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Neue Rheinische Zeitung. Nr. 10. Köln, 10. Juni 1848.

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Neue Rheinische Zeitung.
Organ der Demokratie.
No 10. Köln, Samstag 10. Juni 1848.

Die "Neue Rheinische Zeitung" erscheint vom 1. Juni an täglich. Der Raum des Blattes wird so oft es nöthig durch Beilagen erweitert. Der Abonnementspreis beträgt: Für das mit dem 1. Juli beginnende Vierteljahr in Köln 1 Thlr. 15 Sgr.; für alle übrigen Orte Preußens 2 Thlr 3 Sgr. 9 Pf. Außerhalb Preußens mit Zuschlag des fremden Zeitungsporto's. Das Abonnement für den Monat Juni kann nur unter gleichzeitiger Bestellung des nächsten Quartals (Juli, August, September) geschehen. Der Preis dieses viermonatlichen Abonnements beträgt: Für Köln 2 Thlr.; auswärts 2 Thlr. 25 Sgr. Man abonnirt bei allen Postanstalten und Buchhandlungen des In- und Auslandes; - für Köln in der Expedition der Zeitung bei Hrn. W. Clouth, St. Agatha 12, Köln, woselbst auch fernere Aktienzeichnungen entgegen genommen werden. Briefe und Zusendungen an die Redaktion sowie die Expedition werden von unbekannten Absendern nur frankirt angenommen. - Insertionsgebühren. Für die vierspaltige Petitzeile oder deren Raum 1 Sgr. 6 Pf.

Die Expedition der "Neuen Rheinischen Zeitung."

Uebersicht.

Deutschland. Köln. (Das Schild der Dynastie. - Die Frankfurter National-Versammlung.) Frankfurt. (Arnims Antwort auf Blum.) Berlin. (Wildpretsteuer. - Reorganisation des Ministeriums der auswärtigen Angelegenheiten. - Vereinbarungsdebatten.) Breslau. (Schrift Mieroslawki's und Gegenschrift Olbergs. - Erklärung von Zychlinski.) Stettin. (Resultate der Stettiner Deputation in Berlin.) Friedberg. (Militärdespotismus.) Wörrstadt. (Demokr-Kongreß.) Wien. (Gerüchte wegen Abdankung des Kaisers. - Militärische Maßregeln. Schleswig-Holstein. (Stand der Armeen.)

Ungarn. Pesth. (Union mit Siebenbürgen.)

Norwegen. Christiania. (Stortingsbeschluß wegen Dänemark.)

Belgien. Brüssel. (Fünffrankenbillets. - Resultat der Wahlreform.) Lüttich. (Tedesko)

Französische Republik. Paris. (Die finanzielle Mystifikation. - Sitzung der National-Versammlung. - Wahlen. - Der Dekretentwurf über die öffentlichen Zusammenschaarungen. - Stimmung in Paris. - Das Martialgesetz. - Marrast. - Die vraie Republique über die Partei des National. - Reunion der Februarverwundeten und der Julidekorirten.)

Schweiz. Luzern (Verhaftungen). Uri (Klösteraufhebung).

Italien. Mailand (Details über die Uebergabe von Peschiera und über die Insurrektion). Turin (Arrivabene. - Die Presse).

Großbritannien. London (Die Times über die preußische Nationalversammlung. - Bischof von Oxford über Prostitution. - Palmerston über Italien und Dänemark. - Die Times und der Northern Star). Manchester (Handelsnachrichten). Plymouth (Frauenemancipation). London (Unterhaussitzung v. 6. Lord Ashley über Emigration aus den Lumpenschulen. - Oberhaus. Lord Brougham - Sklaverei. - Verhaftung von Ernest Jones. - Ascot Rennen. - Vereinigung Alt- und Jung-Irlands).

Amerika. (Handelsnachrichten aus Montevideo. - Der franz. Gesandte. - Ermordung Varelas. - Rückkehr Lord Howden's.

Deutschland.
** Köln, 9. Juni.

Wie deutsche Blätter melden,

Der Inhalt dieses Artikels kann aus urheberrechtlichen Gründen nicht angezeigt werden.
19 Köln, 9. Juni.

(Die Frankfurter Nationalversammlung.) "Die Zukunft Deutschlands erblickst du hier!" sagt die Göttin Hammonia, indem sie den Dichter in den berühmten Zauberkessel schauen läßt. An diesen Zauberkessel und seine magischen Kräfte wirst du wunderbar erinnert, wenn du jetzt über die Ründung der Galerie in den Kessel der Frankfurter Paulskirche blickst, in jenes mixtum compositum von 36 Nationalausschüssen, aus deren Kräften die "dunkle Zukunft Deutschlands" gebraut werden soll. Können wir der Natur der Sache nach auch im Augenblick erst an dem Vorspiel des "alten Kohls und der Juchten" stehen, so bürgt doch der Duft der bisherigen Entwicklung für die Nothwendigkeit des weiteren Drama's, welches in Heine's prophetischem Gedicht selbst nachzulesen ist.

Die Versammlung theilt sich in vier Abtheilungen, die indeß unter einander wieder in die verschiedensten Abstufungen zerfallen. Im Allgemeinen bestehen die drei ersten, die Rechte und die beiden Centrum, aus den alten Aristokraten, der Beamtenkaste und den gemüthlichen Liberalen; die vierte Partei scheidet sich fast ganz nach einzelnen Persönlichkeiten. Worin sie alle zusammen übereinstimmen, ist jedenfalls die Redseligkeit der Wortführer aller Farben, welche in wohlgeordneten Deklamationen, die stets mit der Phrase der deutschen Einheit schließen, große Festigkeit zeigen.

Auf der Rechten erblickt man zunächst den Fürsten Lichnowsky und Ritter Vincke; Graf Arnim, der seinen Platz im linken Centrum eingenommen hat, verfehlt natürlich nicht, in der Abstimmung oder bei Gelegenheiten thatkräftiger Demonstrationen sich ihnen anzuschließen. Ritter Vincke ist bekannt von dem Berliner vereinigten Landtag, wo er durch seine persönlichen Eifersüchteleien gegen den Polizeiminister Bodelschwingh bei den Denkern in den Ruf des Liberalismus, und durch Auswendiglernen der Geschäftsordnung in den Geruch eines großen Redners kam. Der große liberale Redner Vincke, der sich hier gegen keinen ihn behindernden Minister auszulassen hat, ist jetzt zum Schrecken aller früheren Gläubigen des Rechtsbodens mit seiner ganzen preußischen Ritterlichkeit hervorgetreten, mit jenem Kamaschenritterthum

- das ekelhaft ein Gemisch ist
Von gothischem Wahn und modernem Lug,
Das weder Fleisch noch Fisch ist.

Fürst Lichnowsky war s. Z. bekanntlich bei jenen spanischen Schaaren welche "Mönche in der Jugend, später Räuberhauptmann wurden, und um beides zu vereinigen, Dienste bei Don Carlos nahmen". Seine Vertheidigung der Mainzer Soldateska war der Glanzpunkt aller Logik. Daß die preußische Garnison in Mainz keine Barbareien verübt, bewies er durch die Berufung auf die Heldenthaten der Preußen in Schleswig-Holstein. Die Heldenthaten der Preußen in Posen, wo die Polen gebrandmarkt werden, die Vorfälle in Trier, Aachen und andern Städten konnten dem ehemaligen Karlistenchef von keiner Bedeutung scheinen. Den parlamentarischen Takt dieses ritterlichen Kleeblattes bewunderte man in der Verhandlung über die vorläufige Zulassung der posenschen Abgeordneten. Nachdem die Redner der Rechten und des rechten Centrums für die Zulassung der Abgeordneten eines fremden Landes gesprochen hatten, und ein Redner der Linken das Wort für die entgegengesetzte Meinung erhalten sollte, verlangten die Ritter mit großem Geschrei, daß man weiter nichts höre. Der Karlistenchef machte sich in dem Gang zwischen den Bänken der Rechten und des rechten Centrums Bewegung, rekognoszirte seine Treuen und ermahnte sie zum thatkräftigen Kampf; Graf Arnim verließ seinen Sitz im linken Centrum, setzte sich neben den Ritter Vincke und plötzlich begannen die drei Ritter, von ihrem Anhang unterstützt, mit den Fäusten auf die Bänke zu trommeln und mit den Füßen den Boden zu stampfen, so daß die Redner die Tribüne verließen und der Präsident mehrere Minuten lang vergebens die Klingel schwang. Daß der Fürst Lichnowsky sein Auftreten für ein Ereigniß hält, geht aus einer Aeußerung hervor, die er beim Abtreten von der Tribüne an seine Gefährte richteten: "Jetzt habe ich dem Gesindel, gezeigt, daß ich keine Furcht vor ihm habe!"

Von weitern Mitgliedern der Rechten, die sich bemerkbar machen, wenn auch nicht mit derselben Energie wie die drei Ritter, gewahrt man den weimarischen Geheimrath v. Wydenbrugk, der sich schon mehr dem Centrum nähert. Herr v. Wydenbrugk ist eine interessante Erscheinung; wenn er auf der Tribüne steht, ragt grade sein Haupt über die Brüstung. Seine Worte fließen wie ein Bächlein, wie ein Bächlein über Wiesen; seine Bilder duften Erinnerungen an den weimarischen Musensitz, den Thee der Herzogin Amalia und den Pudel des Herrn von Göthe. Er spricht von dem Schiff des Staates, den Wogen der Revolution und ähnliche neue Wendungen; zuweilen auch erhebt er sich zu tiefen Warnungen vor den "Wühlern".

In dem rechten Centrum ist Herr Mittermaier zum Führer gewählt worden, der indeß mit der äußersten Rechten ebenfalls in Zusammenhang steht. In dieser Abtheilung haben sich die Beamten zusammengefunden, die Geistlichkeit und ihre Clakenre. Zuerst Herr Flottwell, der frühere Minister und jetzige Oberpräsident in Münster. Herr Flottwell ist als Büreaukratenvollblut bekannt durch die Antwort, welche er als Finanzminister den rheinischen Kaufleuten gab, die in ihren Interessen eine Reklamation an ihn richteten und dahin beschieden wurden, sich nicht um "tiefer liegende" Maßregeln der Staatsweisheit zu bekümmern; Herr Flottwell ist auch derselbe, der in Münster den Beamten das Tragen der deutschen Kokarde untersagte, und den Lehrer Herzberg ermahnte, sich nicht öffentlich in Staatsangelegenheiten zu "meliren," die ihn nicht "tangirten." Als Mitglied der Nationalversammlung hat sich Herr Flottwell in so weit ausgezeichnet, als er in dem Ausschuß zur Prüfung der Anträge auf eine Centralgewalt (s. d. gestr. Nro.) mit dem ehemals k. bairischen Staatsminister Zenetti den Dahlmannschen Vorschlag modifiziren half, und die Ernennung des Triumvirats nicht von der "Billigung" der National-Versammlung abhängig gemacht haben wollte. Sein Platz ist in der ersten Bank des rechten Centrums, und seine Theiknahme an den Debatten beschränkt sich größtentheils darauf, die Redner der Linken mit freundlichem Lachen zu begleiten.

