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Reichspost. Nr. 595, Wien, 24.12.1912.

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Morgenblatt 8 h
in Wien.
Redaktion:
VIII. Strozzigasse 41.
Telephon: 18082.
Verwaltung:
VIII. Strozzig. 42.
Telephon: 13870.
Druckerei:
VIII. Strozzigasse 41.
Telephon: 22641.
Kleiner Anzeiger
I. Schulerstr. 21.
Telephon: 2926.
Inserute

werden in der Verwaltung der
"Reichspost" VIII. Strozzigasse 42,
I. Schulerstraße 21, sowie in
allen Annoncenbureaus des In-
und Auslandes angenommen.


[Spaltenumbruch]
Mittagsblatt.
Reichspost.
Unabhängiges Tagblatt für das christliche Volk Oesterreich-Ungarns.

[Spaltenumbruch]

Bezugspreise:
bei täglich zweimaliger Zu-
stellung für Wien:
monatlich ....... K 3.70
vierteljährig ...... "11.--
halbjährig ....... "22.--
für Oesterreich-Ungarn:
monatlich ....... K 3.85
vierteljährig ...... " 11.50
halbjährig ....... " 23.--
Bei täglich einmaliger Zu-
stellung (das Morgenblatt zu-
gleich mit der Nachmittagsaus-
gabe des vorherigen Tages)
für auswärts:
monatlich ....... K 3.5[0]
vierteljährig ...... " 10.5[0]
halbjährig ....... " 21.--
Für Deutschland:
vierteljährig Kreuzbandsendung
K 16.--.
Länder des Weltpostvereines:
vierteljährig Kreuzbandsendung
K 22.--.




Nr. 595 Wien, Montag den 23. Dezember 1912. XIX. Jahrgang.


[Spaltenumbruch]
Die Bürgermeisterwahl.
Dr. Weiskirchner mit 129 Stimmen
gewählt.

Die Stadt Wien hat heute vormittag nach nicht
einmal einer Woche während dem Interregnum ein neues
Oberhaupt erhalten. Dr. Richard Weiskirchner,
von Dr. Lueger zu seinem Nachfolger und für die Voll-
endung der von Lueger begonnenen Werke bestimmt,
wurde von der gesamten Majorität einstimmig zum
Bürgermeister gewählt.

Den Vorschriften des Statuts gehorchend waren
alle Gemeinderäte zur Wahl gekommen, die nicht Krank-
heit oder vorher bewilligter Urlaub entschuldigt hatten.
Das Statut verlangt bekanntlich auch, daß die Ge-
meinderäte während der Dauer der Wahl im Saale
verbleiben und sieht den Mandatsverlust als Strafe
für die Verletzung dieser Bestimmungen vor. Es waren
denn auch fast alle Gemeinderäte zur Wahl erschienen, die
Christlichsozialen im Festkleid und mit der weißen
Nelke geschmückt. Die Galerien waren bis auf
das letzte Plätzchen gefüllt. Im Saale waren auch die
Bezirksvorsteher und die Direktoren der städtischen
Unternehmungen und die Beamten des Präsidialbureaus
anwesend.

Um 1/411 Uhr eröffnete der erste Vizebürgermeister
Dr. Porzer die denkwürdige Sitzung. Der Wahlakt,
eine schriftliche Abstimmung, an der sich auch
die Opposition beteiligte, verlief in vollster Ruhe.
Die Sozialdemokraten und Liberalen beteiligten sich an
der Wahl, die ersteren gaben ihrem Klubobmann
Reumann die Stimme, die Liberalen bemerkens-
werterweise ihrem früheren Klubobmann Dr. Ritter
v. Dorn.

Als Dr. Weiskirchner, der auf seinem Platz
in der ersten Reihe saß, die 80. Stimme erhalten und
damit die qualifizierte Mehrheit erreicht
hatte, ertönte lebhafter Beifall im Saale, der sich
bei der Abgabe der 100. Stimme für Dr. Weis-
kirchner erneuerte und sich dann zu stürmischen
Ovationen für den neuen Bürgermeister verstärkte als
das Wahlergebnis verkündet wurde. Die Opposition
verkieß den Saal und der neugewählte Bürgermeister
hielt dann seine Antrittsrede, die den stärksten
Eindruck hatte. Bürgermeister Dr. Weiskirchner
schloß seine Rede mit einem pietätvollen und
dankbaren Gedenken an Dr. Lueger: "Möge aus
weiten Himmelsfernen Luegers Geist segnend
auf mich
herniederschauen!" Es war ein
ergreifender Moment, als nach diesem
Worte sofort alle Gemeinderäte zu Dr. Weis-
kirchner eilten und wie zum Treueschwur
ihm die Hände reichten.
Luegers Geist
schwebte im Saale, der Geist der Stärke
und Einigkeit, der Luegers Nachfolger und
Freunde vereint zu unermüdlicher Arbeit. An der
Spitze steht der beste Kenner der Verwaltung
der Stadt Wien, den eine langjährige Tätigkeit in allen
Zweigen der Kommunalverwaltung und sein "Be-
fähigungsnachweis" im Parlament, auf den er heute
selbst in seiner Rede anspielte, als den Berufensten er-
scheinen lassen, Luegers Lebenswerk weiterzubauen zu
Ehren der Stadt Wien und zum Nutzen des Wiener
christlichen Volkes.

Der Sitzungsbericht.

Kurz nach 10 Uhr erklärte der Vorsitzende Vizebürgermeister
Dr. Porzer die Sitzung eröffnet, konstatierte die Anwesenheit
von mehr als 100 Mitgliedern des Gemeinderates und gab
bekannt, daß Gemeinderat Rauer, welcher schon seit Monaten
an einer schweren Krankheit leidet, infolgedessen sich verpflichtet
gefühlt habe, sein Mandat als Gemeinderat
zurückzulegen.
Mit dem Ausdrucke lebhaften Bedauerns
nahm der Gemeinderat diese Verzichtleistung zur Kenntnis.
Der Vorsitzende teilt dann mit, daß die Gemeinderäte Hilscher,
C. M. Mayer,
Dr. Neumayer, Oppenberger, Weidinger
entschuldigt sind und daß Gemeinderat Skaret von der
Sitzung ausgeschlossen ist. Zu Schriftführern für den Wahlakt
werden die Gemeinderäte Philp und Leitner, zu Skrutatoren
die Gemeinderäte Schlechter und Vaugoin ernannt.


[Spaltenumbruch]
Beginn der Wahl.

Es wird nun sofort zur Vornahme der Wahl geschritten
und der Schriftführer beginnt mit dem Namensaufrufe. Als
erster gibt Gemeinderat kais. Rat Ahorner seinen Stimmzettel
ab. Er hat eben eine schwere Krankheit überstanden und wird
von zwei Gemeinderatskollegen und VB. Hierhammer unter-
stützt zur Estrade geleitet und gibt dort seinen Stimmzettel ab.
Nachdem sämtliche anwesende Gemeinderäte ihre Stimmzettel
abgegeben haben, wird sofort zum Skrutinium geschritten. Der
erste aus der Urne gezogene Stimmzettel lautet auf Dr. Weis-
kirchner.

