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Neue Rheinische Zeitung. Nr. 26. Köln, 26. Juni 1848. Beilage.

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Extrabeilage zu Nr. 26 der Neuen Rheinischen Zeitung.
Deutschland.
* Köln, 25. Juni, Abends 10 Uhr.
Der Inhalt dieses Artikels kann aus urheberrechtlichen Gründen nicht angezeigt werden.
Französische Republik.
* Paris.

Der Zug welcher am 24. Morgens 9 Uhr von Paris nach Brüssel abgehen sollte, war um 12 Uhr Nachts noch nicht in Brüssel angekommen. Ein Extrazug von Amiens war angekommen, doch wußte man in dieser letzteren Stadt Nichts aus Paris. Der elektrische Telegraph war ebenfalls abgeschnitten.

Die Independance von Brüssel, das halboffizielle Journal der belgischen Regierung, hat jedoch "auf einem andern Wege" einige "gewisse Nachrichten" erhalten. Sie bestehen in Folgendem:

Am Abend des 23. ist es der Nationalgarde und der Linie nicht gelungen die Insurrektion zu unterdrücken. Die Insurgenten, in mehreren Stadtvierteln hinter Barrikaden verschanzt, haben ihre Stellung behauptet. General Cavaignac hat die Nacht benutzt um alle seine Kräfte aufzustellen und den nächsten Morgen den Kampf mit Macht zu beginnen. Während der Nacht fanden einzelne unbedeutende Zusammenstöße Statt. Flintenschüsse fielen fortwährend, doch erst gegen Morgen begann das Gewehrfeuer wieder mit bedeutender Lebhaftigkeit.

Der Charakter des Aufstandes hat sich jetzt ausgesprochen. Am Freitag (23) hatte man hier und da gerufen: Es lebe Napoleon, es lebe Heinrich V! Dies hat fast ganz aufgehört. Der Kampf ist am Samstag (24) Morgen im Namen der rothen Republik geführt worden. Die rothe Fahne wurde auf den Barrikaden aufgepflanzt.

Wie es scheint, hat ein kleiner Theil der Nationalgarde der Umgegend für die Insurgenten Partei ergriffen, namentlich die von Saint Denis. Schon bei der neulichen großen Arbeitereinstellung der Arbeiter an der Nordbahn hatte sich diese Nationalgarde auf Seite der Arbeiter geschlagen. Sie hatte am Freitag Abend um 10 Uhr schon Miene gemacht, die Abfahrt des von La Chapelle (Vorstadt von Paris, vor der Barriere Saint Denis) abgesandten Zuges zu verhindern. Sona[#] hat sie sich wahrscheinlich am Samstag Morgen, während die Truppen in der Stadt beschäftigt waren, der Station von La Chapelle vollständig bemächtigt und die Abfahrt des Zuges von Samstag Morgen verhindert.

In Lille, wo Alles ruhig war, und in Valenciennes war man ebenfalls ohne Nachrichten aus Paris.

In Brüssel liefen eine Menge Gerüchte. Die Mobilgarde sollte abgefallen sein. Die Regierung sollte eine ungeheure Artilleriemacht entwickelt haben. Andere sagten, um 11 Uhr Morgens sei die Insurrektion vollständig unterdrückt worden. Noch Andere wollen wissen, die Insurgenten seien aus Paris heraus in die Ebene von Saint Denis getrieben worden. Man sprach auch von der Befreiung von Barbes und Blanqui, von der Einäscherung der Nordstation u. s. w. Diese Gerüchte hält die Independence belge für wenig glaubwürdig.

Details über den 23. Juni. *

Der Aufstand ist ein reiner Arbeiter-Aufstand.

Der Inhalt dieses Artikels kann aus urheberrechtlichen Gründen nicht angezeigt werden.

- Als gegen Abend der General Cavaignac durch die Straßen ritt und die Truppen befehligte, waren Napoleon und Pierre Bonaparte zu Pferde an seiner Seite, um zu beweisen, daß ihre Familie bei dem Aufstande in keiner Weise betheiligt sei.

- Man spricht von einem ernsthaften Zwiespalt, der zwischen der Linie und der Mobilgarde in der Kaserne, Straße du Foin-Saint-Jacques ausgebrochen sein. Offiziere der Mobilgarde sollen Arbeiter in ziemlich großer Anzahl in die Kaserne gelassen haben, die die Garde aufforderten, mit ihnen zu fraternisiren. Ein Linienregiment kam gerade vorbei, und die Offiziere der beiden Korps sollen bis zu heftigen Worten und Drohungen gegen einander gekommen sein.

Sitzung der National-Versammlung vom 23. Juni.

