Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[N. N.]: Das Proletariat, der Vorkämpfer für Frauenrecht. In: Frauenwahlrecht! Hrsg. zum Ersten Sozialdemokratischen Frauentag von Clara Zetkin. 19. März 1911, S. 3–4.

Bild:
erste Seite
Frauenwahlrecht
[Beginn Spaltensatz][irrelevantes Material - 61 Zeilen fehlen]
Das Proletariat,
der Vorkämpfer für Frauenrecht.

Vom sozialdemokratischen Frauentag erschallt ein starker Ruf.
Er bringt den Frauen, deren Sehnsucht nach freiem Menschen-
tum wach geworden ist, die hoffnungsfrohe Zuversicht: ihr seid
im Ringen für euer Recht nicht allein! Hinter eurer Forderung
steht jederzeit die stärkste Macht unserer Tage und vor allem
der Zukunft: Das klassenbewußt kämpfende Proletariat, wie es[Spaltenumbruch] durch die Sozialdemokratie mit ihren drei Millionen Wählern
und durch die freien Gewerkschaften mit ihren zwei Millionen
Mitgliedern vertreten wird. Dieses stolze Heer muß dem Be-
gehren nach der politischen Gleichberechtigung des weiblichen
Geschlechts - als einer entscheidenden Etappe zum Ziel seiner
vollen menschlichen Emanzipation - ein treuer und zuverlässiger
Kämpfer bleiben. Die geschichtlichen Notwendigkeiten des prole-
tarischen Befreiungskampfes selbst sind es, die Sozialdemokratie
und Gewerkschaften auch zu Streitern für volles politisches
Frauenrecht erheben.

Jnmitten einer Gesellschaftsordnung, deren Wesen die ge-
setzlich geheiligte Ausbeutung der vielen durch wenige ist, wo
jeder Zollbreit Boden starrt von blutigem Unrecht, das sich als
Recht spreizt, muß das kämpfende Proletariat hungern und
dürsten nach sozialer Gerechtigkeit im höchsten Sinn des Wortes.
Die zahllosen Leiden, welche die Klassenherrschaft der Besitzenden
ihm schlägt, halten sein Mitgefühl für alle Unterdrückten und
Unfreien lebendig und rein. Sein Gerechtigkeitssinn läßt sich
nicht durch das Vorurteil der einen Hälfte
der Gesellschaftsglieder gegen die andere
täuschen. Das Recht, das es für sich be-
gehrt, ist losgelöst von jedem sozialen Be-
sitztitel, den die Vergangenheit geschaffen
und geweiht hat. Es ist Menschenrecht, das
Recht der Persönlichkeit als Anerkennung
ihres Wertes für die Gesamtheit. Was
aber das klassenbewußte Proletariat für
sich selbst heischt, das kann es anderen
Rechtlosen nicht verweigern. So gewinnt
der Kampf für sein eigenes Menschenrecht
die weitesten und erhabensten Horizonte:
er wird zum Ringen um Menschheitsrecht.
Um der Gerechtigkeit willen ist der Kampf
des weiblichen Geschlechts auch der seine.

