Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Scheffel, Joseph Victor von: Hugideo. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 19. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 237–254. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

Der hochaufschlagende Feuerschein zeigte, daß die von den catalaunischen Feldern heimkehrenden Alamannenschaaren ihren Rückweg dort vorüber genommen.

Frühmorgens kam Nebi, der Fischer. Habt Ihr gesehen? sprach er. Wieder ein Städtlein weniger und ein Trümmerhaufen mehr! Augst, was taugst? . . . er blies über die hohle Hand weg . . . Waffen und Weh! Waffen und Weh! Nehmt Eure Schaufel und kommt, es giebt Arbeit!

In der Bucht des Rheines auf dem weißen schimmernden Ufersande lag angelandet einer Jungfrau Leiche, die weiße römische Tunica wasserschwer um die schlanken Glieder geschmiegt, das Haar in Flechten über den stolzen Nacken wallend, die Stirn von goldenem Reif umfaßt. Unter der linken Brust klaffte ein leiser Riß im Gewand, wie vom Stich einer schneidigen Waffe.

Merkwürdig, sprach Nebi, der Fischer, wie die blasse Maid dem Marmorbilde gleicht, das Ihr auf dem Berg droben aufgestellt.

Ja wohl . . . merkwürdig! sprach Hugideo. Lang und starr stand er vor der Leiche . . . :

"Te spectem, suprema mihi cum venerit hora, te teneam inoriens deficiente manu."

. . . Er hob sie empor und trug sie mit starkem Arm den Berg hinauf.

Was habt Ihr gesagt, Hugideo? halt an, Hugideo! wohin, Hugideo? rief Nebi, der Fischer, und ließ erstaunt seine Schaufel fallen. Die Gräber stehen ja dort zur Rechten.

Der hochaufschlagende Feuerschein zeigte, daß die von den catalaunischen Feldern heimkehrenden Alamannenschaaren ihren Rückweg dort vorüber genommen.

Frühmorgens kam Nebi, der Fischer. Habt Ihr gesehen? sprach er. Wieder ein Städtlein weniger und ein Trümmerhaufen mehr! Augst, was taugst? . . . er blies über die hohle Hand weg . . . Waffen und Weh! Waffen und Weh! Nehmt Eure Schaufel und kommt, es giebt Arbeit!

In der Bucht des Rheines auf dem weißen schimmernden Ufersande lag angelandet einer Jungfrau Leiche, die weiße römische Tunica wasserschwer um die schlanken Glieder geschmiegt, das Haar in Flechten über den stolzen Nacken wallend, die Stirn von goldenem Reif umfaßt. Unter der linken Brust klaffte ein leiser Riß im Gewand, wie vom Stich einer schneidigen Waffe.

Merkwürdig, sprach Nebi, der Fischer, wie die blasse Maid dem Marmorbilde gleicht, das Ihr auf dem Berg droben aufgestellt.

Ja wohl . . . merkwürdig! sprach Hugideo. Lang und starr stand er vor der Leiche . . . :

„Te spectem, suprema mihi cum venerit hora, te teneam inoriens deficiente manu.“

. . . Er hob sie empor und trug sie mit starkem Arm den Berg hinauf.

Was habt Ihr gesagt, Hugideo? halt an, Hugideo! wohin, Hugideo? rief Nebi, der Fischer, und ließ erstaunt seine Schaufel fallen. Die Gräber stehen ja dort zur Rechten.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="0">
        <pb facs="#f0017"/>
        <p>Der hochaufschlagende Feuerschein zeigte, daß die von den catalaunischen Feldern         heimkehrenden Alamannenschaaren ihren Rückweg dort vorüber genommen.</p><lb/>
        <p>Frühmorgens kam Nebi, der Fischer. Habt Ihr gesehen? sprach er. Wieder ein Städtlein         weniger und ein Trümmerhaufen mehr! Augst, was taugst? . . . er blies über die hohle Hand         weg . . . Waffen und Weh! Waffen und Weh! Nehmt Eure Schaufel und kommt, es giebt         Arbeit!</p><lb/>
        <p>In der Bucht des Rheines auf dem weißen schimmernden Ufersande lag angelandet einer         Jungfrau Leiche, die weiße römische Tunica wasserschwer um die schlanken Glieder geschmiegt,         das Haar in Flechten über den stolzen Nacken wallend, die Stirn von goldenem Reif umfaßt.         Unter der linken Brust klaffte ein leiser Riß im Gewand, wie vom Stich einer schneidigen         Waffe.</p><lb/>
        <p>Merkwürdig, sprach Nebi, der Fischer, wie die blasse Maid dem Marmorbilde gleicht, das Ihr         auf dem Berg droben aufgestellt.</p><lb/>
        <p>Ja wohl . . . merkwürdig! sprach Hugideo. Lang und starr stand er vor der Leiche . . .         :</p><lb/>
        <cit>
          <quote>
            <p>
              <foreign xml:lang="lat">&#x201E;Te spectem, suprema mihi cum venerit hora, te teneam inoriens deficiente manu.&#x201C;</foreign>
            </p><lb/>
          </quote>
        </cit>
        <p>. . . Er hob sie empor und trug sie mit starkem Arm den Berg hinauf.</p><lb/>
        <p>Was habt Ihr gesagt, Hugideo? halt an, Hugideo! wohin, Hugideo? rief Nebi, der Fischer, und         ließ erstaunt seine Schaufel fallen. Die Gräber stehen ja dort zur Rechten. </p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0017] Der hochaufschlagende Feuerschein zeigte, daß die von den catalaunischen Feldern heimkehrenden Alamannenschaaren ihren Rückweg dort vorüber genommen. Frühmorgens kam Nebi, der Fischer. Habt Ihr gesehen? sprach er. Wieder ein Städtlein weniger und ein Trümmerhaufen mehr! Augst, was taugst? . . . er blies über die hohle Hand weg . . . Waffen und Weh! Waffen und Weh! Nehmt Eure Schaufel und kommt, es giebt Arbeit! In der Bucht des Rheines auf dem weißen schimmernden Ufersande lag angelandet einer Jungfrau Leiche, die weiße römische Tunica wasserschwer um die schlanken Glieder geschmiegt, das Haar in Flechten über den stolzen Nacken wallend, die Stirn von goldenem Reif umfaßt. Unter der linken Brust klaffte ein leiser Riß im Gewand, wie vom Stich einer schneidigen Waffe. Merkwürdig, sprach Nebi, der Fischer, wie die blasse Maid dem Marmorbilde gleicht, das Ihr auf dem Berg droben aufgestellt. Ja wohl . . . merkwürdig! sprach Hugideo. Lang und starr stand er vor der Leiche . . . : „Te spectem, suprema mihi cum venerit hora, te teneam inoriens deficiente manu.“ . . . Er hob sie empor und trug sie mit starkem Arm den Berg hinauf. Was habt Ihr gesagt, Hugideo? halt an, Hugideo! wohin, Hugideo? rief Nebi, der Fischer, und ließ erstaunt seine Schaufel fallen. Die Gräber stehen ja dort zur Rechten.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T11:06:35Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T11:06:35Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_hugideo_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_hugideo_1910/17
Zitationshilfe: Scheffel, Joseph Victor von: Hugideo. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 19. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 237–254. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_hugideo_1910/17>, abgerufen am 16.04.2024.