- Die "Independance belge" bringt uns die Sitzung der Nationalversammlung vom 23. Juni, die unsere Leser in der morgigen Nummer lesen werden. Die Versammlung beschloß die Tagesordnung gegen des General Lebretou Vorschlag, der verlangte, sie solle aus ihrem Schooß eine Kommission unter die Truppen schicken, die aktiven Theil an den Ereignissen nehme. Der Bericht der Kommission der Arbeiter über die Maßregeln zur sofortigen Auflösung der National-Aeteliers und die Diskussion über den Ankauf der Eisenbahnen durch den Staat nehmen den Haupttheil der Sitzung hinweg. Jeden Augenblick aber wird die Tagesordnung unterbrochen durch dem Präsidenten zugehende Berichte über die Tages - Ereignisse. Um 61/2 Uhr verkündet Cavaignac, dem der Oberbefehl aller in Paris vereinigten Truppenmacht übertragen worden, der Versammlung, daß man sich nur noch in den Straßen St. Antoine und St. Jacques schlage und er drückte die Hoffnung aus, daß die Emeute bald vollständig unterdrückt sein werde. Garnier Pages stattet Bericht ab über die von der Exekutivkommission getroffenen Maßregeln und er kündet an, es würden noch energischere Dispositionen zum Vollzug gebracht werden. Die mysteriöse Feierlichkeit, worin er seine Worte einwickelte, ließ unterstellen, Paris werde in Belagerungszustand erklärt und zahlreiche und wichtige Verhaftungen, den Abend bewerkstelligt werden. Lamartine nahm das Wort, um zu erklären, er würde sich die Emeute Antlitz zu Antlitz gegenüberstellen; und wirklich stieg er um 6 Uhr zu Pferd und begab sich nach dem Quartier St. Antoine. Man verbreitete das Gerücht, mehre Mitglieder der Exekutivgewalt hätten ihre Entlassung gegeben. Die von Garnier Pages ausgesprochenen Worte ließen nicht darauf schließen. Die Nationalversammlung erklärte sich in Permanenz. - Der ausführliche Bericht über die Nationalversammlung vom 23. Juni wird unsern Lesern zeigen, daß die Scene der Deputirtenkammer vom 23. Februar nur mit neuergänztem Personal in der sogenannten Nationalversammlung aufgeführt wurde.

- 91/2 Uhr. Die Insurgenten, von allen Seiten in die Höhen der Faubourgs zurückgedrängt, verbreiten sich in die Banline. Man hört unterdeß noch eine lebhafte Füsillade im Faubourg St. Antoine. Trotz der Unterdrückung der Emeute in Paris hegt man ernsthafte Befürchtungen für die Nacht und den folgenden Tag. In Paris befindet sich eine große Anzahl von Regimentern; die Mehrzahl der nicht vollzähligen wird ergänzt werden.

- Cavaignac soll Präsident der Republik, Marrast Präsident des Ministeriums ohne Portefeuille werden. In dem letztern Gerücht zeigt sich augenscheinlich, daß die erbärmlichste und volksfeindlichste Partei der Parvenus des Februars nach der Unterdrückung der Emeute die Staatsmacht zu konfisziren gedenkt. Wir aber glauben, daß das Volk siegen wird. Eine Emeute, die zwei Tage dauert und mit Kartätschen zur Raison gebracht wird, ist jedesmal zu Paris der Sturz der bestehenden Gewalt. Würde das Volk geschlagen, sein Sieg wäre nur aufgeschoben, viel Heldenblut aber umsonst vergossen und eine kurze Orgie der europäischen Reaktion vorbereitet.

Paris, 22. Juni.

Großes Aufsehen erregt ein in vielen französischen Blättern abgedruckter Brief des Hr. von Boissy an den Minister der auswärtigen Angelegenheiten, Hrn. G. Bastide, der einige fast unglaubliche Details über die auswärtige Politik der Republick enthält.

Die dabei im Vordergrund stehenden Personen kommen nicht zum besten in dieser Schilderung fort und es ist wohl kaum zu verwundern, daß Hr. Perree der National-Versammlung bereits angezeigt hat, daß er auf Grund dieses Briefes einige Interpellationen an die Executiv-Gewalt richten werde.

Der Ex-Pair Boissy, nachdem er ein langes und breites darüber erzählt hat, wie ihn Lamartine gleich nach der Revolution zum Vertreter der Republik in Italien gemacht, wie er gern unter den damaligen Umständen einen solchen Posten angenommen, wie er sich aber heute habe zurückziehen müssen, da das Friedensmanifest des März zerrissen sei u. s. w. - Boissy führt nemlich wie folgt, wörtlich fort: "Was mich betrifft Herr Minister, so begreifen Sie, daß ich getrieben von dem Wunsche meinem Vaterlande nützlich zu sein, und überzeugt davon daß das Land mehr als je das uninteressirteste Devouement nöthig hatte, daß ich bei solchen Verhältnissen gern einen Posten übernehme, trotz dem daß es unter Ministern geschah, von denen einige durch ihre Unkenntniß der Geschäfte, durch ihre Unfähigkeit und ihre Gier für sich und die Ihrigen, durch einen Despotismus, der dem größesten Liberalismus unter der gefallenen Regierung auf dem Fuße folgte, Frankreich in wenigen Monaten so herunterbrachten, daß wir seufzen müssen, wenn wir dessen gedenken, was wir früher angriffen, daß wir an Frankreich verzweifeln müssen, dafern es noch länger unter den verschwenderischen, unordentlichen und unwürdigen Händen einiger schamlosen Menschen bleibt die es exploitiren und degradiren. Ja, Herr Minister, schamlose Menschen! Denn Sie wissen besser wie ich, daß wenn in der traurigen Namenliste jener Leute, welche im Auslande die Repräsentanten und die Schande Frankreichs sind, noch einer fehlte, daß dieser als würdige Vervollständigung jetzt in der Gestalt eines Souffleurs von einem kleinen Theater der Boulevards hinzugekommen ist, eines Menschen der Associe eines schimpflichen Hauses ist, welches das Schild eines Entbindungshauses trägt, ja, und daß dieser Mensch jetzt vielleicht als Bevollmächtigter bei einer ausländischen Macht accreditirt ist, als Repräsentant des edelsten, generösesten und gesittetsten Volkes der Erde!"

