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Reichspost. Nr. 227, Wien, 05.10.1906.

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Preis 8 h



Redaktion, Administration,
Expedition und Druckerei:
VIII., Strozzigasse 41.




Stadtexpedition I., Wollzeile 11
Zeitungsbureau H. Goldschmiedt.




Unfrankierte und nicht genügend
frankierte Briefe werden nicht ange-
nommen; Manuskripte werden nicht
zurückgestellt. Unverschlossene Rekla-
mationen sind portofrei.




Inserate
werden im Ankündigungs-
Bureau
VIII., Strozzigasse 41,
sowie in allen Annonzenbureaux
des In- und Auslandes angenommen.




Abonnements werden ange-
nommen außer in den Expeditionen
bei J. Heindl, I., Stephansplatz 7.




Erscheint täglich 6 Uhr nach-
mittags, mit Ausnahme der Sonn-
und Feiertage.


[Spaltenumbruch]
Reichspost.
Unabhängiges Tagblatt für das christliche Volk Österreich-Ungarns.

[Spaltenumbruch]
Preis 8 h



Bezugspreise:
Für Wien mit Zustellung ins Haus
ganzjährig ......... 28 K
halbjährig ......... 14 K
vierteljährig ........ 7 K
monatlich ....... 2 K 35 h

Einzelne Nummern 8 h, per Post
10 h.

Bei Abholung in unserer Administra-
tion ganzjährig 24 K monatlich 2 K

Für Österreich-Ungarn:
ganzjährig ......... 32 K
halbjährig .......... 16 K
vierteljährig ........ 8 K
monatlich ....... 2 K 75 h

Für Deutschland:
vierteljährig ...... 9 K 50 h
oder 8 Mark.

Länder des Weltpostvereines:
vierteljährig 12 K oder 10 Mark.




Telephon 18082.




XIII. Jahrgang. Wien, Freitag, 5. Oktober 1906. Nr. 227.



[Spaltenumbruch]
Erinnerung, nicht Zwang.


Abg. Dr. Geßmann hat gestern im Subkomitee
für die Frage der Wahlpflicht, einen Antrag gestellt,
der die beste Widerlegung aller der Fabeleien
darstellt, die die Wahlpflicht als einen Angriff
auf die bürgerliche Freiheit, als die Ausübung eines
unerlaubten Zwanges bezeichnen und daraus
Wertlosigkeit einer erzwungenen Stimmenabgabe
folgern möchten. Eine gesetzliche Bestimmung, die
als Entschuldigungsgründe für die Nichtabgabe der
Stimme Alter, Gebrechlichkeit, Krankheit, längere
Abwesenheit, berufsmäßige Verhinderung, Kommu-
nikationshindernisse und Erschwerungen anführt,
ohne mit dieser Aufzählung alle Dispensbedingungen
erschöpfen zu wollen, und als Strafe für Wahl-
säumige Beträge bis zu höchstens 10 Kronen festsetzt,
kann doch unmöglich als Zwang angesehen werden.
Es gibt unzählige, bedeutend strengere Geldstraf-
bestimmungen, viele davon nur auf dem Verord-
nungswege erlassen und nur durch einfache Polizeiakte
angewendet, die, obwohl sie gleichgültigere Angelegen-
heiten als die Zusammensetzung der Volksvertretung,
der gesetzgebenden Körperschaft betreffen, trotzdem
niemand als Zwang fühlt.

Eine Strafsanktion aber, die alle möglichen
Entschuldigungsgründe gelten läßt und dabei selbst
dem Wohlhabendsten gegenüber mit einer ganz ge-
ringen Ahndung vorgeht, ist in der Tat nichts an-
deres als eine mit der Feierlichkeit der Gesetzgebung
ausgesprochene Mahnung an die Bürgerpflichten.
Diese stete, im Gesetze festgelegte Erinnerung an
den Bürger, daß er ein Versäumnis begeht, wenn
er sich um die Wahl nicht kümmert, stellt gewiß ein
Erziehungsmittel dar, das notwendig ist, wenn das
allgemeine Wahlrecht nicht auf dem Papiere bleiben
und auch in der Zukunft praktisch nicht nur den Besitz
eines Teiles aus dem Volke darstellen soll. Etwas
anderes haben die Christlich-Sozialen, wie wieder-
holt an dieser Stelle dargelegt worden ist, nie ge-
wollt.