Der Kultur wegen auch! Mit einem
verächtlichen Lächeln schüttelt das kämp-
fende Proletariat das Gerede von der
Minderwertigkeit und Unreife des Weibes
ab, das die Rechtsforderung entkräften
soll. Hat es nicht dasselbe Geschrei auch
gegen sein eigenes glühendes Begehren
gehört, gleichberechtigt auf allen Gebieten
des Gemeinlebens mitzuwirken? Folianten
sind geschrieben worden, um wissenschaft-
lich darzutun, daß die "königlichen Kauf-
leute" und die "genialen Hauptleute der Jndustrie" eine be-
vorzugte Rasse seien, durch der Natur hartes, aber wohltätiges
Gebot selbst zum Herrschen und Ausbeuten über die gesetzt,
welche die Schwäche ihrer Gaben in die sozialen Niederungen
bannt. Das Proletariat hat solcher Behauptungen ungeachtet
kühn sein Haupt erhoben. Es hat gewollt! Und siehe, trotz seiner
Armut und seiner politischen Ketten hat es die bedeutsamsten
Schöpfungen unserer Tage in die Geschichte gestellt: seine Or-
ganisationen, die vornehmsten Träger der zeitgenössischen Massen-
kultur. Jn den Wettern und Flammen seiner Kämpfe ist ein
unübersehbarer Reichtum wirkender Kräfte emporgesproßt, sind
ihm aus den eigenen Reihen Bahnbrecher und Führer erstanden.
Und diese Klasse könnte an die ewig unabänderliche "Gnaden-
wahl" der einen Menschheitshälfte glauben? Nein und tausend
mal nein! Das kämpfende Proletariat kann die Maßstäbe nicht
gelten lassen, die das eine bevorrechtete Geschlecht an das andere,
bevormundete anlegt. Es wertet die Geschlechter und ihre
Leistungen nach ihrer besonderen Eigenart. Es weiß, daß das
Weib seines eigenen Wesens Werte in seine Arbeit legen wird,
so daß Männer- und Frauenwert, einander ergänzend, sich zu
Menschenwerk zusammenfügen. Frauenrecht besagt auch für die
Gesetzgebung und Verwaltung: Bereicherung der Gesamtheit. Das
klassenbewußte Proletariat empfindet den Stolz und die Würde,
seine Fahnen dem Fortschritt, der Kultur voranfliegen zu lassen.

Dem Siege entgegen! Dem kämpfenden Proletariat hat die
Geschichtsauffassung des Sozialismus das Auge geöffnet für
die gesellschaftlichen Triebkräfte, die unaufhaltsam das Leben

Frauenwahlrecht
[Beginn Spaltensatz][irrelevantes Material – 61 Zeilen fehlen]
Das Proletariat,
der Vorkämpfer für Frauenrecht.

Vom sozialdemokratischen Frauentag erschallt ein starker Ruf.
Er bringt den Frauen, deren Sehnsucht nach freiem Menschen-
tum wach geworden ist, die hoffnungsfrohe Zuversicht: ihr seid
im Ringen für euer Recht nicht allein! Hinter eurer Forderung
steht jederzeit die stärkste Macht unserer Tage und vor allem
der Zukunft: Das klassenbewußt kämpfende Proletariat, wie es[Spaltenumbruch] durch die Sozialdemokratie mit ihren drei Millionen Wählern
und durch die freien Gewerkschaften mit ihren zwei Millionen
Mitgliedern vertreten wird. Dieses stolze Heer muß dem Be-
gehren nach der politischen Gleichberechtigung des weiblichen
Geschlechts – als einer entscheidenden Etappe zum Ziel seiner
vollen menschlichen Emanzipation – ein treuer und zuverlässiger
Kämpfer bleiben. Die geschichtlichen Notwendigkeiten des prole-
tarischen Befreiungskampfes selbst sind es, die Sozialdemokratie
und Gewerkschaften auch zu Streitern für volles politisches
Frauenrecht erheben.

Jnmitten einer Gesellschaftsordnung, deren Wesen die ge-
setzlich geheiligte Ausbeutung der vielen durch wenige ist, wo
jeder Zollbreit Boden starrt von blutigem Unrecht, das sich als
Recht spreizt, muß das kämpfende Proletariat hungern und
dürsten nach sozialer Gerechtigkeit im höchsten Sinn des Wortes.
Die zahllosen Leiden, welche die Klassenherrschaft der Besitzenden
ihm schlägt, halten sein Mitgefühl für alle Unterdrückten und
Unfreien lebendig und rein. Sein Gerechtigkeitssinn läßt sich
nicht durch das Vorurteil der einen Hälfte
der Gesellschaftsglieder gegen die andere
täuschen. Das Recht, das es für sich be-
gehrt, ist losgelöst von jedem sozialen Be-
sitztitel, den die Vergangenheit geschaffen
und geweiht hat. Es ist Menschenrecht, das
Recht der Persönlichkeit als Anerkennung
ihres Wertes für die Gesamtheit. Was
aber das klassenbewußte Proletariat für
sich selbst heischt, das kann es anderen
Rechtlosen nicht verweigern. So gewinnt
der Kampf für sein eigenes Menschenrecht
die weitesten und erhabensten Horizonte:
er wird zum Ringen um Menschheitsrecht.
Um der Gerechtigkeit willen ist der Kampf
des weiblichen Geschlechts auch der seine.