Dann auf die Folgen aufmerksam machend, welche das Regiment von Souffleuren, Musikanten und derlei Gesellen noch weiter für die Republik mit sich bringen werde, ruft der Ex- Pair aus: "- aber fast nie wird ein Gouvernement durch die Leute aufrecht erhalten, welche es bilden halfen; um ein neues Gouvernement zu erhalten muß man den Leuten von nach der Revolution die Leute von vor der Revolution hinzufügen." Doch der Ex-Pair wird gegen den Schluß seines Briefes immer deutlicher. "Wenn die jetzigen Leute, ruft er aus, noch lange am Ruder bleiben, so wird zwar Frankreich nicht, aber es wird die Republik zu Grunde gehen; Platz machen wird sie dem Despotismus des Säbels, unterstützt von der Erinnerung an einen während weniger Jahren

Extrabeilage zu Nr. 26 der Neuen Rheinischen Zeitung.
Deutschland.
* Köln, 25. Juni, Abends 10 Uhr.
Der Inhalt dieses Artikels kann aus urheberrechtlichen Gründen nicht angezeigt werden.
Französische Republik.
* Paris.

Der Zug welcher am 24. Morgens 9 Uhr von Paris nach Brüssel abgehen sollte, war um 12 Uhr Nachts noch nicht in Brüssel angekommen. Ein Extrazug von Amiens war angekommen, doch wußte man in dieser letzteren Stadt Nichts aus Paris. Der elektrische Telegraph war ebenfalls abgeschnitten.

Die Indépendance von Brüssel, das halboffizielle Journal der belgischen Regierung, hat jedoch „auf einem andern Wege“ einige „gewisse Nachrichten“ erhalten. Sie bestehen in Folgendem:

Am Abend des 23. ist es der Nationalgarde und der Linie nicht gelungen die Insurrektion zu unterdrücken. Die Insurgenten, in mehreren Stadtvierteln hinter Barrikaden verschanzt, haben ihre Stellung behauptet. General Cavaignac hat die Nacht benutzt um alle seine Kräfte aufzustellen und den nächsten Morgen den Kampf mit Macht zu beginnen. Während der Nacht fanden einzelne unbedeutende Zusammenstöße Statt. Flintenschüsse fielen fortwährend, doch erst gegen Morgen begann das Gewehrfeuer wieder mit bedeutender Lebhaftigkeit.

Der Charakter des Aufstandes hat sich jetzt ausgesprochen. Am Freitag (23) hatte man hier und da gerufen: Es lebe Napoleon, es lebe Heinrich V! Dies hat fast ganz aufgehört. Der Kampf ist am Samstag (24) Morgen im Namen der rothen Republik geführt worden. Die rothe Fahne wurde auf den Barrikaden aufgepflanzt.

Wie es scheint, hat ein kleiner Theil der Nationalgarde der Umgegend für die Insurgenten Partei ergriffen, namentlich die von Saint Denis. Schon bei der neulichen großen Arbeitereinstellung der Arbeiter an der Nordbahn hatte sich diese Nationalgarde auf Seite der Arbeiter geschlagen. Sie hatte am Freitag Abend um 10 Uhr schon Miene gemacht, die Abfahrt des von La Chapelle (Vorstadt von Paris, vor der Barrière Saint Denis) abgesandten Zuges zu verhindern. Sona[#] hat sie sich wahrscheinlich am Samstag Morgen, während die Truppen in der Stadt beschäftigt waren, der Station von La Chapelle vollständig bemächtigt und die Abfahrt des Zuges von Samstag Morgen verhindert.

In Lille, wo Alles ruhig war, und in Valenciennes war man ebenfalls ohne Nachrichten aus Paris.

In Brüssel liefen eine Menge Gerüchte. Die Mobilgarde sollte abgefallen sein. Die Regierung sollte eine ungeheure Artilleriemacht entwickelt haben. Andere sagten, um 11 Uhr Morgens sei die Insurrektion vollständig unterdrückt worden. Noch Andere wollen wissen, die Insurgenten seien aus Paris heraus in die Ebene von Saint Denis getrieben worden. Man sprach auch von der Befreiung von Barbès und Blanqui, von der Einäscherung der Nordstation u. s. w. Diese Gerüchte hält die Independence belge für wenig glaubwürdig.

Details über den 23. Juni. *

Der Aufstand ist ein reiner Arbeiter-Aufstand.

Der Inhalt dieses Artikels kann aus urheberrechtlichen Gründen nicht angezeigt werden.

‒ Als gegen Abend der General Cavaignac durch die Straßen ritt und die Truppen befehligte, waren Napoleon und Pierre Bonaparte zu Pferde an seiner Seite, um zu beweisen, daß ihre Familie bei dem Aufstande in keiner Weise betheiligt sei.

‒ Man spricht von einem ernsthaften Zwiespalt, der zwischen der Linie und der Mobilgarde in der Kaserne, Straße du Foin-Saint-Jacques ausgebrochen sein. Offiziere der Mobilgarde sollen Arbeiter in ziemlich großer Anzahl in die Kaserne gelassen haben, die die Garde aufforderten, mit ihnen zu fraternisiren. Ein Linienregiment kam gerade vorbei, und die Offiziere der beiden Korps sollen bis zu heftigen Worten und Drohungen gegen einander gekommen sein.

Sitzung der National-Versammlung vom 23. Juni.