Die Gegner der Wahlpflicht bleiben freilich taub
für alle Gründe der Vernunft, auch die Sozial-
demokratie, deren Presse bisher hierin gegenüber allen
sachlichen Darlegungen ebenso verstockt ist,
wie die armen Sünder, die sie wegen
ihrer Anhänglichkeit für d[as] Pluralwahlrecht
täglich durch die Gassen treibt. Jetzt ist die sozial-
demokratische Presse gar schon auf das Grazer Organ
der deutschen Volkspartei gekommen. Den bürger-
lichen Parteien werden die Aeußerungen dieses Blattes,
das unzählig oft gerade von der sozialdemokratischen
Presse als das Prototyp politischer Beschränktheit
angenagelt wurde, als heiliges Evangelium ins Ge-
wissen gerufen. Einen schlechteren Dienst hätte die
sozialdemokratische Presse ihrer Sache schon nicht
mehr leisten können, als daß sie jetzt die
Blinden als Augenzeugen zu Hilfe holt. Es ist
aber doch gar zu hübsch, was das Grazer Organ
der deutschen Volkspartei als Ursache seiner
Abneigung gegen die Wahlpflicht angibt: "Wenn
nun auch gar nicht zu bestreiten ist, daß den Sozial-
demokraten durch die Wahlpflicht eine gewaltige
Phalanx gegenübergestellt würde, so müssen wir
doch daran denken, daß die Klerikalen erst mit der
Wahlpflicht ihren letzten Mann heraus-
brächten.
Denn außer ihren wohldisziplinierten
[Spaltenumbruch] Heerscharen fielen zu ihnen die Hauptmassen jener
Indolenz, die sie ja stets zu hegen verstanden;
alle jene, für die die Worte Freiheit, Fortschritt und
Bildung einen höchst unangenehmen Klang
haben, weil darin etwas von geistiger Bewegung ist,
die die Sumper hassen. Vermehrt würden sie durch
die Zahl aller Allzuvorsichtigen; alle, die der Wahl-
urne auch heute noch aus einem gewissen vormärz-
lichen Gefühle aus dem Wege gehen, würden nur
mit einem ängstlichen Blick nach oben den Stimm-
zettel schreiben. Jede kräftige, deutschbewußte Volks-
bewegung würde arg niedergedrückt werden durch die
Stimmenmassen der wahlpflichtigen Indolenz."

Der langen Rede kurzer Sinn ist: "Je mehr
zur Wahl gehen, desto weniger leicht werde ich ge-
wählt. Und weil ich am Ende nicht mehr gewählt
werde, deswegen bin ich gegen die Wahlpflicht."
Eine Politik, die alle für Trottel und Heloten der
Dummheit erklärt, die nicht für sie stimmen, ist
zwar nicht sehr volkstümlich, aber sie ist vielleicht
riesig fortschrittlich, freiheitlich und geistig bewegt
Es fehlt uns Armen, die wir immer der Meinung
waren, die Demokratie des modernen Verfassungs-
lebens ruhe auf dem ganzen Volke und nicht auf
einigen Ortsölgötzen und ihrem Anhange, für der-
artige Begriffe fortschrittlicher Politik ohne Zweifel
jegliches Verständnis. Wi[r] finden es nur
sehr billig, jeden einen dummen Kerl zu
heißen, der am Ende nicht in das Horn einer Partei
bläst, die einst einem Genie wie Malik zu einem
Mandat verhalf.

Daß die sozialdemokratische Presse sich nicht
schämt, dem Freisinn eine so geistreiche Logik, wie
die jenes Volkspartei-Organes als die schlagkräftigste
Vertretung "rein bürgerlicher Interessen" anzupreisen,
ist ebenso denkwürdig, wie die Blindheit jener deutsch-
nationalen Politiker, deren Partei in ihren ureigensten
Domänen, wie in Graz, nach den Behauptungen
ihrer eigenen Parteipresse nur infolge der Wahl
säumigkeit ihres Anhanges der Sozialdemo-
kratie weichen mußte. Es gehört zu den
spaßhaften Rätseln, welche die deutsche
Volkspartei so gerne ihren Gesinnungs-
genossen
aufgibt, daß ein alpenländischer Abge-
ordneter der Deutschen Partei, Herr Dr. Löcker,
die von dem Hauptorgan der Deutschen Volkspartei
für die Alpenländer so wuchtig bekämpfte Wahlpflicht
mit noch viel schärferen Strafbestimmungen schützen
möchte als die Christlich-Sozialen. Wenn selbst sein
punzierter Freisinn Herrn Abg. Dr. Löcker nicht be-
wahrt vor Neigungen für die Wahlpflicht -- was
sind dann die vom Standpunkte des "Freisinns"
gegen die Wahlpflicht vorgebrachten Bedenken wert?

Wer es ernst meint mit dem allgemeinen Wahl-
rechte, muß die Wahl tatsächlich zu einer
allgemeinen Volksabstimmung machen. Das ist keine
Nebensache in der jetzigen Reform, sondern trifft
ihr Wesen.




Politische Rundschau.
Oesterreich-Ungarn.


Befetzung von Statthalterposten.

In
der nächsten Zeit sollen die erledigten Statthalter-
posten in Innsbruck und Brünn zur
Besetzung gelangen. Unter den Kandidaten für den
Innsbrucker Statthalterposten wird nebst dem
[Spaltenumbruch] Statthalter von Linz, Frhrn. v. Handel, auch der
ehemalige Handelsminister Frhr. v. Call ge-
nannt. Es verlautet auch, daß auf dem Wiener
Statthalterposten ein Wechsel bevorstehe und als
Nachfolger des Grafen Kielmansegg der ehemalige
Minister des Innern, Graf Bylandt-Rheydt
ausersehen sei. Damit bekäme Niederösterreich den
ersten Vertreter der Wahlreformvorlage an die
Spitze der Landesverwaltung.

Landtagskandidaturen in Mähren.