Herr Bundestagsgesandter Welcker, der sich aus unbekannten Gründen ins linke Centrum gesetzt hat, ist der nächste in dieser Partie. Der "gefeierte Redner" Badens hat in der allgemeinen National-Versammlung nicht diejenige Anerkennung gefunden, welche sein süddeutsches Gemüth wohl erwartete; sein erstes Debüt wurde mit frivolem Zischen begleitet. Seine Logik, sein Redefluß waren trotzdem bewundernswürdig. Er, von dem seine Frende rühmten, daß er allein den Bundestag zu Grabe getragen, sprach für die Berechtigung des Bundestags und die Inkompetenz der National-Versammlung, die er als "nicht konstituirend" bezeichnete. Und nachdem er diese weise Bemerkung mit eben so starker staatsrechtlicher Logik unterstützt hatte, rief er mit erhabener Unerschrockenheit: "Ich fürchte mich nicht vor der Reaktion." Diese Versicherung fand den wohlverdienten Glauben; Niemand hält Herrn Welcker eines Selbstmordes fähig. Sein Freund und Genosse, der Biedermann Eisenmann, sekundirt ihm mit gleichen Erfolg. Wenn der alte "Dulder" sein Haupt erhebt und die beiden offenen Hände ausstreckend von der Tribüne verkündet: "Ich sehe keine Reaktion!" dann kömmt ein beseligendes Gefühl der Beruhigung über die ganze Versammlung.

Was aber Beider gewichtigen Aussprüche den größten Nachdruck verschafft, ist die Hinweisung auf ihre Vergangenheit, bei Welker die Berufung auf seine 33jährige Wirksamkeit, bei Eisenmann die Erinnerung an seine 16jährige Dulderschaft; es ist die eindringliche Taktik des "fatalen Packs," das

- um die Herzen zu rühren,
Den Patriotismus trägt zur Schau
Mit allen seinen Geschwüren.

Daß der Turnkunstmeister Vater Jahn, mit seinem weißen Bart und grauen ausgelegten Hemdkragen, in dieser Reihe nicht fehlt, versteht sich von selbst. Herr Staatsrath Mathy, der in Würtemberg Gewählte und bereits mit Abberufung Bedrohte; Herr Heckscher aus Hamburg, der die Rechte mit dem Aufwand seiner bürgerlich-kräftigen Witze unterstützt; der fürstlich-schwarzenburg-sondershausensche Oberstlieutenant v. Blumenröder, welcher seine geschriebenen Reden wegen des einseitigen Verbots der Geschäftsordnung leider nie zu Ende lesen kann, - diese und andere ehrenwerthe Männer, wie Dahlmann, Wippermann, Bassermann, bilden den Kern dieses Centrums.

Auf die Linke und das Verhältniß der verschiedenen Parteien zu einander müssen wir in einem besondern Artikel zu sprechen kommen.

P.P.Frankfurt, 7. Juni.

Die Nationalversammlung bekommt Relief, wie ihr interimistischer Vorgänger, der Fünfzigerausschuß, durch Scandal. Heute stand nichts auf der Tagesordnung. Es wäre also nichts eiliger zu thun gewesen, als nach Verlesung des Protokolls der letzten Sitzung, in welcher bekanntlich auch nichts geschah, heim zu gehen, allein Herr von Auerswald ritt in die Schranken, um die Versammlung vor diesem stereotypen Uebelstande heute zu retten. Sie erinnern sich wohl, daß Robert Blum bei dem Raveaux'schen Antrage wegen der preußischen Nationalversammlung die zu ständiger Verneinung entschlossene Rechte durch eine Mittheilung aus den jüngsten Kabinetsannalen erschütterte, derzufolge Preußen einem anfragenden sächsischen Hofe den Rath ertheilte: möglichst viele Ständeversammlungen zu berufen, um dadurch die Wirksamkeit der Frankfurter Nationalversammlung zu schwächen und wo möglich aufzuheben. Gewiß eine raffinirte Politik, welche sich schlau an den Fehler klammerte, der unter dem Zersplitterungssysteme der heiligen Allianz den Deutschen polizeilich anerzogen ist, ich meine den kleinstädtischen Ehrgeiz der Sonderbündelei. Die Rechte gab damals in ihrer Bestürzung über diese Machination einem Vermittlungsantrage nach, und so kam es, daß der Werner'sche Antrag durchging. Allein gleich hinterher erkannte sie, daß sie einen Fehltritt gemacht, daß sie sich wider ihren Willen auf das Gebiet der Volkssouveränetät begeben habe, und möglicherweise arg darin fortgedrängt werden könne. Aber was thun? Wie das Geschehene gewissermaßen ungeschehen machen? Eine bedenkliche Frage! Man schreibt nach Berlin und läßt sich von irgend einem Minister bescheinigen, daß er nichts davon wisse, so ist die Sache gethan und die Linke hat den Spott und Schaden. Herr von Auerswald theilte heute der Versammlung ein solches "Schreiben" mit, um damit "die Blum'schen Verdächtigungen" am besten zu widerlegen, und verließ siegreich wie ein Held die Tribüne. Blum ist jedoch der Mann nicht, der sich so leicht in hochadlige oder ministerielle Devotion jagen läßt: mit seiner gewohnten Kaltblütigkeit antwortete er: Auerswald berichte von einem ministeriellen Schreiben, er habe dasselbe gethan, zwischen ihnen beiden sei nur der Unterschied, daß seine Quelle von den fraglichen Unterhandlungen wisse, die Auerswald'sche dagegen nicht. Das Gescheiteste sei, man lasse die Ministerialakten einfordern, so werde es am zuverläßigsten klar. - Ob dies geschehen wird, entscheidet sich erst morgen, denn da die stenographischen Berichte über diese in Rede stehende (vor 10 Tagen abgehaltene) Sitzung noch nicht vorlagen, so - hatte man Veranlassung, nicht von der bisherigen Tagesordnung abzuweichen, das heißt, wie Sie wissen, die Sache zu verschieben und zur Tagesordnung überzugehen.

Berlin, 7. Juni.

Nachtrag zur Sitzung vom 6. Juni. In seiner Rede bei Gelegenheit des Schöne'schen Antrags sagte Herr Hansemann: der Unterschied zwischen der ersten und zweiten Kammer bestände eben darin, daß die Mitglieder der einen bezahlt, der andern aber nicht bezahlt würden. - (Allgemeines Murren und Ruf zur Ordnung.) Hr. Hansemann nahm den Ausdruck nachträglich natürlich zurück. Es ist indeß erfreulich zu sehen, wie Hr. Hansemann seinem Vorbild Duchatel immer ähnlicher wird.

- Vereinbarungs-Debatten. Sitzung vom 7. Juni. Da Präsident Milde an der heutigen Versammlung Theil zu nehmen verhindert ist, so übernimmt Vicepräsident Esser die Leitung. Das Protokoll wird verlesen und genehmigt. Reichenbach erhält das Wort in Bezug auf den Mißbrauch der Eintrittskarten zu den Zuhörertribünen. Es hätten heute zwei Personen, wie sich hernach herausstellte, Reisende aus Hamburg, beim Portier Eintrittskarten vorgezeigt, auf welchen das Datum der Sitzung ausradirt war; dieselben hatten beim Kommissarius des Hotels diese Karten für schweres Geld gelöst; der Redner stellt, um ähnlichen Mißbräuchen für die Zukunft vorzubeugen, den Antrag, daß fernerhin keine Karten mehr ausgegeben werden. v. Berg wünscht, daß die Karten vor dem Eintritt beim Portier abgegeben werden; Schultz trägt auf Uebergang zur motivirten Tagesordnung an; der Präsident möge ersucht werden, diesen Uebelstand auf geeignete Weise abzuhelfen. Der Antrag wird angenommen. Der Vorsitzende der Adreß-Kommission, Abgeordnete Grabow, zeigt an, daß der Adreß-Entwurf bereits der Redaktion nahe sei, und ladet das Ministerium ein, schleunigst in der Kommission zu erscheinen, um noch über manche Punkte den nöthigen Aufschluß zu geben. Auf der Tagesordnung steht der Antrag des Abgeordneten Euler auf Organisation von Auswanderungsanstalten unter Vermittlung und Schutz des Staates; ein anderer der Abgeordneten Pfahl, Bauer und Hagen auf schon vor Erlaß der neuen Gemeindeordnung anzustellende Wahl der Ortsvorsteher, Bürgermeister und Landräthe nach dem Wahlmodus für die Wahlmänner zur National-Versammlung wird unterstützt und den Abtheilungen übergeben, hingegen ein Interpellations-Antrag des Abg. Wencelius an das Staatsministerium um Befürwortung einer Amnestie bei Sr. Maj. für die Zeit des Provisoriums, um die Gerüchte von reaktionären Bestrebungen zu beseitigen, durch die Erklärung des Ministers Schwerin, die Interpellation sei zu wenig motivirt, um als

Neue Rheinische Zeitung.
Organ der Demokratie.
No 10. Köln, Samstag 10. Juni 1848.

Die „Neue Rheinische Zeitung“ erscheint vom 1. Juni an täglich. Der Raum des Blattes wird so oft es nöthig durch Beilagen erweitert. Der Abonnementspreis beträgt: Für das mit dem 1. Juli beginnende Vierteljahr in Köln 1 Thlr. 15 Sgr.; für alle übrigen Orte Preußens 2 Thlr 3 Sgr. 9 Pf. Außerhalb Preußens mit Zuschlag des fremden Zeitungsporto's. Das Abonnement für den Monat Juni kann nur unter gleichzeitiger Bestellung des nächsten Quartals (Juli, August, September) geschehen. Der Preis dieses viermonatlichen Abonnements beträgt: Für Köln 2 Thlr.; auswärts 2 Thlr. 25 Sgr. Man abonnirt bei allen Postanstalten und Buchhandlungen des In- und Auslandes; ‒ für Köln in der Expedition der Zeitung bei Hrn. W. Clouth, St. Agatha 12, Köln, woselbst auch fernere Aktienzeichnungen entgegen genommen werden. Briefe und Zusendungen an die Redaktion sowie die Expedition werden von unbekannten Absendern nur frankirt angenommen. ‒ Insertionsgebühren. Für die vierspaltige Petitzeile oder deren Raum 1 Sgr. 6 Pf.