‒ Die „Independance belge“ bringt uns die Sitzung der Nationalversammlung vom 23. Juni, die unsere Leser in der morgigen Nummer lesen werden. Die Versammlung beschloß die Tagesordnung gegen des General Lebretou Vorschlag, der verlangte, sie solle aus ihrem Schooß eine Kommission unter die Truppen schicken, die aktiven Theil an den Ereignissen nehme. Der Bericht der Kommission der Arbeiter über die Maßregeln zur sofortigen Auflösung der National-Aeteliers und die Diskussion über den Ankauf der Eisenbahnen durch den Staat nehmen den Haupttheil der Sitzung hinweg. Jeden Augenblick aber wird die Tagesordnung unterbrochen durch dem Präsidenten zugehende Berichte über die Tages - Ereignisse. Um 61/2 Uhr verkündet Cavaignac, dem der Oberbefehl aller in Paris vereinigten Truppenmacht übertragen worden, der Versammlung, daß man sich nur noch in den Straßen St. Antoine und St. Jacques schlage und er drückte die Hoffnung aus, daß die Emeute bald vollständig unterdrückt sein werde. Garnier Pagès stattet Bericht ab über die von der Exekutivkommission getroffenen Maßregeln und er kündet an, es würden noch energischere Dispositionen zum Vollzug gebracht werden. Die mysteriöse Feierlichkeit, worin er seine Worte einwickelte, ließ unterstellen, Paris werde in Belagerungszustand erklärt und zahlreiche und wichtige Verhaftungen, den Abend bewerkstelligt werden. Lamartine nahm das Wort, um zu erklären, er würde sich die Emeute Antlitz zu Antlitz gegenüberstellen; und wirklich stieg er um 6 Uhr zu Pferd und begab sich nach dem Quartier St. Antoine. Man verbreitete das Gerücht, mehre Mitglieder der Exekutivgewalt hätten ihre Entlassung gegeben. Die von Garnier Pagès ausgesprochenen Worte ließen nicht darauf schließen. Die Nationalversammlung erklärte sich in Permanenz. ‒ Der ausführliche Bericht über die Nationalversammlung vom 23. Juni wird unsern Lesern zeigen, daß die Scene der Deputirtenkammer vom 23. Februar nur mit neuergänztem Personal in der sogenannten Nationalversammlung aufgeführt wurde.

91/2 Uhr. Die Insurgenten, von allen Seiten in die Höhen der Faubourgs zurückgedrängt, verbreiten sich in die Banline. Man hört unterdeß noch eine lebhafte Füsillade im Faubourg St. Antoine. Trotz der Unterdrückung der Emeute in Paris hegt man ernsthafte Befürchtungen für die Nacht und den folgenden Tag. In Paris befindet sich eine große Anzahl von Regimentern; die Mehrzahl der nicht vollzähligen wird ergänzt werden.

Cavaignac soll Präsident der Republik, Marrast Präsident des Ministeriums ohne Portefeuille werden. In dem letztern Gerücht zeigt sich augenscheinlich, daß die erbärmlichste und volksfeindlichste Partei der Parvenus des Februars nach der Unterdrückung der Emeute die Staatsmacht zu konfisziren gedenkt. Wir aber glauben, daß das Volk siegen wird. Eine Emeute, die zwei Tage dauert und mit Kartätschen zur Raison gebracht wird, ist jedesmal zu Paris der Sturz der bestehenden Gewalt. Würde das Volk geschlagen, sein Sieg wäre nur aufgeschoben, viel Heldenblut aber umsonst vergossen und eine kurze Orgie der europäischen Reaktion vorbereitet.

Paris, 22. Juni.

Großes Aufsehen erregt ein in vielen französischen Blättern abgedruckter Brief des Hr. von Boissy an den Minister der auswärtigen Angelegenheiten, Hrn. G. Bastide, der einige fast unglaubliche Details über die auswärtige Politik der Republick enthält.

Die dabei im Vordergrund stehenden Personen kommen nicht zum besten in dieser Schilderung fort und es ist wohl kaum zu verwundern, daß Hr. Perrée der National-Versammlung bereits angezeigt hat, daß er auf Grund dieses Briefes einige Interpellationen an die Executiv-Gewalt richten werde.

Der Ex-Pair Boissy, nachdem er ein langes und breites darüber erzählt hat, wie ihn Lamartine gleich nach der Revolution zum Vertreter der Republik in Italien gemacht, wie er gern unter den damaligen Umständen einen solchen Posten angenommen, wie er sich aber heute habe zurückziehen müssen, da das Friedensmanifest des März zerrissen sei u. s. w. ‒ Boissy führt nemlich wie folgt, wörtlich fort: „Was mich betrifft Herr Minister, so begreifen Sie, daß ich getrieben von dem Wunsche meinem Vaterlande nützlich zu sein, und überzeugt davon daß das Land mehr als je das uninteressirteste Devouement nöthig hatte, daß ich bei solchen Verhältnissen gern einen Posten übernehme, trotz dem daß es unter Ministern geschah, von denen einige durch ihre Unkenntniß der Geschäfte, durch ihre Unfähigkeit und ihre Gier für sich und die Ihrigen, durch einen Despotismus, der dem größesten Liberalismus unter der gefallenen Regierung auf dem Fuße folgte, Frankreich in wenigen Monaten so herunterbrachten, daß wir seufzen müssen, wenn wir dessen gedenken, was wir früher angriffen, daß wir an Frankreich verzweifeln müssen, dafern es noch länger unter den verschwenderischen, unordentlichen und unwürdigen Händen einiger schamlosen Menschen bleibt die es exploitiren und degradiren. Ja, Herr Minister, schamlose Menschen! Denn Sie wissen besser wie ich, daß wenn in der traurigen Namenliste jener Leute, welche im Auslande die Repräsentanten und die Schande Frankreichs sind, noch einer fehlte, daß dieser als würdige Vervollständigung jetzt in der Gestalt eines Souffleurs von einem kleinen Theater der Boulevards hinzugekommen ist, eines Menschen der Associé eines schimpflichen Hauses ist, welches das Schild eines Entbindungshauses trägt, ja, und daß dieser Mensch jetzt vielleicht als Bevollmächtigter bei einer ausländischen Macht accreditirt ist, als Repräsentant des edelsten, generösesten und gesittetsten Volkes der Erde!“

