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Badener Zeitung. Nr. 5, Baden (Niederösterreich), 15.01.1908.

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Badener Zeitung
Deutsch-freiheitliches und unabhängiges Organ.

[Spaltenumbruch] Redaktionsschluß:
Dienstag und Freitag früh.
[Spaltenumbruch] Erscheint Mittwoch und Samstag früh.



Telephon-Anschluß Nr. 229.

[Spaltenumbruch] Unverlangt eingesandte Manuskripte
werden nicht zurückgesendet.
Abonnement Baden: Zum Abholen vierteljährig K 2·50, halbjährig K 5·--, ganzjährig K 10·--. Mit Zustellung ins Hans Baden: Vierteljährig K 3·--, halbjährig K 6--,
ganzjährig K 12·--. Oesterreich-Ungarn: Mit Zusendung vierteljährig K 3·30, halbjährig K 6·50, ganzjährig K 13·--. Einzelne Mittwoch-Nummer 12 h, Samstag-
Nummer 16 h. -- Inserate
werden per 80 mm breite Petitzeile mit 16 h für die erste, und mit 14 h für fünf nacheinander folgende Einschaltungen berechnet, größere Aufträge
nach Uebereinkommen und können auch durch die bestehenden Annonzen-Bureaus an die Administration gerichtet werden. -- Interessante Mitteilungen, Notizen und
Korrespondenzen werden nach Uebereinkunft honoriert. -- Manuskripte werden nicht zurückgestellt. -- Redaktion und Administration: Baden, Pfarrgasse Nr. 3.
(Die Samstag-Nummer enthält die Gratis-Beilage "Illustriertes Unterhaltungsblatt".)




Nr. 5. Mittwoch, den 15. Jänner 1908. 29. Jahrg.


[Spaltenumbruch]
Minister Peschka

hat sich unstreitig das große Verdienst er-
worben, in seiner Landskroner Rede eine
Klarheit in die Politik des Ministeriums
Beck gebracht zu haben. Ein Mitglied des
Ministeriums Beck erklärte in einer Kandi-
tatenrede für ein Landtagsmandat in Böhmen,
daß man die Christlichsozialen zur Vertretung
der deutschen Interessen heranziehen müsse
und daß diese Partei sich zu der Erfüllung
dieser nationalen Pflicht auch bereit erklärt
habe. Wenn ein Minister eine solche Erklärung
abgibt, so kann man wohl einen vollständigen
Pakt voraussetzen, denn eine so starke Partei
wie die christlichsoziale, welche doch nichts
anderes ist als eine radikal-klerikale Partei,
kann unmöglich so große Verpflichtungen ohne
irgend eine Gegenleistung übernehmen. Wenn
die österreichische klerikale, jetzt allmächtige
Partei nur aus Großmut nationale Schein-
politik treiben wollte, so würde sie die ganze
Grundlage ihrer politischen Macht erschüttern.
[Spaltenumbruch] Die Richtigkeit dieses Ausspruches wird mir
jeder praktische Politiker bestätigen. Seine
Exzellenz Minister Peschka ist jedoch nicht
nur deutscher Landsmannminister, sondern
auch der ausgesprochene Führer der Landwirte
in Deutsch-Böhmen und mit dieser von ihm in-
ßenierten Politik ist auch den Erfolgen meiner
und Dr. Pickerts von Leitmeritz ausgehen-
den Arbeit der Todesstoß gegeben. Dr. Pickert
ist längst tot und so ist es wohl verzeihlich,
wenn ich auf unsere damaligen gemeinschaft-
lichen Bemühungen zurückkomme.

