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Marburger Zeitung. Nr. 220, Marburg, 26.09.1916.

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Marburger Zeitung.
Tagblatt.



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Der Preis des Blattes beträgt:
Für Marburg monatlich 1 K 50 h. Bei Zustellung ins Haus
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Ganzjährig 14 K, halbjährig 7 K, vierteljährig 3 K 50 h.
Der Bezug dauert bis zur schriftlichen Abbestellung.
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Sprechstunden
des Schriftleiters an allen Wochentagen von
11--12 Uhr und von 5--6 Uhr Edmund Schmidgasse 4.
Verwaltung: Edmund Schmidgasse 4. (Telephon Nr. 24.)
[Spaltenumbruch] Anzeigen werden im Verlage des Blattes und von
allen größeren Annoncen-Expeditionen entgegengenommen
und kostet die fünfmal gespaltene Kleinzeile 12 h.
Die Einzelnummer kostet 10 Heller




Nr. 220 Dienstag, 26. September 1916 55. Jahrgang


Vierter Tag der neuen Somme-Schlacht.
"Von der Kriegsindustrie der ganzen Welt bereitgeltelltes Material". Einheit-
licher Mallenangriff der englisch-franz. Infanterie. Rullenltürme zulammengebrochen


[Spaltenumbruch]
Die Tragik eines Königs.

"König Konstantin von Griechenland wird
seinen Aufenthalt in Athen nicht weiter ver-
längern; das königliche Palais ist bereits ge-
schlossen." So meldet ein Pariser Blatt und
andere Meldungen, deren Quellen freilich alle aus
den Lagern und journalistischen Gefässen der
Entente entspringen, teilen mit, daß der Aufruhr
in Griechenland gegen das königliche Haus und
im Dienste der Entente sein Haupt erhebe, daß
man Veniselos frei und unbehelligt nach Saloniki
fahren läßt, um die Leitung der unter der
Kontrolle des Vierverbandes stehenden revolutio-
nären Partei zu übernehmen, daß auf den grie-
chischen Inseln der Brand des Aufruhrs die
königstreue Gesinnung schon verzehrt hat, daß
Garnisonen von Küstenstädten ihren Fahneneid
brachen und zu den Rebellenführern übergingen
und griechische Behörden die Regierungsgebäude
den Aufständischen überließen. Freilich nur auf
den Inseln und im Raume von Saloniki,
wo die revolutionäre Partei den König ent-
thronen, das Land ihm entreißen und unter der
Scheingewalt des orientalischem Blute entsprossenen
Kreters Veniselos ein eigenes ,unabhängiges' staat-
[Spaltenumbruch] liches Gebilde schaffen will, das dennoch in den
schwersten Fesseln liegen würde, in den Banden
der Entente und das nicht einen freien Atemzug
sich gönnen dürfte, den die Entente nicht erlaubt.
Vom eigentlichen Griechenlande vermögen weder
Reuter noch des Vierverbandes lauernde Blätter
solche Nachricht in die Welt zu senden; nur wo
die Flotte und die Armee der Alliierten und ihr
rollendes Gold die Alleinherrschaft ausüben und
diese gebrauchen, wie sie nie zuvor gebraucht worden
ist in einem neutralen Lande, das die Peiniger
aufnahm in seinem Gebiete, nur dort steht der
Aufruhr auf und stellt sich an die Seite der
Entente. Den einen treibt der falsche Ehrgeiz, die
Zukunft des eigenen Landes zu verraten, wie
Veniselos, der falsche Kreter, zu seinem Vorteile es
tut, die anderen laufen dem Golde nach, das die
Entente aus vollen Händen verstreut und nur
wenige mögen von falschen und selber bestochenen
Propheten betört, in ihrem Tun eine Tat für ihr
Land erblicken. Im eigentlichen alten Griechenland
aber steht noch die Treue fest zum König und
zum Lande und der Zug von mehr als hundert
getreuen Offizieren, die von Saloniki huldigend
nach Athen zum König kamen und die Lage des
Armeekorps von Kavalla, das unter deutschen
[Spaltenumbruch] Schutz sich stellen mußte, lassen erkennen, mit
welchen Mitteln im Gebiet von Saloniki und
überall, wo ihre Klauen einschlugen in das Land,
die Entente an dem Eidbruch, an der Zerstörung
der Armee des Königs Konstantin unablässig
arbeitet. Dem König der Griechen wird wohl die
Geschichte dereinst einen seltsamen Beinamen
verleihen; auf dem Haupte seiner Königsgestalt
lastet eine Dornenkrone und die Henkersknechte
der Entente sind Tag und Nacht am Werke,
die Dornen dieser Krone tiefer hineinzudrücken ins
Haupt des heldenhaften Königs. Wenn Rumänien
nicht uns die Treue gebrochen hätte und wenn
wir sicher gewesen wären dieser Treue, dann wäre
die Plage Griechenlands schon verjagt worden vom
zertretenen Königreiche und waffenstarke Erlöser
hätten das Land und seinen König vom Martyrium
befreit; jetzt aber stehen die Freunde in Mazedonin
und können nur wehren, aber nicht verjagen, weil
die rumänische Front ihre Kräfte verlangt. Aber
auch in Schmerzen steht Griechenlands König auf-
recht mitten in seinem Volke und wo zehn andere
im Verzagen sich gebeugt und unterworfen hätten,
bleibt er ein König voller Ehre und Treue.
So wird er fortleben in den spätesten Zeitaltern
unserer Geschichte!




