauchten Geist der Gesetze ist. Montesquieu sagt: Die Menschen sind, wie ihr Clima; man müſste solchemnach sagen: Die Regenten sind, wie die Verfassungen, in denen sie gebohren und erzogen werden; daraus wür- de folgen, daſs alle orientalische Kayser Tyran- nen und alle Könige in Engelland Heilige wä- ren; daſs in der Christenheit, deren erster Re- ligionsgrundsatz Liebe und Verträglichkeit ist, eitel Friede herrsche, und dagegen die Yncas und Otaheiter in ewiger Fehde leben müſsten. Die Geschichte aller Zeiten und Völker, aller Religions- und Regierungsverfassungen, bewährt aber, daſs, dieses mannigfaltigen Unterschieds ohngeachtet, in einem und eben demselben Reich gute und böse Regenten gewesen. Das nemliche Jahrhundert, das Neronen, Caligula’s und Domitiane hatte, brachte auch einen Ti- tus, Vespasian und Marc Aurel hervor; und, seines catholischen Prädicats ohngeachtet,

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Zitationshilfe: Moser, Friedrich Carl von: Politische Wahrheiten. Bd. 1. Zürich, 1796, S. 27. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moser_politische01_1796/33>, abgerufen am 25.04.2024.