Dann auf die Folgen aufmerksam machend, welche das Regiment von Souffleuren, Musikanten und derlei Gesellen noch weiter für die Republik mit sich bringen werde, ruft der Ex- Pair aus: „‒ aber fast nie wird ein Gouvernement durch die Leute aufrecht erhalten, welche es bilden halfen; um ein neues Gouvernement zu erhalten muß man den Leuten von nach der Revolution die Leute von vor der Revolution hinzufügen.“ Doch der Ex-Pair wird gegen den Schluß seines Briefes immer deutlicher. „Wenn die jetzigen Leute, ruft er aus, noch lange am Ruder bleiben, so wird zwar Frankreich nicht, aber es wird die Republik zu Grunde gehen; Platz machen wird sie dem Despotismus des Säbels, unterstützt von der Erinnerung an einen während weniger Jahren

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          <head>Sitzung der National-Versammlung vom 23. Juni.</head>
          <p>&#x2012; Die &#x201E;Independance belge&#x201C; bringt uns die Sitzung der Nationalversammlung vom                         23. Juni, die unsere Leser in der morgigen Nummer lesen werden. Die                         Versammlung beschloß die Tagesordnung gegen des General <hi rendition="#g">Lebretou</hi> Vorschlag, der verlangte, sie solle aus ihrem Schooß eine                         Kommission unter die Truppen schicken, die aktiven Theil an den Ereignissen                         nehme. Der Bericht der Kommission der Arbeiter über die Maßregeln zur <hi rendition="#g">sofortigen Auflösung der National-Aeteliers</hi> und die                         Diskussion über den <hi rendition="#g">Ankauf der Eisenbahnen durch den                             Staat</hi> nehmen den Haupttheil der Sitzung hinweg. Jeden Augenblick                         aber wird die Tagesordnung unterbrochen durch dem Präsidenten zugehende                         Berichte über die Tages - Ereignisse. Um 61/2 Uhr verkündet Cavaignac, dem                         der Oberbefehl aller in Paris vereinigten Truppenmacht übertragen worden,                         der Versammlung, daß man sich nur noch in den Straßen St. Antoine und St.                         Jacques schlage und er drückte die Hoffnung aus, daß die Emeute bald                         vollständig unterdrückt sein werde. Garnier Pagès stattet Bericht ab über                         die von der Exekutivkommission getroffenen Maßregeln und er kündet an, es                         würden noch energischere Dispositionen zum Vollzug gebracht werden. Die                         mysteriöse Feierlichkeit, worin er seine Worte einwickelte, ließ                         unterstellen, Paris werde in Belagerungszustand erklärt und zahlreiche und                         wichtige Verhaftungen, den Abend bewerkstelligt werden. <hi rendition="#g">Lamartine</hi> nahm das Wort, um zu erklären, er würde sich die Emeute                         Antlitz zu Antlitz gegenüberstellen; und wirklich stieg er um 6 Uhr zu Pferd                         und begab sich nach dem Quartier St. Antoine. Man verbreitete das Gerücht,                         mehre Mitglieder der Exekutivgewalt hätten ihre Entlassung gegeben. Die von                         Garnier Pagès ausgesprochenen Worte ließen nicht darauf schließen. <hi rendition="#g">Die Nationalversammlung erklärte sich in Permanenz.</hi> &#x2012; Der ausführliche Bericht über die Nationalversammlung vom 23. Juni wird                         unsern Lesern zeigen, daß die Scene der Deputirtenkammer vom 23. Februar nur                         mit neuergänztem Personal in der sogenannten Nationalversammlung aufgeführt                         wurde.</p>
          <p>&#x2012; <hi rendition="#g">91/2 Uhr.</hi> Die Insurgenten, von allen Seiten in die                         Höhen der Faubourgs zurückgedrängt, verbreiten sich in die Banline. Man hört                         unterdeß noch eine lebhafte Füsillade im Faubourg St. Antoine. Trotz der                         Unterdrückung der Emeute in Paris hegt man ernsthafte Befürchtungen für die                         Nacht und den folgenden Tag. In Paris befindet sich eine große Anzahl von                         Regimentern; die Mehrzahl der nicht vollzähligen wird ergänzt werden.</p>
          <p>&#x2012; <hi rendition="#g">Cavaignac</hi> soll Präsident der Republik, <hi rendition="#g">Marrast</hi> Präsident des Ministeriums ohne Portefeuille                         werden. In dem letztern Gerücht zeigt sich augenscheinlich, daß die                         erbärmlichste und volksfeindlichste Partei der <hi rendition="#g">Parvenus                             des Februars</hi> nach der Unterdrückung der Emeute die Staatsmacht zu                         konfisziren gedenkt. <hi rendition="#g">Wir aber glauben, daß das Volk                             siegen wird.</hi> Eine Emeute, die zwei Tage dauert und mit Kartätschen                         zur Raison gebracht wird, ist jedesmal zu Paris <hi rendition="#g">der Sturz                             der bestehenden Gewalt.</hi> Würde das Volk <hi rendition="#g">geschlagen, sein Sieg wäre nur aufgeschoben, viel Heldenblut aber                             umsonst vergossen und eine kurze Orgie der europäischen Reaktion                             vorbereitet.</hi> </p>
