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Badener Zeitung. Nr. 91, Baden (Niederösterreich), 14.11.1900.

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Badener Zeitung
(vormals Badener Bezirks-Blatt).

Abonnement Baden: Zum Abholen vierteljährig K 2·50, halbjährig K 5.--, ganzjährig K 10.--. Mit Zustellung ins Haus Baden: Vierteljährig K 3.--, halbjährig K 6.--,
ganzjährig K 12·--. Oesterreich-Ungarn: Mit Zusendung vierteljährig K 3.30, halbjährig K 6.50, ganzjährig K 13.--. Einzelne Mittwoch-Nummer 12 h., Samstag-Nummer
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werden per 80 mm breite Petitzeile mit 16 h für die erste, und mit 14 h für fünf nacheinander folgende Einschaltungen berechnet, größere Aufträge nach Ueber-
einkommen und können auch durch die bestehenden Annoncen-Bureaux an die Administration gerichtet werden. -- Interessante Mittheilungen, Notizen und Correspon-
denzen werden nach Uebereinkunft honoriert. Mannscripte werden nicht zurückgestellt. -- Redaction und Administration: Baden, Pfarrgasse Nr. 3.
[Abbildung] Erscheint Mittwoch und Samstag früh. [Abbildung]
(Die Samstag-Nummer enthält die Gratis-Beilage "Illustriertes Unterhaltungsblatt".)




Nr. 91. Mittwoch, den 14. November 1900. 20. Jahrg.


[Spaltenumbruch]
Der deutsche Großgrundbesitz.

Festigkeit und Grundsatztreue, wo immer sie
unzweifelhaft zutage treten, gewähren immer einen
Lichtblick in einer von Achselträgerei, Byzantinis-
mus und Charakterlosigkeit durchseuchten Zeit.
Darum wird der Entschluss des deutschen Groß-
grundbesitzes in Niederösterreich, jedes Wahl-
compromiss mit den clericalen Verräthern am
Deutschthum abzulehnen, allseits mit Genug-
thuung begrüßt. In gleicher Weise bietet der
Wahlaufruf des deutschen Großgrundbesitzes in
Steiermark im Entgegenhalte zu dem jämmerlichen
Compromisse mit den clericalen Deutschenhassern
in Tirol, wodurch unser nationales Fühlen tief
beleidigt wird, einen recht wohlthuenden Gegen-
satz. Unter dem allgemeinen Entrüstungsschrei
wegen des unerhörten Compromisses der Re-
gierung mit Ungarn bezüglich der bosnischen
Bahnen, diese der Gesinnung des steirischen Groß-
grundbesitzes das ehrendste Zeugnis ausstellende
Kundgebung zu übersehen, wäre ein Unrecht. Wird
der gesammte deutsche Großgrundbesitz im künf-
tigen Reichsrathe in jenem trefflichen Geiste ge-
führt, der aus jener Sprache des steirischen
Großgrundbesitzes nach oben wie nach unten Be-
achtung fordert, dann lässt die Haltung dieser
Abgeordnetengruppe im kommenden Parlamente
keine Schwäche, keine Unentschlossenheit oder ver-
dächtige Liebedienerei aufkommen, dann entsteht
ein Bürge mehr für den endlichen Sieg der ge-
meinsamen, gerechten Sache unseres deutschen
Volkes.