Der Kultur wegen auch! Mit einem
verächtlichen Lächeln schüttelt das kämp-
fende Proletariat das Gerede von der
Minderwertigkeit und Unreife des Weibes
ab, das die Rechtsforderung entkräften
soll. Hat es nicht dasselbe Geschrei auch
gegen sein eigenes glühendes Begehren
gehört, gleichberechtigt auf allen Gebieten
des Gemeinlebens mitzuwirken? Folianten
sind geschrieben worden, um wissenschaft-
lich darzutun, daß die „königlichen Kauf-
leute“ und die „genialen Hauptleute der Jndustrie“ eine be-
vorzugte Rasse seien, durch der Natur hartes, aber wohltätiges
Gebot selbst zum Herrschen und Ausbeuten über die gesetzt,
welche die Schwäche ihrer Gaben in die sozialen Niederungen
bannt. Das Proletariat hat solcher Behauptungen ungeachtet
kühn sein Haupt erhoben. Es hat gewollt! Und siehe, trotz seiner
Armut und seiner politischen Ketten hat es die bedeutsamsten
Schöpfungen unserer Tage in die Geschichte gestellt: seine Or-
ganisationen, die vornehmsten Träger der zeitgenössischen Massen-
kultur. Jn den Wettern und Flammen seiner Kämpfe ist ein
unübersehbarer Reichtum wirkender Kräfte emporgesproßt, sind
ihm aus den eigenen Reihen Bahnbrecher und Führer erstanden.
Und diese Klasse könnte an die ewig unabänderliche „Gnaden-
wahl“ der einen Menschheitshälfte glauben? Nein und tausend
mal nein! Das kämpfende Proletariat kann die Maßstäbe nicht
gelten lassen, die das eine bevorrechtete Geschlecht an das andere,
bevormundete anlegt. Es wertet die Geschlechter und ihre
Leistungen nach ihrer besonderen Eigenart. Es weiß, daß das
Weib seines eigenen Wesens Werte in seine Arbeit legen wird,
so daß Männer- und Frauenwert, einander ergänzend, sich zu
Menschenwerk zusammenfügen. Frauenrecht besagt auch für die
Gesetzgebung und Verwaltung: Bereicherung der Gesamtheit. Das
klassenbewußte Proletariat empfindet den Stolz und die Würde,
seine Fahnen dem Fortschritt, der Kultur voranfliegen zu lassen.

Dem Siege entgegen! Dem kämpfenden Proletariat hat die
Geschichtsauffassung des Sozialismus das Auge geöffnet für
die gesellschaftlichen Triebkräfte, die unaufhaltsam das Leben