Als der 80. auf Dr. Weiskirchner lautende Stimmzettel
verlesen wird, ertönen im Saale und auf der Galerie lebhafte
Beifallsrufe. (Zur Wahl des Bürgermeisters sind nämlich laut
Statut 80 Stimmen erforderlich.) Die Liberalen geben ihre
Stimmzettel für Dr. v. Dorn ab, die Sozialdemokraten stimmen
für ihren Obmann GR. Reumann. Gegen 11 Uhr ist das
Skrutinium beendet.

Der Vorsitzende teilt mit:

155 Stimmen abgegeben. Davon entfielen auf Exzellenz
Dr. Weiskirchner 126 Stimmen (Lebhafter Beifall), auf
Dr. v. Dorn 12 Stimmen, auf GR. Goltz 1 Stimme, auf
GR. Reumann 7 Stimmen, 9 Stimmzettel waren le[e]r.

VB. Dr. Porzer enunziert, daß also Exzellenz Dr. Weis-
kirchner
mit der vom Gesetze vorgeschriebenen Anzahl von
Stimmen zum Bürgermeister gewählt ist. (Stürmischer
Beifall und Händeklatschen sowie Tücherschwenken im Saal und
auf der Galerie.)

Die Opposition verläßt, während die Mitglieder der
Majorität unausgesetzt stürmisch Beifall klatschen, den Saal.

Auf die Frage des Vorsitzenden VB. Dr. Porzer, ob er
die Wahl zum Bürgermeister annehme, antwortet Exzellenz
Dr. Weiskirchner mit folgender Ansprache:

Die Antrittsrede Dr. Weiskirchners.

Meine hochgeehrten Herren Kollegen! Vorbehaltlich der
Allerhöchsten Bestätigung durch Se. Majestät unseren aller-
gnädigsten Kaiser und Herrn erkläre ich die auf mich gefallene
hochehrende Wahl zum Bürgermeister der Reichshaupt- und
Residenzstadt Wien anzunehmen. (Lebhafter Beifall.)

Ich danke herzlichst allen jenen verehrten Kollegen, welche
mir ihre Stimmen zugewendet und mich für würdig und fähig
erachtet haben, Oberhaupt dieser Stadt zu werden.

Nehmen Sie von mir heute das schlichte, aber ehrliche und
ernste Versprechen entgegen, daß ich gewillt bin, mein ganzes
Wissen und Können in den Dienst meiner ge-
liebten Vaterstadt
zu stellen. (Lauter Beifall.)

Jene Kollegen aber, welche mich heute nicht gewählt haben,
bitte ich, an meinem guten Willen und an meinen redlichen
Absichten nicht zu zweifeln.

Habe ich doch an einer anderen Stelle den Befähigungs-
nachweis für das Amt eines Vorsitzenden bereits
erbracht. (Stürmischer Beifall.) Als erster Präsident im Volks-
hause des allgemeinen Wahlrechtes habe ich unter schwierigen
Verhältnissen den Vorsitz übernommen, mit ruhiger, fester Hand
in objektiver Weise die Geschäfte geführt und hiefür auch die
Anerkennung meiner parteipolitischen Gegner gefunden. (Leb-
hafte Zustimmung.)

Zu meinem neuen Amte bringe ich die reichen Erfahrungen
meiner bald 30jährigen Tätigkeit auf
kommunalen Gebiete mit;
ich kenne
die städtische Verwaltung in allen ihren Zweigen, ich
kenne die Bedürfnisse der großstädtischen Bevölkerung und
weiß, wie breite Schichten des Volkes in schwerem
Kampf und harter Arbeit um ihre Lebensexistenz ringen. Als
Beamter der Gemeinde habe ich unentwegt an der Anschauung
festgehalten, daß die oberste Pflicht des Amtes darin besteht,
dem Volke zu dienen (großer Beifall), seine Bedürf-
nisse wahrzunehmen und dieselben im Rahmen des gesamtwirt-
schaftlichen Interesses auch zu befriedigen. Dieser Gedanke wird
mich auch zum Sorgenstuhl des Bürgermeisters
geleiten und an diesem Gedanken will ich festhalten. Arbeit
und Verdienst zu schaffen wird stets ein Leitstern meines
Handelns sein. Große, weitausgreifende Aufgaben sind in
unserem Gemeinwesen zu erfüllen, verantwortungsvolle Arbeit
wartet schon in nächster Zeit und eine Reihe wichtiger Fragen
heischt gebieterisch dringende großzügige Lösung. (Beifall.) Ich
bin mir hiebei der Pflicht bewußt, nicht der wirtschaftlichen
Wohlfahrt des Volkes zu dienen, sondern auch dessen kulturellen
und geistigen Fortschritt zu fördern und soziale Reformen im
christlichen Sinne vorzubereiten. (Neuerlicher Beifall.)

Ich bitte die verehrten Kollegen, und zwar alle, auch die,
die soeben den Saal verlassen haben, um ihre Unterstützung.
Ich werde es auch als eine Pflicht des Bürgermeisters halten,
alle Gemeinderäte genauestens zu informieren, wenn sie Information
wünschen. Meine Herren! Wir haben Gott sei Dank
eine gute Verwaltung,
und in eine gute Ver-
waltung kann jeder ungescheut Einsicht nehmen. (Stürmischer
Beifall.)

In Treue ergeben dem deutschen Volke
(demonstrativer Beifall), dem ich entsprossen bin, treu meinem
Vaterlande Oesterreich, werde ich auch weiter unentwegt fest-
halten an den Grundsätzen deutschchristlicher Welt-
anschauung
(Beifall), deren Betägigung nach meiner
[Spaltenumbruch] unerschütterlichen Ueberzeugung die einzige Gewähr für das
Gedeihen der Stadt und die Wohlfahrt ihrer Bewohner
bietet.

So will ich denn, meine verehrten Herren Kollegen, in
Gottes Namen
mit froher Zuversicht einen neuen Abschnitt
meines Lebens beginnen. Möge aus weiten
Himmelssphären Luegers Geist segnend
auf mich niederschauen!
(Brausender nicht enden-
wollender Beifall.)

Vorsitzender Vizebürgermeister Dr. Porzer erklärt, daß der
Wahlakt an Seine Exzellenz den Herrn Statthalter geleitet
wird, und schließt hierauf die Sitzung.

Der neugewählte Bürgermeister wurde indes von den Mit-
gliedern der Majorität umringt und in herzlichster Weise be-
glückwünscht. Auch Gemeinderat Schlechter schloß sich den
Gratulanten an.




Die für heute nachmittag anberaumte Geschäftssitzung
des Gemeinderates wurde abgesagt.




Blätterstimmen über die Wahl Doktor
Weiskirchners zum Bürgermeister.