Besonderes Interesse erheischt jene Stelle im
[Spaltenumbruch] erwähuten Wahlaufrufe, in welcher diese merk-
würdige, "weithin sichtbar neutrale Regierung"
beim Worte gepackt wird. Man braucht nur ein
wenig zu verstehen, zwischen den Zeilen zu lesen,
um sofort herauszufinden, dass der steirische Groß-
grundbesitz der Erklärung Körber's vom angeblich
"rüstig vorwärts schreitenden Verfassungsstaat"
so viel Glauben beimisst, "als ihn jener Herr
verdient", und es ist nur schade, dass das famose
Compromiss Körber's mit Ungarn eben ein paar
Tage jüngeren Datums ist, als der steirische
Wahlaufruf; übrigens bekräftigt dieser Wahl-
aufruf nachträglich jene Auffassung des steirischen
Großgrundbesitzes, wodurch die Erklärungen
Körber's nur cum grano salis genommen werden,
auf eine wirklich drastische Art. Der Aufruf
kündigt der Regierung an, in ziemlich unver-
blümtem, wenngleich cavaliermäßigem Tone, dass
der Großgrundbesitz die Erwartung hege, die Re-
gierung werde über die Mittel zur Verwirklichung
dieses "rüstig vorwärts schreitenden Verfassungs-
staates" zunehmende Klarheit gewinnen und hin-
sichtlich der Anwendung unter energischer Abwehr
entgegengesetzter Tendenzen erhöhte Entschlossen-
heit bekunden, so ist das eine gar feine Klinge,
die eine reizende Tiefquart herunterstreicht über
die Kalksburger Zöglinge. Die Klarheit der Re-
gierung muss nämlich, wenn sie zunehmen soll,
beim vorhandenen Nullpunkt beginnen und die
erhöhte Entschlossenheit, die hat zwei Tage dar-
nach Ungarn gegenüber bereits großartige Tri-
umphe gefeiert. "Wie du mir, so ich dir", sagt
der steirische Großgrundbesitz Herrn von Körber
dürr und trocken. Wir werden unser Verhalten
[Spaltenumbruch] nach der Art einzurichten wissen, wie die "partei-
lose" Regierung sich gibt. Bleibt aber die Re-
gierung wirklich auf dieser Linie, dann, sagt der
steirische Großgrundbesitz voraus, müsse ein
wirklicher Bruch mit der verderblichen Gepflogen-
heit eintreten, die Staatsverwaltung zum Werk-
zeug nationaler Eroberungsgier zu missbrauchen.
Das ist aber eine gar heikle Sache. Es kann eben
der Aera Körber unmöglich ernst sein, diesen
Bruch eintreten zu lassen, weil sie ja nach ihren
eigenen Worten "die Gegnerschaft der Lobkowitze
und Schwarzenberge nur schwer ertragen kann."
Die Regierung Körber hat deshalb auf die Länge
gar keine andere Wahl, als sich den Feudalcleri-
calen zu verschreiben, Ungarn gegenüber auf der
ganzen Linie zurückzuweichen, oder mit dem
ganzen System Kehrtum zu machen, wenn dies
noch geht. Das Compromiss mit Ungarn lässt
aber vermuthen, dass die Würfel bereits geworfen
sind, zu Gunsten einer feudalen Gewaltregierung.
Denn mit einem solchen Compromiss mit Ungarn
darf sich Herr v. Körber vor freisinnige Deutsche
im Parlamente nicht hinstellen; er muss sich also
a la Taaffe eine Parteigruppierung zusammen-
schachern.

Wer da nun am ehesten anbisse, das ge-
wahrt jedermann heute in der Haltung der
Luegerianer, welche ehedem in auffallender und
vordringlicher Weise, so lange sie es als Agita-
tionsmittel für die Captivierung des "kleinen
Mannes" für gut fanden, sich gegen den unga-
rischen Uebermuth stellten, nunmehr aber auf gar
belustigende Art in das Ruhmesfagott für Körber
stoßen und gerade durch die Anstrudelung dieses




[Spaltenumbruch]
Feuilleton.



Erreicht.

(Nachdruck untersagt.)

Endlos, trostlos dehnte sich die Ebene, von einer
schmutziggrauen Decke schmelzenden Schnees überzogen,
endlos auch zog sich durch sie die kothige Landstraße
dahin, eingefasst von zwei Reihen kahler Bäume, die
ihre Aeste wie knochige Gespensterarme zum Himmel
reckten. Durch den tiefen, zähen Schmutz dieser Straße
schleppte sich ein Mann dahin, dessen defecte Schuhe
der Nässe, dessen schadhafte Kleidung dem Wind nicht
den geringsten Widerstand entgegensetzten. Nur mit
äußerster Anstrengung kam er vorwärts und der
kurze, trübe Novembertag neigte sich fast seinem
Ende zu.

"Wenn ich's nur erreiche!" murmelte er wieder,
"kaum kann ich noch weiter". Und mühsam, Schritt
vor Schritt, watet er seinen beschwerlichen Weg weiter.
Endlich ist das Weichbild der Riesenstadt erreicht. Die
matten Augen des Wanderers leuchten auf: Da ist ja
die Brauerei -- nun grüßt er die ersten Häuser, und
es ist, als komme noch einmal Leben in die gebeugte
Gestalt. Er richtet sich auf und schreitet rascher aus.

"Gott im Himmel, habe Dank!" flüstert er,
"soweit wäre ich -- aber nun weiter -- weiter!"
Ein tiefer Seufzer der Erleichterung schwellte seine
Brust -- aber gleich darauf kam ein böser Husten-
anfall -- er musste stehen bleiben und sich erholen.
Ein daherkommender Arbeiter stieß ihn roh zur Seite,
so dass er vom Steig hinuntertaumelte und sich mit
Mühe an einem Laternenpfahle festhielt. Auf seinen
[Spaltenumbruch] graubleichen Wangen erschienen für einen Augenblick
zwei runde, rothe Flecken. Er stöhnte auf und schritt
weiter, die Energie war wieder aus seinen Bewe-
gungen geschwunden und mühsam, gebrochen, ein Bild
des Jammers, schleppte er sich vorwärts. An einer
Straßenecke blieb er bei einer Anschlagssäule stehen
und begann zu lesen: "Schauspielhaus -- [Abbildung] -Theater
-- Wiener -- -- alles nichts -- ah -- endlich!"