[Spaltenumbruch]
Im Wahn der Schuld.

4.   (Unberechtigter Nachdruck verboten.)

Werner hörte auch Tante Amaliens ein wenig
verlegene Stimme. Aber dann ward es still, die
Gäste befanden sich im Salon. Das Auto ratterte
wieder von dannen und der Einsame, Nichtgewürdigte
saß wie vorhin grübelnd in seinem Zimmer.
Agathe, eines der Dienstmädchen, brachte ihm in
großer Hast sein Abendbrot und ohne Appetit
würgte er ein paar Bissen hinunter. Noch niemals
in seinem Leben hatte er gefühlt, wie Eifersucht
tun kann. In dieser Stunde verspürte er es.

Und dazu dieses beschämende Gefühl, so höchst
unbedeutend und überflüssig zu sein: ein armer
Zivil-Ingenieur, ein Dutzendmensch, der ums
tägliche Brot kämpfen mußte und nicht die geringste
Aussicht hatte, jemals etwas Besonderes zu leisten?
Wo waren denn auf einmal die kühnen Ideen,
seine himmelstürmenden Zukunftspläne? Wollte
auch nicht er ein Erfinder werden? Arbeitete er
nicht schon seit Wochen an dem Problem einer
neuen Flugmaschine? Ach, jetzt hätte er all die
Zeichnungen, die drüben fertig im Schreibpult
lagen, zerreißen und verbrennen mögen als etwas
höchst Unbrauchbares. Diese entsetzliche Laune. Da
pochte es ganz leise an die Tür. Gewiß das
[Spaltenumbruch] Mädchen, das abdecken wollte. Barsch rief er
"herein!" Aber was bedeutete denn das? Helles
Licht flutete urplötzlich in sein halbdunkles Stübchen,
wie wenn hundert Sonnen hineinstrahlten: Auf
leichten Füßen schwebte holdlächelnd eine wunder-
volle Fee herein. Ella war es in ihrem feinsten
Ballstaat von blütenweißer Seide. Rote Rosen
glühten in ihrem herrlichen Haar, schämige Röte
lag auf den lieblichen Wangen, und die strahlenden
Augen wagten in mädchenhafter Scheu nicht auf-
zuschauen von dem silbernen Tablett, das sie in
den zierlichen, mit blitzenden Ringen geschmückten
Händen trug. Ein feingeschliffenes Weinglas klirrte
leise an eine Sektflasche, Weintranben und Obst
aus dem eigenen Garten füllten die große Kristall-
schale, die außerdem noch darauf stand, in zittern-
der Bewegung. Werner war wie geblendet. So
schön hatte er dieses Mädchen noch niemals gesehen.
Eine königliche Erscheinung, ein Gebild aus
Himmelshöhen war das ja, -- viel zu herrlich für
diese arme Erde. Siedend heiß schoß ihm das Blut
vom wild pochenden Herzen in die Schläfe, ins
Hirn, seine Augen weiteten sich in starrem Staunen,
ein Taumel packte ihn -- und wortlos stand er
der schwesterlichen Freundin gegenüber, die auf
einmal eine andere für ihn geworden war. Ja,
eine andere. Das wußte er in diesem Augenblick
ganz genau. Gewiß wußte auch sie es. Warum
wäre sie denn sonst so zaghaft, so verlegen gewesen,
warum stotterte sie fast ängstlich:

"Denke nur nicht, Werner, daß ich komme,
[Spaltenumbruch] um mich dir in meinem Putz zu präsentieren. Du
weißt doch, daß ich keine Zierpuppe bin. Aber ich
hielt es für meine Schuldigkeit, dir auch eine
Flasche Sekt und etwas Obst heraufzubringen. Du
bist gewiß außer dir über die Zurücksetzung, daß
du nicht mit uns speisen sollst, armer Junge. Darum
wollte ich dir dies zum Trost bringen. Es ist
wirklich nicht hübsch von meinen Eltern. Ich --
ich habe mit Mama deswegen -- Aber du weißt
ja, das sind so kleine Absonderlichkeiten, über die
wir -- Kinder uns trösten müssen. Ich hätte es
zu gerne gesehen, daß du mit unten gewesen wärest,
und lieber noch: die beiden Herren wären in der
Stadt geblieben."

Mit Ungestüm ergriff er, sobald sie das Tablett
niedergestellt hatte, ihre beiden Hände, schaute ihr
mit verklärten Blicken ins glühende, wunder-
liebliche Antlitz und rief mit bewegter Stimme aus:

"Ella, du liebes, einziges Mädchen! Ja, es ist
wahr, ich fühlte mich, obwohl das undankbar sein
mag, etwas zurückgesetzt und war -- riesig eifer-
süchtig auf den Assessor, wenn ich ganz ehrlich sein
soll. Aber nun bin ich überglücklich, du Gute, daß
du mich nicht ganz vergessen hast und es mir offen
sagst, es wäre dir lieber gewesen, wenn die beiden
Herren in der Stadt geblieben wären. Ella -- ach,
ich war niemals ein Schmeichler -- aber ich muß
es dir gestehen: Ich bin ganz hingerissen von
deinem Anblick!"

Fortsetzung folgt.


Marburger Zeitung.
Tagblatt.



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Der Preis des Blattes beträgt:
Für Marburg monatlich 1 K 50 h. Bei Zuſtellung ins Haus
monatlich 40 h mehr.
Mit Poſtverſendung wie bisher:
Ganzjährig 14 K, halbjährig 7 K, vierteljährig 3 K 50 h.
Der Bezug dauert bis zur ſchriftlichen Abbeſtellung.
[Spaltenumbruch] Erſcheint täglich um [6] Uhr abends.
Sprechſtunden
des Schriftleiters an allen Wochentagen von
11—12 Uhr und von 5—6 Uhr Edmund Schmidgaſſe 4.
Verwaltung: Edmund Schmidgaſſe 4. (Telephon Nr. 24.)
[Spaltenumbruch] Anzeigen werden im Verlage des Blattes und von
allen größeren Annoncen-Expeditionen entgegengenommen
und koſtet die fünfmal geſpaltene Kleinzeile 12 h.
Die Einzelnummer koſtet 10 Heller




Nr. 220 Dienstag, 26. September 1916 55. Jahrgang


Vierter Tag der neuen Somme-Schlacht.
„Von der Kriegsinduſtrie der ganzen Welt bereitgeltelltes Material“. Einheit-
licher Mallenangriff der englisch-franz. Infanterie. Rullenltürme zulammengebrochen


[Spaltenumbruch]
Die Tragik eines Königs.