Die Expedition der „Neuen Rheinischen Zeitung.“

Uebersicht.

Deutschland. Köln. (Das Schild der Dynastie. ‒ Die Frankfurter National-Versammlung.) Frankfurt. (Arnims Antwort auf Blum.) Berlin. (Wildpretsteuer. ‒ Reorganisation des Ministeriums der auswärtigen Angelegenheiten. ‒ Vereinbarungsdebatten.) Breslau. (Schrift Mieroslawki's und Gegenschrift Olbergs. ‒ Erklärung von Zychlinski.) Stettin. (Resultate der Stettiner Deputation in Berlin.) Friedberg. (Militärdespotismus.) Wörrstadt. (Demokr-Kongreß.) Wien. (Gerüchte wegen Abdankung des Kaisers. ‒ Militärische Maßregeln. Schleswig-Holstein. (Stand der Armeen.)

Ungarn. Pesth. (Union mit Siebenbürgen.)

Norwegen. Christiania. (Stortingsbeschluß wegen Dänemark.)

Belgien. Brüssel. (Fünffrankenbillets. ‒ Resultat der Wahlreform.) Lüttich. (Tedesko)

Französische Republik. Paris. (Die finanzielle Mystifikation. ‒ Sitzung der National-Versammlung. ‒ Wahlen. ‒ Der Dekretentwurf über die öffentlichen Zusammenschaarungen. ‒ Stimmung in Paris. ‒ Das Martialgesetz. ‒ Marrast. ‒ Die vraie Republique über die Partei des National. ‒ Reunion der Februarverwundeten und der Julidekorirten.)

Schweiz. Luzern (Verhaftungen). Uri (Klösteraufhebung).

Italien. Mailand (Details über die Uebergabe von Peschiera und über die Insurrektion). Turin (Arrivabene. ‒ Die Presse).

Großbritannien. London (Die Times über die preußische Nationalversammlung. ‒ Bischof von Oxford über Prostitution. ‒ Palmerston über Italien und Dänemark. ‒ Die Times und der Northern Star). Manchester (Handelsnachrichten). Plymouth (Frauenemancipation). London (Unterhaussitzung v. 6. Lord Ashley über Emigration aus den Lumpenschulen. ‒ Oberhaus. Lord Brougham ‒ Sklaverei. ‒ Verhaftung von Ernest Jones. ‒ Ascot Rennen. ‒ Vereinigung Alt- und Jung-Irlands).

Amerika. (Handelsnachrichten aus Montevideo. ‒ Der franz. Gesandte. ‒ Ermordung Varelas. ‒ Rückkehr Lord Howden's.

Deutschland.
** Köln, 9. Juni.

Wie deutsche Blätter melden,

Der Inhalt dieses Artikels kann aus urheberrechtlichen Gründen nicht angezeigt werden.
19 Köln, 9. Juni.

(Die Frankfurter Nationalversammlung.) „Die Zukunft Deutschlands erblickst du hier!“ sagt die Göttin Hammonia, indem sie den Dichter in den berühmten Zauberkessel schauen läßt. An diesen Zauberkessel und seine magischen Kräfte wirst du wunderbar erinnert, wenn du jetzt über die Ründung der Galerie in den Kessel der Frankfurter Paulskirche blickst, in jenes mixtum compositum von 36 Nationalausschüssen, aus deren Kräften die „dunkle Zukunft Deutschlands“ gebraut werden soll. Können wir der Natur der Sache nach auch im Augenblick erst an dem Vorspiel des „alten Kohls und der Juchten“ stehen, so bürgt doch der Duft der bisherigen Entwicklung für die Nothwendigkeit des weiteren Drama's, welches in Heine's prophetischem Gedicht selbst nachzulesen ist.

Die Versammlung theilt sich in vier Abtheilungen, die indeß unter einander wieder in die verschiedensten Abstufungen zerfallen. Im Allgemeinen bestehen die drei ersten, die Rechte und die beiden Centrum, aus den alten Aristokraten, der Beamtenkaste und den gemüthlichen Liberalen; die vierte Partei scheidet sich fast ganz nach einzelnen Persönlichkeiten. Worin sie alle zusammen übereinstimmen, ist jedenfalls die Redseligkeit der Wortführer aller Farben, welche in wohlgeordneten Deklamationen, die stets mit der Phrase der deutschen Einheit schließen, große Festigkeit zeigen.

Auf der Rechten erblickt man zunächst den Fürsten Lichnowsky und Ritter Vincke; Graf Arnim, der seinen Platz im linken Centrum eingenommen hat, verfehlt natürlich nicht, in der Abstimmung oder bei Gelegenheiten thatkräftiger Demonstrationen sich ihnen anzuschließen. Ritter Vincke ist bekannt von dem Berliner vereinigten Landtag, wo er durch seine persönlichen Eifersüchteleien gegen den Polizeiminister Bodelschwingh bei den Denkern in den Ruf des Liberalismus, und durch Auswendiglernen der Geschäftsordnung in den Geruch eines großen Redners kam. Der große liberale Redner Vincke, der sich hier gegen keinen ihn behindernden Minister auszulassen hat, ist jetzt zum Schrecken aller früheren Gläubigen des Rechtsbodens mit seiner ganzen preußischen Ritterlichkeit hervorgetreten, mit jenem Kamaschenritterthum

‒ das ekelhaft ein Gemisch ist
Von gothischem Wahn und modernem Lug,
Das weder Fleisch noch Fisch ist.

Fürst Lichnowsky war s. Z. bekanntlich bei jenen spanischen Schaaren welche „Mönche in der Jugend, später Räuberhauptmann wurden, und um beides zu vereinigen, Dienste bei Don Carlos nahmen“. Seine Vertheidigung der Mainzer Soldateska war der Glanzpunkt aller Logik. Daß die preußische Garnison in Mainz keine Barbareien verübt, bewies er durch die Berufung auf die Heldenthaten der Preußen in Schleswig-Holstein. Die Heldenthaten der Preußen in Posen, wo die Polen gebrandmarkt werden, die Vorfälle in Trier, Aachen und andern Städten konnten dem ehemaligen Karlistenchef von keiner Bedeutung scheinen. Den parlamentarischen Takt dieses ritterlichen Kleeblattes bewunderte man in der Verhandlung über die vorläufige Zulassung der posenschen Abgeordneten. Nachdem die Redner der Rechten und des rechten Centrums für die Zulassung der Abgeordneten eines fremden Landes gesprochen hatten, und ein Redner der Linken das Wort für die entgegengesetzte Meinung erhalten sollte, verlangten die Ritter mit großem Geschrei, daß man weiter nichts höre. Der Karlistenchef machte sich in dem Gang zwischen den Bänken der Rechten und des rechten Centrums Bewegung, rekognoszirte seine Treuen und ermahnte sie zum thatkräftigen Kampf; Graf Arnim verließ seinen Sitz im linken Centrum, setzte sich neben den Ritter Vincke und plötzlich begannen die drei Ritter, von ihrem Anhang unterstützt, mit den Fäusten auf die Bänke zu trommeln und mit den Füßen den Boden zu stampfen, so daß die Redner die Tribüne verließen und der Präsident mehrere Minuten lang vergebens die Klingel schwang. Daß der Fürst Lichnowsky sein Auftreten für ein Ereigniß hält, geht aus einer Aeußerung hervor, die er beim Abtreten von der Tribüne an seine Gefährte richteten: „Jetzt habe ich dem Gesindel, gezeigt, daß ich keine Furcht vor ihm habe!“

Von weitern Mitgliedern der Rechten, die sich bemerkbar machen, wenn auch nicht mit derselben Energie wie die drei Ritter, gewahrt man den weimarischen Geheimrath v. Wydenbrugk, der sich schon mehr dem Centrum nähert. Herr v. Wydenbrugk ist eine interessante Erscheinung; wenn er auf der Tribüne steht, ragt grade sein Haupt über die Brüstung. Seine Worte fließen wie ein Bächlein, wie ein Bächlein über Wiesen; seine Bilder duften Erinnerungen an den weimarischen Musensitz, den Thee der Herzogin Amalia und den Pudel des Herrn von Göthe. Er spricht von dem Schiff des Staates, den Wogen der Revolution und ähnliche neue Wendungen; zuweilen auch erhebt er sich zu tiefen Warnungen vor den „Wühlern“.

In dem rechten Centrum ist Herr Mittermaier zum Führer gewählt worden, der indeß mit der äußersten Rechten ebenfalls in Zusammenhang steht. In dieser Abtheilung haben sich die Beamten zusammengefunden, die Geistlichkeit und ihre Clakenre. Zuerst Herr Flottwell, der frühere Minister und jetzige Oberpräsident in Münster. Herr Flottwell ist als Büreaukratenvollblut bekannt durch die Antwort, welche er als Finanzminister den rheinischen Kaufleuten gab, die in ihren Interessen eine Reklamation an ihn richteten und dahin beschieden wurden, sich nicht um „tiefer liegende“ Maßregeln der Staatsweisheit zu bekümmern; Herr Flottwell ist auch derselbe, der in Münster den Beamten das Tragen der deutschen Kokarde untersagte, und den Lehrer Herzberg ermahnte, sich nicht öffentlich in Staatsangelegenheiten zu „meliren,“ die ihn nicht „tangirten.“ Als Mitglied der Nationalversammlung hat sich Herr Flottwell in so weit ausgezeichnet, als er in dem Ausschuß zur Prüfung der Anträge auf eine Centralgewalt (s. d. gestr. Nro.) mit dem ehemals k. bairischen Staatsminister Zenetti den Dahlmannschen Vorschlag modifiziren half, und die Ernennung des Triumvirats nicht von der „Billigung“ der National-Versammlung abhängig gemacht haben wollte. Sein Platz ist in der ersten Bank des rechten Centrums, und seine Theiknahme an den Debatten beschränkt sich größtentheils darauf, die Redner der Linken mit freundlichem Lachen zu begleiten.