Da stand auf dem Zettel eines der ersten
Theater: "Morgen, Samstag, zum erstenmale: "Frede-
gundis", Drama in 4 Acten von Theobald Neumeister.

"Erreicht!" stöhnte der Mann. "Ich hab's er-
reicht -- aber nun, Gott im Himmel, lass mich auch
es noch erleben! Vier Jahre des Harrens und Leidens
-- o Gott -- o Gott -- nur noch 24 Stunden
Leben!"

Hustend wankte er weiter -- immer weiter.
Endlich bog er von der gewaltigen Straße, in der
er sich befand, und die jetzt bereits in feenhaftem
Lichte erstrahlte, ab und durchschritt einige weniger
glänzende Nebenstraßen. Vor einem ziemlich unschein-
baren Gebäude machte er Halt, zog die Klingel und
orientierte sich dann auf dem "stummen Portier".
Dann stieg er die teppichbedeckte Treppe empor. An
der Corridorthür las er mit Befriedung den ge-
wünschten Namen, holte eine sehr abgegriffene Brief-
tasche aus seinem Rock, suchte eine alte vergilbte
Visitkarte daraus hervor und drückte auf den Knopf
der elektrischen Corridorschelle. Laut und schrill er-
tönte sie und gleich darauf erschien ein Mädchen im
Häubchen und weißer Schürze. Als sie des Fremden
ansichtig wurde, wollte sie sich mit einem schnippischen
"Wir geben nichts" wieder zurückziehen. Der Fremde
aber sagte heiser und dennoch sehr entschieden:
"Nehmen Sie diese Karte und melden Sie mich".


[Spaltenumbruch]

Das Mädchen besah sich die Karte, dann den
Fremden -- und wiederum die Karte.

"Bedaure", sagte sie dann, "der Herr Director
ist nicht zuhause".

"Er ist zuhause!" sagte der Fremde grob, dann
fügte er, sich zusammenraffend, hinzu: "Denn er hat
ja jetzt Sprechstunde und -- er hat mich herbestellt.
-- Gehen Sie", fügte er hinzu und stampfte mit
dem Fuße, als das Mädchen immer noch zögerte.
Achselzuckend zog sie sich zurück, blickte noch einmal
auf die Karte und las: "Theobald Neumeister,
Schriftsteller". Gleich darauf erschien sie jedoch wieder
und sagte in ganz anderem Tone:

"Der Herr Director lässt bitten."

Der Fremde, der eben den nur zum Theil ge-
glückten Versuch gemacht hatte, seine Stiefel vom
Schmutze der Straße zu reinigen, folgte dem Mädchen.
Es öffnete eine Thür und ließ ihn eintreten.

"Ah, endlich, verehrter Meister", tönte da dem
Fremden eine sonore Stimme entgegen, als er einen
Augenblick von der Lichtflut geblendet stand, die dem
elektrischen Kronleuchter entströmte, "Sie haben lange
auf sich war ..."

Dem hochgewachsenen eleganten Manne, der mit
ausgestreckten Armen auf den Fremden zugeeilt war,
erstarb das Wort auf den Lippen, als er diesen
näher ansah.

"Was? -- Sie?" murmelte er, den Einge-
tretenen mit halb misstrauischem, halb mitleidigem
Staunen musternd. Die Hände sanken nieder, er trat
einen Schritt zurück.

"Ja -- ich!" erwiderte der Fremde, indem ein
bitteres Lächeln um seine Mundwinkel zuckte. --
"Wollen Sie vielleicht meine Legitimationspapiere
sehen? Sie sind alle in Ordnung".


Badener Zeitung
(vormals Badener Bezirks-Blatt).

Abonnement Baden: Zum Abholen vierteljährig K 2·50, halbjährig K 5.—, ganzjährig K 10.—. Mit Zuſtellung ins Haus Baden: Vierteljährig K 3.—, halbjährig K 6.—,
ganzjährig K 12·—. Oeſterreich-Ungarn: Mit Zuſendung vierteljährig K 3.30, halbjährig K 6.50, ganzjährig K 13.—. Einzelne Mittwoch-Nummer 12 h., Samstag-Nummer
16 h. — Inſerate
werden per 80 mm breite Petitzeile mit 16 h für die erſte, und mit 14 h für fünf nacheinander folgende Einſchaltungen berechnet, größere Aufträge nach Ueber-
einkommen und können auch durch die beſtehenden Annoncen-Bureaux an die Adminiſtration gerichtet werden. — Intereſſante Mittheilungen, Notizen und Correſpon-
denzen werden nach Uebereinkunft honoriert. Mannſcripte werden nicht zurückgeſtellt. — Redaction und Adminiſtration: Baden, Pfarrgaſſe Nr. 3.
[Abbildung] Erſcheint Mittwoch und Samstag früh. [Abbildung]
(Die Samstag-Nummer enthält die Gratis-Beilage „Illuſtriertes Unterhaltungsblatt“.)