„König Konſtantin von Griechenland wird
ſeinen Aufenthalt in Athen nicht weiter ver-
längern; das königliche Palais iſt bereits ge-
ſchloſſen.“ So meldet ein Pariſer Blatt und
andere Meldungen, deren Quellen freilich alle aus
den Lagern und journaliſtiſchen Gefäſſen der
Entente entſpringen, teilen mit, daß der Aufruhr
in Griechenland gegen das königliche Haus und
im Dienſte der Entente ſein Haupt erhebe, daß
man Veniſelos frei und unbehelligt nach Saloniki
fahren läßt, um die Leitung der unter der
Kontrolle des Vierverbandes ſtehenden revolutio-
nären Partei zu übernehmen, daß auf den grie-
chiſchen Inſeln der Brand des Aufruhrs die
königstreue Geſinnung ſchon verzehrt hat, daß
Garniſonen von Küſtenſtädten ihren Fahneneid
brachen und zu den Rebellenführern übergingen
und griechiſche Behörden die Regierungsgebäude
den Aufſtändiſchen überließen. Freilich nur auf
den Inſeln und im Raume von Saloniki,
wo die revolutionäre Partei den König ent-
thronen, das Land ihm entreißen und unter der
Scheingewalt des orientaliſchem Blute entſproſſenen
Kreters Veniſelos ein eigenes ‚unabhängiges‘ ſtaat-
[Spaltenumbruch] liches Gebilde ſchaffen will, das dennoch in den
ſchwerſten Feſſeln liegen würde, in den Banden
der Entente und das nicht einen freien Atemzug
ſich gönnen dürfte, den die Entente nicht erlaubt.
Vom eigentlichen Griechenlande vermögen weder
Reuter noch des Vierverbandes lauernde Blätter
ſolche Nachricht in die Welt zu ſenden; nur wo
die Flotte und die Armee der Alliierten und ihr
rollendes Gold die Alleinherrſchaft ausüben und
dieſe gebrauchen, wie ſie nie zuvor gebraucht worden
iſt in einem neutralen Lande, das die Peiniger
aufnahm in ſeinem Gebiete, nur dort ſteht der
Aufruhr auf und ſtellt ſich an die Seite der
Entente. Den einen treibt der falſche Ehrgeiz, die
Zukunft des eigenen Landes zu verraten, wie
Veniſelos, der falſche Kreter, zu ſeinem Vorteile es
tut, die anderen laufen dem Golde nach, das die
Entente aus vollen Händen verſtreut und nur
wenige mögen von falſchen und ſelber beſtochenen
Propheten betört, in ihrem Tun eine Tat für ihr
Land erblicken. Im eigentlichen alten Griechenland
aber ſteht noch die Treue feſt zum König und
zum Lande und der Zug von mehr als hundert
getreuen Offizieren, die von Saloniki huldigend
nach Athen zum König kamen und die Lage des
Armeekorps von Kavalla, das unter deutſchen
[Spaltenumbruch] Schutz ſich ſtellen mußte, laſſen erkennen, mit
welchen Mitteln im Gebiet von Saloniki und
überall, wo ihre Klauen einſchlugen in das Land,
die Entente an dem Eidbruch, an der Zerſtörung
der Armee des Königs Konſtantin unabläſſig
arbeitet. Dem König der Griechen wird wohl die
Geſchichte dereinſt einen ſeltſamen Beinamen
verleihen; auf dem Haupte ſeiner Königsgeſtalt
laſtet eine Dornenkrone und die Henkersknechte
der Entente ſind Tag und Nacht am Werke,
die Dornen dieſer Krone tiefer hineinzudrücken ins
Haupt des heldenhaften Königs. Wenn Rumänien
nicht uns die Treue gebrochen hätte und wenn
wir ſicher geweſen wären dieſer Treue, dann wäre
die Plage Griechenlands ſchon verjagt worden vom
zertretenen Königreiche und waffenſtarke Erlöſer
hätten das Land und ſeinen König vom Martyrium
befreit; jetzt aber ſtehen die Freunde in Mazedonin
und können nur wehren, aber nicht verjagen, weil
die rumäniſche Front ihre Kräfte verlangt. Aber
auch in Schmerzen ſteht Griechenlands König auf-
recht mitten in ſeinem Volke und wo zehn andere
im Verzagen ſich gebeugt und unterworfen hätten,
bleibt er ein König voller Ehre und Treue.
So wird er fortleben in den ſpäteſten Zeitaltern
unſerer Geſchichte!