Der Bürgerklub der christlichsozialen Wiener Ge-
meinderäte hat mit seiner Erwählung Dr. Weiskirchners
zum Bürgermeisterkandidaten wirklich das Richtige ge-
troffen. Wenn noch irgend ein Zweifel be-
stehen konnte, der Unisonoaufschrei der jüdischen Presse
vom Adlerhof bis zur Fichtegasse beseitigt ihn. Es ist ein-
fach herzerhebend und erquickend, alle diese unfreiwilligen
Rechtfertigungen und indirekten Belobigungen des Bürger-
klubs zu genießen. Der Bürgerklub hat das getan, was
der Presse der geschworenen Feinde des christlichen
deutschen Wien am wenigsten gefällt, also hat er seine
Pflicht erfüllt. Geradezu konsterniert ist diese Presse von
der Einigkeit, Geschlossenheit und Entschlossenheit des
Bürgerklubs, der so rasch zu handeln wußte.

Die "Neue Freie Presse" verfällt in ihrer Desperation
auf den originellen Gedanken, dem neuen Bürger-
meister die Schuld an der Kriegs-
gefahr
und an allen ihren schweren wirtschaftlichen
Schäden zuzuschreiben: "Wenn jetzt Millionen und
Millionen von Volksvermögen verloren gegangen sind;
wenn sich Wien jetzt mühselig aus der tiefen wirt-
schaftlichen Depression losringt, die von einer Kata-
strophe nicht sehr weit entfernt war; wenn wieder
die Kriegsgefahr mit allen ihren Schäden für die Be-
völkerung hereingebrochen ist, so muß es nur recht und
billig sein, daß der Mann, dessen Politik an all diesem
Unglück mitschuldig ist, zum Bürgermeister der Reichs-
hauptstadt erhoben wird." Offenbar war es Weis-
kirchner, der den Bund der vier Balkankönigreiche ge-
gründet und ihren Krieg gegen die Türkei verschuldet
hat; und Weiskirchner war es zweifellos, der den
militärischen Zusammenbruch der Türkei und ihre Gebiets-
verluste auf dem Gewissen hat, beileibe nicht etwa das
jungtürkische Logentum; natürlich war es auch Weiskirch-
ner, der Herrn Pasic zu seinen Ueberschwänglichkeiten ver-
leitet hat, und selbstverständlich hat Weiskirchner Rußlands
Mobilisierungen an unserer Nordostgrenze veranlaßt.
Von welchen Qualitäten muß der Wiener Freisinn sein,
daß man ihm mit solchen Krampusgeschichten kommen
darf! Schließlich stellt die "N. Fr. Pr." die Gretchen-
frage: "Dr. Weiskirchner, was ist er eigentlich? Ist er
klerikal? Ist er deutschnational? Ist er christlichsozial?
Niemand kann ganz klare Antwort darauf geben,
niemand kann von dem neuen Bürgermeister ein
wirkliches Bekenntnis, ein klares Wort, das die politische
Definition des ganzen Mannes gäbe, anführen". Wenn
dem so wäre, warum verfährt denn dann das liberale
Hauptorgan so unfreundlich mit dem Gewählten, der,
wenn er nicht klerikal, nicht christlichsozial, nicht
deutschnational ist, am Ende gar ein Parteigänger
der Fichtegasse ist? Oh, ooh, oooh! Und dann
fiele seine Schuld an der Kriegsgefahr auf die
"N. Fr. Pr.", und diese hätte sich mit ihren blitz-
blauen Behauptungen selber in die Tinte gesetzt. Ach,
wie rührt mich dies!

Die "Arbeiter-Zeitung" stößt den Schreckensruf
aus: "Tisza im Rathause!", gibt den Christlichsozialen
die Schuld an der "Entartung des Wiener Gemeinde-
rates" durch die Radaußenen, welche die liberal-sozial-
demokratische Opposition jetzt Sitzung für Sitzung auf-
führt, um die Gemeindeautonomie zu untergraben, denn
die christlichsoziale Partei habe die Gemeindeverwaltung
dem Stadtrat und den Ausschüssen vorbehalten (wahr
ist, daß diese Einrichtung das Werk der Liberalen

[Spaltenumbruch]

Morgenblatt 8 h
in Wien.
Redaktion:
VIII. Strozzigaſſe 41.
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Verwaltung:
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Druckerei:
VIII. Strozzigaſſe 41.
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Kleiner Anzeiger
I. Schulerſtr. 21.
Telephon: 2926.
Inſerute

werden in der Verwaltung der
„Reichspoſt“ VIII. Strozzigaſſe 42,
I. Schulerſtraße 21, ſowie in
allen Annoncenbureaus des In-
und Auslandes angenommen.


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Mittagsblatt.
Reichspoſt.
Unabhängiges Tagblatt für das chriſtliche Volk Oeſterreich-Ungarns.

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Bezugspreiſe:
bei täglich zweimaliger Zu-
ſtellung für Wien:
monatlich ....... K 3.70
vierteljährig ...... „11.—
halbjährig ....... „22.—
für Oeſterreich-Ungarn:
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vierteljährig ...... „ 11.50
halbjährig ....... „ 23.—
Bei täglich einmaliger Zu-
ſtellung (das Morgenblatt zu-
gleich mit der Nachmittagsaus-
gabe des vorherigen Tages)
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halbjährig ....... „ 21.—
Für Deutſchland:
vierteljährig Kreuzbandſendung
K 16.—.
Länder des Weltpoſtvereines:
vierteljährig Kreuzbandſendung
K 22.—.




Nr. 595 Wien, Montag den 23. Dezember 1912. XIX. Jahrgang.


[Spaltenumbruch]
Die Bürgermeiſterwahl.
Dr. Weiskirchner mit 129 Stimmen
gewählt.

Die Stadt Wien hat heute vormittag nach nicht
einmal einer Woche während dem Interregnum ein neues
Oberhaupt erhalten. Dr. Richard Weiskirchner,
von Dr. Lueger zu ſeinem Nachfolger und für die Voll-
endung der von Lueger begonnenen Werke beſtimmt,
wurde von der geſamten Majorität einſtimmig zum
Bürgermeiſter gewählt.

Den Vorſchriften des Statuts gehorchend waren
alle Gemeinderäte zur Wahl gekommen, die nicht Krank-
heit oder vorher bewilligter Urlaub entſchuldigt hatten.
Das Statut verlangt bekanntlich auch, daß die Ge-
meinderäte während der Dauer der Wahl im Saale
verbleiben und ſieht den Mandatsverluſt als Strafe
für die Verletzung dieſer Beſtimmungen vor. Es waren
denn auch faſt alle Gemeinderäte zur Wahl erſchienen, die
Chriſtlichſozialen im Feſtkleid und mit der weißen
Nelke geſchmückt. Die Galerien waren bis auf
das letzte Plätzchen gefüllt. Im Saale waren auch die
Bezirksvorſteher und die Direktoren der ſtädtiſchen
Unternehmungen und die Beamten des Präſidialbureaus
anweſend.