Aus Iglau, 4. d., wird telegraphiert: Im
Landgemeindenkreis Iglau--Frain--
Datschitz--Jamnitz
kandidieren die Christlich-
Sozialen gegen den "Deutschfreiheitlichen" Köttner
aus Wolfra[ms] den Bauer Karl Steindl in
Zlabings. Für die allgemeine Kurie
im 3. Wahlkreis, zu welchem die Gerichtsbezirke
Iglau, Datschitz, Jamnitz, Trebitsch, Zwittau,
Mährisch-Trübau, Müglitz, Boskowitz gehören und
wo der deutschfreisinnige Block den Krankenkassen-
kassier Müller in Iglau und die Sozialdemokraten
den jüdischen Redakteur Leo Freundlich aufgestellt
haben, kandidieren die Christlich-Sozialen den
Fahrrad- und Kohlenhändler Anton Pieringer
in Zlabings. Die Sozialdemokraten sind gut
organisiert und glauben von den 22.000 Stimmen
des Wahlkreises über wenigstens 6000 Stimmen
verfügen zu können. -- Um das Mandat der
Städtekurie Iglau bewirbt sich der bis-
herige liberale Abgeordnete Dr. Groß.

Das Geheimnis des Antrages Tol-
linger.

Das "Grazer Volksblatt" übt
heute an dem Antrag des Abg. Dr. Tollinger
auf Einführung des Pluralwahlrechts scharfe
Kritik, weist insbesondere auf die Zurücksetzung
der Geistlichen in diesem Antrage hin und fährt
dann fort:

"Die Tollingerschen Vorschläge haben nicht des-
halb
im Wahlreformausschusse so viele Freunde ge-
funden, weil sie der Gerechtigkeit entspringen, sondern
deshalb, weil jetzt in der elften Stunde den Parla-
mentariern der Schrecken vor der Zukunft in
die Glieder gefahren ist. Nicht prinzipielle Anschauungen
sind es, die für die Stellungnahme maßgebend sind,
sondern taktische Erwägungen. Und so ist es gekommen,
daß Herodes und Pilatus Freunde ge-
worden sind
und den letzten Versuch machen, um
das alte Privilegienparlament unter einer neuen
Form zu retten. Es hat fast den Anschein, daß die
Entscheidungsschlacht bei dieser Frage geschlagen
wird."

Minister Dr. Pazak für die Kongrua.

Aus Prag wird uns heute berichtet: Wie der
"Cech" meldet, hatte der Landesausschußbeisitzer
Msgr. Burian gestern mit dem tschechischen
Landsmannminister Dr. Pazak in Angelegenheit
der Kongruavorlage eine Konferenz. Der Minister
sicherte zu, sich der Geistlichkeit annehmen zu
wollen und zu trachten, daß die Regelung der
Kongrua so bald als möglich im günstigen Sinne
gelöst werde.

Die Hilfe für Dalmatien.

Wie dem
"Narodni List" aus Wien gemeldet wird, hat die
Regierung den dalmatinischen Abgeordnetn mit-
geteilt, daß sie schon im nächsten Staats-
voranschlage
mehrere Millionen Kronen zur
Hebung der wirtschaftlichen Lage Dalmatiens be-
anspruchen werde, da die Regierung keineswegs
beabsichtige, Dalmatien nur in akademischer Weise
zu unterstützen.

Die agrarische Zentralstelle und der
Ausgleich.

In einer unter dem Vorsitze des
Hofrates R. v. Guttenberg gestern in Wien
abgehaltenen Sitzung der "Oesterreichischen Zentral-
stelle zur Wahrung der landwirtschaftlichen In-
teressen", der auch mehrere Abgeordnete und Ge-
nossenschaftsvertreter beiwohnten, führte R. von


[Abbildung] Die heutige Nummer ist 12 Seiten stark. [Abbildung]
[Spaltenumbruch]
Preis 8 h



Redaktion, Adminiſtration,
Expedition und Druckerei:
VIII., Strozzigaſſe 41.




Stadtexpedition I., Wollzeile 11
Zeitungsbureau H. Goldſchmiedt.




Unfrankierte und nicht genügend
frankierte Briefe werden nicht ange-
nommen; Manuſkripte werden nicht
zurückgeſtellt. Unverſchloſſene Rekla-
mationen ſind portofrei.




Inſerate
werden im Ankündigungs-
Bureau
VIII., Strozzigaſſe 41,
ſowie in allen Annonzenbureaux
des In- und Auslandes angenommen.




Abonnements werden ange-
nommen außer in den Expeditionen
bei J. Heindl, I., Stephansplatz 7.




Erſcheint täglich 6 Uhr nach-
mittags, mit Ausnahme der Sonn-
und Feiertage.


[Spaltenumbruch]
Reichspoſt.
Unabhängiges Tagblatt für das chriſtliche Volk Öſterreich-Ungarns.

[Spaltenumbruch]
Preis 8 h



Bezugspreiſe:
Für Wien mit Zuſtellung ins Haus
ganzjährig ......... 28 K
halbjährig ......... 14 K
vierteljährig ........ 7 K
monatlich ....... 2 K 35 h

Einzelne Nummern 8 h, per Poſt
10 h.

Bei Abholung in unſerer Adminiſtra-
tion ganzjährig 24 K monatlich 2 K

Für Öſterreich-Ungarn:
ganzjährig ......... 32 K
halbjährig .......... 16 K
vierteljährig ........ 8 K
monatlich ....... 2 K 75 h

Für Deutſchland:
vierteljährig ...... 9 K 50 h
oder 8 Mark.

Länder des Weltpoſtvereines:
vierteljährig 12 K oder 10 Mark.