        </div>
        <div xml:id="ar026b_006" type="jArticle">
          <head>Paris, 22. Juni.</head>
          <p>Großes Aufsehen erregt ein in vielen französischen Blättern abgedruckter                         Brief des Hr. von Boissy an den Minister der auswärtigen Angelegenheiten,                         Hrn. G. Bastide, der einige fast unglaubliche Details über die auswärtige                         Politik der Republick enthält.</p>
          <p>Die dabei im Vordergrund stehenden Personen kommen nicht zum besten in dieser                         Schilderung fort und es ist wohl kaum zu verwundern, daß Hr. Perrée der                         National-Versammlung bereits angezeigt hat, daß er auf Grund dieses Briefes                         einige Interpellationen an die Executiv-Gewalt richten werde.</p>
          <p>Der Ex-Pair Boissy, nachdem er ein langes und breites darüber erzählt hat,                         wie ihn Lamartine gleich nach der Revolution zum Vertreter der Republik in                         Italien gemacht, wie er gern unter den damaligen Umständen einen solchen                         Posten angenommen, wie er sich aber heute habe zurückziehen müssen, da das                         Friedensmanifest des März zerrissen sei u. s. w. &#x2012; Boissy führt nemlich wie                         folgt, wörtlich fort: &#x201E;Was mich betrifft Herr Minister, so begreifen Sie,                         daß ich getrieben von dem Wunsche meinem Vaterlande nützlich zu sein, und                         überzeugt davon daß das Land mehr als je das uninteressirteste Devouement                         nöthig hatte, daß ich bei solchen Verhältnissen gern einen Posten übernehme,                         trotz dem daß es unter Ministern geschah, von denen einige durch ihre                         Unkenntniß der Geschäfte, durch ihre Unfähigkeit und ihre Gier für sich und                         die Ihrigen, durch einen Despotismus, der dem größesten Liberalismus unter                         der gefallenen Regierung auf dem Fuße folgte, Frankreich in wenigen Monaten                         so herunterbrachten, daß wir seufzen müssen, wenn wir dessen gedenken, was                         wir früher angriffen, daß wir an Frankreich verzweifeln müssen, dafern es                         noch länger unter den verschwenderischen, unordentlichen und unwürdigen                         Händen einiger schamlosen Menschen bleibt die es exploitiren und degradiren.                         Ja, Herr Minister, schamlose Menschen! Denn Sie wissen besser wie ich, daß                         wenn in der traurigen Namenliste jener Leute, welche im Auslande die                         Repräsentanten und die Schande Frankreichs sind, noch einer fehlte, daß                         dieser als würdige Vervollständigung jetzt in der Gestalt eines Souffleurs                         von einem kleinen Theater der Boulevards hinzugekommen ist, eines Menschen                         der Associé eines schimpflichen Hauses ist, welches das Schild eines                         Entbindungshauses trägt, ja, und daß dieser Mensch jetzt vielleicht als                         Bevollmächtigter bei einer ausländischen Macht accreditirt ist, als                         Repräsentant des edelsten, generösesten und gesittetsten Volkes der                         Erde!&#x201C;</p>
          <p>Dann auf die Folgen aufmerksam machend, welche das Regiment von Souffleuren,                         Musikanten und derlei Gesellen noch weiter für die Republik mit sich bringen                         werde, ruft der Ex- Pair aus: &#x201E;&#x2012; aber fast nie wird ein Gouvernement durch                         die Leute aufrecht erhalten, welche es bilden halfen; um ein neues                         Gouvernement zu erhalten muß man den Leuten von nach der Revolution die                         Leute von vor der Revolution hinzufügen.&#x201C; Doch der Ex-Pair wird gegen den                         Schluß seines Briefes immer deutlicher. &#x201E;Wenn die jetzigen Leute, ruft er                         aus, noch lange am Ruder bleiben, so wird zwar Frankreich nicht, aber es                         wird die Republik zu Grunde gehen; Platz machen wird sie dem Despotismus des                         Säbels, unterstützt von der Erinnerung an einen während weniger Jahren
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
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</TEI>