Die von mir von Leitmeritz ausgehende
Agitation hatte den Hauptzweck, eine intensive
Vertretung der landwirtschaftlichen Interessen
des Bauernstandes in Böhmen herbeizuführen
und den deutschen Bauernstand für die frei-
heitliche Richtung zu erhalten. Mir war es
gleich anfangs ganz klar, daß dem deutschen
und auch tschechischen Bauernstande nur eine
gesunde Agrarpolitik ersprießlich sein könne
und man denselben von jeder Agrarierpolitik
zurückhalten müsse. Zwischen Agrar- und
[Spaltenumbruch] Agrarierpolitik ist nämlich ein großer Unter-
schied. Die Agrarpolitik des Bauernstandes
ist die intensivste Vertretung der materiellen
Interessen des Bauernstandes, die Agrarier-
politik ist aber die Politik des Freiherrn
Schorlemer v. Alst eine reine Standes-
politik, welche nur die Bestimmung hat, eine
Bauernaristokratie herbeizuführen, welche das
Piedestal der wirklichen Aristokratie zu bilden
hätte. Sowohl die deutschen als auch die
tschechischen bäuerlichen Kreise waren so in-
telligent, diesen großen Unterschied der beiden
Richtungen nach meinen Aufklärungen zu be-
greifen und auf dieser Grundlage beruhten
auch meine Erfolge. Die Geschichte jener Zeit
habe ich in einer am 15. Februar 1891 im
Leitmeritzer Rathaussaale gehaltenen Rede
festgelegt und glaube ich, einen Passus dieser
Rede heute veröffentlichen zu sollen:

Das sind die Grundlagen, auf denen der Versuch
beruhte, seinerzeit gemeinsam mit den tschechischen
Landwirten den Landeskulturrat zu reformieren. Die
Verantwortung dieses Versuches trage ich ganz allein.




[Spaltenumbruch]
Augensprache.
Wo Blicke sprechen, müssen Worte schweigen,
Zu wenig künden sie und oft -- zu viel:
Nur eines Augenstrahls im Köpfchenneigen
Bedarf's, den Pfeil zu schnellen an sein Ziel;
Er dringt, so süß verwundend, in die Seele,
Da doch ein Wort wie leicht zur Erde fällt --
Und wenn ich auch aus allen Worten wähle,
Ich finde keins, das Deinen Blick enthält!



Askese.
Küssen möcht' ich Dich in Gluten
Und des Blutes Brandung, schäumend
Wie des Meeres wilde Fluten,
Hemmen nicht -- von Liebe träumend ...
Träumend von der Liebe Fülle,
Wie sie Götter nur begreifen,
Lös' im Geist ich von der Hülle
Deines Blütenleibs die Schleifen --!
An dem Marmor deiner Glieder
Will ich mir die Lippen kühlen -- --
Ach, ich träume nur -- und Lieder
Schwelgen einzig immer wieder
In des Liebestraums Gefühlen.



[Spaltenumbruch]


Feuilleton.




Wiedersehen.

Sie führte ihr siebentes Kind aufs Eis.

Das war ein Festtag für alle.

"Meine Frau will wieder das Eisbein schwingen",
hatte Leo zu Hans gesagt und den Vorschlag, Käthes
Debut zu begleiten, weit von sich gewiesen. Als junger
Ehemann war er noch oft mit ihr aufs Eis ge-
gangen, und im frohen Spiel hatten sie wie einst in
jungen Tagen die Luft durchschnitten. Seit aber
Noras erste Schlittschuhe auf dem Weihnachtstisch
gelegen hatten, war Leo nicht mehr mitgegangen. Da
war sie denn Jahr für Jahr mit den Kindern aufs
Eis gegangen und hatte ein Paar zarte Beinchen nach
dem anderen auf die blanken Stahlschienen gestellt.
Wie viel Mühe und Sorgfalt, wie viel Geduld hatten
die sieben beansprucht, und wie sauer war es ihr ge-
worden, dies zweite Laufenlernen! Nun sollte Käthchen,
das Nesthäkchen, auch in diese hohe Weisheit einge-
weiht werden. Die Wintersonne lachte, das Eis
glitzerte, und froh und stolz schritt die schöne Frau
mit ihren Sieben und den klappernden Schlittschuhen
durch den Toreingang.