Herr Bundestagsgesandter Welcker, der sich aus unbekannten Gründen ins linke Centrum gesetzt hat, ist der nächste in dieser Partie. Der „gefeierte Redner“ Badens hat in der allgemeinen National-Versammlung nicht diejenige Anerkennung gefunden, welche sein süddeutsches Gemüth wohl erwartete; sein erstes Debüt wurde mit frivolem Zischen begleitet. Seine Logik, sein Redefluß waren trotzdem bewundernswürdig. Er, von dem seine Frende rühmten, daß er allein den Bundestag zu Grabe getragen, sprach für die Berechtigung des Bundestags und die Inkompetenz der National-Versammlung, die er als „nicht konstituirend“ bezeichnete. Und nachdem er diese weise Bemerkung mit eben so starker staatsrechtlicher Logik unterstützt hatte, rief er mit erhabener Unerschrockenheit: „Ich fürchte mich nicht vor der Reaktion.“ Diese Versicherung fand den wohlverdienten Glauben; Niemand hält Herrn Welcker eines Selbstmordes fähig. Sein Freund und Genosse, der Biedermann Eisenmann, sekundirt ihm mit gleichen Erfolg. Wenn der alte „Dulder“ sein Haupt erhebt und die beiden offenen Hände ausstreckend von der Tribüne verkündet: „Ich sehe keine Reaktion!“ dann kömmt ein beseligendes Gefühl der Beruhigung über die ganze Versammlung.

Was aber Beider gewichtigen Aussprüche den größten Nachdruck verschafft, ist die Hinweisung auf ihre Vergangenheit, bei Welker die Berufung auf seine 33jährige Wirksamkeit, bei Eisenmann die Erinnerung an seine 16jährige Dulderschaft; es ist die eindringliche Taktik des „fatalen Packs,“ das

‒ um die Herzen zu rühren,
Den Patriotismus trägt zur Schau
Mit allen seinen Geschwüren.

Daß der Turnkunstmeister Vater Jahn, mit seinem weißen Bart und grauen ausgelegten Hemdkragen, in dieser Reihe nicht fehlt, versteht sich von selbst. Herr Staatsrath Mathy, der in Würtemberg Gewählte und bereits mit Abberufung Bedrohte; Herr Heckscher aus Hamburg, der die Rechte mit dem Aufwand seiner bürgerlich-kräftigen Witze unterstützt; der fürstlich-schwarzenburg-sondershausensche Oberstlieutenant v. Blumenröder, welcher seine geschriebenen Reden wegen des einseitigen Verbots der Geschäftsordnung leider nie zu Ende lesen kann, ‒ diese und andere ehrenwerthe Männer, wie Dahlmann, Wippermann, Bassermann, bilden den Kern dieses Centrums.

Auf die Linke und das Verhältniß der verschiedenen Parteien zu einander müssen wir in einem besondern Artikel zu sprechen kommen.

P.P.Frankfurt, 7. Juni.

Die Nationalversammlung bekommt Relief, wie ihr interimistischer Vorgänger, der Fünfzigerausschuß, durch Scandal. Heute stand nichts auf der Tagesordnung. Es wäre also nichts eiliger zu thun gewesen, als nach Verlesung des Protokolls der letzten Sitzung, in welcher bekanntlich auch nichts geschah, heim zu gehen, allein Herr von Auerswald ritt in die Schranken, um die Versammlung vor diesem stereotypen Uebelstande heute zu retten. Sie erinnern sich wohl, daß Robert Blum bei dem Raveaux'schen Antrage wegen der preußischen Nationalversammlung die zu ständiger Verneinung entschlossene Rechte durch eine Mittheilung aus den jüngsten Kabinetsannalen erschütterte, derzufolge Preußen einem anfragenden sächsischen Hofe den Rath ertheilte: möglichst viele Ständeversammlungen zu berufen, um dadurch die Wirksamkeit der Frankfurter Nationalversammlung zu schwächen und wo möglich aufzuheben. Gewiß eine raffinirte Politik, welche sich schlau an den Fehler klammerte, der unter dem Zersplitterungssysteme der heiligen Allianz den Deutschen polizeilich anerzogen ist, ich meine den kleinstädtischen Ehrgeiz der Sonderbündelei. Die Rechte gab damals in ihrer Bestürzung über diese Machination einem Vermittlungsantrage nach, und so kam es, daß der Werner'sche Antrag durchging. Allein gleich hinterher erkannte sie, daß sie einen Fehltritt gemacht, daß sie sich wider ihren Willen auf das Gebiet der Volkssouveränetät begeben habe, und möglicherweise arg darin fortgedrängt werden könne. Aber was thun? Wie das Geschehene gewissermaßen ungeschehen machen? Eine bedenkliche Frage! Man schreibt nach Berlin und läßt sich von irgend einem Minister bescheinigen, daß er nichts davon wisse, so ist die Sache gethan und die Linke hat den Spott und Schaden. Herr von Auerswald theilte heute der Versammlung ein solches „Schreiben“ mit, um damit „die Blum'schen Verdächtigungen“ am besten zu widerlegen, und verließ siegreich wie ein Held die Tribüne. Blum ist jedoch der Mann nicht, der sich so leicht in hochadlige oder ministerielle Devotion jagen läßt: mit seiner gewohnten Kaltblütigkeit antwortete er: Auerswald berichte von einem ministeriellen Schreiben, er habe dasselbe gethan, zwischen ihnen beiden sei nur der Unterschied, daß seine Quelle von den fraglichen Unterhandlungen wisse, die Auerswald'sche dagegen nicht. Das Gescheiteste sei, man lasse die Ministerialakten einfordern, so werde es am zuverläßigsten klar. ‒ Ob dies geschehen wird, entscheidet sich erst morgen, denn da die stenographischen Berichte über diese in Rede stehende (vor 10 Tagen abgehaltene) Sitzung noch nicht vorlagen, so ‒ hatte man Veranlassung, nicht von der bisherigen Tagesordnung abzuweichen, das heißt, wie Sie wissen, die Sache zu verschieben und zur Tagesordnung überzugehen.

Berlin, 7. Juni.

Nachtrag zur Sitzung vom 6. Juni. In seiner Rede bei Gelegenheit des Schöne'schen Antrags sagte Herr Hansemann: der Unterschied zwischen der ersten und zweiten Kammer bestände eben darin, daß die Mitglieder der einen bezahlt, der andern aber nicht bezahlt würden. ‒ (Allgemeines Murren und Ruf zur Ordnung.) Hr. Hansemann nahm den Ausdruck nachträglich natürlich zurück. Es ist indeß erfreulich zu sehen, wie Hr. Hansemann seinem Vorbild Duchâtel immer ähnlicher wird.

Vereinbarungs-Debatten. Sitzung vom 7. Juni. Da Präsident Milde an der heutigen Versammlung Theil zu nehmen verhindert ist, so übernimmt Vicepräsident Esser die Leitung. Das Protokoll wird verlesen und genehmigt. Reichenbach erhält das Wort in Bezug auf den Mißbrauch der Eintrittskarten zu den Zuhörertribünen. Es hätten heute zwei Personen, wie sich hernach herausstellte, Reisende aus Hamburg, beim Portier Eintrittskarten vorgezeigt, auf welchen das Datum der Sitzung ausradirt war; dieselben hatten beim Kommissarius des Hotels diese Karten für schweres Geld gelöst; der Redner stellt, um ähnlichen Mißbräuchen für die Zukunft vorzubeugen, den Antrag, daß fernerhin keine Karten mehr ausgegeben werden. v. Berg wünscht, daß die Karten vor dem Eintritt beim Portier abgegeben werden; Schultz trägt auf Uebergang zur motivirten Tagesordnung an; der Präsident möge ersucht werden, diesen Uebelstand auf geeignete Weise abzuhelfen. Der Antrag wird angenommen. Der Vorsitzende der Adreß-Kommission, Abgeordnete Grabow, zeigt an, daß der Adreß-Entwurf bereits der Redaktion nahe sei, und ladet das Ministerium ein, schleunigst in der Kommission zu erscheinen, um noch über manche Punkte den nöthigen Aufschluß zu geben. Auf der Tagesordnung steht der Antrag des Abgeordneten Euler auf Organisation von Auswanderungsanstalten unter Vermittlung und Schutz des Staates; ein anderer der Abgeordneten Pfahl, Bauer und Hagen auf schon vor Erlaß der neuen Gemeindeordnung anzustellende Wahl der Ortsvorsteher, Bürgermeister und Landräthe nach dem Wahlmodus für die Wahlmänner zur National-Versammlung wird unterstützt und den Abtheilungen übergeben, hingegen ein Interpellations-Antrag des Abg. Wencelius an das Staatsministerium um Befürwortung einer Amnestie bei Sr. Maj. für die Zeit des Provisoriums, um die Gerüchte von reaktionären Bestrebungen zu beseitigen, durch die Erklärung des Ministers Schwerin, die Interpellation sei zu wenig motivirt, um als