Nr. 91. Mittwoch, den 14. November 1900. 20. Jahrg.


[Spaltenumbruch]
Der deutſche Großgrundbeſitz.

Feſtigkeit und Grundſatztreue, wo immer ſie
unzweifelhaft zutage treten, gewähren immer einen
Lichtblick in einer von Achſelträgerei, Byzantinis-
mus und Charakterloſigkeit durchſeuchten Zeit.
Darum wird der Entſchluſs des deutſchen Groß-
grundbeſitzes in Niederöſterreich, jedes Wahl-
compromiſs mit den clericalen Verräthern am
Deutſchthum abzulehnen, allſeits mit Genug-
thuung begrüßt. In gleicher Weiſe bietet der
Wahlaufruf des deutſchen Großgrundbeſitzes in
Steiermark im Entgegenhalte zu dem jämmerlichen
Compromiſſe mit den clericalen Deutſchenhaſſern
in Tirol, wodurch unſer nationales Fühlen tief
beleidigt wird, einen recht wohlthuenden Gegen-
ſatz. Unter dem allgemeinen Entrüſtungsſchrei
wegen des unerhörten Compromiſſes der Re-
gierung mit Ungarn bezüglich der bosniſchen
Bahnen, dieſe der Geſinnung des ſteiriſchen Groß-
grundbeſitzes das ehrendſte Zeugnis ausſtellende
Kundgebung zu überſehen, wäre ein Unrecht. Wird
der geſammte deutſche Großgrundbeſitz im künf-
tigen Reichsrathe in jenem trefflichen Geiſte ge-
führt, der aus jener Sprache des ſteiriſchen
Großgrundbeſitzes nach oben wie nach unten Be-
achtung fordert, dann läſst die Haltung dieſer
Abgeordnetengruppe im kommenden Parlamente
keine Schwäche, keine Unentſchloſſenheit oder ver-
dächtige Liebedienerei aufkommen, dann entſteht
ein Bürge mehr für den endlichen Sieg der ge-
meinſamen, gerechten Sache unſeres deutſchen
Volkes.

Beſonderes Intereſſe erheiſcht jene Stelle im
[Spaltenumbruch] erwähuten Wahlaufrufe, in welcher dieſe merk-
würdige, „weithin ſichtbar neutrale Regierung“
beim Worte gepackt wird. Man braucht nur ein
wenig zu verſtehen, zwiſchen den Zeilen zu leſen,
um ſofort herauszufinden, daſs der ſteiriſche Groß-
grundbeſitz der Erklärung Körber’s vom angeblich
„rüſtig vorwärts ſchreitenden Verfaſſungsſtaat“
ſo viel Glauben beimiſst, „als ihn jener Herr
verdient“, und es iſt nur ſchade, daſs das famoſe
Compromiſs Körber’s mit Ungarn eben ein paar
Tage jüngeren Datums iſt, als der ſteiriſche
Wahlaufruf; übrigens bekräftigt dieſer Wahl-
aufruf nachträglich jene Auffaſſung des ſteiriſchen
Großgrundbeſitzes, wodurch die Erklärungen
Körber’s nur cum grano salis genommen werden,
auf eine wirklich draſtiſche Art. Der Aufruf
kündigt der Regierung an, in ziemlich unver-
blümtem, wenngleich cavaliermäßigem Tone, daſs
der Großgrundbeſitz die Erwartung hege, die Re-
gierung werde über die Mittel zur Verwirklichung
dieſes „rüſtig vorwärts ſchreitenden Verfaſſungs-
ſtaates“ zunehmende Klarheit gewinnen und hin-
ſichtlich der Anwendung unter energiſcher Abwehr
entgegengeſetzter Tendenzen erhöhte Entſchloſſen-
heit bekunden, ſo iſt das eine gar feine Klinge,
die eine reizende Tiefquart herunterſtreicht über
die Kalksburger Zöglinge. Die Klarheit der Re-
gierung muſs nämlich, wenn ſie zunehmen ſoll,
beim vorhandenen Nullpunkt beginnen und die
erhöhte Entſchloſſenheit, die hat zwei Tage dar-
nach Ungarn gegenüber bereits großartige Tri-
umphe gefeiert. „Wie du mir, ſo ich dir“, ſagt
der ſteiriſche Großgrundbeſitz Herrn von Körber
dürr und trocken. Wir werden unſer Verhalten
[Spaltenumbruch] nach der Art einzurichten wiſſen, wie die „partei-
loſe“ Regierung ſich gibt. Bleibt aber die Re-
gierung wirklich auf dieſer Linie, dann, ſagt der
ſteiriſche Großgrundbeſitz voraus, müſſe ein
wirklicher Bruch mit der verderblichen Gepflogen-
heit eintreten, die Staatsverwaltung zum Werk-
zeug nationaler Eroberungsgier zu miſsbrauchen.
Das iſt aber eine gar heikle Sache. Es kann eben
der Aera Körber unmöglich ernſt ſein, dieſen
Bruch eintreten zu laſſen, weil ſie ja nach ihren
eigenen Worten „die Gegnerſchaft der Lobkowitze
und Schwarzenberge nur ſchwer ertragen kann.“
Die Regierung Körber hat deshalb auf die Länge
gar keine andere Wahl, als ſich den Feudalcleri-
calen zu verſchreiben, Ungarn gegenüber auf der
ganzen Linie zurückzuweichen, oder mit dem
ganzen Syſtem Kehrtum zu machen, wenn dies
noch geht. Das Compromiſs mit Ungarn läſst
aber vermuthen, daſs die Würfel bereits geworfen
ſind, zu Gunſten einer feudalen Gewaltregierung.
Denn mit einem ſolchen Compromiſs mit Ungarn
darf ſich Herr v. Körber vor freiſinnige Deutſche
im Parlamente nicht hinſtellen; er muſs ſich alſo
à la Taaffe eine Parteigruppierung zuſammen-
ſchachern.