[0123/0001] Extrabeilage zu Nr. 26 der Neuen Rheinischen Zeitung. Deutschland. * Köln, 25. Juni, Abends 10 Uhr. _ Französische Republik. * Paris. Der Zug welcher am 24. Morgens 9 Uhr von Paris nach Brüssel abgehen sollte, war um 12 Uhr Nachts noch nicht in Brüssel angekommen. Ein Extrazug von Amiens war angekommen, doch wußte man in dieser letzteren Stadt Nichts aus Paris. Der elektrische Telegraph war ebenfalls abgeschnitten. Die Indépendance von Brüssel, das halboffizielle Journal der belgischen Regierung, hat jedoch „auf einem andern Wege“ einige „gewisse Nachrichten“ erhalten. Sie bestehen in Folgendem: Am Abend des 23. ist es der Nationalgarde und der Linie nicht gelungen die Insurrektion zu unterdrücken. Die Insurgenten, in mehreren Stadtvierteln hinter Barrikaden verschanzt, haben ihre Stellung behauptet. General Cavaignac hat die Nacht benutzt um alle seine Kräfte aufzustellen und den nächsten Morgen den Kampf mit Macht zu beginnen. Während der Nacht fanden einzelne unbedeutende Zusammenstöße Statt. Flintenschüsse fielen fortwährend, doch erst gegen Morgen begann das Gewehrfeuer wieder mit bedeutender Lebhaftigkeit. Der Charakter des Aufstandes hat sich jetzt ausgesprochen. Am Freitag (23) hatte man hier und da gerufen: Es lebe Napoleon, es lebe Heinrich V! Dies hat fast ganz aufgehört. Der Kampf ist am Samstag (24) Morgen im Namen der rothen Republik geführt worden. Die rothe Fahne wurde auf den Barrikaden aufgepflanzt. Wie es scheint, hat ein kleiner Theil der Nationalgarde der Umgegend für die Insurgenten Partei ergriffen, namentlich die von Saint Denis. Schon bei der neulichen großen Arbeitereinstellung der Arbeiter an der Nordbahn hatte sich diese Nationalgarde auf Seite der Arbeiter geschlagen. Sie hatte am Freitag Abend um 10 Uhr schon Miene gemacht, die Abfahrt des von La Chapelle (Vorstadt von Paris, vor der Barrière Saint Denis) abgesandten Zuges zu verhindern. Sona[#] hat sie sich wahrscheinlich am Samstag Morgen, während die Truppen in der Stadt beschäftigt waren, der Station von La Chapelle vollständig bemächtigt und die Abfahrt des Zuges von Samstag Morgen verhindert. In Lille, wo Alles ruhig war, und in Valenciennes war man ebenfalls ohne Nachrichten aus Paris. In Brüssel liefen eine Menge Gerüchte. Die Mobilgarde sollte abgefallen sein. Die Regierung sollte eine ungeheure Artilleriemacht entwickelt haben. Andere sagten, um 11 Uhr Morgens sei die Insurrektion vollständig unterdrückt worden. Noch Andere wollen wissen, die Insurgenten seien aus Paris heraus in die Ebene von Saint Denis getrieben worden. Man sprach auch von der Befreiung von Barbès und Blanqui, von der Einäscherung der Nordstation u. s. w. Diese Gerüchte hält die Independence belge für wenig glaubwürdig. Details über den 23. Juni. * Der Aufstand ist ein reiner Arbeiter-Aufstand. _ ‒ Als gegen Abend der General Cavaignac durch die Straßen ritt und die Truppen befehligte, waren Napoleon und Pierre Bonaparte zu Pferde an seiner Seite, um zu beweisen, daß ihre Familie bei dem Aufstande in keiner Weise betheiligt sei. ‒ Man spricht von einem ernsthaften Zwiespalt, der zwischen der Linie und der Mobilgarde in der Kaserne, Straße du Foin-Saint-Jacques ausgebrochen sein. Offiziere der Mobilgarde sollen Arbeiter in ziemlich großer Anzahl in die Kaserne gelassen haben, die die Garde aufforderten, mit ihnen zu fraternisiren. Ein Linienregiment kam gerade vorbei, und die Offiziere der beiden Korps sollen bis zu heftigen Worten und Drohungen gegen einander gekommen sein. Sitzung der National-Versammlung vom 23. Juni. ‒ Die „Independance belge“ bringt uns die Sitzung der Nationalversammlung vom 23. Juni, die unsere Leser in der morgigen Nummer lesen werden. Die Versammlung beschloß die Tagesordnung gegen des General Lebretou Vorschlag, der verlangte, sie solle aus ihrem Schooß eine Kommission unter die Truppen schicken, die aktiven Theil an den Ereignissen nehme. Der Bericht der Kommission der Arbeiter über die Maßregeln zur sofortigen Auflösung der National-Aeteliers und die Diskussion über den Ankauf der Eisenbahnen durch den Staat nehmen den Haupttheil der Sitzung hinweg. Jeden Augenblick aber wird die Tagesordnung unterbrochen durch dem Präsidenten zugehende Berichte über die Tages - Ereignisse. Um 61/2 Uhr verkündet Cavaignac, dem der Oberbefehl aller in Paris vereinigten Truppenmacht übertragen worden, der Versammlung, daß man sich nur noch in den Straßen St. Antoine und St. Jacques schlage und er drückte die Hoffnung aus, daß die Emeute bald vollständig unterdrückt sein werde. Garnier Pagès stattet Bericht ab über die von der Exekutivkommission getroffenen Maßregeln und er kündet an, es würden noch energischere Dispositionen zum Vollzug gebracht werden. Die mysteriöse Feierlichkeit, worin er seine Worte einwickelte, ließ unterstellen, Paris werde in Belagerungszustand erklärt und zahlreiche und wichtige Verhaftungen, den Abend bewerkstelligt werden. Lamartine nahm das Wort, um zu erklären, er würde sich die Emeute Antlitz zu Antlitz gegenüberstellen; und wirklich stieg er um 6 Uhr zu Pferd und begab sich nach dem Quartier St. Antoine. Man verbreitete das Gerücht, mehre Mitglieder der Exekutivgewalt hätten ihre Entlassung gegeben. Die von Garnier Pagès ausgesprochenen Worte ließen nicht darauf schließen. Die Nationalversammlung erklärte sich in Permanenz. ‒ Der ausführliche Bericht über die Nationalversammlung vom 23. Juni wird unsern Lesern zeigen, daß die Scene der Deputirtenkammer vom 23. Februar nur mit neuergänztem Personal in der sogenannten Nationalversammlung aufgeführt wurde. ‒ 91/2 Uhr. Die Insurgenten, von allen Seiten in die Höhen