[Spaltenumbruch]
Im Wahn der Schuld.

4.   (Unberechtigter Nachdruck verboten.)

Werner hörte auch Tante Amaliens ein wenig
verlegene Stimme. Aber dann ward es ſtill, die
Gäſte befanden ſich im Salon. Das Auto ratterte
wieder von dannen und der Einſame, Nichtgewürdigte
ſaß wie vorhin grübelnd in ſeinem Zimmer.
Agathe, eines der Dienſtmädchen, brachte ihm in
großer Haſt ſein Abendbrot und ohne Appetit
würgte er ein paar Biſſen hinunter. Noch niemals
in ſeinem Leben hatte er gefühlt, wie Eiferſucht
tun kann. In dieſer Stunde verſpürte er es.

Und dazu dieſes beſchämende Gefühl, ſo höchſt
unbedeutend und überflüſſig zu ſein: ein armer
Zivil-Ingenieur, ein Dutzendmenſch, der ums
tägliche Brot kämpfen mußte und nicht die geringſte
Ausſicht hatte, jemals etwas Beſonderes zu leiſten?
Wo waren denn auf einmal die kühnen Ideen,
ſeine himmelſtürmenden Zukunftspläne? Wollte
auch nicht er ein Erfinder werden? Arbeitete er
nicht ſchon ſeit Wochen an dem Problem einer
neuen Flugmaſchine? Ach, jetzt hätte er all die
Zeichnungen, die drüben fertig im Schreibpult
lagen, zerreißen und verbrennen mögen als etwas
höchſt Unbrauchbares. Dieſe entſetzliche Laune. Da
pochte es ganz leiſe an die Tür. Gewiß das
[Spaltenumbruch] Mädchen, das abdecken wollte. Barſch rief er
„herein!“ Aber was bedeutete denn das? Helles
Licht flutete urplötzlich in ſein halbdunkles Stübchen,
wie wenn hundert Sonnen hineinſtrahlten: Auf
leichten Füßen ſchwebte holdlächelnd eine wunder-
volle Fee herein. Ella war es in ihrem feinſten
Ballſtaat von blütenweißer Seide. Rote Roſen
glühten in ihrem herrlichen Haar, ſchämige Röte
lag auf den lieblichen Wangen, und die ſtrahlenden
Augen wagten in mädchenhafter Scheu nicht auf-
zuſchauen von dem ſilbernen Tablett, das ſie in
den zierlichen, mit blitzenden Ringen geſchmückten
Händen trug. Ein feingeſchliffenes Weinglas klirrte
leiſe an eine Sektflaſche, Weintranben und Obſt
aus dem eigenen Garten füllten die große Kriſtall-
ſchale, die außerdem noch darauf ſtand, in zittern-
der Bewegung. Werner war wie geblendet. So
ſchön hatte er dieſes Mädchen noch niemals geſehen.
Eine königliche Erſcheinung, ein Gebild aus
Himmelshöhen war das ja, — viel zu herrlich für
dieſe arme Erde. Siedend heiß ſchoß ihm das Blut
vom wild pochenden Herzen in die Schläfe, ins
Hirn, ſeine Augen weiteten ſich in ſtarrem Staunen,
ein Taumel packte ihn — und wortlos ſtand er
der ſchweſterlichen Freundin gegenüber, die auf
einmal eine andere für ihn geworden war. Ja,
eine andere. Das wußte er in dieſem Augenblick
ganz genau. Gewiß wußte auch ſie es. Warum
wäre ſie denn ſonſt ſo zaghaft, ſo verlegen geweſen,
warum ſtotterte ſie faſt ängſtlich:

„Denke nur nicht, Werner, daß ich komme,
[Spaltenumbruch] um mich dir in meinem Putz zu präſentieren. Du
weißt doch, daß ich keine Zierpuppe bin. Aber ich
hielt es für meine Schuldigkeit, dir auch eine
Flaſche Sekt und etwas Obſt heraufzubringen. Du
biſt gewiß außer dir über die Zurückſetzung, daß
du nicht mit uns ſpeiſen ſollſt, armer Junge. Darum
wollte ich dir dies zum Troſt bringen. Es iſt
wirklich nicht hübſch von meinen Eltern. Ich —
ich habe mit Mama deswegen — Aber du weißt
ja, das ſind ſo kleine Abſonderlichkeiten, über die
wir — Kinder uns tröſten müſſen. Ich hätte es
zu gerne geſehen, daß du mit unten geweſen wäreſt,
und lieber noch: die beiden Herren wären in der
Stadt geblieben.“