Wer da nun am eheſten anbiſſe, das ge-
wahrt jedermann heute in der Haltung der
Luegerianer, welche ehedem in auffallender und
vordringlicher Weiſe, ſo lange ſie es als Agita-
tionsmittel für die Captivierung des „kleinen
Mannes“ für gut fanden, ſich gegen den unga-
riſchen Uebermuth ſtellten, nunmehr aber auf gar
beluſtigende Art in das Ruhmesfagott für Körber
ſtoßen und gerade durch die Anſtrudelung dieſes




[Spaltenumbruch]
Feuilleton.



Erreicht.

(Nachdruck unterſagt.)

Endlos, troſtlos dehnte ſich die Ebene, von einer
ſchmutziggrauen Decke ſchmelzenden Schnees überzogen,
endlos auch zog ſich durch ſie die kothige Landſtraße
dahin, eingefaſst von zwei Reihen kahler Bäume, die
ihre Aeſte wie knochige Geſpenſterarme zum Himmel
reckten. Durch den tiefen, zähen Schmutz dieſer Straße
ſchleppte ſich ein Mann dahin, deſſen defecte Schuhe
der Näſſe, deſſen ſchadhafte Kleidung dem Wind nicht
den geringſten Widerſtand entgegenſetzten. Nur mit
äußerſter Anſtrengung kam er vorwärts und der
kurze, trübe Novembertag neigte ſich faſt ſeinem
Ende zu.

„Wenn ich’s nur erreiche!“ murmelte er wieder,
„kaum kann ich noch weiter“. Und mühſam, Schritt
vor Schritt, watet er ſeinen beſchwerlichen Weg weiter.
Endlich iſt das Weichbild der Rieſenſtadt erreicht. Die
matten Augen des Wanderers leuchten auf: Da iſt ja
die Brauerei — nun grüßt er die erſten Häuſer, und
es iſt, als komme noch einmal Leben in die gebeugte
Geſtalt. Er richtet ſich auf und ſchreitet raſcher aus.

„Gott im Himmel, habe Dank!“ flüſtert er,
„ſoweit wäre ich — aber nun weiter — weiter!“
Ein tiefer Seufzer der Erleichterung ſchwellte ſeine
Bruſt — aber gleich darauf kam ein böſer Huſten-
anfall — er muſste ſtehen bleiben und ſich erholen.
Ein daherkommender Arbeiter ſtieß ihn roh zur Seite,
ſo daſs er vom Steig hinuntertaumelte und ſich mit
Mühe an einem Laternenpfahle feſthielt. Auf ſeinen
[Spaltenumbruch] graubleichen Wangen erſchienen für einen Augenblick
zwei runde, rothe Flecken. Er ſtöhnte auf und ſchritt
weiter, die Energie war wieder aus ſeinen Bewe-
gungen geſchwunden und mühſam, gebrochen, ein Bild
des Jammers, ſchleppte er ſich vorwärts. An einer
Straßenecke blieb er bei einer Anſchlagsſäule ſtehen
und begann zu leſen: „Schauſpielhaus — [Abbildung] -Theater
— Wiener — — alles nichts — ah — endlich!“

Da ſtand auf dem Zettel eines der erſten
Theater: „Morgen, Samstag, zum erſtenmale: „Frede-
gundis“, Drama in 4 Acten von Theobald Neumeiſter.