Die Kapelle spielte -- o, wie gern hätte sie sich
wie einst mit Leo im Wiegelauf nach dem Takte ge-
schwungen! Aber das Rotkäppchen da mit seinen
dünnen Krepelbeinchen, die bald nach rechts und bald
nach links knicken, das brauchte heute ihre ganze
mütterliche Fürsorge. Nora -- ja, so wie die sich
auf dem Eise zeigte, erschien schon der Referendar,
der ihr durchaus eine "Acht" erklären mußte -- in
der Künstlerecke natürlich, ungestört von Käthes Ver-
suchen. Hans und Walter, die großen Buben, die
[Spaltenumbruch] wären schon geeignet gewesen zum flotten Zusammen-
lauf, aber sie lächelte. So geht's. Das hatte sie noch
im Ohr, wie man von dem Transport schwerer Ge-
schütze über das Eis des Baikalsees gesprochen, und
Walter mit unsagbarem Bengelgesicht gesagt hatte:
"Na, unsere Mutter ist ja auch ein schweres Geschütz
auf dem Eise".

Schweres Geschütz. Ja, ja, das waren die
Vierzig und die siebenfache Mutterschaft.

Da ließ sie die Jungen allein ihre Kreise ziehen
und bewunderte stolz, wenn ihr Hans "sprang", ganz
überzeugt von der Kunstleistung dieser Varietät. Max
und Willi dagegen, die furchtbaren Buben, die hatten
sofort ein Kriegsspiel begonnen, das zu gefahr-
drohenden Jagden ausartete. An kunstvolles Laufen,
wie es die drei ältesten übten, die gertenschlanke Nora
mit dem Referendar und die beiden Brüder im
Wechsellauf, war hier nicht zu denken. Max und Willi
jagten und rannten über das Eis, ohne jede Achtung
vor den ästhetischen Forderungen des Kunstlaufes.
Und wenn sie vorüberstürmend nahten, suchte Grete
möglichst Schutz -- sie lief erst seit einem Jahre
und hatte noch nicht ganz die Technik der Ausstoßens
begriffen, sondern zog den Fuß noch immer wie eine
lahme Henne nach. Käthe aber brach bei jeder An-
näherung der bösen Buben in wildes Geschrei aus.
Sie konnte fürs erste lediglich stehen auf den Stahl-
schienen und war jeder Bewegung unfähig. Wie eine
gute Klucke mußte Mutter Helene also wohl oder übel
bei ihren Kücken bleiben und den beiden kleinen
Mädchen alle ihre Aufmerksamkeit widmen. Drüben
in der Waldnische tauchte hin und wieder die bieg-
same Gestalt der Tochter auf, und Helenens Sorge
streifte um die beiden jungen Menschenkinder, die
dort im Wiegen und Neigen vielleicht ihre Herzen
allzunah aneinander brachten.

Fahler wurde der lachende Sonnenschein, und
grauer tönten die Schatten umher. Und Helenens


Badener Zeitung
Deutſch-freiheitliches und unabhängiges Organ.

[Spaltenumbruch] Redaktionsſchluß:
Dienstag und Freitag früh.
[Spaltenumbruch] Erſcheint Mittwoch und Samstag früh.



Telephon-Anſchluß Nr. 229.

[Spaltenumbruch] Unverlangt eingeſandte Manuſkripte
werden nicht zurückgeſendet.
Abonnement Baden: Zum Abholen vierteljährig K 2·50, halbjährig K 5·—, ganzjährig K 10·—. Mit Zuſtellung ins Hans Baden: Vierteljährig K 3·—, halbjährig K 6—,
ganzjährig K 12·—. Oeſterreich-Ungarn: Mit Zuſendung vierteljährig K 3·30, halbjährig K 6·50, ganzjährig K 13·—. Einzelne Mittwoch-Nummer 12 h, Samstag-
Nummer 16 h. — Inſerate
werden per 80 mm breite Petitzeile mit 16 h für die erſte, und mit 14 h für fünf nacheinander folgende Einſchaltungen berechnet, größere Aufträge
nach Uebereinkommen und können auch durch die beſtehenden Annonzen-Bureaus an die Adminiſtration gerichtet werden. — Intereſſante Mitteilungen, Notizen und
Korreſpondenzen werden nach Uebereinkunft honoriert. — Manuſkripte werden nicht zurückgeſtellt. — Redaktion und Adminiſtration: Baden, Pfarrgaſſe Nr. 3.
(Die Samstag-Nummer enthält die Gratis-Beilage „Illuſtriertes Unterhaltungsblatt“.)