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        <titlePart type="main">Neue Rheinische Zeitung.</titlePart>
        <titlePart type="sub">Organ der Demokratie.</titlePart>
        <docImprint>
          <docDate>No 10. Köln, Samstag 10. Juni 1848.</docDate>
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      <div type="jExpedition">
        <p>Die <hi rendition="#b">&#x201E;Neue Rheinische Zeitung&#x201C;</hi> erscheint vom <hi rendition="#b">1.</hi> Juni an <hi rendition="#b">täglich.</hi> Der Raum des                     Blattes wird so oft es nöthig durch Beilagen erweitert. Der Abonnementspreis                     beträgt: Für das mit dem 1. Juli beginnende Vierteljahr in Köln 1 Thlr. 15 Sgr.;                     für alle übrigen Orte Preußens 2 Thlr 3 Sgr. 9 Pf. Außerhalb Preußens mit                     Zuschlag des fremden Zeitungsporto's. Das Abonnement für den Monat Juni kann nur                     unter gleichzeitiger Bestellung des nächsten Quartals (Juli, August, September)                     geschehen. Der Preis dieses viermonatlichen Abonnements beträgt: Für Köln 2                     Thlr.; auswärts 2 Thlr. 25 Sgr. Man abonnirt bei allen Postanstalten und                     Buchhandlungen des In- und Auslandes; &#x2012; für Köln in der Expedition der Zeitung                     bei Hrn. <hi rendition="#b">W. Clouth,</hi> St. <hi rendition="#g">Agatha</hi> 12, Köln, woselbst auch fernere Aktienzeichnungen entgegen genommen werden.                     Briefe und Zusendungen an die Redaktion sowie die Expedition werden von                     unbekannten Absendern nur frankirt angenommen. &#x2012; <hi rendition="#b">Insertionsgebühren.</hi> Für die vierspaltige Petitzeile oder deren Raum 1                     Sgr. 6 Pf.</p>
        <p> <hi rendition="#b">Die Expedition der &#x201E;Neuen Rheinischen Zeitung.&#x201C;</hi> </p>
      </div>
      <div type="contents" n="1">
        <head>Uebersicht.</head>
        <p><hi rendition="#g">Deutschland.</hi> Köln. (Das Schild der Dynastie. &#x2012; Die                     Frankfurter National-Versammlung.) Frankfurt. (Arnims Antwort auf Blum.) Berlin.                     (Wildpretsteuer. &#x2012; Reorganisation des Ministeriums der auswärtigen                     Angelegenheiten. &#x2012; Vereinbarungsdebatten.) Breslau. (Schrift Mieroslawki's und                     Gegenschrift Olbergs. &#x2012; Erklärung von Zychlinski.) Stettin. (Resultate der                     Stettiner Deputation in Berlin.) Friedberg. (Militärdespotismus.) Wörrstadt.                     (Demokr-Kongreß.) Wien. (Gerüchte wegen Abdankung des Kaisers. &#x2012; Militärische                     Maßregeln. Schleswig-Holstein. (Stand der Armeen.)</p>
        <p><hi rendition="#g">Ungarn.</hi> Pesth. (Union mit Siebenbürgen.)</p>
        <p><hi rendition="#g">Norwegen.</hi> Christiania. (Stortingsbeschluß wegen                     Dänemark.)</p>
        <p><hi rendition="#g">Belgien.</hi> Brüssel. (Fünffrankenbillets. &#x2012; Resultat der                     Wahlreform.) Lüttich. (Tedesko)</p>
        <p><hi rendition="#g">Französische Republik.</hi> Paris. (Die finanzielle                     Mystifikation. &#x2012; Sitzung der National-Versammlung. &#x2012; Wahlen. &#x2012; Der Dekretentwurf                     über die öffentlichen Zusammenschaarungen. &#x2012; Stimmung in Paris. &#x2012; Das                     Martialgesetz. &#x2012; Marrast. &#x2012; Die vraie Republique über die Partei des National. &#x2012;                     Reunion der Februarverwundeten und der Julidekorirten.)</p>
        <p><hi rendition="#g">Schweiz.</hi> Luzern (Verhaftungen). Uri                     (Klösteraufhebung).</p>
        <p><hi rendition="#g">Italien.</hi> Mailand (Details über die Uebergabe von                     Peschiera und über die Insurrektion). Turin (Arrivabene. &#x2012; Die Presse).</p>
        <p><hi rendition="#g">Großbritannien.</hi> London (Die Times über die preußische                     Nationalversammlung. &#x2012; Bischof von Oxford über Prostitution. &#x2012; Palmerston über                     Italien und Dänemark. &#x2012; Die Times und der Northern Star). Manchester                     (Handelsnachrichten). Plymouth (Frauenemancipation). London (Unterhaussitzung v.                     6. Lord Ashley über Emigration aus den Lumpenschulen. &#x2012; Oberhaus. Lord Brougham                     &#x2012; Sklaverei. &#x2012; Verhaftung von Ernest Jones. &#x2012; Ascot Rennen. &#x2012; Vereinigung Alt-                     und Jung-Irlands).</p>
        <p><hi rendition="#g">Amerika.</hi> (Handelsnachrichten aus Montevideo. &#x2012; Der franz.                     Gesandte. &#x2012; Ermordung Varelas. &#x2012; Rückkehr Lord Howden's.</p>
      </div>
      <div n="1">
        <head>Deutschland.</head>
        <div xml:id="ar010_001_c" type="jArticle">
          <note type="editorial">Edition: <bibl>Karl Marx: Das Schild der Dynastie. In: MEGA<hi rendition="#sup">2</hi> I/7. S. 93.</bibl></note>
          <head><bibl><author>**</author></bibl><hi rendition="#g">Köln,</hi> 9. Juni.</head>
          <p>Wie deutsche Blätter melden,</p>
          <gap reason="copyright"/>
        </div>
        <div xml:id="ar010_002" type="jArticle">
          <head><hi rendition="#g"><bibl><author>19</author></bibl> Köln,</hi> 9.                         Juni.</head>
          <p>(Die Frankfurter Nationalversammlung.) &#x201E;Die Zukunft Deutschlands erblickst du                         hier!&#x201C; sagt die Göttin Hammonia, indem sie den Dichter in den berühmten                         Zauberkessel schauen läßt. An diesen Zauberkessel und seine magischen Kräfte                         wirst du wunderbar erinnert, wenn du jetzt über die Ründung der Galerie in                         den Kessel der Frankfurter Paulskirche blickst, in jenes mixtum compositum                         von 36 Nationalausschüssen, aus deren Kräften die &#x201E;dunkle Zukunft                         Deutschlands&#x201C; gebraut werden soll. Können wir der Natur der Sache nach auch                         im Augenblick erst an dem Vorspiel des &#x201E;alten Kohls und der Juchten&#x201C; stehen,                         so bürgt doch der Duft der bisherigen Entwicklung für die Nothwendigkeit des                         weiteren Drama's, welches in Heine's prophetischem Gedicht selbst                         nachzulesen ist.</p>
          <p>Die Versammlung theilt sich in vier Abtheilungen, die indeß unter einander                         wieder in die verschiedensten Abstufungen zerfallen. Im Allgemeinen bestehen                         die drei ersten, die Rechte und die beiden Centrum, aus den alten                         Aristokraten, der Beamtenkaste und den gemüthlichen Liberalen; die vierte                         Partei scheidet sich fast ganz nach einzelnen Persönlichkeiten. Worin sie                         alle zusammen übereinstimmen, ist jedenfalls die Redseligkeit der Wortführer                         aller Farben, welche in wohlgeordneten Deklamationen, die stets mit der                         Phrase der deutschen Einheit schließen, große Festigkeit zeigen.</p>
          <p>Auf der Rechten erblickt man zunächst den Fürsten Lichnowsky und Ritter                         Vincke; Graf Arnim, der seinen Platz im linken Centrum eingenommen hat,                         verfehlt natürlich nicht, in der Abstimmung oder bei Gelegenheiten                         thatkräftiger Demonstrationen sich ihnen anzuschließen. Ritter Vincke ist                         bekannt von dem Berliner vereinigten Landtag, wo er durch seine persönlichen                         Eifersüchteleien gegen den Polizeiminister Bodelschwingh bei den Denkern in                         den Ruf des Liberalismus, und durch Auswendiglernen der Geschäftsordnung in                         den Geruch eines großen Redners kam. Der große liberale Redner Vincke, der                         sich hier gegen keinen ihn behindernden Minister auszulassen hat, ist jetzt                         zum Schrecken aller früheren Gläubigen des Rechtsbodens mit seiner ganzen                         preußischen Ritterlichkeit hervorgetreten, mit jenem Kamaschenritterthum</p>
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            <l>&#x2012; das ekelhaft ein Gemisch ist</l><lb/>
            <l>Von gothischem Wahn und modernem Lug,</l><lb/>
            <l>Das weder Fleisch noch Fisch ist.</l><lb/>
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          <p>Fürst Lichnowsky war s. Z. bekanntlich bei jenen spanischen Schaaren welche                         &#x201E;Mönche in der Jugend, später Räuberhauptmann wurden, und um beides zu                         vereinigen, Dienste bei Don Carlos nahmen&#x201C;. Seine Vertheidigung der Mainzer                         Soldateska war der Glanzpunkt aller Logik. Daß die preußische Garnison in                         Mainz keine Barbareien verübt, bewies er durch die Berufung auf die                         Heldenthaten der Preußen in Schleswig-Holstein. Die Heldenthaten der Preußen                         in Posen, wo die Polen gebrandmarkt werden, die Vorfälle in Trier, Aachen                         und andern Städten konnten dem ehemaligen Karlistenchef von keiner Bedeutung                         scheinen. Den parlamentarischen Takt dieses ritterlichen Kleeblattes                         bewunderte man in der Verhandlung über die vorläufige Zulassung der                         posenschen Abgeordneten. Nachdem die Redner der Rechten und des rechten                         Centrums <hi rendition="#g">für</hi> die Zulassung der Abgeordneten eines                         fremden Landes gesprochen hatten, und ein Redner der Linken das Wort für die                         entgegengesetzte Meinung erhalten sollte, verlangten die Ritter mit großem                         Geschrei, daß man weiter nichts höre. Der Karlistenchef machte sich in dem                         Gang zwischen den Bänken der Rechten und des rechten Centrums Bewegung,                         rekognoszirte seine Treuen und ermahnte sie zum thatkräftigen Kampf; Graf                         Arnim verließ seinen Sitz im linken Centrum, setzte sich neben den Ritter                         Vincke und plötzlich begannen die drei Ritter, von ihrem Anhang unterstützt,                         mit den Fäusten auf die Bänke zu trommeln und mit den Füßen den Boden zu                         stampfen, so daß die Redner die Tribüne verließen und der Präsident mehrere                         Minuten lang vergebens die Klingel schwang. Daß der Fürst Lichnowsky sein                         Auftreten für ein Ereigniß hält, geht aus einer Aeußerung hervor, die er                         beim Abtreten von der Tribüne an seine Gefährte richteten: &#x201E;Jetzt habe ich                         dem Gesindel, gezeigt, daß ich keine Furcht vor ihm habe!&#x201C;</p>