„Erreicht!“ ſtöhnte der Mann. „Ich hab’s er-
reicht — aber nun, Gott im Himmel, laſs mich auch
es noch erleben! Vier Jahre des Harrens und Leidens
— o Gott — o Gott — nur noch 24 Stunden
Leben!“

Huſtend wankte er weiter — immer weiter.
Endlich bog er von der gewaltigen Straße, in der
er ſich befand, und die jetzt bereits in feenhaftem
Lichte erſtrahlte, ab und durchſchritt einige weniger
glänzende Nebenſtraßen. Vor einem ziemlich unſchein-
baren Gebäude machte er Halt, zog die Klingel und
orientierte ſich dann auf dem „ſtummen Portier“.
Dann ſtieg er die teppichbedeckte Treppe empor. An
der Corridorthür las er mit Befriedung den ge-
wünſchten Namen, holte eine ſehr abgegriffene Brief-
taſche aus ſeinem Rock, ſuchte eine alte vergilbte
Viſitkarte daraus hervor und drückte auf den Knopf
der elektriſchen Corridorſchelle. Laut und ſchrill er-
tönte ſie und gleich darauf erſchien ein Mädchen im
Häubchen und weißer Schürze. Als ſie des Fremden
anſichtig wurde, wollte ſie ſich mit einem ſchnippiſchen
„Wir geben nichts“ wieder zurückziehen. Der Fremde
aber ſagte heiſer und dennoch ſehr entſchieden:
„Nehmen Sie dieſe Karte und melden Sie mich“.


[Spaltenumbruch]

Das Mädchen beſah ſich die Karte, dann den
Fremden — und wiederum die Karte.

„Bedaure“, ſagte ſie dann, „der Herr Director
iſt nicht zuhauſe“.

„Er iſt zuhauſe!“ ſagte der Fremde grob, dann
fügte er, ſich zuſammenraffend, hinzu: „Denn er hat
ja jetzt Sprechſtunde und — er hat mich herbeſtellt.
— Gehen Sie“, fügte er hinzu und ſtampfte mit
dem Fuße, als das Mädchen immer noch zögerte.
Achſelzuckend zog ſie ſich zurück, blickte noch einmal
auf die Karte und las: „Theobald Neumeiſter,
Schriftſteller“. Gleich darauf erſchien ſie jedoch wieder
und ſagte in ganz anderem Tone:

„Der Herr Director läſst bitten.“

Der Fremde, der eben den nur zum Theil ge-
glückten Verſuch gemacht hatte, ſeine Stiefel vom
Schmutze der Straße zu reinigen, folgte dem Mädchen.
Es öffnete eine Thür und ließ ihn eintreten.

„Ah, endlich, verehrter Meiſter“, tönte da dem
Fremden eine ſonore Stimme entgegen, als er einen
Augenblick von der Lichtflut geblendet ſtand, die dem
elektriſchen Kronleuchter entſtrömte, „Sie haben lange
auf ſich war ...“

Dem hochgewachſenen eleganten Manne, der mit
ausgeſtreckten Armen auf den Fremden zugeeilt war,
erſtarb das Wort auf den Lippen, als er dieſen
näher anſah.

„Was? — Sie?“ murmelte er, den Einge-
tretenen mit halb miſstrauiſchem, halb mitleidigem
Staunen muſternd. Die Hände ſanken nieder, er trat
einen Schritt zurück.

„Ja — ich!“ erwiderte der Fremde, indem ein
bitteres Lächeln um ſeine Mundwinkel zuckte. —
„Wollen Sie vielleicht meine Legitimationspapiere
ſehen? Sie ſind alle in Ordnung“.


