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Czernowitzer Allgemeine Zeitung. Nr. 933, Czernowitz, 20.02.1907.

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Czernowitzer Allgemeine Zeitung. 20. Februar 1907

[Spaltenumbruch]

fanden nun in der französischen Deputiertenkammer sehr er-
regte Debatten über die finanzielle Unterstützung des zaristischen
Rußlands durch gutes Geld braver französischer Sparer statt,
welche in dem oben angedeuteteten Zusammenhang von hoher
Wichtigkeit sind. Wird Frankreich dem russischen Reiche noch
weiter Geld geben oder nicht?

Die letzte russische Anleihe, ediert im April und Mai
des Jahres 1906, hat bekanntlich, trotz sehr hoher Verzinsung,
anfangs ein völliges Fiasko erlebt. Die Anleihe wurde bald
mit 10--12 Prozent Disagis gehandelt und erholte sich davon
erst spät und langsam wieder. Man erzählte sich damals, die
Anleihe wäre äußerst schwierig zu stande gekommen, in dem
Ministerrat des damaligen Ministeriums Sarrien wäre es
zu sehr heftigen Auseinandersetzungen gekommen, der alte
Revolutionär und "Antizarist" Clemenceau, der damals
Minister des Innern war, hätte mit allen Kräften dagegen,
der Minister des Aeußern Bourgeois aber mit allen Kräften
dafür gesprochen. Schließlich ist die Anleihe doch zustande
gekommen. Inzwischen ist der damalige Russengegner und
Minister des Innern Clemenceau Ministerpräsident geworden,
hat sich ein Kabinett nach seinem eigenen Willen geformt und
hätte es eigentlich nicht mehr nötig, sich durch das Votum
der anderen Minister zur Erlaubnis einer neuen Russenanleihe
zwingen zu lassen. Abgesehen davon kann niemand leugnen,
daß die Russengegner im französischen Volke an Stärke und
Zahl zugenommen haben, daß je mehr sich in Frankreich die
Politik radikalisiert, desto größer der Gegensatz wird zu dem
großen Alliierten, der immer noch rein absolutistisch ist. Nun
ist dieser Gegensatz in der Kammer in Gestalt einer Inter-
pellation zum Ausdruck gekommen: von der einen Seite wurde
heftig gegen das russische Regime, den Zaren, die finanzielle
Hilfe von seiten Frankreichs gesprochen, auf den anderen hat
das Ministerium seine Pflicht getan und den Alliierten gegen
diese Angriffe in Schutz genommen. Aber trotz dieser Abwehr
hat die Diskussion doch gezeigt, wie die Dinge eigentlich stehen.
Was wird in der französischen Kammer geschehen, wenn
Rußland eine weitere Anleihe -- und zwar noch in diesem
Jahre -- in Frankreich aufnehmen muß?

Eine Allianz basiert auf zweierlei Dingen, auf einer
gewissen Gem insamkeit der Gefühle und der Interessen. Wobei
natürlich die zweite Art die wichtigere ist. Die Verluste, welche
die französischen Sparer an Russenpapieren erleiden mußten,
der Gegensatz zwischen den beiden Regierungsformen, der not-
wendige Gefühlsantogonismus zwischen den beiden Regierungen
sind innerhalb des letzten Jahres unverkennbar gewachsen.
Das aber hätte gar keine Bedeutung, wenn auf der anderen
Seite die Gemeinsamkeit der Interessen evident wäre. Nun
würde sich aber auch hierin in dem Augenblicke, als Frankreich
für Rußland kein Geld mehr übrig hat, die Sache wesentlich
ändern. Rußland wird wahrscheinlich in der nächsten Zeit
eine eminent friedliche Politiktreiben und einer diplomatischen
oder militärischen Hilfe kaum bedürfen. Frankreich hat ihm
also außer Geld nicht allzuviel zu bieten. Deshalb steht der
Zweibund jetzt einigermaßen auf der finanziellen Basis.




Vom Tage.


Die Landtage.

(Tel. der "Cz. Allg. Ztg.")

Die
"Wiener Zeitung" publiziert das kaiserliche Patent, womit
die Landtage in Oberösterreich, Steiermark, Mähren und
Triest für den 25. Februar einberufen werden.




[Spaltenumbruch]
Die Ausschreibung der Reichsratswahlen.

(Tel. der "Cz. Allg. Ztg.")

Die
"Wiener Zeitung" publiziert die Kundmachung, womit der
Minister des Innern mit Ausnahme von Galizien und
Dalmatien die Reichsratswahlen für den 14. Mai, die erfor-
derlichen Stichwahlen für den 23. Mai ansetzt.




Die Zolltariffrage.

In der krisenhaften Frage des autonomen ungarischen
Zolltarifes, die für den Ausgleich eine Frage nach Sein oder
Nichtsein ist, ist eine neue Wendung bis jetzt nicht zu ver-
zeichnen. Ueber die gestrige Audienz Wekerles beim Kaiser,
die offenbar der Zolltariffrage galt, liegen nähere Nachrichten
noch nicht vor, auch bezüglich der Ministerkonferenzen wird
nur die trockene Tatsache ihrer Abhaltung gemeldet, und man
muß sich daher auf die Feststellung beschränken, daß eine
Lösung der Krise versucht wird. Welcher Art diese Lösungs-
versuche sind, ist natürlich ungewiß, aber man kann annehmen,
daß vor allem das "Mißverständnis" über die Zusage der
ungarischen Regierung betreffend die parlamentarische Be-
handlung des autonomen Zolltarifes aufgeklärt und ein Weg
gesucht werden wird, der die Fortführung der durch das
einseitige Vorgehen Ungarns in Frage gestellten Ausgleichs-
verhandlungen ermöglicht, ohne daß einerseits Ungarn offen-
kundig blamiert, anderseits Oesterreich genötigt wird, von
seinen in der Ausgleichsfrage aufgestellten Grundsätzen abzu-
weichen. Das ist eine so schwierige Aufgabe, daß auf eine
baldige Ausgleichung der Gegensätze kaum gehofft werden
kann. -- Wir verzeichnen folgende Nachrichten:

Die Ministerkonferenz.

(Tel. der "Cz. Allg. Ztg.")

Im
Hinblick auf den Zusammenhang, der zwischen der Behand-
lung des ungarischen Zolltarifes und der Handesverträge im
ungarischen Reichstag und den Ausgleichsverhandlungen besteht,
unterzogen heute die beiden Ministerpräsidenten die ganze
Situation einer eingehenden Besprechung, welche in den nächsten
Tagen fortgesetzt werden wird.

Das "Mißverständnis".