<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0001" n="3"/>
      <fw place="top" type="header">Frauenwahlrecht</fw><lb/>
      <cb type="start"/>
      <gap reason="insignificant" unit="lines" quantity="61"/><lb/>
      <div n="1">
        <head>             Das Proletariat,<lb/>
der Vorkämpfer für Frauenrecht.</head><lb/>
        <p>Vom sozialdemokratischen Frauentag erschallt ein starker Ruf.<lb/>
Er bringt den Frauen, deren Sehnsucht nach freiem Menschen-<lb/>
tum wach geworden ist, die hoffnungsfrohe Zuversicht: ihr seid<lb/>
im Ringen für euer <hi rendition="#g">Recht</hi> nicht allein! Hinter eurer Forderung<lb/>
steht jederzeit die stärkste Macht unserer Tage und vor allem<lb/>
der Zukunft: Das klassenbewußt kämpfende Proletariat, wie es<cb/>
durch die Sozialdemokratie mit ihren drei Millionen Wählern<lb/>
und durch die freien Gewerkschaften mit ihren zwei Millionen<lb/>
Mitgliedern vertreten wird. Dieses stolze Heer muß dem Be-<lb/>
gehren nach der politischen Gleichberechtigung des weiblichen<lb/>
Geschlechts &#x2013; als einer entscheidenden Etappe zum Ziel seiner<lb/>
vollen menschlichen Emanzipation &#x2013; ein treuer und zuverlässiger<lb/>
Kämpfer bleiben. Die geschichtlichen Notwendigkeiten des prole-<lb/>
tarischen Befreiungskampfes selbst sind es, die Sozialdemokratie<lb/>
und Gewerkschaften auch zu Streitern für volles politisches<lb/>
Frauenrecht erheben.</p><lb/>
        <p>Jnmitten einer Gesellschaftsordnung, deren Wesen die ge-<lb/>
setzlich geheiligte Ausbeutung der vielen durch wenige ist, wo<lb/>
jeder Zollbreit Boden starrt von blutigem Unrecht, das sich als<lb/>
Recht spreizt, muß das kämpfende Proletariat hungern und<lb/>
dürsten nach sozialer Gerechtigkeit im höchsten Sinn des Wortes.<lb/>
Die zahllosen Leiden, welche die Klassenherrschaft der Besitzenden<lb/>
ihm schlägt, halten sein Mitgefühl für alle Unterdrückten und<lb/>
Unfreien lebendig und rein. Sein Gerechtigkeitssinn läßt sich<lb/>
nicht durch das Vorurteil der einen Hälfte<lb/>
der Gesellschaftsglieder gegen die andere<lb/>
täuschen. Das Recht, das es für sich be-<lb/>
gehrt, ist losgelöst von jedem sozialen Be-<lb/>
sitztitel, den die Vergangenheit geschaffen<lb/>
und geweiht hat. Es ist Menschenrecht, das<lb/>
Recht der Persönlichkeit als Anerkennung<lb/>
ihres Wertes für die Gesamtheit. Was<lb/>
aber das klassenbewußte Proletariat für<lb/>
sich selbst heischt, das kann es anderen<lb/>
Rechtlosen nicht verweigern. So gewinnt<lb/>
der Kampf für sein eigenes Menschenrecht<lb/>
die weitesten und erhabensten Horizonte:<lb/>
er wird zum Ringen um Menschheitsrecht.<lb/>
Um der Gerechtigkeit willen ist der Kampf<lb/>
des weiblichen Geschlechts auch der seine.</p><lb/>
        <p>Der Kultur wegen auch! Mit einem<lb/>
verächtlichen Lächeln schüttelt das kämp-<lb/>
fende Proletariat das Gerede von der<lb/>
Minderwertigkeit und Unreife des Weibes<lb/>
ab, das die Rechtsforderung entkräften<lb/>
soll. Hat es nicht dasselbe Geschrei auch<lb/>
gegen sein eigenes glühendes Begehren<lb/>
gehört, gleichberechtigt auf allen Gebieten<lb/>
des Gemeinlebens mitzuwirken? Folianten<lb/>
sind geschrieben worden, um wissenschaft-<lb/>
lich darzutun, daß die &#x201E;königlichen Kauf-<lb/>
leute&#x201C; und die &#x201E;genialen Hauptleute der Jndustrie&#x201C; eine be-<lb/>
vorzugte Rasse seien, durch der Natur hartes, aber wohltätiges<lb/>