Nr. 5. Mittwoch, den 15. Jänner 1908. 29. Jahrg.


[Spaltenumbruch]
Miniſter Peſchka

hat ſich unſtreitig das große Verdienſt er-
worben, in ſeiner Landskroner Rede eine
Klarheit in die Politik des Miniſteriums
Beck gebracht zu haben. Ein Mitglied des
Miniſteriums Beck erklärte in einer Kandi-
tatenrede für ein Landtagsmandat in Böhmen,
daß man die Chriſtlichſozialen zur Vertretung
der deutſchen Intereſſen heranziehen müſſe
und daß dieſe Partei ſich zu der Erfüllung
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habe. Wenn ein Miniſter eine ſolche Erklärung
abgibt, ſo kann man wohl einen vollſtändigen
Pakt vorausſetzen, denn eine ſo ſtarke Partei
wie die chriſtlichſoziale, welche doch nichts
anderes iſt als eine radikal-klerikale Partei,
kann unmöglich ſo große Verpflichtungen ohne
irgend eine Gegenleiſtung übernehmen. Wenn
die öſterreichiſche klerikale, jetzt allmächtige
Partei nur aus Großmut nationale Schein-
politik treiben wollte, ſo würde ſie die ganze
Grundlage ihrer politiſchen Macht erſchüttern.
[Spaltenumbruch] Die Richtigkeit dieſes Ausſpruches wird mir
jeder praktiſche Politiker beſtätigen. Seine
Exzellenz Miniſter Peſchka iſt jedoch nicht
nur deutſcher Landsmannminiſter, ſondern
auch der ausgeſprochene Führer der Landwirte
in Deutſch-Böhmen und mit dieſer von ihm in-
ſzenierten Politik iſt auch den Erfolgen meiner
und Dr. Pickerts von Leitmeritz ausgehen-
den Arbeit der Todesſtoß gegeben. Dr. Pickert
iſt längſt tot und ſo iſt es wohl verzeihlich,
wenn ich auf unſere damaligen gemeinſchaft-
lichen Bemühungen zurückkomme.

Die von mir von Leitmeritz ausgehende
Agitation hatte den Hauptzweck, eine intenſive
Vertretung der landwirtſchaftlichen Intereſſen
des Bauernſtandes in Böhmen herbeizuführen
und den deutſchen Bauernſtand für die frei-
heitliche Richtung zu erhalten. Mir war es
gleich anfangs ganz klar, daß dem deutſchen
und auch tſchechiſchen Bauernſtande nur eine
geſunde Agrarpolitik erſprießlich ſein könne
und man denſelben von jeder Agrarierpolitik
zurückhalten müſſe. Zwiſchen Agrar- und
[Spaltenumbruch] Agrarierpolitik iſt nämlich ein großer Unter-
ſchied. Die Agrarpolitik des Bauernſtandes
iſt die intenſivſte Vertretung der materiellen
Intereſſen des Bauernſtandes, die Agrarier-
politik iſt aber die Politik des Freiherrn
Schorlemer v. Alſt eine reine Standes-
politik, welche nur die Beſtimmung hat, eine
Bauernariſtokratie herbeizuführen, welche das
Piedeſtal der wirklichen Ariſtokratie zu bilden
hätte. Sowohl die deutſchen als auch die
tſchechiſchen bäuerlichen Kreiſe waren ſo in-
telligent, dieſen großen Unterſchied der beiden
Richtungen nach meinen Aufklärungen zu be-
greifen und auf dieſer Grundlage beruhten
auch meine Erfolge. Die Geſchichte jener Zeit
habe ich in einer am 15. Februar 1891 im
Leitmeritzer Rathausſaale gehaltenen Rede
feſtgelegt und glaube ich, einen Paſſus dieſer
Rede heute veröffentlichen zu ſollen:

Das ſind die Grundlagen, auf denen der Verſuch
beruhte, ſeinerzeit gemeinſam mit den tſchechiſchen
Landwirten den Landeskulturrat zu reformieren. Die
Verantwortung dieſes Verſuches trage ich ganz allein.