Die österreichische und die un-
garische Regierung haben bereits in der neu aufgetauchten
Frage der kommissionellen Beratung des autonomen unga-
rischen Zolltarifes einen Notenwechsel hinter sich, aber des-
halb ist noch immer auch die optimistische Ansicht berechtigt,
daß man noch nicht von einem Konflikt sprechen muß, der
eine friedliche Beilegung ausschließt. Auf ungarischer Seite
wird zwar versucht, die seinerzeitige Erklärung des öster-
reichischen Ministerpräsidenten, er habe das Versprechen des
ungarischen Ministerpräsidenten, die ungarische Regierung
werde die fassungsmäßige Behandlung des Zolltarifes nicht
eher vornehmen, als die Verh[a]ndlungen mit Oesterreich über
den Ausgleich beendet seien, auf ein Mißverständnis zurück-
zuführen. Die Möglichkeit eines Mißverständnisses ist im
Allgemeinen wohl schwer zu bestreiten. In diesem Falle scheint
jedoch die ungarische Regierung selbst dafür gesorgt zu haben,
daß die Annahme eines Mißverständnisses nicht ernstlich auf-
recht erhalten werde. In einem offenbar inspirierten Artikel
des "P. Ll." heiß es nämlich bezüglich der erwähnten Er-
klärung des Freiherrn von Beck: "Wir vermögen es nicht zu
verbürgen, allein es wurde im Kreise der Eingeweihten
behauptet, daß diese Erklärung von ungarischer Seite sofort
[Spaltenumbruch] lebhaft angefochten wurden." Diese ungemein zarte, vor-
sichtige Stilisierung läßt tief blicken. In der Kampagne gegen
Oesterreich vermögen die Budapester Blätter oft sogar Dinge
zu "verbürgen", von denen im Kreise der Eingeweihten nichts
behauptet wurde.

Die ungarische Preßhetze.

"A Nap", das Organ des
Abgeordneten Lengyel, veröffentlicht einen heftigen Artikel
gegen das Magnatenhausmitglied Dr. v. Matlekovich, in
welchem es heißt: "Matlekovich bemühte sich, zu beweisen
(im "Pester Lloyd") daß der Ausgleich samt dem gemein-
samen Zollgebiet gleichmäßig im Interesse Oesterreichs und
Ungarns gelegen ist. Er geht noch weiter und behauptet, daß
der für die längere Frist geschlossene Ausgleich der für Un-
garn günstigere ist. Herr v. Matlekovich ist die erste Schwalbe
für die neueste Attacke der 67er-Partei. Wer ihn hierzu auf-
gefordert hat, kann nicht zweifelhaft sein. Aber er wird den
Zusammenbruch des Ausgleiches nicht hindern."

Parteitag der Deutschen Fortschrittspartei
in Böhmen.

Am Sonntag hat die Deutsche Fortschrittspartei Böh-
mens in Prag ihren Parteitag abgehalten, der vor allem
dadurch bemerkenswert ist, daß er den Beweis lieferte, was
von den so energisch betonten Konzentrationsbestrebungen der
deutschen Parteien zu halten ist. Die Deutschfortschrittlichen
in Böhmen waren die ersten, die die von der Deutschen Volks-
partei ausgegeben Parole aufgegriffen haben, sie sind aber
auch die ersten, die gegen den Grundsatz der Konzentration
handeln. Die Begründung, die sie für ein selbständiges Vor-
gehen anführen, ist geradezu ein Musterbeispiel des echt
deutschen, eifersüchtigen Fraktionsgeistes, der den Deutschen
in Oesterreich wahrlich schon genug geschadet hat. Weil sie
sich mit der kleinsten, unbedeutendsten der in Betracht kom-
menden Fraktionen nicht vertragen können, lehnen sie schlank-
weg auch ein Zusammengehen mit den großen, ernstzuneh-
menden deutschen Parteien ab. Theoretisch sind sie begeisterte
Anhänger der Konzentration, in der Praxis aber sagen sie:
Non possumus! Man muß da Taaffes Wort wiederholen:
"Um das zu verstehen, muß man ein gelernter Deutschböhme
sein!" Wie es unter diesen Umständen mit der großen, einigen
deutschen Partei aussehen wird, ist nicht zweifelhaft. -- Es
liegt uns über den Parteitag der folgende Bericht vor:

Unter überaus zahlreicher Beteili-
gung der Parteikreise hielt gestern im Deutschen Hause die
Deutsche Fortschrittspartei in Böhmen ihren diesjährig[e]n
Parteitag ab, auf welchem die Haltung bei den kommenden
Reichsratswahlen festgestellt wurde.

Landesausschußbeisitzer Dr. Eppinger hielt eine pro-
grammatische Rede über die Haltung und die Ziele der
Deutschen Fortschrittspartei. Dr. Eppinger sagte unter anderem:
Es sei notwendig, daß der drohenden reaktionären Ge-
fahr
durch einen möglichst innigen Zusammenschluß aller
deutschen Abgeordneten begegnet werde. Die Deutsche Fortschritts-
partei hat sich freudig an den Konzentrationsbestrebungen be-
teiligt und sei ein Zusammengehen derselben mit der Deutschen
Agrarpartei und der Deutschen Volkspartei, nicht aber
mit der Freialldeutschen Partei,
möglich. In-
folgedessen
wird die Deutsche Fortschrittspartei durch-
aus selbständig in dem Wahlkampf auftreten.




[Spaltenumbruch]

Am späten Abend desselben Tages klopfte Emilie an die
Schlafstubentür ihrer Herrschaft.

Frau Margarete fuhr aus erstem, kurzem Schlummer
erschreckt empor.

"Ach, jnäd'ge Frau ... wenn Se wollten mir bloß en
paar Troppen von irjend was aus Ihre Apotheke jeben ...
ich hab' so'nne Zahnschwerzen, .. huh .. huh" ..

"Siehste, da haste de Kiste" ... meinte der liebe Gatte
gefühlsroh, als seine liebe Frau verstört aus den warmen
Federn kletterte.

Emilie mußte das Gas im Korridor anzünden, damit
Frau Margarete lesen konnte, was gegen Zahnschmerzen gut
war. Sie fand auch Gott sei Dank ein Mittel, das sie stolz
und erhaben dem Mädchen einhändigte.

In der Nacht konnte sie nicht schlafen, weil sie auf er-
neute Hustenanfälle der Kinder wartete. Sie hatte dafür noch
ein ganz besonderes gutes Beruhigungsmittel in ihrer
Apotheke .. was sie gleich probieren wollte.

Die Kinder rührten sich aber nicht. Zum erstenmal seit
Wochen schliefen sie, ohne einen Laut von sich zu geben, die
ganze Nacht durch.

In den nächsten Tagen beobachtete Frau Margarete
gespannt Mann nnd Kinder.

"Fehlt dir etwas, mein Herzchen" ... fragte sie vor
jedem blassen Gesichtchen, oder ... "hast du wieder Wehweh
im Mund?" forschte sie bei Baby, das seine Zahnung noch
nicht beendet hatte.

Nein ... so gesund waren die Kinder seit Jahren nicht
gewesen wie von dem Tage an, seitdem die Hansapotheke
gefüllt war. Frau Margarete fühlte sogar etwas, das
beinahe wie Bedauern aussah, daß kein Mensch etwas von
ihren vielen teuren Mitteln brauchte. Ihr Mann selbst, der
sonst an nervöser Schlaflosigkeit gelitten hatte, schlief jetzt
jede Nacht wie ein Bär. Er schnarchte sogar, ein Zeichen
regelrechter Gesundheit.

Was neue Fieberthermometer lag auch noch unbenutzt,
[Spaltenumbruch] trotzdem Frau Margareta gar zu gern probiert hätte, ob es
funktioniert. Eins der Kinder hatte früher immer Fieber
gehabt, und wenn es ein ungefährliches Schnupfenfieber
gewesen war; nun kam das nicht mehr vor.

Auf der Treppe im Hause fand Frau Margarete einmal
einen armen, blassen Jungen, bitterlich weinend und mit
schmerzverzerrten Zügen, kauernd.