          <p>Von weitern Mitgliedern der Rechten, die sich bemerkbar machen, wenn auch                         nicht mit derselben Energie wie die drei Ritter, gewahrt man den                         weimarischen Geheimrath v. Wydenbrugk, der sich schon mehr dem Centrum                         nähert. Herr v. Wydenbrugk ist eine interessante Erscheinung; wenn er auf                         der Tribüne steht, ragt grade sein Haupt über die Brüstung. Seine Worte                         fließen wie ein Bächlein, wie ein Bächlein über Wiesen; seine Bilder duften                         Erinnerungen an den weimarischen Musensitz, den Thee der Herzogin Amalia und                         den Pudel des Herrn von Göthe. Er spricht von dem Schiff des Staates, den                         Wogen der Revolution und ähnliche neue Wendungen; zuweilen auch erhebt er                         sich zu tiefen Warnungen vor den &#x201E;Wühlern&#x201C;.</p>
          <p>In dem rechten Centrum ist Herr Mittermaier zum Führer gewählt worden, der                         indeß mit der äußersten Rechten ebenfalls in Zusammenhang steht. In dieser                         Abtheilung haben sich die Beamten zusammengefunden, die Geistlichkeit und                         ihre Clakenre. Zuerst Herr Flottwell, der frühere Minister und jetzige                         Oberpräsident in Münster. Herr Flottwell ist als Büreaukratenvollblut                         bekannt durch die Antwort, welche er als Finanzminister den rheinischen                         Kaufleuten gab, die in ihren Interessen eine Reklamation an ihn richteten                         und dahin beschieden wurden, sich nicht um &#x201E;tiefer liegende&#x201C; Maßregeln der                         Staatsweisheit zu bekümmern; Herr Flottwell ist auch derselbe, der in                         Münster den Beamten das Tragen der deutschen Kokarde untersagte, und den                         Lehrer Herzberg ermahnte, sich nicht öffentlich in Staatsangelegenheiten zu                         &#x201E;meliren,&#x201C; die ihn nicht &#x201E;tangirten.&#x201C; Als Mitglied der Nationalversammlung                         hat sich Herr Flottwell in so weit ausgezeichnet, als er in dem Ausschuß zur                         Prüfung der Anträge auf eine Centralgewalt (s. d. gestr. Nro.) mit dem                         ehemals k. bairischen Staatsminister Zenetti den Dahlmannschen Vorschlag                         modifiziren half, und die Ernennung des Triumvirats nicht von der                         &#x201E;Billigung&#x201C; der National-Versammlung abhängig gemacht haben wollte. Sein                         Platz ist in der ersten Bank des rechten Centrums, und seine Theiknahme an                         den Debatten beschränkt sich größtentheils darauf, die Redner der Linken mit                         freundlichem Lachen zu begleiten.</p>
          <p>Herr Bundestagsgesandter Welcker, der sich aus unbekannten Gründen ins linke                         Centrum gesetzt hat, ist der nächste in dieser Partie. Der &#x201E;gefeierte                         Redner&#x201C; Badens hat in der allgemeinen National-Versammlung nicht diejenige                         Anerkennung gefunden, welche sein süddeutsches Gemüth wohl erwartete; sein                         erstes Debüt wurde mit frivolem Zischen begleitet. Seine Logik, sein                         Redefluß waren trotzdem bewundernswürdig. Er, von dem seine Frende rühmten,                         daß er allein den Bundestag zu Grabe getragen, sprach für die Berechtigung                         des Bundestags und die Inkompetenz der National-Versammlung, die er als                         &#x201E;nicht konstituirend&#x201C; bezeichnete. Und nachdem er diese weise Bemerkung mit                         eben so starker staatsrechtlicher Logik unterstützt hatte, rief er mit                         erhabener Unerschrockenheit: &#x201E;Ich fürchte mich nicht vor der Reaktion.&#x201C;                         Diese Versicherung fand den wohlverdienten Glauben; Niemand hält Herrn                         Welcker eines Selbstmordes fähig. Sein Freund und Genosse, der Biedermann                         Eisenmann, sekundirt ihm mit gleichen Erfolg. Wenn der alte &#x201E;Dulder&#x201C; sein                         Haupt erhebt und die beiden offenen Hände ausstreckend von der Tribüne                         verkündet: &#x201E;Ich sehe keine Reaktion!&#x201C; dann kömmt ein beseligendes Gefühl der                         Beruhigung über die ganze Versammlung.</p>
          <p>Was aber Beider gewichtigen Aussprüche den größten Nachdruck verschafft, ist                         die Hinweisung auf ihre Vergangenheit, bei Welker die Berufung auf seine                         33jährige Wirksamkeit, bei Eisenmann die Erinnerung an seine 16jährige                         Dulderschaft; es ist die eindringliche Taktik des &#x201E;fatalen Packs,&#x201C; das</p>
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            <l>&#x2012; um die Herzen zu rühren,</l><lb/>
            <l>Den Patriotismus trägt zur Schau</l><lb/>
            <l>Mit allen seinen Geschwüren.</l><lb/>
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          <p>Daß der Turnkunstmeister Vater Jahn, mit seinem weißen Bart und grauen                         ausgelegten Hemdkragen, in dieser Reihe nicht fehlt, versteht sich von                         selbst. Herr Staatsrath Mathy, der in Würtemberg Gewählte und bereits mit                         Abberufung Bedrohte; Herr Heckscher aus Hamburg, der die Rechte mit dem                         Aufwand seiner bürgerlich-kräftigen Witze unterstützt; der                         fürstlich-schwarzenburg-sondershausensche Oberstlieutenant v. Blumenröder,                         welcher seine geschriebenen Reden wegen des einseitigen Verbots der                         Geschäftsordnung leider nie zu Ende lesen kann, &#x2012; diese und andere                         ehrenwerthe Männer, wie Dahlmann, Wippermann, Bassermann, bilden den Kern                         dieses Centrums.</p>
          <p>Auf die Linke und das Verhältniß der verschiedenen Parteien zu einander                         müssen wir in einem besondern Artikel zu sprechen kommen.</p>
        </div>
        <div xml:id="ar010_003" type="jArticle">
          <head><bibl><author>P.P.</author></bibl><hi rendition="#g">Frankfurt,</hi> 7. Juni.</head>
          <p>Die Nationalversammlung bekommt Relief, wie ihr interimistischer Vorgänger,                         der Fünfzigerausschuß, durch Scandal. Heute stand nichts auf der                         Tagesordnung. Es wäre also nichts eiliger zu thun gewesen, als nach                         Verlesung des Protokolls der letzten Sitzung, in welcher bekanntlich auch                         nichts geschah, heim zu gehen, allein Herr von Auerswald ritt in die                         Schranken, um die Versammlung vor diesem stereotypen Uebelstande heute zu                         retten. Sie erinnern sich wohl, daß Robert Blum bei dem Raveaux'schen                         Antrage wegen der preußischen Nationalversammlung die zu ständiger                         Verneinung entschlossene Rechte durch eine Mittheilung aus den jüngsten                         Kabinetsannalen erschütterte, derzufolge Preußen einem anfragenden                         sächsischen Hofe den Rath ertheilte: möglichst viele Ständeversammlungen zu                         berufen, um dadurch die Wirksamkeit der Frankfurter Nationalversammlung zu                         schwächen und wo möglich aufzuheben. Gewiß eine raffinirte Politik, welche                         sich schlau an den Fehler klammerte, der unter dem Zersplitterungssysteme                         der heiligen Allianz den Deutschen polizeilich anerzogen ist, ich meine den                         kleinstädtischen Ehrgeiz der Sonderbündelei. Die Rechte gab damals in ihrer                         Bestürzung über diese Machination einem Vermittlungsantrage nach, und so kam                         es, daß der Werner'sche Antrag durchging. Allein gleich hinterher erkannte                         sie, daß sie einen Fehltritt gemacht, daß sie sich wider ihren Willen auf                         das Gebiet der Volkssouveränetät begeben habe, und möglicherweise arg darin                         fortgedrängt werden könne. Aber was thun? Wie das Geschehene gewissermaßen                         ungeschehen machen? Eine bedenkliche Frage! Man schreibt nach Berlin und                         läßt sich von irgend einem Minister bescheinigen, daß er nichts davon wisse,                         so ist die Sache gethan und die Linke hat den Spott und Schaden. Herr von                         Auerswald theilte heute der Versammlung ein solches &#x201E;Schreiben&#x201C; mit, um                         damit &#x201E;die Blum'schen Verdächtigungen&#x201C; am besten zu widerlegen, und verließ                         siegreich wie ein Held die Tribüne. Blum ist jedoch der Mann nicht, der sich                         so leicht in hochadlige oder ministerielle Devotion jagen läßt: mit seiner                         gewohnten Kaltblütigkeit antwortete er: Auerswald berichte von einem                         ministeriellen Schreiben, er habe dasselbe gethan, zwischen ihnen beiden sei                         nur der Unterschied, daß seine Quelle von den fraglichen Unterhandlungen                         wisse, die Auerswald'sche dagegen nicht. Das Gescheiteste sei, man lasse die                         Ministerialakten einfordern, so werde es am zuverläßigsten klar. &#x2012; Ob dies                         geschehen wird, entscheidet sich erst morgen, denn da die stenographischen                         Berichte über diese in Rede stehende (vor 10 Tagen abgehaltene) Sitzung noch                         nicht vorlagen, so &#x2012; hatte man Veranlassung, nicht von der bisherigen                         Tagesordnung abzuweichen, das heißt, wie Sie wissen, die Sache zu                         verschieben und zur Tagesordnung überzugehen.</p>