Mit Ungeſtüm ergriff er, ſobald ſie das Tablett
niedergeſtellt hatte, ihre beiden Hände, ſchaute ihr
mit verklärten Blicken ins glühende, wunder-
liebliche Antlitz und rief mit bewegter Stimme aus:

„Ella, du liebes, einziges Mädchen! Ja, es iſt
wahr, ich fühlte mich, obwohl das undankbar ſein
mag, etwas zurückgeſetzt und war — rieſig eifer-
ſüchtig auf den Aſſeſſor, wenn ich ganz ehrlich ſein
ſoll. Aber nun bin ich überglücklich, du Gute, daß
du mich nicht ganz vergeſſen haſt und es mir offen
ſagſt, es wäre dir lieber geweſen, wenn die beiden
Herren in der Stadt geblieben wären. Ella — ach,
ich war niemals ein Schmeichler — aber ich muß
es dir geſtehen: Ich bin ganz hingeriſſen von
deinem Anblick!“

Fortſetzung folgt.


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[[1]/0001] Marburger Zeitung. Tagblatt. Der Preis des Blattes beträgt: Für Marburg monatlich 1 K 50 h. Bei Zuſtellung ins Haus monatlich 40 h mehr. Mit Poſtverſendung wie bisher: Ganzjährig 14 K, halbjährig 7 K, vierteljährig 3 K 50 h. Der Bezug dauert bis zur ſchriftlichen Abbeſtellung. Erſcheint täglich um 6 Uhr abends. Sprechſtunden des Schriftleiters an allen Wochentagen von 11—12 Uhr und von 5—6 Uhr Edmund Schmidgaſſe 4. Verwaltung: Edmund Schmidgaſſe 4. (Telephon Nr. 24.) Anzeigen werden im Verlage des Blattes und von allen größeren Annoncen-Expeditionen entgegengenommen und koſtet die fünfmal geſpaltene Kleinzeile 12 h. Die Einzelnummer koſtet 10 Heller Nr. 220 Dienstag, 26. September 1916 55. Jahrgang Vierter Tag der neuen Somme-Schlacht. „Von der Kriegsinduſtrie der ganzen Welt bereitgeltelltes Material“. Einheit- licher Mallenangriff der englisch-franz. Infanterie. Rullenltürme zulammengebrochen Die Tragik eines Königs. „König Konſtantin von Griechenland wird ſeinen Aufenthalt in Athen nicht weiter ver- längern; das königliche Palais iſt bereits ge- ſchloſſen.“ So meldet ein Pariſer Blatt und andere Meldungen, deren Quellen freilich alle aus den Lagern und journaliſtiſchen Gefäſſen der Entente entſpringen, teilen mit, daß der Aufruhr in Griechenland gegen das königliche Haus und im Dienſte der Entente ſein Haupt erhebe, daß man Veniſelos frei und unbehelligt nach Saloniki fahren läßt, um die Leitung der unter der Kontrolle des Vierverbandes ſtehenden revolutio- nären Partei zu übernehmen, daß auf den grie- chiſchen Inſeln der Brand des Aufruhrs die königstreue Geſinnung ſchon verzehrt hat, daß Garniſonen von Küſtenſtädten ihren Fahneneid brachen und zu den Rebellenführern übergingen und griechiſche Behörden die Regierungsgebäude den Aufſtändiſchen überließen. Freilich nur auf den Inſeln und im Raume von Saloniki, wo die revolutionäre Partei den König ent- thronen, das Land ihm entreißen und unter der Scheingewalt des orientaliſchem Blute entſproſſenen Kreters Veniſelos ein eigenes ‚unabhängiges‘ ſtaat- liches Gebilde ſchaffen will, das dennoch in den ſchwerſten Feſſeln liegen würde, in den Banden der Entente und das nicht einen freien Atemzug ſich gönnen dürfte, den die Entente nicht erlaubt. Vom eigentlichen Griechenlande vermögen weder Reuter noch des Vierverbandes lauernde Blätter ſolche Nachricht in die Welt zu ſenden; nur wo die Flotte und die