"Ich kann nicht loofen, ich kann nicht loosen" ....
jammerte er herzerweichend.

Im tiefsten Mitgefühl beugt sie sich nieder, in Gedanken
sämtliche Vorräte in ihrer Hausapotheke durchfliegend.

"Wo tut's denn weh, mein armes Kind, was fehlt dir
denn?" ... forschte sie hilssbereit.

"Mir .. i .. r drü .. cken meine ... Stiebeln
so." ....

Da schritt Frau Margarete gekränkt von dannen ...
Die ganze Welt schien ihr plötzlich zum Trotz aus lauter
Gesundheit zusammengesetzt zu sein.

Tante Dettchen, die aei ihren Besuchen sonst jedesmal
über irgend ein Leiden zu klagen hatte und für welche die
Nichte diesesmal in der Hausapotheke so verschiedene Hifs-
mittelchen vorbereitet hatte, klagte plötzlich auch nicht mehr.

Schon beim Mantelausziehen, als die alte Dame seufzend
die Schultern zusammenzog, hatte Frau Margarete gefragt:
"Fehlt dir etwas, liebes Tantchen?" ...

"J wo ... bloß, wie riecht denn das mit einem Male
in eurem Korridor ... Gretchen? ... Puh .. das war
doch früher nich." ...

Die Tante wandte den Kopf ... und bums ... stieß
sie gegen den dickbäuchigen, braungebeizten Holzkasten, Haus-
apotheke genannt.

"Achott, achott ... was haste denn da aufgehängt?
Du mein Schrecken, nee, was hab ich mir die Stirn ge-
vullert! ... Wie kommste denn zu dem Dings, Gretchen?"

Die Hausfrau hatte schweigend schon die Tür vor den
32 Fächern geöffnet.


[Spaltenumbruch]

"Is doch unse Hausapotheke", brüllte das älteste Trio
dazwischen.

"Ach s .. o .. o" -- die alte Dame zog sich bestürzt
aus dem Korridor in die Wohnstube zurück -- "deshalb auch
dieser Geruch ... Haste vielleicht en büschen Kölnisch Wasser
dabei, Gretchen?"

"D .. a .. s gerade nicht", gestand die Nichte sehr klein-
laut ein, "willste nicht lieber Bleiwasser an deine Beule
nehmen, liebes Tantchen?"

"Nein, lieber sterben!" meinte die alte Dame entsetzt.

Die Hausapotheke fing an, Frau Margarete keinen Spaß
mehr zu machen. In der ganzen Zeit, seit sie fix und fertig
eingerichtet war, brauchte kein Mitglied der Familie irgend
ein Linderungsmittel daraus. So gesund waren die Kinder
noch nie gewesen. Selbst Hildchen, das Sorgenkind und Nest-
häkchen der Familie, bekam die letzten drei Zähne ohne jede
Schwierigkeiten oder gar Nachhilfsmittel.

Der Hausherr brauchte kein Schlafpulver, Kurtchens
Hautausschlag, für den Frau Margarete besonders eine Salbe
in ihrer Apotheke hatte, war plötzlich wie weggeblasen, und
Emiliens Zahnschmerzen waren gestillt und kamen nicht wieder.
Es vergingen drei Wochen, in denen die Tür der Hausapotheke
nur zweimal geöffnet worden war, um eins der rotbäckigen
Kinder mit dem Fieberthermometer zu messen, ob diese Röte
auch keine Fiebertemperatur hatte.

Nein, es hatte keine. -- --

Eines Sonntags nachmittags -- die Kleinen spielten in
der Kinderstube Indianer und Trapper -- erscholl ein fürchter-
liches Gebrüll durch die Räume.

Leichenblaß stürzte Vater, Mutter und Emilie herbei und
fanden Kurtchen mit blutüberströmter Hand, sich wie ein
äußerst echter Indianer auf dem Fußboden herumwälzend.
Er hatte sich mit Mutters Brotmesser einen Pfeil schnitzen
wollen und dabei den Daumen mehr als das Holz strapaziert.

In fieberhafter Ausregung rannte und schrie alles durch-
einander.


Czernowitzer Allgemeine Zeitung. 20. Februar 1907

[Spaltenumbruch]

fanden nun in der franzöſiſchen Deputiertenkammer ſehr er-
regte Debatten über die finanzielle Unterſtützung des zariſtiſchen
Rußlands durch gutes Geld braver franzöſiſcher Sparer ſtatt,
welche in dem oben angedeuteteten Zuſammenhang von hoher
Wichtigkeit ſind. Wird Frankreich dem ruſſiſchen Reiche noch
weiter Geld geben oder nicht?

Die letzte ruſſiſche Anleihe, ediert im April und Mai
des Jahres 1906, hat bekanntlich, trotz ſehr hoher Verzinſung,
anfangs ein völliges Fiasko erlebt. Die Anleihe wurde bald
mit 10—12 Prozent Disagis gehandelt und erholte ſich davon
erſt ſpät und langſam wieder. Man erzählte ſich damals, die
Anleihe wäre äußerſt ſchwierig zu ſtande gekommen, in dem
Miniſterrat des damaligen Miniſteriums Sarrien wäre es
zu ſehr heftigen Auseinanderſetzungen gekommen, der alte
Revolutionär und „Antizariſt“ Clemenceau, der damals
Miniſter des Innern war, hätte mit allen Kräften dagegen,
der Miniſter des Aeußern Bourgeois aber mit allen Kräften
dafür geſprochen. Schließlich iſt die Anleihe doch zuſtande
gekommen. Inzwiſchen iſt der damalige Ruſſengegner und
Miniſter des Innern Clemenceau Miniſterpräſident geworden,
hat ſich ein Kabinett nach ſeinem eigenen Willen geformt und
hätte es eigentlich nicht mehr nötig, ſich durch das Votum
der anderen Miniſter zur Erlaubnis einer neuen Ruſſenanleihe
zwingen zu laſſen. Abgeſehen davon kann niemand leugnen,
daß die Ruſſengegner im franzöſiſchen Volke an Stärke und
Zahl zugenommen haben, daß je mehr ſich in Frankreich die
Politik radikaliſiert, deſto größer der Gegenſatz wird zu dem
großen Alliierten, der immer noch rein abſolutiſtiſch iſt. Nun
iſt dieſer Gegenſatz in der Kammer in Geſtalt einer Inter-
pellation zum Ausdruck gekommen: von der einen Seite wurde
heftig gegen das ruſſiſche Regime, den Zaren, die finanzielle
Hilfe von ſeiten Frankreichs geſprochen, auf den anderen hat
das Miniſterium ſeine Pflicht getan und den Alliierten gegen
dieſe Angriffe in Schutz genommen. Aber trotz dieſer Abwehr
hat die Diskuſſion doch gezeigt, wie die Dinge eigentlich ſtehen.
Was wird in der franzöſiſchen Kammer geſchehen, wenn
Rußland eine weitere Anleihe — und zwar noch in dieſem
Jahre — in Frankreich aufnehmen muß?