        </div>
        <div xml:id="ar010_004" type="jArticle">
          <head><hi rendition="#g">Berlin,</hi> 7. Juni.</head>
          <p>Nachtrag zur Sitzung vom 6. Juni. In seiner Rede bei Gelegenheit des                         Schöne'schen Antrags sagte Herr Hansemann: der Unterschied zwischen der                         ersten und zweiten Kammer bestände eben darin, daß die Mitglieder der einen                         bezahlt, der andern aber nicht bezahlt würden. &#x2012; (Allgemeines Murren und Ruf                         zur Ordnung.) Hr. Hansemann nahm den Ausdruck nachträglich natürlich zurück.                         Es ist indeß erfreulich zu sehen, wie Hr. Hansemann seinem Vorbild Duchâtel                         immer ähnlicher wird.</p>
        </div>
        <div xml:id="ar010_005" type="jArticle">
          <p>&#x2012; <hi rendition="#g">Vereinbarungs-Debatten.</hi> Sitzung vom 7. Juni. Da                         Präsident Milde an der heutigen Versammlung Theil zu nehmen verhindert ist,                         so übernimmt Vicepräsident Esser die Leitung. Das Protokoll wird verlesen                         und genehmigt. Reichenbach erhält das Wort in Bezug auf den Mißbrauch der                         Eintrittskarten zu den Zuhörertribünen. Es hätten heute zwei Personen, wie                         sich hernach herausstellte, Reisende aus Hamburg, beim Portier                         Eintrittskarten vorgezeigt, auf welchen das Datum der Sitzung ausradirt war;                         dieselben hatten beim Kommissarius des Hotels diese Karten für schweres Geld                         gelöst; der Redner stellt, um ähnlichen Mißbräuchen für die Zukunft                         vorzubeugen, den Antrag, daß fernerhin keine Karten mehr ausgegeben werden.                         v. Berg wünscht, daß die Karten vor dem Eintritt beim Portier abgegeben                         werden; Schultz trägt auf Uebergang zur motivirten Tagesordnung an; der                         Präsident möge ersucht werden, diesen Uebelstand auf geeignete Weise                         abzuhelfen. Der Antrag wird angenommen. Der Vorsitzende der                         Adreß-Kommission, Abgeordnete Grabow, zeigt an, daß der Adreß-Entwurf                         bereits der Redaktion nahe sei, und ladet das Ministerium ein, schleunigst                         in der Kommission zu erscheinen, um noch über manche Punkte den nöthigen                         Aufschluß zu geben. Auf der Tagesordnung steht der Antrag des Abgeordneten                         Euler auf Organisation von Auswanderungsanstalten unter Vermittlung und                         Schutz des Staates; ein anderer der Abgeordneten Pfahl, Bauer und Hagen auf                         schon vor Erlaß der neuen Gemeindeordnung anzustellende Wahl der                         Ortsvorsteher, Bürgermeister und Landräthe nach dem Wahlmodus für die                         Wahlmänner zur National-Versammlung wird unterstützt und den Abtheilungen                         übergeben, hingegen ein Interpellations-Antrag des Abg. Wencelius an das                         Staatsministerium um Befürwortung einer Amnestie bei Sr. Maj. für die Zeit                         des Provisoriums, um die Gerüchte von reaktionären Bestrebungen zu                         beseitigen, durch die Erklärung des Ministers Schwerin, die Interpellation                         sei zu wenig motivirt, um als
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[0041/0001] Neue Rheinische Zeitung.Organ der Demokratie.No 10. Köln, Samstag 10. Juni 1848. Die „Neue Rheinische Zeitung“ erscheint vom 1. Juni an täglich. Der Raum des Blattes wird so oft es nöthig durch Beilagen erweitert. Der Abonnementspreis beträgt: Für das mit dem 1. Juli beginnende Vierteljahr in Köln 1 Thlr. 15 Sgr.; für alle übrigen Orte Preußens 2 Thlr 3 Sgr. 9 Pf. Außerhalb Preußens mit Zuschlag des fremden Zeitungsporto's. Das Abonnement für den Monat Juni kann nur unter gleichzeitiger Bestellung des nächsten Quartals (Juli, August, September) geschehen. Der Preis dieses viermonatlichen Abonnements beträgt: Für Köln 2 Thlr.; auswärts 2 Thlr. 25 Sgr. Man abonnirt bei allen Postanstalten und Buchhandlungen des In- und Auslandes; ‒ für Köln in der Expedition der Zeitung bei Hrn. W. Clouth, St. Agatha 12, Köln, woselbst auch fernere Aktienzeichnungen entgegen genommen werden. Briefe und Zusendungen an die Redaktion sowie die Expedition werden von unbekannten Absendern nur frankirt angenommen. ‒ Insertionsgebühren. Für die vierspaltige Petitzeile oder deren Raum 1 Sgr. 6 Pf. Die Expedition der „Neuen Rheinischen Zeitung.“ Uebersicht. Deutschland. Köln. (Das Schild der Dynastie. ‒ Die Frankfurter National-Versammlung.) Frankfurt. (Arnims Antwort auf Blum.) Berlin. (Wildpretsteuer. ‒ Reorganisation des Ministeriums der auswärtigen Angelegenheiten. ‒ Vereinbarungsdebatten.) Breslau. (Schrift Mieroslawki's und Gegenschrift Olbergs. ‒ Erklärung von Zychlinski.) Stettin. (Resultate der Stettiner Deputation in Berlin.) Friedberg. (Militärdespotismus.) Wörrstadt. (Demokr-Kongreß.) Wien. (Gerüchte wegen Abdankung des Kaisers. ‒ Militärische Maßregeln. Schleswig-Holstein. (Stand der Armeen.) Ungarn. Pesth. (Union mit Siebenbürgen.) Norwegen. Christiania. (Stortingsbeschluß wegen Dänemark.) Belgien. Brüssel. (Fünffrankenbillets. ‒ Resultat der Wahlreform.) Lüttich. (Tedesko) Französische Republik. Paris. (Die finanzielle Mystifikation. ‒ Sitzung der National-Versammlung. ‒ Wahlen. ‒ Der Dekretentwurf über die öffentlichen Zusammenschaarungen. ‒ Stimmung in Paris. ‒ Das Martialgesetz. ‒ Marrast. ‒ Die vraie Republique über die Partei des National. ‒ Reunion der Februarverwundeten und der Julidekorirten.) Schweiz. Luzern (Verhaftungen). Uri (Klösteraufhebung). Italien. Mailand (Details über die Uebergabe von Peschiera und über die Insurrektion). Turin (Arrivabene. ‒ Die Presse). Großbritannien. London (Die Times über die preußische Nationalversammlung. ‒ Bischof von Oxford über Prostitution. ‒ Palmerston über Italien und Dänemark. ‒ Die Times und der Northern Star). Manchester (Handelsnachrichten). Plymouth (Frauenemancipation). London (Unterhaussitzung v. 6. Lord Ashley über Emigration aus den Lumpenschulen. ‒ Oberhaus. Lord Brougham ‒ Sklaverei. ‒ Verhaftung von Ernest Jones. ‒ Ascot Rennen. ‒ Vereinigung Alt- und Jung-Irlands). Amerika. (Handelsnachrichten aus Montevideo. ‒ Der franz. Gesandte. ‒ Ermordung Varelas. ‒ Rückkehr Lord Howden's. Deutschland. ** Köln, 9. Juni. Wie deutsche Blätter melden, _ 19 Köln, 9. Juni. (Die Frankfurter Nationalversammlung.) „Die Zukunft Deutschlands erblickst du hier!“ sagt die Göttin Hammonia, indem sie den Dichter in den berühmten Zauberkessel schauen läßt. An diesen Zauberkessel und seine magischen Kräfte wirst du wunderbar erinnert, wenn du jetzt über die Ründung der Galerie in den Kessel der Frankfurter Paulskirche blickst, in jenes mixtum compositum von 36 Nationalausschüssen, aus deren Kräften die „dunkle Zukunft Deutschlands“ gebraut werden soll. Können wir der Natur der Sache nach auch im Augenblick erst an dem Vorspiel des „alten Kohls und der Juchten“ stehen, so bürgt doch der Duft der bisherigen Entwicklung für die Nothwendigkeit des weiteren Drama's, welches in Heine's prophetischem Gedicht selbst nachzulesen ist. Die Versammlung theilt sich in vier Abtheilungen, die indeß unter einander wieder in die verschiedensten Abstufungen zerfallen. Im Allgemeinen bestehen die drei ersten, die Rechte und die beiden Centrum, aus den alten Aristokraten, der Beamtenkaste und den gemüthlichen Liberalen; die vierte Partei scheidet sich fast ganz nach einzelnen Persönlichkeiten. Worin sie alle zusammen übereinstimmen, ist jedenfalls die Redseligkeit der Wortführer aller Farben, welche in wohlgeordneten Deklamationen, die stets mit der Phrase der deutschen Einheit schließen, große Festigkeit zeigen. Auf der Rechten erblickt man zunächst den Fürsten Lichnowsky und Ritter Vincke; Graf Arnim, der seinen Platz im linken Centrum eingenommen hat, verfehlt natürlich nicht, in der Abstimmung oder bei Gelegenheiten thatkräftiger Demonstrationen sich ihnen anzuschließen. Ritter Vincke ist bekannt von dem Berliner vereinigten Landtag, wo er durch seine persönlichen Eifersüchteleien gegen den Polizeiminister Bodelschwingh bei den Denkern in den Ruf des Liberalismus, und durch Auswendiglernen der Geschäftsordnung in den Geruch eines großen Redners kam. Der große liberale Redner Vincke, der sich hier gegen keinen ihn behindernden Minister auszulassen hat, ist jetzt zum Schrecken aller früheren Gläubigen des Rechtsbodens mit seiner ganzen preußischen Ritterlichkeit hervorgetreten, mit jenem Kamaschenritterthum ‒ das ekelhaft ein Gemisch ist Von gothischem Wahn und modernem Lug, Das weder Fleisch noch Fisch ist. Fürst Lichnowsky war s. Z. bekanntlich bei jenen spanischen Schaaren welche „Mönche in der Jugend, später Räuberhauptmann wurden, und um beides zu vereinigen, Dienste bei Don Carlos nahmen“. Seine Vertheidigung der Mainzer Soldateska war der Glanzpunkt aller Logik. Daß die preußische Garnison in Mainz keine Barbareien verübt, bewies er durch die Berufung auf die Heldenthaten der Preußen in Schleswig-Holstein. Die Heldenthaten der Preußen in Posen, wo die Polen gebrandmarkt werden, die Vorfälle in Trier, Aachen und andern Städten konnten dem ehemaligen Karlistenchef von keiner Bedeutung scheinen. Den parlamentarischen Takt dieses ritterlichen Kleeblattes bewunderte man in der Verhandlung über die vorläufige Zulassung der posenschen Abgeordneten. Nachdem die Redner der Rechten und des rechten Centrums für die Zulassung der Abgeordneten eines fremden Landes gesprochen hatten, und ein Redner der Linken das Wort für die entgegengesetzte Meinung erhalten sollte, verlangten die Ritter mit großem Geschrei, daß man weiter nichts höre. Der Karlistenchef machte sich in dem Gang zwischen den Bänken der Rechten und des rechten Centrums Bewegung, rekognoszirte seine Treuen und ermahnte sie zum thatkräftigen Kampf; Graf Arnim verließ seinen Sitz im linken Centrum, setzte sich neben den Ritter Vincke und plötzlich begannen die drei Ritter, von ihrem Anhang unterstützt, mit den Fäusten auf die Bänke zu trommeln und mit den Füßen den Boden zu stampfen, so daß die Redner die Tribüne verließen und der Präsident mehrere Minuten lang vergebens die Klingel schwang. Daß der Fürst Lichnowsky sein Auftreten für ein Ereigniß hält, geht aus einer Aeußerung hervor, die er beim Abtreten von der Tribüne an seine Gefährte richteten: „Jetzt habe ich dem Gesindel, gezeigt, daß ich keine Furcht vor ihm habe!