[Spaltenumbruch]
Augenſprache.
Wo Blicke ſprechen, müſſen Worte ſchweigen,
Zu wenig künden ſie und oft — zu viel:
Nur eines Augenſtrahls im Köpfchenneigen
Bedarf’s, den Pfeil zu ſchnellen an ſein Ziel;
Er dringt, ſo ſüß verwundend, in die Seele,
Da doch ein Wort wie leicht zur Erde fällt —
Und wenn ich auch aus allen Worten wähle,
Ich finde keins, das Deinen Blick enthält!



Askeſe.
Küſſen möcht’ ich Dich in Gluten
Und des Blutes Brandung, ſchäumend
Wie des Meeres wilde Fluten,
Hemmen nicht — von Liebe träumend ...
Träumend von der Liebe Fülle,
Wie ſie Götter nur begreifen,
Löſ’ im Geiſt ich von der Hülle
Deines Blütenleibs die Schleifen —!
An dem Marmor deiner Glieder
Will ich mir die Lippen kühlen — —
Ach, ich träume nur — und Lieder
Schwelgen einzig immer wieder
In des Liebestraums Gefühlen.



[Spaltenumbruch]


Feuilleton.




Wiederſehen.

Sie führte ihr ſiebentes Kind aufs Eis.

Das war ein Feſttag für alle.

„Meine Frau will wieder das Eisbein ſchwingen“,
hatte Leo zu Hans geſagt und den Vorſchlag, Käthes
Debut zu begleiten, weit von ſich gewieſen. Als junger
Ehemann war er noch oft mit ihr aufs Eis ge-
gangen, und im frohen Spiel hatten ſie wie einſt in
jungen Tagen die Luft durchſchnitten. Seit aber
Noras erſte Schlittſchuhe auf dem Weihnachtstiſch
gelegen hatten, war Leo nicht mehr mitgegangen. Da
war ſie denn Jahr für Jahr mit den Kindern aufs
Eis gegangen und hatte ein Paar zarte Beinchen nach
dem anderen auf die blanken Stahlſchienen geſtellt.
Wie viel Mühe und Sorgfalt, wie viel Geduld hatten
die ſieben beanſprucht, und wie ſauer war es ihr ge-
worden, dies zweite Laufenlernen! Nun ſollte Käthchen,
das Neſthäkchen, auch in dieſe hohe Weisheit einge-
weiht werden. Die Winterſonne lachte, das Eis
glitzerte, und froh und ſtolz ſchritt die ſchöne Frau
mit ihren Sieben und den klappernden Schlittſchuhen
durch den Toreingang.

Die Kapelle ſpielte — o, wie gern hätte ſie ſich
wie einſt mit Leo im Wiegelauf nach dem Takte ge-
ſchwungen! Aber das Rotkäppchen da mit ſeinen
dünnen Krepelbeinchen, die bald nach rechts und bald
nach links knicken, das brauchte heute ihre ganze
mütterliche Fürſorge. Nora — ja, ſo wie die ſich
auf dem Eiſe zeigte, erſchien ſchon der Referendar,
der ihr durchaus eine „Acht“ erklären mußte — in
der Künſtlerecke natürlich, ungeſtört von Käthes Ver-
ſuchen. Hans und Walter, die großen Buben, die
[Spaltenumbruch] wären ſchon geeignet geweſen zum flotten Zuſammen-
lauf, aber ſie lächelte. So geht’s. Das hatte ſie noch
im Ohr, wie man von dem Transport ſchwerer Ge-
ſchütze über das Eis des Baikalſees geſprochen, und
Walter mit unſagbarem Bengelgeſicht geſagt hatte:
„Na, unſere Mutter iſt ja auch ein ſchweres Geſchütz
auf dem Eiſe“.