Eine Allianz baſiert auf zweierlei Dingen, auf einer
gewiſſen Gem inſamkeit der Gefühle und der Intereſſen. Wobei
natürlich die zweite Art die wichtigere iſt. Die Verluſte, welche
die franzöſiſchen Sparer an Ruſſenpapieren erleiden mußten,
der Gegenſatz zwiſchen den beiden Regierungsformen, der not-
wendige Gefühlsantogonismus zwiſchen den beiden Regierungen
ſind innerhalb des letzten Jahres unverkennbar gewachſen.
Das aber hätte gar keine Bedeutung, wenn auf der anderen
Seite die Gemeinſamkeit der Intereſſen evident wäre. Nun
würde ſich aber auch hierin in dem Augenblicke, als Frankreich
für Rußland kein Geld mehr übrig hat, die Sache weſentlich
ändern. Rußland wird wahrſcheinlich in der nächſten Zeit
eine eminent friedliche Politiktreiben und einer diplomatiſchen
oder militäriſchen Hilfe kaum bedürfen. Frankreich hat ihm
alſo außer Geld nicht allzuviel zu bieten. Deshalb ſteht der
Zweibund jetzt einigermaßen auf der finanziellen Baſis.




Vom Tage.


Die Landtage.

(Tel. der „Cz. Allg. Ztg.“)

Die
„Wiener Zeitung“ publiziert das kaiſerliche Patent, womit
die Landtage in Oberöſterreich, Steiermark, Mähren und
Trieſt für den 25. Februar einberufen werden.




[Spaltenumbruch]
Die Ausſchreibung der Reichsratswahlen.

(Tel. der „Cz. Allg. Ztg.“)

Die
„Wiener Zeitung“ publiziert die Kundmachung, womit der
Miniſter des Innern mit Ausnahme von Galizien und
Dalmatien die Reichsratswahlen für den 14. Mai, die erfor-
derlichen Stichwahlen für den 23. Mai anſetzt.




Die Zolltariffrage.

In der kriſenhaften Frage des autonomen ungariſchen
Zolltarifes, die für den Ausgleich eine Frage nach Sein oder
Nichtſein iſt, iſt eine neue Wendung bis jetzt nicht zu ver-
zeichnen. Ueber die geſtrige Audienz Wekerles beim Kaiſer,
die offenbar der Zolltariffrage galt, liegen nähere Nachrichten
noch nicht vor, auch bezüglich der Miniſterkonferenzen wird
nur die trockene Tatſache ihrer Abhaltung gemeldet, und man
muß ſich daher auf die Feſtſtellung beſchränken, daß eine
Löſung der Kriſe verſucht wird. Welcher Art dieſe Löſungs-
verſuche ſind, iſt natürlich ungewiß, aber man kann annehmen,
daß vor allem das „Mißverſtändnis“ über die Zuſage der
ungariſchen Regierung betreffend die parlamentariſche Be-
handlung des autonomen Zolltarifes aufgeklärt und ein Weg
geſucht werden wird, der die Fortführung der durch das
einſeitige Vorgehen Ungarns in Frage geſtellten Ausgleichs-
verhandlungen ermöglicht, ohne daß einerſeits Ungarn offen-
kundig blamiert, anderſeits Oeſterreich genötigt wird, von
ſeinen in der Ausgleichsfrage aufgeſtellten Grundſätzen abzu-
weichen. Das iſt eine ſo ſchwierige Aufgabe, daß auf eine
baldige Ausgleichung der Gegenſätze kaum gehofft werden
kann. — Wir verzeichnen folgende Nachrichten:

Die Miniſterkonferenz.

(Tel. der „Cz. Allg. Ztg.“)

Im
Hinblick auf den Zuſammenhang, der zwiſchen der Behand-
lung des ungariſchen Zolltarifes und der Handesverträge im
ungariſchen Reichstag und den Ausgleichsverhandlungen beſteht,
unterzogen heute die beiden Miniſterpräſidenten die ganze
Situation einer eingehenden Beſprechung, welche in den nächſten
Tagen fortgeſetzt werden wird.

Das „Mißverſtändnis“.

Die öſterreichiſche und die un-
gariſche Regierung haben bereits in der neu aufgetauchten
Frage der kommiſſionellen Beratung des autonomen unga-
riſchen Zolltarifes einen Notenwechſel hinter ſich, aber des-
halb iſt noch immer auch die optimiſtiſche Anſicht berechtigt,
daß man noch nicht von einem Konflikt ſprechen muß, der
eine friedliche Beilegung ausſchließt. Auf ungariſcher Seite
wird zwar verſucht, die ſeinerzeitige Erklärung des öſter-
reichiſchen Miniſterpräſidenten, er habe das Verſprechen des
ungariſchen Miniſterpräſidenten, die ungariſche Regierung
werde die faſſungsmäßige Behandlung des Zolltarifes nicht
eher vornehmen, als die Verh[a]ndlungen mit Oeſterreich über
den Ausgleich beendet ſeien, auf ein Mißverſtändnis zurück-
zuführen. Die Möglichkeit eines Mißverſtändniſſes iſt im
Allgemeinen wohl ſchwer zu beſtreiten. In dieſem Falle ſcheint
jedoch die ungariſche Regierung ſelbſt dafür geſorgt zu haben,
daß die Annahme eines Mißverſtändniſſes nicht ernſtlich auf-
recht erhalten werde. In einem offenbar inſpirierten Artikel
des „P. Ll.“ heiß es nämlich bezüglich der erwähnten Er-
klärung des Freiherrn von Beck: „Wir vermögen es nicht zu
verbürgen, allein es wurde im Kreiſe der Eingeweihten
behauptet, daß dieſe Erklärung von ungariſcher Seite ſofort
[Spaltenumbruch] lebhaft angefochten wurden.“ Dieſe ungemein zarte, vor-
ſichtige Stiliſierung läßt tief blicken. In der Kampagne gegen
Oeſterreich vermögen die Budapeſter Blätter oft ſogar Dinge
zu „verbürgen“, von denen im Kreiſe der Eingeweihten nichts
behauptet wurde.

Die ungariſche Preßhetze.

„A Nap“, das Organ des
Abgeordneten Lengyel, veröffentlicht einen heftigen Artikel
gegen das Magnatenhausmitglied Dr. v. Matlekovich, in
welchem es heißt: „Matlekovich bemühte ſich, zu beweiſen
(im „Peſter Lloyd“) daß der Ausgleich ſamt dem gemein-
ſamen Zollgebiet gleichmäßig im Intereſſe Oeſterreichs und
Ungarns gelegen iſt. Er geht noch weiter und behauptet, daß
der für die längere Friſt geſchloſſene Ausgleich der für Un-
garn günſtigere iſt. Herr v. Matlekovich iſt die erſte Schwalbe
für die neueſte Attacke der 67er-Partei. Wer ihn hierzu auf-
gefordert hat, kann nicht zweifelhaft ſein. Aber er wird den
Zuſammenbruch des Ausgleiches nicht hindern.“

Parteitag der Deutſchen Fortſchrittspartei
in Böhmen.