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[[1]/0001] Badener Zeitung (vormals Badener Bezirks-Blatt). Abonnement Baden: Zum Abholen vierteljährig K 2·50, halbjährig K 5.—, ganzjährig K 10.—. Mit Zuſtellung ins Haus Baden: Vierteljährig K 3.—, halbjährig K 6.—, ganzjährig K 12·—. Oeſterreich-Ungarn: Mit Zuſendung vierteljährig K 3.30, halbjährig K 6.50, ganzjährig K 13.—. Einzelne Mittwoch-Nummer 12 h., Samstag-Nummer 16 h. — Inſerate werden per 80 mm breite Petitzeile mit 16 h für die erſte, und mit 14 h für fünf nacheinander folgende Einſchaltungen berechnet, größere Aufträge nach Ueber- einkommen und können auch durch die beſtehenden Annoncen-Bureaux an die Adminiſtration gerichtet werden. — Intereſſante Mittheilungen, Notizen und Correſpon- denzen werden nach Uebereinkunft honoriert. Mannſcripte werden nicht zurückgeſtellt. — Redaction und Adminiſtration: Baden, Pfarrgaſſe Nr. 3. [Abbildung] Erſcheint Mittwoch und Samstag früh. [Abbildung] (Die Samstag-Nummer enthält die Gratis-Beilage „Illuſtriertes Unterhaltungsblatt“.) Nr. 91. Mittwoch, den 14. November 1900. 20. Jahrg. Der deutſche Großgrundbeſitz. Feſtigkeit und Grundſatztreue, wo immer ſie unzweifelhaft zutage treten, gewähren immer einen Lichtblick in einer von Achſelträgerei, Byzantinis- mus und Charakterloſigkeit durchſeuchten Zeit. Darum wird der Entſchluſs des deutſchen Groß- grundbeſitzes in Niederöſterreich, jedes Wahl- compromiſs mit den clericalen Verräthern am Deutſchthum abzulehnen, allſeits mit Genug- thuung begrüßt. In gleicher Weiſe bietet der Wahlaufruf des deutſchen Großgrundbeſitzes in Steiermark im Entgegenhalte zu dem jämmerlichen Compromiſſe mit den clericalen Deutſchenhaſſern in Tirol, wodurch unſer nationales Fühlen tief beleidigt wird, einen recht wohlthuenden Gegen- ſatz. Unter dem allgemeinen Entrüſtungsſchrei wegen des unerhörten Compromiſſes der Re- gierung mit Ungarn bezüglich der bosniſchen Bahnen, dieſe der Geſinnung des ſteiriſchen Groß- grundbeſitzes das ehrendſte Zeugnis ausſtellende Kundgebung zu überſehen, wäre ein Unrecht. Wird der geſammte deutſche Großgrundbeſitz im künf- tigen Reichsrathe in jenem trefflichen Geiſte ge- führt, der aus jener Sprache des ſteiriſchen Großgrundbeſitzes nach oben wie nach unten Be- achtung fordert, dann läſst die Haltung dieſer Abgeordnetengruppe im kommenden Parlamente keine Schwäche, keine Unentſchloſſenheit oder ver- dächtige Liebedienerei aufkommen, dann entſteht ein Bürge mehr für den endlichen Sieg der ge- meinſamen, gerechten Sache unſeres deutſchen Volkes. Beſonderes Intereſſe erheiſcht jene Stelle im erwähuten Wahlaufrufe, in welcher dieſe merk- würdige, „weithin ſichtbar neutrale Regierung“ beim Worte gepackt wird. Man braucht nur ein wenig zu verſtehen, zwiſchen den Zeilen zu leſen, um ſofort herauszufinden, daſs der ſteiriſche Groß- grundbeſitz der Erklärung Körber’s vom angeblich „rüſtig vorwärts ſchreitenden Verfaſſungsſtaat“ ſo viel Glauben beimiſst, „als ihn jener Herr verdient“, und es iſt nur ſchade, daſs das famoſe Compromiſs Körber’s mit Ungarn eben ein paar Tage jüngeren Datums iſt, als der ſteiriſche Wahlaufruf; übrigens bekräftigt dieſer Wahl- aufruf nachträglich jene Auffaſſung des ſteiriſchen Großgrundbeſitzes, wodurch die Erklärungen Körber’s nur cum grano salis genommen werden, auf eine wirklich draſtiſche Art. 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Körber vor freiſinnige Deutſche im Parlamente nicht hinſtellen; er muſs ſich alſo à la Taaffe eine Parteigruppierung zuſammen- ſchachern. Wer da nun am eheſten anbiſſe, das ge- wahrt jedermann heute in der Haltung der Luegerianer, welche ehedem in auffallender und vordringlicher Weiſe, ſo lange ſie es als Agita- tionsmittel für die Captivierung des „kleinen Mannes“ für gut fanden, ſich gegen den unga- riſchen Uebermuth ſtellten, nunmehr aber auf gar beluſtigende Art in das Ruhmesfagott für Körber ſtoßen und gerade durch die Anſtrudelung dieſes Feuilleton. Erreicht. Von L. W. Burg. (Nachdruck unterſagt.) Endlos, troſtlos dehnte ſich die Ebene, von einer ſchmutziggrauen Decke ſchmelzenden Schnees überzogen, endlos auch zog ſich durch ſie die kothige Landſtraße dahin, eingefaſst von zwei Reihen kahler Bäume, die ihre Aeſte wie knochige Geſpenſterarme zum Himmel reckten. Durch den tiefen, zähen Schmutz dieſer Straße ſchleppte ſich ein Mann dahin, deſſen defecte Schuhe der Näſſe, deſſen ſchadhafte Kleidung dem Wind nicht den geringſten Widerſtand entgegenſetzten. Nur mit äußerſter Anſtrengung kam er vorwärts und der kurze, trübe Novembertag neigte ſich faſt ſeinem Ende zu. „Wenn ich’s nur erreiche!