Telephon 18082.




XIII. Jahrgang. Wien, Freitag, 5. Oktober 1906. Nr. 227.



[Spaltenumbruch]
Erinnerung, nicht Zwang.


Abg. Dr. Geßmann hat geſtern im Subkomitee
für die Frage der Wahlpflicht, einen Antrag geſtellt,
der die beſte Widerlegung aller der Fabeleien
darſtellt, die die Wahlpflicht als einen Angriff
auf die bürgerliche Freiheit, als die Ausübung eines
unerlaubten Zwanges bezeichnen und daraus
Wertloſigkeit einer erzwungenen Stimmenabgabe
folgern möchten. Eine geſetzliche Beſtimmung, die
als Entſchuldigungsgründe für die Nichtabgabe der
Stimme Alter, Gebrechlichkeit, Krankheit, längere
Abweſenheit, berufsmäßige Verhinderung, Kommu-
nikationshinderniſſe und Erſchwerungen anführt,
ohne mit dieſer Aufzählung alle Diſpensbedingungen
erſchöpfen zu wollen, und als Strafe für Wahl-
ſäumige Beträge bis zu höchſtens 10 Kronen feſtſetzt,
kann doch unmöglich als Zwang angeſehen werden.
Es gibt unzählige, bedeutend ſtrengere Geldſtraf-
beſtimmungen, viele davon nur auf dem Verord-
nungswege erlaſſen und nur durch einfache Polizeiakte
angewendet, die, obwohl ſie gleichgültigere Angelegen-
heiten als die Zuſammenſetzung der Volksvertretung,
der geſetzgebenden Körperſchaft betreffen, trotzdem
niemand als Zwang fühlt.

Eine Strafſanktion aber, die alle möglichen
Entſchuldigungsgründe gelten läßt und dabei ſelbſt
dem Wohlhabendſten gegenüber mit einer ganz ge-
ringen Ahndung vorgeht, iſt in der Tat nichts an-
deres als eine mit der Feierlichkeit der Geſetzgebung
ausgeſprochene Mahnung an die Bürgerpflichten.
Dieſe ſtete, im Geſetze feſtgelegte Erinnerung an
den Bürger, daß er ein Verſäumnis begeht, wenn
er ſich um die Wahl nicht kümmert, ſtellt gewiß ein
Erziehungsmittel dar, das notwendig iſt, wenn das
allgemeine Wahlrecht nicht auf dem Papiere bleiben
und auch in der Zukunft praktiſch nicht nur den Beſitz
eines Teiles aus dem Volke darſtellen ſoll. Etwas
anderes haben die Chriſtlich-Sozialen, wie wieder-
holt an dieſer Stelle dargelegt worden iſt, nie ge-
wollt.

Die Gegner der Wahlpflicht bleiben freilich taub
für alle Gründe der Vernunft, auch die Sozial-
demokratie, deren Preſſe bisher hierin gegenüber allen
ſachlichen Darlegungen ebenſo verſtockt iſt,
wie die armen Sünder, die ſie wegen
ihrer Anhänglichkeit für d[aſ] Pluralwahlrecht
täglich durch die Gaſſen treibt. Jetzt iſt die ſozial-
demokratiſche Preſſe gar ſchon auf das Grazer Organ
der deutſchen Volkspartei gekommen. Den bürger-
lichen Parteien werden die Aeußerungen dieſes Blattes,
das unzählig oft gerade von der ſozialdemokratiſchen
Preſſe als das Prototyp politiſcher Beſchränktheit
angenagelt wurde, als heiliges Evangelium ins Ge-
wiſſen gerufen. Einen ſchlechteren Dienſt hätte die
ſozialdemokratiſche Preſſe ihrer Sache ſchon nicht
mehr leiſten können, als daß ſie jetzt die
Blinden als Augenzeugen zu Hilfe holt. Es iſt
aber doch gar zu hübſch, was das Grazer Organ
der deutſchen Volkspartei als Urſache ſeiner
Abneigung gegen die Wahlpflicht angibt: „Wenn
nun auch gar nicht zu beſtreiten iſt, daß den Sozial-
demokraten durch die Wahlpflicht eine gewaltige
Phalanx gegenübergeſtellt würde, ſo müſſen wir
doch daran denken, daß die Klerikalen erſt mit der
Wahlpflicht ihren letzten Mann heraus-
brächten.
Denn außer ihren wohldisziplinierten
[Spaltenumbruch] Heerſcharen fielen zu ihnen die Hauptmaſſen jener
Indolenz, die ſie ja ſtets zu hegen verſtanden;
alle jene, für die die Worte Freiheit, Fortſchritt und
Bildung einen höchſt unangenehmen Klang
haben, weil darin etwas von geiſtiger Bewegung iſt,
die die Sumper haſſen. Vermehrt würden ſie durch
die Zahl aller Allzuvorſichtigen; alle, die der Wahl-
urne auch heute noch aus einem gewiſſen vormärz-
lichen Gefühle aus dem Wege gehen, würden nur
mit einem ängſtlichen Blick nach oben den Stimm-
zettel ſchreiben. Jede kräftige, deutſchbewußte Volks-
bewegung würde arg niedergedrückt werden durch die
Stimmenmaſſen der wahlpflichtigen Indolenz.“