der Faubourgs zurückgedrängt, verbreiten sich in die Banline. Man hört unterdeß noch eine lebhafte Füsillade im Faubourg St. Antoine. Trotz der Unterdrückung der Emeute in Paris hegt man ernsthafte Befürchtungen für die Nacht und den folgenden Tag. In Paris befindet sich eine große Anzahl von Regimentern; die Mehrzahl der nicht vollzähligen wird ergänzt werden. ‒ Cavaignac soll Präsident der Republik, Marrast Präsident des Ministeriums ohne Portefeuille werden. In dem letztern Gerücht zeigt sich augenscheinlich, daß die erbärmlichste und volksfeindlichste Partei der Parvenus des Februars nach der Unterdrückung der Emeute die Staatsmacht zu konfisziren gedenkt. Wir aber glauben, daß das Volk siegen wird. Eine Emeute, die zwei Tage dauert und mit Kartätschen zur Raison gebracht wird, ist jedesmal zu Paris der Sturz der bestehenden Gewalt. Würde das Volk geschlagen, sein Sieg wäre nur aufgeschoben, viel Heldenblut aber umsonst vergossen und eine kurze Orgie der europäischen Reaktion vorbereitet. Paris, 22. Juni. Großes Aufsehen erregt ein in vielen französischen Blättern abgedruckter Brief des Hr. von Boissy an den Minister der auswärtigen Angelegenheiten, Hrn. G. Bastide, der einige fast unglaubliche Details über die auswärtige Politik der Republick enthält. Die dabei im Vordergrund stehenden Personen kommen nicht zum besten in dieser Schilderung fort und es ist wohl kaum zu verwundern, daß Hr. Perrée der National-Versammlung bereits angezeigt hat, daß er auf Grund dieses Briefes einige Interpellationen an die Executiv-Gewalt richten werde. Der Ex-Pair Boissy, nachdem er ein langes und breites darüber erzählt hat, wie ihn Lamartine gleich nach der Revolution zum Vertreter der Republik in Italien gemacht, wie er gern unter den damaligen Umständen einen solchen Posten angenommen, wie er sich aber heute habe zurückziehen müssen, da das Friedensmanifest des März zerrissen sei u. s. w. ‒ Boissy führt nemlich wie folgt, wörtlich fort: „Was mich betrifft Herr Minister, so begreifen Sie, daß ich getrieben von dem Wunsche meinem Vaterlande nützlich zu sein, und überzeugt davon daß das Land mehr als je das uninteressirteste Devouement nöthig hatte, daß ich bei solchen Verhältnissen gern einen Posten übernehme, trotz dem daß es unter Ministern geschah, von denen einige durch ihre Unkenntniß der Geschäfte, durch ihre Unfähigkeit und ihre Gier für sich und die Ihrigen, durch einen Despotismus, der dem größesten Liberalismus unter der gefallenen Regierung auf dem Fuße folgte, Frankreich in wenigen Monaten so herunterbrachten, daß wir seufzen müssen, wenn wir dessen gedenken, was wir früher angriffen, daß wir an Frankreich verzweifeln müssen, dafern es noch länger unter den verschwenderischen, unordentlichen und unwürdigen Händen einiger schamlosen Menschen bleibt die es exploitiren und degradiren. Ja, Herr Minister, schamlose Menschen! Denn Sie wissen besser wie ich, daß wenn in der traurigen Namenliste jener Leute, welche im Auslande die Repräsentanten und die Schande Frankreichs sind, noch einer fehlte, daß dieser als würdige Vervollständigung jetzt in der Gestalt eines Souffleurs von einem kleinen Theater der Boulevards hinzugekommen ist, eines Menschen der Associé eines schimpflichen Hauses ist, welches das Schild eines Entbindungshauses trägt, ja, und daß dieser Mensch jetzt vielleicht als Bevollmächtigter bei einer ausländischen Macht accreditirt ist, als Repräsentant des edelsten, generösesten und gesittetsten Volkes der Erde!“ Dann auf die Folgen aufmerksam machend, welche das Regiment von Souffleuren, Musikanten und derlei Gesellen noch weiter für die Republik mit sich bringen werde, ruft der Ex- Pair aus: „‒ aber fast nie wird ein Gouvernement durch die Leute aufrecht erhalten, welche es bilden halfen; um ein neues Gouvernement zu erhalten muß man den Leuten von nach der Revolution die Leute von vor der Revolution hinzufügen.“ Doch der Ex-Pair wird gegen den Schluß seines Briefes immer deutlicher. „Wenn die jetzigen Leute, ruft er aus, noch lange am Ruder bleiben, so wird zwar Frankreich nicht, aber es wird die Republik zu Grunde gehen; Platz machen wird sie dem Despotismus des Säbels, unterstützt von der Erinnerung an einen während weniger Jahren

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Marx-Engels-Gesamtausgabe: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-20T13:08:10Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jürgen Herres: Konvertierung TUSTEP nach XML (2017-03-20T13:08:10Z)
Maria Ermakova, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Frank Wiegand: Konvertierung XML nach DTA-Basisformat (2017-03-20T13:08:10Z)

Weitere Informationen:

Die angegebenen Seitenzahlen beziehen sich auf die Ausgabe: Neue Rheinische Zeitung. Organ der Demokratie. Bd. 1 (Nummer 1 bis Nummer 183) Köln, 1. Juni 1848 bis 31. Dezember 1848. Glashütten im Taunus, Verlag Detlev Auvermann KG 1973.




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Zitationshilfe: Neue Rheinische Zeitung. Nr. 26. Köln, 26. Juni 1848. Beilage, S. 0123. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_nrhz026b_1848/1>, abgerufen am 28.03.2024.