Schweres Geſchütz. Ja, ja, das waren die
Vierzig und die ſiebenfache Mutterſchaft.

Da ließ ſie die Jungen allein ihre Kreiſe ziehen
und bewunderte ſtolz, wenn ihr Hans „ſprang“, ganz
überzeugt von der Kunſtleiſtung dieſer Varietät. Max
und Willi dagegen, die furchtbaren Buben, die hatten
ſofort ein Kriegsſpiel begonnen, das zu gefahr-
drohenden Jagden ausartete. An kunſtvolles Laufen,
wie es die drei älteſten übten, die gertenſchlanke Nora
mit dem Referendar und die beiden Brüder im
Wechſellauf, war hier nicht zu denken. Max und Willi
jagten und rannten über das Eis, ohne jede Achtung
vor den äſthetiſchen Forderungen des Kunſtlaufes.
Und wenn ſie vorüberſtürmend nahten, ſuchte Grete
möglichſt Schutz — ſie lief erſt ſeit einem Jahre
und hatte noch nicht ganz die Technik der Ausſtoßens
begriffen, ſondern zog den Fuß noch immer wie eine
lahme Henne nach. Käthe aber brach bei jeder An-
näherung der böſen Buben in wildes Geſchrei aus.
Sie konnte fürs erſte lediglich ſtehen auf den Stahl-
ſchienen und war jeder Bewegung unfähig. Wie eine
gute Klucke mußte Mutter Helene alſo wohl oder übel
bei ihren Kücken bleiben und den beiden kleinen
Mädchen alle ihre Aufmerkſamkeit widmen. Drüben
in der Waldniſche tauchte hin und wieder die bieg-
ſame Geſtalt der Tochter auf, und Helenens Sorge
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dort im Wiegen und Neigen vielleicht ihre Herzen
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Fahler wurde der lachende Sonnenſchein, und
grauer tönten die Schatten umher. Und Helenens