Der langen Rede kurzer Sinn iſt: „Je mehr
zur Wahl gehen, deſto weniger leicht werde ich ge-
wählt. Und weil ich am Ende nicht mehr gewählt
werde, deswegen bin ich gegen die Wahlpflicht.“
Eine Politik, die alle für Trottel und Heloten der
Dummheit erklärt, die nicht für ſie ſtimmen, iſt
zwar nicht ſehr volkstümlich, aber ſie iſt vielleicht
rieſig fortſchrittlich, freiheitlich und geiſtig bewegt
Es fehlt uns Armen, die wir immer der Meinung
waren, die Demokratie des modernen Verfaſſungs-
lebens ruhe auf dem ganzen Volke und nicht auf
einigen Ortsölgötzen und ihrem Anhange, für der-
artige Begriffe fortſchrittlicher Politik ohne Zweifel
jegliches Verſtändnis. Wi[r] finden es nur
ſehr billig, jeden einen dummen Kerl zu
heißen, der am Ende nicht in das Horn einer Partei
bläſt, die einſt einem Genie wie Malik zu einem
Mandat verhalf.

Daß die ſozialdemokratiſche Preſſe ſich nicht
ſchämt, dem Freiſinn eine ſo geiſtreiche Logik, wie
die jenes Volkspartei-Organes als die ſchlagkräftigſte
Vertretung „rein bürgerlicher Intereſſen“ anzupreiſen,
iſt ebenſo denkwürdig, wie die Blindheit jener deutſch-
nationalen Politiker, deren Partei in ihren ureigenſten
Domänen, wie in Graz, nach den Behauptungen
ihrer eigenen Parteipreſſe nur infolge der Wahl
ſäumigkeit ihres Anhanges der Sozialdemo-
kratie weichen mußte. Es gehört zu den
ſpaßhaften Rätſeln, welche die deutſche
Volkspartei ſo gerne ihren Geſinnungs-
genoſſen
aufgibt, daß ein alpenländiſcher Abge-
ordneter der Deutſchen Partei, Herr Dr. Löcker,
die von dem Hauptorgan der Deutſchen Volkspartei
für die Alpenländer ſo wuchtig bekämpfte Wahlpflicht
mit noch viel ſchärferen Strafbeſtimmungen ſchützen
möchte als die Chriſtlich-Sozialen. Wenn ſelbſt ſein
punzierter Freiſinn Herrn Abg. Dr. Löcker nicht be-
wahrt vor Neigungen für die Wahlpflicht — was
ſind dann die vom Standpunkte des „Freiſinns“
gegen die Wahlpflicht vorgebrachten Bedenken wert?

Wer es ernſt meint mit dem allgemeinen Wahl-
rechte, muß die Wahl tatſächlich zu einer
allgemeinen Volksabſtimmung machen. Das iſt keine
Nebenſache in der jetzigen Reform, ſondern trifft
ihr Weſen.




Politiſche Rundſchau.
Oeſterreich-Ungarn.


Befetzung von Statthalterpoſten.

In
der nächſten Zeit ſollen die erledigten Statthalter-
poſten in Innsbruck und Brünn zur
Beſetzung gelangen. Unter den Kandidaten für den
Innsbrucker Statthalterpoſten wird nebſt dem
[Spaltenumbruch] Statthalter von Linz, Frhrn. v. Handel, auch der
ehemalige Handelsminiſter Frhr. v. Call ge-
nannt. Es verlautet auch, daß auf dem Wiener
Statthalterpoſten ein Wechſel bevorſtehe und als
Nachfolger des Grafen Kielmansegg der ehemalige
Miniſter des Innern, Graf Bylandt-Rheydt
auserſehen ſei. Damit bekäme Niederöſterreich den
erſten Vertreter der Wahlreformvorlage an die
Spitze der Landesverwaltung.

Landtagskandidaturen in Mähren.

Aus Iglau, 4. d., wird telegraphiert: Im
Landgemeindenkreis Iglau—Frain—
Datſchitz—Jamnitz
kandidieren die Chriſtlich-
Sozialen gegen den „Deutſchfreiheitlichen“ Köttner
aus Wolfra[ms] den Bauer Karl Steindl in
Zlabings. Für die allgemeine Kurie
im 3. Wahlkreis, zu welchem die Gerichtsbezirke
Iglau, Datſchitz, Jamnitz, Trebitſch, Zwittau,
Mähriſch-Trübau, Müglitz, Boskowitz gehören und
wo der deutſchfreiſinnige Block den Krankenkaſſen-
kaſſier Müller in Iglau und die Sozialdemokraten
den jüdiſchen Redakteur Leo Freundlich aufgeſtellt
haben, kandidieren die Chriſtlich-Sozialen den
Fahrrad- und Kohlenhändler Anton Pieringer
in Zlabings. Die Sozialdemokraten ſind gut
organiſiert und glauben von den 22.000 Stimmen
des Wahlkreiſes über wenigſtens 6000 Stimmen
verfügen zu können. — Um das Mandat der
Städtekurie Iglau bewirbt ſich der bis-
herige liberale Abgeordnete Dr. Groß.

Das Geheimnis des Antrages Tol-
linger.