Armee der Alliierten und ihr rollendes Gold die Alleinherrſchaft ausüben und dieſe gebrauchen, wie ſie nie zuvor gebraucht worden iſt in einem neutralen Lande, das die Peiniger aufnahm in ſeinem Gebiete, nur dort ſteht der Aufruhr auf und ſtellt ſich an die Seite der Entente. Den einen treibt der falſche Ehrgeiz, die Zukunft des eigenen Landes zu verraten, wie Veniſelos, der falſche Kreter, zu ſeinem Vorteile es tut, die anderen laufen dem Golde nach, das die Entente aus vollen Händen verſtreut und nur wenige mögen von falſchen und ſelber beſtochenen Propheten betört, in ihrem Tun eine Tat für ihr Land erblicken. Im eigentlichen alten Griechenland aber ſteht noch die Treue feſt zum König und zum Lande und der Zug von mehr als hundert getreuen Offizieren, die von Saloniki huldigend nach Athen zum König kamen und die Lage des Armeekorps von Kavalla, das unter deutſchen Schutz ſich ſtellen mußte, laſſen erkennen, mit welchen Mitteln im Gebiet von Saloniki und überall, wo ihre Klauen einſchlugen in das Land, die Entente an dem Eidbruch, an der Zerſtörung der Armee des Königs Konſtantin unabläſſig arbeitet. Dem König der Griechen wird wohl die Geſchichte dereinſt einen ſeltſamen Beinamen verleihen; auf dem Haupte ſeiner Königsgeſtalt laſtet eine Dornenkrone und die Henkersknechte der Entente ſind Tag und Nacht am Werke, die Dornen dieſer Krone tiefer hineinzudrücken ins Haupt des heldenhaften Königs. Wenn Rumänien nicht uns die Treue gebrochen hätte und wenn wir ſicher geweſen wären dieſer Treue, dann wäre die Plage Griechenlands ſchon verjagt worden vom zertretenen Königreiche und waffenſtarke Erlöſer hätten das Land und ſeinen König vom Martyrium befreit; jetzt aber ſtehen die Freunde in Mazedonin und können nur wehren, aber nicht verjagen, weil die rumäniſche Front ihre Kräfte verlangt. Aber auch in Schmerzen ſteht Griechenlands König auf- recht mitten in ſeinem Volke und wo zehn andere im Verzagen ſich gebeugt und unterworfen hätten, bleibt er ein König voller Ehre und Treue. So wird er fortleben in den ſpäteſten Zeitaltern unſerer Geſchichte! N. J. Im Wahn der Schuld. Roman von Ludwig Blümcke. 4. (Unberechtigter Nachdruck verboten.) Werner hörte auch Tante Amaliens ein wenig verlegene Stimme. Aber dann ward es ſtill, die Gäſte befanden ſich im Salon. Das Auto ratterte wieder von dannen und der Einſame, Nichtgewürdigte ſaß wie vorhin grübelnd in ſeinem Zimmer. Agathe, eines der Dienſtmädchen, brachte ihm in großer Haſt ſein Abendbrot und ohne Appetit würgte er ein paar Biſſen hinunter. Noch niemals in ſeinem Leben hatte er gefühlt, wie Eiferſucht tun kann. In dieſer Stunde verſpürte er es. Und dazu dieſes beſchämende Gefühl, ſo höchſt unbedeutend und überflüſſig zu ſein: ein armer Zivil-Ingenieur, ein Dutzendmenſch, der ums tägliche Brot kämpfen mußte und nicht die geringſte Ausſicht hatte, jemals etwas Beſonderes zu leiſten? Wo waren denn auf einmal die kühnen Ideen, ſeine himmelſtürmenden Zukunftspläne? Wollte auch nicht er ein Erfinder werden? Arbeitete er nicht ſchon ſeit Wochen an dem Problem einer neuen Flugmaſchine? Ach, jetzt hätte er all die Zeichnungen, die drüben fertig im Schreibpult lagen, zerreißen und verbrennen mögen als etwas höchſt Unbrauchbares. Dieſe entſetzliche Laune. Da pochte es ganz leiſe an die Tür. Gewiß das Mädchen, das abdecken wollte. Barſch rief er „herein!