Gebot selbst zum Herrschen und Ausbeuten über die gesetzt,<lb/>
welche die Schwäche ihrer Gaben in die sozialen Niederungen<lb/>
bannt. Das Proletariat hat solcher Behauptungen ungeachtet<lb/>
kühn sein Haupt erhoben. Es hat gewollt! Und siehe, trotz seiner<lb/>
Armut und seiner politischen Ketten hat es die bedeutsamsten<lb/>
Schöpfungen unserer Tage in die Geschichte gestellt: seine Or-<lb/>
ganisationen, die vornehmsten Träger der zeitgenössischen Massen-<lb/>
kultur. Jn den Wettern und Flammen seiner Kämpfe ist ein<lb/>
unübersehbarer Reichtum wirkender Kräfte emporgesproßt, sind<lb/>
ihm aus den eigenen Reihen Bahnbrecher und Führer erstanden.<lb/>
Und diese Klasse könnte an die ewig unabänderliche &#x201E;Gnaden-<lb/>
wahl&#x201C; der einen Menschheitshälfte glauben? Nein und tausend<lb/>
mal nein! Das kämpfende Proletariat kann die Maßstäbe nicht<lb/>
gelten lassen, die das eine bevorrechtete Geschlecht an das andere,<lb/>
bevormundete anlegt. Es wertet die Geschlechter und ihre<lb/>
Leistungen nach ihrer besonderen Eigenart. Es weiß, daß das<lb/>
Weib seines eigenen Wesens Werte in seine Arbeit legen wird,<lb/>
so daß Männer- und Frauenwert, einander ergänzend, sich zu<lb/>
Menschenwerk zusammenfügen. Frauenrecht besagt auch für die<lb/>
Gesetzgebung und Verwaltung: Bereicherung der Gesamtheit. Das<lb/>
klassenbewußte Proletariat empfindet den Stolz und die Würde,<lb/>
seine Fahnen dem Fortschritt, der Kultur voranfliegen zu lassen.</p><lb/>
        <p>Dem Siege entgegen! Dem kämpfenden Proletariat hat die<lb/>
Geschichtsauffassung des Sozialismus das Auge geöffnet für<lb/>
die gesellschaftlichen Triebkräfte, die unaufhaltsam das Leben<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[3/0001] Frauenwahlrecht _____________________________________________________________ Das Proletariat, der Vorkämpfer für Frauenrecht. Vom sozialdemokratischen Frauentag erschallt ein starker Ruf. Er bringt den Frauen, deren Sehnsucht nach freiem Menschen- tum wach geworden ist, die hoffnungsfrohe Zuversicht: ihr seid im Ringen für euer Recht nicht allein! Hinter eurer Forderung steht jederzeit die stärkste Macht unserer Tage und vor allem der Zukunft: Das klassenbewußt kämpfende Proletariat, wie es durch die Sozialdemokratie mit ihren drei Millionen Wählern und durch die freien Gewerkschaften mit ihren zwei Millionen Mitgliedern vertreten wird. Dieses stolze Heer muß dem Be- gehren nach der politischen Gleichberechtigung des weiblichen Geschlechts – als einer entscheidenden Etappe zum Ziel seiner vollen menschlichen Emanzipation – ein treuer und zuverlässiger Kämpfer bleiben. Die geschichtlichen Notwendigkeiten des prole- tarischen Befreiungskampfes selbst sind es, die Sozialdemokratie und Gewerkschaften auch zu Streitern für volles politisches Frauenrecht erheben. Jnmitten einer Gesellschaftsordnung, deren Wesen die ge- setzlich geheiligte Ausbeutung der vielen durch wenige ist, wo jeder Zollbreit Boden starrt von blutigem Unrecht, das sich als Recht spreizt, muß das kämpfende Proletariat hungern und dürsten nach sozialer Gerechtigkeit im höchsten Sinn des Wortes. Die zahllosen Leiden, welche die Klassenherrschaft der Besitzenden ihm schlägt, halten sein Mitgefühl für alle Unterdrückten und Unfreien lebendig und rein. Sein Gerechtigkeitssinn läßt sich nicht durch das Vorurteil der einen Hälfte der Gesellschaftsglieder gegen die