Um ¼11 Uhr eröffnete der erſte Vizebürgermeiſter
Dr. Porzer die denkwürdige Sitzung. Der Wahlakt,
eine ſchriftliche Abſtimmung, an der ſich auch
die Oppoſition beteiligte, verlief in vollſter Ruhe.
Die Sozialdemokraten und Liberalen beteiligten ſich an
der Wahl, die erſteren gaben ihrem Klubobmann
Reumann die Stimme, die Liberalen bemerkens-
werterweiſe ihrem früheren Klubobmann Dr. Ritter
v. Dorn.

Als Dr. Weiskirchner, der auf ſeinem Platz
in der erſten Reihe ſaß, die 80. Stimme erhalten und
damit die qualifizierte Mehrheit erreicht
hatte, ertönte lebhafter Beifall im Saale, der ſich
bei der Abgabe der 100. Stimme für Dr. Weis-
kirchner erneuerte und ſich dann zu ſtürmiſchen
Ovationen für den neuen Bürgermeiſter verſtärkte als
das Wahlergebnis verkündet wurde. Die Oppoſition
verkieß den Saal und der neugewählte Bürgermeiſter
hielt dann ſeine Antrittsrede, die den ſtärkſten
Eindruck hatte. Bürgermeiſter Dr. Weiskirchner
ſchloß ſeine Rede mit einem pietätvollen und
dankbaren Gedenken an Dr. Lueger: „Möge aus
weiten Himmelsfernen Luegers Geiſt ſegnend
auf mich
herniederſchauen!“ Es war ein
ergreifender Moment, als nach dieſem
Worte ſofort alle Gemeinderäte zu Dr. Weis-
kirchner eilten und wie zum Treueſchwur
ihm die Hände reichten.
Luegers Geiſt
ſchwebte im Saale, der Geiſt der Stärke
und Einigkeit, der Luegers Nachfolger und
Freunde vereint zu unermüdlicher Arbeit. An der
Spitze ſteht der beſte Kenner der Verwaltung
der Stadt Wien, den eine langjährige Tätigkeit in allen
Zweigen der Kommunalverwaltung und ſein „Be-
fähigungsnachweis“ im Parlament, auf den er heute
ſelbſt in ſeiner Rede anſpielte, als den Berufenſten er-
ſcheinen laſſen, Luegers Lebenswerk weiterzubauen zu
Ehren der Stadt Wien und zum Nutzen des Wiener
chriſtlichen Volkes.

Der Sitzungsbericht.

Kurz nach 10 Uhr erklärte der Vorſitzende Vizebürgermeiſter
Dr. Porzer die Sitzung eröffnet, konſtatierte die Anweſenheit
von mehr als 100 Mitgliedern des Gemeinderates und gab
bekannt, daß Gemeinderat Rauer, welcher ſchon ſeit Monaten
an einer ſchweren Krankheit leidet, infolgedeſſen ſich verpflichtet
gefühlt habe, ſein Mandat als Gemeinderat
zurückzulegen.
Mit dem Ausdrucke lebhaften Bedauerns
nahm der Gemeinderat dieſe Verzichtleiſtung zur Kenntnis.
Der Vorſitzende teilt dann mit, daß die Gemeinderäte Hilſcher,
C. M. Mayer,
Dr. Neumayer, Oppenberger, Weidinger
entſchuldigt ſind und daß Gemeinderat Skaret von der
Sitzung ausgeſchloſſen iſt. Zu Schriftführern für den Wahlakt
werden die Gemeinderäte Philp und Leitner, zu Skrutatoren
die Gemeinderäte Schlechter und Vaugoin ernannt.


[Spaltenumbruch]
Beginn der Wahl.

Es wird nun ſofort zur Vornahme der Wahl geſchritten
und der Schriftführer beginnt mit dem Namensaufrufe. Als
erſter gibt Gemeinderat kaiſ. Rat Ahorner ſeinen Stimmzettel
ab. Er hat eben eine ſchwere Krankheit überſtanden und wird
von zwei Gemeinderatskollegen und VB. Hierhammer unter-
ſtützt zur Eſtrade geleitet und gibt dort ſeinen Stimmzettel ab.
Nachdem ſämtliche anweſende Gemeinderäte ihre Stimmzettel
abgegeben haben, wird ſofort zum Skrutinium geſchritten. Der
erſte aus der Urne gezogene Stimmzettel lautet auf Dr. Weis-
kirchner.

Als der 80. auf Dr. Weiskirchner lautende Stimmzettel
verleſen wird, ertönen im Saale und auf der Galerie lebhafte
Beifallsrufe. (Zur Wahl des Bürgermeiſters ſind nämlich laut
Statut 80 Stimmen erforderlich.) Die Liberalen geben ihre
Stimmzettel für Dr. v. Dorn ab, die Sozialdemokraten ſtimmen
für ihren Obmann GR. Reumann. Gegen 11 Uhr iſt das
Skrutinium beendet.

Der Vorſitzende teilt mit:

155 Stimmen abgegeben. Davon entfielen auf Exzellenz
Dr. Weiskirchner 126 Stimmen (Lebhafter Beifall), auf
Dr. v. Dorn 12 Stimmen, auf GR. Goltz 1 Stimme, auf
GR. Reumann 7 Stimmen, 9 Stimmzettel waren le[e]r.

VB. Dr. Porzer enunziert, daß alſo Exzellenz Dr. Weis-
kirchner
mit der vom Geſetze vorgeſchriebenen Anzahl von
Stimmen zum Bürgermeiſter gewählt iſt. (Stürmiſcher
Beifall und Händeklatſchen ſowie Tücherſchwenken im Saal und
auf der Galerie.)

Die Oppoſition verläßt, während die Mitglieder der
Majorität unausgeſetzt ſtürmiſch Beifall klatſchen, den Saal.

Auf die Frage des Vorſitzenden VB. Dr. Porzer, ob er
die Wahl zum Bürgermeiſter annehme, antwortet Exzellenz
Dr. Weiskirchner mit folgender Anſprache:

Die Antrittsrede Dr. Weiskirchners.

Meine hochgeehrten Herren Kollegen! Vorbehaltlich der
Allerhöchſten Beſtätigung durch Se. Majeſtät unſeren aller-
gnädigſten Kaiſer und Herrn erkläre ich die auf mich gefallene
hochehrende Wahl zum Bürgermeiſter der Reichshaupt- und
Reſidenzſtadt Wien anzunehmen. (Lebhafter Beifall.)

Ich danke herzlichſt allen jenen verehrten Kollegen, welche
mir ihre Stimmen zugewendet und mich für würdig und fähig
erachtet haben, Oberhaupt dieſer Stadt zu werden.

Nehmen Sie von mir heute das ſchlichte, aber ehrliche und
ernſte Verſprechen entgegen, daß ich gewillt bin, mein ganzes
Wiſſen und Können in den Dienſt meiner ge-
liebten Vaterſtadt
zu ſtellen. (Lauter Beifall.)