“ murmelte er wieder, „kaum kann ich noch weiter“. Und mühſam, Schritt vor Schritt, watet er ſeinen beſchwerlichen Weg weiter. Endlich iſt das Weichbild der Rieſenſtadt erreicht. Die matten Augen des Wanderers leuchten auf: Da iſt ja die Brauerei — nun grüßt er die erſten Häuſer, und es iſt, als komme noch einmal Leben in die gebeugte Geſtalt. Er richtet ſich auf und ſchreitet raſcher aus. „Gott im Himmel, habe Dank!“ flüſtert er, „ſoweit wäre ich — aber nun weiter — weiter!“ Ein tiefer Seufzer der Erleichterung ſchwellte ſeine Bruſt — aber gleich darauf kam ein böſer Huſten- anfall — er muſste ſtehen bleiben und ſich erholen. Ein daherkommender Arbeiter ſtieß ihn roh zur Seite, ſo daſs er vom Steig hinuntertaumelte und ſich mit Mühe an einem Laternenpfahle feſthielt. Auf ſeinen graubleichen Wangen erſchienen für einen Augenblick zwei runde, rothe Flecken. Er ſtöhnte auf und ſchritt weiter, die Energie war wieder aus ſeinen Bewe- gungen geſchwunden und mühſam, gebrochen, ein Bild des Jammers, ſchleppte er ſich vorwärts. An einer Straßenecke blieb er bei einer Anſchlagsſäule ſtehen und begann zu leſen: „Schauſpielhaus — [Abbildung] -Theater — Wiener — — alles nichts — ah — endlich!“ Da ſtand auf dem Zettel eines der erſten Theater: „Morgen, Samstag, zum erſtenmale: „Frede- gundis“, Drama in 4 Acten von Theobald Neumeiſter. „Erreicht!“ ſtöhnte der Mann. „Ich hab’s er- reicht — aber nun, Gott im Himmel, laſs mich auch es noch erleben! Vier Jahre des Harrens und Leidens — o Gott — o Gott — nur noch 24 Stunden Leben!“ Huſtend wankte er weiter — immer weiter. Endlich bog er von der gewaltigen Straße, in der er ſich befand, und die jetzt bereits in feenhaftem Lichte erſtrahlte, ab und durchſchritt einige weniger glänzende Nebenſtraßen. Vor einem ziemlich unſchein- baren Gebäude machte er Halt, zog die Klingel und orientierte ſich dann auf dem „ſtummen Portier“. Dann ſtieg er die teppichbedeckte Treppe empor. An der Corridorthür las er mit Befriedung den ge- wünſchten Namen, holte eine ſehr abgegriffene Brief- taſche aus ſeinem Rock, ſuchte eine alte vergilbte Viſitkarte daraus hervor und drückte auf den Knopf der elektriſchen Corridorſchelle. Laut und ſchrill er- tönte ſie und gleich darauf erſchien ein Mädchen im Häubchen und weißer Schürze. Als ſie des Fremden anſichtig wurde, wollte ſie ſich mit einem ſchnippiſchen „Wir geben nichts“ wieder zurückziehen. Der Fremde aber ſagte heiſer und dennoch ſehr entſchieden: „Nehmen Sie dieſe Karte und melden Sie mich“. Das Mädchen beſah ſich die Karte, dann den Fremden — und wiederum die Karte. „Bedaure“, ſagte ſie dann, „der Herr Director iſt nicht zuhauſe“. „Er iſt zuhauſe!“ ſagte der Fremde grob, dann fügte er, ſich zuſammenraffend, hinzu: „Denn er hat ja jetzt Sprechſtunde und — er hat mich herbeſtellt. — Gehen Sie“, fügte er hinzu und ſtampfte mit dem Fuße, als das Mädchen immer noch zögerte. Achſelzuckend zog ſie ſich zurück, blickte noch einmal auf die Karte und las: „Theobald Neumeiſter, Schriftſteller“. Gleich darauf erſchien ſie jedoch wieder und ſagte in ganz anderem Tone: „Der Herr Director läſst bitten.“ Der Fremde, der eben den nur zum Theil ge- glückten Verſuch gemacht hatte, ſeine Stiefel vom Schmutze der Straße zu reinigen, folgte dem Mädchen. Es öffnete eine Thür und ließ ihn eintreten. „Ah, endlich, verehrter Meiſter“, tönte da dem Fremden eine ſonore Stimme entgegen, als er einen Augenblick von der Lichtflut geblendet ſtand, die dem elektriſchen Kronleuchter entſtrömte, „Sie haben lange auf ſich war ...“ Dem hochgewachſenen eleganten Manne, der mit ausgeſtreckten Armen auf den Fremden zugeeilt war, erſtarb das Wort auf den Lippen, als er dieſen näher anſah. „Was? — Sie?“ murmelte er, den Einge- tretenen mit halb miſstrauiſchem, halb mitleidigem Staunen muſternd. Die Hände ſanken nieder, er trat einen Schritt zurück. „Ja — ich!“ erwiderte der Fremde, indem ein bitteres Lächeln um ſeine Mundwinkel zuckte. — „Wollen Sie vielleicht meine Legitimationspapiere ſehen? Sie ſind alle in Ordnung“.

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Zitationshilfe: Badener Zeitung. Nr. 91, Baden (Niederösterreich), 14.11.1900, S. [1]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_badener091_1900/1>, abgerufen am 29.03.2024.