andere täuschen. Das Recht, das es für sich be- gehrt, ist losgelöst von jedem sozialen Be- sitztitel, den die Vergangenheit geschaffen und geweiht hat. Es ist Menschenrecht, das Recht der Persönlichkeit als Anerkennung ihres Wertes für die Gesamtheit. Was aber das klassenbewußte Proletariat für sich selbst heischt, das kann es anderen Rechtlosen nicht verweigern. So gewinnt der Kampf für sein eigenes Menschenrecht die weitesten und erhabensten Horizonte: er wird zum Ringen um Menschheitsrecht. Um der Gerechtigkeit willen ist der Kampf des weiblichen Geschlechts auch der seine. Der Kultur wegen auch! Mit einem verächtlichen Lächeln schüttelt das kämp- fende Proletariat das Gerede von der Minderwertigkeit und Unreife des Weibes ab, das die Rechtsforderung entkräften soll. Hat es nicht dasselbe Geschrei auch gegen sein eigenes glühendes Begehren gehört, gleichberechtigt auf allen Gebieten des Gemeinlebens mitzuwirken? Folianten sind geschrieben worden, um wissenschaft- lich darzutun, daß die „königlichen Kauf- leute“ und die „genialen Hauptleute der Jndustrie“ eine be- vorzugte Rasse seien, durch der Natur hartes, aber wohltätiges Gebot selbst zum Herrschen und Ausbeuten über die gesetzt, welche die Schwäche ihrer Gaben in die sozialen Niederungen bannt. Das Proletariat hat solcher Behauptungen ungeachtet kühn sein Haupt erhoben. Es hat gewollt! Und siehe, trotz seiner Armut und seiner politischen Ketten hat es die bedeutsamsten Schöpfungen unserer Tage in die Geschichte gestellt: seine Or- ganisationen, die vornehmsten Träger der zeitgenössischen Massen- kultur. Jn den Wettern und Flammen seiner Kämpfe ist ein unübersehbarer Reichtum wirkender Kräfte emporgesproßt, sind ihm aus den eigenen Reihen Bahnbrecher und Führer erstanden. Und diese Klasse könnte an die ewig unabänderliche „Gnaden- wahl“ der einen Menschheitshälfte glauben? Nein und tausend mal nein! Das kämpfende Proletariat kann die Maßstäbe nicht gelten lassen, die das eine bevorrechtete Geschlecht an das andere, bevormundete anlegt. Es wertet die Geschlechter und ihre Leistungen nach ihrer besonderen Eigenart. Es weiß, daß das Weib seines eigenen Wesens Werte in seine Arbeit legen wird, so daß Männer- und Frauenwert, einander ergänzend, sich zu Menschenwerk zusammenfügen. Frauenrecht besagt auch für die Gesetzgebung und Verwaltung: Bereicherung der Gesamtheit. Das klassenbewußte Proletariat empfindet den Stolz und die Würde, seine Fahnen dem Fortschritt, der Kultur voranfliegen zu lassen. Dem Siege entgegen! Dem kämpfenden Proletariat hat die Geschichtsauffassung des Sozialismus das Auge geöffnet für die gesellschaftlichen Triebkräfte, die unaufhaltsam das Leben

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription. (2018-09-28T08:27:36Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Anna Pfundt: Bearbeitung der digitalen Edition. (2018-09-28T08:27:36Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: wie Vorlage; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_proletariat_1911
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_proletariat_1911/1
Zitationshilfe: [N. N.]: Das Proletariat, der Vorkämpfer für Frauenrecht. In: Frauenwahlrecht! Hrsg. zum Ersten Sozialdemokratischen Frauentag von Clara Zetkin. 19. März 1911, S. 3–4, hier S. 3. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_proletariat_1911/1>, abgerufen am 29.03.2024.