Am Sonntag hat die Deutſche Fortſchrittspartei Böh-
mens in Prag ihren Parteitag abgehalten, der vor allem
dadurch bemerkenswert iſt, daß er den Beweis lieferte, was
von den ſo energiſch betonten Konzentrationsbeſtrebungen der
deutſchen Parteien zu halten iſt. Die Deutſchfortſchrittlichen
in Böhmen waren die erſten, die die von der Deutſchen Volks-
partei ausgegeben Parole aufgegriffen haben, ſie ſind aber
auch die erſten, die gegen den Grundſatz der Konzentration
handeln. Die Begründung, die ſie für ein ſelbſtändiges Vor-
gehen anführen, iſt geradezu ein Muſterbeiſpiel des echt
deutſchen, eiferſüchtigen Fraktionsgeiſtes, der den Deutſchen
in Oeſterreich wahrlich ſchon genug geſchadet hat. Weil ſie
ſich mit der kleinſten, unbedeutendſten der in Betracht kom-
menden Fraktionen nicht vertragen können, lehnen ſie ſchlank-
weg auch ein Zuſammengehen mit den großen, ernſtzuneh-
menden deutſchen Parteien ab. Theoretiſch ſind ſie begeiſterte
Anhänger der Konzentration, in der Praxis aber ſagen ſie:
Non possumus! Man muß da Taaffes Wort wiederholen:
„Um das zu verſtehen, muß man ein gelernter Deutſchböhme
ſein!“ Wie es unter dieſen Umſtänden mit der großen, einigen
deutſchen Partei ausſehen wird, iſt nicht zweifelhaft. — Es
liegt uns über den Parteitag der folgende Bericht vor:

Unter überaus zahlreicher Beteili-
gung der Parteikreiſe hielt geſtern im Deutſchen Hauſe die
Deutſche Fortſchrittspartei in Böhmen ihren diesjährig[e]n
Parteitag ab, auf welchem die Haltung bei den kommenden
Reichsratswahlen feſtgeſtellt wurde.

Landesausſchußbeiſitzer Dr. Eppinger hielt eine pro-
grammatiſche Rede über die Haltung und die Ziele der
Deutſchen Fortſchrittspartei. Dr. Eppinger ſagte unter anderem:
Es ſei notwendig, daß der drohenden reaktionären Ge-
fahr
durch einen möglichſt innigen Zuſammenſchluß aller
deutſchen Abgeordneten begegnet werde. Die Deutſche Fortſchritts-
partei hat ſich freudig an den Konzentrationsbeſtrebungen be-
teiligt und ſei ein Zuſammengehen derſelben mit der Deutſchen
Agrarpartei und der Deutſchen Volkspartei, nicht aber
mit der Freialldeutſchen Partei,
möglich. In-
folgedeſſen
wird die Deutſche Fortſchrittspartei durch-
aus ſelbſtändig in dem Wahlkampf auftreten.




[Spaltenumbruch]

Am ſpäten Abend desſelben Tages klopfte Emilie an die
Schlafſtubentür ihrer Herrſchaft.

Frau Margarete fuhr aus erſtem, kurzem Schlummer
erſchreckt empor.

„Ach, jnäd’ge Frau ... wenn Se wollten mir bloß en
paar Troppen von irjend was aus Ihre Apotheke jeben ...
ich hab’ ſo’nne Zahnſchwerzen, .. huh .. huh“ ..

„Siehſte, da haſte de Kiſte“ ... meinte der liebe Gatte
gefühlsroh, als ſeine liebe Frau verſtört aus den warmen
Federn kletterte.

Emilie mußte das Gas im Korridor anzünden, damit
Frau Margarete leſen konnte, was gegen Zahnſchmerzen gut
war. Sie fand auch Gott ſei Dank ein Mittel, das ſie ſtolz
und erhaben dem Mädchen einhändigte.

In der Nacht konnte ſie nicht ſchlafen, weil ſie auf er-
neute Huſtenanfälle der Kinder wartete. Sie hatte dafür noch
ein ganz beſonderes gutes Beruhigungsmittel in ihrer
Apotheke .. was ſie gleich probieren wollte.

Die Kinder rührten ſich aber nicht. Zum erſtenmal ſeit
Wochen ſchliefen ſie, ohne einen Laut von ſich zu geben, die
ganze Nacht durch.

In den nächſten Tagen beobachtete Frau Margarete
geſpannt Mann nnd Kinder.

„Fehlt dir etwas, mein Herzchen“ ... fragte ſie vor
jedem blaſſen Geſichtchen, oder ... „haſt du wieder Wehweh
im Mund?“ forſchte ſie bei Baby, das ſeine Zahnung noch
nicht beendet hatte.

Nein ... ſo geſund waren die Kinder ſeit Jahren nicht
geweſen wie von dem Tage an, ſeitdem die Hansapotheke
gefüllt war. Frau Margarete fühlte ſogar etwas, das
beinahe wie Bedauern ausſah, daß kein Menſch etwas von
ihren vielen teuren Mitteln brauchte. Ihr Mann ſelbſt, der
ſonſt an nervöſer Schlafloſigkeit gelitten hatte, ſchlief jetzt
jede Nacht wie ein Bär. Er ſchnarchte ſogar, ein Zeichen
regelrechter Geſundheit.

Was neue Fieberthermometer lag auch noch unbenutzt,
[Spaltenumbruch] trotzdem Frau Margareta gar zu gern probiert hätte, ob es
funktioniert. Eins der Kinder hatte früher immer Fieber
gehabt, und wenn es ein ungefährliches Schnupfenfieber
geweſen war; nun kam das nicht mehr vor.

Auf der Treppe im Hauſe fand Frau Margarete einmal
einen armen, blaſſen Jungen, bitterlich weinend und mit
ſchmerzverzerrten Zügen, kauernd.

„Ich kann nicht loofen, ich kann nicht looſen“ ....
jammerte er herzerweichend.

Im tiefſten Mitgefühl beugt ſie ſich nieder, in Gedanken
ſämtliche Vorräte in ihrer Hausapotheke durchfliegend.

„Wo tut’s denn weh, mein armes Kind, was fehlt dir
denn?“ ... forſchte ſie hilſsbereit.

„Mir .. i .. r drü .. cken meine ... Stiebeln
ſo.“ ....

Da ſchritt Frau Margarete gekränkt von dannen ...
Die ganze Welt ſchien ihr plötzlich zum Trotz aus lauter
Geſundheit zuſammengeſetzt zu ſein.

Tante Dettchen, die aei ihren Beſuchen ſonſt jedesmal
über irgend ein Leiden zu klagen hatte und für welche die
Nichte dieſesmal in der Hausapotheke ſo verſchiedene Hifs-
mittelchen vorbereitet hatte, klagte plötzlich auch nicht mehr.

Schon beim Mantelausziehen, als die alte Dame ſeufzend
die Schultern zuſammenzog, hatte Frau Margarete gefragt:
„Fehlt dir etwas, liebes Tantchen?“ ...

„J wo ... bloß, wie riecht denn das mit einem Male
in eurem Korridor ... Gretchen? ... Puh .. das war
doch früher nich.“ ...

Die Tante wandte den Kopf ... und bums ... ſtieß
ſie gegen den dickbäuchigen, braungebeizten Holzkaſten, Haus-
apotheke genannt.

„Achott, achott ... was haſte denn da aufgehängt?
Du mein Schrecken, nee, was hab ich mir die Stirn ge-
vullert! ... Wie kommſte denn zu dem Dings, Gretchen?“

Die Hausfrau hatte ſchweigend ſchon die Tür vor den
32 Fächern geöffnet.


[Spaltenumbruch]

„Is doch unſe Hausapotheke“, brüllte das älteſte Trio
dazwiſchen.