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[[1]/0001] Badener Zeitung Deutſch-freiheitliches und unabhängiges Organ. Redaktionsſchluß: Dienstag und Freitag früh. Erſcheint Mittwoch und Samstag früh. Telephon-Anſchluß Nr. 229. Unverlangt eingeſandte Manuſkripte werden nicht zurückgeſendet. Abonnement Baden: Zum Abholen vierteljährig K 2·50, halbjährig K 5·—, ganzjährig K 10·—. Mit Zuſtellung ins Hans Baden: Vierteljährig K 3·—, halbjährig K 6—, ganzjährig K 12·—. Oeſterreich-Ungarn: Mit Zuſendung vierteljährig K 3·30, halbjährig K 6·50, ganzjährig K 13·—. 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Ein Mitglied des Miniſteriums Beck erklärte in einer Kandi- tatenrede für ein Landtagsmandat in Böhmen, daß man die Chriſtlichſozialen zur Vertretung der deutſchen Intereſſen heranziehen müſſe und daß dieſe Partei ſich zu der Erfüllung dieſer nationalen Pflicht auch bereit erklärt habe. Wenn ein Miniſter eine ſolche Erklärung abgibt, ſo kann man wohl einen vollſtändigen Pakt vorausſetzen, denn eine ſo ſtarke Partei wie die chriſtlichſoziale, welche doch nichts anderes iſt als eine radikal-klerikale Partei, kann unmöglich ſo große Verpflichtungen ohne irgend eine Gegenleiſtung übernehmen. Wenn die öſterreichiſche klerikale, jetzt allmächtige Partei nur aus Großmut nationale Schein- politik treiben wollte, ſo würde ſie die ganze Grundlage ihrer politiſchen Macht erſchüttern. Die Richtigkeit dieſes Ausſpruches wird mir jeder praktiſche Politiker beſtätigen. Seine Exzellenz Miniſter Peſchka iſt jedoch nicht nur deutſcher Landsmannminiſter, ſondern auch der ausgeſprochene Führer der Landwirte in Deutſch-Böhmen und mit dieſer von ihm in- ſzenierten Politik iſt auch den Erfolgen meiner und Dr. Pickerts von Leitmeritz ausgehen- den Arbeit der Todesſtoß gegeben. Dr. Pickert iſt längſt tot und ſo iſt es wohl verzeihlich, wenn ich auf unſere damaligen gemeinſchaft- lichen Bemühungen zurückkomme. Die von mir von Leitmeritz ausgehende Agitation hatte den Hauptzweck, eine intenſive Vertretung der landwirtſchaftlichen Intereſſen des Bauernſtandes in Böhmen herbeizuführen und den deutſchen Bauernſtand für die frei- heitliche Richtung zu erhalten. Mir war es gleich anfangs ganz klar, daß dem deutſchen und auch tſchechiſchen Bauernſtande nur eine geſunde Agrarpolitik erſprießlich ſein könne und man denſelben von jeder Agrarierpolitik zurückhalten müſſe. Zwiſchen Agrar- und Agrarierpolitik iſt nämlich ein großer Unter- ſchied. Die Agrarpolitik des Bauernſtandes iſt die intenſivſte Vertretung der materiellen Intereſſen des Bauernſtandes, die Agrarier- politik iſt aber die Politik des Freiherrn Schorlemer v. Alſt eine reine Standes- politik, welche nur die Beſtimmung hat, eine Bauernariſtokratie herbeizuführen, welche das Piedeſtal der wirklichen Ariſtokratie zu bilden hätte. Sowohl die deutſchen als auch die tſchechiſchen bäuerlichen Kreiſe waren ſo in- telligent, dieſen großen Unterſchied der beiden Richtungen nach meinen Aufklärungen zu be- greifen und auf dieſer Grundlage beruhten auch meine Erfolge. Die Geſchichte jener Zeit habe ich in einer am 15. Februar 1891 im Leitmeritzer Rathausſaale gehaltenen Rede feſtgelegt und glaube ich, einen Paſſus dieſer Rede heute veröffentlichen zu ſollen: Das ſind die Grundlagen, auf denen der Verſuch beruhte, ſeinerzeit gemeinſam mit den tſchechiſchen Landwirten den Landeskulturrat zu reformieren. Die Verantwortung dieſes Verſuches trage ich ganz allein. Augenſprache. Wo Blicke ſprechen, müſſen Worte ſchweigen, Zu wenig künden ſie und oft — zu viel: Nur eines Augenſtrahls im Köpfchenneigen Bedarf’s, den Pfeil zu ſchnellen an ſein Ziel; Er dringt, ſo ſüß verwundend, in die Seele, Da doch ein Wort wie leicht zur Erde fällt — Und wenn ich auch aus allen Worten wähle, Ich finde keins, das Deinen Blick enthält! Askeſe. Küſſen möcht’ ich Dich in Gluten Und des Blutes Brandung, ſchäumend Wie des Meeres wilde Fluten, Hemmen nicht — von Liebe träumend ... Träumend von der Liebe Fülle, Wie ſie Götter nur begreifen, Löſ’ im Geiſt ich von der Hülle Deines Blütenleibs die Schleifen —! An dem Marmor deiner Glieder Will ich mir die Lippen kühlen — — Ach, ich träume nur — und Lieder Schwelgen einzig immer wieder In des Liebestraums Gefühlen. Paul Tauſig. Feuilleton. Wiederſehen. Skizze von Marie Luiſe Becker. Sie führte ihr ſiebentes Kind aufs Eis. Das war ein Feſttag für alle. „Meine Frau will wieder das Eisbein ſchwingen“, hatte Leo zu Hans geſagt und den Vorſchlag, Käthes Debut zu begleiten, weit von ſich gewieſen. Als junger Ehemann war er noch oft mit ihr aufs Eis ge- gangen, und im frohen Spiel hatten ſie wie einſt in jungen Tagen die Luft durchſchnitten. Seit aber Noras erſte Schlittſchuhe auf dem Weihnachtstiſch gelegen hatten, war Leo nicht mehr mitgegangen. Da war ſie denn Jahr für Jahr mit den Kindern aufs Eis gegangen und hatte ein Paar zarte Beinchen nach dem anderen auf die blanken Stahlſchienen geſtellt. Wie viel Mühe und Sorgfalt, wie viel Geduld hatten die ſieben beanſprucht, und wie ſauer war es ihr ge- worden, dies zweite Laufenlernen! Nun ſollte Käthchen, das Neſthäkchen, auch in dieſe hohe Weisheit einge- weiht werden. Die Winterſonne lachte, das Eis glitzerte, und froh und ſtolz ſchritt die ſchöne Frau mit ihren Sieben und den klappernden Schlittſchuhen durch den Toreingang. Die Kapelle ſpielte — o, wie gern hätte ſie ſich wie einſt mit Leo im Wiegelauf nach dem Takte ge- ſchwungen! Aber das Rotkäppchen da mit ſeinen dünnen Krepelbeinchen, die bald nach rechts und bald nach links knicken, das brauchte heute ihre ganze mütterliche Fürſorge. Nora — ja, ſo wie die ſich auf dem Eiſe zeigte, erſchien ſchon der Referendar, der ihr durchaus eine „Acht“ erklären mußte — in der Künſtlerecke natürlich, ungeſtört von Käthes Ver- ſuchen. Hans und Walter, die großen Buben, die wären ſchon geeignet geweſen zum flotten Zuſammen- lauf, aber ſie lächelte. So geht’s. Das hatte ſie noch im Ohr, wie man von dem Transport ſchwerer Ge- ſchütze über das Eis des Baikalſees geſprochen, und Walter mit unſagbarem Bengelgeſicht geſagt hatte: „Na, unſere Mutter iſt ja auch ein ſchweres Geſchütz auf dem Eiſe“. Schweres Geſchütz. Ja, ja, das waren die Vierzig und die ſiebenfache Mutterſchaft. Da ließ ſie die Jungen allein ihre Kreiſe ziehen und bewunderte ſtolz, wenn ihr Hans „ſprang“, ganz überzeugt von der Kunſtleiſtung dieſer Varietät. Max und Willi dagegen, die furchtbaren Buben, die hatten ſofort ein Kriegsſpiel begonnen, das zu gefahr- drohenden Jagden ausartete. An kunſtvolles Laufen, wie es die drei älteſten übten, die gertenſchlanke Nora mit dem Referendar und die beiden Brüder im Wechſellauf, war hier nicht zu denken. Max und Willi jagten und rannten über das Eis, ohne jede Achtung vor den äſthetiſchen Forderungen des Kunſtlaufes. Und wenn ſie vorüberſtürmend nahten, ſuchte Grete möglichſt Schutz — ſie lief erſt ſeit einem Jahre und hatte noch nicht ganz die Technik der Ausſtoßens begriffen, ſondern zog den Fuß noch immer wie eine lahme Henne nach. Käthe aber brach bei jeder An- näherung der böſen Buben in wildes Geſchrei aus. Sie konnte fürs erſte lediglich ſtehen auf den Stahl- ſchienen und war jeder Bewegung unfähig. Wie eine gute Klucke mußte Mutter Helene alſo wohl oder übel bei ihren Kücken bleiben und den beiden kleinen Mädchen alle ihre Aufmerkſamkeit widmen. Drüben in der Waldniſche tauchte hin und wieder die bieg- ſame Geſtalt der Tochter auf, und Helenens Sorge ſtreifte um die beiden jungen Menſchenkinder, die dort im Wiegen und Neigen vielleicht ihre Herzen allzunah aneinander brachten. Fahler wurde der lachende Sonnenſchein, und grauer tönten die Schatten umher. Und Helenens

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Zitationshilfe: Badener Zeitung. Nr. 5, Baden (Niederösterreich), 15.01.1908, S. [1]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_badener005_1908/1>, abgerufen am 28.03.2024.