Das „Grazer Volksblatt“ übt
heute an dem Antrag des Abg. Dr. Tollinger
auf Einführung des Pluralwahlrechts ſcharfe
Kritik, weiſt insbeſondere auf die Zurückſetzung
der Geiſtlichen in dieſem Antrage hin und fährt
dann fort:

„Die Tollingerſchen Vorſchläge haben nicht des-
halb
im Wahlreformausſchuſſe ſo viele Freunde ge-
funden, weil ſie der Gerechtigkeit entſpringen, ſondern
deshalb, weil jetzt in der elften Stunde den Parla-
mentariern der Schrecken vor der Zukunft in
die Glieder gefahren iſt. Nicht prinzipielle Anſchauungen
ſind es, die für die Stellungnahme maßgebend ſind,
ſondern taktiſche Erwägungen. Und ſo iſt es gekommen,
daß Herodes und Pilatus Freunde ge-
worden ſind
und den letzten Verſuch machen, um
das alte Privilegienparlament unter einer neuen
Form zu retten. Es hat faſt den Anſchein, daß die
Entſcheidungsſchlacht bei dieſer Frage geſchlagen
wird.“

Miniſter Dr. Pazak für die Kongrua.

Aus Prag wird uns heute berichtet: Wie der
Čech“ meldet, hatte der Landesausſchußbeiſitzer
Mſgr. Burian geſtern mit dem tſchechiſchen
Landsmannminiſter Dr. Pazak in Angelegenheit
der Kongruavorlage eine Konferenz. Der Miniſter
ſicherte zu, ſich der Geiſtlichkeit annehmen zu
wollen und zu trachten, daß die Regelung der
Kongrua ſo bald als möglich im günſtigen Sinne
gelöſt werde.

Die Hilfe für Dalmatien.

Wie dem
„Narodni Liſt“ aus Wien gemeldet wird, hat die
Regierung den dalmatiniſchen Abgeordnetn mit-
geteilt, daß ſie ſchon im nächſten Staats-
voranſchlage
mehrere Millionen Kronen zur
Hebung der wirtſchaftlichen Lage Dalmatiens be-
anſpruchen werde, da die Regierung keineswegs
beabſichtige, Dalmatien nur in akademiſcher Weiſe
zu unterſtützen.

Die agrariſche Zentralſtelle und der
Ausgleich.

In einer unter dem Vorſitze des
Hofrates R. v. Guttenberg geſtern in Wien
abgehaltenen Sitzung der „Oeſterreichiſchen Zentral-
ſtelle zur Wahrung der landwirtſchaftlichen In-
tereſſen“, der auch mehrere Abgeordnete und Ge-
noſſenſchaftsvertreter beiwohnten, führte R. von