Jene Kollegen aber, welche mich heute nicht gewählt haben,
bitte ich, an meinem guten Willen und an meinen redlichen
Abſichten nicht zu zweifeln.

Habe ich doch an einer anderen Stelle den Befähigungs-
nachweis für das Amt eines Vorſitzenden bereits
erbracht. (Stürmiſcher Beifall.) Als erſter Präſident im Volks-
hauſe des allgemeinen Wahlrechtes habe ich unter ſchwierigen
Verhältniſſen den Vorſitz übernommen, mit ruhiger, feſter Hand
in objektiver Weiſe die Geſchäfte geführt und hiefür auch die
Anerkennung meiner parteipolitiſchen Gegner gefunden. (Leb-
hafte Zuſtimmung.)

Zu meinem neuen Amte bringe ich die reichen Erfahrungen
meiner bald 30jährigen Tätigkeit auf
kommunalen Gebiete mit;
ich kenne
die ſtädtiſche Verwaltung in allen ihren Zweigen, ich
kenne die Bedürfniſſe der großſtädtiſchen Bevölkerung und
weiß, wie breite Schichten des Volkes in ſchwerem
Kampf und harter Arbeit um ihre Lebensexiſtenz ringen. Als
Beamter der Gemeinde habe ich unentwegt an der Anſchauung
feſtgehalten, daß die oberſte Pflicht des Amtes darin beſteht,
dem Volke zu dienen (großer Beifall), ſeine Bedürf-
niſſe wahrzunehmen und dieſelben im Rahmen des geſamtwirt-
ſchaftlichen Intereſſes auch zu befriedigen. Dieſer Gedanke wird
mich auch zum Sorgenſtuhl des Bürgermeiſters
geleiten und an dieſem Gedanken will ich feſthalten. Arbeit
und Verdienſt zu ſchaffen wird ſtets ein Leitſtern meines
Handelns ſein. Große, weitausgreifende Aufgaben ſind in
unſerem Gemeinweſen zu erfüllen, verantwortungsvolle Arbeit
wartet ſchon in nächſter Zeit und eine Reihe wichtiger Fragen
heiſcht gebieteriſch dringende großzügige Löſung. (Beifall.) Ich
bin mir hiebei der Pflicht bewußt, nicht der wirtſchaftlichen
Wohlfahrt des Volkes zu dienen, ſondern auch deſſen kulturellen
und geiſtigen Fortſchritt zu fördern und ſoziale Reformen im
chriſtlichen Sinne vorzubereiten. (Neuerlicher Beifall.)

Ich bitte die verehrten Kollegen, und zwar alle, auch die,
die ſoeben den Saal verlaſſen haben, um ihre Unterſtützung.
Ich werde es auch als eine Pflicht des Bürgermeiſters halten,
alle Gemeinderäte genaueſtens zu informieren, wenn ſie Information
wünſchen. Meine Herren! Wir haben Gott ſei Dank
eine gute Verwaltung,
und in eine gute Ver-
waltung kann jeder ungeſcheut Einſicht nehmen. (Stürmiſcher
Beifall.)

In Treue ergeben dem deutſchen Volke
(demonſtrativer Beifall), dem ich entſproſſen bin, treu meinem
Vaterlande Oeſterreich, werde ich auch weiter unentwegt feſt-
halten an den Grundſätzen deutſchchriſtlicher Welt-
anſchauung
(Beifall), deren Betägigung nach meiner
[Spaltenumbruch] unerſchütterlichen Ueberzeugung die einzige Gewähr für das
Gedeihen der Stadt und die Wohlfahrt ihrer Bewohner
bietet.

So will ich denn, meine verehrten Herren Kollegen, in
Gottes Namen
mit froher Zuverſicht einen neuen Abſchnitt
meines Lebens beginnen. Möge aus weiten
Himmelsſphären Luegers Geiſt ſegnend
auf mich niederſchauen!
(Brauſender nicht enden-
wollender Beifall.)

Vorſitzender Vizebürgermeiſter Dr. Porzer erklärt, daß der
Wahlakt an Seine Exzellenz den Herrn Statthalter geleitet
wird, und ſchließt hierauf die Sitzung.

Der neugewählte Bürgermeiſter wurde indes von den Mit-
gliedern der Majorität umringt und in herzlichſter Weiſe be-
glückwünſcht. Auch Gemeinderat Schlechter ſchloß ſich den
Gratulanten an.




Die für heute nachmittag anberaumte Geſchäftsſitzung
des Gemeinderates wurde abgeſagt.




Blätterſtimmen über die Wahl Doktor
Weiskirchners zum Bürgermeiſter.

Der Bürgerklub der chriſtlichſozialen Wiener Ge-
meinderäte hat mit ſeiner Erwählung Dr. Weiskirchners
zum Bürgermeiſterkandidaten wirklich das Richtige ge-
troffen. Wenn noch irgend ein Zweifel be-
ſtehen konnte, der Uniſonoaufſchrei der jüdiſchen Preſſe
vom Adlerhof bis zur Fichtegaſſe beſeitigt ihn. Es iſt ein-
fach herzerhebend und erquickend, alle dieſe unfreiwilligen
Rechtfertigungen und indirekten Belobigungen des Bürger-
klubs zu genießen. Der Bürgerklub hat das getan, was
der Preſſe der geſchworenen Feinde des chriſtlichen
deutſchen Wien am wenigſten gefällt, alſo hat er ſeine
Pflicht erfüllt. Geradezu konſterniert iſt dieſe Preſſe von
der Einigkeit, Geſchloſſenheit und Entſchloſſenheit des
Bürgerklubs, der ſo raſch zu handeln wußte.