„Ach ſ .. o .. o“ — die alte Dame zog ſich beſtürzt
aus dem Korridor in die Wohnſtube zurück — „deshalb auch
dieſer Geruch ... Haſte vielleicht en büſchen Kölniſch Waſſer
dabei, Gretchen?“

„D .. a .. s gerade nicht“, geſtand die Nichte ſehr klein-
laut ein, „willſte nicht lieber Bleiwaſſer an deine Beule
nehmen, liebes Tantchen?“

„Nein, lieber ſterben!“ meinte die alte Dame entſetzt.

Die Hausapotheke fing an, Frau Margarete keinen Spaß
mehr zu machen. In der ganzen Zeit, ſeit ſie fix und fertig
eingerichtet war, brauchte kein Mitglied der Familie irgend
ein Linderungsmittel daraus. So geſund waren die Kinder
noch nie geweſen. Selbſt Hildchen, das Sorgenkind und Neſt-
häkchen der Familie, bekam die letzten drei Zähne ohne jede
Schwierigkeiten oder gar Nachhilfsmittel.

Der Hausherr brauchte kein Schlafpulver, Kurtchens
Hautausſchlag, für den Frau Margarete beſonders eine Salbe
in ihrer Apotheke hatte, war plötzlich wie weggeblaſen, und
Emiliens Zahnſchmerzen waren geſtillt und kamen nicht wieder.
Es vergingen drei Wochen, in denen die Tür der Hausapotheke
nur zweimal geöffnet worden war, um eins der rotbäckigen
Kinder mit dem Fieberthermometer zu meſſen, ob dieſe Röte
auch keine Fiebertemperatur hatte.

Nein, es hatte keine. — —

Eines Sonntags nachmittags — die Kleinen ſpielten in
der Kinderſtube Indianer und Trapper — erſcholl ein fürchter-
liches Gebrüll durch die Räume.

Leichenblaß ſtürzte Vater, Mutter und Emilie herbei und
fanden Kurtchen mit blutüberſtrömter Hand, ſich wie ein
äußerſt echter Indianer auf dem Fußboden herumwälzend.
Er hatte ſich mit Mutters Brotmeſſer einen Pfeil ſchnitzen
wollen und dabei den Daumen mehr als das Holz ſtrapaziert.

In fieberhafter Auſregung rannte und ſchrie alles durch-
einander.