“ Aber was bedeutete denn das? Helles Licht flutete urplötzlich in ſein halbdunkles Stübchen, wie wenn hundert Sonnen hineinſtrahlten: Auf leichten Füßen ſchwebte holdlächelnd eine wunder- volle Fee herein. Ella war es in ihrem feinſten Ballſtaat von blütenweißer Seide. Rote Roſen glühten in ihrem herrlichen Haar, ſchämige Röte lag auf den lieblichen Wangen, und die ſtrahlenden Augen wagten in mädchenhafter Scheu nicht auf- zuſchauen von dem ſilbernen Tablett, das ſie in den zierlichen, mit blitzenden Ringen geſchmückten Händen trug. Ein feingeſchliffenes Weinglas klirrte leiſe an eine Sektflaſche, Weintranben und Obſt aus dem eigenen Garten füllten die große Kriſtall- ſchale, die außerdem noch darauf ſtand, in zittern- der Bewegung. Werner war wie geblendet. So ſchön hatte er dieſes Mädchen noch niemals geſehen. Eine königliche Erſcheinung, ein Gebild aus Himmelshöhen war das ja, — viel zu herrlich für dieſe arme Erde. Siedend heiß ſchoß ihm das Blut vom wild pochenden Herzen in die Schläfe, ins Hirn, ſeine Augen weiteten ſich in ſtarrem Staunen, ein Taumel packte ihn — und wortlos ſtand er der ſchweſterlichen Freundin gegenüber, die auf einmal eine andere für ihn geworden war. Ja, eine andere. Das wußte er in dieſem Augenblick ganz genau. Gewiß wußte auch ſie es. Warum wäre ſie denn ſonſt ſo zaghaft, ſo verlegen geweſen, warum ſtotterte ſie faſt ängſtlich: „Denke nur nicht, Werner, daß ich komme, um mich dir in meinem Putz zu präſentieren. Du weißt doch, daß ich keine Zierpuppe bin. Aber ich hielt es für meine Schuldigkeit, dir auch eine Flaſche Sekt und etwas Obſt heraufzubringen. Du biſt gewiß außer dir über die Zurückſetzung, daß du nicht mit uns ſpeiſen ſollſt, armer Junge. Darum wollte ich dir dies zum Troſt bringen. Es iſt wirklich nicht hübſch von meinen Eltern. Ich — ich habe mit Mama deswegen — Aber du weißt ja, das ſind ſo kleine Abſonderlichkeiten, über die wir — Kinder uns tröſten müſſen. Ich hätte es zu gerne geſehen, daß du mit unten geweſen wäreſt, und lieber noch: die beiden Herren wären in der Stadt geblieben.“ Mit Ungeſtüm ergriff er, ſobald ſie das Tablett niedergeſtellt hatte, ihre beiden Hände, ſchaute ihr mit verklärten Blicken ins glühende, wunder- liebliche Antlitz und rief mit bewegter Stimme aus: „Ella, du liebes, einziges Mädchen! Ja, es iſt wahr, ich fühlte mich, obwohl das undankbar ſein mag, etwas zurückgeſetzt und war — rieſig eifer- ſüchtig auf den Aſſeſſor, wenn ich ganz ehrlich ſein ſoll. Aber nun bin ich überglücklich, du Gute, daß du mich nicht ganz vergeſſen haſt und es mir offen ſagſt, es wäre dir lieber geweſen, wenn die beiden Herren in der Stadt geblieben wären. Ella — ach, ich war niemals ein Schmeichler — aber ich muß es dir geſtehen: Ich bin ganz hingeriſſen von deinem Anblick!“ Fortſetzung folgt.

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Zitationshilfe: Marburger Zeitung. Nr. 220, Marburg, 26.09.1916, S. [1]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_marburger220_1916/1>, abgerufen am 29.03.2024.