Die „Neue Freie Preſſe“ verfällt in ihrer Deſperation
auf den originellen Gedanken, dem neuen Bürger-
meiſter die Schuld an der Kriegs-
gefahr
und an allen ihren ſchweren wirtſchaftlichen
Schäden zuzuſchreiben: „Wenn jetzt Millionen und
Millionen von Volksvermögen verloren gegangen ſind;
wenn ſich Wien jetzt mühſelig aus der tiefen wirt-
ſchaftlichen Depreſſion losringt, die von einer Kata-
ſtrophe nicht ſehr weit entfernt war; wenn wieder
die Kriegsgefahr mit allen ihren Schäden für die Be-
völkerung hereingebrochen iſt, ſo muß es nur recht und
billig ſein, daß der Mann, deſſen Politik an all dieſem
Unglück mitſchuldig iſt, zum Bürgermeiſter der Reichs-
hauptſtadt erhoben wird.“ Offenbar war es Weis-
kirchner, der den Bund der vier Balkankönigreiche ge-
gründet und ihren Krieg gegen die Türkei verſchuldet
hat; und Weiskirchner war es zweifellos, der den
militäriſchen Zuſammenbruch der Türkei und ihre Gebiets-
verluſte auf dem Gewiſſen hat, beileibe nicht etwa das
jungtürkiſche Logentum; natürlich war es auch Weiskirch-
ner, der Herrn Paſic zu ſeinen Ueberſchwänglichkeiten ver-
leitet hat, und ſelbſtverſtändlich hat Weiskirchner Rußlands
Mobiliſierungen an unſerer Nordoſtgrenze veranlaßt.
Von welchen Qualitäten muß der Wiener Freiſinn ſein,
daß man ihm mit ſolchen Krampusgeſchichten kommen
darf! Schließlich ſtellt die „N. Fr. Pr.“ die Gretchen-
frage: „Dr. Weiskirchner, was iſt er eigentlich? Iſt er
klerikal? Iſt er deutſchnational? Iſt er chriſtlichſozial?
Niemand kann ganz klare Antwort darauf geben,
niemand kann von dem neuen Bürgermeiſter ein
wirkliches Bekenntnis, ein klares Wort, das die politiſche
Definition des ganzen Mannes gäbe, anführen“. Wenn
dem ſo wäre, warum verfährt denn dann das liberale
Hauptorgan ſo unfreundlich mit dem Gewählten, der,
wenn er nicht klerikal, nicht chriſtlichſozial, nicht
deutſchnational iſt, am Ende gar ein Parteigänger
der Fichtegaſſe iſt? Oh, ooh, oooh! Und dann
fiele ſeine Schuld an der Kriegsgefahr auf die
„N. Fr. Pr.“, und dieſe hätte ſich mit ihren blitz-
blauen Behauptungen ſelber in die Tinte geſetzt. Ach,
wie rührt mich dies!

Die „Arbeiter-Zeitung“ ſtößt den Schreckensruf
aus: „Tisza im Rathauſe!“, gibt den Chriſtlichſozialen
die Schuld an der „Entartung des Wiener Gemeinde-
rates“ durch die Radauſzenen, welche die liberal-ſozial-
demokratiſche Oppoſition jetzt Sitzung für Sitzung auf-
führt, um die Gemeindeautonomie zu untergraben, denn
die chriſtlichſoziale Partei habe die Gemeindeverwaltung
dem Stadtrat und den Ausſchüſſen vorbehalten (wahr
iſt, daß dieſe Einrichtung das Werk der Liberalen