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[2/0002] Czernowitzer Allgemeine Zeitung. 20. Februar 1907 fanden nun in der franzöſiſchen Deputiertenkammer ſehr er- regte Debatten über die finanzielle Unterſtützung des zariſtiſchen Rußlands durch gutes Geld braver franzöſiſcher Sparer ſtatt, welche in dem oben angedeuteteten Zuſammenhang von hoher Wichtigkeit ſind. Wird Frankreich dem ruſſiſchen Reiche noch weiter Geld geben oder nicht? Die letzte ruſſiſche Anleihe, ediert im April und Mai des Jahres 1906, hat bekanntlich, trotz ſehr hoher Verzinſung, anfangs ein völliges Fiasko erlebt. Die Anleihe wurde bald mit 10—12 Prozent Disagis gehandelt und erholte ſich davon erſt ſpät und langſam wieder. Man erzählte ſich damals, die Anleihe wäre äußerſt ſchwierig zu ſtande gekommen, in dem Miniſterrat des damaligen Miniſteriums Sarrien wäre es zu ſehr heftigen Auseinanderſetzungen gekommen, der alte Revolutionär und „Antizariſt“ Clemenceau, der damals Miniſter des Innern war, hätte mit allen Kräften dagegen, der Miniſter des Aeußern Bourgeois aber mit allen Kräften dafür geſprochen. Schließlich iſt die Anleihe doch zuſtande gekommen. Inzwiſchen iſt der damalige Ruſſengegner und Miniſter des Innern Clemenceau Miniſterpräſident geworden, hat ſich ein Kabinett nach ſeinem eigenen Willen geformt und hätte es eigentlich nicht mehr nötig, ſich durch das Votum der anderen Miniſter zur Erlaubnis einer neuen Ruſſenanleihe zwingen zu laſſen. Abgeſehen davon kann niemand leugnen, daß die Ruſſengegner im franzöſiſchen Volke an Stärke und Zahl zugenommen haben, daß je mehr ſich in Frankreich die Politik radikaliſiert, deſto größer der Gegenſatz wird zu dem großen Alliierten, der immer noch rein abſolutiſtiſch iſt. Nun iſt dieſer Gegenſatz in der Kammer in Geſtalt einer Inter- pellation zum Ausdruck gekommen: von der einen Seite wurde heftig gegen das ruſſiſche Regime, den Zaren, die finanzielle Hilfe von ſeiten Frankreichs geſprochen, auf den anderen hat das Miniſterium ſeine Pflicht getan und den Alliierten gegen dieſe Angriffe in Schutz genommen. Aber trotz dieſer Abwehr hat die Diskuſſion doch gezeigt, wie die Dinge eigentlich ſtehen. Was wird in der franzöſiſchen Kammer geſchehen, wenn Rußland eine weitere Anleihe — und zwar noch in dieſem Jahre — in Frankreich aufnehmen muß? Eine Allianz baſiert auf zweierlei Dingen, auf einer gewiſſen Gem inſamkeit der Gefühle und der Intereſſen. Wobei natürlich die zweite Art die wichtigere iſt. Die Verluſte, welche die franzöſiſchen Sparer an Ruſſenpapieren erleiden mußten, der Gegenſatz zwiſchen den beiden Regierungsformen, der not- wendige Gefühlsantogonismus zwiſchen den beiden Regierungen ſind innerhalb des letzten Jahres unverkennbar gewachſen. Das aber hätte gar keine Bedeutung, wenn auf der anderen Seite die Gemeinſamkeit der Intereſſen evident wäre. Nun würde ſich aber auch hierin in dem Augenblicke, als Frankreich für Rußland kein Geld mehr übrig hat, die Sache weſentlich ändern. Rußland wird wahrſcheinlich in der nächſten Zeit eine eminent friedliche Politiktreiben und einer diplomatiſchen oder militäriſchen Hilfe kaum bedürfen. Frankreich hat ihm alſo außer Geld nicht allzuviel zu bieten. Deshalb ſteht der Zweibund jetzt einigermaßen auf der finanziellen Baſis. Vom Tage. Czernowitz, 18. Februar. Die Landtage. Wien, 19. Februar. (Tel. der „Cz. Allg. Ztg.“) Die „Wiener Zeitung“ publiziert das kaiſerliche Patent, womit die Landtage in Oberöſterreich, Steiermark, Mähren und Trieſt für den 25. Februar einberufen werden. Die Ausſchreibung der Reichsratswahlen. Wien, 19. Februar. (Tel. der „Cz. Allg. Ztg.“) Die „Wiener Zeitung“ publiziert die Kundmachung, womit der Miniſter des Innern mit Ausnahme von Galizien und Dalmatien die Reichsratswahlen für den 14. Mai, die erfor- derlichen Stichwahlen für den 23. Mai anſetzt. Die Zolltariffrage. In der kriſenhaften Frage des autonomen ungariſchen Zolltarifes, die für den Ausgleich eine Frage nach Sein oder Nichtſein iſt, iſt eine neue Wendung bis jetzt nicht zu ver- zeichnen. Ueber die geſtrige Audienz Wekerles beim Kaiſer, die offenbar der Zolltariffrage galt, liegen nähere Nachrichten noch nicht vor, auch bezüglich der Miniſterkonferenzen wird nur die trockene Tatſache ihrer Abhaltung gemeldet, und man muß ſich daher auf die Feſtſtellung beſchränken, daß eine Löſung der Kriſe verſucht wird. Welcher Art dieſe Löſungs- verſuche ſind, iſt natürlich ungewiß, aber man kann annehmen, daß vor allem das „Mißverſtändnis“ über die Zuſage der ungariſchen Regierung betreffend die parlamentariſche Be- handlung des autonomen Zolltarifes aufgeklärt und ein Weg geſucht werden wird, der die Fortführung der durch das einſeitige Vorgehen Ungarns in Frage geſtellten Ausgleichs- verhandlungen ermöglicht, ohne daß einerſeits Ungarn offen- kundig blamiert, anderſeits Oeſterreich genötigt wird, von ſeinen in der Ausgleichsfrage aufgeſtellten Grundſätzen abzu- weichen. Das iſt eine ſo ſchwierige Aufgabe, daß auf eine baldige Ausgleichung der Gegenſätze kaum gehofft werden kann. — Wir verzeichnen folgende Nachrichten: Die Miniſterkonferenz. Wien, 18. Februar. (Tel. der „Cz. Allg. Ztg.“) Im Hinblick auf den Zuſammenhang, der zwiſchen der Behand- lung des ungariſchen Zolltarifes und der Handesverträge im ungariſchen Reichstag und den Ausgleichsverhandlungen beſteht, unterzogen heute die beiden Miniſterpräſidenten die ganze Situation einer eingehenden Beſprechung, welche in den nächſten Tagen fortgeſetzt werden wird. Das „Mißverſtändnis“. Wien, 18. Februar. Die öſterreichiſche und die un- gariſche Regierung haben bereits in der neu aufgetauchten Frage der kommiſſionellen Beratung des autonomen unga- riſchen Zolltarifes einen Notenwechſel hinter ſich, aber des- halb iſt noch immer auch die optimiſtiſche Anſicht berechtigt, daß man noch nicht von einem Konflikt ſprechen muß, der eine friedliche Beilegung ausſchließt. Auf ungariſcher Seite wird zwar verſucht, die ſeinerzeitige Erklärung des öſter- reichiſchen Miniſterpräſidenten, er habe das Verſprechen des ungariſchen Miniſterpräſidenten, die ungariſche Regierung werde die faſſungsmäßige Behandlung des Zolltarifes nicht eher vornehmen, als die Verhandlungen mit Oeſterreich über den Ausgleich beendet ſeien, auf ein Mißverſtändnis zurück- zuführen. Die Möglichkeit eines Mißverſtändniſſes iſt im Allgemeinen wohl ſchwer zu beſtreiten. In dieſem Falle ſcheint jedoch die ungariſche Regierung ſelbſt dafür geſorgt zu haben, daß die Annahme eines Mißverſtändniſſes nicht ernſtlich auf- recht erhalten werde. In einem offenbar inſpirierten Artikel des „P. Ll.“ heiß es nämlich bezüglich der erwähnten Er- klärung des Freiherrn von Beck: „Wir vermögen es nicht zu verbürgen, allein es wurde im Kreiſe der Eingeweihten behauptet, daß dieſe Erklärung von ungariſcher Seite ſofort lebhaft angefochten wurden.“ Dieſe ungemein zarte, vor- ſichtige Stiliſierung läßt tief blicken. In der Kampagne gegen Oeſterreich vermögen die Budapeſter Blätter oft ſogar Dinge zu „verbürgen“, von denen im Kreiſe der Eingeweihten nichts behauptet wurde. Die ungariſche Preßhetze. Budapeſt, 18. Februar. „A Nap“, das Organ des Abgeordneten Lengyel, veröffentlicht einen heftigen Artikel gegen das Magnatenhausmitglied Dr. v. Matlekovich, in welchem es heißt: „Matlekovich bemühte ſich, zu beweiſen (im „Peſter Lloyd“) daß der Ausgleich ſamt dem gemein- ſamen Zollgebiet gleichmäßig im Intereſſe Oeſterreichs und Ungarns gelegen iſt. Er geht noch weiter und behauptet, daß der für die längere Friſt geſchloſſene Ausgleich der für Un- garn günſtigere iſt. Herr v. Matlekovich iſt die erſte Schwalbe für die neueſte Attacke der 67er-Partei. Wer ihn hierzu auf- gefordert hat, kann nicht zweifelhaft ſein. Aber er wird den Zuſammenbruch des Ausgleiches nicht hindern.