[Abbildung] Die heutige Nummer iſt 12 Seiten ſtark. [Abbildung]
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[[1]/0001] Preis 8 h Redaktion, Adminiſtration, Expedition und Druckerei: VIII., Strozzigaſſe 41. Stadtexpedition I., Wollzeile 11 Zeitungsbureau H. Goldſchmiedt. Unfrankierte und nicht genügend frankierte Briefe werden nicht ange- nommen; Manuſkripte werden nicht zurückgeſtellt. Unverſchloſſene Rekla- mationen ſind portofrei. Inſerate werden im Ankündigungs- Bureau VIII., Strozzigaſſe 41, ſowie in allen Annonzenbureaux des In- und Auslandes angenommen. Abonnements werden ange- nommen außer in den Expeditionen bei J. Heindl, I., Stephansplatz 7. Erſcheint täglich 6 Uhr nach- mittags, mit Ausnahme der Sonn- und Feiertage. Reichspoſt. Unabhängiges Tagblatt für das chriſtliche Volk Öſterreich-Ungarns. Preis 8 h Bezugspreiſe: Für Wien mit Zuſtellung ins Haus ganzjährig ......... 28 K halbjährig ......... 14 K vierteljährig ........ 7 K monatlich ....... 2 K 35 h Einzelne Nummern 8 h, per Poſt 10 h. 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Eine geſetzliche Beſtimmung, die als Entſchuldigungsgründe für die Nichtabgabe der Stimme Alter, Gebrechlichkeit, Krankheit, längere Abweſenheit, berufsmäßige Verhinderung, Kommu- nikationshinderniſſe und Erſchwerungen anführt, ohne mit dieſer Aufzählung alle Diſpensbedingungen erſchöpfen zu wollen, und als Strafe für Wahl- ſäumige Beträge bis zu höchſtens 10 Kronen feſtſetzt, kann doch unmöglich als Zwang angeſehen werden. Es gibt unzählige, bedeutend ſtrengere Geldſtraf- beſtimmungen, viele davon nur auf dem Verord- nungswege erlaſſen und nur durch einfache Polizeiakte angewendet, die, obwohl ſie gleichgültigere Angelegen- heiten als die Zuſammenſetzung der Volksvertretung, der geſetzgebenden Körperſchaft betreffen, trotzdem niemand als Zwang fühlt. Eine Strafſanktion aber, die alle möglichen Entſchuldigungsgründe gelten läßt und dabei ſelbſt dem Wohlhabendſten gegenüber mit einer ganz ge- ringen Ahndung vorgeht, iſt in der Tat nichts an- deres als eine mit der Feierlichkeit der Geſetzgebung ausgeſprochene Mahnung an die Bürgerpflichten. Dieſe ſtete, im Geſetze feſtgelegte Erinnerung an den Bürger, daß er ein Verſäumnis begeht, wenn er ſich um die Wahl nicht kümmert, ſtellt gewiß ein Erziehungsmittel dar, das notwendig iſt, wenn das allgemeine Wahlrecht nicht auf dem Papiere bleiben und auch in der Zukunft praktiſch nicht nur den Beſitz eines Teiles aus dem Volke darſtellen ſoll. Etwas anderes haben die Chriſtlich-Sozialen, wie wieder- holt an dieſer Stelle dargelegt worden iſt, nie ge- wollt. Die Gegner der Wahlpflicht bleiben freilich taub für alle Gründe der Vernunft, auch die Sozial- demokratie, deren Preſſe bisher hierin gegenüber allen ſachlichen Darlegungen ebenſo verſtockt iſt, wie die armen Sünder, die ſie wegen ihrer Anhänglichkeit für daſ Pluralwahlrecht täglich durch die Gaſſen treibt. Jetzt iſt die ſozial- demokratiſche Preſſe gar ſchon auf das Grazer Organ der deutſchen Volkspartei gekommen. Den bürger- lichen Parteien werden die Aeußerungen dieſes Blattes, das unzählig oft gerade von der ſozialdemokratiſchen Preſſe als das Prototyp politiſcher Beſchränktheit angenagelt wurde, als heiliges Evangelium ins Ge- wiſſen gerufen. Einen ſchlechteren Dienſt hätte die ſozialdemokratiſche Preſſe ihrer Sache ſchon nicht mehr leiſten können, als daß ſie jetzt die Blinden als Augenzeugen zu Hilfe holt. Es iſt aber doch gar zu hübſch, was das Grazer Organ der deutſchen Volkspartei als Urſache ſeiner Abneigung gegen die Wahlpflicht angibt: „Wenn nun auch gar nicht zu beſtreiten iſt, daß den Sozial- demokraten durch die Wahlpflicht eine gewaltige Phalanx gegenübergeſtellt würde, ſo müſſen wir doch daran denken, daß die Klerikalen erſt mit der Wahlpflicht ihren letzten Mann heraus- brächten. Denn außer ihren wohldisziplinierten Heerſcharen fielen zu ihnen die Hauptmaſſen jener Indolenz, die ſie ja ſtets zu hegen verſtanden; alle jene, für die die Worte Freiheit, Fortſchritt und Bildung einen höchſt unangenehmen Klang haben, weil darin etwas von geiſtiger Bewegung iſt, die die Sumper haſſen. Vermehrt würden ſie durch die Zahl aller Allzuvorſichtigen; alle, die der Wahl- urne auch heute noch aus einem gewiſſen vormärz- lichen Gefühle aus dem Wege gehen, würden nur mit einem ängſtlichen Blick nach oben den Stimm- zettel ſchreiben. Jede kräftige, deutſchbewußte Volks- bewegung würde arg niedergedrückt werden durch die Stimmenmaſſen der wahlpflichtigen Indolenz.“ Der langen Rede kurzer Sinn iſt: „Je mehr zur Wahl gehen, deſto weniger leicht werde ich ge- wählt. Und weil ich am Ende nicht mehr gewählt werde, deswegen bin ich gegen die Wahlpflicht.