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[1/0001] Morgenblatt 8 h in Wien. Redaktion: VIII. Strozzigaſſe 41. Telephon: 18082. Verwaltung: VIII. Strozzig. 42. Telephon: 13870. Druckerei: VIII. Strozzigaſſe 41. Telephon: 22641. Kleiner Anzeiger I. Schulerſtr. 21. Telephon: 2926. Inſerute werden in der Verwaltung der „Reichspoſt“ VIII. Strozzigaſſe 42, I. Schulerſtraße 21, ſowie in allen Annoncenbureaus des In- und Auslandes angenommen. Mittagsblatt. Reichspoſt. Unabhängiges Tagblatt für das chriſtliche Volk Oeſterreich-Ungarns. Bezugspreiſe: bei täglich zweimaliger Zu- ſtellung für Wien: monatlich ....... K 3.70 vierteljährig ...... „11.— halbjährig ....... „22.— für Oeſterreich-Ungarn: monatlich ....... K 3.85 vierteljährig ...... „ 11.50 halbjährig ....... „ 23.— Bei täglich einmaliger Zu- ſtellung (das Morgenblatt zu- gleich mit der Nachmittagsaus- gabe des vorherigen Tages) für auswärts: monatlich ....... K 3.50 vierteljährig ...... „ 10.50 halbjährig ....... „ 21.— Für Deutſchland: vierteljährig Kreuzbandſendung K 16.—. Länder des Weltpoſtvereines: vierteljährig Kreuzbandſendung K 22.—. Nr. 595 Wien, Montag den 23. Dezember 1912. XIX. Jahrgang. Die Bürgermeiſterwahl. Dr. Weiskirchner mit 129 Stimmen gewählt. Die Stadt Wien hat heute vormittag nach nicht einmal einer Woche während dem Interregnum ein neues Oberhaupt erhalten. Dr. Richard Weiskirchner, von Dr. Lueger zu ſeinem Nachfolger und für die Voll- endung der von Lueger begonnenen Werke beſtimmt, wurde von der geſamten Majorität einſtimmig zum Bürgermeiſter gewählt. Den Vorſchriften des Statuts gehorchend waren alle Gemeinderäte zur Wahl gekommen, die nicht Krank- heit oder vorher bewilligter Urlaub entſchuldigt hatten. Das Statut verlangt bekanntlich auch, daß die Ge- meinderäte während der Dauer der Wahl im Saale verbleiben und ſieht den Mandatsverluſt als Strafe für die Verletzung dieſer Beſtimmungen vor. Es waren denn auch faſt alle Gemeinderäte zur Wahl erſchienen, die Chriſtlichſozialen im Feſtkleid und mit der weißen Nelke geſchmückt. Die Galerien waren bis auf das letzte Plätzchen gefüllt. Im Saale waren auch die Bezirksvorſteher und die Direktoren der ſtädtiſchen Unternehmungen und die Beamten des Präſidialbureaus anweſend. Um ¼11 Uhr eröffnete der erſte Vizebürgermeiſter Dr. Porzer die denkwürdige Sitzung. Der Wahlakt, eine ſchriftliche Abſtimmung, an der ſich auch die Oppoſition beteiligte, verlief in vollſter Ruhe. Die Sozialdemokraten und Liberalen beteiligten ſich an der Wahl, die erſteren gaben ihrem Klubobmann Reumann die Stimme, die Liberalen bemerkens- werterweiſe ihrem früheren Klubobmann Dr. Ritter v. Dorn. Als Dr. Weiskirchner, der auf ſeinem Platz in der erſten Reihe ſaß, die 80. Stimme erhalten und damit die qualifizierte Mehrheit erreicht hatte, ertönte lebhafter Beifall im Saale, der ſich bei der Abgabe der 100. Stimme für Dr. Weis- kirchner erneuerte und ſich dann zu ſtürmiſchen Ovationen für den neuen Bürgermeiſter verſtärkte als das Wahlergebnis verkündet wurde. Die Oppoſition verkieß den Saal und der neugewählte Bürgermeiſter hielt dann ſeine Antrittsrede, die den ſtärkſten Eindruck hatte. Bürgermeiſter Dr. Weiskirchner ſchloß ſeine Rede mit einem pietätvollen und dankbaren Gedenken an Dr. Lueger: „Möge aus weiten Himmelsfernen Luegers Geiſt ſegnend auf mich herniederſchauen!“ Es war ein ergreifender Moment, als nach dieſem Worte ſofort alle Gemeinderäte zu Dr. Weis- kirchner eilten und wie zum Treueſchwur ihm die Hände reichten. Luegers Geiſt ſchwebte im Saale, der Geiſt der Stärke und Einigkeit, der Luegers Nachfolger und Freunde vereint zu unermüdlicher Arbeit. An der Spitze ſteht der beſte Kenner der Verwaltung der Stadt Wien, den eine langjährige Tätigkeit in allen Zweigen der Kommunalverwaltung und ſein „Be- fähigungsnachweis“ im Parlament, auf den er heute ſelbſt in ſeiner Rede anſpielte, als den Berufenſten er- ſcheinen laſſen, Luegers Lebenswerk weiterzubauen zu Ehren der Stadt Wien und zum Nutzen des Wiener chriſtlichen Volkes. Der Sitzungsbericht. Kurz nach 10 Uhr erklärte der Vorſitzende Vizebürgermeiſter Dr. Porzer die Sitzung eröffnet, konſtatierte die Anweſenheit von mehr als 100 Mitgliedern des Gemeinderates und gab bekannt, daß Gemeinderat Rauer, welcher ſchon ſeit Monaten an einer ſchweren Krankheit leidet, infolgedeſſen ſich verpflichtet gefühlt habe, ſein Mandat als Gemeinderat zurückzulegen. Mit dem Ausdrucke lebhaften Bedauerns nahm der Gemeinderat dieſe Verzichtleiſtung zur Kenntnis. Der Vorſitzende teilt dann mit, daß die Gemeinderäte Hilſcher, C. M. Mayer, Dr. Neumayer, Oppenberger, Weidinger entſchuldigt ſind und daß Gemeinderat Skaret von der Sitzung ausgeſchloſſen iſt. Zu Schriftführern für den Wahlakt werden die Gemeinderäte Philp und Leitner, zu Skrutatoren die Gemeinderäte Schlechter und Vaugoin ernannt. Beginn der Wahl. Es wird nun ſofort zur Vornahme der Wahl geſchritten und der Schriftführer beginnt mit dem Namensaufrufe. Als erſter gibt Gemeinderat kaiſ. Rat Ahorner ſeinen Stimmzettel ab. Er hat eben eine ſchwere Krankheit überſtanden und wird von zwei Gemeinderatskollegen und VB. Hierhammer unter- ſtützt zur Eſtrade geleitet und gibt dort ſeinen Stimmzettel ab. Nachdem ſämtliche anweſende Gemeinderäte ihre Stimmzettel abgegeben haben, wird ſofort zum Skrutinium geſchritten. Der erſte aus der Urne gezogene Stimmzettel lautet auf Dr. Weis- kirchner. Als der 80. auf Dr. Weiskirchner lautende Stimmzettel verleſen wird, ertönen im Saale und auf der Galerie lebhafte Beifallsrufe. (Zur Wahl des Bürgermeiſters ſind nämlich laut Statut 80 Stimmen erforderlich.) Die Liberalen geben ihre Stimmzettel für Dr. v. Dorn ab, die Sozialdemokraten ſtimmen für ihren Obmann GR. Reumann. Gegen 11 Uhr iſt das Skrutinium beendet. Der Vorſitzende teilt mit: 155 Stimmen abgegeben. Davon entfielen auf Exzellenz Dr. Weiskirchner 126 Stimmen (Lebhafter Beifall), auf Dr. v. Dorn 12 Stimmen, auf GR. Goltz 1 Stimme, auf GR. Reumann 7 Stimmen, 9 Stimmzettel waren leer. VB. Dr. Porzer enunziert, daß alſo Exzellenz Dr. Weis- kirchner mit der vom Geſetze vorgeſchriebenen Anzahl von Stimmen zum Bürgermeiſter gewählt iſt. (Stürmiſcher Beifall und Händeklatſchen ſowie Tücherſchwenken im Saal und auf der Galerie.) Die Oppoſition verläßt, während die Mitglieder der Majorität unausgeſetzt ſtürmiſch Beifall klatſchen, den Saal. Auf die Frage des Vorſitzenden VB. Dr. Porzer, ob er die Wahl zum Bürgermeiſter annehme, antwortet Exzellenz Dr. Weiskirchner mit folgender Anſprache: Die Antrittsrede Dr. Weiskirchners. Meine hochgeehrten Herren Kollegen! Vorbehaltlich der Allerhöchſten Beſtätigung durch Se. Majeſtät unſeren aller- gnädigſten Kaiſer und Herrn erkläre ich die auf mich gefallene hochehrende Wahl zum Bürgermeiſter der Reichshaupt- und Reſidenzſtadt Wien anzunehmen. (Lebhafter Beifall.) Ich danke herzlichſt allen jenen verehrten Kollegen, welche mir ihre Stimmen zugewendet und mich für würdig und fähig erachtet haben, Oberhaupt dieſer Stadt zu werden. Nehmen Sie von mir heute das ſchlichte, aber ehrliche und ernſte Verſprechen entgegen, daß ich gewillt