“ Parteitag der Deutſchen Fortſchrittspartei in Böhmen. Am Sonntag hat die Deutſche Fortſchrittspartei Böh- mens in Prag ihren Parteitag abgehalten, der vor allem dadurch bemerkenswert iſt, daß er den Beweis lieferte, was von den ſo energiſch betonten Konzentrationsbeſtrebungen der deutſchen Parteien zu halten iſt. Die Deutſchfortſchrittlichen in Böhmen waren die erſten, die die von der Deutſchen Volks- partei ausgegeben Parole aufgegriffen haben, ſie ſind aber auch die erſten, die gegen den Grundſatz der Konzentration handeln. Die Begründung, die ſie für ein ſelbſtändiges Vor- gehen anführen, iſt geradezu ein Muſterbeiſpiel des echt deutſchen, eiferſüchtigen Fraktionsgeiſtes, der den Deutſchen in Oeſterreich wahrlich ſchon genug geſchadet hat. Weil ſie ſich mit der kleinſten, unbedeutendſten der in Betracht kom- menden Fraktionen nicht vertragen können, lehnen ſie ſchlank- weg auch ein Zuſammengehen mit den großen, ernſtzuneh- menden deutſchen Parteien ab. Theoretiſch ſind ſie begeiſterte Anhänger der Konzentration, in der Praxis aber ſagen ſie: Non possumus! Man muß da Taaffes Wort wiederholen: „Um das zu verſtehen, muß man ein gelernter Deutſchböhme ſein!“ Wie es unter dieſen Umſtänden mit der großen, einigen deutſchen Partei ausſehen wird, iſt nicht zweifelhaft. — Es liegt uns über den Parteitag der folgende Bericht vor: Prag, 18. Februar. Unter überaus zahlreicher Beteili- gung der Parteikreiſe hielt geſtern im Deutſchen Hauſe die Deutſche Fortſchrittspartei in Böhmen ihren diesjährigen Parteitag ab, auf welchem die Haltung bei den kommenden Reichsratswahlen feſtgeſtellt wurde. Landesausſchußbeiſitzer Dr. Eppinger hielt eine pro- grammatiſche Rede über die Haltung und die Ziele der Deutſchen Fortſchrittspartei. Dr. Eppinger ſagte unter anderem: Es ſei notwendig, daß der drohenden reaktionären Ge- fahr durch einen möglichſt innigen Zuſammenſchluß aller deutſchen Abgeordneten begegnet werde. Die Deutſche Fortſchritts- partei hat ſich freudig an den Konzentrationsbeſtrebungen be- teiligt und ſei ein Zuſammengehen derſelben mit der Deutſchen Agrarpartei und der Deutſchen Volkspartei, nicht aber mit der Freialldeutſchen Partei, möglich. In- folgedeſſen wird die Deutſche Fortſchrittspartei durch- aus ſelbſtändig in dem Wahlkampf auftreten. Am ſpäten Abend desſelben Tages klopfte Emilie an die Schlafſtubentür ihrer Herrſchaft. Frau Margarete fuhr aus erſtem, kurzem Schlummer erſchreckt empor. „Ach, jnäd’ge Frau ... wenn Se wollten mir bloß en paar Troppen von irjend was aus Ihre Apotheke jeben ... ich hab’ ſo’nne Zahnſchwerzen, .. huh .. huh“ .. „Siehſte, da haſte de Kiſte“ ... meinte der liebe Gatte gefühlsroh, als ſeine liebe Frau verſtört aus den warmen Federn kletterte. Emilie mußte das Gas im Korridor anzünden, damit Frau Margarete leſen konnte, was gegen Zahnſchmerzen gut war. Sie fand auch Gott ſei Dank ein Mittel, das ſie ſtolz und erhaben dem Mädchen einhändigte. In der Nacht konnte ſie nicht ſchlafen, weil ſie auf er- neute Huſtenanfälle der Kinder wartete. Sie hatte dafür noch ein ganz beſonderes gutes Beruhigungsmittel in ihrer Apotheke .. was ſie gleich probieren wollte. Die Kinder rührten ſich aber nicht. Zum erſtenmal ſeit Wochen ſchliefen ſie, ohne einen Laut von ſich zu geben, die ganze Nacht durch. In den nächſten Tagen beobachtete Frau Margarete geſpannt Mann nnd Kinder. „Fehlt dir etwas, mein Herzchen“ ... fragte ſie vor jedem blaſſen Geſichtchen, oder ... „haſt du wieder Wehweh im Mund?“ forſchte ſie bei Baby, das ſeine Zahnung noch nicht beendet hatte. Nein ... ſo geſund waren die Kinder ſeit Jahren nicht geweſen wie von dem Tage an, ſeitdem die Hansapotheke gefüllt war. Frau Margarete fühlte ſogar etwas, das beinahe wie Bedauern ausſah, daß kein Menſch etwas von ihren vielen teuren Mitteln brauchte. Ihr Mann ſelbſt, der ſonſt an nervöſer Schlafloſigkeit gelitten hatte, ſchlief jetzt jede Nacht wie ein Bär. Er ſchnarchte ſogar, ein Zeichen regelrechter Geſundheit. Was neue Fieberthermometer lag auch noch unbenutzt, trotzdem Frau Margareta gar zu gern probiert hätte, ob es funktioniert. Eins der Kinder hatte früher immer Fieber gehabt, und wenn es ein ungefährliches Schnupfenfieber geweſen war; nun kam das nicht mehr vor. Auf der Treppe im Hauſe fand Frau Margarete einmal einen armen, blaſſen Jungen, bitterlich weinend und mit ſchmerzverzerrten Zügen, kauernd. „Ich kann nicht loofen, ich kann nicht looſen“ .... jammerte er herzerweichend. Im tiefſten Mitgefühl beugt ſie ſich nieder, in Gedanken ſämtliche Vorräte in ihrer Hausapotheke durchfliegend. „Wo tut’s denn weh, mein armes Kind, was fehlt dir denn?“ ... forſchte ſie hilſsbereit. „Mir .. i .. r drü .. cken meine ... Stiebeln ſo.“ .... Da ſchritt Frau Margarete gekränkt von dannen ... Die ganze Welt ſchien ihr plötzlich zum Trotz aus lauter Geſundheit zuſammengeſetzt zu ſein. Tante Dettchen, die aei ihren Beſuchen ſonſt jedesmal über irgend ein Leiden zu klagen hatte und für welche die Nichte dieſesmal in der Hausapotheke ſo verſchiedene Hifs- mittelchen vorbereitet hatte, klagte plötzlich auch nicht mehr. Schon beim Mantelausziehen, als die alte Dame ſeufzend die Schultern zuſammenzog, hatte Frau Margarete gefragt: „Fehlt dir etwas, liebes Tantchen?“ ... „J wo ... bloß, wie riecht denn das mit einem Male in eurem Korridor ... Gretchen? ... Puh .. das war doch früher nich.“ ... Die Tante wandte den Kopf ... und bums ... ſtieß ſie gegen den dickbäuchigen, braungebeizten Holzkaſten, Haus- apotheke genannt. „Achott, achott ... was haſte denn da aufgehängt? Du mein Schrecken, nee, was hab ich mir die Stirn ge- vullert! ... Wie kommſte denn zu dem Dings, Gretchen?“ Die Hausfrau hatte ſchweigend ſchon die Tür vor den 32 Fächern geöffnet. „Is doch unſe Hausapotheke“, brüllte das älteſte Trio dazwiſchen. „Ach ſ .. o .. o“ — die alte Dame zog ſich beſtürzt aus dem Korridor in die Wohnſtube zurück — „deshalb auch dieſer Geruch ... Haſte vielleicht en büſchen Kölniſch Waſſer dabei, Gretchen?“ „D .. a .. s gerade nicht“, geſtand die Nichte ſehr klein- laut ein, „willſte nicht lieber Bleiwaſſer an deine Beule nehmen, liebes Tantchen?“ „Nein, lieber ſterben!“ meinte die alte Dame entſetzt. Die Hausapotheke fing an, Frau Margarete keinen Spaß mehr zu machen. In der ganzen Zeit, ſeit ſie fix und fertig eingerichtet war, brauchte kein Mitglied der Familie irgend ein Linderungsmittel daraus. So geſund waren die Kinder noch nie geweſen. Selbſt Hildchen, das Sorgenkind und Neſt- häkchen der Familie, bekam die letzten drei Zähne ohne jede Schwierigkeiten oder gar Nachhilfsmittel. Der Hausherr brauchte kein Schlafpulver, Kurtchens Hautausſchlag, für den Frau Margarete beſonders eine Salbe in ihrer Apotheke hatte, war plötzlich wie weggeblaſen, und Emiliens Zahnſchmerzen waren geſtillt und kamen nicht wieder. Es vergingen drei Wochen, in denen die Tür der Hausapotheke nur zweimal geöffnet worden war, um eins der rotbäckigen Kinder mit dem Fieberthermometer zu meſſen, ob dieſe Röte auch keine Fiebertemperatur hatte. Nein, es hatte keine. — — Eines Sonntags nachmittags — die Kleinen ſpielten in der Kinderſtube Indianer und Trapper — erſcholl ein fürchter- liches Gebrüll durch die Räume. Leichenblaß ſtürzte Vater, Mutter und Emilie herbei und fanden Kurtchen mit blutüberſtrömter Hand, ſich wie ein äußerſt echter Indianer auf dem Fußboden herumwälzend. Er hatte ſich mit Mutters Brotmeſſer einen Pfeil ſchnitzen wollen und dabei den Daumen mehr als das Holz ſtrapaziert. In fieberhafter Auſregung rannte und ſchrie alles durch- einander.

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Zitationshilfe: Czernowitzer Allgemeine Zeitung. Nr. 933, Czernowitz, 20.02.1907, S. 2. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_czernowitzer933_1907/2>, abgerufen am 16.04.2024.