“ Eine Politik, die alle für Trottel und Heloten der Dummheit erklärt, die nicht für ſie ſtimmen, iſt zwar nicht ſehr volkstümlich, aber ſie iſt vielleicht rieſig fortſchrittlich, freiheitlich und geiſtig bewegt Es fehlt uns Armen, die wir immer der Meinung waren, die Demokratie des modernen Verfaſſungs- lebens ruhe auf dem ganzen Volke und nicht auf einigen Ortsölgötzen und ihrem Anhange, für der- artige Begriffe fortſchrittlicher Politik ohne Zweifel jegliches Verſtändnis. Wir finden es nur ſehr billig, jeden einen dummen Kerl zu heißen, der am Ende nicht in das Horn einer Partei bläſt, die einſt einem Genie wie Malik zu einem Mandat verhalf. Daß die ſozialdemokratiſche Preſſe ſich nicht ſchämt, dem Freiſinn eine ſo geiſtreiche Logik, wie die jenes Volkspartei-Organes als die ſchlagkräftigſte Vertretung „rein bürgerlicher Intereſſen“ anzupreiſen, iſt ebenſo denkwürdig, wie die Blindheit jener deutſch- nationalen Politiker, deren Partei in ihren ureigenſten Domänen, wie in Graz, nach den Behauptungen ihrer eigenen Parteipreſſe nur infolge der Wahl ſäumigkeit ihres Anhanges der Sozialdemo- kratie weichen mußte. Es gehört zu den ſpaßhaften Rätſeln, welche die deutſche Volkspartei ſo gerne ihren Geſinnungs- genoſſen aufgibt, daß ein alpenländiſcher Abge- ordneter der Deutſchen Partei, Herr Dr. Löcker, die von dem Hauptorgan der Deutſchen Volkspartei für die Alpenländer ſo wuchtig bekämpfte Wahlpflicht mit noch viel ſchärferen Strafbeſtimmungen ſchützen möchte als die Chriſtlich-Sozialen. Wenn ſelbſt ſein punzierter Freiſinn Herrn Abg. Dr. Löcker nicht be- wahrt vor Neigungen für die Wahlpflicht — was ſind dann die vom Standpunkte des „Freiſinns“ gegen die Wahlpflicht vorgebrachten Bedenken wert? Wer es ernſt meint mit dem allgemeinen Wahl- rechte, muß die Wahl tatſächlich zu einer allgemeinen Volksabſtimmung machen. Das iſt keine Nebenſache in der jetzigen Reform, ſondern trifft ihr Weſen. Politiſche Rundſchau. Oeſterreich-Ungarn. Wien, 4. Oktober. Befetzung von Statthalterpoſten. In der nächſten Zeit ſollen die erledigten Statthalter- poſten in Innsbruck und Brünn zur Beſetzung gelangen. Unter den Kandidaten für den Innsbrucker Statthalterpoſten wird nebſt dem Statthalter von Linz, Frhrn. v. Handel, auch der ehemalige Handelsminiſter Frhr. v. Call ge- nannt. Es verlautet auch, daß auf dem Wiener Statthalterpoſten ein Wechſel bevorſtehe und als Nachfolger des Grafen Kielmansegg der ehemalige Miniſter des Innern, Graf Bylandt-Rheydt auserſehen ſei. Damit bekäme Niederöſterreich den erſten Vertreter der Wahlreformvorlage an die Spitze der Landesverwaltung. Landtagskandidaturen in Mähren. Aus Iglau, 4. d., wird telegraphiert: Im Landgemeindenkreis Iglau—Frain— Datſchitz—Jamnitz kandidieren die Chriſtlich- Sozialen gegen den „Deutſchfreiheitlichen“ Köttner aus Wolframs den Bauer Karl Steindl in Zlabings. Für die allgemeine Kurie im 3. Wahlkreis, zu welchem die Gerichtsbezirke Iglau, Datſchitz, Jamnitz, Trebitſch, Zwittau, Mähriſch-Trübau, Müglitz, Boskowitz gehören und wo der deutſchfreiſinnige Block den Krankenkaſſen- kaſſier Müller in Iglau und die Sozialdemokraten den jüdiſchen Redakteur Leo Freundlich aufgeſtellt haben, kandidieren die Chriſtlich-Sozialen den Fahrrad- und Kohlenhändler Anton Pieringer in Zlabings. Die Sozialdemokraten ſind gut organiſiert und glauben von den 22.000 Stimmen des Wahlkreiſes über wenigſtens 6000 Stimmen verfügen zu können. — Um das Mandat der Städtekurie Iglau bewirbt ſich der bis- herige liberale Abgeordnete Dr. Groß. Das Geheimnis des Antrages Tol- linger. Das „Grazer Volksblatt“ übt heute an dem Antrag des Abg. Dr. Tollinger auf Einführung des Pluralwahlrechts ſcharfe Kritik, weiſt insbeſondere auf die Zurückſetzung der Geiſtlichen in dieſem Antrage hin und fährt dann fort: „Die Tollingerſchen Vorſchläge haben nicht des- halb im Wahlreformausſchuſſe ſo viele Freunde ge- funden, weil ſie der Gerechtigkeit entſpringen, ſondern deshalb, weil jetzt in der elften Stunde den Parla- mentariern der Schrecken vor der Zukunft in die Glieder gefahren iſt. Nicht prinzipielle Anſchauungen ſind es, die für die Stellungnahme maßgebend ſind, ſondern taktiſche Erwägungen. Und ſo iſt es gekommen, daß Herodes und Pilatus Freunde ge- worden ſind und den letzten Verſuch machen, um das alte Privilegienparlament unter einer neuen Form zu retten. Es hat faſt den Anſchein, daß die Entſcheidungsſchlacht bei dieſer Frage geſchlagen wird.“ Miniſter Dr. Pazak für die Kongrua. Aus Prag wird uns heute berichtet: Wie der „Čech“ meldet, hatte der Landesausſchußbeiſitzer Mſgr. Burian geſtern mit dem tſchechiſchen Landsmannminiſter Dr. Pazak in Angelegenheit der Kongruavorlage eine Konferenz. Der Miniſter ſicherte zu, ſich der Geiſtlichkeit annehmen zu wollen und zu trachten, daß die Regelung der Kongrua ſo bald als möglich im günſtigen Sinne gelöſt werde. Die Hilfe für Dalmatien. Wie dem „Narodni Liſt“ aus Wien gemeldet wird, hat die Regierung den dalmatiniſchen Abgeordnetn mit- geteilt, daß ſie ſchon im nächſten Staats- voranſchlage mehrere Millionen Kronen zur Hebung der wirtſchaftlichen Lage Dalmatiens be- anſpruchen werde, da die Regierung keineswegs beabſichtige, Dalmatien nur in akademiſcher Weiſe zu unterſtützen. Die agrariſche Zentralſtelle und der Ausgleich. In einer unter dem Vorſitze des Hofrates R. v. Guttenberg geſtern in Wien abgehaltenen Sitzung der „Oeſterreichiſchen Zentral- ſtelle zur Wahrung der landwirtſchaftlichen In- tereſſen“, der auch mehrere Abgeordnete und Ge- noſſenſchaftsvertreter beiwohnten, führte R. von [Abbildung] Die heutige Nummer iſt 12 Seiten ſtark. [Abbildung]

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Zitationshilfe: Reichspost. Nr. 227, Wien, 05.10.1906, S. [1]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_reichspost227_1906/1>, abgerufen am 29.03.2024.