“ Von weitern Mitgliedern der Rechten, die sich bemerkbar machen, wenn auch nicht mit derselben Energie wie die drei Ritter, gewahrt man den weimarischen Geheimrath v. Wydenbrugk, der sich schon mehr dem Centrum nähert. Herr v. Wydenbrugk ist eine interessante Erscheinung; wenn er auf der Tribüne steht, ragt grade sein Haupt über die Brüstung. Seine Worte fließen wie ein Bächlein, wie ein Bächlein über Wiesen; seine Bilder duften Erinnerungen an den weimarischen Musensitz, den Thee der Herzogin Amalia und den Pudel des Herrn von Göthe. Er spricht von dem Schiff des Staates, den Wogen der Revolution und ähnliche neue Wendungen; zuweilen auch erhebt er sich zu tiefen Warnungen vor den „Wühlern“. In dem rechten Centrum ist Herr Mittermaier zum Führer gewählt worden, der indeß mit der äußersten Rechten ebenfalls in Zusammenhang steht. In dieser Abtheilung haben sich die Beamten zusammengefunden, die Geistlichkeit und ihre Clakenre. Zuerst Herr Flottwell, der frühere Minister und jetzige Oberpräsident in Münster. Herr Flottwell ist als Büreaukratenvollblut bekannt durch die Antwort, welche er als Finanzminister den rheinischen Kaufleuten gab, die in ihren Interessen eine Reklamation an ihn richteten und dahin beschieden wurden, sich nicht um „tiefer liegende“ Maßregeln der Staatsweisheit zu bekümmern; Herr Flottwell ist auch derselbe, der in Münster den Beamten das Tragen der deutschen Kokarde untersagte, und den Lehrer Herzberg ermahnte, sich nicht öffentlich in Staatsangelegenheiten zu „meliren,“ die ihn nicht „tangirten.“ Als Mitglied der Nationalversammlung hat sich Herr Flottwell in so weit ausgezeichnet, als er in dem Ausschuß zur Prüfung der Anträge auf eine Centralgewalt (s. d. gestr. Nro.) mit dem ehemals k. bairischen Staatsminister Zenetti den Dahlmannschen Vorschlag modifiziren half, und die Ernennung des Triumvirats nicht von der „Billigung“ der National-Versammlung abhängig gemacht haben wollte. Sein Platz ist in der ersten Bank des rechten Centrums, und seine Theiknahme an den Debatten beschränkt sich größtentheils darauf, die Redner der Linken mit freundlichem Lachen zu begleiten. Herr Bundestagsgesandter Welcker, der sich aus unbekannten Gründen ins linke Centrum gesetzt hat, ist der nächste in dieser Partie. Der „gefeierte Redner“ Badens hat in der allgemeinen National-Versammlung nicht diejenige Anerkennung gefunden, welche sein süddeutsches Gemüth wohl erwartete; sein erstes Debüt wurde mit frivolem Zischen begleitet. Seine Logik, sein Redefluß waren trotzdem bewundernswürdig. Er, von dem seine Frende rühmten, daß er allein den Bundestag zu Grabe getragen, sprach für die Berechtigung des Bundestags und die Inkompetenz der National-Versammlung, die er als „nicht konstituirend“ bezeichnete. Und nachdem er diese weise Bemerkung mit eben so starker staatsrechtlicher Logik unterstützt hatte, rief er mit erhabener Unerschrockenheit: „Ich fürchte mich nicht vor der Reaktion.“ Diese Versicherung fand den wohlverdienten Glauben; Niemand hält Herrn Welcker eines Selbstmordes fähig. Sein Freund und Genosse, der Biedermann Eisenmann, sekundirt ihm mit gleichen Erfolg. Wenn der alte „Dulder“ sein Haupt erhebt und die beiden offenen Hände ausstreckend von der Tribüne verkündet: „Ich sehe keine Reaktion!“ dann kömmt ein beseligendes Gefühl der Beruhigung über die ganze Versammlung. Was aber Beider gewichtigen Aussprüche den größten Nachdruck verschafft, ist die Hinweisung auf ihre Vergangenheit, bei Welker die Berufung auf seine 33jährige Wirksamkeit, bei Eisenmann die Erinnerung an seine 16jährige Dulderschaft; es ist die eindringliche Taktik des „fatalen Packs,“ das ‒ um die Herzen zu rühren, Den Patriotismus trägt zur Schau Mit allen seinen Geschwüren. Daß der Turnkunstmeister Vater Jahn, mit seinem weißen Bart und grauen ausgelegten Hemdkragen, in dieser Reihe nicht fehlt, versteht sich von selbst. Herr Staatsrath Mathy, der in Würtemberg Gewählte und bereits mit Abberufung Bedrohte; Herr Heckscher aus Hamburg, der die Rechte mit dem Aufwand seiner bürgerlich-kräftigen Witze unterstützt; der fürstlich-schwarzenburg-sondershausensche Oberstlieutenant v. Blumenröder, welcher seine geschriebenen Reden wegen des einseitigen Verbots der Geschäftsordnung leider nie zu Ende lesen kann, ‒ diese und andere ehrenwerthe Männer, wie Dahlmann, Wippermann, Bassermann, bilden den Kern dieses Centrums. Auf die Linke und das Verhältniß der verschiedenen Parteien zu einander müssen wir in einem besondern Artikel zu sprechen kommen. P.P.Frankfurt, 7. Juni. Die Nationalversammlung bekommt Relief, wie ihr interimistischer Vorgänger, der Fünfzigerausschuß, durch Scandal. Heute stand nichts auf der Tagesordnung. Es wäre also nichts eiliger zu thun gewesen, als nach Verlesung des Protokolls der letzten Sitzung, in welcher bekanntlich auch nichts geschah, heim zu gehen, allein Herr von Auerswald ritt in die Schranken, um die Versammlung vor diesem stereotypen Uebelstande heute zu retten. Sie erinnern sich wohl, daß Robert Blum bei dem Raveaux'schen Antrage wegen der preußischen Nationalversammlung die zu ständiger Verneinung entschlossene Rechte durch eine Mittheilung aus den jüngsten Kabinetsannalen erschütterte, derzufolge Preußen einem anfragenden sächsischen Hofe den Rath ertheilte: möglichst viele Ständeversammlungen zu berufen, um dadurch die Wirksamkeit der Frankfurter Nationalversammlung zu schwächen und wo möglich aufzuheben. Gewiß eine raffinirte Politik, welche sich schlau an den Fehler klammerte, der unter dem Zersplitterungssysteme der heiligen Allianz den Deutschen polizeilich anerzogen ist, ich meine den kleinstädtischen Ehrgeiz der Sonderbündelei. Die Rechte gab damals in ihrer Bestürzung über diese Machination einem Vermittlungsantrage nach, und so kam es, daß der Werner'sche Antrag durchging. Allein gleich hinterher erkannte sie, daß sie einen Fehltritt gemacht, daß sie sich wider ihren Willen auf das Gebiet der Volkssouveränetät begeben habe, und möglicherweise arg darin fortgedrängt werden könne. Aber was thun? Wie das Geschehene gewissermaßen ungeschehen machen? Eine bedenkliche Frage! Man schreibt nach Berlin und läßt sich von irgend einem Minister bescheinigen, daß er nichts davon wisse, so ist die Sache gethan und die Linke hat den Spott und Schaden. Herr von Auerswald theilte heute der Versammlung ein solches „Schreiben“ mit, um damit „die Blum'schen Verdächtigungen“ am besten zu widerlegen, und verließ siegreich wie ein Held die Tribüne. Blum ist jedoch der Mann nicht, der sich so leicht in hochadlige oder ministerielle Devotion jagen läßt: mit seiner gewohnten Kaltblütigkeit antwortete er: Auerswald berichte von einem ministeriellen Schreiben, er habe dasselbe gethan, zwischen ihnen beiden sei nur der Unterschied, daß seine Quelle von den fraglichen Unterhandlungen wisse, die Auerswald'sche dagegen nicht. Das Gescheiteste sei, man lasse die Ministerialakten einfordern, so werde es am zuverläßigsten klar. ‒ Ob dies geschehen wird, entscheidet sich erst morgen, denn da die stenographischen Berichte über diese in Rede stehende (vor 10 Tagen abgehaltene) Sitzung noch nicht vorlagen, so ‒ hatte man Veranlassung, nicht von der bisherigen Tagesordnung abzuweichen, das heißt, wie Sie wissen, die Sache zu verschieben und zur Tagesordnung überzugehen. Berlin, 7. Juni. Nachtrag zur Sitzung vom 6. Juni. In seiner Rede bei Gelegenheit des Schöne'schen Antrags sagte Herr Hansemann: der Unterschied zwischen der ersten und zweiten Kammer bestände eben darin, daß die Mitglieder der einen bezahlt, der andern aber nicht bezahlt würden. ‒ (Allgemeines Murren und Ruf zur Ordnung.) Hr. Hansemann nahm den Ausdruck nachträglich natürlich zurück. Es ist indeß erfreulich zu sehen, wie Hr. Hansemann seinem Vorbild Duchâtel immer ähnlicher wird. ‒ Vereinbarungs-Debatten. Sitzung vom 7. Juni. Da Präsident Milde an der heutigen Versammlung Theil zu nehmen verhindert ist, so übernimmt Vicepräsident Esser die Leitung. Das Protokoll wird verlesen und genehmigt. Reichenbach erhält das Wort in Bezug auf den Mißbrauch der Eintrittskarten zu den Zuhörertribünen. Es hätten heute zwei Personen, wie sich hernach herausstellte, Reisende aus Hamburg, beim Portier Eintrittskarten vorgezeigt, auf welchen das Datum der Sitzung ausradirt war; dieselben hatten beim Kommissarius des Hotels diese Karten für schweres Geld gelöst; der Redner stellt, um ähnlichen Mißbräuchen für die Zukunft vorzubeugen, den Antrag, daß fernerhin keine Karten mehr ausgegeben werden. v. Berg wünscht, daß die Karten vor dem Eintritt beim Portier abgegeben werden; Schultz trägt auf Uebergang zur motivirten Tagesordnung an; der Präsident möge ersucht werden, diesen Uebelstand auf geeignete Weise abzuhelfen. Der Antrag wird angenommen. Der Vorsitzende der Adreß-Kommission, Abgeordnete Grabow, zeigt an, daß der Adreß-Entwurf bereits der Redaktion nahe sei, und ladet das Ministerium ein, schleunigst in der Kommission zu erscheinen, um noch über manche Punkte den nöthigen Aufschluß zu geben. Auf der Tagesordnung steht der Antrag des Abgeordneten Euler auf Organisation von Auswanderungsanstalten unter Vermittlung und Schutz des Staates; ein anderer der Abgeordneten Pfahl, Bauer und Hagen auf schon vor Erlaß der neuen Gemeindeordnung anzustellende Wahl der Ortsvorsteher, Bürgermeister und Landräthe nach dem Wahlmodus für die Wahlmänner zur National-Versammlung wird unterstützt und den Abtheilungen übergeben, hingegen ein Interpellations-Antrag des Abg. Wencelius an das Staatsministerium um Befürwortung einer Amnestie bei Sr. Maj. für die Zeit des Provisoriums, um die Gerüchte von reaktionären Bestrebungen zu beseitigen, durch die Erklärung des Ministers Schwerin, die Interpellation sei zu wenig motivirt, um als

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Marx-Engels-Gesamtausgabe: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-20T13:08:10Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
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Die angegebenen Seitenzahlen beziehen sich auf die Ausgabe: Neue Rheinische Zeitung. Organ der Demokratie. Bd. 1 (Nummer 1 bis Nummer 183) Köln, 1. Juni 1848 bis 31. Dezember 1848. Glashütten im Taunus, Verlag Detlev Auvermann KG 1973.




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Zitationshilfe: Neue Rheinische Zeitung. Nr. 10. Köln, 10. Juni 1848, S. 0041. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_nrhz010_1848/1>, abgerufen am 19.04.2024.