bin, mein ganzes Wiſſen und Können in den Dienſt meiner ge- liebten Vaterſtadt zu ſtellen. (Lauter Beifall.) Jene Kollegen aber, welche mich heute nicht gewählt haben, bitte ich, an meinem guten Willen und an meinen redlichen Abſichten nicht zu zweifeln. Habe ich doch an einer anderen Stelle den Befähigungs- nachweis für das Amt eines Vorſitzenden bereits erbracht. (Stürmiſcher Beifall.) Als erſter Präſident im Volks- hauſe des allgemeinen Wahlrechtes habe ich unter ſchwierigen Verhältniſſen den Vorſitz übernommen, mit ruhiger, feſter Hand in objektiver Weiſe die Geſchäfte geführt und hiefür auch die Anerkennung meiner parteipolitiſchen Gegner gefunden. (Leb- hafte Zuſtimmung.) Zu meinem neuen Amte bringe ich die reichen Erfahrungen meiner bald 30jährigen Tätigkeit auf kommunalen Gebiete mit; ich kenne die ſtädtiſche Verwaltung in allen ihren Zweigen, ich kenne die Bedürfniſſe der großſtädtiſchen Bevölkerung und weiß, wie breite Schichten des Volkes in ſchwerem Kampf und harter Arbeit um ihre Lebensexiſtenz ringen. Als Beamter der Gemeinde habe ich unentwegt an der Anſchauung feſtgehalten, daß die oberſte Pflicht des Amtes darin beſteht, dem Volke zu dienen (großer Beifall), ſeine Bedürf- niſſe wahrzunehmen und dieſelben im Rahmen des geſamtwirt- ſchaftlichen Intereſſes auch zu befriedigen. Dieſer Gedanke wird mich auch zum Sorgenſtuhl des Bürgermeiſters geleiten und an dieſem Gedanken will ich feſthalten. Arbeit und Verdienſt zu ſchaffen wird ſtets ein Leitſtern meines Handelns ſein. Große, weitausgreifende Aufgaben ſind in unſerem Gemeinweſen zu erfüllen, verantwortungsvolle Arbeit wartet ſchon in nächſter Zeit und eine Reihe wichtiger Fragen heiſcht gebieteriſch dringende großzügige Löſung. (Beifall.) Ich bin mir hiebei der Pflicht bewußt, nicht der wirtſchaftlichen Wohlfahrt des Volkes zu dienen, ſondern auch deſſen kulturellen und geiſtigen Fortſchritt zu fördern und ſoziale Reformen im chriſtlichen Sinne vorzubereiten. (Neuerlicher Beifall.) Ich bitte die verehrten Kollegen, und zwar alle, auch die, die ſoeben den Saal verlaſſen haben, um ihre Unterſtützung. Ich werde es auch als eine Pflicht des Bürgermeiſters halten, alle Gemeinderäte genaueſtens zu informieren, wenn ſie Information wünſchen. Meine Herren! Wir haben Gott ſei Dank eine gute Verwaltung, und in eine gute Ver- waltung kann jeder ungeſcheut Einſicht nehmen. (Stürmiſcher Beifall.) In Treue ergeben dem deutſchen Volke (demonſtrativer Beifall), dem ich entſproſſen bin, treu meinem Vaterlande Oeſterreich, werde ich auch weiter unentwegt feſt- halten an den Grundſätzen deutſchchriſtlicher Welt- anſchauung (Beifall), deren Betägigung nach meiner unerſchütterlichen Ueberzeugung die einzige Gewähr für das Gedeihen der Stadt und die Wohlfahrt ihrer Bewohner bietet. So will ich denn, meine verehrten Herren Kollegen, in Gottes Namen mit froher Zuverſicht einen neuen Abſchnitt meines Lebens beginnen. Möge aus weiten Himmelsſphären Luegers Geiſt ſegnend auf mich niederſchauen! (Brauſender nicht enden- wollender Beifall.) Vorſitzender Vizebürgermeiſter Dr. Porzer erklärt, daß der Wahlakt an Seine Exzellenz den Herrn Statthalter geleitet wird, und ſchließt hierauf die Sitzung. Der neugewählte Bürgermeiſter wurde indes von den Mit- gliedern der Majorität umringt und in herzlichſter Weiſe be- glückwünſcht. Auch Gemeinderat Schlechter ſchloß ſich den Gratulanten an. Die für heute nachmittag anberaumte Geſchäftsſitzung des Gemeinderates wurde abgeſagt. Blätterſtimmen über die Wahl Doktor Weiskirchners zum Bürgermeiſter. Der Bürgerklub der chriſtlichſozialen Wiener Ge- meinderäte hat mit ſeiner Erwählung Dr. Weiskirchners zum Bürgermeiſterkandidaten wirklich das Richtige ge- troffen. Wenn noch irgend ein Zweifel be- ſtehen konnte, der Uniſonoaufſchrei der jüdiſchen Preſſe vom Adlerhof bis zur Fichtegaſſe beſeitigt ihn. Es iſt ein- fach herzerhebend und erquickend, alle dieſe unfreiwilligen Rechtfertigungen und indirekten Belobigungen des Bürger- klubs zu genießen. Der Bürgerklub hat das getan, was der Preſſe der geſchworenen Feinde des chriſtlichen deutſchen Wien am wenigſten gefällt, alſo hat er ſeine Pflicht erfüllt. Geradezu konſterniert iſt dieſe Preſſe von der Einigkeit, Geſchloſſenheit und Entſchloſſenheit des Bürgerklubs, der ſo raſch zu handeln wußte. Die „Neue Freie Preſſe“ verfällt in ihrer Deſperation auf den originellen Gedanken, dem neuen Bürger- meiſter die Schuld an der Kriegs- gefahr und an allen ihren ſchweren wirtſchaftlichen Schäden zuzuſchreiben: „Wenn jetzt Millionen und Millionen von Volksvermögen verloren gegangen ſind; wenn ſich Wien jetzt mühſelig aus der tiefen wirt- ſchaftlichen Depreſſion losringt, die von einer Kata- ſtrophe nicht ſehr weit entfernt war; wenn wieder die Kriegsgefahr mit allen ihren Schäden für die Be- völkerung hereingebrochen iſt, ſo muß es nur recht und billig ſein, daß der Mann, deſſen Politik an all dieſem Unglück mitſchuldig iſt, zum Bürgermeiſter der Reichs- hauptſtadt erhoben wird.“ Offenbar war es Weis- kirchner, der den Bund der vier Balkankönigreiche ge- gründet und ihren Krieg gegen die Türkei verſchuldet hat; und Weiskirchner war es zweifellos, der den militäriſchen Zuſammenbruch der Türkei und ihre Gebiets- verluſte auf dem Gewiſſen hat, beileibe nicht etwa das jungtürkiſche Logentum; natürlich war es auch Weiskirch- ner, der Herrn Paſic zu ſeinen Ueberſchwänglichkeiten ver- leitet hat, und ſelbſtverſtändlich hat Weiskirchner Rußlands Mobiliſierungen an unſerer Nordoſtgrenze veranlaßt. Von welchen Qualitäten muß der Wiener Freiſinn ſein, daß man ihm mit ſolchen Krampusgeſchichten kommen darf! Schließlich ſtellt die „N. Fr. Pr.“ die Gretchen- frage: „Dr. Weiskirchner, was iſt er eigentlich? Iſt er klerikal? Iſt er deutſchnational? Iſt er chriſtlichſozial? Niemand kann ganz klare Antwort darauf geben, niemand kann von dem neuen Bürgermeiſter ein wirkliches Bekenntnis, ein klares Wort, das die politiſche Definition des ganzen Mannes gäbe, anführen“. Wenn dem ſo wäre, warum verfährt denn dann das liberale Hauptorgan ſo unfreundlich mit dem Gewählten, der, wenn er nicht klerikal, nicht chriſtlichſozial, nicht deutſchnational iſt, am Ende gar ein Parteigänger der Fichtegaſſe iſt? Oh, ooh, oooh! Und dann fiele ſeine Schuld an der Kriegsgefahr auf die „N. Fr. Pr.“, und dieſe hätte ſich mit ihren blitz- blauen Behauptungen ſelber in die Tinte geſetzt. Ach, wie rührt mich dies! Die „Arbeiter-Zeitung“ ſtößt den Schreckensruf aus: „Tisza im Rathauſe!“, gibt den Chriſtlichſozialen die Schuld an der „Entartung des Wiener Gemeinde- rates“ durch die Radauſzenen, welche die liberal-ſozial- demokratiſche Oppoſition jetzt Sitzung für Sitzung auf- führt, um die Gemeindeautonomie zu untergraben, denn die chriſtlichſoziale Partei habe die Gemeindeverwaltung dem Stadtrat und den Ausſchüſſen vorbehalten (wahr iſt, daß dieſe Einrichtung das Werk der Liberalen

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Zitationshilfe: Reichspost. Nr. 595, Wien, 24.12.1912, S. 1. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_reichspost595_1912/1>, abgerufen am 24.04.2024.